Dreiklang N° 04

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DREI KLANG

No 4 –


ICH HABE GELERNT, DASS

MUT

NICHT DIE ABWESENHEIT VON FURCHT IST, SONDERN DER TRIUMPH DARÃœBER. Nelson Mandela


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A bg e s p e i c her t E di t o ri a l

Liebe Leserinnen und Leser, wie Menschen in der Vergangenheit auch unter Androhung härtester Repressalien für ihre Über­ zeugungen eingestanden sind, selbst um den Preis des eigenen Lebens, lässt uns heute bisweilen be­ schämt zurück. Wir fragen uns nicht selten, wie wir selbst in bestimmten Augenblicken reagiert hätten, ob wir selbst den Mut aufgebracht hätten, für uns und für andere einzustehen. Wie konnten Menschen wie der Komponist Viktor Ullmann unter unmenschlichsten Bedin­ gungen in den Konzentrationslagern von Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau ihrer Passion nachgehen? Welche Kraft lag in diesem Zusammenhang in der Kunst als Mittel des Überlebens? Welche Verantwortung haben umgekehrt die Künste in einer tota­ litären Gesellschaft? Glücklicherweise dürfen wir in einer Gesell­ schaft leben, in der jeder seine Meinung frei äußern kann, ohne von Seiten des Staates um Leib und Leben fürchten zu müssen, und in der der Staat die Rechte des Einzelnen in seiner Verschie­ denheit schützt. Es sollte nicht interessieren, woher wir kommen, woran wir glauben, welchem Geschlecht wir angehören oder wen wir lieben. Nichtsdestotrotz leitet sich daraus die Verantwortung ab, dem Anspruch, den unsere freiheitlich-demokratische Grund­ ordnung formuliert, in unserem persönlichen Alltag gerecht zu werden, in der Familie, am Arbeitsplatz, im Verein, in der Straßen­ bahn, auf dem Schulhof und natürlich auch im Theater. Die Oper Leipzig gehört zu den Erstunterzeichnern der Sächsischen Erklä­ rung der Vielen. Darin bekennen sich zahlreiche Institutionen aus Wissenschaft und Kunst zu gesellschaftlicher Vielfalt, Welt­ offenheit und gelebter Demokratie, zum offenen Dialog und zur Solidarität mit Menschen, die an den Rand der Gesellschaft ge­ drängt werden. Eine Aufgabe, die jeden Tag aufs Neue beginnt. ­Erfreulicherweise liefert die Vergangenheit auch viele Vorbilder für Haltung und Zivilcourage. In diesem Sinne: Nur Mut!

Was wir vor dieser Ausgabe noch nicht wussten … Mit dem Wort »Mut« ­ urden ursprünglich ver­ w schiedene Gemütszustände und Gesinnungen wie »frohgemut« oder »wohl­ gemut« bezeichnet. E L ISA B E T H KÜ HNE

Als die Ära des Farbfern­ sehens begonnen hatte, wurden die Träume ­zu­sehends bunter, ­davor ­waren sie eher schwarz-weiß. J U L IE T T E CH O F F L ET

Nicht nur Mozart war ­bekennender ­Freimaurer. Auch Albert Lortzing war Mitglied der Leipziger ­Freimaurer-Loge »Balduin zur Linde«. E V E LY N R ICHTER

Zw i s c h e n s t o pp

Wo wir für diese ­Ausgabe waren

Hut- und Putzmacherei der Oper Leipzig P ROF. U LF SC H I RM E R I N T E N DAN T U N D G E N E RALMU SI K D I R E K TO R

90. Grundschule in Leipzig-Grünau


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DR E IKL ANG # 04

INHALT 4

Wann h ­ aben Sie Mut bewiesen? Umfrage

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Lampenfieber Unsere Tipps von den Profis

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Leben? Oder Theater? Der Künstler und seine Haltung zur Gesellschaft

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­Brauchen wir neue Helden? Dieter Thomäs Plädoyer für einen ­zeitgemäßen Heroismus

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Lamento Abschied, Trauer und Hoffnung in Mario Schröders neuem Ballett

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Los vom Fest oder Mann! frei? 33

Bass Sebastian Pilgrim über das Für und Wider des Ensembledaseins

Wie Lehárs »Juxheirat« und das Musical »Kuss der Spinnenfrau« mit verstaubten Rollenmustern aufräumen.

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Adna ist neu

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Haltungen

Wenn das Klassenzimmer zum ­Ballettsaal wird

Fotografien von Sabrina Asche und Cihan Cakmak

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Von der ­Bedeutung des Erinnerns Ein Interview mit dem israelischen Schriftsteller Yishai Sarid

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Eine Frage der Haltung Was unsere Körperhaltung über uns verrät


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Körper und Geist Laura Costa Chaud zur Haltung im ­klassischen und zeitgenössischen Tanz

Zugabe 1 1 Aus aller Welt Unsere Ensemblemitglieder unterwegs

3 4 Unterwegs mit … Mezzosopranistin Karin Lovelius

4 4 Ohne Worte antwortet Samantha Vottari, ­Tänzerin des Leipziger Ballett, auf unsere Fragen.

5 0 Schnappschuss Baustellenbesuch in der ­Musikalischen Komödie

5 1 Platzhalter Wir fragen – Sie antworten.

6 0 Test Wie mutig sind Sie?

6 3 Angerichtet Unser Rezept zur Premiere

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Prüfungsstress in Mozarts »Zauberflöte« Eine Mutprobe auf Leben und Tod

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»Man hört durch die Augen« Die tschechische Opernregisseurin ­Barbora Horáková im Porträt

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Wir sind König! Der Kinder- und Jugendchor mit seinem neuen Stück »König Artus«

6 5 Nachgefragt Sie fragen – wir antworten.

Digitale Oper ­L eipzig

6 6 Ein Blick in die Hut- und Putzmacherei der Oper Leipzig

7 0 Fundstücke Was uns sonst noch alles über den Weg lief.

7 1 Detailverliebt Gewinnen Sie Premierenkarten!

7 2 »Du siehst aus, wie ich mich fühle«

1. Kostenlose Oper Leipzig App herunterladen.

2. App öffnen und Seiten mit ARSymbol scannen.

3. Zusatz­material entdecken oder Tickets kaufen.

7 2 Impressum Fragen? Rufen Sie uns einfach an, täglich von 9:00 – 17:00 Uhr T +49 (0)341 - 12 61 373


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Um frage

Wann haben Sie zuletzt Mut bewiesen? Als ich zur letzten D ­ emonstration von »Fridays for Future« ging. ­Natürlich ist es in einem Land wie D ­ eutschland nicht wirklich ­gefährlich, zu ­demonstrieren. Aber meiner Meinung nach ist es ­etwas Mutiges, es zu wagen, seine ­Meinung zu äußern. Für mich ist politisches Engagement eine Form von Mut. N O É M IE G R ÜN E WA L D

Vor einem Jahr habe ich einen Hund ­gerettet, der auf den Straßen­bahnschienen festsaß. Ich hätte meine Hand verlieren können. LU CA KU N ZE


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Als ich zum ­Gardasee mehr als 800 km mit dem Bus gefahren bin, während ich starke ­Schmerzen im ­Rücken und in den Oberschen­ keln hatte. Das war sehr mutig! A N G E LI N A AP P E T T

Ich habe mich sehr ­mutig gefühlt, als ich mich dazu entschieden habe, eine Therapie zu beginnen und mich zu öffnen. G UIL L AUM E O H L E Y E R

Letztes Jahr habe ich mich ­entschieden, einen Master an­zufangen, der nichts mit dem zu tun hatte, was ich vor­ her studiert habe. Ich stürzte mich ins Unbekannte! TOM LU DWI G


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DIE WIEDERKEHR DER HELDEN Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus T E XT: D I E T E R T H OM Ä IL LUS T R AT IO N : PA B LO S TA N L E Y & F O R M D US CH E


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Wenn wir sie im Kino, im Theater oder – am besten! – auf der Opernbühne sehen, dann schauen wir zu ­ihnen auf: zu all den Heldinnen und Helden, die sich ein Herz fassen, Großes wagen und der Gefahr trotzen. Manche von ihnen sind entrückte ­Machtmenschen, andere sind berückende Menschenfreunde. Über letztere schrieb der französische Schriftsteller V ­ ictor Hugo vor rund 150 Jahren: »Versuchen, heraus­for­ dern, beharren, ausdauern, sich selbst treu bleiben, sich dem Schicksal stellen, die Katastrophe dadurch in Erstaunen setzen, wie wenig Furcht sie uns einflößt, der ungerechten Macht die Stirn bieten, Widerstand leisten – das ist das Beispiel, das die Völker brauchen, und das Licht, das sie begeistert.« Das sind wunderschöne Zeilen, doch fast scheint es, als seien die Zeiten, in denen solch ein Lob der ­Helden gesungen wurde, unwiderruflich vergangen – ob es nun, wie in Victor Hugos Roman »Les Misérables«, dem Aufbegehren gegen die Armut galt oder, wie in Viktor Ullmanns Oper »Der Sturz des Antichrist«, dem Kampf gegen die Diktatur. Aber sind Helden wirk­ lich von gestern? Finden sie nur noch in der Welt der Kunst ein Gnadenbrot? Zwischenzeitlich sah es so aus. Das Leben fand in einer Art Komfortzone statt. Der Laden lief, die Insti­ tutionen funktionierten. Jedem wurde empfohlen, sich mit seiner eigenen Optimierung zu beschäftigen. Das Zeitalter der »postheroischen Gesellschaft« wurde ausgerufen. Dieses Zauberwort wirkte entlas­ tend, denn damit war man den schweren Rucksack los, in dem Wackersteine aus der Vergangenheit lager­ten: die Kriegshelden, die Supermachos, die welt­ historischen Individuen, die mit dem Schicksal der Nationen jonglierten.

NICHT JEDE ­H ELDIN IST ­D EMOKRATISCH, ABER JEDE ­D EMOKRATIE BRAUCHT HELDINNEN.

Und doch wäre es ein Fehler, die Helden mit dem Blut­ bad der Geschichte auszuschütten. Wer sich in einer postheroischen Gesellschaft eingerichtet hat, sitzt einer Lebenslüge auf. Nie sinkt die Nachfrage nach Mut auf null. Man darf bei der Kür der Helden wäh­ lerisch sein, aber nicht auf sie verzichten. ­Gerade ­Demokratien wären schlecht beraten, wenn sie sich postheroisch gäben und das Heldentum denen ­überließen, bei denen Mut in Hass und Größe in Protz umschlägt. Nicht jeder Held ist demokratisch, aber jede Demokratie braucht Helden, die ins Handeln und »ins Gelingen verliebt« sind (Ernst Bloch). Gemeint ist damit immer auch: Nicht jede Heldin ist demokra­ tisch, aber jede Demokratie braucht Heldinnen. Ihre besondere Geistesgegenwart ist in schwerer Zeit willkommen. Zurzeit hat es die Demokratie schwer. Sie muss sich nicht nur gegen fundamentalistische Feinde und auto­ kratische Mächte wie Russland und China behaupten, sondern auch gegen eine Erosion im Inneren: gegen populistische Bewegungen und gegen Politiker, die bei ihrem Einsatz für das »Volk« Freiheit und Mensch­ lichkeit mit Füßen treten. Im derzeit mächtigsten Land der Welt, den usa, geht die Demokratie durch eine Feuerprobe, in vielen Ländern herrscht »Demokratie­ müdigkeit« (Arjun Appadurai). Das politische Sys­tem, das zu den kostbarsten Errungenschaften der Geschichte gehört, ist in seiner schwersten Krise seit 1945. Wer auf eine glänzende Zukunft der Demo­ kratie setzen will, darf im Wettbüro auf hohe ­Quoten hoffen. Sie ist nicht der Favorit auf den Sieg im Kampf der Systeme. Bei Licht besehen war sie dies freilich nie. Ihre Ideale haben das Zeug dazu, Begeisterung aus­zulösen, doch die Demokratie sollte daran gewöhnt sein, dass diese Ideale umkämpft sind. Das Wort von der wehrhaften Demokratie bekommt damit einen neuen Sinn. Wehrhaft ist eine Demo­ kratie nicht schon dann, wenn der Staat für Ordnung sorgt. Der Philosoph Jean-Jacques ­Rousseau erklärte schon Mitte des 18. Jahrhunderts, »dass ein Staat ohne Bewegung ein toter Körper wäre« und dass in den besten Gesellschaften »die ständige Aktion und Reak­ tion all ihrer Glieder von der Stärke des ganzen Kör­ pers zeugt«. Eine Demokratie lebt (oder stirbt) in den Köpfen der Menschen. Sie ist angewiesen auf die­ jenigen, die sie verteidigen und voranbringen – also auch auf diejenigen, die den Mut haben, sich aus dem Fenster zu lehnen und für die Freiheit in Gefahr zu begeben. Wenn die Demokratie sich nicht selbst zu Grabe tragen will, muss sie auch die Bewunderung für Großtaten hochhalten. Nun gibt es solche, die Helden zwar nicht rundweg abschaffen wollen, denen aber bei der Vorstellung schlecht wird, zu ihnen aufblicken zu sollen. Daraus ergibt sich ein stinkfauler Kompromiss, der darin ­besteht, die Latte für das Heldentum einfach niedriger zu legen. An die Stelle der postheroischen rückt da­ mit eine multiheroische Gesellschaft, die von ­Massen von Pseudohelden bevölkert wird. Was einst der Held der Arbeit war, ist jetzt der »Workplace Hero«.


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ECHTE ­H ELDEN SIND UND BLEIBEN SELTEN. Im Südwestrundfunk läuft die Serie »Unsere Helden – Kleines Dorf ganz groß«. Das Bistum Essen nennt seine Messdiener »Himmlische Helden«. Die Netz­ werkinitiative »Business­helden« versucht, »junge Fach- und Führungskräfte in den Unternehmen der Region Rheine-Emsdetten-Greven-Ochtrup« zu­ sam­menzubringen. Eine Berliner Webseite preist »­Kiezhelden« an, die Natur­kosmetik oder SecondHand-Mode verkaufen. Das Bundesamt für Bevöl­ kerungsschutz und Katastrophenhilfe sucht in einer Anzeige »echte Alltagshelden«, die »Nerven aus Stahl und Herzen aus Gold« haben. Eine Spielzeug­ firma verkauft vier Plastikfiguren – Polizistin, Sanitä­ terin, Feuerwehrmann und Bauarbeiter – als Set von »Alltagshelden« für zwanzig Euro. Ein Schnäppchen. Entschuldigung, aber geht es ausnahmsweise auch ein paar Nummern größer? »Held« ist ein Kontrast­ wort. Es führt ins Absurde, wenn niemand mehr kein Held ist. Echte Helden sind und bleiben selten. Hinter jener wundersamen Heldenvermehrung und Heldenschrumpfung steckt ein Motiv, das in einer Demokratie zwar auf den ersten Blick ­verständlich ist, aber in die Irre führt: das Unbehagen an der Ungleichheit. Als in den Gründungsdokumenten der ­Demokratie festgehalten wurde, dass »alle Menschen gleich« seien, so war damit doch nicht gemeint, dass sie sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Dass zum Beispiel Musiker oder Sportler Außergewöhnliches voll­ bringen, ficht uns nicht an, sondern begeistert uns. Der Vorbehalt gegen Helden rührt daher, dass man sie verdächtigt, andere Menschen zu unbedingter Gefolg­schaft zu verdonnern und auf ihre Schwäche und Machtlosigkeit festzunageln. Solche Helden hat es in der Geschichte tatsächlich gegeben, aber längst nicht alle haben so agiert. Ein demokratischer Held ist jedenfalls kein Widerspruch in sich, sondern ­jemand, der seine Macht für eine gute Sache einsetzt und dem die Idee, sie auf die Schwäche anderer zu gründen, fremd und zuwider ist. Er erwartet von den anderen nicht, dass sie sich unterwerfen, sondern dass sie sich von ihm ermutigen und anstacheln lassen. Zwei Arten solcher Helden sind in einer Demokratie besonders gefragt: Helden der Verfassung und Helden der Bewegung.

