Dreiklang N° 03

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DREI KLANG

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Alles Leben ist ein Ăœbergang. Hugo von Hofmannsthal


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E di t o ri a l

Liebe Leserinnen und Leser, im Oktober 2019 begehen wir den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution. Die Ereignisse des Jahres 1989, die zum Fall der Mauer geführt haben, werden im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als »Wende« bezeichnet. Kritiker stören sich zu Recht an dem Begriff. Lässt sich ein so weit­reichender Einschnitt in der deutsch-deutschen Geschichte, an dem so viele unterschiedliche Akteure beteiligt waren, auf ein historisches Datum reduzieren oder handelt es sich nicht vielmehr um einen Prozess, der lange vor dem 9. ­Oktober eingesetzt hat und möglicherweise bis heute andauert? Hat sich umgekehrt die konkrete Lebenssituation der Menschen, die in der ddr lebten, quasi über Nacht komplett ins Gegenteil verkehrt? Diese Fragen muss wohl jeder für sich persönlich beantworten. Ein Blick auf unsere individuellen Biografien zeigt, dass die einzelnen Stadien des Lebens sich nur sehr schwer klar voneinander abgrenzen lassen, dass sich der Übergang von einem Lebensabschnitt in den nächsten oft unterbewusst und über Jahre h ­ inweg vollzieht, dass möglicherweise die Phasen des Übergangs die deut­lich produktiveren sind. Das Wort »Krise«, das heute ausschließlich negativ verwendet wird, meint in seiner ursprüng­lichen Form genau diese Zeitspanne der inneren Reife. In der Kunst ist häufig der Prozess wichtiger als das Ergebnis. Inspiration und Kreativität lassen sich weder verordnen noch erzwingen, sondern bedürfen gerade jener Momente des bewussten Geschehenlassens, ohne dabei jedoch den Blick für das große Ganze zu verlieren. Gerade in der jüngeren Vergangenheit wird öffentlich häufig von einer »Gesellschaft im Wandel« gesprochen. Veränderung macht vielen Menschen Angst. Umgekehrt haben wir alle sicherlich schon einmal erfahren: Weder blinder Aktionismus noch Davonlaufen helfen in Phasen des Übergangs weiter, sondern das bewusste Einlassen auf einen Prozess, aus dem heraus Neues entstehen kann. Wie verschiedenartig das geschehen kann, darauf geben einige Beiträge in unserem neuen Magazin eine Antwort. Viel Freude damit!

A bg e s p e i c her t

Was wir vor dieser Ausgabe noch nicht wussten … Der Mensch träumt in ­seinem Leben durchschnittlich etwa 6 Jahre. E L ISA B E T H KÜ HNE

Übergang oder W ­ echsel heißt auf Isländisch »umskipti«. N E L E W IN T ER

Die Holztrompete im ­dritten Aufzug von ­Wagners »Tristan und Isolde« gehört in die ­Familie der Schweizer Alphörner. CH R IS T IA N G E LTI NG ER

Zw i s c h e n s t o pp

Wo wir für diese ­Ausgabe waren

Malsaal der Oper Leipzig P ROF. U LF SC H I RM E R I N T E N DAN T U N D G E N E RALMU SI K D I R E K TO R

Schlaflabor des Klinikum St. Georg


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INHALT 4

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Das hat mein Leben verändert

Kunst ist Dialog!

Umfrage

Rolando Villazón über Work-Life-Balance, das philosophisch-künstlerische Leben und die Momente von Komik und Melancholie in Donizettis »Liebestrank«

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In Morpheus’ Armen Der Mediziner Dr. Geert Vogt erklärt, ­warum wir schlafen.

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Gesellschaft im Wandel Rita Süssmuth über Krisen, Kreativität und Umlernprozesse

Zwischen Nichtmehr und Nochnicht Die Menschen an der Oper Leipzig ­berichten von ihren Erfahrungen des Übergangs.

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Erfrischend anders! Die Musikalische Komödie zieht ins Westbad.

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Once Upon a Dream Die Nacht der Liebe und des Todes in »Tristan und Isolde« und »Dornröschen«

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Sprung ins Ungewisse Wenn Tänzerinnen und Tänzer die zweite Karriere starten

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Übergänge Eine Fotostrecke

Alltag versus Abenteuer Thomas ­Hermanns wägt die Vor- und Nachteile von Routine ab.


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Musikalische Brückenschläge Prof. Ulf Schirmer über die Kunst des Übergangs bei ­Wagner, Strauss und Berg

Zugabe 1 1 Aus aller Welt Unsere Ensemblemitglieder unterwegs

3 1 Angerichtet Unser Rezept zur Premiere

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Perspektivwechsel Marketingleiter Uwe Möller tauscht die Tastatur mit dem Akku­schrauber.

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Wahrheit oder Pflicht? Ein Probenrückblick des Jugendchores

3 2 Ein Blick in den Malsaal der Oper Leipzig

4 4 Nachgefragt Sie fragen – wir antworten.

4 4 Wunderkammer Wie klingt eine Holztrompete?

4 6 Ohne Worte antwortet Jean-Baptiste M ­ ouret, Sänger der Oper Leipzig, auf unsere Fragen.

5 9 Unterwegs mit … Nora Lentner zwischen Leipzig und Paris

6 1 Platzhalter Wir fragen – Sie antworten.

6 6 Gut gesagt Ein Zitat – ein Kommentar

6 7 Um die Ecke gedacht Das Opernrätsel der anderen Art

7 0 Fundstücke Was uns sonst noch alles über den Weg lief.

7 1 Detailverliebt Gewinnen Sie Premierenkarten!

7 2 »Du siehst aus, wie ich mich fühle« 7 2 Impressum

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Lichtprobe Wie der Leipziger Künstler Jörg Ernert in seinen Bildern den geheimnisvollen Arbeitsplatz Bühne einfängt

Digitale Oper ­L eipzig 1. Kostenlose Oper Leipzig App herunterladen.

2. App öffnen und Seiten mit ar-Symbol scannen.

3. Zusatz­material entdecken.

Fragen? Rufen Sie uns einfach an, täglich von 9:00 – 17:00 Uhr T +49 (0)341 – 12 61 373


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Um frage

Wendepunkte -Das hat mein Leben verändert ... Fur mich war 2005 meine zwei­jährige Arbeit als OP-Schwester gemein­sam mit einem Ärzte­team im ­Kamerun definitiv ein ­großer Wende­punkt. P E T RA KALONJ I

Mein absoluter Wendepunkt war 2005, als ich mich ­beruflich verselbst­ständigte und nach ­Leipzig zog, um ­meinen Sohn und seine ­Familie zu unter­stützen. Die vielen künstlerischen Einrichtungen in Leipzig ­haben mir sehr beim ­Einleben geholfen. JU D IT H K R A M E R


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Für mich war das ­Ankommen in Leipzig ein Wende­ punkt. Die Zeit ­danach hat ­etwas losgetreten. JACO PO ASAM

Wendepunkte erlebte ich viele, zum Beispiel als ich von ­meiner alten ­Heimat ­wegen einer ­Ausbildung wegzog, dann mein ­Studium, der Beginn ­meiner ­beruflichen Laufbahn, ­mehrere Wohnort­wechsel und die ­Gründung einer Familie. BI RG I T SC H M UCK E R

Mein 60. Geburtstag war ein Wendepunkt. ­Zuvor ­verstarben drei enge Familien­ mitglieder kurz ­nacheinander, was in mir ein ­Inne­halten auslöste und ein Nachdenken über das eigene Leben. J OACH IM S CH M U CK E R


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Gesellschaft im Wandel Umbrüche mit Krisen, Kreativität und Umlernprozessen T E XT: R ITA S ÜS S M U T H I LLU ST RAT I O N E N : S T E FA N M O S E BACH


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Dieses Jahr ist ein besonderes Jubiläumsjahr. 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution, die einherging mit einschneidenden Umbrüchen – zunächst im Osten unseres Landes, inzwischen in ganz Deutschland, in Europa und weltweit. Dies ist ein Anlass für mich, über Wandel, Übergänge und Umbrüche nachzudenken, die zwangsläufig auch mit Krisen, Neuorientierungen, Herausforderungen, Scheitern verbunden sind. Ich habe in meinem ­Leben viele solcher Krisen erlebt – persönliche, berufliche und politische. Das Entscheidende war für mich stets, wie selbstwirksam ich sein kann. Dies kann indi­ viduelles Wachstum oder gesellschaftliche Prozesse betreffen. Dabei war mir immer wichtig, bei aller Ver­änderung und allem Fortschritt Bewährtes zu erhalten. Die klare Orientierung an Normen und Werten gab mir stets Halt. Diese gelebten Werte erfuhr ich als kleines Mädchen, als sich die Welt um mich herum während des Zweiten Weltkriegs ins Menschenlose verkehrte. Das Rettende fand ich in der Sicherheit der Familie und in den Beziehungen zwischen Menschen – das behielt ich in meinem Herzen. Aber auch die Ängste, die mit den Schrecken des Krieges einhergingen und die es zu überkommen galt, brannten sich in meine Erinnerungen ein. Angst ist lähmend. Wenn Veränderungen zu schnell und zu unkontrollierbar erscheinen, verspüren viele Menschen Ängste und Verunsicherungen. Dies sollten wir bei Wandlungsprozessen besonders beachten. Aber Angst ist umwandelbar in Energie und Antrieb. Dies war für meine politische Arbeit wichtig. Denn Politik soll nicht in einer Weise gestaltet werden, die nur der Beruhigung von Ängsten dient. Wir sehen auch gegenwärtig Politiker, die genau das heute tun, indem sie Mauern bauen wollen, abschotten und einfache Lösungen für komplexe Herausforderungen propagieren. Was im Herbst 1989 den Umbruch ermöglichte, war jahrelang vorbereitet worden: durch Freiheitsbewegungen in den Ländern Ost­ mitteleuropas, durch neue, unerwartete Perspektiven der Glasnost, der Aufklärungsarbeit Gorbatschows verbunden mit der politischen Dialog- und Kooperationsarbeit zwischen den Weltmächten. Es geschah

durch Persönlichkeiten in gegensätzlichen Systemwelten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Politik der intensiven Aufrüstung und Abschreckung zu beenden war, um Menschen zu retten, Leben auf dieser Erde zu erhalten. Die Welt ist in Bewegung geraten, bewegt durch Menschen, die sich gegen die Mächtigen als die scheinbar schwachen, ohnmächtigen Bürgerinnen und Bürger zur Wehr setzten. Sie machten sich sowohl als Einzelne wie auch als Gruppen, als organisierte Bürgerrechtsbewegung auf den Widerstandsweg zu einer neuen Freiheit und Verantwortlichkeit. Sie verwandelten ihre Ohnmacht in Stärke – nicht Ausharren und weiterhin Warten bestimmten ihren Lebenswillen, sondern eine Entscheidung zu staatlicher und privater Veränderung, zu demokratischer Eigenverantwortung. Umbrüche in der Gesellschaft geschehen durch ­Menschen, die in verkrusteten, f­ remdbestimmten ­Gesellschaften leben, aber die Verhältnisse, in denen sie leben, reflektieren und gemeinsam neue Entwürfe schaffen. Der Jubel am 9. November 1989 begann durchaus mit der skeptischen Frage, ob es wirklich sein könne, dass die Berliner Mauer geöffnet wurde und Menschen­ massen als momentan oder dauerhaft Freie sich zwischen Ost und West bewegen könnten. Ich habe diesen Abend wie auch die folgenden in ­Berlin und in Göttingen erlebt. Wir lagen uns in den Armen, unbekannt und doch vertraut. Es gab in diesen ersten Stunden und Tagen keine Fremdheit. Wir suchten die Nähe, das Verbindende, ohne zu fragen, was dieses Ereignis bedeutete und welche ­Konsequenzen daraus folgen würden. Tage zuvor quälte uns alle noch die Befürchtung, dass erneut sowjetische Truppen dem ungestümen Freiheitskampf ein Ende bereiten könnten.

Wir ­spürten und ­erhofften, wir gehören zusammen.


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Jene, die es unmittelbar erlebten und die für diesen Tag jahrelang gekämpft hatten, sprachen von ihrer neuen Freiheit, ihren zukünftigen Reiseplänen zu den Verwandten in Westdeutschland und ihrer Neugier auf die ihnen bislang unbekannte Welt. Wir spürten und erhofften, wir gehören zusammen. Das Unerwartete schien ganz plötzlich eingetreten zu sein. Ich erinnere mich an das Glücksgefühl, das wir auch wechselseitig ausdrückten. In dieser Situation hatten Skepsis, Zukunftskrisen, negative Konsequenzen zunächst nicht die geringste Chance. Dies folgte in der Tat erst Wochen später, als die alte ddr zum neuen integrierten Teil Deutschlands um­ gebaut wurde. Dieser 9. November war mit keinem der politischen Ereignisse zu vergleichen, die ich in den Jahren zuvor erlebt hatte. Es gab sie auch nicht, denn die vielen Jahre des Gedenkens an den 17. Juni 1953 wie auch andere Teilungstage ­ließen weder den Gedanken an das Ende der Teilung noch die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung Deutschlands aufkommen. Die Hoffnung auf ein wiedervereinigtes Deutschland nicht aufgeben, das war der eine Traditionsstrang, der andere fußte auf der geschaffenen Reali­ tät und dem Zweifel an einer grund­ legenden Veränderung. Das, was dem Herbst 1989 vorausgegangen war und was folgen sollte, hat in mir zu einer neuen Grundüberzeugung geführt, nämlich dass wir Menschen, insbesondere auch die Benachteiligten, nicht von der Ohnmacht beherrscht werden, sondern lebensgeschichtlich immer wieder die Erfahrung machen können, dass Menschen aufstehen, bewundernswerten Mut zeigen, höchsten Einsatz erbringen und kreativen Widerstand leisten. Wir sahen die Ostdeutschen nicht länger als Flüchtlinge, sondern als Zugehörige.

Aber der Tag kam. Eine Selbstständige aus Thüringen »räumte« auf mit unserem unzulänglichen Wissen über Lebens- und Arbeitsverhältnisse in der ddr, speziell auch der Kinderbetreuung. Begriffe wie Emanzipation oder Feminismus lehnten sie ab. Das war nicht ihre Alltagswelt. Sie hatten andere Erfahrungen: Familienrolle und Berufsrolle gehörten zusammen. Sie hatten sowohl soziale wie technische berufliche Qualifizierungen, die Pflicht der Sorge für die Familie, aber auch die Selbstständigkeit im Berufsalltag mit eigener Absicherung und eigenem Einkommen. All­gemeine und berufliche Fachbildung bildeten die Grundlage weiblicher Lebensführung. Wir spürten in der parteigebundenen Frauenarbeit kein positives Echo auf das westdeutsche Frauenleitbild und die gesellschaftliche Stellung der Frau. Viele ddr-Frauen wussten um ihre Einschränkungen und Zumutungen, aber für die meisten war die Berufsrolle und die berufliche Tätigkeit eine Selbstverständlichkeit, sie wussten sich zu vernetzen. Die westliche freiheitliche Lebenswelt lehnten sie nicht ab, aber sie bestanden in ihren For­ derungen an die Bundesregierung auf Erhalt des Positiven, das sie in der ­Bildung, der beruflichen Förderung, wie auch in der Rechtsstellung durchgesetzt hatten.

Wer sind wir?

Dennoch spürte ich bald bei unseren Frauentreffen im Winter 1989/90, dass mich etwas irritierte: Die ­Reaktionen der Frauen bestanden vor allem aus Tränen und Dankesworten. Sie schwiegen zu unseren Vorstellungen von einem besseren Frauenleben in der westlichen Welt. Ich selbst wartete auf kritische ­Fragen an uns und ihr Selbstverständnis der Vor- und Nachteile des Alltags in der ddr.

In Ostdeutschland hatten viele Menschen ihre kreativen Nischen in Wirtschaft, Kultur und Sozialleben entdeckt und positiv besetzt. Die Freude über Befreiung, Selbstständigkeit und Offenheit brach zusammen, je drastischer die Arbeitslosigkeit in den 90er Jahren zunahm. Viele Menschen, junge und ältere, s­ uchten Arbeit im Westen. Und vor Ort, das habe ich bis heute nicht vergessen, wurde ich Zeugin wütender und zugleich verzweifelter Proteste beim Abbau der Maschinen, an denen sie jahrelang gearbeitet hatten. Verhängnisvoll und bis heute nicht bewältigt war der wochenlange Streik in Bischofferode gegen den Verlust der Arbeitsplätze im Kalisalzbereich. Mutige Menschen, die sich mit hohem Risiko im Herbst 1989 durchgesetzt hatten, wollten zurecht nicht ohnmächtig aufgeben. »Wir sind das Volk«, friedlich aber entschieden zum Widerstand, so hatten sie gerufen und gehandelt – das galt.


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Wer ­wollen wir sein?


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Ich erinnere an den Mut am 4. September 1989: Ca. 1.200 Menschen haben bewiesen, dass sie für ihre Rechte einstanden und trotz ihrer Ängste auf die Straße gingen. Es war eine der berühmten Montagsdemonstrationen, die einen wesentlichen Anteil an der Friedlichen Revolution 1989 hatten. Sie gingen aus den Friedensgebeten hervor, die zuvor montags ­abgehalten wurden. Am 16. Oktober waren es bereits 120.000 Demonstranten und eine Woche später 320.000, fast dreimal so viele. Dabei waren die früheren Aufbruchsaktionen der Polen ein wegweisendes ­Beispiel. Im August 1989 wurde Tadeusz Mazowiecki der erste nicht-kommunistische Regierungschef in Mittelosteuropa nach 40 Jahren. Der oppositionelle Kreis »Demokratie Jetzt« (12. September) sowie das »Neue Forum« (19. September) ­erweiterten die demokratische Widerstandsbewegung.

werden getragen von dem Wunsch auszugrenzen und Mauern zu bauen. Wenn wir der Friedlichen ­Revolution gedenken, dann geht es nicht nur darum, die couragierten Menschen von damals zu feiern, sondern wir haben auch den Auftrag, ihr Erbe zu schützen, indem wir den Missbrauch ihrer Worte, die nach Frieden strebten, nicht dulden. In Leipzig war es Kurt Masur, einer der sogenannten Leipziger Sechs und damaliger Gewandhauskapellmeister, der zum Gewaltverzicht bei der Montagsdemonstration am 9. Oktober aufrief. Seine Worte waren: »Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen einen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung der freien sozialen Marktwirtschaft in unserem gesamten Land. Deshalb versprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und ­Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur in der Stadt Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir ­bitten Sie dringend um Besonnenheit, ­damit der friedliche Dialog möglich wird.« Später an dem Abend sah Masur Polizisten, die ihre Helme abgesetzt hatten und mit den »Konterrevo­ lutionären« diskutierten.1 Dieser friedliche Dialog ist auch heute entscheidend.

Wer können wir sein?