Die Helden der Verfassung wenden nicht nur Regeln an, sondern stehen für demokratische Ideale ein – auch dann, wenn es wehtut. Sie beweisen Zivilcourage. Dies ist ein kostbarer Ausdruck, der gleichwohl mit spitzen Fingern anzufassen ist. Seltsamerweise fehlt ihm nämlich ein ebenbürtiges Pendant, welches etwa Militärcourage heißen müsste, und so wird der Ein­ druck erweckt, bei der Zivilcourage handle es sich um einen Sonderfall, eine Courage minderer Güte. Das Gegenteil ist der Fall: Den Vertretern der Zivilcourage gebührt nicht der Trost-, sondern der Hauptpreis, denn ihr Mut lässt keinen anderen Menschen verblu­ ten. Zu den Heldinnen der Verfassung gehört zum Beispiel Silvia Kugelmann, Bürgermeisterin des baye­ rischen Kutzenhausen. Nachdem sie sich für Asyl­ bewerber eingesetzt hatte, wurden an ihrem Auto die Reifen zerstochen und fand sie in der Post anonyme Drohungen wie »Verrecken sollst du lieber heute noch als morgen«. Sie gab nicht klein bei, blieb im Amt und am Leben. Anderen – wie dem Regierungspräsi­ denten Walter Lübcke oder dem Bürgermeister Paweł Adamowicz – war dies nicht vergönnt. Auch die Helden der Bewegung begeben sich in Ge­ fahrenzonen. Sie machen sich stark für Veränderung und glauben, dass die Demokratie nur durch ­Wandel Bestand hat. Sie folgen damit einem kuriosen Rat­ schlag, den ausgerechnet Angela Merkel einem Klima­aktivisten gegeben hat: »Bilden Sie wirre ­Allianzen!« Diese Helden testen Grenzen und verstoßen gegen Spielregeln. Sie üben eine elektrisierende Wirkung auf andere aus, weil sie zeigen, dass mehr machbar ist, als denkbar scheint. Sie sind darauf gefasst, sich Ärger einzuhandeln oder gar ins Visier der Justiz zu geraten. Die Demokratie tut gut daran, nicht zu vergessen, dass sie im Lauf der Geschichte auf ­solche Helden der Bewegung angewiesen war. Der Bogen reicht vom Kampf gegen die Sklaverei über die Frauenund Bürgerrechtsbewegung bis zur pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai und zu Edward Snowden. À propos: Was ist mit Greta Thunberg? Ihre Agenda – die Abwendung der Klimakatastrophe – ist über j­ eden Zweifel erhaben, ihre Mobilisierungskraft g­ ewaltig und ihre Unbeirrbarkeit eindrucksvoll. Unge­wiss ist, wie sie mit Anfeindungen umgehen wird. Einstweilen hält sie sich gut, und so kommt ihr der Status einer Heldin in der Probezeit zu. Üblicherweise klingt es vorwurfsvoll, wenn man von jemandem sagt, er lebe über seine Verhältnisse. Doch diese Formulierung hat eine zweite Chance verdient. Wer über seine Verhältnisse lebt, muss nicht unbedingt zur Verschwendung neigen. Ihm kann auch vergönnt sein, den Status quo zu überschreiten und etwas zu leisten, was er sich selbst vielleicht gar nicht zugetraut hat. Menschen werden zu Helden, wenn sie sich in eine Gefahrenzone begeben, vor außergewöhnlichen Herausforderungen stehen und dann nicht zu Hausmitteln greifen, sondern ihrer­ seits auf außergewöhnliche Weise agieren.


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IN, E G S ICH A S M ES S SIE ZU A S DA S T D N G E N ER HRI UM U RC N, ­DU SSE ES Z MÜ NDER OCH N SO EN. D RDE E ­B IST E W E T EIM ­L N B H LO A F Ü R D E N E ­B E D N SI ICK I EL. BL PIEG S

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Wer »mit unerfahrenen Händen in die Rosenbüsche des Lebens« greift (Heinrich Heine), blutet hinterher aus den von Dornen gerissenen Wunden. Soll ein Mensch deshalb die Finger davon lassen? Der ­Marquise von O … stand nicht der Sinn danach. Sie ist die Heldin einer Erzählung Heinrich von Kleists – und er schil­ derte, wie sie durch eine »schöne Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht« wurde. Streng genom­ men konnte die Marquise von dem Selbst, das sie kennenlernen würde, vor ihrer Anstrengung gar nichts wissen. Es war nämlich noch nicht da. Zunächst be­ stand ihre Identität darin, brave Tochter und Frau zu sein. Dann brach ihre Welt zusammen. Ihr Wagnis bestand darin, sich mit ihren Eltern anzulegen und den Mann, der sie – während sie bewusstlos war – vergewaltigt und geschwängert hatte, per Zeitungs­ annonce aufzufordern, sich zu stellen. Sie tat einen Schritt ins Ungewisse und wurde eine andere – eben eine Heldin. Jeder, der Kind war, kennt die Sehnsucht nach Hel­ den. Niemand, der erwachsen wird, sollte sich diese Sehnsucht abschminken. »Wirf den Helden in ­deiner Seele nicht weg«, mahnte Friedrich ­Nietzsche. Kind­ heit und Jugend stehen – nicht als Lebensphase, ­sondern als Lebenshaltung – für Unruhe, Ungestüm, Unbe­­holfenheit, aber auch für Beweglichkeit, Neu­ gier, Veränderbarkeit. Dass in unseren Tagen vor allem junge Menschen große Aufmerksamkeit erhalten, ist ein schlechtes Zeichen für jene Erwachsenen, die im Vergleich echt alt aussehen und im Sachzwang erstarrt sind. Dabei steht auch ihnen das ganze Leben lang die Möglichkeit offen, neue Wege einzuschlagen und an Herausforderungen zu wachsen. Die Musik-, Kunst- und Literaturgeschichte fungiert nicht als Reservat oder Endlager für Heldinnen und Helden, die in der Wirklichkeit nichts mehr zu suchen haben. Vielmehr taugt sie als Experimentierfeld, auf dem die Höhen und Tiefen des Menschseins aus­ gekostet und ausgelotet werden. Wer in die Welt der Kunst eintaucht, darf die Rollen und Lebensent­ würfe, die sie im Angebot hat, durchspielen und testen. Sie dient einerseits als Spiegel des Alltags, anderer­ seits als Spielstätte des Besonderen und Extremen. So ermöglicht sie den Menschen, neue Seiten an sich selbst kennenzulernen – zum Beispiel die Fähigkeit, Haltung zu zeigen und ihren ganzen Mut zusammen­ zunehmen. Es mag sein, dass sie sich schwertun und erst dazu durchringen müssen, um Besonderes zu leisten. Doch belohnt werden sie dafür beim Blick in den Spiegel: Sie sehen dann eine Person, die sie gerne sein wollen.

ZU R P E RSON

Dieter Thomä ist Professor für P ­ hilosophie an der Universität St. ­Gallen und veröffent­ lichte zuletzt die B ­ ücher »Warum Demo­ kratien H ­ elden brauchen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus« (2019) und »Puer robustus. Eine Philosophie des Stören­ frieds« (2016).

Aus al l e r We l t

M A R IO S CH R Ö D E R , A N N A J O, VO L K E R B R E M E R , L AU R A CO S TA CHAU D, CH R IS T IA N G E LT IN G E R , LO U T H A BA RT U N D R É M Y FI CHET ( V. L . N . R .), G R Ü S S E N AU S N E W YORK .

S E J O N G CH A N G , BAS S, G R ÜS S T AU S S Ü D KO R E A .

M IR JA M N E U R U R E R , S O PRAN, G R Ü S S T AUS W IN T E RT HU R .


Haltungen Fotografien von Sabrina Asche und Cihan Cakmak Kooperation der Oper Leipzig mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Der künstlerische Beitrag der Klasse Bara mit Sabrina Asche und Cihan Cakmak wurde von Prof. Tina Bara kuratiert.


GARMENTS AND ­G A R M E N T WO R K E RS

Jewel. Giant Garments Ind. Pvt. Ltd.’s Fleecejacke, Bangladesch 2016

Sabrina Asche beschäftigt sich mit der Rolle von Textilarbei­ terinnen in einer g ­ lobalisierten Welt, ihren Möglich­keiten der Emanzipation und hinter­ fragt unser westliches Werte­ verständnis für Textilien und ihre Pro­duktion. Ihre künst­ lerische Arbeit führte sie nach ­Bangladesch, ­Kambodscha und ­Myanmar, wo sie Frauen in ­Fabriken begleitete. Im ­Dialog entstanden die Porträt­ aufnahmen, welche von den ­Verknüpfungen unserer Kleidungs­kulturen erzählen.


Shahanaz Parwin. Snowtex Outerwear Ltd.’s Weste, Bangladesch 2015


Sabina Yasmin. Snowtex Outerwear Ltd.’s Hose, Bangladesch 2015


Nur Jahan Khatun. Picard Bangladesh Ltd.’s Tasche, Bangladesch 2016


Mi Khaing. Seinus Cliq Fashion Co. Ltd.’s Jacke, Myanmar 2017


Lipi Baroy. Azim & Son Pvt. Ltd.’s Kleid, Bangladesch 2016


Seang Ravy. Zhen Tai Garment Co. Ltd.’s Pullover, Kambodscha 2017


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I TRANS LUCEN T 201 7 / WHEN WE LEAVE 2018  –  2 019

Den konservativen Strukturen trot­ zen. Auf der Suche nach Identität, getrieben durch Sehnsucht; im Selbst­ porträt und in der Gegenüberstellung mit Menschen, die Gleiches fühlen. Auf der Suche nach Freiheit und ­Utopie. Dabei die alten Strukturen und Umfelder hinter sich lassen, das ist, was alle gemeinsam haben.


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LAMPEN­ FIEBER Tipps von den Profis

Wer kennt es nicht: Ein wichtiger Auftritt steht an, doch dann das! Die Knie werden weich, Schweiß­ perlen treten auf die Stirn, das Herz klopft bis zum Hals. Lampen­ fieber kann lähmend sein – oder zu Höchst­leistungen anspornen. Die Künstlerinnen und Künstler der Oper Leipzig verraten Ihnen ihre ganz persönlichen Tricks, mit Lampenfieber umzugehen.

Feind und Freund SA N D R A JA N K E , M E Z Z O S O PR A N

Wenn ich kurz vor einer Vorstellung bin, dann »­fiebere« ich ihr im wahrsten Sinne des Wortes ent­ gegen. Mein Herz klopft wild, als wolle es heraus­ springen, mein Atem wird schnell und u ­ nregelmäßig und meine Gedanken springen umher. Ich fühle mich manchmal neblig und wirr, wie im Fieberwahn eben. Im Laufe meines Lebens als Sängerin habe ich gelernt, diese Energie zu bündeln. Im Endeffekt ist Lampenfieber eine unfassbare Energie, die uns zu Höhe­nflügen leiten kann. Wie ich das mache? Ich reguliere meinen Atem, lege eine Hand auf meinen Bauch und auf meinen Solarplexus, die Wärme ­beruhigt mich. Ich bewege mich und sage mir meine positiven Glaubenssätze immer und immer wieder auf. Dann gehe ich raus auf die Bühne. Und da ist es wieder: das Lampenfieber – aber diesmal in einer anderen Form. In der Form von geball­ ter Energie und Fokussierung auf das Stück. Früher war Lampenfieber mein Feind. Es konnte so viel zerstören. Heute ist es mein Freund, weil ich gelernt habe, es zu lieben und damit umzugehen.


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Alles im Griff!? T H OMAS MÜ LLE R , CH E F IN S PIZ IE N T

Lampenfieber? Kenn’ ich nicht. Inspizienten sind super strukturiert und haben alles im Griff. Vor­ stellung. Der Klavierauszug ist zu zwei Dritteln abgearbeitet, es erscheint ein Klebezettel vom letzten Mal. »Obacht. Hier noch mal vor­ her gucken.« Schockstarre tritt ein. Wie war das denn? Zeichen für Schleier auf, 21, 22, Zeichen für Gruppe rechts, Gruppe und Klavierauszug im Auge behalten, wenn Gruppe rechts 2/3 durch und vor der Fermate Gruppe links los. Der Gruppe rechts winken, die jetzt auch links ist. Darauf macht jemand aus Gruppe vormals rechts jetzt links irgendwie die Tür auf. Oder war es jemand aus Gruppe links links? Ich hatte mal eine Langzeit­ blutdruckmessung während einer Hauptprobe. Man kann an den erhöhten Werten den exakten zeitlichen Verlauf ablesen. Lampenfieber?

Kommunikation ist alles! FE LI X BE N D E R , D I RI G E N T

Man könnte meinen, dass ein Dirigent ­Lampenfieber gar nicht kennt, denn schließlich kann es ihm ja nicht passieren, dass die Stimme den Dienst versagt oder ein Ton misslingt. Doch wenn man zum ersten Mal eine neue Oper dirigiert oder gar ohne Probe ans Pult tritt, ist die eigene Nervo­ sität normalerweise deutlich höher als sonst. Da im Musik­theater die Kommunikation zwischen Bühne und Orchestergraben essentiell ist, muss nun vor allem ein gemeinsames musikalisches Verständnis aufgebaut werden. Deshalb gehe ich vor jeder Auf­ führung nochmal zu sämtlichen Solisten, bespreche mich mit ihnen und erkundige mich nach besonde­ ren künstlerischen Wünschen. Sobald dann der erste Ton vom Gewandhausorchester gespielt wird, ist jedes Lampenfieber verflogen und es geht nur noch um die Musik!

Adrenalin in den Venen F R AU K E WO L F F, KO M PA RS IN

Lampenfieber kennt jeder, der schon mal auf einer Bühne stand. Aufgeregtheit vor einem Auftritt ist nicht nur etwas total Natürliches, sondern auch total clever. Dein Körper signalisiert dir einen Ausnahme­ zustand, schickt Adrenalin durch deine Venen und macht dich leistungsfähiger und motivierter für eine besondere Situation. Das sagt zumindest mein Professor aus der Physiologie-Vorlesung. Und ­besonders ist ein Auftritt in der Oper allemal. Richtiges Lampen­ fieber hatte ich zuletzt bei der Wiederaufnahme von Wagners »Fliegendem Holländer« als Orangen­ dame. Da trete ich nicht von der Seite auf, son­ dern warte mitten auf der Bühne hinter einem Vorhang. Mit den vielen Vorstellungen hat das Gefühl bei mir nachge­ lassen, aber vor allem Premieren haben immer noch großes Lampenfieber-Potenzial. Und egal, wie oft man ein Stück spielt, wenn man im Off steht und auf sein Lichtzeichen wartet, das den Auftritt anzeigt, hat man immer noch einen kleinen Kick.

Es ist magisch… DA N IE L CAS T IL LO, TÄ N Z E R IM BA L L E T T D E R M US IKA L IS CH E N KO M Ö D IE

Wenn ich auf die Bühne gehe, siegt bei mir eigentlich immer die Begeisterung über die Angst – vor allem, wenn ich mag, was ich tanze, und mich damit wohl fühle. Ein bisschen Nervosität hilft mir aber auch die Spannung während der Performance zu steigern. Gegen das Lampenfieber habe ich ein kleines Ritual: Ich schüttle meinen ganzen Körper und klopfe ihn etwas ab, sodass ich sicher bin, dass er wach und bereit ist, alles zu geben. Ich versuche auch viel zu gesti­ kulieren, um die Anspannung in meinem Gesicht zu lösen und einen guten, entspannten Ausdruck auf der Bühne zu haben. Ein paar Sekunden bevor ich dann raus gehe, nehme ich noch einen Schluck Wasser und sage mir: Tu das, was dir am meisten Freude bereitet – und wenn das Publikum das spürt und mit dir in Verbin­ dung tritt, ist es magisch.