Dieser kleine Exkurs in die ­Geschichte der Fried­lichen Revolution soll verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass wir als Bürge­ r­innen und Bürger zusammen­ halten und aufstehen, wenn wir der Meinung sind, dass dies nötig ist. Es verdeutlicht auch, wie viel Macht wir doch haben und wie viel wir erreichen können, wenn wir stets friedlich, aber konsequent für unsere Rechte einstehen. Gerade in unserer momentanen globalen politischen Situation ist es wichtiger denn je, mit seinen Nachbarn kooperativ und vertrauens­ voll zusammenzuarbeiten, um für unsere Werte einzustehen. Unser heute geeintes Deutschland hat seine Einheit, seinen Status in der Welt und seine transnationalen Freundschaften insbesondere mutigen Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken, die 1989, ungeachtet aller Gefahren für ihr eigenes Wohl, für ein freies, demokratisches und geeintes Deutschland ­eingestanden sind und der ganzen Welt gezeigt haben: »Wir sind das Volk!«. Dieser so geschichtsträchtige Satz wird jüngst missbraucht, wenn AfD, Pegida und andere auf ihren Märschen »Wir sind das Volk« rufen. Vor 30 Jahren waren es mutige Menschen, die für Freiheit und ­Demokratie auf die Straße gingen. Die heutigen Rufe

Mit schneller und kritikloser Anpassung an westdeutsches Leben konnten und können wir nicht ­zusammenwachsen. Es gilt, die unterschiedlichen Biografien mit ihren Eigenerfahrungen zu respektieren und anzuerkennen. Identitätsveränderungen brauchen Zeit und innere Verarbeitung. Es ist vielmehr gefährlich für uns Menschen, unser Selbstver­ ständnis, unser über einen längeren Zeitraum ­gelebtes Leben plötzlich abwerfen und a­ uswechseln zu wollen. Das funktioniert nicht. Das führt zu ­Identitätsbrüchen. Notwendig ist die Verarbeitung, die Auseinandersetzung mit der Frage: »Wer bin ich, wer will ich sein, wer kann ich sein?« Wenn wir den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland gestalten wollen, müssen wir uns fragen »Wer sind wir, wer wollen wir sein, wer können wir sein?«


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Aus al l e r We l t

Diese Fragen müssen wir uns gemeinsam stellen und ­gemeinsam beantworten. Meine Erfahrung ist, dass die Bereitschaft sehr vieler wächst, in Umbruch- und Krisensituationen mitzuarbeiten. Dabei kommen wir nicht daran vorbei, die Menschen auch mit schwierigen Tatsachen und Wahrheiten zu konfrontieren. Aber wir können ihre Ängste, Tabus und Abwehr abbauen und sie an der Überwindung der Krise durch kraftvollen Einsatz beteiligen. Wir können sie erleben lassen, dass wir Menschen nicht ohnmächtig sind, sondern etwas zu bewirken vermögen, das uns selbst und den anderen hilft. Bei allen Schwächen, die auch die Demokratie in sich birgt, ist die Demokratie das System, das ein besseres Einzel- und Zusammenleben ermöglicht und alle daran beteiligt. Nach 30 Jahren Friedlicher Revolution sind wir mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Sie sind ­lokal, national und global. Die Gefahr ist groß, in frühere ­Fehler zurückzufallen: Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus. Ich bleibe leidenschaftlich davon überzeugt, dass Menschen die Chance haben, selbst zu wachsen: an positiver Energie, Mitmenschlichkeit, Wissen und Weisheit. Im Wissen um unsere Fehler und unser Versagen ist es umso bedeutungsvoller, was verändert und bewirkt wurde. 1 Frederik, Hanssen: »So avancierte Kurt ­Masur 1989 zum H ­ elden« (2018), unter: www.tagesspiegel.de/kultur/leipziger-dirigentso-avancierte-kurt-masur-1989-zum-helden/ 22812362.html (abgerufen am 06.08.2019).

KA R IN LOV E L IU S M E Z Z O S O PR A N G R ÜS S T AU S M A L M Ö

J E A N N E BAUD R IE R , N ATASA DU DAR & ­O L IV E R PR E IS S TÄ N Z E R / IN N E N IM L E IPZ IG E R BAL L ET T G R Ü S S E N AU S SA L Z B URG

Z UR PERS O N

Rita Süssmuth (*1937) war von 1985 bis 1988 Bundesministerin für ­Jugend, Familie und Gesundheit und von 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Bis heute ist sie eine der w ­ ichtigsten überparteilichen Stimmen im ­gesellschaftspolitischen Diskurs.

J O N AT H A N M ICH IE BA R ITO N G R ÜS S T AU S M IA M I


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Übergänge Fotografien von Felix Bielmeier, Isabell Hoffmann und Elisabeth Stiebritz Kooperation der Oper Leipzig mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Die Auswahl der Fotografien wurde von Prof. Joachim Brohm & Sophia Kesting, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, begleitet.


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Kunst ist

Dialog! Anlässlich der Proben zu Donizettis »­L’elisir d’amore« traf sich ­D REIKLANG mit ­R egisseur und Multitalent R ­ olando ­V illazón zu einem Gespräch über Perspektiv­wechsel, W ­ ork-Life-Balance und das ­p hilosophisch-künstlerische Leben I N TERVI EW: E LI SABE T H KÜ H N E


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»L’elisir d’amore« war 2012 in B ­ aden-Baden Ihre zweite Regiearbeit. Wie haben Sie reagiert, als Sie hörten, dass die Oper Leipzig diese Produktion auf den Spielplan setzen will? Ich liebe diese Produktion! Als die Oper Leipzig mich angerufen hat und mir sagte, dass sie meine »­L’elisir«Inszenierung wollen, war ich super glücklich! Herr Villazón, heute ist Ihr vierter Probentag an der Oper Leipzig. Wie gefällt es Ihnen hier? Ich bin sehr glücklich. Die Solisten sind super, der Chor ist fantastisch. Man merkt allen die große Spielfreude an und spürt eine gute Energie. Ich persönlich habe großen Respekt vor jedem von ihnen. Egal ob Orchestermusiker, Chorist oder Solist, egal ob in großen oder kleinen Rollen, berühmter Star oder noch am Anfang der Karriere – jeder von uns ist ein Künstler und am Ende geht es darum, gemeinsam Musik zu machen. Sie legen in Ihren Proben ein starkes Tempo vor … Als Regisseur bin ich anfangs sehr präsent, zeige ­alles, was gemacht werden muss, um das Konzept umzusetzen. In der nächsten Probenphase lasse ich das Erarbeitete auf mich wirken und gebe Kommentare. Dann geht es auf die Bühne und ich kann alles mit größerem Abstand betrachten, bis mit der General­probe meine Arbeit beendet ist. Und zur ­Premiere bin ich nur noch Zuschauer. Zurzeit proben Sie neun Stunden ­täglich. Gibt es in Ihrem Vokabular das Wort »Work-­ Life-Balance«? Früher wurde ich einmal gefragt, ob dies der wichtigste Tag in meiner Karriere als Sänger sei. Und an diesem Tag antwortete ich mit Ja. Und jetzt ist der wichtigste Moment in meiner Karriere, heute hier in Leipzig zu sein und »L’elisir d’amore« zu inszenieren. Dafür stehe ich um acht Uhr morgens auf und gehe um drei Uhr nachts ins Bett. Aber ich bin nicht Regisseur, ich inszeniere. Ich bin nicht Tenor, ich singe. Denn ich bin noch so viel mehr: Vater, Ehemann, Freund. Ich schreibe, ich moderiere. Ich flaniere – eine meiner Lieblingsaktivitäten ist es, spazieren zu ­gehen! Ich liebe es, mich zu verlieren, in einem Café zu sitzen, einem Straßenkünstler zuzuschauen, ­weiterzugehen, neue Ecken kennenzulernen. Ich höre Musik, am liebsten Mozart, und ich lese, eine der schönsten Sachen, die ich mache! Ich gebe in meiner Arbeit 100 Prozent, aber ich habe ein grundsätzliches Problem mit der Formulierung »Ich bin«.

Gibt es Änderungen für Leipzig? Das Konzept ist das gleiche, aber die Regie ist jetzt anders, denn ich habe andere Künstler und wir entwickeln die Inszenierung gemeinsam weiter. Ich bin sehr froh, dass wir die Zeit haben, »L’elisir d’amore« zu einer neuen Produktion zu machen. In Ihrer Inszenierung versetzen Sie die Oper in ein Western-Filmset. Wie kam es zu dieser Idee? Anfangs hatte ich drei oder vier Ideen. Dann bin ich das Stück mit jeder dieser Ideen Szene für Szene durchgegangen und bin immer an eine Stelle gekommen, an der es nicht passte. Schließlich kam ich darauf, das Stück als Western auf die Bühne zu bringen: Nemorino wäre eine Art Cantinflas, ein in Mexiko sehr berühmter Schauspieler und Komiker. ­Dulcamara ein Medizinmann und so weiter. Doch dann fragte ich mich, warum verlege ich die Handlung in den Wilden Westen und lasse sie nicht in einem ita­ lienischen Dorf spielen, wenn am Ende die gleiche Geschichte erzählt wird? Das wäre nur eine ästhe­ tische Änderung, weiter nichts. Und dann kam mir die Idee, die Oper in einem Filmset, also als Spiel im Spiel zu inszenieren und damit in ein Stück der Konfusionen noch weitere Konfusion zu bringen. Daraus ergab sich für mich ein inhaltlicher Grund, »L’elisir d’amore« in diesem Konzept umzusetzen, bei dem das Publikum viel zu entdecken hat. Die Entscheidung, alles in ein Filmset der 40er Jahre zu verlegen, bringt auch eine ganz andere Gestik mit sich, die wir nun zu finden haben – schließlich muss sich die gespielte Filmebene deutlich von der Wirklichkeit am Filmset abgrenzen.

Das ­Leben ist Kunst.


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Ich habe nie davon geträumt, ­einmal dieses oder jenes zu werden.

Was verbindet Sie persönlich mit dem Genre Western? Ich liebe Western, aber ich bin eigentlich kein besonders verrückter Film-Fan. Ich habe daher ganz gezielt Western angeschaut und viel darüber gelernt: »Butch Cassidy and the Sundance Kid« (deutscher ­Titel: »Zwei Banditen«), »Il buono, il brutto, il cattivo« (deutscher Titel »Zwei glorreiche Halunken«) oder »Die glorreichen Sieben«. Es gibt aber auch Zitate aus anderen Filmen, zum Beispiel »The Party« mit P ­ eter Sellers oder »King Kong«, wenn sich plötzlich King Kong aus einem anderen Filmset in unseren ­Western verirrt. Auch die Stummfilmzeit spielt eine Rolle: So gibt es eine kleine Anspielung auf Buster Keaton, wenn im zweiten Akt die Kulisse umfällt und Nemorino nichts passiert, weil er genau im Fenster steht. Und ich bin ein Fan von Laurel and Hardy, und natürlich von Charlie Chaplin. Ich kenne alle seine Kurzfilme und auch die späteren Filme, in denen er anfing zu sprechen. Die Zuschauer werden sicher einiges wiedererkennen, aber man muss nicht Filmwissenschaften studiert haben, um über die Gags zu lachen. Wie kam es überhaupt zur Entscheidung, selbst zu inszenieren? Wegen Richard Jones. Wegen ihm bin ich Regisseur geworden. Er hat in Bregenz »La Bohème« inszeniert und ich habe gesungen. Er ist ein guter Freund und hat mir damals gesagt, ich müsse inszenieren. Er hat sogar versucht, mir ein Stück in einem kleinen ­Theater in England zu vermitteln, aber ich wollte nicht. Doch mit den Jahren dachte ich, es wäre schön, selbst Regie zu führen. Und dann hatte ich eine Idee für »Werther«, die ich in Lyon realisieren konnte. ­Damit war das für mich erledigt, ich habe es einmal ­gemacht – fertig. Alles Weitere kam dann auf mich zu. So wie beim Singen und beim Schreiben – ich habe ein Buch geschrieben, weil ich Lust dazu hatte. Glücklicherweise hatte es Erfolg und wurde ü ­ bersetzt. Inzwischen habe ich zwei weitere Bücher geschrieben. Aber ich würde auch schreiben, wenn es niemand ­lesen würde. Und so ist es auch mit dem Inszenieren: Ich würde mir heute wahrscheinlich eine kleine Kompanie suchen, um Regie zu führen, wenn keine Anfragen kämen. Aber glücklicherweise werde ich weiterhin als Regisseur gefragt.

Wie haben Sie den Perspektivwechsel vom ­Sänger zum Regisseur erlebt? In Baden-Baden hatte ich beide Rollen inne: Ich habe Regie geführt und stand als Nemorino auf der Bühne. Und ich habe daraus gelernt, das nie ­wieder zu ­machen! Ich habe fast nie selbst geprobt, wir ­hatten ein Cover da. Trotzdem musste ich immer daran denken, meine Stimme zu schonen. Als Regisseur muss man aber neun oder zehn Stunden sprechen und kommunizieren, intensiv, voller Energie. I­ nsofern freut es mich unglaublich, diese Produktion in L ­ eipzig nur als Regisseur zu machen. Doch mit meiner ­Erfahrung als Sänger kann ich mich natürlich in die Sänger hineinversetzen: Was würde ich an ihrer Stelle machen oder nicht machen und inwieweit könnte ich gepusht werden? Sie haben Nemorino nicht nur in Baden-­Baden, sondern schon an vielen großen Häusern ­gesungen. Fällt es Ihnen schwer sich davon zu lösen und die Kollegen die Rolle finden zu lassen? Im Gegenteil! Ich gebe Ideen, aber sage dem Kollegen, dass er es so machen soll, wie er will. Er wird von mir nur inspiriert seinen eigenen Nemorino zu ­finden. Diesem Nemorino muss ich folgen. Wenn ich ­ ver­suche, ihm die verschiedenen Nemorinos, die ich ­ gesungen habe, beizubringen, ist das erstens falsch und zweitens sehr narzisstisch. Ich habe als R ­ egisseur eine Idee vom Konzept und gewisse Archetypen im Kopf, ohne die Künstler vorher zu kennen. Doch erst gemeinsam kann man die Rollen entwickeln – im Dialog. Was ist Nemorino für ein Charakter? Mir ist sehr wichtig, dass Nemorino kein Idiot ist. Adina würde sich nicht in ihn verlieben, wenn er das wäre. Aber er ist naiv, er ist unschuldig und gut­ gläubig – und er hat etwas unheimlich Ehrliches an sich. Ich folge da mehr der Musik als dem Text. Eigentlich ist Nemorino eine Art Pierrot. Gerade erst habe ich »Pelléas et Mélisande« gesungen und er hat auch etwas von dieser Sehnsucht nach Licht. Es gibt so viele Mondrollen und Nemorino ist eine von ihnen – sehr poetisch, mit vielen lyrischen Linien, und das nicht nur in »Una furtiva lagrima« oder »Adina credimi«. Dazu kommt ein bisschen Don ­Quijote, doch Nemorino ist nicht so arrogant. Und er ist ein perfekter Clown – wie Charlie Chaplin.

Ich würde auch ­schreiben, wenn es ­niemand ­lesen würde.


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Oftmals ist es ja nur ein kleiner Schritt von der Komik zur Tragik … In »L’elisir d’amore« gibt es einen fließenden Übergang zwischen Komik und melancholischen und traumhaften Momenten. Diesen Übergang muss man finden. Natürlich könnte man in dieser lyrischen ­Musik auch weiter Komödie spielen, aber ich liebe es, wenn es plötzlich ganz ernst wird, wenn sich der Clown am Ende eine Träne abwischt. Und solche Momente hat dieses Stück. Melancholie und Spaß – diese beiden Begriffe verbinden auch mich mit dem Stück und mit der Figur Nemorinos. Fließende Übergänge gibt es auch in Ihrem Berufs­leben: Sie sind nicht nur als Sänger und Regisseur, sondern auch als Autor, Moderator und sogar als Karikaturist tätig. Gibt es ein Projekt, das Sie in Ihrem Leben unbedingt noch einmal angehen möchten? Ich habe nie davon geträumt, einmal dieses oder jenes zu werden. Die Sachen sind passiert, aber ich war das schon immer. Plötzlich gab es Erfolg und Möglich­keiten, Projekte umzusetzen. Ich habe schon als Zwölfjähriger kleine Stücke inszeniert und immer gesungen. Und ich habe ganz schlechte Sonette geschrieben – sie waren furchtbar, aber die Metrik war perfekt. Ich habe schon in der Schule moderiert. Egal, was ich mache – es war schon immer in meinem Leben.

Das ­Leben ist eine ­Skulptur, die wir ­formen können.


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DR E IKL ANG #03

Ich habe schon ganz früh gemerkt, dass ich durch die Kunst eine Brücke zur Welt baue. D o n i z e tti g o e s We s t

Können Sie sich ein Leben ohne Kunst vorstellen? Nein! Ich bin ein Künstler – das bin ich wirklich! Das Leben ist Kunst. Und ich glaube, man muss v ­ ersuchen, ein künstlerisches und philosophisches Leben zu führen. Das ist aber viel mehr als das, was wir als Beruf machen. Das Leben ist eine Skulptur, die wir formen können. Wir müssen uns die großen Fragen stellen und versuchen, Antworten zu finden, die sich im Laufe des Lebens natürlich entwickeln und verändern: Gibt es einen Gott, gibt es keinen Gott? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Warum mache ich Kunst? Ist Oper wichtig oder nicht? Über diese Fragen nachzudenken, heißt für mich, ein philosophisches ­Leben zu führen. Natürlich haben die großen Denker jede dieser Fragen schon beantwortet – auf unterschiedlichste Art und Weise. Ich kann ihre Werke alle lesen und dann meine eigene Antwort suchen. Das ist das Wichtigste, besonders heute! Wir leben in einer Welt, die uns dazu verführt, weniger zu denken und die einfachen Antworten zu geben, Meinungen ohne Grund zu vertreten: »Mexikaner sind schlechte Leute. Immigranten nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg.« Das kann kein philosophisches und künstle­ risches Leben sein! In diesem Sinne werde ich ­ immer ein künstlerischer Philosoph sein. Aus welchem Antrieb heraus machen Sie Kunst? Wenn ich nichts mache, liebe ich es, allein zu sein und mich in meine eigene Welt zurückzuziehen. Vielleicht gibt es einen kleinen Misanthropen in mir, einen »Steppenwolf«. Als ich das Buch von Hermann Hesse gelesen habe, wollte ich wie Harry Haller sein. Ich habe es schon oft gelesen und nun wird es mein erstes Buch sein, das ich auf Deutsch lese, denn sonst lese ich auf Italienisch, Französisch, Englisch und Spanisch. Und ich freue mich jetzt schon auf den letzten Satz: »Mozart wartete auf mich«. Aber zurück zur Frage: Ich glaube, Kunst hilft mir, mit den Menschen in Kontakt zu treten. Von Natur aus bin ich eher scheu, auch wenn man mir das nicht anmerkt. Aber schicke mich auf eine Party, auf der ich niemanden kenne, und es wird mir schwerfallen, leichte Konversation zu betreiben. Doch ich habe schon ganz früh gemerkt, dass ich durch die Kunst – das Schreiben, Singen, Darstellen – eine Brücke zur Welt baue. Kunst ist Dialog!

Der Liebestrank L’elisir d’amore Gaetano Donizetti L E IT UN G

Musikalische Leitung Giedre˙ Šlekyte˙ / Felix Bender Inszenierung Rolando Villazón Bühne Johannes Leiacker Kostüme Thibault Vancraenenbroeck Licht Davy Cunningham Choreinstudierung Alexander Stessin Dramaturgie Elisabeth Kühne B ES E TZ UN G

Adina Bianca Tognocchi Gianetta Christiane Döcker / Sandra Maxheimer Nemorino Piotr Buszewski / Matthias Stier Belcore Jonathan Michie / Franz Xaver Schlecht Dulcamara Sejong Chang Chor der Oper ­Leipzig, Komparserie, Gewandhausorchester PR E M IE R E

14. Sep. 2019, Opernhaus AUF F Ü H R U N G E N

ZU R PE RS O N

Rolando Villazón ist als einer der führenden Tenöre der Gegenwart ­regelmäßiger Gast an den Staatsopern in Berlin, München und Wien, der Mailänder Scala, dem Royal Opera House Covent Garden, der ­Metropolitan Opera New York sowie bei den Salzburger Festspielen. 2011 debütierte er als Regisseur in Lyon. Seitdem inszenierte u. a. für das Festspielhaus Baden-Baden, die Deutsche Oper Berlin, die Wiener Volksoper und die Semperoper Dresden. Neben seiner Gesangsund Regie­karriere machte sich Villazón auch als Schriftsteller und t­ v-­Persönlichkeit einen Namen.

22. Sep. / 03. Okt. / 01. Nov. 2019 / 04. Jan. / 13. März. / 25. Apr. 2020 alle Vorstellungen mit ­Einführung 45 Min. vor Vorstellungsbeginn W E R K S TAT T

03. Sep. 2019, 18:00 KA N T IN E N G ES PR ÄCH

03. Okt. 2019, im Anschluss an die Vorstellung


ZUGABE

A n g e r i c h te t

Liebestrank zur Premiere von Donizettis »L’elisir d’amore« empfohlen von Bianca Tognocchi ZU TAT E N F Ü R D E N D RI N K

60 ml Granatapfelsaft 60 ml Citrus-Wodka (auch Orange oder Mandarine) 30 ml Cointreau (oder anderer O ­ rangenlikör wie Triple Sec) Saft einer halben Zitrone Ein kleiner Spritzer ­Orangenblütenwasser (optional)

FÜ R E I N MART I N I- G L AS

Alle Zutaten außer den Granatapfelkernen, dem Zucker und den Blütenblättern in einen Cocktailshaker geben. Den Shaker bedecken und einige Sekunden lang kräftig schütteln, bis alles gut gekühlt ist. Den Rand eines Martini-Glases mit Zitronensaft benetzen und mit dem Zucker garnieren. Granatapfelkerne auf den Boden des ­Glases streuen. Den Cocktail ins Martini-Glas gießen und mit den Blütenblättern dekorieren. Der Liebestrank kann nun serviert werden. Kurz abwarten, bis er seine Wirkung entfaltet. Der magische Effekt ist garantiert!

6 – 8 Eiswürfel 1 el Granatapfel-Kerne

FÜR DIE D E KORAT I ON

Rote Rosenblütenblätter Brauner Zucker

DI E MI X ERI N

Die Sopranistin Bianca T ­ ognocchi studierte am Giuseppe Verdi Konservatorium in Mailand. Ihr Repertoire umfasst u. a. M ­ usetta (»La B ­ ohème«), Olympia (»Les ­Contes d ­ ’Hoffmann«) und Susanna (»Le nozze di ­Figaro«). Sie hatte Gastauftritte u. a. am ­Teatro ­Donizetti ­Bergamo, Teatro Regio ­Turin, ­Ravenna Festival, Opéra de ­Chambre de Genève, Tiroler ­Festspiele in Erl, Opéra national de ­Lorraine in Nancy sowie in Pavia, Jesi, ­Cremona, Brescia und Como. Ab 2018 /19 Ensemble­mitglied der Oper Leipzig. Hier u. a. Adina in »Der Liebes­trank«, Gilda in »Rigoletto«, Titel­partie in »­Lucia di Lammermoor«, Frasquita in »­Carmen« und Esmeralda in »Die ­verkaufte Braut«. DI E PREMI ER E

»Der Liebestrank« ab dem 14. ­Sep. 2019 im Opernhaus

S c h o n g e w us s t?

Der Saft des ­Granat­apfels gilt in ­Südamerika als Aphrodisiakum.

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Z U GABE

Ein Blick in die Werkstätten: Diesmal verfolgen wir im Malsaal, wie der große Himmels­p rospekt zu Rolando Villazóns »Liebestrank«-Inszenierung entsteht.


33 Noch bevor der erste Farbspritzer auf die Leinwand gebracht wird, studieren die Theatermaler Andreas Katzy und Uwe Arndt genau die Vorlagen von Bühnenbildner Johannes Leiacker: Eine zeigt die Form des Himmelsprospekts an, eine andere bildet die genauen Farbtöne ab.

Damit der Prospekt beim Malen keine Falten schlägt und nicht verrutschen kann, wird der Shirting, ein gebleichter Nesselstoff, der dann bemalt werden soll, mit Tackern auf einem Unterstoff fixiert. Dann wird der Stoff mit Latexwasser behandelt, um ein Auslaufen der Farben zu verhindern, und zur ­Belebung der Fläche mit Weißkorn bespritzt.

Im Stehen zu Malen ist Gewöhnungssache!

Um sich auf der 19,20 m 9 m großen Fläche zu o ­ rientieren, wird ein Fadenkreuz auf­ gespannt, das Quadrate von 1 m 1 m kennzeichnet. Auch die Vorlage ist mit diesem Kreuz versehen – und dann wird übertragen. Kästchen für Kästchen entsteht mit Zeichenkohle die Vorzeichnung.

Andreas Katzy


34 Gemalt wird mit s­ peziellen Theater­malfarben, die sich gut verdünnen lassen und sehr haltbar sind. Um die richtige ­Farbigkeit zu treffen, werden an der Seite Farbproben auf­ge­bracht.

Für den Himmelsprospekt kommt die Abdecktechnik zum Einsatz: Zuerst wird der hellste Ton der Wolken, der gleich­zeitig der Stoffton ist, mit Säge­spänen abgedeckt. Dann erfolgt die erste Spritzung mit einem leicht gelblichen Farbton, der über die gesamte Fläche ­gespritzt wird. Im Anschluss ­daran werden die Wolken­ flächen dieses Tons abgedeckt und mit der n ­ ächstdunkleren Farbe überspritzt – bis der ­dunkelste Farbton erreicht ist.

Die Farbe mischt das Auge!

Gerade für den Himmel bietet sich die Spritz­ technik besonders an, weil sie sehr atmo­ sphärische Bilder schafft.


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Uwe Arndt

Zum Abschluss w ­ erden die Sägespäne abgekehrt und mit einem Staubsauger abgesaugt. Dann erfolgen letzte Fein­ korrekturen der Wolken mit Pinsel und Spritz­pistole.

Gespritzt wird mit einer Kübel­spritze, mit der man größere Flächen gut ­b ear­b eiten kann. ­Insgesamt werden ca. 15 Farb­schichten gesprüht, bis die ­dunkelste Farb­ tiefe ­erreicht ist.

Als Theatermaler liebe ich die Vielfalt. Vor allem braucht man Leidenschaft!


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Leben ist Veränderung Ob privat oder im Berufsleben, mental oder körperlich – jeder Mensch ­erlebt im Laufe seines Lebens immer wieder Phasen des Wandels und der ­Erneuerung. Oftmals wohnt gerade diesen prozesshaften, transformativen Zwischen­stadien des Nichtmehr und Nochnicht sogar ein besonderer Reiz inne, der Raum für Kreativität schafft. Für dreiklang berichten die Menschen an der Oper Leipzig von ihren ganz persönlichen Erfahrungen des Übergangs.

Fließend zu neuen Rollen

Gelebte ­Erfahrung statt Rentenschock

KATHR I N GÖ RI N G MEZ ZOS O PR AN

In der Entwicklung der Singstimme ist ein Fachwechsel einer der größten Übergänge im Berufsleben einer Sängerin. Ich persönlich möchte bei mir aber ungern von Fachwechsel sprechen, ­sondern eher von einer Erweiterung meines ­Faches. Ein Fachwechsel würde ­bedeuten, alle meine Partien ad acta zu legen. Das möchte ich nicht! Ich bin ein hoher Mezzosopran! Ich versuche einen fließenden Übergang zu neuen Rollen zu finden. Gerne singe ich in der Tiefe wie bei ­Maddalena in »­Rigoletto«, aber auch gern in der Höhe wie bei der Marschallin im »Rosen­ kavalier«. Das hält die Stimme flexibel. Schwierig wird es nur, wenn die Extrem­ lagen täglich wechseln. Die Stimme muss sich ein wenig einstellen dürfen. Viele Partien wie »Arabella« von Richard Strauss liegen für Soprane nicht in Extrem­­lagen, im Gegenteil, sie verlangen sehr viel Mittellage und brechen nur ab und an in die Höhen aus. Das ist eine wunderbare Lage für einen flexiblen hohen Mezzosopran, wie ich ihn habe. Und es gibt noch genug wundervolle Rollen für

D R . H E ID I Z IPPE L T H E AT E R A R CH IVA R IN

hohen Mezzo­sopran, die ich hoffe singen zu dürfen. Eine Ortrud im »Lohengrin« beispielsweise lässt sich sehr viel schwieriger singen als eine Marschallin im »Rosen­kavalier«, denn die Partie der O ­ rtrud verlangt spontane, kraftvolle stimmliche Ausbrüche aus der Tiefe in hohe Lagen. Das Orchester bei Wagner ist viel massiver instrumentiert. In den Strauss-Szenen der Marschallin wird es hingegen kammermusikalisch. Wichtig ist, glaube ich, dass man seiner Stimme, seinem Stimmklang treu bleibt. Letztlich geht es um Farben, die eine Rolle interessant machen und ausfüllen.

Fast alles im Leben ist klar geregelt – meistens durch ein Datum. Punktum. Manchmal wird es ein Anfang, oft auch ein Ende. Ich hatte schon lange vor der Zeit Panik, wenn die Rede auf den gesetzlich so klar verord­neten Renteneintritt kam. Dabei kannte ich durchaus viele nette Zeitge­nos­ sen, die schon als Mittvierziger die Anzahl der verbleibenden Monate benennen konnten und endlose Rechnungen um ­ An­passung und Endsumme anstellten. Natürlich, kaum ein anderer Einschnitt in die Biografie verändert das Leben so ­nachhaltig und tiefgreifend wie das Ende


Zwischen den Orten ST E FA N K L IN G E L E MU SI K D IR E K TO R U N D CH E F D IR IG E N T D E R M U S IKA L IS CH E N KO M Ö D IE

der Berufslaufbahn. Für viele ist der erste Rententag ein Feiertag und dann soll ­alles besser werden. Was aber geschieht mit den Menschen, die eigentlich weder müde noch innerlich bereit dafür sind? Längst ist der Rentenschock mit v ­ ielfältigen psychischen und körperlichen Erkrankun­gen nicht nur Thema der Kranken­kassen, son­dern unzähliger Bücher und Abhandlungen. Ich habe mich lange in Verdrängung geübt, bloß nicht daran denken, wird schon irgendwie – später. Dass mich dann ein Schicksalsschlag vor der Zeit ausgebremst hat, gehört zu den Unwägbarkeiten des Lebens. Und glücklicherweise brauchte die Überwindung der Krankheit erst einmal so viel Energie, dass alles andere in den Hintergrund trat. Denn das fand ich dann wirklich schlimm, schlimmer noch als das staatlich verordnete Datum des Renteneintritts: nicht nur nicht selbst bestimmen zu können, wann und wie der Übergang in den Lebensabschnitt »Ruhe­stand« erfolgt, sondern einfach so und noch vor der Zeit aus der Bahn gekippt zu werden. Dann wird in wenigen Stunden die angedrohte Rentensumme zur Realität, der Tagesablauf auf den Kopf gestellt, der Lebensinhalt überschaubar. Ich wollte weder zum immer verfügbaren Enkelschreck noch zum Dauer-vhs-Besucher werden. Am Ende fügte sich für mich ­alles glücklich, denn mit einer Übergangszeit war plötzlich die Möglichkeit offen, Dinge zu Ende zu bringen, Erfahrungen weiterzugeben, Wissen zu hinterlegen, ein Stück weit sich innerlich vorbereiten zu können. Und so ein »Hinein­wachsen« in das längst nicht mehr nur als Heil ­gepriesene Rentnerleben gibt dem Betroffenen ein Gefühl von Würde und Selbstbestimmung wieder – etwas Besseres konnte mir jedenfalls nicht passieren.

Ich erlebe das Pendeln zwischen Leipzig und München lediglich als räumlichen Übergang. An beiden Orten bin ich sowohl mit privaten als auch dienstlichen Belangen beschäftigt. Das Zugfahren selbst ist aktiv zum Arbeiten oder ­Nachdenken ­genutzte Zeit. Der Übergang von einem zum anderen Ort ist fließend und ich empfinde keine Lebensteilung. Viele Men­schen fahren täglich zur Arbeit und ­wieder zurück, sind auch im selben Ort viele Stunden der Familie fern. Bei mir ist der räumliche Abstand eben etwas größer. Und wenn auf dem Weg Richtung S­ üden ein Anruf aus Leipzig kommt, dann kehre ich eben auf halber Strecke wieder um. Wichtig ist mir, stets präsent und erreichbar zu sein. Das gilt sowohl für die Musika­lische Komödie als auch für meine Familie. Unser Erstwohnsitz ist zwar München, meine Familie genießt aber Leipzig ebenso als Heimat – zum Beispiel bei regelmäßigen Besuchen im Zoo.

Vom Sopran zum Bass SV E N W IECK H O RS T BAS S IM J UG E N D CH O R D E R O PER L EI PZ I G

Im Chorlager des Kinderchores ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass sich meine Stimme verändert. Ich sang damals noch im Sopran und plötzlich konnte ich hohe Töne nicht mehr so gut erreichen. Zuerst dachte ich, es läge nur an einer Erkältung, doch meine Stimme wurde immer ­tiefer und dann war klar, dass der Stimmbruch eingesetzt hatte. Am Anfang habe ich noch weiter im ­Sopran mitgesungen. Als das dann irgendwann nicht mehr ging, bin ich für einige Monate aus dem Kinder­ chor ausgetreten, konnte in der nächsten Spielzeit aber direkt im Jugendchor bei den Männerstimmen wieder mitsingen. Auch dank dieses schnellen Übergangs, hat mich der Stimmbruch kaum beeinträchtigt oder gestört. Es gab auch nie Momente, in denen mir meine Stimme fremd vorkam, dennoch muss man die Singstimme wieder neu finden und sich eingewöhnen. Mittlerweile singe ich im Bass und merke aktuell, wie sich meine Stimme wieder weiter entfaltet, dass ich nicht nur tiefer singen, sondern auch ­wieder höhere Töne treffen kann als noch vor einiger Zeit.


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O sink ­hernieder, Nacht der Liebe Über Eros und Thanatos in Wagners Oper »­Tristan und Isolde« und Tschaikowskis Ballett »Dornröschen« TEXT: N E LE WI N T E R


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Es ist eine aussichtslose Lage: Die Liebe von Tristan und Isolde kann der harten Realität nicht stand­halten. Zu tief ist der Graben aus Regeln, Pflichten und Schuldgefühlen, der die beiden trennt. Sie ist seinem Onkel versprochen. Er hat ihren Verlobten getötet … Was also tun? Aus der grellen Tagwelt tauchen die vom Schicksal Verbundenen im zweiten Aufzug ein in die geheimnisvolle Düsternis. Verheißungsvoll säuselt die Nacht den Liebenden ins Ohr: »Alles ist möglich …« Denn hier, jenseits der Welt des Tages, schließen sich unendliche Weiten auf. Erst die Dunkelheit der Nacht macht das Licht der Himmelskörper sichtbar und zeigt, wie unvorstellbar groß das Univer­ sum ist. Menschengemachte Regeln und Gesetze erscheinen angesichts dieser ­Unendlichkeit klein und lächerlich. Wie berauscht gibt sich das Paar der Traumwelt hin und kreiert ein eigenes Universum jenseits der höfischen Wirklichkeit.

»Tristan und Isolde sind dem lauten ­Tag entronnen, ­handeln nicht. Es ist unser eigenes tief­inneres Träumen, dort zu ­finden, wo die Worte und die Schritte nicht mehr eilen. Wir sind es, die mitgehen, wir ­trüben uns ­chromatisch, wir b ­ ewegen uns in Sehn­sucht und ­schwimmen dem Traum entgegen, der in der vorrückenden Nacht sich bildet.« ERN S T BLO CH

Nicht nur die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen, sondern auch zwischen Ich und Du, zwischen Frau und Mann. Ihre Liebe zelebrieren ­Tristan und Isolde als Einswerdung, als vollständiges Auflösen im Gegenüber. Das trifft

nicht nur auf der inhaltlichen Ebene zu, sondern auch auf der formalen. Wagner beschreibt in seiner »Mittheilung an meine Freunde« die Musik als das weib­ liche Element der Oper und den Text als das männliche, die ineinander aufgehen sollen. Metaphorisch steht die Vereinigung der Geschlechter für die Verschmelzung von Geist und Körper, Verstand und Sinnlichkeit.

der Unendlichkeit, der Freiheit und Fantasie verehrt, aber auch als Pforte zum Reich des Todes. Lebenstrieb und Todestrieb, Eros und Thanatos gehen fließend ineinander über. Die Sehnsucht nach Entgrenzung hört nicht auf beim V ­ erlangen nach Verschmelzung mit dem oder der Geliebten. Das Individuum strebt nach Verbindung mit Mutter Erde, ja mit dem ganzen Universum.

Du Isolde, ­Tristan ich, nicht mehr Tristan, nicht Isolde.

»Abwärts wend ich mich zu der ­heiligen, unaussprech­lichen, geheimnis­vollen Nacht. Fernab liegt die Welt – in eine tiefe Gruft versenkt – wüst und einsam ist ihre Stelle. In den ­Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich ­hinunter­sinken und mit der Asche mich vermischen.«

I SOLDE , » T R IS TA N UN D IS O L D E « , 2 .  AU F Z UG

So verschwimmt in der Nachtwelt nicht nur die Trennung der Individuen, auch die Regeln des Verstandes und die Naturgesetze sind ausgehebelt. Sogar die Zeit scheint stillzustehen. Obwohl Wagner das Werk als einzige seiner Opern mit »Handlung in drei Aufzügen« untertitelte, schreitet das Geschehen, vor allem im zweiten Aufzug, kaum voran. Vermut­lich wollte der Komponist das Stück durch die Bezeichnung »Handlung« von seinen »Musikdramen« abheben und betonen, dass sein Wert eben nicht im dramatischen Gehalt liegt. Die Handlung geschieht im Inneren. Musik und Text sind Seelengemälde psychischer Vorgänge, die unter der Oberfläche ablaufen. Daher muten die Worte, gerade die des zweiten Aufzuges, lyrisch an und kommen im Gewand eines langen düsteren Gedichtes daher. Tatsächlich schöpfte Wagner Inspiration aus einem Gedichtzyklus. Beinahe wörtlich griff er Verse aus den »Hymnen an die Nacht« auf, dem bekanntesten Werk von Friedrich von Hardenberg alias N ­ ovalis. Als einer der wichtigsten Vertreter der literarischen Frühromantik schuf dieser 1800 seinen Gedichtzyklus, welcher die Quintessenz der sogenannten Schwarzen Romantik darstellt. Der Tag wird als Welt der kalten Rationalität, die vom ­Typus des spießigen Philisters regiert wird, abge­ lehnt. Die Nacht hingegen wird als Hort

N OVA L IS, » H Y M N E N A N D IE N ACHT«

Von Anfang an schweben Tod und Todessehnsucht über der unmöglichen Liebe der »star-crossed lovers« Tristan und Isolde. Aus der Vorgeschichte erfahren wir, dass er ihren Verlobten Morold getötet hatte, bevor sie ihn, tödlich verwundet vom Kampf, gesundpflegte. Obwohl sie den Mörder des Geliebten in ihm erkannte, brachte sie es nicht übers Herz, den Mord zu rächen, Tristan zu töten. Sie war bereits in unerklärlicher Liebe zu dem entbrannt, den sie doch eigentlich hassen müsste. Eines Liebestranks bedarf es eigentlich nicht mehr. Im Glauben, ein tödliches Gift zu trinken, werfen die beiden im Todesrausch den Schleier der Zurückhaltung und des Stolzes von sich. Die irrationale Liebe keimt auf und bahnt sich ihren Weg ans Tageslicht. Doch es handelt sich um ein zartes Nachtschattengewächs, das nur im Reich der Dunkelheit und des Todes gedeihen kann.