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»Du musst den ­ Menschen vom Werke ­t rennen« ? Der Künstler und seine Haltung zur Gesellschaft T E XT: C H RI ST IA N G E LT IN G E R


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Gibt es ­ü berhaupt ­ unpolitische Kunst?

Am Vorabend der Weimarer Republik, im Jahre 1918, brachte der ­Schriftsteller ­Thomas Mann seine »Betrachtungen eines Unpolitischen« heraus. Nach einem Gefühl allgemeiner Lethargie und Stag­ nation, das unter anderem viele Künstler mit Begeisterung in den Ersten Weltkrieg taumeln ließ – der Historiker Christopher Clark sprach in seinem Buch mit dem gleichnamigen Titel von den sogenannten »Schlafwandlern« –, setzte dieser Krieg von bis dato nie dagewesener Dimension und Grausamkeit in ganz Europa eine tiefe Zäsur. Sie markiert im Kern einen politischen und gesellschaftlichen Um­ bruchsprozess mit weitreichenden Konse­ quenzen auch für das Selbstverständnis der Kunst, was eine unglaubliche Produk­ tivität unterschiedlichster Strömungen freisetzte. Das Bauhaus, dessen 100. Jubi­ läum wir im Jahr 2019 begangen haben, ist nur eine davon. Der gesellschaftliche Wandel ging einher mit dem Ende der Monarchie, einem zunehmenden Selbst­ bewusstsein der ­Arbeiterklasse gegenüber dem Stolz aristokratischer und bürger­ licher Eliten. Diese wurden für die Nieder­ lage des Deutschen Reiches und die Aus­ beutung der unteren sozialen Schichten zum Zweck der Maschinerie dieses erst­­ mals unter industriellen Vorzeichen ge­ führten Krieges verantwortlich gemacht. Die Gesellschaft war tief gespalten zwi­ schen ­konservativen Kräften, die dem Niedergang der alten Ordnung nachtrau­ erten und umso nationalistischer auf die »Schmach von Versailles« reagierten, und Anhängern der Republik, die eine neue Zeit unter Führung des ­sogenannten Pro­ letariats angebrochen sahen. Der Riss ging, wie man das in jüngster Zeit in ähn­ licher Weise in Bezug auf die unterschied­ lichen Positionen zur Flüchtlingsfrage und zu Bewegungen wie Pegida ­beobachten kann, durch die Biografien ganzer ­Familien. So auch durch die Familie Mann. Wäh­ rend ­Thomas Mann mit seinen »Budden­ brooks« am Beispiel einer Lübecker

Kaufmannsdynastie einen Abgesang auf die bürgerliche Welt des 19. Jahrhunderts verfasste, nahm sein Bruder Heinrich in seinem Roman »Der Untertan« die fata­ len Folgen vorweg, in die die Kleingeisterei des in alten Moral- und Hierarchievor­ stellungen verhafteten deutschen Spieß­ bürgertums mündete. Der Brüderzwist entzündete sich nicht zuletzt an deren unter­schiedlicher Auffassung der Aufgabe des Künstlers in der Gesellschaft. Wäh­rend Heinrich Mann als Mitglied der ex­pres­­ sionistischen, pazifistisch-sozialis­tischen Bewegung »Aktivismus« gewissermaßen zum Sprachrohr der Weimarer Repu­ blik wurde, distanzierte sich sein Bruder Thomas von den aktuellen politischen Entwicklungen und stilisierte sich in der Position des Künstlers, der jenseits tages­ politischer Ereignisse stehend der Kaste des Geistesadels angehörte und voll Un­ verständnis auf den Kampf der Arbeiter­ klassen blickte. Wohin es führt, wenn der Künstler die gesellschaftlichen Ent­ wicklungen und politischen Verhältnisse sich selbst überlässt und sich im roman­ tischen Gestus des 19. Jahrhunderts in die Welt eines Ästhetizismus flüchtet, hatte Thomas Mann in seinem Künstlerroman »Doktor Faustus« auf kongeniale Weise geschildert. Er ist als eine literarische Ant­wort auf die »Betrachtungen eines Un­ politischen« zu lesen und beschreibt, wie der Rückzug des Landes der Dichter und Denker in die Kunst und das Ausblenden der Ereignisse auf der Straße in die deut­ sche Katastrophe mündete. Wie politisch ist also die Kunst? Oder, um noch einmal das Statement des jungen Thomas Mann aufzugreifen: Gibt es über­ haupt unpolitische Kunst? C-Dur bleibe immer C-Dur. So zumindest hat das ein namhafter Dirigent einmal ausgedrückt. Aber spielt nicht immer auch der Entste­ hungs- und Rezeptionskontext von Kunst eine entscheidende Rolle, die sich beim Betrachter nicht ausblenden lässt? Ist ein literarisches Werk, ein Gemälde, eine Komposition nicht spätestens seit dem aus­­gehenden 18. Jahrhundert Ausdruck ­dessen, was ein Künstler fühlt und denkt? Diese Frage ist auch heute hochaktuell und führt unweigerlich zu einer ­weiteren Frage: Lassen sich Kunst und Leben, Werk und Autor trennen oder bilden sie eine feste Einheit? Das Beispiel des britischen Streetart-Künstlers Banksy, der seine

wahre Identität geheim zu halten versucht, führt Roland Barthes’ These vom Tod des Autors ad absurdum. Mit einem seiner jüngsten Werke, das sich nach seiner Ver­ steigerung bei Sotheby’s zu einer Summe von einer Million Pfund von selbst aufzu­ lösen begann, nimmt der Autor bildlich gesprochen sein eigenes Werk gleich mit in den Tod. Die Haltung des Künstlers zur Gesell­ schaft wird heute mehr denn je diskutiert, etwa am Beispiel von Sängern oder Diri­ genten, die sich offen zu autokratischen Herrschern ihrer Herkunftsländer beken­ nen oder am Beispiel des Leipziger Malers Axel Krause, der auf Grund seiner Nähe zur AfD aus der Leipziger Jahresausstellung ausgeschlossen wurde, woran sich eine Debatte über die Freiheit der Kunst ent­ zündete, verbunden mit der Frage, wer diese für sich in Anspruch nehmen dürfe. Die Geschichte des ungarischen Regis­ seurs Balázs Kovalik zeigt, dass Künstler heute nach wie vor mit deutlichen Kon­ sequenzen zu rechnen haben, wenn sie nicht der politischen Haltung der Macht­ haber entsprechen (siehe Kasten S. 30). Auch hierzulande scheint es die gesell­ schaftliche Entwicklung erforderlich zu machen, dass sich die Kulturschaffenden

Mus i k al i s c h e r Sa l o n

Leben? Oder Theater? Konzert über die Bilder der ­jüdischen Malerin ­Charlotte Salomon B ES E TZ UNG

Sopran Magdalena ­Hinterdobler Bariton Franz Xaver Schlecht Klavier Ugo D’Orazio Sprecherin Carolin Masur Dramaturgie Elisabeth Kühne AU F F ÜH R UNG

21. Mär. 2020, 15:00, ­Konzertfoyer Opernhaus


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DR E IKL ANG # 04

FREIHEIT DER KUNST HEUTE Regisseur Balázs Kovalik weiß, wovon er spricht. T E XT: CH R IS T IA N G E LT IN G E R

Was es bedeutet, für seine künstlerische Haltung per­ sönlich diskreditiert und als Künstler schlichtweg kalt gestellt zu werden, das hat der ungarische Regis­ seur Balázs Kovalik am eigenen Leib erfahren m ­ üssen. ­Kovalik hat sein Handwerk in den 90er Jahren bei dem legendären Theaterimpresario August Everding in München gelernt. Nachdem er sich bereits internatio­ nal als Regisseur einen Namen gemacht hatte, wurde er gewissermaßen als Reimport zurück nach Ungarn geholt und zum Leiter der Opernklasse an die FranzLiszt-Musik­akademie in Budapest berufen. Im Jahr 2007 wurde ihm darüber hinaus die künstlerische Leitung der Staatsoper Budapest unter dem Generalmusik­ direktor Iván Fischer anvertraut. In seiner Zeit als Operndirektor stand Kovalik für eine künstlerisch-ästheti­ sche Erneuerung der Staatsoper Buda­ pest und damit zugleich für einen An­ schluss des Hauses an die Standards des europäischen Musiktheaterbe­ triebs, wie er ihn etwa in München, Stuttgart oder Berlin selbst kennen­ gelernt hatte. Das bedeutete eine Er­ weiterung des Repertoires um selten gespielte Stücke, eine Vielfalt unterschiedlicher Regiesprachen und ein Verständnis von Musiktheater als Plattform des ge­ sellschaftspolitischen Diskurses. 2010 wurde für Kovalik zu einem Schicksalsjahr, in dem sich alles von einem Moment auf den anderen verändern sollte. Im Mai des Jahres wurde Viktor ­Orbán mit absoluter Mehrheit zum Ministerpräsiden­ ten der Republik Ungarn gewählt. Der Vorsitzende der Fidesz-Partei, der u. a. auf Grund seines umstrittenen Mediengesetzes von der Europäischen Union scharf kritisiert wurde, feuerte kurz nach seinem Amtsan­ tritt den künstlerischen Leiter der Staatsoper ­Budapest quasi über Nacht ohne Angabe von Gründen. Ein nor­ maler Vorgang am Theater nach einer Veränderung der politischen Mehrheiten, möchte man vielleicht einwenden, wäre nicht ein bestimmtes Prinzip da­ hinter zu beobachten. Systematisch wurden Anders­ denkende aus zentralen Ämtern entfernt und durch

national gesinnte Kräfte ersetzt. Kritische Stimmen wie der Musiker András Schiff wurden zu Volksver­ rätern erklärt und mit antisemitischen Hetzkampag­ nen überzogen. Im Jahr 2012 erklärte das ungarische Parlament mit der Mehrheit der Fidesz-Partei die Be­ wahrung der »einzigartigen ungarischen Sprache, des Ungarntums und der ungarischen Nationalkultur« zu einem zentralen Verfassungsziel. Die Tragik an einer Vorgehensweise, wie sie bei natio­ nalistisch gesinnten Staatsoberhäuptern wie V ­ iktor Orbán zu beobachten ist, besteht nicht nur darin, dass die Freiheit der Kunst als zen­traler Wert einer Demokratie mit Füßen ge­ treten, sondern auch dass die Kunst­ szene komplett in zwei unterschied­ liche Lager gespalten wird: »Erst nach meinem Rausschmiss an der Staatsoper Buda­pest habe ich gemerkt, wer wirklich meine Freunde sind. Be­stim­m­te Leute haben mich plötzlich einfach nicht mehr angerufen, nicht nur weil sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollten, sondern aus Scham. Sie wussten nicht, wie sie damit um­ gehen sollen und wollten keine Haltung beziehen.« Mit seinem eigenen Schicksal scheint sich ­Kovalik längst ausgesöhnt zu haben. Er hat seine Konsequen­ zen gezogen, lebt überwiegend in Deutschland und ist seit vielen Jahren Professor an der Theaterakademie ­August Everding in München. Doch leider gibt es auch in Deutschland immer wieder politische Kräfte, die eine »Entsiffung des Kulturbetriebs« von »links­ liberalen Vielfaltsideologien« fordern. Kovaliks letzte Arbeit für die Staatsoper Budapest im Jahr 2010, ­Boitos »Mefistofele«, ist in dieser Saison am Theater Chemnitz zu sehen. In Budapest haben sich die Wagner-Festtage, zu denen Iván Fischer seinen alten Weggefährten wie­ derholt eingeladen hat, zu einer kleinen Enklave der Kunstfreiheit entwickelt. Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass die Regierungs­ mehrheit im ungarischen Parlament ein Gesetz verabschiedete, das eine stärkere Kontrolle der Theaterbetriebe vorsieht.


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zur »Sächsischen Erklärung der Vielen« zusammenschließen, in der sie sich zu gesellschaftlicher Vielfalt, Weltoffenheit und gelebter Demokratie bekennen. Die Oper Leipzig war federführend an dieser Erklärung beteiligt. Auf künstlerischer Ebene wird das Ver­ hältnis von Werk und Autor bis heute an der Person Richard Wagners kontrovers diskutiert. Kaum ein anderer lebte den An­spruch auf ein quasireligiöses Künstler­ tum absoluter als er. Gleichzeitig lässt sich gerade auf Grund jener selbsterklärten Einheit von Kunst und Leben sein Werk nicht entkontextualisiert etwa zu ­seinen antisemitischen Positionen oder frei von der Rezeptionsgeschichte des Werks im Nationalsozialismus lesen. Wenn die Oper Leipzig im Jahr 2022 alle Werke des in Leipzig geborenen Komponisten aufführt, erfolgt das natürlich auch mit einem Geschichtsbewusstsein, das die Rezeption Richard Wagners in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts reflektiert. So geht die erstmalige Idee, alle Werke Richard Wagners in seiner Ge­ burtsstadt zu spielen, auf den Dirigenten Gustav Brecher zurück, der zur Zeit der Weimarer Republik Generalmusikdirek­ tor und künstlerischer Leiter der Oper war. Der Dirigent jüdischer Abstammung ist insbesondere durch die Uraufführung von Brecht/Weills »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« in die Musikgeschichte eingegangen. Er wurde nach der Urauf­ führung von Kurt Weills »Silber­see« über Nacht von seinem Posten e­ ntbunden und nahm sich 1940 gemeinsam mit ­seiner Frau das Leben. Die Nazis stahlen seine Idee, alle Werke Wagners in Leipzig auf­ zuführen, und realisierten diese im Jahr 1938, allerdings unter vollkommen ­anderen, völkisch-nationalen Vorzeichen. Die Frage nach der Verantwortung des Künstlers in der Gesellschaft stellt sich rückblickend insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus. Wie geht man mit Künstlern um, die sich mit dem ­System arrangiert, geschweige denn dem System gedient haben? Bereits im Jahr 1928 thematisierte der Anthroposoph ­Albert Steffen diese Frage in seinem Drama »Der Sturz des Antichrist«. Der Usurpator eines nicht näher bestimmten Reiches möchte sich darin die Dienste eines Technikers, eines Priesters und eines Künstlers zur Erfüllung seiner Allmachts­ fantasien zu eigen machen. Der Techni­ ker soll die Gesetze der Natur außer Kraft setzen, indem er ein Raumschiff konstru­ iert, mit dessen Hilfe sich der Diktator

buchstäblich über die Welt erheben kann, ein Priester soll Stein in Brot verwandeln, um den Hunger der Massen zu stillen und diese ruhig zu stellen, der Künstler schließ­ lich soll einen Hymnus auf den Diktator schreiben. Er widersetzt sich dem ­Befehl und wird eingekerkert. Die Überzeugungskraft des Künstlers sorgt aber in letzter Konsequenz dafür, dass das komplette Sys­tem kollabiert und der Herrscher, nach­ dem er selbst die Raumkapsel bestieg, in die Tiefen stürzt. Als das Drama »Der Sturz des Antichrist« im Jahr 1933 urauf­ geführt wurde, stellte Steffen erschrocken fest, dass er mit seiner Parabel das poli­ tische Schicksal Deutschlands vorwegge­ nommen hat. Zwei Jahre später erhielt Viktor Ullmann – er selbst war seit 1929 ein glühender Anhänger der Anthro­po­sophie – den Auftrag von der Wiener Staats­oper für eine Oper und wählte als Vorlage Albert Steffens Drama. Auf Grund der politischen Verhältnisse, die sich auch in Österreich gewandelt hatten, kam die Oper erst 60 Jahre später zur Urauffüh­ rung. Ullmann konnte dem grausamen Schicksal, das ihm als Komponist jüdi­ scher Abstammung beschieden war, nicht entrinnen: Er wurde 1942 erst ins Konzen­ trationslager Theresienstadt, später nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort 1944 ermordet.