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Erst die Dunkel­heit der Nacht macht das Licht der Himmels­ körper sichtbar und zeigt, wie unvorstellbar groß das ­Universum ist. Im Dickicht der Träume Für Novalis stand die Dichtung der »Hymnen« mit dem Tod seiner ­Verlobten in Verbindung. Nur in der n ­ ächtlichen Traumwelt, im Rausch oder an der Schwelle zum Tod glaubte er sich ihr ­wieder nahe. Mit dieser düsteren Form der Weltflucht traf er den Nerv der Zeit. Die Frühromantik kritisierte wie der Sturm und Drang die vernunftbetonte, auf Fortschritt ausgerichtete Aufklärung. Die Romantiker reagierten auf die kalte Rationalität mit dem Streben nach Entgrenzung sowie der Sehnsucht nach dem Zauber vergangener Zeiten und Fantasiewelten. So weckte auch eine Gattung, die zuvor höchstens als Trivialliteratur betrachtet wurde, das Interesse der Früh­romantiker: das Märchen. In den scheinbar harmlosen Kindergeschichten geht es oft düster zu: Böse Hexen, herzlose Eltern und blutrünstige Wölfe bieten ausreichend Stoff für Albträume. Das Märchen »Dornröschen« bildet dabei keine Ausnahme. Der hundertjährige Schlaf wirkt wie ein vorübergehender Tod, die Dornenhecke reißt zahlreiche Verehrer aus dem Leben. Doch das Märchen hat noch eine weitere, wenn auch

unbekanntere, finstere Dimension. Den meisten Deutschen ist die Geschichte in der Fassung der Brüder Grimm bekannt. Dornröschen wird wachgeküsst, heiratet ihren Prinzen und alle sind glücklich. Viel früher tauchte der Stoff jedoch in Frankreich auf. Erste Quellen stammen aus dem 14. Jahrhundert. Bekannt wurde die Geschichte 1696 in der Fassung von Charles Perrault. Bei ihm heißt das Märchen bezeichnenderweise »La Belle au bois dormant« (Die schlafende Schöne im Wald). Der Titel »Dornröschen« wurde erst von den Brüdern Grimm erfunden. Der Schlaf wird hier also schon durch den Titel in den Fokus gerückt. Tatsächlich kommt dem hundertjährigen Schlaf und dem Wachgeküsstwerden eine tiefere psychologische Bedeutung zu. Sie stehen ­metaphorisch für einen Prozess des Erwachsenwerdens. Das Mädchen Dornröschen schläft ein, stirbt sozusagen einen kleinen Tod und erwacht als e­ rwachsene Frau. Gleichzeitig erwacht auch ihr ­sexuelles Verlangen, was sich in der Verbindung mit dem Prinzen manifestiert. Bei Perrault folgt auf das vermeintliche

S c h o n g e w us s t?

Das Autograph von »Tristan und Isolde« war nach dem 2. Weltkrieg verschollen und tauchte zehn Jahre ­später in Barcelona auf. Erst 1973 fand es unter abenteuerlichen ­Umständen den Weg ­zurück nach Bayreuth.


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Schon ge wu sst ?

Manche Forscher sehen Dornröschen als eine ­entmythisierte Version der Brünhild aus der ­nordischen ­Mythologie. Auch sie wird in einen langen Schlaf versetzt, ihre Burg von einem Feuer­kranz umgeben. Siegfried erweckt die Schlafende, in Wagners »Ring« ­sogar mit einem Kuss.

Happy End übrigens noch eine Fortsetzung. Dornröschens Schwiegermutter entpuppt sich als Menschenfresserin, der es nach der jungen Königin und ihren Kindern gelüstet. Das neue Beziehungsund Machtgefüge wird erschüttert. ­Während bei »Tristan und Isolde« ein älterer mächtiger Mann, Tristans Onkel Marke, zwischen den Liebenden steht, so ist es hier eine ältere mächtige Frau, die ebenfalls in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Paar steht. Das Bild, das hier wie auch in anderen Märchen – man denke nur an die Stiefmutter in »Schneewittchen« – von älteren Frauen in machtvollen Positionen gezeichnet wird, kann man durchaus kritisch betrachten. Die kannibalistische Königin kann aber auch als Allegorie, als Personifikation des ­Destruktiven, sprich als Tod gelesen werden. Als Konkurrentin um die Liebe ihres Sohnes bedroht sie zudem die Liebes­ beziehung und somit das gerade erst ­erwachte erotische Selbstverständnis der jungen Frau. Die psychologische Ebene des Märchens kommt auch in Tschaikowskis ­bekannter Ballett­musik zum Tragen. Der Kompo­ nist orientierte sich 1890 für sein »Dorn­ röschen« grob an der Fassung von P ­ errault. Obwohl er im Libretto inhaltlich in ­vielen Aspekten von Perraults Version ab­weicht, transportiert er doch das D ­ üstere aus dessen schauriger Märchenwelt in seine Musik hinein. Tschaikowski selbst hielt »Dornröschen« für sein bestes Ballett. Der junge belgische Choreograf Jeroen Verbruggen, der sich dem Stück gemein­sam mit dem Leipziger Ballett im Herbst nähert, findet gerade dieses

Die Nacht wird als Hort der ­Unendlichkeit, der Freiheit und Fantasie verehrt, aber auch als Pforte zum Reich des Todes.

abgründige psychologische Moment in Tschaikowskis Musik spannend. Er rückt den hundertjährigen Schlaf ins Zen­trum des Geschehens oder vielmehr des Nicht-­ Geschehens. Denn das, was sich in seiner Inszenierung entfaltet, sind die Weiten der Traumwelt der jungen Prinzessin. Wir tauchen hinab in die ­Psyche eines ­jungen Mädchens, das an der Schwelle zum ­Erwachsenwerden steht. Dabei entdeckt es die bedrohlichen, aber auch die schönen Seiten von Liebe und Sexualität und ficht den Konflikt mit der von Eifersucht und Missgunst getriebenen Mutter aus. Emotionale Erlebnisse aus der Realität werden auf einer unterbewussten Ebene verarbeitet. In Dornröschens Traum ­tauchen dabei nicht nur ihre Familie, der Hofstaat und der Prinz auf, sondern auch Märchenfiguren. So begegnet sie zum Beispiel einem Rudel Wölfen, die gleichzeitig für die aggressive Seite der Männlichkeit stehen, was Dornröschen verunsichert, aber auch fasziniert. Bei all dem bleibt oft unklar, ob wir noch den Traum des Mädchens verfolgen oder uns in einer fantastischen Realität befinden. Die Grenzen zwischen Tag und Nacht, zwischen Wirklichkeit und Traum verschwimmen in dieser Interpretation von »Dornröschen«, weshalb Verbruggen dem Stück den Untertitel »Once Upon a Dream« hinzufügt. Mit »Tristan und Isolde« und »Dornröschen« begeben wir uns also auf regelrechte Nachtwanderungen, bei denen es schaurig und geheimnisvoll zugeht, die aber auch zum Träumen und Schwelgen einladen. Trauen Sie sich, mit uns ins Dunkel einzutauchen?


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Tod oder Lie b e ?

Tristan und Isolde Richard Wagner LEI TU N G

Musikalische Leitung Ulf Schirmer Inszenierung Enrico Lübbe Co-Regie Torsten Buß Bühne Étienne Pluss Kostüm Linda Redlin Video fettFilm Licht Olaf Freese Choreinstudierung Thomas Eitler-de Lint Dramaturgie Nele Winter BES ETZU N G

Isolde Meagan Miller Brangäne Barbara Kozelj Tristan Daniel Kirch König Marke Sebastian Pilgrim Kurwenal Mathias Hausmann Melot Matthias Stier Ein Hirt Martin Petzold Ein Steuermann Franz Xaver Schlecht Ein junger Seemann Patrick Vogel / Alvaro Zambrano Herrenchor der Oper Leipzig, ­ Komparserie, Gewandhausorchester PR EMI E RE

05. Okt. 2019, Opernhaus AUFFÜH R U N G E N

12. Okt. / 10. Nov. 2019 / 14. Mär. / 01. Jun. 2020 alle Vorstellungen mit ­Einführung 45 Min. vor Vorstellungsbeginn

S c h l af , Ki n d l e i n , s c h l af !

Dornröschen Once Upon a Dream Jeroen Verbruggen L E IT UN G

Musikalische Leitung Felix Bender Choreografie Jeroen Verbruggen Bühne Chiara Stephenson Kostüme Charlie Le Mindu Video Tina Alloncle Licht Fabiana Piccioli Dramaturgie Nele Winter Leipziger Ballett, Gewandhausorchester

WERKSTAT T

PR E M IE R E

26. Sep. 2019, 18:00

29. Nov. 2019, Opernhaus

KAN TI N EN G ESP RÄC H

AU F F ÜH R UN G E N

10. Nov. 2019 im Anschluss an die Vorstellung

01., 04., 05., 15. & 19. Dez. 2019 / 24. Jan. / 27. & 28. Mär. / 11. Apr. / 01. & 03. Mai 2020 alle Vorstellungen mit Ein­ führung 45 Min. vor Vorstellungsbeginn; Publikumsgespräche nach Abendvorstellungen (außer Premiere) W E R K S TAT T

21. Nov. 2019, 18:30


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»Lerchen«-­Typ, der abends früh zu Bett geht, dafür aber morgens auch früh wieder wach und aktiv ist.

In ­M orpheus’ Armen Ein Interview mit Dr. Geert Vogt, Leiter des Schlaflabors am K ­ linikum St. Georg I N TERVI EW: E LI SABE T H KÜ H N E

Von Napoleon erzählt man sich, dass er nur vier Stunden Schlaf brauchte. Albert Einstein soll hingegen zwölf Stunden pro Nacht geschlafen h ­ aben. Und Dorn­r öschen schläft gleich ­hundert Jahre. Wie viel Schlaf braucht der Mensch? Das ist ganz individuell. ­Siebeneinhalb bis acht Stunden schlafen wir im Durchschnitt, aber es gibt da eine große Spanne. Jeder Mensch hat ein ganz ­individuelles Schlafbedürfnis. Grundsätzlich ­kennen wir aber zwei Chronotypen, die K ­ urzschläfer und die Langschläfer. Zu welchem Typ man gehört, hängt entscheidend von der in­ neren Uhr ab, die wiederum von ­äußeren Faktoren beeinflusst werden kann, zum Beispiel vom Licht oder dem Tagesablauf. Wenn wir wach sind, werden Stresshor­ mone ausgeschüttet, der Puls und der Blutdruck sind hoch, auch unsere Körpertemperatur ist am Tag ca. ein Grad höher als nachts. Wenn es dunkel wird, fällt unsere Temperatur. Das merkt man besonders, wenn man übernächtigt ist und einem schnell kühl wird. Dann entsteht das Schlafbedürfnis. Bei Langschläfern, also den »Eulen«-Typen, ist am Abend ein verzögerter Temperaturabfall zu verzeich­ nen, dadurch spüren sie erst später den Schlafdruck. Kurzschläfer hingegen ­spüren abends einen abrupten Abfall der Leistungsfähigkeit, weil die Temperaturkurve stärker sinkt – sie entsprechen dem

Was passiert in unserem Körper und Gehirn, wenn wir schlafen? Im Schlaf durchläuft der Mensch verschie­ dene Stadien: Zunächst erleben wir eine Leichtschlafphase, zu der auch die Einschlafphase gehört. Dieser Leichtschlaf macht ca. 50 % unseres Schlafes aus. Ein Viertel unseres Schlafes verbringen wir im Tiefschlaf, in dem die Reizschwelle ­besonders hoch ist und wir nur sehr schwer zu wecken sind. Schließlich gibt es noch die Traumschlafphasen, die bei einem gesunden Menschen vier bis fünf Mal pro Nacht auftreten. Diese Phasen werden auch als rem-Phasen bezeichnet und verdanken ihren Namen den schnellen Augen­bewegungen (»rapid eye movement«), die für diesen Schlafabschnitt cha­rakteristisch sind. Diese Schlafphasen wiederholen sich mehrfach pro Nacht, wobei ein durchschnittlicher Schlaf­ zyklus ca. neunzig Minuten dauert. Die Abfolge von Tief- und Traumschlaf­phasen ergibt dann die sogenannte Schlafarchi­ tektur, die wir im Schlaflabor anhand der Messung von Hirnströmen, Augenbewegungen und Aktivität der Kinnmuskulatur in einem Hypnogramm grafisch aufzeichnen und entsprechend deuten können. Stimmt es, dass der Schlaf vor Mitternacht der erholsamste ist? Das stimmt nur bedingt. Tatsächlich überwiegt in der ersten Nachthälfte der Tiefschlaf, der als erholsam gilt. Aber auch als »Eulen«-Typ erhält man ­genügend Tiefschlaf. Die erste Tiefschlafphase setzt nach 50 bis 60 Minuten ein, auch wenn man erst um 2 Uhr nachts ins Bett geht. Der Morgenschlaf ist hingegen weniger erholsam. Gerade wer dann länger liegenbleibt, nimmt sich den Schlafdruck für die nächste Nacht. Das gleiche geschieht, wenn man sich nach einer schlechten Nacht mittags hinlegt. Das ist falsches Schlafverhalten, das häufig zu Ein- und Durchschlafstörungen führt. Kann man fehlenden Schlaf denn trotzdem nachholen? Der Körper kann Schlaf nachholen, das nennt man Rebound-Phänomen. Man muss aber nicht die gesamte Schlafzeit nachholen, sondern nur die Menge an verlorenen Tiefschlafphasen. In Experi­ menten hat man festgestellt, dass Pro­ banden nach längerem Schlafentzug nicht etwa 20 oder 30 Stunden schlafen mussten, sondern dass 14 Stunden ausreichten.

Der Anteil der Tiefschlafphasen hatte sich aber verdoppelt. Der Schlaf wird also so verdichtet, dass fast nur Tiefschlaf­phasen und wenige Leicht- und Traumschlaf­ phasen auftreten. Nur vorschlafen, das funktioniert leider nicht! Warum schlafen wir überhaupt? Lange dachte man, dass der Schlaf in erster Linie der körperlichen Erholung dient, weil er ein Zustand äußerlich wahrgenommener Ruhe ist. Aber gerade in der im Schlaflabor vorgenommenen Poly­ somnografie sehen wir, dass während des Schlafens viel geistige Aktivität statt­ findet. Schlaf bedeutet also keine völlige Inaktivität, sondern eine Veränderung der Hirnaktivität, die dynamisch mit den verschiedenen Schlafphasen abläuft. Im Leicht- und Traumschlaf sieht man beispielsweise eine ähnliche Aktivität im Hirn wie im Wachzustand, in den Tiefschlafphasen hingegen wird die Frequenz der Stromkurve wesentlich geringer, auch die Herzfrequenz und die Atemtiefe ­verändern sich. Heute geht man davon aus, dass der Schlaf vor allem für die geistige Erholung wichtig ist. Am Tag tritt eine Dauerbeschallung des Gehirns auf, man nimmt sehr viele Informationen auf, die entsprechend verarbeitet werden müssen. Diese Verarbeitung passiert im Schlaf, wenn der Körper weniger auf ­äußere Reize reagiert, vor allem im Tiefschlaf. Für den Tiefschlaf ist auch die ­Gedächtnisbildung belegt: Fakten, die wir uns vor dem Schlafengehen eingeprägt haben, können dann eher abgespeichert werden – vorausgesetzt man überschreibt sie vor dem Schlafen nicht noch mit einem Film. Es wird aber auch viel gelöscht, das Hirn hat ja nur einen begrenzten Speicherplatz. Im Schlaf muss also auch aufgeräumt werden. Was sagen uns dann die Träume? Traumschlaf ist ein schwieriges ­Kapitel, die genaue Funktion der Träume ist unklar. Träume sind vor allem im rem-Schlaf zu erwarten. Belegt ist nur, dass im Traumschlaf – im Gegenteil zur Faktenverarbeitung im Tiefschlaf – eher eine emotionale Verarbeitung von Tagesgeschehnissen oder Erinnerungen erfolgt.

Z U R PE RS O N

Dr. Geert Vogt ist Facharzt für Innere ­Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie und ­Schlaf­medizin und leitet als Oberarzt das Schlafmedizinische Zentrum, die kardiopulmonale F ­ unktionsabteilung sowie die Spezialambulanz für Tuberkulose im Robert-­KochKlinikum, Klinikum St. Georg gGmbH.


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DR E IKL ANG # 02

Z U GABE

Nachgefra g t

Wun d e r k am m e r

Warum sterben so viele ­M enschen auf der Opernbühne?

Eine Trompete aus Holz?

LI EBES PUBL I KU M,

»Opernthriller« ist vermutlich das am häufigsten zitierte Wort, wenn es darum geht, eine Oper zu bewerben. Gleich­zeitig beschweren sich die Menschen, dass auf der Opernbühne zu viel gestorben wird. Nunja, die Opernklassiker von ­Donizetti, Verdi oder Puccini lassen sich nun mal schwerlich umschreiben, nichtsdestotrotz ist die Frage nicht ganz unberechtigt. Aristoteles hätte sie vermutlich mit dem Effekt der Katharsis beantwortet, also der Wirkung des Geschehens auf der Bühne auf unsere Seele. Vereinfacht ­gesagt: Wenn Menschen auf der Bühne ein Leid widerfährt, löst das im Zuschauer das beruhigende Gefühl aus, dass man nur als Betrachter gebeten ist. Manchmal empfinden wir sogar einen wohligen Schauer dabei, bestenfalls werden wir von ähnlich grausamen Taten abgeschreckt. Gerade die Oper schafft es durch die Kraft der Musik, uns für das Leid anderer zu sensibilisieren. Daher sind ihre Inhalte auch häufig die existentiellen Momente des Lebens. Und so hat Verdi, der selbst dem Tod seiner ersten Frau und seiner Kinder ins Auge geschaut hat, die berührendsten Sterbeszenen der Operngeschichte g­ eschrieben. Sie konfrontieren uns mit unserer ­eigenen Endlichkeit, lassen uns für einen kleinen Moment den Übergang zwischen ­Himmel und Erde erfahren. Oper ist also das reinste Therapeutikum. I H R CH RI S TI A N G E LT I N G E R

N EUGI ERI G ?

Was wollten Sie schon immer mal von uns wissen? Senden Sie uns Ihre Fragen an dreiklang@oper-leipzig.de

Konzentriert führt Lukas Beno, Solo­ trompeter des Gewandhausorchesters, das Instrument zum Mund: Gewissen­haft prüft er Klang und Spielbarkeit der neuen Holztrompete, die die Oper Leipzig eigens für die Aufführungen von Richard Wagners »Tristan und Isolde« von der Firma Lechner in Österreich bauen ließ. Wagner erfand dieses außergewöhnliche Instrument für den dritten Aufzug seines Musikdramas: Mit seiner fröhlichen Hirten­weise kündet es nach der traurigen Melodie des Englischhorns die Ankunft Isoldes an, die den verwundeten Tristan retten soll. Inspirieren ließ sich der Komponist, der als Klangmagier übrigens diverse Instrumente wie das Stierhorn, die Wagner-Tuba, das Nachtwächterhorn und das Gralsglockenklavier erfunden hat,


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wahrscheinlich von den Alphörnern der Schweiz, wo er ab 1857 an »Tristan und Isolde« arbeitete. Ein natürlichkraft­voller Klang schwebte Wagner vor, weicher und dunkler als der der Trompete, aber durchdringender als der des Englischhorns. Um dieses Klang­ideal zu treffen, entwickelte der Instru­ mentenbauer Johann Adam Heckel eine besondere Holztrompete, die bis 1897 genutzt wurde. Mit dem Instrument der Firma Lechner, das mit seinem Schallbecher aus Holz und der hölzernen Ummantelung des Rohres eben diesen speziellen Klang einfängt, besitzt die Oper Leipzig als eines von wenigen Häusern weltweit nun eine eigene Holztrompete.


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DR E IKL ANG #03

Z U GABE

Was ist ­besonders ­französisch an Dir?

OHNE WORTE antworten die Künstler der Oper ­L eipzig auf unsere Fragen. Dieses Mal: Jean-Baptiste Mouret, Bassbariton der Oper Leipzig FOTO S : TO M S CH UL Z E


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Was magst du an Deutschland?

Wenn du kein Sänger ­geworden wärst, dann …? Was ist dir wichtig?


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DR E IKL ANG #03

Kein Bade­ kappen­ zwang Die Musikalische Komödie im Westbad TEXT: CH R I S TI A N GELTI N G E R


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Was haben die Musikalische Komödie in der Dreilindenstraße und das nur wenige hundert Meter entfernte Westbad gemeinsam? Hätte man im Jahr 1989 eine Umfrage gestartet, hätte die Antwort auf diese Frage wohl gelautet: Beide Gebäude liegen im Stadtteil Lindenau und erfreuen sich bei der Bevölkerung höchster Beliebtheit. Beide Gebäude sind höchst sanierungsbedürftig und stehen kurz vor der Schließung. Ansonsten auf den ersten Blick keine großen Gemeinsamkeiten.

Dabei hat das Westbad eine künstlerische Vergangen­ heit, die weit in die Anfänge der ddr-Zeiten zurückreicht. In den 50er und 60er Jahren fungierte es bei­spielsweise als Ausstellungsraum für die DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur) und zwischenzeitliche Beheimatung der hiesigen Ballettschule. Dafür wurden eigens die Zuschauertribünen erweitert. Sport und Kunst liegen eben doch näher beieinander, als man auf den ersten Blick vielleicht vermuten würde. Das entsprach ganz dem Geist, aus dem heraus das Westbad in den Jahren 1928 bis 1930 errichtet wurde. Die beiden Disziplinen soll­ ten ­gleichermaßen zur »Erziehung« des Menschen beitragen, sei es der ästhetischen, sei es der körper­ lichen. Beide entspringen dem Bedürfnis des moder­ nen ­Menschen nach einem sinnvollen Umgang mit seiner freien Zeit, ob nun als aktiv Beteiligter oder passiv Konsumierender. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schossen daher jede Menge ­sogenannter »Volksbäder« aus dem Boden, die neben ihrem ­konkreten Verwendungszweck nicht nur gesellschaftlicher Treffpunkt waren, sondern häufig auch mit einem gewissen ästhetisch-künstlerischen Anspruch auf architektonischer Ebene einhergingen. So ist das Westbad in Leipzig mit seiner Klinkerfassade ein typisches Beispiel für das Neue Bauen Leipzig, einer architektonischen Richtung, die sich im Umfeld des Bauhaus bewegte, dessen 100. Jubiläum gerade ­begangen wird. Die Musikalische Komödie liegt in der Saison 2019/20 also architektonisch voll im Trend. Nicht nur durch die Reminiszenz an seine alte Nutzung – der tiefergelegte Schwimmbereich mit der tribünenartigen Zuschauergalerie, das tonnen­­förmige Gewölbe mit den darüber gelagerten

Oberlichtern – erinnert das Westbad an eine Raumkapsel oder ein Unterseeboot, auch die kunter­bunte Deckenbemalung von Michael Fischer-Art, die den Blick des Insassen auf eine quietschleben­ dige Meeres­landschaft lenkt, lässt Assoziationen zum ­Cover des Beatles-­Albums »Yellow Submarine« zu. Das Westbad ist also per se ein theatraler Raum, der wie geschaffen ist für die leichte Muse. Die Theatralität sportlicher Ereignisse machte sich bekanntermaßen bereits die Antike zueigen. Das ­zeigen auch die unterschiedlichen »Nutzungskonzepte« sportlicher Schauplätze, die sich im Wandel der Zeit ergeben haben, weil diverse sportliche ­Aktivitäten aus der Mode gekommen waren. Wo einst Gladiatoren von wilden Tieren zerfleischt wurden, finden heute kulturelle Großevents statt. Eines der berühmtesten Beispiele der jüngeren Geschichte: das legendäre erste Konzert der drei Tenöre Pavarotti, Domingo und Carreras in den römischen Caracalla-­Thermen. Badehäuser scheinen sich also besonders gut zu eignen als Klangräume für musi­ kalische Darbietungen aller Art. Diese Erfahrung wird mit Sicherheit auch so manch leidenschaftlicher Badewannen-Caruso aus dem heimischen Selbstversuch bestätigen können. Und so war es letzten Endes naheliegend, das Westbad nach einer längeren ­Sanierungsphase Anfang der 2000er Jahre in ein Veranstaltungszentrum für den Stadtteil Lindenau zu verwandeln. Wo früher die deutsche Schwimmerin Gisela Schöbel-Graß den Weltrekord der Frauen über 100 Meter Brust auf der Kurzbahn aufgestellt hat, erklingen heute in einem Lesemarathon anlässlich der Leipziger Buchmesse Texte wie »Die Gewitterschwimmerin« von Franziska Hauser.


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DR E IKL ANG #03

Badehäuser scheinen sich besonders gut zu eignen als Klangräume. Aber zurück zu unserer Ausgangsfrage: Was verbindet die Musikalische Komödie Leipzig und das Westbad? Aus der Perspektive des Jahres 2019 auf jeden Fall sehr viel! Nicht nur, dass beide Häuser über die Jahrzehnte hinweg bei den Leipzigerinnen und ­Leipzigern quer durch alle Generationen Kultstatus erreicht haben, nach der Genehmigung der längst überfälligen Sanierung des Zuschauerraumes der MuKo zieht das Spezialensemble der leichten Unterhaltung für eine Saison quer über den Lindenauer Markt in das 600 Meter entfernt gelegene Westbad. Die Fans des Ensembles der Musikalischen K ­ omödie müssen in der Saison 2019/20 also nicht auf dem Trockenen sitzen, sondern können sich im ­Westbad voll ins Vergnügen stürzen, und das ganz ohne Badekappenzwang! Das Besondere am Westbad: Jede Produktion ist extra auf die Lokalität zugeschnitten. Da die Repertoireklassiker neu für das Westbad einstudiert werden, ist jede Produktion eine Premiere. Darüber hinaus ­ bietet das Westbad als modularer Theaterraum unterschiedliche Möglichkeiten der Positionierung der Bühne und der Zuschauerbestuhlung, sodass man als Publikum mitten im Geschehen sitzt. Auch wenn natürlich dort, wo außen Musikalische Komödie drauf steht, auch innen Musikalische Komödie drin sein wird, der Markenkern und das Alleinstellungsmerk­ mal dieses Spezialensembles für Operette und ­Musical von dem Ortswechsel unangetastet ­bleiben werden, so bietet allein schon dieser Raum mit seiner ganz besonderen Atmosphäre und seinem ­speziellen Charme die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Per­ spektiven zu spielen oder vielmehr ihn zu ­bespielen. So wird jede Vorstellung zu einem besonderen Erlebnis.

Die Musikalische Komödie wird das auf vielfältigste Art und Weise tun. Außergewöhnliches und Einzigartiges wie die Musical-Gala mit Thomas H ­ ermanns oder Sonderaufführungen des Musicals »Jesus Christ Superstar« steht neben Klassikern, Bekanntes wie die »Fledermaus« oder »­Der ­Zauberer von Oss« präsentiert sich in neuem Gewande, aber mit ebenso viel Schwung, Elan und Spielfreude. Schon zu Beginn der Saison geht die Musikalische Komödie im W ­ estbad in die Vollen und präsentiert die ganze Bandbreite ihres Könnens. In relativ kurzer Zeit bringt das ­Ensemble gleich drei Premieren unterschiedlichster Couleur heraus. Den Anfang macht eine Revue mit Schlagern aus den 20er, 30er und 40er Jahren, zusammengestellt von Chefregisseur Cusch Jung. »Spiel mir eine alte Melodie« ist eine Hommage an legendäre Titel der Zeit von »Ich brech’ die ­Herzen der stolzesten Frau’n« über »In der Nacht ist der Mensch nicht gern a­ lleine« bis »­Arrivederci Roma!«. Kurz darauf bringen Ballett­direktor Mirko Mahr und sein Ensemble mit dem Doppel­abend »Zorbas / ­Balkanfeuer« den Saal zum Kochen. Hier trifft Sirtaki auf klassisches ­Ballett, hier mündet die Balkan­hochzeit in ein Fest, zu dem sich jeder willkommen fühlen darf. Schließlich stellt die Musikalische Komödie mit den P ­ remieren »Der Vogel­händler« und »Kuss der Spinnenfrau« ­sowie mit den zahlreichen Wiederaufnahmen, die auf diesen Raum speziell zugeschnitten sind, unter Beweis, dass auch im Westbad das Kernrepertoire nicht zu kurz kommen wird. Eines ist jetzt schon sicher: Schon aus purer Neugier lohnt sich ein Besuch im Westbad! Und wer dennoch unter Entzugserscheinungen nach dem c­ harmanten Theater mit Herz leiden sollte, dem seien die ­kleinen, aber feinen Programme im »Lortzing«, dem Theater­ restaurant der Musikalischen Komödie in der Drei­ linden­straße, empfohlen.


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Je d e r S o n g e i n H i t

Spiel mir eine alte Melodie Schlager-Revue L E IT UN G

Musikalische Leitung Tobias Engeli / Christoph-Johannes Eichhorn Inszenierung Cusch Jung Choreografie Mirko Mahr Bühne Frank Schmutzler Kostüme Jennifer Knothe Dramaturgie Christian Geltinger B ES E TZ UNG

Sängerinnen Mirjam ­Neururer, Lilli Wünscher, Nora ­Lentner, Angela Mehling, ­Anne-Kathrin Fischer Sänger Jeffery Krueger / Adam Sanchez, Hinrich Horn, Milko Milev, Andreas Rainer, ­Michael Raschle, Justus Seeger Ballett und Orchester der Musikalischen Komödie PR E M IE R E

27. Sep. 2019, Westbad AUF F Ü H R U NG EN

28. & 29. Sep. / 03., 04. & 05. Okt. / 30. Nov. / 01., 28. & 29. Dez. 2019 / 18. & 19. Apr. / 11. & 12. Jul. 2020

BA R R IE R E F R E I IN S W ES TBAD

Sc ho n ge w us s t?

Die Architektur des ­Westbades, ­fotografisch ­eingefangen von Robert Raithel

Der Großvater mütter­ licherseits des ­Architekten des ­Westbads ­Hubert ­Ritter war der ­Psychiater Bernhard von­ ­Gudden, Leibarzt König ­Ludwigs II., mit dem er ­gemeinsam im ­Starnberger See auf ­mysteriöse Art und Weise ums Leben kam.

Menschen mit Behinderung müssen in der Saison 2019/20 nicht auf die Musikalische Komödie verzichten. Im Westbad stehen zwei Rollstuhlplätze sowie barrierefreie ­Toiletten zur Verfügung. Der Zugang für Menschen mit ­eingeschränkter ­Mobilität erfolgt über den Eingang im Durchgang ­Odermannstraße / Marktstraße. Dort gibt es auch zwei Parkplätze. Gerne begleitet Sie unser Service­ personal zu Ihrem Platz.


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DR E IKL ANG #03

Neues und ­Vertrautes Das Leitungsteam der Musikalischen ­Komödie über die ­S aison im Westbad I N T E RVI E W: CH R IS T IA N G E LT IN G E R

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Mit welcher Botschaft ­gehen Sie in die Saison im Westbad? torsten rose Die zentrale Botschaft ist, dass wir auch in der neuen Saison für unser Publikum spielen werden und dass man sich darauf verlassen kann, dass da, wo Musikalische Komödie drauf steht, auch Musikalische Komödie drin ist. Denn das, was uns zu einem Theater mit Herz macht, sind ja in erster Linie die Menschen vor, auf und hinter der Bühne, die vertrauten Gesichter an der Kasse, am Einlass und natürlich die Künstlerinnen und Künstler.

Produktionen

Wie sind die akustischen Verhältnisse im Westbad? stefan klingele Wir haben bei einem Orchestertest festgestellt, dass an allen Plätzen gleich verteilt ein schöner, runder Klang ankommt. Bei den Musicals mit Mikroportverstärkungen sind ­natürlich wie in der Musikalischen ­Komödie unsere kompetenten Tontechniker gefragt, eine gute Balance herzustellen. Auf Grund der Offenheit des Raumes gibt es die Möglichkeit, unterschiedliche Orchesteraufstellungen vorzunehmen, ­sodass wir für jedes Stück den bestmöglichen Klang erzeugen können.

Welche szenischen ­Perspektiven eröffnet der Saal im Westbad? cusch jung Das Westbad bietet durch seinen nach ­mehreren Seiten bespielbaren Raum viele Möglichkeiten, einer normalen Guckkasten-­Bühne zu entfliehen. Aufgrund der ­offenen Bühnensituation lässt sich so ein direkter Kontakt zu unserem Publikum herstellen. Das wird bei unserer Schlager­revue »Spiel mir eine alte ­Melodie« besonders zum Tragen kommen. Auch die soge­ nannte Kaffeehaus-Bestuhlung gibt dem Zuschauer eine Art Dinner-­Show-Charakter, womit ein anderes Theatergefühl entstehen wird. Außerdem lassen sich die vorhandenen Balkone wunderbar als zweite Spielebene benutzen. Es gibt keine Gassen, durch die die Darsteller auf- und abtreten. Somit wer­ den Auftritte sichtbar oder aber auch durch den Zuschauerraum möglich sein. Es wird spannend!

Was waren die Heraus­ forderungen bei der Spiel­planung? torsten rose Unserem Pub­ likum und unserem Anspruch gerecht zu werden, neben den Neuinszenierungen auch ein attraktives Repertoire anzubieten. Insgesamt kommen wir so im Westbad auf rund 19 Produktionen mit über 140 Vorstellungen. Wichtig für uns war aber auch der Kontakt zu unserem Theater­restaurant »Lortzing« in unserem Theater. Neben der ­»Kleinen Komödie« haben wir dort punktuelle Ver­anstaltungen geplant.

über

140

Vorstellungen


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Tan z - un d L e be n s l us t p ur

Zorbas/Balkanfeuer L E IT UN G

Auf welche Produktionen freuen Sie sich besonders? torsten rose Ich freue mich auf jede Inszenierung, weil selbst vertrautes Repertoire in diesem Raum neu und ­anders zur Geltung ­kommen wird. Dass wir aber das »Balkan­feuer« wieder auf den Spielplan bringen können, ist ein Glücksfall. Seinerzeit für das Kellertheater konzi­ piert, bietet das Westbad den perfekten Ort, die feurige Balkanhochzeit wiederzubeleben. Mirko Mahr wird den Abend mit Mikis ­Theodorakis’ Klassiker »­Zorbas« kombinieren. stefan klingele Ich bin vor allem sehr neugierig, wie die vier neuen szenischen Produktionen die ungewohnten Verhältnisse vor Ort aufgreifen. Im »Vogelhändler«, der ersten großen Operetten­neuproduk­ tion, wird der Umzug des ­Ensembles zu einem zentralen Bestandteil der Inszenierung – so viel sei vorab verraten! cusch jung Ich bin sehr gespannt auf das Musical »Kuss der Spinnenfrau« der Erfolgs­ autoren Kander & Ebb, die mit »­Cabaret« und »­Chicago« ­Musicalgeschichte ­geschrieben ­haben. Es ist ein sehr spannendes und gleichzeitig unterhaltsames Musical mit Tiefgang und großen Gefühlen, exzellenter Musik und tollen Gästen.

1

Spielzeit

Musikalische Leitung Stefan Klingele Inszenierung und Choreografie Mirko Mahr Bühne Frank Schmutzler Kostüme Nicole Gerlach Choreinstudierung Mathias Drechsler Dramaturgie Elisabeth Kühne

Der Vogelhändler

Zorbas

Carl Zeller

Wi l d s au g e s u c ht !

B ES E TZ U N G

Madame Hortense Sara Brandao / Hanna Sech Surmelina Jimena Banderas Martinez / Marta Borczakowska Zorbas Daniel Castillo Cisneros / Özgür Tuncay Junger John Mattia Cambiaghi / Claudio Valentim Pawlis Stephen Budd / Nicola Miritello Mawrandonis Nicola Miritello Vier Kapitäne Stephen Budd, Nicola Miritello, Özgür Tuncay, Claudio Valentim Alter John, Sprecher Frank Schilcher a. G. Mezzosopran Sabine Töpfer

Balkanfeuer B ES E TZ U N G

Er Claudio Valentim / Daniel Castillo Cisneros Sein Vater Frank Schilcher a. G. Seine Schwester Emilie Cattin / Irem Erden Seine Angebetete Laura Dominijanni / Jimena Banderas Martinez Sie Tatiana de Sousa / Sara Brandao Ihre Mutter Nicola Miritello / Mattia Cambiaghi Ihre Freundin Patricia Klages / Marta Borczakowska Vier Mädchen Jimena Banderas Martinez / Laura ­Dominijanni, Marta Borczakowska / Tatiana de Sousa, Irem Erden / Patricia ­Klages, Hanna Sech / Sara Brandao Vier Burschen Mattia Cambiaghi / Nicola ­Miritello, Daniel Castillo Cisneros / Claudio Valentim, Özgür Tuncay / Stephen Budd Pope Mirko Mahr Ballett, Chor, Extrachor und Orchester der ­Musikalischen Komödie PR E M IE R E

L E IT UN G

Musikalische Leitung Tobias Engeli / Stefan Klingele Inszenierung Rainer Holzapfel Choreografie Mirko Mahr Bühne, Kostüm Beate Zoff Choreinstudierung Mathias Drechsler Dramaturgie Christian Geltinger B ES E TZ UNG

Kurfürstin Marie ­­­ Lilli Wünscher Brief-Christel Nora Lentner / Mirjam Neururer Frau Nebel, Wirtin Angela Mehling Adam, Vogelhändler Roman Pichler Baronin Adelaide Andreas Rainer Baron Weps Michael Raschle Graf Stanislaus Adam Sanchez / Jeffery Krueger Würmchen Justus Seeger Süffle Milko Milev Chor, Ballett, Komparserie und Orchester der ­Musikalischen Komödie PR E M IE R E

01. Nov. 2019, Westbad AUF F Ü H R U NG EN

02., 03., 09., 10., 27. & 29. Nov. / 26. Dez. 2019 / 07., 08., 21. & 22. Mär. / 21. Mai 2020

12. Okt. 2019, Westbad

W E R K S TAT T

AUF F Ü H R U N G E N

26. Okt. 2019, 18:00

13. & 15. Okt. / 07. & 08. Nov. 2019 / 05., 06., 28. & 29. Mär. / 29. & 30. Apr. 2020 Im Anschluss an die Vorstellungen darf weiter gefeiert und getanzt werden! W E R K S TAT T

09. Okt. 2019, 18:00


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DR E IKL ANG #03

Tanzen –––

und dann?