Lassen sich Kunst und ­L eben, Werk und ­Autor ­t rennen oder ­b ilden sie eine feste Einheit?

Viktor Ullmann ist zugleich ein Beispiel dafür, wie die Kunst Menschen geholfen hat, den Alltag in den Konzentrations­ lagern zu ertragen: »Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir k ­ eineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem ­Lebenswillen adäquat war«, so der Kompo­ nist. Und auch die ebenfalls in Auschwitz-­ Birkenau ermordete jüdische Malerin Charlotte Salomon fand in ihrem in den

D e r Me n s c h h e i t w egen tr e n n t e uc h ni c ht !

Der Sturz des Antichrist Viktor Ullmann L E IT UN G

Musikalische Leitung Matthias Foremny Inszenierung Balázs Kovalik Bühne, Kostüme Stefan Mannteuffel Licht Michael Röger Choreinstudierung Thomas Eitler-de Lint Dramaturgie Christian Geltinger B ES E TZ UNG

Der Regent / Der Dämon des ­Regenten Thomas Mohr Der Priester / Der ­unvollkommene Engel des Priesters Dan Karlström Der Techniker / Das Gespenst des Technikers Kay Stiefermann Der Künstler Stephan Rügamer Der Wärter / Greis Sebastian Pilgrim Ausrufer Martin Petzold Chor der Oper Leipzig Gewandhausorchester PR E M IE R E

21. Mär. 2020, Opernhaus AUF F Ü H R U NG EN

29. Mär. / 02. Apr. / 27. Jun. 2020 alle Vorstellungen mit ­Einführung 45 Min. vor Vorstellungsbeginn W E R K S TAT T

17. Mär. 2020, 18:00 KA N T IN E N G ES PRÄCH

29. Mär. 2020 im Anschluss an die Vorstellung


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Jahren 1940 bis 1942 entstandenen Werk­zyklus »Leben? Oder Theater?« im ­südfranzösischen Exil zumindest eine vor­übergehende Ausdrucksform des Über­lebens, die für uns heute ein mah­ nendes Beispiel sein kann. Dass zu einer konsequenten Haltung im Kampf gegen ein totalitäres System auch Mut gehört, dafür stehen die zahllosen Beispiele von Künstlern, die es in der Rück­ schau nicht in angemessener Weise geschafft haben, sich eindeutig zu distan­ zieren. Ein umstrittenes Beispiel hier­ für ist der Komponist Richard Strauss. Er reüssierte im Kaiserreich als einer der wichtigsten Dirigenten und Komponisten des Deutschen Reiches, gehörte 1933 zu den Mitunterzeichnern gegen Thomas Manns Essay »Leiden und Größe Richard Wagners«, die Mann die Verunglimpfung ­Richard Wagners vorhielten, und wurde im selben Jahr zum Präsidenten der Reichs­musikkammer ernannt. Nach dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg betei­ ligte er sich zudem am Aufruf der Kultur­ schaffenden zur Zusammenlegung von Reichskanzler- und Reichspräsidentenamt zugunsten Adolf Hitlers. Auch nach seiner Absetzung als Präsident der Reichsmusik­ kammer, nachdem ein Brief ruchbar ge­ worden war, in dem sich Richard Strauss gegenüber seinem Librettisten Stefan Zweig systemkritisch geäußert hatte, stand Strauss unter der Protektion des Reiches, machte nach wie vor Karriere als Kompo­ nist und Dirigent mit Kompositionen für die Olympischen Spiele 1936, Auftritten bei den Bayreuther Festspielen und Opern­ uraufführungen in München, Dresden und Salzburg. Kritiker werfen ihm vor, dass sich der erfolgsverwöhnte Musiker vor den Karren des nationalsozialistischen Kulturbetriebs spannen ließ, andere ver­ teidigen seine mangelnde Distanz zu den Nazis damit, dass Strauss seine jüdische Schwiegertochter Alice schützen wollte. Der Komponist selbst hat für sich ­immer die Trennung zwischen Kunst und Leben reklamiert und behauptete stets, un­ politisch geschrieben zu haben. Sein Kon­ versationsstück »­Capriccio« könnte in diesem Zusammenhang gewissermaßen als eine Art persönliche Rechtfertigungs­ schrift gelesen werden, hätte der Künst­ ler nicht selbst von sich behauptet, nie politisch geschrieben zu haben. Auf dem ­Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs, der Russland-­Feldzug ist in vollem Gange, komponiert Strauss ein Stück, dessen Handlung im Jahre 1775 angesiedelt ist und das um die selbstbezügliche Frage kreist, welcher Disziplin in der Oper der

Vorrang gebühre, dem Text oder der ­Musik. Bezeichnenderweise wird diese Diskussion in der eskapistischen Abgeschiedenheit eines gräflichen Palais in einem Pariser Vor­ort geführt. Der Rückzug in den Ästheti­ zismus, verbunden mit der in dem Stück formulierten Behauptung, man müsse »den Menschen vom Werke trennen«, ist symptomatisch für das künstlerische Schaffen Richard Strauss’. Zum Schluss sei in einer Zeit, in der freie Meinungsäußerung zu den G ­ rundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört, die ­selbstkritische Frage gestattet, mit welchem Recht es uns erlaubt ist, über die Ambivalenzen im Handeln von Menschen zu urteilen, die für das couragierte Einstehen einer ­Haltung mit Leib und Leben bezahlt hätten. Umge­ kehrt stellt sich aber ebenso sehr die Frage, inwiefern wir deren Handeln legiti­mieren, wenn wir unhinterfragt ihre Werke zur Aufführung bringen. Ein kri­tisches Ge­ schichtsbewusstsein und ein reflektierter Umgang mit Werk und Kom­ponist kann ein Ausweg aus diesem Dilemma sein und uns in unserem eigenen Eintreten für Freiheit und Demokratie bestärken.

BU C H T I P P

Charlotte Salomon »Leben? Oder Theater?« Prestel Verlag 2004

SY M PO S IU M

»Der Menschheit wegen, ­Brüder, trennt euch nicht« – Viktor ­Ullmanns »Sturz des Antichrist« und die Weltanschauungsoper der Zwischenkriegszeit In Kooperation mit dem ­Institut für Musikwissenschaft der Uni­versität L ­ eipzig | Mit Prof. Dr. ­ Stefan Keym, Dr. Ingo Schultz, Prof. Dr. ­Manuel G ­ ervink, Ansgar Martins T E R M IN

21. Mär. 2020, 10:00 – 13:00, Konzertfoyer Opernhaus

P r i m a l a m us i c a e p o i l e p ar o l e ?

Capriccio Richard Strauss L E IT UN G

Musikalische Leitung Ulf Schirmer Inszenierung Jan Schmidt-Garre Bühne Nikolaus Webern Kostüme Yan Tax Licht Michael Fischer Dramaturgie Elisabeth Kühne B ES E TZ UN G

Die Gräfin Maria Bengtsson Der Graf Mathias Hausmann Flamand Patrick Vogel Olivier Jonathan Michie La Roche Sebastian Pilgrim Die Schauspielerin ­Clairon ­ Kathrin Göring Monsieur Taupe Matthias Stier Eine italienische Sängerin Bianca Tognocchi Ein italienischer Sänger ­Alvaro Zambrano Der Haushofmeister Martin Blasius Gewandhausorchester PR E M IE R E

28. Jun. 2020, Opernhaus AUF F Ü H R U N G E N

05. / 11. Jul. 2020 alle Vorstellungen mit ­Einführung 45 Min. vor Vorstellungsbeginn W E R K S TAT T

18. Jun. 2020, 18:00 KA N T IN E N G ES PR ÄCH

05. Jul. 2020 im Anschluss an die Vorstellung


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FEST oder

F R E I

Der Bass ­S ebastian Pilgrim wägt die Vor- und Nachteile des Ensemble­ daseins ab TEXT: S EBAS TI AN P I LG RI M

Freiberuflichkeit vs. Festanstellung – das ist ein Kampf, der nur selten bewusst ent­ schieden werden kann, denn die Wenig­s­ten kommen überhaupt in die ­glück­liche Situation, sich entscheiden zu dürfen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertels­mann Stiftung kommt zu dem Schluss, dass gerade einmal 5 – 10% der Gesangsstudierenden in ein Festengage­ ment gelängen. Hier steht der Sänger oder die Sängerin im Angestelltenverhältnis zu seinem Theater und erhält auch ein monatliches, rentenwirksames Gehalt inklusive Krankengeld – schließlich sind auch Sänger nur Menschen und können erkranken. Das bringt Sicherheit und eine gewisse Planbarkeit im Privaten. Was der Otto Normalverbraucher aber nicht weiß, ist, dass so ein Solistenvertrag stets nach einem Jahr ausläuft und danach stillschweigend verlängert wird. Im un­ günstigen Fall gibt es eine Nichtverlänge­ rung (welche nicht mit einer Kündigung vergleichbar ist). Jedes Jahr im Oktober hängt dieses Damoklesschwert über den angestellten Sängerinnen und Sängern, die noch nicht die Unkündbarkeitsgrenze von 15 Jahren am selben Opernhaus er­reicht haben. Etwas Unsicherheit schwingt also selbst in so einem Festvertrag mit. Immerhin ist der Sänger oder die Sängerin so angehalten, Bestleistung zu bringen und sich weiterzuentwickeln. Und gerade

hierfür ist der deutsche Ensemblebetrieb Gold wert! Nicht umsonst zählt die deut­ sche Theaterlandschaft mittlerweile zum immateriellen Weltkulturerbe! Als fester Teil eines Theaterensembles kann man von Kolleginnen und Kollegen lernen und an Herausforderungen wachsen. Man ­erwirbt recht schnell ein breit ­gefächertes Repertoire, singt Mozart, Wagner und Puccini an drei aufeinanderfolgenden ­Tagen, während man gleichzeitig eine Ur­aufführung probt, vernetzt sich mit sei­ nen Kolleginnen und Kollegen und reift in seiner Künstlerpersönlichkeit. Ich ­bedaure sehr, dass der gemeine Trend zu immer jüngeren Ensembles geht, wäh­ rend die alten Hasen im Ensemble immer seltener werden. Von wem sollen wir unseren Job lernen?! Doch das Schönste an der Festanstellung: In all der Zeit, die man miteinander verbringt, entstehen Freundschaften. Das Ensemble wird zur Ersatzfamilie, die sich gegenseitig kennt und schätzt – und so auch auf der Bühne viel vertrauter und harmonischer agieren kann. Auf der anderen Seite steht die Freiberuf­ lichkeit. Ist sie nicht nur eine verschö­ nernde Umschreibung für die Arbeitslosig­ keit, so verspricht sie schon namentlich ein Höchstmaß an Freiheit. Hier darf man sich selbst aussuchen, wo und wann man welche Rollen und Konzerte singt. Man wird als eigenständige Künstlerpersönlich­ keit wahrgenommen, die sich und ihre Kunst ausdrücken möchte, während man im Festengagement zumindest in den ersten Lehrjahren gerne »verheizt« wird und eher Ausführender statt Schöpfer ist. Dafür müssen aber erst mal Angebote vorliegen, und zwar nicht zu knapp! Neben der nötigen stimmlichen und dar­ stellerischen Kompetenz benötigt man hierfür vor allem ein gutes Netzwerk, ab einer gewissen Hausgröße auch unum­ gänglich einen Agenten. Im Normalfall singt man als Gast aber auch die führen­ den Rollen und bekommt eine dement­ sprechende Gage. Allerdings schmerzt es dann auch wirklich im Portemonnaie, wenn man eine Vorstellung absagen muss. Außerdem erhält man für die Zeit »zwi­ schen« den Engagements keine Arbeit­ geberanteile, etwa für die Krankenkasse. Die muss man entweder selbst t­ ragen oder erhält Unterstützung von der Künstlersozialkasse. Wirklich glücklich sind doch da die Sän­ gerinnen und Sänger, die während eines Festengagements an anderen Theatern »gastieren« dürfen. In dieser Schnittmenge hat man alles, was das Herz begehrt: die

Absicherung durch den Festvertrag und zusätzlich den Blick über den Tellerrand, eine neue Stadt, ein neues Ensemble, die Gastiergage. Leider ist unser Steuer- und Krankenkassensystem so gar nicht auf Künstler ausgerichtet! Ich verzweifle jedes einzelne Mal, wenn ich eine sogenannte Entsendung bei meiner Krankenkasse be­­antrage, denn hier wird jedes Mal offen­ sichtlich, wie wenig sich ein künstlerischer Beruf in die Standardformulare pressen lässt. Das gab schon verzweifelt-verheulte Telefonate am Flughafen – kein guter Start für ein Debüt an der Scala! Nun ist es nicht selten, dass solche Gastierurlaube an dem Terminplan des eigenen Stamm­ hauses scheitern – und das gerne mal ­wegen eines einzigen Vorstellungstermins. Dann ist der Ärger groß, jedoch ist dies der Preis für die Festanstellung. Dieser ­Ringkampf »Freiberuflichkeit vs. Fest­ engagement« scheint eine ewige Crux zu sein: Man erwünscht sich immer das, was man gerade nicht hat: Dem Angestell­ ten fehlt die F ­ reiheit und sein künstle­ risches Profil, der Freiberufler träumt von Sicherheit und Verlässlichkeit im Beruf. Bei diesen weltlichen Belangen kommt aber das Wichtigste gerne zu kurz: Als Künstler drücken wir nicht nur uns selbst aus, sondern vermitteln zwischen dem Publikum und einer Welt, die kaum mit Worten und Zahlen zu erfassen ist. Sol­ che Sternstunden sind rar gesät, doch wer sie erlebt, darf für kurze Zeit den V ­ orhang heben und hinter die große Kulisse ­blicken. Und nun stellen wir uns einmal eine Welt ohne Geld für Kunst vor ...

Zur Person Sebastian Pilgrim kennt beide Seiten: Festengagements führten den Bass ans ­Theater Erfurt und das ­Nationaltheater Mannheim, als freischaffender ­Sänger war er u. a. bei den Wagnertagen ­Budapest, den ­Bayreuther Fest­spielen, an der Opéra Bastille P ­ aris und der Mai­ länder Scala zu Gast. Seit der Spiel­zeit 2018/19 ist S ­ ebastian P ­ ilgrim Ensemble­ mitglied der Oper Leipzig. ­Partien 2019/20: E ­ remit in »Der F ­ reischütz«, ­Fasolt in »Das ­Rheingold«, Hagen in »Götterdämmerung«, K ­ ezal in »Die verkaufte Braut«. Neu: K ­ önig Marke in »­Tristan und Isolde«, ­Gurnemanz in »­Parsifal«, La R ­ oche in »­Capriccio«, ­Wärter /Greis in »Der Sturz des Anti­ christ«, Bass in »Missa solemnis«.


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Z U GABE

Unterwegs mit

Karin Lovelius Stockholm, Schweden MAI 1969

Wo alles anfing – am Ende der Kinder­ gartenzeit nach meiner ersten »Vorstellung«. Dem Pfarrer fiel meine besondere Lebens­ freude auf, die sich im Singen und Tanzen äußerte.

Villa San Michele, Italien

Chemnitz

S EPTEMBER 2 019

JA N U A R 2 0 1 9

Als das Theater Chemnitz mich für eine kurzfristige Umbesetzung der Fricka anruft, bin ich noch beim Frühstücken. Drei Stunden später bekomme ich schon die Instruktionen von der Regieassistentin und werfe mich auf die Bühne. Mit Hilfe der tollen Kolleginnen und Kollegen geht es richtig gut und nach der Vorstellung feiern wir zusammen.