Wenn Tänzerinnen und Tänzer den Sprung in ein neues Leben wagen T E XT: E L ISA B E T H KÜ H N E


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Irgendwann ist es vorbei. Unausweichlich rückt der Tag näher, an dem es wirklich so weit ist: das letzte Training, das letzte Mal Aufwärmen, voller Spannung hinter den Kulissen auf den Auftritt warten, tanzend die Bühne erfüllen, die letzte Vorstellung, das letzte Mal Verbeugen.

Die meisten Tänzerinnen und Tänzer haben schon als Kinder begonnen, alles ihrer großen Leidenschaft zu opfern. Wer den Tanz zu seinem Beruf machen will, darf an nichts anderes denken, muss – um an einer professionellen Ballettschule bestehen zu können – häufig Familie, Freunde, Hobbys und manchmal sogar seine Heimat zurücklassen. Hat man dann ein festes Engagement in einer Company ergattert, bestimmt der Tänzeralltag das Leben: täglich acht Stunden Probe, Vorstellungen am Abend und an den Wochenenden. Für weitere Interessen bleibt da wenig Zeit, schließlich ist Tanzen eher Berufung als Beruf. So leben die meisten Tänzerinnen und Tänzer über Jahre hinweg in einer eigenen Welt, ein Leben ohne den Tanz ist für viele unvorstellbar. Und doch kommt eines Tages der Moment, in dem genau das zur Realität wird: Denn das Berufsleben eines Profitänzers ist kurz bemessen. Wenn andere mit Anfang dreißig erst richtig durchstarten, kommt für sie bereits das Karriereende – abrupt, mitten im Leben, die Zukunft ungewiss. Wenn dann die Schritte schwerer werden, eine Verletzung oder eine Nichtverlän­ gerung des Vertrags die Tanzlaufbahn beenden, stehen viele vor der Frage: »Was nun?« Es beginnt eine Zeit der Unsicherheit, des Abschieds, aber auch der Neuorientierung – eine Zeit, die in der Tanzszene einen eigenen Namen hat: Transition. Dieser Begriff bezeichnet den Übergang von der aktiven Tanzkarriere in eine neue Berufstätigkeit. Manchen ist schon früh bewusst, dass sie sich beruflich umorientieren müssen. Sie beginnen noch während des aktiven ­Tänzerlebens ein Fernstudium oder eine berufsbegleitende Ausbildung, was neben dem täglichen Hochleistungssport eine enorme Willenskraft erfordert. Aber das sind Ausnahmen. Während sich andere Leistungssportler in dieser Lebensphase an ver­schiedene Ansprechpartner und Institutionen ­wenden können, fallen professionelle Tänzerinnen und Tänzer oft durchs Raster. Bei der

Was ist ein ­Tänzer, wenn er nicht mehr ­ tanzen kann?

Arbeitsagentur begegnet man ihnen mit Befremden (»Und was haben Sie tagsüber gemacht?«) und die offenen Stellen am Theater für Choreografen, Ballettmeister, Inspizienten oder Physiotherapeuten sind begrenzt. Doch seit 2010 gibt es auch für Tanzschaffende eine Anlaufstelle: Um ­Tänzerinnen und Tänzer auf dem Weg in ihr neues Leben zu begleiten, rief Sabrina Sadowska die »Stiftung tanz – Transition Zen­trum Deutschland« ins ­Leben. Sadowska, die selbst als Tänzerin am Theater Trier, Stadt­theater Bremer­haven und der Oper Halle auf der Bühne stand und inzwischen Ballett­direktorin am Theater Chemnitz ist, weiß um die Schwierigkeiten und Herausforderungen des Berufs­wechsels. Im persönlichen Gespräch und in speziellen Workshops berät sie als Vorstandsvorsitzende der »Stiftung tanz« ausführlich über Strategien der Visionsentwicklung, Zukunftsperspektiven, ­unterschiedliche Berufsbilder und die richtige Finanz­ planung – so geschehen auch am Leipziger Ballett. Häufig kreisen die Fragen der Tänzerinnen und Tänzer, die aus den verschiedensten Teilen der Welt stammen, rund um den Dschungel der deutschen Bürokratie: Welche Möglichkeiten der Weiterbildung gibt es, wie beantragt man BAföG, wann hilft die Rentenversicherung bei Berufsunfähigkeit, welche Fördermöglichkeiten gibt es für den zweiten Bildungsweg? Die »Stiftung tanz« vergibt zudem Stipendien an Tanzschaffende, um sie beim Übergang in den neuen Beruf finanziell zu unterstützen. Die mitunter größte Hürde für Menschen, die ihr Leben ganz dem Tanz hingegeben haben, ist es aber oftmals, sich überhaupt ein anderes Berufsbild vorzustellen. Wie erfindet man sich also neu? »Das wichtigste ist Selbstreflektion und Ehrlichkeit zu sich selbst«, weiß Sabrina Sadowska zu berichten. »Will ich mehr Privat­leben, mehr Geld verdienen oder mich für ­andere einsetzen? Das ist der erste Schritt – herausfinden, was die eigenen Wünsche und Interessen sind. Der zweite Schritt ist, sich seiner Stärken bewusst zu werden und an sich zu glauben. Alle Tänzer haben in ihrem Berufsleben großartige Fähig­ keiten erlangt: Sie sind Teamplayer, ziel­strebig, empathisch, haben ein gutes ­Körpergefühl, sprechen mehrere ­Sprachen und sind unglaublich diszipliniert. Das ­alles sind Talente, die einem auch nach der Tanzkarriere erhalten bleiben und ideale Voraussetzungen für ein zweites Berufsleben bilden. Das ist eine große Chance.«


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DR E IKL ANG #03

Urania Lobo Garcia Tänzerin am Leipziger Ballett

Ich konnte mir früher keinen anderen Beruf vorstellen. Cornelia Richter-Dorndeck ­Physiotherapeutin des Leipziger Balletts

In meiner Kindheit gab es nur einen Weg, meine Empfindungen auszudrücken: über Bewegung und Tanz. Ich habe nie gern geredet. Zum Glück war Gret Palucca acht Jahre meine Lehrerin in Dresden. Sie hat mir Zuversicht und Selbstvertrauen vermittelt. Schon früh haben wir in der Schule gelernt, dass wir den Beruf des Bühnentänzers nicht ewig ausüben können. Wir haben uns daher zeitig mit anderen Kunstrichtungen beschäftigt, ich konnte mir aber keinen anderen ­Beruf vorstellen. Durch häufige Physiotherapie­ besuche hatte ich nach drei Jahren Bühnen­erfahrung jedoch meinen ­zweiten Traumberuf gefunden. Die gute Vor­ stellung von Bewegungsabläufen, Einfühlungsvermögen und das direkte Arbeiten mit und am Patienten war eine ideale Kombination. Nach zehn Jahren hatte ich selbst beschlossen, das professionelle Tanzen zu beenden. Die internationale Konkurrenz wurde nach der Wende g­ rößer und ich wollte nicht auf die Kündigung warten. Ich hatte ein neues Ziel. Da ich nun als Physiotherapeutin wieder am Theater arbeite, versuche ich den Tänzern zu vermitteln, dass es wichtig ist, schon zeitig über das »Danach« nachzudenken. Meine früheren Kollegen haben außer Tanzpädagogen oder Ballettdirektoren völlig andere Berufe ergriffen: Sie sind Steuer­ berater, Hotelfachangestellte, Erzieher, Gastronomen, Polizisten, ­Küfer, Fußpfleger, Logopäden, Altenpfleger, Sanitäter, Bildreporter, aber auch Lehrer und Ärzte. Niemandem ist es leicht gefallen, sich von der Bühne zu verabschieden, aber diejenigen, die noch einmal ganz von vorn angefangen haben, sind im Nach­hinein auch dankbar, in einer anderen Aufgabe aufzublühen.

Während es für einen Tänzer scheinbar unendlich viele Möglichkeiten gibt, sich neu zu erfinden, ist der Weg dahin oft mit Einschränkungen und Schwierigkeiten verbunden. Tatsächlich bleibt mir als professionelle Tänzerin, die fünf Tage die Woche arbeitet und an den W ­ ochenenden auftritt, nur wenig Zeit, mich selbst »­umzubilden«. »Umbilden« sage ich ganz bewusst, weil Tänzer oft als ungebildet deklariert werden. Die Berufsausbildung beginnt häufig in jungen Jahren und wird meist nicht als offizieller Abschluss aner­ kannt. In meinem Fall widmete ich meine Kindheit und Jugend einem Platz in der europäischen Tanzwelt. Seit meiner Kindheit habe ich wöchentliche Ballettstunden in meiner kolumbianischen Heimat und danach in verschiedenen europäischen Ländern besucht, um einen Traum zu verwirklichen, den ich mir mit Leidenschaft, Freude und Entschlossenheit in diesem Opernhaus erfüllt habe. Das hat mir jedoch die Chance und die Zeit für ein Studium genommen. Für diese Gesellschaft scheine ich also nur unter­ durchschnittlich auf das »normale« Leben vorbereitet zu sein … Wie also kann ich mich weiterbilden, wenn ich mich dem altersbedingten Ende einer Karriere nähere? Durch die »Stiftung tanz – Transition Zentrum Deutschland« habe ich erkannt, dass die Fähigkeiten eines Tänzers tatsächlich übertragbar sind für eine Wiedereingliederung in die »normale« Gesellschaft. Dort kann ich die Hilfe und Unterstützung finden, die ich als Tänzerin benötige, was mir Hoffnung gibt, meinen Weg zu finden. Trotzdem glaube ich, dass es in diesem Bereich für die Gesellschaft und die Theater noch viel zu tun gibt.

Für einen T ­ änzer gibt es scheinbar ­unendlich viele Möglich­keiten, sich neu zu erfinden.

Der Gedanke, ­irgendwann mit dem ­Tanzen ­aufzuhören, war immer in ­meinem Hinterkopf.

Romy Avemarg ehemalige Tänzerin am Leipziger Ballett

Der Gedanke, irgendwann mit dem Tanzen aufzuhören, war immer in meinem Hinterkopf. Spätestens als meine zwei Kinder auf die Welt kamen, wusste ich, dass ich Verantwortung für die Zukunft übernehmen musste. Und eigentlich habe ich mich immer gefreut, dass irgendwann dieser Punkt kommen würde und ich noch einmal neu durchstarten kann. Ich habe neunzehn Spielzeiten am Theater getanzt. Das war eine lange und sehr erfüllte Zeit. Doch irgendwann merkte ich, dass der Körper nicht mehr so funktioniert wie früher. Und dann kam der Unfall: Kreuzbandriss. So wollte ich es aber nicht enden lassen – ohne eine Abschiedsvorstellung. Ich nahm mir also Zeit, um wieder gesund zu werden und noch eine letzte Spielzeit auf der Bühne zu stehen. In dieser Zeit reifte der Entschluss, auch nach dem Tanzen am Theater bleiben zu wollen. Ich verbrachte eine Woche im Direktionsbüro der Musikalischen Komödie und habe gemerkt, das könnte etwas für mich sein. Jetzt mache ich eine zweijährige Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement. Natürlich vermisse ich es manchmal auf der Bühne ein schönes Pas de deux zu tanzen. Aber ich genieße auch die Vorteile: Plötzlich habe ich freie Wochenenden, bin abends zu Hause und kann nachmittags in Ruhe mit den Kindern Hausaufgaben machen – mein Alltag ist viel familienfreundlicher geworden. Es ist schön, in der »realen« Welt angekommen zu sein.


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Gabor Zsitva Beleuchter an der Oper Leipzig

Da sowohl meine Mutter als auch mein Vater hier am Haus getanzt haben, wusste ich schon als Kind, dass die Tanzkarriere sehr kurz ist und man irgendwann einen anderen Beruf ergreifen muss. Meine ­Eltern haben dann in Leipzig die Puppen­ klinik betrieben. Richtig vorbereiten kann man sich auf den Abschied aber trotzdem nicht – dafür bleibt zwischen Proben und Vorstellungen kaum Zeit. Ich kenne viele Tänzer, die deshalb nach ihrer aktiven Zeit vor dem Nichts standen. Dennoch sollte man auch neben dem Tanzen seine eigenen Interessen verfolgen. Ich zum Beispiel sang und spielte Gitarre in einer Band und kannte mich daher ein wenig mit Veranstaltungstechnik aus. Als ich dann nach fünfzehn Jahren meine Tänzer­ laufbahn beendete, war mir klar, dass ich Veranstaltungstechniker werden wollte. Wenn man etwas erreichen will, muss man aber selbst tätig werden – da kommt keiner und legt einem etwas in den Schoß, nur weil man so toll getanzt hat. Ich habe mich über die ihk um eine zweijährige Umschulung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik bemüht. Die Umstellung auf die Schulbank war nicht leicht – den ganzen Tag sitzen, lernen und zuhören, wenn man zuvor immer in Bewegung war. Aber es hat sich gelohnt: Inzwischen habe ich meinen Meister gemacht und konnte das Lichtkonzept für die Produktionen »Schneewittchen« und »Die ­verkaufte Braut« umsetzen.

Richtig ­vorbereiten kann man sich auf den Abschied nicht.

Bevor wir ­ Tänzer sind, sind wir Menschen. Nicola Miritello Tänzer am Ballett der Musikalischen Komödie

Ein Tänzer stirbt immer zweimal: das erste Mal, wenn er nicht mehr tanzen kann und dann im echten Leben. Häufig habe ich mich gefragt, was ist ein Tänzer, wenn er nicht mehr tanzen kann? Ich habe immer gedacht, ich kann nur tanzen, das ist meine Leidenschaft, mein ganzes Naturell. Doch das stimmt nicht. Bevor wir Tänzer sind, sind wir Menschen. Es gibt so vieles, was ich durch das Tanzen gelernt habe: Ich kann viele Sprachen sprechen, bin kommunikativ, habe viel Disziplin. Trotzdem fiel es mir lange schwer, mir einen anderen Beruf vorzustellen. Das Thema Transition beschäftigt mich noch nicht so lang, aber mit zunehmendem Alter immer mehr. Wenn einmal der Tag kommt, an dem ich nicht mehr gern auf die Bühne hinausgehe, mein Körper nicht zu 100 Prozent präsent ist, dann möchte ich aufhören. Ich will nicht auf der Bühne stehen, bis ich 70 bin, weil ich meinen eigenen Ansprüchen nicht mehr genügen könnte! Doch ich möchte den Kontakt zum Theater nicht verlieren. ­Daher mache ich zurzeit ein Praktikum an der Oper Leipzig im Bereich Organisation. Gerne würde ich nebenbei studieren, aber das lässt sich mit unseren Arbeitszeiten leider nicht vereinbaren. Ich persönlich wünsche mir daher auch eine Offenheit vom Theater, die Berufe am Haus an die Tänzer weiterzugeben: Vielleicht werden sie der nächste Choreograf, Ballettmeister oder Inspizient …


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DR E IKL ANG # 03

Routine hat etwas Beruhigendes. Gerade in einem Kreativ-Job wie ... aber Überraschungen bringen den Spaß ins Haus! Nun habe ich meinem gibt Routine das Gerüst, damit all meine vielen Tätig­ da ja eine privilegierte Position durch meinen Job und die v ­ ielen keiten und Projekte mir nicht um die Ohren fliegen. Es kann bei diversen Dinge, die ich tue. Doch gerade bei so einem reichen, mir sein, dass ich am selben Tag ein erstes Meeting als Geschäfts- aber eng getakteten Job ist es immer sehr interessant, wie man mit führer des Quatsch Comedy Clubs habe, Finanzen durchschaue, Überraschungen umgeht. Gerade das oben angeführte Beispiel Werbung begutachte und Ticketsysteme bewerte, danach einen mit dem ausgefallenen Zug oder Flieger zum Job (passiert ja Text für die große MuKo-Gala »MuKo Magic« vom Englischen ins leider immer öfter …) ist spannend: Wie oft sehe ich gestresste Deutsche umtexte, danach ein InterBusiness-Leute um mich herum, für view über mein neues Buch »­Netter die gerade eine Welt zusammen­ is Better« gebe und am Abend eine bricht. Im Reinbrüllen ins Handy Gala moderiere. Wenn ich dazwisteigern sie noch ihr Adrenalin und schen nicht Momente der Routine die arme Mitarbeiterin am anderen hätte, würde ich durchdrehen. Diese Ende der Leitung, die jetzt den nächsMomente können aber äußerst unterten Zug oder Flug buchen muss, schiedlich sein: Ausschlafen ist zum erlebt diese spontane Änderung des Beispiel ein routinierter Luxus, den Tagesplans ihres Chefs als Tsunami. ich mir oft leisten darf. Danach ein Ich gehe genau umgekehrt mit einer eher langsamer Start in den Tag – solchen Unterbrechung meiner länger frühstücken, Zeitung lesen, Routine um – ich nutze die quasi baden und sich so langsam an das verordnete Pause, um mir mal wieArbeitspensum heranarbeiten. Denn der die echte Welt um mich herum ich weiß: Sobald ich mein E-Mailanzuschauen. Die Menschen neben Fach öffne, ist es mit der Routine mir. Den Himmel hinter dem Fensvorbei! Nun kann alles ­passieren: ter. Und ja – das Personal der Bahn dringende Telefonate mit dem Ma­ oder des Fliegers, das gerade dasnage­ment, ausgefallene Zug- und selbe Adrenalin unserer Business-­ Flugverbindungen zum Gig, Krank»Herrenmenschen« abbekommt wie meldungen im Team, und und und … deren Sekretärinnen. Und da hat Der wichtigste Routine-Bringer in sich schon oft ein nettes Gespräch dem nun folgenden Arbeitstag sind entwickelt. Oder ein Tipp: »Gehen Sie meine Sporteinheiten, die ich bedoch mal zu dem oder dem CoffeeThomas Hermanns handele wie Geschäftstermine und shop, dessen Kaffee ist um Welten über Lust und Frust der Routine sklavisch einhalte. Ohne mein Yoga, besser als der hier in der Lounge … mein Hanteltraining und meine aber pssst.« Der Kontakt zu MenLauf­-einheiten kommt kein Rhythmus in meine Woche. Schließ- schen, die man nicht kennt, ist für mich die angenehmste Unterlich der wichtigste Teil der täglichen Routine: möglichst zur glei- brechung der Routine. Und gleichzeitig treffe ich so auch mal chen Zeit an jedem Arbeitstag einschlafen, damit der Körper sich wieder direkt mein Publikum, die Menschen, für die ich ja meine auskennt. Gerade beim Thema Schlaf ist Routine oberste Pflicht, routinierte Arbeit mache. das wissen inzwischen nicht nur alle Schlaf­forscher. Also: Routine baut das Gerüst des Lebens ...