Wie kann ich mich als Künstlerin weiterentwickeln und was bedeutet das für mein Leben? Diese Fragen gehen mir durch den Kopf, während ich als Stipendiatin der schwedi­ schen Stiftung San Michele gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen drei Wochen in einer Künstlervilla auf der Insel Capri verbringe. Das richtige Textverständ­ nis und Schauspiel sowie das unaufhörliche Suchen während der Einstudierung und in den szenischen Proben sind für mich wich­ tige Grundsteine.

Ich habe es immer gemocht zu improvisieren. Das geht beim Einspringen besonders gut. Leipzig A PR IL 2 0 1 9


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Mit Herodias in »Salome« will ich ein ­Risiko eingehen und bei den szenischen Pro­ ben meine inneren Kritiker völlig i­ gnorieren. Stattdessen lege ich richtig los und versetze mich voll in eine drogen­süchtige, verwirrte Frau. In diesem Prozess erlebe ich einen ­besonderen Flow auf der Bühne zusammen mit meinen groß­artigen Kollegen Elisabet Strid und Michael Weinius.

Topsham, Großbritannien AU G US T 2 0 1 9

Charakter geht immer weiter: »Wenn du dich nicht weiterentwickelst, gehst du rück­ wärts«, heißt das Sprichwort. Die richtige Maske hilft auch dabei.

Um meinen Atem beim Singen ruhig behalten zu können und meinen Kopf leer zu machen, laufe ich. Hier neben dem Meer in Devon, England.

Kammermusik heißt Nahrung für die Stimme. O K TO B E R 20 1 9

Glyndebourne, Großbritannien J U LI 2 019

Das Glyndebourne Opera Festival fragt an, ob ich Cover für Ježibaba in »Rusalka« sein möchte. Zusammen mit den Tänzern und Choreografen suche ich neue Bewegungs­ muster. Kann die Hexe eine tierische Seite haben und wie drückt sich Gefährlichkeit über meinen Körper aus?

Wenn ich nicht arbeite, genieße ich den Garten – ein Traum, natürlich klassisch englisch mit grünem Rasen und Picknick-Tischen.

Hälsingland, Schweden

Hat sich meine Ježibaba durch den Sommer in England verändert? Ja, definitiv. Ich bin freier geworden in meinen Bewegungen auf der Bühne und die extra gewonnene Ener­ gie gebe ich an die Zuschauer weiter. Meine nächsten Projekte sind mein Debüt als Erda in Wagners »Ring des Nibelungen« und im Frühling die Amme in »Die Frau ohne Schatten« – ich freue mich darauf!

S E PT E M B E R 20 1 9

Wir führen »Nature« auf, ein Werk für Mezzosopran, Gitarre, Flöte, Violoncello und Tabla, das von der Angst vor dem Klima­wandel handelt. Unser Probenzimmer ist 300 Jahre alt. Und wenn wir mal nicht musizieren, essen wir frisch gebackenen Kuchen.

Leipzig O K TO B E R 2 0 1 9

Es ist wieder Zeit für den »Fliegenden ­Holländer«. Die Partie der Mary kenne ich gut, aber die Arbeit am Gesang und dem

Z UR PE RS O N

Die Schwedin Karin Lovelius erhielt ihre Gesangsausbildung am Opera­studio 67 in Stockholm und an der Sibelius Academy in Helsinki. 2004 debütierte sie in der Weill Recital Hall (­Carnegie Hall). Gastengagements führten sie u. a. zum ­Savonlinna Opera Festival, an die Opera ­Island, Königliche Oper sowie Folkoperan Stockholm, die Semperoper ­Dresden, die Opernhäuser von Malmö, Wiesbaden, Chemnitz und Toulouse. Seit der Spielzeit 2010/11 ist sie Ensem­ blemitglied an der Oper Leipzig mit Partien wie Klytämnestra (»­Elektra«), ­Herodias (»Salome«) und ­Judith (»­Herzog Blaubarts Burg«). 2019/20 an der Oper ­Leipzig als Mutter in »Hänsel und ­Gretel« und »Knusper, knusper, knäuschen …«, F ­ ricka, Die Amme in »Die Frau ohne Schatten«, Waltraute und 1. Norn in »Götterdämmerung«, Kartenaufschlägerin in »­Arabella«, Ježibaba in »­Rusalka«, Mary in »Der ­fliegende Holländer«. Neu: Erda in »Das Rheingold« und »Siegfried«.


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EINE OFFENE WUNDE


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Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations­ lagers Auschwitz-Birkenau widmet der Chor der Oper Leipzig sein szenisches Projekt »Über.Leben!« dem Gedenken an die ­Schrecken des Holocaust. Auf Grundlage des 2019 erschienenen und für den Internationalen Literatur­preis nominierten Romans »­Monster« des israelischen Schriftstellers Yishai S ­ arid erzählt der Abend von der Bedeutung des Erinnerns in unserer heutigen Zeit. dreiklang sprach mit dem A ­ utor über das Trauma des H ­ olocaust, die Ver­ änderlichkeit der E ­ rinnerung und die Frage, wie aus Trauer Mut entstehen kann.

I N TERVI EW: ELI SABE T H KÜ H N E

Herr Sarid, Ihr Roman trägt den Titel »Monster«. Von welchem Monster handelt Ihr Roman? In Hebräisch heißt der Roman »Das Erinnerungs­ monster«. Für meinen Protagonisten, der sich tagtäg­ lich mit der Erinnerung an den Holocaust beschäftigt, wird diese Erinnerung zu einem Monster, das ihn ver­ folgt und sein ganzes Leben stört. In gewisser Weise stellt er die Mordmaschine jeden Tag wieder her. Die Erinnerung an den Holocaust verfolgt uns alle noch immer. Sie ist eine offene und u ­ nbehandelte Wunde in Israels Seele und der wichtigste Faktor in unserem kollektiven Verhalten. Sie hat ihr eigenes Leben, das manchmal unerwartet, manipulativ und wild ist, und deshalb ist sie ein Monster. Der Protagonist Ihres Romans ist ein H ­ istoriker, der im Auftrag von Yad Vashem israelische Reise­ gruppen, vor allem Schülerinnen und Schüler, durch die polnischen Vernichtungslager wie Auschwitz, Majdanek und Treblinka führt. In seinem Monolog werden wir Zeuge, wie diese Tätig­keit ihn im Laufe der Zeit immer stärker verändert. Was machen diese Orte der Erinne­ rung mit ihm? Der Protagonist kennt jedes kleine Detail des Vernich­ tungsprozesses. Das ist sein Beruf. Aber mit der Zeit, als er diese schrecklichen Orte als Guide besucht, beginnt er, nach den Augen der Opfer zu suchen. Er versucht, ihre Stimmen zu hören. Aber natürlich ist das unmöglich. Dann fragt er sich: Was ist die Lehre, die wir aus diesen Orten mitnehmen? Ist die einzige Lektion, die wir daraus ziehen, stark zu sein, damit es uns nicht wieder passiert? Oder gibt es eine andere Lehre für uns? Wenn ein Fremder mitten in der Nacht an deine Tür klopft und um Schutz bittet, wür­ dest du ihn dann aufnehmen, auch wenn du dabei dein Leben und das Leben deiner Familie riskierst? Diese Fragen lassen ihn nicht mehr los und zwingen ihn zu einer schmerzhaften Selbstbeobachtung.

Als Guide wird Ihr Held immer wieder Zeuge von verschiedenen ­Erinnerungszeremoniellen. Gibt es überhaupt eine adäquate Form des ­Gedenkens an den Holocaust? Das Gedenken sollte das Wissen um die historischen Fakten mit dem Verständnis für die schrecklichen Auswirkungen des Holocaust auf die Menschheit ver­ binden. Sie sollte auch dem Leben des ermordeten jüdischen Volkes gedenken, nicht als Massenopfer, sondern als Menschen, die Leben, Familie, Beruf und Gefühle hatten – nur so können wir die menschli­ che Bedeutung des Holocaust vermitteln. Wir sollten immer verstehen und uns daran erinnern, wie zer­ brechlich unsere Zivilisation ist und wie Menschen zu mörderischen Monstern werden können. Immer wieder werden in den fiktionalen ­Bericht des Guides detaillierte Fakten zur Vernichtungs­ maschinerie der Nationalsozialisten in den unter­ schiedlichen Lagern eingeflochten. Wie wichtig war es Ihnen, dieser historisch-faktischen Ebene Raum zu geben? Ich musste die Fakten in Ordnung bringen. Unwissen­ heit ermöglicht die Manipulation des ­Gedächtnisses. Wir schulden den Opfern und uns selbst die Wahrheit. Inzwischen sterben mehr und mehr Zeitzeugen des Holocaust und mit ihnen auch die ­Erinnerung an die unfassbaren Geschehnisse der Shoa. ­Welche Verantwortung ergibt sich daraus für die nachfolgenden Generationen? Tatsächlich treten wir in eine neue Phase ein, denn es gibt immer weniger Zeugen. Es ist eine Herausforde­ rung, die Fakten und die Geschichte des Holocaust so zu vermitteln, dass sie die Jugendlichen interessieren und ihnen nicht wie eine alte Geschichte ­erscheinen. Das ist die Arbeit von Lehrern, Historikern und Künst­ lern. Kunst ist wichtig, weil sie Geschichte wiederbe­ leben und ihr neue Bedeutungen verleihen kann.

Wir sollten unseren ­K indern beibringen, frei zu sein.


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Wir schulden den Opfern und uns selbst die Wahrheit. Sie selbst gehören der dritten Generation nach dem Holocaust an. Gab es für Sie persönliche Beweggründe, sich in Ihrem Roman mit dem Thema des Erinnerns auseinanderzusetzen? Der Holocaust ist ein zentraler Bestandteil unserer persönlichen und kollektiven Identität. Er beein­ flusst viele Dinge, die wir tun – angefangen von der Sorge, dass unsere Kinder gut ernährt sind, bis hin zur nationalen Sicherheitspolitik. Er hat unsere Sucht nach Macht hervorgerufen, damit wir nie ­wieder schwach sind. Obwohl alle meine Großeltern vor dem Krieg nach Israel kamen, wurden die meis­ ten ihrer Familien – Eltern und Geschwister – im ­Holocaust ermordet. Mein Familienname Sarid be­ deutet im Hebräischen »Überrest«, und mein Groß­ vater wechselte nach dem Krieg zu ihm, da er der einzige Überlebende seiner Familie war, die von den Deutschen in Polen ermordet wurde. All diese Dinge und vieles mehr haben mich dazu gebracht, diesen Roman zu schreiben. In gewisser Weise sind wir alle Opfer des schrecklichsten Verbrechens und wurden nie wegen dieses Traumas behandelt. Welche Auswirkungen hat das »monströse« Erinnern auf die Gesellschaft und die Politik heute? Die Erinnerung wird von Politikern und Institutionen für ihre Zwecke manipuliert. Das Buch porträtiert die seltsame Liebesgeschichte, die Israel h ­ eutzutage mit Deutschland hat und die viele Israelis nach ­Berlin und in den Schwarzwald als Ferienziele reisen lässt, als ob nichts passiert wäre. Aber Hass und Rache­ gefühle verblassen nicht und werden stattdessen in andere Richtungen gelenkt. Zum Beispiel denken viele Israelis, dass das polnische Volk mehr für den Holocaust verantwortlich sei als die Deutschen. Das ist natürlich eine Verzerrung der Geschichte und eine Erfüllung der nationalsozialistischen Absicht, dass die »Drecksarbeit« im Osten geleistet wird, ­damit das schöne Deutschland nicht zerstört wird. Die Erinnerung ist nicht konstant, sie verändert sich mit der Zeit, und sie verändert sich auch in Israel.

Die ­E rinnerung ist nicht ­konstant, sie ­verändert sich mit der Zeit.

Wie wurde Ihr Roman in Israel aufgenommen? Mit gemischten Gefühlen. Den Institutionen, die sich hier mit dem Gedächtnis beschäftigen, gefiel er nicht, weil er schwierige Fragen aufwirft, mit denen sie sich nicht beschäftigen wollen. Aber für viele ­Leserinnen und Leser, darunter auch Jugendliche, die auf Reisen nach Polen gehen, erhielten die Erinne­ rungsrituale durch den Roman eine neue Bedeutung und es eröffnete sich eine Diskussion über die Pro­ bleme, mit denen sich das Buch beschäftigt. Ich erhielt auch Nachrichten von Überlebenden des Holocaust, die mir sagten, dass ich sie geehrt habe, indem ich über das Thema geschrieben habe, ohne die üblichen Sätze zu verwenden. Das war mir sehr wichtig. Als der Held Ihres Buches die Schüler nach den Lehren fragt, die sie aus dem Besuch der Ver­ nichtungslager ziehen, erhält er von einem der Jugend­lichen die Antwort: »Zum Überleben müssen wir auch ein bisschen Nazis sein.« Das ist ein ungemein provokativer Satz. Wie kann dies die Lehre aus dem Holocaust sein? Woher kommt diese Faszination für die Mörder? Jedes Jahr werden Dutzende neuer Biografien der Nazi-Mörder veröffentlicht, und einige von ihnen werden zu riesigen Bestsellern. Die Menschen sind fasziniert vom Phänomen »Nationalsozialismus«. Wir sehen Faschisten, die heutzutage auf der ­ganzen Welt den Kopf heben. Der Einsatz grenzenloser ­Gewalt ohne Gewissen und Moral ist eine ständige Versuchung für Menschen und Nationen. Im Zwei­ ten Welt­krieg erfüllte Deutschland diese Macht-­ fantasie. Nach­dem dies einmal geschehen ist, kann es ­wieder passieren, es wurde zu einer Option für die Menschheit.


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Die israelische Dichterin Navit Barel nannte »Monster« »das wichtigste Buch, das je hierzu­ lande über Moral und Opferrollen geschrieben wurde.« Welche Rolle spielt die Perspektive der Opfer in Ihrem Roman? Beim Besuch der deutschen Vernichtungslager in Polen dachte ich die ganze Zeit an das jüdische Volk, das aus allen Teilen Europas und sogar aus Nord­ afrika dorthin gebracht wurde. Ich dachte an die Kinder. Wenn man individuell an sie denkt, wird die Trauer fast unerträglich. Es ist entscheidend, zu ­versuchen, durch die Augen der Opfer zu sehen – es waren gewöhnliche Menschen, die ihr Leben gelebt haben und deren Kinder von anderen Menschen ­gebrochen, gedemütigt und ermordet wurden, ange­ trieben von verrückten Überzeugungen und altem Antisemitismus. Das ist es, was meine Protagonisten entdecken: dass wir, anstatt an die Opfer zu denken, der Taten der Mörder gedenken. Der Akt des Erinnerns ist und bleibt ein fort­ währender Prozess. Wie können wir die Erinne­ rung an den Holocaust bewahren und lebendig halten? Und wie können wir dem »Monster« des Gedenkens begegnen, ohne von ihm verschlungen zu werden? Wir sollten uns der mörderischen Anteile des mensch­ lichen Geistes bewusst werden und verstehen, wie die Deutschen in dieser Zeit von ihnen verschlungen wurden. Wir sollten unseren Kindern beibringen, frei zu sein und immer an Autoritäten zu zweifeln. Wir sollten die Geschichten der Gerechten unter den Völkern als Symbol für Mut und Menschlichkeit erzählen. Wir sollten die individuellen Geschichten der Opfer erzählen, nicht nur in ihren letzten Tagen, als sie bereits geschlagen und ausgehungert waren, sondern auch als sie ihr Leben voll und ganz genossen. Wir sollten täglich die Lehre aus dem Holocaust ziehen, uns fremden, schwachen und hilflosen Men­ schen zuzuwenden, und unsere Kinder ermutigen, ihnen zu helfen.

Zum 7 5 . Jah res t a g d e r B e f r e i un g vo n Aus c h w i tz - B i r kena u

Über.Leben! Szenisches Chorprojekt Musik von Olivier Messiaen, Gideon Klein, Francis Poulenc, Arnold Schönberg u. a. ­ Basierend auf dem Roman »­Monster« von Yishai Sarid L E IT UN G

Musikalische Leitung ­Thomas Eitler-de Lint Inszenierung Patrick Bialdyga Bühne Norman Heinrich Video Valerio Figuiccio Choreinstudierung ­Thomas ­Eitler-de Lint, ­Alexander Stessin Dramaturgie Elisabeth Kühne B ES E TZ UNG

Chor der Oper Leipzig Gewandhausorchester AUF F Ü H R U NG EN

13. & 14. Feb. 2020, Peterskirche Leipzig

B U CH T IPP

Yishai Sarid: »Monster«, Roman Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama Verlag Kein & Aber, 2019 Z UR PE RS O N

Yishai Sarid wurde 1965 in Tel Aviv geboren. Nach­dem er sechs Jahre lang u. a. als Geheimdienst­offizier in der israelischen Armee tätig war, studierte er Jura in ­Jerusalem und Harvard. Heute arbeitet Yishai S ­ arid als Rechts­anwalt in Tel Aviv. »­Monster« ist ­Sarids vierter Roman. Sein 2010 erschienener Politthriller »Limassol« wurde vom wdr als Hörspiel umgesetzt.


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GETEILTES LEID Trauer und ihre unterschiedlichen Formen in ­G óreckis »­S infonie der Klagelieder« T E XT: N E L E W IN T E R


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Vermutlich trifft es jede und jeden von uns mindestens einmal im Leben: Ein geliebter Mensch stirbt. Vielleicht können wir es zunächst nicht fassen. Vielleicht brechen wir in Tränen aus, ­machen uns selbst oder anderen Vorwürfe. Vielleicht q ­ uälen uns Fragen: »Warum trifft es gerade mich?« Vielleicht werden wir ­wütend und stellen sogar den Sinn des Lebens infrage. ­Jeder ­reagiert anders auf ein solches Erlebnis. In Mario Schröders ­Ballettabend »Lamento« spielen die verschiedenen Formen der Trauer eine zentrale Rolle.

Die Phasen der Trauer So individuell die Menschen sind, so ­individuell ist ihre Trauer. Dennoch finden sich ­Parallelen, bestimmte Phasen der Trauer, die sich bei v ­ ielen ­Menschen beobachten lassen. Ein Modell, um diese zu erfassen, entwickelte die Schweizer Psycho­login ­Verena Kast. Sie unterscheidet dabei vier Trauerphasen: N I C H T-WAH RH ABE N -WOLLE N

Schock, Verzweiflung, Hilf- und ­Ratlosigkeit herrschen vor. Das Geschehene wird noch nicht erfasst. Viele Menschen sind wie erstarrt, andere brechen zusammen. Es kommt zu ­starken körperlichen Reaktionen wie zu raschem ­Pulsschlag, Schweißausbrüchen oder Übelkeit. AU FBREC H E N D E E MOT I ON E N

Starke, auch widersprüchliche Gefühle t­ reten auf. Vorwürfe werden gegen Gott und die Welt, aber auch gegen sich selbst oder den Toten ­gerichtet. Als Folge können Schuldgefühle entstehen. Die Gefühle sollten nicht unterdrückt werden, da sonst Depressionen drohen. SU C H E N U N D SI C H -T RE N N E N

Erinnerungen werden wiedererweckt, Gewohn­ heiten des Verstorbenen übernommen. In ­inneren Zwiegesprächen werden offene Themen geklärt. Die intensive Auseinandersetzung erzeugt oft ein starkes Begegnungsgefühl, was ­zugleich schön und schmerzhaft ist. Irgend­ wann kommt der Moment der Entscheidung zwischen Weiterleben oder Verharren in der Trauer. Suizidale Gedanken sind in dieser Phase häufig. N E U E R SE LBST- U N D WE LT BE ZU G

Das Leben geht weiter, neue Pläne werden ­geschmiedet. Der Trauerprozess hat Spuren hinterlassen, die Einstellung zum Leben hat sich meist völlig verändert. Der Verstorbene bleibt durch Erinnerungen Teil dieses Lebens.

Die Dauer und Ausformung dieser T ­ rauerphasen ist bei jedem anders. Daher brauchen Menschen, die ­andere in ihrer Trauer begleiten, ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Offenheit und F ­ lexibilität. Ob man alleine oder gemeinsam trauert, ob man in seiner Trauer Leidensgenossen oder Vertrauensper­so­ nen und Ansprechpartner hat, macht ebenfalls einen enormen Unterschied für die Trauerbewältigung.

Die Sinfonie der Klagelieder Unterschiedliche Formen von Trauer spielen eine wichtige Rolle in der 3. Sinfonie, der sogenannten »­Sinfonie der Klagelieder«, des polnischen Kompo­ nisten Henryk Mikołaj Górecki. In Mario Schröders »Lamento« bildet die Sinfonie das musikalische Fun­ dament des zweiten Teils, den er für diesen Abend neu kreiert. Der Komponist Górecki lebte von 1933 bis 2010 und war eine der zentralen Gestalten der polnischen Avantgarde. In den 70er Jahren entwickelte er einen einzigartigen Stil und wurde so zum musikalischen Einzelgänger seiner Zeit. Seine 3. Sinfonie von 1976 wurde Góreckis international erfolgreichste, aber auch umstrittenste Komposition. Oft wird seine Musik mit Begriffen wie neue Tonalität, neue Einfachheit oder neue Romantik beschrieben. Manche ­Kritiker bezeichnen sie aufgrund ihrer Tonalität als rückwärts­gewandt. Die Sinfonie war im Polen der Nachkriegszeit die be­deutendste musikalische Gattung, gestaltete sich allerdings sehr heterogen. Trotz der großen formalen Unterschiede handelte es sich aber keinesfalls um ein kompositorisches Experimentierfeld. Vielmehr nutzten die Komponisten die Sinfonie als Raum, um ihre persönliche Weltanschauung auszudrücken und nahmen Werte in den Fokus, die sie in ihrer Zeit verloren glaubten: humanistische, moralische, aber auch religiöse und patriotische Werte.


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Górecki war ab 1975 Direktor an der staatlichen Musikhochschule in Katowice, trat aber bereits 1979 zurück. Die große Kontrolle, die die kommunistische Partei ausübte, missfiel ihm. Dennoch fiel er nie als besonders politische Person auf. Obwohl die 3. Sin­ fonie gelegentlich historisch oder politisch gedeutet wurde, distanzierte sich Górecki von einer solchen Interpretation seines Werks. Auch seine persönlichen Verluste, der Komponist verlor seine Mutter im Alter von zwei Jahren und andere Verwandte durch den Holocaust, spielten für die Komposition nach seinen Angaben keine zentrale Rolle:

»Viele aus meiner Familie ­starben in Konzentrations­ lagern. Ich hatte einen Groß­ vater, der in Dachau war, eine Tante in Auschwitz. Sie ­wissen, wie es zwischen Polen und Deutschen ist. Aber Bach war auch Deutscher – und ­Schubert und Strauss. Jeder hat seinen Platz auf dieser kleinen Erde. Das liegt alles hinter mir. In der dritten Sinfonie geht es also nicht um Krieg. Sie ist kein Dies Irae. Sie ist eine normale Sinfonie der Klagelieder.«

Drei Sätze, drei Schicksale In den drei Texten, die in der Sinfonie von einer ­Sopranistin gesungen werden, geht es um Abschied, Tod und Trauer, aber auch um Trost und Hoffnung. Im ersten Satz erklingt ein Klagelied Marias, die sich an ihren sterbenden Sohn Jesus Christus wendet. Der Text entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jahr­ hunderts und stammt aus dem Kloster Heiligkreuz auf dem Berg Łysa Góra. Der erste Satz ist mit Abstand der längste der Sinfonie. Das Orchester spielt einen Kanon, der den Gesang der Solistin einrahmt. Dabei erklingt die Melodie in den verschiedenen Kirchentonarten. Im Text heißt es: »Teile mit der Mutter deine Wunden« und »Sprich mit deiner Mutter«. Der adressierte Sohn kann jedoch nicht mehr antworten. Der Verlust und die Fassungs­ losigkeit darüber dominieren. Die Trauernde befindet sich mitten in der ersten Trauerphase, ist schockiert und fühlt sich in ihrer Trauer anscheinend einsam und isoliert. Der Kanon hebt diesen individuellen Aus­ druck von Trauer auf eine universelle Ebene. Hier »besingen« viele einzelne Stimmen in ihrer jewei­ligen Sprache ihre persönliche, aber einsame Trauer. Im zweiten Satz erklingt ein Text von 1944. Die damals 18-jährige Helena Wanda Błaz·usiakówna schrieb ihn an die Wand einer Zelle im Keller des Gestapo-­ Hauptquartiers in Zakopane, wo sie Gefangene war. Im Text wendet sie sich an ihre Mutter, obwohl sie wusste, dass diese ihre Worte wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen würde. Sie fordert die Mutter auf, nicht zu weinen, versucht Trost zu spenden. Dann wendet sie sich an die »unbefleckte Himmelskönigin«, also Maria, und bittet um Beistand. Hier spricht keine Trauernde, sondern eine Betrauerte ergreift das Wort, versucht in ihrer Hilflosigkeit selbst zu trös­ ten. Musikalisch ist der Satz der zarte Lichtblick, der Hoffnungsschimmer des Werks. Es entsteht das Ge­ fühl, als würde der Appell aus dem ersten Satz an den Betrauerten auf wundersame Weise (aus dem Jen­ seits) beantwortet werden. Man könnte ihn auch als inneres Zwiegespräch lesen, wie es oft in der dritten Trauerphase auftritt.


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Im dritten Satz zitiert Górecki Text und auch Melodie eines oberschlesischen Volkslieds aus der Zeit der polnischen Aufstände in den 20er Jahren des 20. Jahr­ hunderts. Eine Mutter beklagt ihren im Krieg gefal­ lenen Sohn. Verzweifelt wendet sie sich an die »bösen Menschen« und fragt, warum sie ihren Sohn getötet haben. Sie berichtet von ihren bitteren Tränen und dass sie nicht einmal weiß, wo sich die Leiche ihres Sohns befindet. Ihre starken Emotionen zeigen, dass sie sich vermutlich in der zweiten Trauerphase befin­ det. Dass Górecki bei diesem Satz ganz bewusst auch auf die Melodie des Volkslieds zurückgriff, zeigt, dass es ihm hier nicht nur um das Einzelschicksal ging, sondern darum, eine kollektive Trauer, die Trauer um die Kriegsopfer, auszudrücken. Das gemeinsame Singen vermittelt das Gefühl: Ich bin nicht alleine in meinem Leid. Die drei unterschiedlichen Formen der Trauer, die in den Sätzen auftreten, sind auch in Mario ­Schröders choreografischer Umsetzung des Stücks von ­zentraler Bedeutung und spiegeln sich dort im Bühnenbild wider, das von drei unterschiedlichen geometrischen Formen bestimmt wird. Tänzerisch wird der Um­ gang des Einzelnen und der Gemeinschaft mit einer Katastrophe verhandelt, dabei schimmert aber auch immer wieder die Hoffnung auf eine bessere Zukunft durch. Das Thema Trauer und der Umgang damit wird ­zunehmend zum Tabuthema in unserer Gesellschaft. In einer Zeit, in der Trauerrituale immer mehr ver­ schwinden, in der die Unsicherheit im Umgang mit Trauernden steigt und Betroffene sich oft einsam und isoliert fühlen, ist es umso wichtiger, Räume zu ­schaffen, wo eine gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema wieder möglich ist. Nicht umsonst heißt es in einem Sprichwort: »Geteiltes Leid ist ­halbes Leid.«

Das Thema Trauer und der Umgang damit wird zunehmend zum Tabuthema in unserer Gesellschaft.

Tr aue r un d Ho ffnu ng

Lamento Mario Schröder

Blühende Landschaft Musik von Udo Zimmermann (»Lieder von einer Insel«) und Johann Sebastian Bach

Sinfonie der Klage­l ieder Choreografische Uraufführung Musik von Henryk Mikołaj Górecki (3. Sinfonie) L E IT U NG

Musikalische Leitung Christoph Gedschold Choreografie Mario Schröder Bühne, Kostüme, Video Paul Zoller Licht Michael Röger Dramaturgie Thilo Reinhardt / Nele Winter B ES E TZ U NG

Sopran (Sinfonie der Klagelieder) Lenka Pavlovič Gewandhausorchester PR E M I ERE

08. Feb. 2020, Opernhaus AUF F Ü H R U NG EN

29. Feb. / 22. Mär. / 03., 12., 18. & 26. Apr. 2020 alle Vorstellungen mit ­Einführung 45 Min. vor Vorstellungsbeginn; Publikumsgespräche im ­Anschluss (außer Premiere) W E R K S TAT T

29. Jan. 2020, 18:30

BUCHT I P P

Stefan Weiller Letzte Lieder. Sterbende erzählen von der Musik ihres Lebens Edel Books 2017


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Z U GABE

OHNE WORTE

antworten die Künstlerinnen und Künstler der Oper Leipzig auf unsere Fragen. Dieses Mal: Samantha Vottari, Tänzerin des Leipziger Balletts FOTO S : IDA Z E N N A

Wer ist ­Samantha Vottari?


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Was vermisst du an Zuhause?

Wovor hast du Angst?

Wenn du nicht ­Tänzerin g ­ eworden wärst …


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ES LEBE DIE DIVERSITÄT! Wie Operette und Musical mit verstaubten Rollenmustern aufräumen T E XT: E LI SAB E T H KÜH N E & N E L E W IN T E R

Der Kampf der Geschlechter und das Hinterfragen der traditio­ nellen Rollenbilder sind Themen, die im Musiktheater des 20. Jahrhunderts omnipräsent sind. Kein Wunder – handelt es sich doch um das Jahrhundert, in dem Machtverhältnisse und Geschlechterstereotype, die sich über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende manifestiert haben, zum ersten Mal angezweifelt und angefochten wurden. Gerade im Theater, wo in der Fiktion Gesellschaftsmodelle ausgetestet werden können, ging man oft einen oder mehrere Schritte weiter, als man es in der Realität wagte. Eines der Stücke, die ihrer Zeit um einiges voraus waren, ist die Operette »Die Juxheirat« von Franz Lehár. Es ist eines ­seiner unbekannteren Werke und entstand 1904, ein Jahr vor dem gro­ ßen Durchbruch des Komponisten mit seinem Welterfolg der »­Lustigen Witwe«. Die erstaunlich modernen Themen, die in »Die Juxheirat« behandelt werden, sind vermutlich auch ein Grund dafür, warum das Werk keine große Berühmtheit erlangte. Womöglich empfand man es kurz nach der Jahrhundertwende, als Frauen noch nicht einmal wählen durften, als zu provokant und fortschrittlich. Das zentrale Sujet des Stücks ist die Eman­ zipation der Frau vom Mann, damals noch eine hochbrisante Materie. Zusätzlich wird, unter dem Deckmäntelchen von Ver­ kleidungs- und Verwechslungsspielen, das heteronormative Weltbild zwar nicht komplett über den Haufen geworfen, aber schon hier und da an dessen dicker Staubschicht gekratzt. »Los vom Mann«, so lautet der Name des Clubs, den die Amerika­ nerin Selma gegründet hat. Sie ist Tochter des Milliardärs ­Brockwiller und bereits junge Witwe. Nach den enttäuschenden

Erfahrungen, die sie in der Ehe mit dem skrupellosen Baron ­Wilfort sammelte, hat sie den Männern abgeschworen und möchte nie wieder heiraten. Deshalb hat sie mit ihren intellek­ tuellen Freundinnen Phoebe und Euphrasia sowie mit der ver­ meintlich schüchternen Edith den Frauenbund lvm g­ egründet. ­Selmas V ­ ater wünscht sich jedoch, dass seine Tochter den ­adeligen Deutschen Harold von Reckenburg heiratet. Durch eine Intrige von Harolds Schwester Juliane kommt es nun zu zahlreichen Verwirrungen und Verwechslungen: Wer liebt wen? Wer ist Mann und wer ist Frau? Z ­ wischendurch wird dann auf ironische Weise Wagner zitiert und mit einem ­Augenzwinkern die Philosophie von Nietzsche und Schopenhauer sowie ­Darwins Evolutionstheorie in einem amüsanten »Affenterzett« besungen. Selma verliebt sich schließlich – nicht wegen, sondern trotz des Wunsches ihres Vaters – in besagten Harold von ­Reckenburg, aber im Glauben, dass dieser eigentlich seine als Mann verklei­dete Schwester sei. Ob die Gefühle erst plötzlich in ihr auf­flammen, als der Irrtum auffliegt, erscheint recht unglaub­würdig. Auch von Reckenburgs Chauffeur, der umtriebige Philly, stellt eine span­ nende Figur dar. Er hat nicht nur ein recht offenes V ­ er­ständnis von Liebe und Liebesbeziehungen, auch der vermeintlich nur gespielte Flirt mit seinem Chef gelingt ihm als er­staunlich über­ zeugende homoerotische Nummer und wirft die Frage auf, ob er nicht vielleicht bisexuell sein könnte. Er ­erscheint als unkon­ ventioneller Charakter, der am Ende auch kein Pro­blem darin sieht, die angehende Juristin Phoebe zu heiraten, obwohl sie ge­ bildeter ist und deutlich mehr verdienen wird als er.