Ohne Routine keine Kreativität –

Ohne ­ Überraschung keine Intuition!

Fazit: Ohne Routine keine Kreativität, aber ohne Überraschung keine Intuition!

Z UR PE RS O N

Thomas Hermanns, deutscher Fernsehmoderator, Komiker, Drehbuchautor, Regisseur und Gründer des Quatsch Comedy Clubs, ist seit seiner Inszenierung von »Hape Kerkelings Kein Pardon – Das Musical« ein Fan der Musikalischen Komödie Leipzig und konzipiert für das Ensemble die Revue »MuKo Magic«, ein großes MuKo-Wunschkonzert. ­Premiere ist am 15. Mai 2020 im Westbad.


ZUGABE

Unterwegs mit

Nora Lentner Als Künstler kann man sich die bedeutenden Momente auf der Bühne oft nicht aussuchen. Sie fallen, wie sie möchten. Manchmal geht man entspannt seinem Arbeitsalltag nach und manchmal ­ballen sich dann die schönen Ereignisse auf ­engstem Raum. So erging es mir in den ersten zwei Wochen des Aprils.

erarbeiteten wir eine kammermusikalisch arrangierte Fassung der Mahler/RückertLieder sowie der Walzergesänge op. 6 von Zemlinsky.

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… da ich am Tag nach der Premiere eine Liedermatinee im Mendelssohn-Haus ­Leipzig gemeinsam mit meiner Pianistin Klara Hornig gestalten durfte.

Nach dem Konzert sind wir total ­beglückt! Leipzig 01.04. 2 019

Zwei freie Montage ermöglichten mir dieses spannende französische Mini-Abenteuer.

Die Endproben zu unserer Premiere »Das Feuerwerk« waren in vollem Gange, … Ein wahres Kontrastprogramm für Stimme und Kopf. Danach huschte ich noch schnell zurück ins Theater für eine Nachmittagsvorstellung »Das Feuerwerk«.

Leipzig 0 6 .0 4 .20 1 9

Paris 02 .04. 2 019

Zurück in Leipzig steht zunächst eine ­Vorstellung von Bernsteins »On the Town« auf dem Programm.

Wie gesagt, man kann es sich ­manchmal nicht aussuchen, wie die Erlebnisse ­fallen, und doch bin ich mehr als dankbar für ­jeden einzelnen tollen Moment dieser ­intensiven und bereichernden 14 Tage. Darum geht’s ja schließlich …

… gleichzeitig durfte ich in die seelentiefe Musik Mahlers eintauchen.

Z U R PE RS O N

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Der Veranstalter »Sinfonietta ­Paris« brachte mich für ein Konzert mit dem französischen Quartett »Quatuor Tschalik« zusammen und gemeinsam

Parallel zu den Haupt- und ­General­proben und schlussendlich der Premiere von »Das Feuerwerk« arbeitete ich an den ­zarten Liedern Clara Schumanns und Fanny Hensels, …

Nora Lentner wurde in Coburg geboren und studierte an der Universität der Künste ­Berlin. 2013 debütierte sie mit dem Deutschen Sinfonie Orchester in Berlin. Gastauftritte führten sie ans Staatstheater Cottbus, die Wanderoper Brandenburg, zu den Schlossfestspielen Wernigerode sowie den Seefestspielen Mörbisch. Seit 2014 ist Nora Lentner Ensemblemitglied der Musikalischen K ­ omödie. Partien 2019/20 im Westbad u. a. Sängerin in »Spiel mir eine alte Melodie«, Brief-­Christel in »Der Vogelhändler«, M ­ artha in »Kuss der Spinnenfrau«, Miss Grant in »Die Juxheirat«, Sopran in »MuKo Magic«. Außerdem Dorothee in »Der Zauberer von Oss«, V ­ alencienne in »Die lustige Witwe«.

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DR E IKL ANG #03

­Musikalische Brücken­schläge Von der Kunst des Übergangs bei Wagner, Strauss, Berg und anderen Komponisten TEXT: PR O F. ULF S CH I R ME R

Allgemein formuliert kann man einen Übergang als e­ twas ­bezeichnen, das von einem vorläufigen Seinszustand in einen anderen überführt. Auf die M ­ usik bezogen könnte das ­heißen: Wie komme ich in einem Musik­stück von einem in sich stimmigen Abschnitt zu einem neuen, vielleicht auch gegensätzlichen? Was spielt sich in einem solchen Übergang ab?

Wie wurde und wird in unterschiedlichen ­Kunstrichtungen und Zeiten mit Übergängen umgegangen?

Autograph der Partitur von Richard Wagners »Tristan und Isolde«

Bei Wagner liegt die »Kunst des Übergangs« darin, lange ­Abschnitte zu einer dauerhaften Durchführung zu machen. Lang­ währende Prozesse der Umformung entstehen, bei denen man nicht mehr unterscheiden kann, ob es sich um einen Übergang zu einem neuen poetischen Feld handelt oder ob das verbindende Element einen Eigenwert bekommt. Hier werden keine starren Formteile miteinander verbunden oder kontrastiert, sondern das eine geht aus dem anderen hervor. Das kommt besonders in »Tristan und Isolde« zum Tragen. Darin komponiert Wagner eine Folge von gleichartigen Abschnitten auf v ­ erschiedenen Ton­ stufen. Mit diesem Verfahren füllt ­Wagner enorme Zeitstrecken. Diese Sequenzen emanzipieren sich von ihrer ­reinen Übergangsfunktion und verselbständigen sich zu etwas ­anderem. Manchmal verwendet Wagner Umspielungen und Ausschmückungen, um einen im Hintergrund l­ aufenden, eher schlichten harmonischen Prozess zu verschleiern. Die ­raffinierten Übergänge finden dann an der Oberfläche statt. Beim späten Beethoven fällt, besonders in seinen Streichquartetten, ein Verfahren auf, bei dem der Übergang in den Fokus gerückt wird, weil etwas anderes kommt als erwartet. Auch in seiner letzten Klaviersonate Nr. 32, op. 111 gibt es einen A ­ bschnitt, wo quasi leere Oktaven erklingen. Das ist keine Musik im eigentlichen Sinne mehr, sondern funktioniert nach dem Motto: Das wäre eine Stelle gewesen, wo man einen Übergang hätte machen können. Ähnliches findet man


ZUGABE

in Mozarts »Zauber­flöte«, wenn im Finale des ersten Aktes ­Pamina und ­Papageno »Schnelle Füße, rascher Mut« singen. Der ­Hörer wird dadurch direkt darauf gestoßen: Jetzt kommt etwas anderes. Ich möchte noch ein Beispiel herausgreifen, das mir menschlichpsychologisch sehr einleuchtet: die Kunst des Übergangs bei R ­ ichard Strauss. In Zusammenhang mit seiner ­sogenannten »Nervenpolyphonie« tritt ein besonderes k ­ ompositorisches Verfahren zutage. Von einem Seelenzustand leitet er in einen ­anderen über, wobei eine Art »Restkomposition« entsteht. Während sich bereits das Neue abzeichnet, tauchen immer noch schattenhaft Motive aus dem vorigen Komplex auf. Ganz ähnlich funktionieren unsere Nervenzellen. Wenn wir zur Ruhe k ­ ommen, schießen Gedanken, Erinnerungen oder Sorgen durch unsere Köpfe. Diesen psychologischen Vorgang hat Strauss mit feinsten Mitteln nachgestaltet. Etwas Neues, das noch nicht da ist, klingt bereits und weht herein, während das Alte noch nachschwingt. Er hat hier ein modernes Verfahren kreiert, bei dem Bewusstseins­ ströme musikalisch nachgebildet werden. Auch Alban Berg war ein Meister des Übergangs. Er hat enorm viel Sorgfalt darauf verwandt, verschiedene musikalische ­Abschnitte miteinander zu verbinden. In der »Lyrischen Suite« oder in »Lulu« findet man viele Beispiele dafür. Hier gibt es, ähnlich wie bei Wagner, Abschnitte, in denen ein permanenter Übergang stattfindet. Bei der »Lulu«-Filmmusik, speziell im Ostinato, wirken die einzelnen Formteile wie ein riesiger Aufwuchs und Abbau. Die ganze sogenannte »Monoritmica« im ­ersten Akt von »Lulu« könnte man als Übergang mit unmerklichen beständigen Rückungen bezeichnen. Das ist ein Phänomen, mit dem Berg die Romantik übersteigert. Dem Übergang könnte man den Abbruch gegenüberstellen. Während ein Übergang verbindet, werden hier zwei Dinge kontras­ tiert, ohne miteinander verbunden zu werden. In Strauss’ »Capriccio« sind Übergänge unvermeidbar, da er die durchkom­ ponierte Großform verwendet. Innerhalb dieser Großform setzt er jedoch sehr starke Schlüsse, da er sich um ein historisie­rendes Bild bemüht. Wenn man an die Tänze denkt, die Arien der ­italienischen Sänger oder die Ansprachen, sind das im Grunde genommen geschlossene Formen innerhalb der durchkom­ ponierten Großform. Gerade durch die Abwesenheit von Übergängen rückt hier das Thema Übergang in den Fokus, da man innerhalb einer durchkomponierten Oper die fehlenden Verbin­ dungen als Leerstelle empfindet. Auch Bruckner hat keine ­Übergänge im eigentlichen Sinne geschaffen. Er entwickelte ein Verfahren, bei dem er verschiedene Formteile gegeneinanderstellte. Durch die von ihm verwendete Harmonik kommt das zwar sehr dynamisch daher, aber im Grunde schafft er Blöcke ohne Übergang.

Wenn ich über Übergänge im ­Leben, abseits der Musik, ­nachdenke, stelle ich mir schon die Frage, ob es so etwas wie Übergänge überhaupt gibt. Vielleicht ist alles, was wir erleben und wahrnehmen, sind alle Dinge, alle Begegnungen, alle Ereignisse gleichwichtig und der Begriff des Übergangs ist nur ein Hilfsmittel, um eine Gewichtung zu schaffen, um Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Ich habe darauf allerdings noch keine Antwort gefunden.

P l atz h al te r

Doreen Krüger, 30, aus Leipzig Welches war Ihr erstes »MuKo-Erlebnis«?

Das Musical   Jekyll und Hyde   – ein Geschenk meines damaligen Freundes. Seitdem habe ich mit meiner Jungen Oper Leipzig Card nach und nach fast das gesamte Repertoire für mich entdeckt. Was ist für Sie das Besondere an der ­Musikalischen Komödie?

Das Familiäre. Wenn ich den Saal betrete und es nach MuKo riecht, fühle ich mich sofort willkommen. Worauf sind Sie in der Spielzeit im ­Westbad gespannt?

Neugierig bin ich auf den Spielort, den ich so noch nicht kenne. Und ich freue mich besonders auf   Das Land des Lächelns   von Franz Lehár. Welche Produktion möchten Sie nach dem Umbau unbedingt sehen?

Wenn ich es mir wünschen könnte:   Doktor Schiwago    – für mich das Glanzstück der letzten Jahre. Sehr freuen würde ich mich auch über mein Lieblings-Musical   The Scarlet Pimpernel   von Wildhorn.

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TE XT: U WE MÖL LE R

Der »Rosenkavalier« einmal anders erlebt

Mit Holz­s plittern in den Feierabend

Per spe kt i vwe ch s el

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Bei Dienstbeginn stehe ich anfangs etwas verloren in der Gruppe der Kolleginnen und Kollegen. Man klärt mich über die Gefahrensituationen auf: Beim Umbau vom ersten zum zweiten Aufzug sind die Podeste heruntergefahren, da muss ich aufpassen.

Doch nun tausche ich die Tastatur mit dem Akku­ schrauber und lasse mich ausgestattet mit Arbeits­ schutz­schuhen und einer großen Portion Neugier auf das Abenteuer Perspektiv­ wechsel ein.

Erst in drei Stunden werden die Solisten, der Chor, die Musiker des Gewandhausorchesters, der Kinder­chor und die Statisterie Teil des Gesamterlebnisses Oper werden, das ich heute von einer ganz anderen Seite erleben darf: Nach vielen Jahren auf und an unterschiedlichen Bühnen in Deutschland und Europa werde ich nun zum ­ersten Mal in einer Schicht der Bühnentechniker mitarbeiten. Mein eigentliches Aufgabengebiet an der Oper Leipzig liegt in der Leitung der ­Abteilung Marketing, Öffent­lichkeitsarbeit und Vertrieb. Eine gutbesuchte Vorstellung macht mich zufrieden.

Was ich nun erleben darf, ist eine tiefe Verbeugung vor der Kunst.

über die unter­schiedlichen Aspekte aus, die für uns zu einer erfolgreichen Veranstaltung gehören und wie gut es wäre, einmal die Aufgaben der ­Anderen zu v ­ erstehen. Einmal den Arbeitsalltag mit anderen Augen sehen, die Dinge aus einem ­anderen Blickwinkel betrachten und erleben. Daraus entstand die Idee dieses Perspektivwechsels.

Die riesige Bühne gehört zu diesem Zeitpunkt ganz Man kennt sich, und trotzden Kolleginnen und Kollegen dem ist es jetzt etwas anderes ­ der Technik, Beleuchtung, mit­einander zu arbeiten. Maschinerie, Ton, Dekoration Wenige Monate zuvor: In einem Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen und Requisite. ­Abteilungen des Opernhauses tauschen wir uns

Auf dem Spielplan steht für diesen Abend »Der Rosen­kavalier« von ­Richard Strauss. Das auf­ wändige Bühnenbild ist zum großen Teil bereits während der Frühschicht aufgebaut worden. Die Mitarbeiter­innen und Mitarbeiter der Beleuch­ tungsabteilung richten gerade das Licht ein. ­Staffelübergabe. Auf der Seiten­bühne des Opernhauses bespricht der Bühneninspektor mit den Bühnenmeistern den Stand der Aufbauarbeiten sowie die Um- und ­Abbauten des Bühnenbildes der Vorstellung.

Samstag, 15.30 Uhr. ­­­ Schicht­wechsel bei den Bühnen­technikern der Oper.

Samstag 23.00 Uhr. Acht Stunden nach Dienst­ beginn bin ich glücklich über eine neue Erfahrung – und um einige kleine Holzsplitter in den Fingern reicher. Der Akkuschraubendreher steht wieder an seinem Platz, und ich habe großen Respekt vor der täglichen Arbeit der Kolleginnen und Kollegen.

Der zweite Adrenalinstoß durch­­fährt mich, während ich einen Teil des gerade auf der Bühne bespielten Zimmers bei laufender Szene im richti­gen Moment von der Bühne fahre. Hier muss vor allem das T ­ iming stimmen!

Während des zweiten Aufzuges wird auf der Seiten­bühne das Zimmer aus dem ersten Aufzug demontiert und für den Abtransport ins Lager vorbereitet. Dazu wird der eiserne Seitenvorhang heruntergelassen. Auf gefühlt engstem Raum zerlegen wir dieses Zimmer unter den genauen ­Anweisungen des zuständigen Seitenmeisters in seine Einzelteile. Eine »Tetris«-­Strategie unter Zeitdruck und mit viel Umsicht ist nötig, um neben dem Zerlegen auch die »Portionsgröße« für den Abtransport auf den Roll­wagen im Blick zu behalten.

Nun komme ich zum Einsatz:

Mit großer Sensibilität und immer die Künstler­ innen und Künstler der Vorstellung im Fokus ­behaltend, werden die bühnen­technischen Arbeiten beim »Rosenkavalier« aus­geführt. Der Aspekt der Sicherheit steht immer im Vordergrund. Die Handgriffe sind geübt und eingespielt, es ist bereits die 34. Vorstellung dieser Inszenierung.

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DR E IKL ANG #03

Eine Musiktheaterproduktion zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution auf die Beine zu stellen, legte die Vermutung nahe, dass »Leichtigkeit« als Grundstimmung nicht zu erwarten war. Und was sollen Menschen darüber berichten, die vor 30 Jahren noch nicht geboren waren? Schnell wurde uns, Sophie Bauer als Leiterin des Kinder- und

Jugendchores der Oper Leipzig und mir als Autorin und Komponistin des Musiktheaterprojekts, eines klar: Wir erreichen die jungen Leute, wenn wir sie mit sich selbst konfrontieren. Diese Erkenntnis führte zu dem Entschluss, eine Situation im Hier und Jetzt zu erschaffen – Jugendliche von heute treffen sich zu einer Geburtstags­party am Fluss. Aus dem Party-Gedanken ergab sich sofort auch der Musik­stil. Trotz des U-Musik-Grundtenors stellte sich aber auch die Kombination mit einem klassisch angehauchten A cappella-Chor und der Musik M ­ endelssohns als sehr reizvoll dar. Für mich als Autorin und Komponistin der meisten Musikstücke eine herrliche Aufgabe, da ich gern verschiedene Genres kombiniere. Immer wieder schafft die Musik Räume, in denen Szenen die ddr-Vergangenheit bis hin zur Wende mit all ihren Facetten lebendig werden lassen.