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Doch auch der vermeintliche Held des Stücks, der Graf von ­Reckenburg, erweist sich keineswegs als ein klassischer »Alpha-­ Tenor«. Dass sich am Ende die heterosexuellen Paare finden, wie es in der Operette nun mal Konvention ist, bricht den modernen Ansatz des Stücks daher auch nicht im Geringsten. Schließlich entscheidet Selma sich für Reckenburg nicht aufgrund des Wun­ sches ihres geld- und prestigegierigen Vaters, sondern weil der Graf sich als empathischer und rücksichtsvoller Mann entpuppt, der sich nie aufdrängt und den Frauenbund sogar befürwortet. So kann der Verein am Ende seine eigenen Prinzipien guten ­Gewissens verraten. Die Frauen müssen sich von den Männern gar nicht komplett abwenden, da sie feststellen, dass beides möglich ist: ein selbstbestimmtes Leben und Liebe. Lediglich die toughe Euphrasia entscheidet sich am Ende für die Pathologie und gegen die (lebenden) Männer. Anders als eine Donna Elvira bei Mozart zieht sie sich dabei aber nicht frustriert ins Kloster zurück, sondern entscheidet sich einfach für das, was ihr gerade wichtiger ist. Die Ehe wird also nicht als einzig legitimes Lebens­ modell, sondern als eines von mehreren vorgestellt. In seiner Zeit revolutionär war auch Manuel Puigs Roman »Kuss der Spinnenfrau«, der 1985 mit William Hurt und Raul Julia in den Hauptrollen verfilmt und schließlich vom Erfolgsduo John K ­ ander und Fred Ebb als Musical adaptiert wurde. Erzählt wird die Geschichte einer ungewöhnlichen Männerbeziehung: Im Foltergefängnis der argentinischen Militärdiktatur teilen sich der homosexuelle Schaufensterdekorateur Luis Molina, der ­ wegen Verführung Minderjähriger einsitzt, und der linke Guerilla-­Kämpfer Valentin eine Zelle. Folter und Terror, Willkür und Demütigungen bestimmen den grausamen Gefängnisall­ tag. Während Valentin Halt in seinen politischen Idealen findet, flüchtet sich Molina in die heile Welt alter Kinofilme, die er in den schillerndsten Farben nacherzählt. Doch Molina und ­Valentin sind nicht zufällig Zellengenossen. Die Gefängnis­ leitung hat Molina auf Valentin angesetzt, um ihn zu bespitzeln und so seine politischen Verbündeten zu entlarven. Im Gegen­ zug soll Molina früher entlassen werden. Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: ­Valentin, der politische Gefangene, der im Kampf für die Revolu­ tion »mannhaft« selbst schlimmste Folter erträgt. Ein Idealist, der zwar für den Umsturz der bestehenden Gesellschaft mit all ihren sozialen Ungerechtigkeiten eintritt, den allgemein herr­ schenden Machismo aber keine Sekunde in Frage stellt. Auf der anderen Seite Molina, der unpolitische Genussmensch, der von edlen Stoffen und vom Feierabendglück mit dem Kellner Gabriel träumt. Ein Mann, der sich als Frau fühlt und sich mit den gro­ ßen Filmdiven seiner kitschigen Kinofantasien identifiziert. Fast scheint es, als sei in der südamerikanischen Männergesellschaft für einen wie Molina höchstens in der entrückten Welt des Kinos Platz. Soweit, so klischeehaft. Doch bei näherer Betrachtung wird klar: Nicht Valentin und Molina stehen sich hier als Gegen­ spieler gegenüber. Der eigentliche Feind ist die brutale Staats­ macht, die diskriminiert und unterdrückt und der beide hilflos ausgeliefert sind. Mit der Zeit nähern sich die Männer e­ inander an: Als Valentins Widerstand durch Gewalt und ­vergiftetes ­Essen gebrochen werden soll, pflegt ihn Molina gesund – und ­bewahrt Stillschweigen gegenüber der Gefängnisleitung. Und auch Valentin findet plötzlich Gefallen an der­f­ ilmischen Traumwelt Molinas, die ihn zumindest für kurze Zeit die enge Zelle vergessen lässt. Die starren Geschlechter­rollen lösen sich auf, aus Freundschaft wird schließlich Liebe: Als M ­ olina ent­las­ sen werden soll, bedankt sich Valentin mit einer gemeinsamen,

L o s vo m Mann!

Die Juxheirat Franz Lehár L E IT UN G

Musikalische Leitung Tobias ­Engeli Inszenierung Thomas Schendel Bühne, Kostüme Stephan von Wedel Choreografie Mirko Mahr Choreinstudierung Mathias Drechsler Dramaturgie Nele Winter B ES E TZ UNG

Selma, Baronin von Wilfort Lilli Wünscher Juliane von Reckenburg (Miss Grant) Theresa Maria Romes a. G. Miss Phoebe Mirjam Neururer Miss Edith Anna Evans Miss Euphrasia Nora Lentner Harold von Reckenburg Adam Sanchez Thomas Brockwiller Michael Raschle Philly Kaps Andreas Rainer Captain Arthur Jeffery Krueger Sheriff Huckland Milko Milev Haushofmeister Thomas Schendel a. G. Chor, Ballett und Orchester ­Musikalische Komödie PR E M IE R E

04. Apr. 2020, Westbad AUF F Ü H R U NG EN

05., 07., 11., 12. & 15. Apr. / 02. & 03. Mai / 20. & 21. Jun. 2020 W E R K S TAT T

31. Mär. 2020, 18:00


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letzten Nacht. Wieder in Freiheit, lässt Molina der Geliebten ­Valentins eine Nachricht von seinem Mitinsassen zukommen und wird dabei von der Polizei aufgegriffen. Doch selbst unter Folter gibt Molina ihren Namen nicht preis – und stirbt am Ende wie die Heroinen seiner Filme. Luis Alberto Molina: der Homosexuelle als positiver Held. Als Manuel Puigs Roman »Kuss der Spinnenfrau« 1976 während der argentinischen Militärdiktatur Videlas erschien, stellte dies einen Tabubruch in gleich zweifacher Hinsicht dar: Für Auf­ sehen sorgte nicht nur, dass Homosexualität in einer Zeit, in der Homosexuelle noch immer in vielen Ländern weltweit straf­ rechtlich verfolgt und als psychisch krank diffamiert wurden, generell thematisiert wurde – vor allem die Darstellung der Situation von Homo- und Transsexuellen in einer die ­sexuelle Selbstbestimmung unterdrückenden Diktatur wurde vom argentinischen Militärregime als Affront aufgefasst. Schon kurz nach der Machtübernahme begannen im Land groß­angelegte ­Säuberungsaktionen, die sich gegen linke Aktivisten, Intellek­ tuelle, Künstler, aber auch Schwule und Lesben richte­ten. In geheimen Haftanstalten wurden »Verdächtige« willkürlich und ohne Prozess monate- oder jahrelang festgehalten, gefoltert und schließlich ermordet. Menschenrechtsorganisationen ge­ hen von rund 30.000 Opfern aus. Mit dem Verbot seines R ­ omans in Argentinien kehrte Manuel Puig, der selbst aus seiner Homo­ sexualität nie ein Geheimnis gemacht hatte, seiner Heimat end­ gültig den Rücken zu. Mutige Schriftsteller wie Puig, aber auch Schauspieler wie William Hurt, der als erster Darsteller einer homosexuellen Filmrolle mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, und Komponisten wie Lehár oder die Musical-Macher Kander und Ebb hinterfragten in ihren Werken das heteronormative Welt­ bild und ­ebneten über die Kunst den Weg, ­gesellschaftliche ­Veränderungen in ­Bezug auf die Geschlechterrollen und s­ exuelle Identität nicht nur fiktiv, sondern auch in der Realität zu ­gestalten. Es lebe die D ­ iversität – auf der Bühne wie im Leben!

Schon g e w us s t?

Argentinien verabschiedete 2012 als weltweit erstes Land ein Gesetz, das es Transsexuellen und Trans­ vestiten erlaubt, ihre amtlichen Papiere zugunsten ihrer Geschlechts­ identität ändern zu lassen ohne sich zuvor einer Geschlechtsumwand­ lung, ­Hormon- oder Psycho­therapie unterziehen zu müssen – entschei­ dend ist allein die empfundene ­Zugehörigkeit zu einem Geschlecht.

Küs s m i c h , d as s i c h d i c h e r l ö s e n k an n !

Kuss der Spinnenfrau Buch von Terrence McNally nach dem Roman von Manuel Puig | Gesangstexte von Fred Ebb | Musik von John Kander | Deutsch von Michael Kunze L E IT UN G

Musikalische Leitung ­Christoph-Johannes Eichhorn Inszenierung Cusch Jung Choreografie Melissa King Bühne Frank Schmutzler Kostüme Aleksandra Kica Choreinstudierung Mathias Drechsler Dramaturgie Elisabeth Kühne B ES E TZ UN G

Aurora Anke Fiedler a. G. Molinas Mutter Anne-Kathrin Fischer / Angela Mehling Marta Nora Lentner Luis Molina Gaines Hall a. G. Valentin Arregui Friedrich Rau a. G. Gefängnisaufseher Cusch Jung Gabriel, Gefangener Andreas Rainer Esteban, Gefängniswärter Milko Milev Marcos, Gefängniswärter ­Radoslaw Rydlewski Frommer Mann / Gefangener Holger Mauersberger ai-Beobachter / Gefangener Peter Waelsch Fuentes, Häftling Tobias Latte Aurelio, Dekorateur / Gefangener Uwe Kronberg Emilio, Häftling Samuel Hoppe Carlos, Häftling Roland Otto Chor, Ballett und Orchester Musikalische Komödie PR E M IE R E

01. Feb. 2020, Westbad AUF F Ü H R U N G E N

02., 04., 07., 08., 09., 12., 14., 15., 16., 28. & 29. Feb. / 01. Mär. / 09. & 10. Mai 2020 W E R K S TAT T

28. Jan. 2020, 18:00


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LSBTIQA* Alles queer oder was? Ein kleines Glossar T E XT: M A R IE PAU L IN H E LG E RT

Menschen jenseits der hetero­sexu­ ellen Norm hat es immer gegeben, zu ­allen Zeiten und in allen Kulturen. Die ­Gesellschaft wird offener und ­bunter, viele müssen sich nicht länger ver­stecken, sondern werden sicht­bar. Mit der Sichtbarkeit tauchen auch neue Begriffe auf. Manche wie »schwul« oder »lesbisch« sind wohl­ vertraut, doch was ist »Non-­Binary« oder »­Cis­geschlechtlich«? Eine kleine Übersicht über die wichtigsten ­Be­zeichnungen will dieses Glossar ­bieten. Nicht alle Menschen, die unter die Defi­nition fallen, identifizieren sich mit dem genannten Begriff, auch ­sollen es keine Schubladen sein, denn Orientierung und Identität sind ­offene Spektren.

Asexuell Asexuelle Menschen verspüren kein oder wenig sexuelles Verlangen, können ­jedoch ebenso in romantischen Liebes­ beziehungen leben.

Bisexuell Bisexuelle Menschen verspüren Anzie­ hung zu zwei oder mehr Geschlechtern, manchmal wird der Begriff Bisexuali­ tät auch synonym zu Pansexualität ver­ wendet (Anziehung unabhängig vom Geschlecht).

Cis Menschen, die sich mit dem bei ihrer ­Geburt zugewiesenen Geschlecht identi­ fizieren können. Ein Bespiel: Frau ­Müller wird bei ihrer Geburt aufgrund ihrer pri­mären Geschlechtsmerkmale das weib­ liche Geschlecht zugewiesen, auch später fühlt sich Frau Müller mit der Zuordnung als Frau wohl.

Inter Menschen, deren Körper aufgrund ihrer Genitalien, genetisch oder hormonell weder der biologischen Kategorie »Frau« noch »Mann« zugeordnet werden kön­ nen, werden als intergeschlechtlich be­ zeichnet. Intergeschlechtliche Menschen können aber (wie alle anderen Menschen auch) jede Geschlechtsidentität haben, viele definieren sich als Mann oder Frau, aber auch als Non-Binary, divers* oder Inter*.

Lesbisch Frauen, die vor allem Frauen lieben und / oder begehren.

Non-Binary Menschen, deren Geschlechtsidentität weder Frau noch Mann ist, definieren sich häufig als Non-Binary oder ­Nicht-Binär. Nicht wenige nicht-binäre Menschen sind ebenso ➝ Trans und passen ihr Auftreten, ihren Körper oder ihren Namen und das Pronomen ihrer Identität an. Im Zweifels­ fall (wie bei jedem anderen Menschen auch) können Sie ruhig nach dem richti­ gen Pronomen fragen, viele Menschen fühlen sich durch falsche Pronomen ver­letzt und auch eine Frau Müller wäre schließlich mindestens irritiert, würde man sie plötzlich »Herr Müller« nennen.

Queer Ein Sammelbegriff für Menschen, die nicht heterosexuell und/oder cis­ geschlechtlich sind.

Schwul Männer, die vor allem Männer lieben und/oder begehren.

Trans Menschen, deren Geschlechtsidentität ­abweicht von dem Geschlecht, das ­ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Z. B. wurde bei der Geburt »weiblich« ein­ getragen, später stellt sich jedoch ­heraus, dass dieser Mensch sich als Mann oder z. B. als Non-Binary identifiziert und in dieser Rolle leben möchte. Es gibt das­­ Narrativ vom »im falschen Körper gebo­ ren« oder ein »Mann, der zur Frau wird«, was von vielen Trans*Menschen jedoch abgelehnt wird. Nicht der Körper ist falsch, sondern die gesellschaftliche Zu­ schreibung von Körperlichkeiten als »männlich« oder »weiblich«. Dabei ist ein Mann genauso ein Mann, auch wenn er eine Vulva hat und menstruiert und eine Frau genauso eine Frau, wenn sie einen Penis und Bartwuchs hat. Dennoch empfinden viele Transmenschen eine ­Diskrepanz zu ihrem Körper, manche las­ sen ihren Körper hormonell oder operativ ihrem Empfinden angleichen.