WA H RHE ODE IT PFL R ICH T Ein P d e s r o b e n­r ü Juge c n d ­c h k b l i c k Ope ores r Le ipzig der


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»Wahrheit oder Pflicht« war eine große Herausforderung für alle Spieler, denn sie mussten einem fortlaufenden Handlungsstrang folgen und innerhalb von einer guten Stunde vermitteln, dass acht Stunden der Feier vergehen. Zusätzlich bewegen sie sich in anderen Zeiten und Umständen. Diese Herausforderung haben sie als Gruppe angenommen und wir sind gemeinsam daran ­gewachsen. Auch wenn es wie eine Floskel klingt, selten habe ich einen Zusammenhalt mit solch großer Intensität erlebt wie in dieser Produktion mit all den wunderbaren Kolleginnen und Kollegen. Und am Ende hörte ich zum Rhythmus von »Wir sind das Volk« manchmal »Wir sind das Team« heraus. MARI A H I N Z E, AU TORI N U N D KOMP ON I ST I N VO N »WA H RH EI T OD E R P FLI C H T «

Bei der Erarbeitung von »Wahrheit oder Pflicht« fand ich es besonders spannend, wie die Darstellung des historischen Verlaufs der ddr bis heute inszeniert wurde. Die sogenannte »Schul-Szene« ist eine Gegenüberstellung von typischen (teilweise überspitzten) Situationen in einer ddr-Grundschule, einer Grundschule in den 90ern und einer Oberschule der aktuellen Zeit. Sie verdeutlicht für mich nicht nur die Entwicklungstendenzen der letzten dreißig Jahre in der Gesellschaft, sondern zeigt auch (vor allem im letzten Drittel) perspektivisch neue Herausforderungen und Probleme auf. Gerade das finde ich besonders wichtig, da bei ddr-HeuteVergleichen oft zu kurz kommt, dass es uns dreißig Jahre nach dem Mauerfall nicht unbedingt besser geht. Wenngleich viele alte Sorgen und Probleme verschwunden sind, gibt es heute neue, um die wir uns kümmern müssen. JO N ATH AN L AUC H

Ich habe das Projekt »Wahrheit oder Pflicht« zum einen als Heraus­forderung, zum anderen jedoch als Anstoß zum Nach­ denken aufgenommen. Für unsere Generation ist es schwer vorstellbar, wie sich das Leben in der ddr angefühlt hat. Wir können uns nur auf die Erzählungen anderer stützen. Daher ist es umso wichtiger, dass solche Projekte initiiert und durchgeführt werden. Doch trotz der ernsten Thematik fühlten sich die Proben lebendig an, was sicherlich auf die Mischung von Professionalität, Kreativität und – nicht zu vergessen – Freude zurückzuführen ist, die nicht nur von den Leiterinnen des Jugendchors, sondern von allen Mitwirkenden ausgestrahlt wurde. CL AUDI US DO KTOR

»… und dann fiel die Mauer und alles war gut.« So ähnlich endete meine schulische Auseinandersetzung mit deutscher Teilungsgeschichte. War dann ja auch alles gegessen, alle konnten überall hinfahren und das ist ja super. Aber seitdem ich, gebürtig aus Stuttgart kommend, in Leipzig wohne, ist es irgendwie gar nicht mehr gegessen. Mir läuft das Thema ddr plötzlich ständig über den Weg und irgendwie wird man gezwungen, sich damit auseinander­zusetzen. Woran liegt das, dass ein Thema aus den verschiedenen Richtungen so unterschiedlich mit Bedeutung und Relevanz aufgeladen ist? War denn eventuell doch nicht alles sofort in Butter, nachdem die Mauer gefallen ist? Hat da ein Teil von Deutschland etwa vergessen, dass zur Gemeinschaftlichkeit auch gehört, der anderen Seite zuzuhören und deren Geschichte gleichwertig anzuerkennen? FA B IA G R E V E

DER JUGENDCHOR DER OPER LEIPZIG Der Jugendchor wird in Opernproduktionen eingesetzt, tritt aber auch als Konzertchor oder in eigenen Musiktheaterproduktionen wie »Warehouse Life«, »Jakob und der König vom Siebenmalsiebenland«, »Häxan« oder »Musi­ ka­lische Tötungsdelikte« in Erscheinung. Ein Höhepunkt war auch der Austausch mit dem Boston Youth Symphony Orchestra im Jahr 2018. Für viele Jugendliche bildet er einen wichtigen Übergang zur professionellen Musikerlaufbahn. PR O B E N Z E IT E N

Di & Do 19:15 – 21:30 KO N TA K T

Josephine Rozlach kinderchor@oper-leipzig.de


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DR E IKL ANG #03

Bei Projekten wie diesem können wir als Chor unsere Vielseitigkeit unter Beweis stellen. Die Verschmelzung der verschiedenen Genres in dem Stück weckt bei mir als passionierte Musical­ gängerin eine hohe persönliche Motivation. Unsere Sprech­ wissenschaftlerin, Katharina Nürnberger und die Choreografin, Undine Werchau, setzten uns (neben dem Singen) stets sehr hohe Ziele, um uns aus der Komfortzone zu locken. Wir sind junge Menschen, die kaum Berührungspunkte mit der ddr haben. Aber durch unsere Eltern leben Geschichten weiter, die erzählt werden wollen. Wir erzählen von Überwachung, Geheimnissen und Ängsten; durch die rasante Entwicklung in der Technik sowie bei den Medien ist das greifbarer denn je. Uff! Das klingt nach schwer verdaulicher Kost, die schnell die Laune herunterziehen kann … Und nun, wie war’s? Wir haben eine großartige Gruppen­dynamik entwickelt, die sich deutlich in der Spielfreude und einem ­harmonischen Miteinander niederschlägt. Bis zur letzten Probe vor der Premiere passierte noch so viel mit uns und mit dem Stück, dass es einfach Spaß macht, gemeinsam »Wahrheit oder Pflicht« zu spielen. JUL IA GEN S EL

Wahrheit oder Pflicht Jugendchor der Oper Leipzig LEI T U N G & BESE TZU N G

Musikalische Leitung Maria Hinze, Sophie Bauer Inszenierung Maria Hinze, Sophie Bauer, Jugendchor Choreografie Undine Werchau Sprecherziehung Katharina Nürnberger Kostüme Clara Leithold Ton Alexander Kluge Licht Clara Leithold Sprecher Thomas Dehler Keyboards Maria Hinze Bass Jacob Müller Drums Hannes Malkowski T E RMI N E

7. & 8. Okt. 2019, Moritzbastei

G ut g e s ag t

» Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel. « Charles Darwin

Das Leben ist schon lange kein ruhiger Fluß mehr, es findet im Zeitraffer statt durch immer mehr parallel laufende Prozesse, denen wir täglich begegnen ­müssen. Immer neue Herausforderungen. Deshalb müssen wir stets auf dem Laufenden sein, die Ströme der Zeit erkennen und mit ihnen schwimmen oder uns von ihnen mitreißen lassen. Dabei sein ist alles, immer auf der Höhe der Zeit. Aber was ist, wenn innere Veränderungen nach ­Äußerung verlangen, wenn Lebensphasen erreicht werden, die bewältigt werden müssen? Wenn ein »Weiterso« nicht mehr funktioniert, wenn Lebens­ situationen einfach nicht mehr passen wollen? Wenn wir auf der Stelle treten? Es ist der Augenblick, der dazwischen liegt, wenn das Alte hinter uns liegt und das Neue noch nicht da ist, ein Unterwegssein im Ungefähren … im Übergang. Übergangszeiten haben einen schlechten Ruf, wir ertragen sie als lästiges Übel, aber wirklich willkommen sind uns solche Zeiten nicht. Winter ist okay, Frühling ist schön … aber dieser Wettermischmasch dazwischen? Wer will schon weder Fisch noch Fleisch sein? Dieses Dazwischen ist kein Stillstand, sondern Aufforderung zum In-sich-hineinhören und zur Achtsamkeit beim Richtungswechsel oder Weitergehen. Es bedeutet kein Ausweichen vor Herausforderungen, es verlangt Bereitschaft zum aktiven Gestalten. Übergänge sind keine Krisenzeiten und wenn doch, dann sollten solche Krisen nicht ungenutzt vorbeigelassen werden. »it’s a crime to waste a crisis« , sagt die amerikanische Zukunftsforscherin Hazel Henderson!

KO M M E N T IE RT VO N

Uwe Möller Direktor Marketing und Vertrieb


ZUGABE

Um di e E c ke g e d a cht

1. Jetzt schon 30 Jahre her, der 9 der … 2. Verwandte von schottischem Philosophen? Inszenierte bei uns u. a. einen echten Opern-3. 3. Klingt brutal, ist aber meistens nur gewaltig eingängig. 4. In diese geriet er beim Komponieren des 18, wie sein Name verrät. 5. Eine verstohlene besingt 8. 6. Er klingt in seiner französischen Heimat wie ein kleiner Schritt, obwohl er bestimmt viele größere tanzte. 7. Durchfahrt, verdrehter Held von 14, Beginn von Neuorientierungs­programm für Tänzer. 8. Klingt wie Kreuzung aus vermisstem Clownsfisch und gekürztem Nashorn, ist aber ein unglücklich verliebter Opernheld. 9. Der war oft knapp bei Kasse. Klarer … 10. Ein doppelt harter Kerl mit flatter­ haftem Freund. 11. Bei unserem Kinderchor Titel-Drittel neben zwei Elementen. Bei Shakespeare ganzer Titel.

12. Mutet traditionell an, wurde aber für die Leinwand erfunden, wird bald auch im Westbad getanzt. 13. Dort trägt man gerne Hüte in der verdrehten Puccini-Diva. 14. Dichter, dessen Epos Wagner zur »Handlung« anspornte. Geheime Hauptstadt Europas. 15. Anmutig bei Saint-Saëns, schwarz und weiß bei Tschaikowski, gebraten bei Orff, geliebt bei Wagner. 16. »In des Welt-Atems … All ertrinken, versinken« 17. Der geht demselben Beruf nach wie Adam, aber in einem anderen Stück. 18. Verhängnisvolle Flüssigkeit bei Wagner und Donizetti. 19. Immer wieder ein tierisches Vergnügen, auch ohne Kostüme. 20. Arbeitete als Jurist, bevor er Operetten komponierte. In seiner österreichischen Heimat heißt er wie Knollensellerie. 21. Wer sich den Namen der Schlafenden genauer anschaut, entdeckt darin wie sie bewundernd genannt wird.

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Die Lösung ­können Sie auf ­unserer a ­ r-Ebene aufrufen.

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DR E IKL ANG #03

»Durch den Filter von Auge, Geist und Hand« Der Leipziger Künstler Jörg Ernert begleitete über Jahre die P ­ roben an der Oper Leipzig. T E XT: C H R IS T IA N G E LT IN G E R

Spiegel, 2018

Es ist ein hochsensibler Moment, voller innerer Anspannung und Konzentration, der Augenblick kurz vor dem Auftritt, wie ihn der Leipziger Künstler Jörg Ernert in einem seiner Bilder eingefangen hat, die er von Februar bis Mai 2019 in der Leipziger Kunsthalle G2 unter dem Titel »Lichtprobe« ausgestellt hat. Schon seit einigen Jahren sitzt der schweigende Gast als stiller Betrachter auf zahlreichen Proben im ­ Leipziger Opernhaus. Normalerweise ist die Anwesen­heit von Nichtbeteiligten bei Proben ein absolutes Tabu. Es ist jener geschützte Raum, an dem sich das Innerste nach Außen kehrt, wo probiert wird und wieder verworfen, ein Ort der Überwindung von Selbstzweifeln, ein Stadium des Unfertigen und des vorsichtigen Herantastens und Wachsens an einer Rolle. Es ist wie bei einem Kind, das ein Bild malt und sich dabei nicht gern über die Schulter schauen lässt.

Jörg Ernert darf diesen Moment erleben. Vielleicht liegt es daran, dass seine Arbeitsweise der Probenarbeit am Theater sehr ähnlich ist. Er entwirft und verwirft, ist auf der Suche, arbeitet in Schichten, bis ein Kunstwerk immer mehr Gestalt annimmt: »Für mich ist dabei der suchende Prozess von Interesse. Durch den Filter von Auge, Geist und Hand Momente festzuhalten, rasante Bewegungsabläufe, Endlosschleifen und Stille, um sich von den gezeichneten Realitätskürzeln überraschen zu lassen.« Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass der Künstler, der als Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig lehrt, sich gleichsam wie ein Chamäleon im Raum bewegt, ohne dass man ihn wahrnimmt: »In meiner Arbeit tauche ich immer wieder in Räume ein und werde ein Teil davon«, so Ernert bei einem Besuch im G2, wo er selbst Führungen durch seine Werke anbietet.


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Aus dem Skizzenbuch

»Mich interessieren Räume, ob das nun eine Kletterhalle ist oder ein Opernhaus.« Dabei gibt es meistens einen biografischen Bezug zu den Leipziger Stadt­ räumen. Gleichzeitig fällt auf, dass es sich bei seinen Orten oft um Räume handelt, die von Menschen ­belebt werden. Die Oper ist möglicherweise eine Remi­ niszenz an seinen Bruder, der in der Staatskapelle Halle engagiert ist. Es ist aber auch die enorme Wandelbarkeit dieses Ortes, die ihn inspiriert: »Es sind nicht nur die ständigen Lichtoder Kulissenwechsel, auch die Einsamkeit, bevor Künstler den Bühnenraum bespielen. Erstaunlich, wie nur ein Tänzer oder Sänger durch seine mitreißende Energie diese Leere ausfüllen kann, die Wände zum Klingen bringt, den Raum formt.« Wer die Bilder von Jörg Ernert ­betrachtet, wird feststellen, dass es nicht seine Absicht ist, einzelne Szenen festzuhalten. »Mir geht es weniger um das Erzählen von Geschichten.« Das könne die Fotografie oder der Film besser, so der Künstler. Es sind vielmehr die Momente dazwi­ schen, die ihn anregen und die aus unterschied­­lichen Perspektiven in seinen Bildern eingefangen werden: der Moment kurz vor dem Auftritt, der ­Augenblick, in dem ein Schweinwerfer scharf gestellt wird, die Atmosphäre am Morgen, wenn die Tänzer sich langsam für die Probe aufwärmen, oder die schöpferischen Pausen, in denen ein Orchestermusiker sein Instrument nachstimmt. »Oft liegt mein Fokus auf dem Dahinter, dem Von-der-Seite-Schauen. Nicht der Standpunkt des Regisseurs, nicht die Sichtachse des Publikums, nicht die fertigen Produktionen, sondern der geheimnisvolle Arbeitsplatz Bühne interessiert mich.«

Seit Januar 2016, als Ernert zum ersten Mal eine Probe besuchte, sind über 1000 Skizzen entstanden. Allerdings ist das Stadium der Skizze jener Moment, wo die eigentliche Arbeit des Künstlers beginnt: »Im Atelier werde ich zum Regisseur einer vollkommen neuen Szene, das lineare Gerüst der Vorzeichnung wird mit lichtdurchfluteten Flächen gefüllt, eigene Farbräume entstehen, denn die Farbe ist, so scheint mir, das stärkste Mittel für dieses Thema.« Und in der Tat sind die Bilder von Jörg Ernert eigenständige Kunstwerke. Der Zusammenhang zu den jeweiligen Stücken, aus denen die Situationen hervorgegangen sind, mag unbewusst mitschwingen, insbesondere wenn Ernert den ganzen Probenprozess von der Konzeptionsprobe bis zur Premiere miterlebt hat wie bei Gounods »Cinq-Mars« oder Strauss’ »­Salome«, ist aber im Grunde genommen für den ­Betrachter nicht wirklich entscheidend. Insofern sind die Bilder nicht nur für den Opernkenner von Interesse, sondern erzählen von einer großen Faszination für das Theater.

Aus dem Skizzenbuch

Strahler I, 2017

Oft liegt mein Fokus auf dem ­ Dahinter, dem ­ Von-derSeite-Schauen.


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DR E IKL ANG #03

Z U GABE

Fun d s tüc k e

Was uns sonst noch alles über den Weg lief

O RT E

G2 Seit 2015 gibt es die gemein­ nützig geführte Kunsthalle im ­Herzen der Stadt. Die ­Initiative hat sich die Förderung junger aufstrebender ­Künstlerinnen und ­Künstler zum Ziel ­gesetzt. In der dritten Etage gibt es einen ­großzügigen lichtdurch­ fluteten Ausstellungssaal, von dem aus man auch einen wunderschönen ­Ausblick auf die Thomaskirche ­genießen kann. Mehr unter: ­ www.g2-leipzig.de

ZAHLEN

BUCH

Hans-Ulrich Treichel »Tristanakkord« Suhrkamp 2000

479

Brücken und Stege hat Leipzig. Mehr Brücken als in Leipzig gibt es in Deutschland nur in Hamburg und Berlin.

JA H R ES TAG

Am 13. September wäre

Clara Schumann 200 Jahre alt geworden.

ZAHLEN

611

Meter sind es von der Musikalischen Komödie zum Eingang des Westbads, der Spielstätte der Saison 2019/20.

WO RT E

DV D

»Alexis Sorbas« (1964) 20th Century Fox 2006

All das ist ohne Wert, was nicht Aufstieg oder ­Übergang ist. Und wenn du ­innehältst, wirst du der Langeweile begegnen … Antoine de Saint-Exupéry


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D e tai l ve r l i e bt

Gewinnen Sie

2 TICKETS für die Premiere von »Dornröschen« am 29. Nov. 2019!

Aus welchem Stück stammt diese Detailaufnahme? Senden Sie die A ­ ntwort bis zum 31. Oktober 2019 per Mail an dreiklang@oper-leipzig.de oder postalisch an Oper Leipzig, Stichwort: Dreiklang, Augustusplatz 12, 04109 Leipzig.


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DR E IKL ANG # 02

Z UU GGA AB BE E

IM PR ES S UM

Herausgeber Oper Leipzig Intendant und Generalmusik­direktor Prof. Ulf Schirmer Verwaltungsdirektor Ulrich Jagels

Du si e hst a u s, wi e ich m ich f ü h l e  …

Redaktion Elisabeth Kühne (verant­ wortlich), Dr. Christian Geltinger, Uwe Möller, Dramaturgie & Marketing Texte Romy Avemarg, Dr. Christian Geltinger, Kathrin Göring, Thomas Hermanns, Maria Hinze, Stefan Klingele, Elisabeth Kühne, Nora Lentner, Urania Lobo Garcia, Nicola Miritello, Uwe Möller, Cornelia Richter-Dorndeck, Prof. Ulf Schirmer, Rita Süssmuth, Bianca Tognocchi, Sven Wieckhorst, Nele Winter, Dr. Heidi Zippel, Gabor Zsitva Fotos Felix Bielmeier (S. 19 – 21, 25), Natasa Dudar (S. 11), Maria Gollan (S. 4, 5), Monika Hoefler (S. 26, 30), Isabell Hoffmann (S. 14 oben, 16 – 18, 22 – 23), Anna-Lena Kaschubowski (S. 1, 29, 32 – 35), Tom Lange (S. 61), Nora Lentner (59), Karin Lovelius (S. 11), Florian Merdes (S. 65, 66), Jonathan Michie (S. 11), Kirsten Nijhof (S. 29, 53, 56, 57), Robert Raithel (S. 50, 51), Daniel Richwien (S. 45), Tom Schulze (S. 1, 46, 47), Elisabeth Stiebritz (Cover, S. 2, 12 – 13, 14 unten, 15, 24), Jan Voth (S. 11), Nele Winter (S. 31), Ida Zenna (S. 54, 56, 71, 72) Videos Felix Bielmeier (S. 20), Maria Gollan (S. 31, 45, 59, 60, 69), Elisabeth Stiebritz (S. 15), Daniel Wieland (S. 51) Illustrationen Stefan Mosebach S. 6 – 11, formdusche Gestaltung formdusche, Berlin Druck Löhnert Druck, Markranstädt Urheber, die nicht ermittelt werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten. S E RV ICE

Telefonische Kartenbestellung Mo – Sa 10:00 – 19:00 t +49 (0) 341 – 12 61 261 Abo-Service

… wenn ich aus der Spielzeitpause zurückkomme! Leipziger Ballett (Alessandro Repellini, Itziar Ducajú, Natasa Dudar, Ana Belén Villalba) in »Schwanensee«

t +49 (0) 341 – 12 61 296 Schriftliche Kartenbestellung Kartenwünsche können für die gesamte Spielzeit schriftlich bei der Oper Leipzig eingereicht werden. Die Bearbeitung erfolgt umgehend. Ihre Kartenwünsche richten Sie bitte an: Oper Leipzig, Besucherservice Postfach 100346, 04003 Leipzig Fax + 49 (0) 341 – 12 61 300 service @ oper-leipzig.de Kartenbestellung im Internet /  Print at home Online-Ticketkauf mit Ticket-Ausdruck am ­eigenen pc über unseren Webshop möglich: www.oper-leipzig.de Keine Vorverkaufsgebühren! (bei Gast­spielen kein Ticket-Ausdruck möglich).

Die nächste Ausgabe von »Dreiklang« erscheint im Februar 2020

Abendkassen Opernhaus eine Stunde vor Beginn der Vorstellung t +49 (0) 341 – 12 61 261 Westbad (Musikalische Komödie) eine Stunde vor Beginn der Vorstellung


L e tz te Wo r te

... ertrinken, versinken – unbewusst – höchste Lust! Isolde, Schlusssatz in »Tristan und Isolde«


www.oper-leipzig.de


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