Z U R PE RS O N

Marie Paulin Helgert engagiert sich beim Rosa Linde e.V. und gestaltet dort als Antidiskrimi­ nierungstrainerin das queere Schulaufklärungs­ projekt »Liebe bekennt Farbe« mit. Sie schreibt als freie Autorin zu lesbischer Kulturgeschichte, als Lyrikerin wirkt sie bei queer-lesbischen ­Dichter*innenkreisen mit und setzt sich als Trans*Aktivistin insbesondere für Rechte von Trans*Menschen ein.


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Z U GABE


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P l atz h al te r

Schn a p p schu ss

Achtung Baustelle! Bevor die Musikalische Komödie im Herbst 2020 in neuem Glanz erstrahlt, heißt es im Haus Dreilinden: »­Betreten auf eigene Gefahr!«. Das Theater für ­Operette und Musical im ­Leipziger ­Westen wird seit Juli des vergangenen Jahres aufwendig saniert und bis zur feier­lichen Wiedereröffnung ist noch viel zu tun. Um Baufreiheit zu s­ chaffen, ­wurden 25 lkw-Ladungen Grund­material abtransportiert. Fast 900 Schein­werfer wurden ausgebaut und zum Schutz vor Baustaub eingelagert. Über zwei T ­ onnen Bauschutt entstanden allein in den ­ersten fünf Monaten der Bauzeit. Doch all die Arbeit und der viele Dreck lohnen sich. Nach der Schlüsselübergabe dürfen sich die Besucherinnen und Besucher der Musikalischen Komödie über mehr ­Komfort und bessere Akustik freuen. Der Zuschauersaal wird komplett s­ aniert, Außenanlagen und Venussaal neu­ge­ staltet und auch der Orchestergraben soll zukünftig höhen­verstellbar sein.

Jingting Ye, 30, aus Leipzig Wann waren Sie das erste Mal in einer ­Vorstellung des Leipziger Balletts?

Das war  Rachmaninow   vor ungefähr vier Jahren. In der Oper Leipzig war ich zum ersten Mal in der  Zauberflöte   vor etwa sieben Jahren. Warum haben Sie sich entschieden, in »Dornröschen – Once Upon a Dream« zu gehen?

Einfach weil ich Tschaikowskis Musik so liebe. Haben Sie eine Lieblingsproduktion?

Im Ballett sehe ich am liebsten  Schwanensee   und in der Oper gefällt mir  Carmen   besonders gut. Welches Stück würden Sie gerne noch sehen?

Ich würde mich sehr freuen, noch einmal  Rachmaninow   zu sehen. Der Abend hat mir sehr gut gefallen und die beiden Klavierkonzerte sind wunderschön!


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ADNA IST

NEU

Ein Ballett im Klassenzimmer T E XT: E LI SABE T H KÜ H N E

Laura Dominijanni


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Es ist ein ganz normaler Dienstagvormit­ tag: Um 10:30 Uhr strömen die Schüle­ rinnen und Schüler der vierten Klasse in das Musikzimmer der 90. Grundschule in Grünau. Plötzlich klopft es leise an der Tür. Unsicher streckt ein junges M ­ ädchen den Kopf in den Klassenraum – eine neue Mitschülerin, wie die Lehrerin Frau Bohne den Kindern erklärt. Adna heißt sie. Als Adna zögernd nach vorn kommt, um ihren Namen an die Tafel zu schrei­ ben, bricht Gelächter in der Klasse aus: Adna hat sich verschrieben. Verschämt setzt sich Adna auf ihren Platz und kramt aufgeregt in ihrer Schultasche. Dann ­passiert es: Die Tasche samt Inhalt fällt mit einem lauten Knall vom Tisch auf den Boden. Stifte, Hefte, Federtasche, alles liegt verteilt mitten im Klassenzimmer. Und alle Augen sind auf Adna gerichtet.

Dies ist der Beginn einer ganz besonderen Unterrichtsstunde. Denn spätestens als gleichsam aus dem nichts Musik erklingt und Adna zu tanzen beginnt, wird den Kindern klar: Das ist keine gewöhnliche Schülerin. Tatsächlich heißt Adna eigent­ lich Laura Dominijanni und ist Tänzerin im Ballett der Musikalischen Komödie. Sie ist die Protagonistin im Klassenzimmer-­ Stück »Adna ist neu«, das Theaterpäda­ gogin Christina Geißler eigens für Grund­ schulklassen konzipiert hat. Ganz ohne Worte, nur mit der Sprache des Körpers und des Tanzes erzählt sie darin vom Ge­ fühl des Fremdseins, den verwirrenden Eindrücken einer neuen Umgebung und den Schwierigkeiten der ersten Kontaktaufnahme. »Adna kommt neu in die Klasse und es ist nicht klar, wie viel und ob sie überhaupt die deutsche Sprache versteht«, erklärt Christina Geißler. »Auch ihre Herkunft ist nicht aus ihrem Namen abzuleiten, da ›Adna‹ als Vorname für Mädchen im Hebräischen, Arabischen und Bosnischen Sprachraum üblich ist. Adna ist sehr angespannt, die gesamte Aufmerk­ samkeit der Klasse ist auf sie, ›die Neue‹ gerichtet, und trotzdem bleibt sie ohne Worte. Sie kann nicht verstehen, ob die anderen Kinder sie an- oder auslachen. Und die Kinder der Schulklasse können nur vermuten, wie Adna sich fühlt. Viel­ leicht kommt Adna aus einem anderen Kulturkreis, vielleicht hat sie schlimme Erfahrungen mit Krieg und Flucht ge­ macht, vielleicht ist sie ohne ihre Eltern in einem neuen Land, vielleicht war sie noch nie in der Schule, vielleicht, vielleicht …«

Christina Geißler

Auch die Tänzerin Laura Dominijanni kennt die Gefühlswelt von Adna und weiß, was es bedeutet, neu in einen Klassen­ verband zu kommen: »Als ich sieben Jahre alt war, musste ich in meiner Heimat Italien die Schule wechseln. Ich war sehr ängstlich und wusste nicht, wie die ande­ ren Kinder auf mich reagieren werden. Doch zumindest konnte ich ihre ­Sprache verstehen. Ganz anders war es, als ich ­später nach Deutschland kam. Hier musste ich mich nicht nur in einer völlig neuen Umgebung, sondern auch in einer neuen Sprache zurechtfinden. Zum Glück konnte ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen zunächst auf Englisch verständigen und wurde sehr herzlich aufgenommen.«


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Im Nachgespräch mit Christina Geißler zeigt sich, dass auch die Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse solche Erfahrun­ gen kennen. Eines der Mädchen erinnert sich noch genau, wie es ihr anfangs ergan­ gen ist: »Ich bin erst in der dritten Klasse dazugekommen. Da war ich sehr aufgeregt. Doch dann habe ich ein Mädchen gefragt, ob wir Freundinnen werden wollen und sie hat Ja gesagt. Und so habe ich hier Freunde gefunden.« Eigeninitiative kann also ein Weg sein, sich im neuen Klassen­ verband zu integrieren. Gemeinsam mit Christina Geißler überlegt die Klasse aber auch, wie sie auf neue Gesichter zugehen und ihnen die Angst nehmen kann. Auch Adna gelingt es im Ballett schließ­ lich, ihre anfängliche Schüchternheit zu überwinden und erste Kontakte zu ihren neuen Mitschülern zu knüpfen. Und wenn am Ende alle zusammen tanzen wird eines klar: Wenn beide Seiten offen füreinander sind, ist ein gemeinsames Mit­einander möglich – sogar ganz ohne Worte.

Adna ist neu Ballett im Klassenzimmer Eine mobile Produktion für Grundschulklassen DAUE R

45 Min. (aufgeteilt in circa 25 ­Minuten Tanz und 20 Minuten Gespräch mit der Klasse) KO S T E N

3 € pro teilnehmendes Kind / mind. 15 Kinder A N M E L D UN G & IN F O R M AT IO N

Christina Geißler geissler @ oper-leipzig.de Geeignet für daz-Klassen


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EINE FRAGE DER HALTUNG Kommunikationscoach ­Constance ­Tornow erklärt, was die ­Körpersprache über uns verrät T E XT: AN N A- LE N A KASC HUB OW S K I

Er ist ein aufrechter Mensch, lässt den Kopf hängen oder steht mit beiden Beinen im Leben. Die Körpersprache ist eine der unmittelbarsten Ausdrucks­formen des Menschen, eine Sprache, die so in­ dividuell ist wie der Mensch selbst, noch dazu gnadenlos ­offensichtlich und für jeden ­lesbar. G ­ erade deshalb versuchen immer mehr Menschen, bewusst an ihrer Haltung zu arbeiten. Aber geht das überhaupt? Brust raus, Bauch rein, Schultern runter – jeder kennt diese Ansage. Vor einer ­Präsentation oder einer Verhandlung gilt es, Haltung anzunehmen, um Selbstbe­ wusstsein auszustrahlen. Ähnlich wie die Atmung zählt die Körpersprache jedoch zu den menschlichen Mechanismen, die vorwiegend unbewusst ablaufen. Zwar ist es möglich, die Aufmerksamkeit auf den Körper zu richten und die ausgesendeten Signale zu beeinflussen, lange funktioniert das jedoch nicht. »Etwa sieben Sekunden lang kann ich meine Haltung und Körper­ sprache bewusst steuern«, sagt Constance Tornow, Expertin für Menschenkennt­ nis, Körpersprache und Kommunikation. Danach richtet sich die Aufmerksamkeit wieder nach außen und wir agieren auf körperlicher Ebene unbewusst. Mit ihrer Firma »Hommage« hält ­Constance Tornow Vorträge und Seminare und berät Firmen und Einzelpersonen in Coachings. Aber wie kann man etwas, das fast vollständig unbewusst abläuft, schu­ len oder gar verändern? »Vor allen Dingen

muss man sich mit der Ursache beschäf­ tigen«, antwortet Tornow. Die Frage ist also, warum ich den Kopf hängen lasse oder ohne es zu merken an meinen Haaren herumspiele. »Wenn ich beginne, mit einem Menschen zu arbeiten, der seine Haltung verän­ dern will, weil er sich unwohl fühlt, dann schaue ich mir zuerst seine Disposition und seine Lebensumstände an. Oftmals erkenne ich da schon gewaltige Diskre­ panzen.« Ist ein Mensch zum Beispiel sehr extrovertiert, arbeitet aber in einem Be­ ruf, in dem er kaum Kontakt zu anderen hat, ist das schädlich. Er fühlt sich un­ wohl und kommt auf destruktive Gedan­ ken, die ihm permanent suggerieren, dass er fehl am Platz und nicht wichtig ist. Tornow zufolge sind diese Gedanken vor allem eines: Energie. Und wie aus dem Physikunterricht bekannt ist, kann diese nicht verloren gehen. Im Falle der Gedan­ ken findet diese Energie also ihren Weg in den Körper, wandelt und manifestiert sich dort. Wenn eine Person permanent Gedanken hat, die sie nach unten ­ziehen, wird sie bald wirklich in sich zusammen­ sinken. Denn der Körper spiegelt immer nur die Vorgänge der eigenen Seelenwelt. Die logische Konsequenz ist, dass wer seine Körperhaltung ändern möchte, beginnen muss an seiner inneren Haltung, vor allem zu sich selbst, zu arbeiten. Kenne ich mich, akzeptiere ich mich so wie ich bin und lebe ich gemäß meiner eigenen ­Natur? Bin ich mit mir selbst zufrieden

und suche mir ein dementsprechendes Umfeld, in dem ich mich wohlfühle? Traue ich mich, der Mensch zu sein, der ich wirklich bin, sprich: mich selbst zu vertreten, mich zu positionieren und ­Haltung anzunehmen? Vielen fällt das schwer. Denn es braucht Mut, sich auseinanderzusetzen. Wer Hal­ tung zeigt, ist unangenehm. Er duckt sich nicht weg, sondern fordert eine Ausein­ andersetzung – mit sich und anderen. Das ist mitunter anstrengend und nicht im­ mer harmonisch. Und der Mensch lässt sich von Gefühlen wie Angst vor Konflik­ ten oder Bequemlichkeit zurückhalten. Sich eine bestimmte Körperhaltung von außen anzutrainieren, erscheint da erst einmal einfacher. Aber ob ein Mensch authentisch ist und lächelt, weil er wirk­ lich positiv gestimmt ist oder weil er es sich vorgenommen hat, das erkennt man sofort, sagt Constance Tornow. Nicht ­zuletzt, weil Körpersprache immer ein Zusammenspiel mehrerer Aspekte ist und eben nicht nur das Hochziehen einer ­Augenbraue oder eine Handbewegung. Allerdings kann man durch das bewusste Trainieren der Körperlichkeit auch die Psyche beeinflussen. »Schließen Sie sich einfach mal im Badezimmer ein und ­lachen Sie für mindestens eine Minute Ihr Spiegelbild an. Das kann laut oder leise erfolgen. Es wird Ihnen schnell gut gehen«, schlägt Constanze Tornow ihren Klien­ ten oft vor. Auch wer sich zum Beispiel bewusst aufrichtet, fördert Aufmerksam­ keit und Konzentration. Denn dadurch wird Platz im Rücken geschaffen und der Sauer- und Nährstofftransport ins Gehirn funktioniert ohne Stau. Samy Molcho, einer der weltweit bekanntesten Experten für Körpersprache und deren Wirkung als Kommunikationsmittel, schreibt zum Thema richtige und natürliche Hal­ tung: »Die Energie strömt gleichmäßig durch die Muskeln den Körper hinauf und hinunter und schafft eine elastische Beziehung zu Erde und Raum. Solange dies geschieht, begegnen wir der Welt harmonisch.«1 Wer also mit sich in Harmonie ist, begeg­ net so auch seiner Umwelt. Die eigene (Körper-)Haltung ist also vor allem eines: Ausdruck der Haltung gegenüber sich selbst und dem eigenen Leben.

1 Samy Molcho: »Körpersprache«, Mosaik Verlag München, 1983


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KÖRPER UND

GEIST Laura Costa Chaud über die richtige Haltung im klassischen und zeitgenössischen Tanz TEXT: N ELE WI N TER


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Auch die innere ­H altung ist für das ­Training und bei ­Vorstellungen wichtig.

Zwischen dem zeitgenössischen Tanz und dem ­klassischen Ballett gebe es aber Unterschiede, erzählt Costa Chaud. Im zeitgenössischen Tanz liegt der Schwerpunkt des Körpers oft tiefer und die Körper­ mitte bleibt flexibler. Dennoch ist hier das tägliche achtstündige Training und der entsprechende Aus­ gleich ebenso unabdingbar. Auch die innere Haltung sei für das Training und bei Vorstellungen wichtig, betont Costa Chaud, denn diese äußere sich oftmals unmittelbar in der Körper­ haltung oder bei Stress sogar in Verspannungen. Daher versuche sie, das Training mit einem Lächeln zu beginnen, was sich dann auch positiv auf die Stimmung und auf den ganzen Körper auswirke. Wie eng Körper und Psyche miteinander verbunden sind, zeige sich auch bei der Gestaltung von Charakteren. »Wenn ich eine böse Figur verkörpern soll, frage ich mich zunächst nicht, welche Bewegungen sie macht, sondern versuche mich in diese Emotion hineinzu­ fühlen. Dann nimmt auch der Körper automatisch die richtige Haltung ein.« Daneben sei es gerade als Tänzerin, einem ­Beruf, bei dem man es mit großen körperlichen und auch ­psychischen Belastungen zu tun hat, wichtig, auf die eigene Geisteshaltung zu achten. Denn Konzentra­ tion ist bei anspruchsvollen Choreografien das A und O. Bei Vorstellungen brauche man das richtige Ver­ hältnis von Anspannung, Fokus und Energie, aber auch Ruhe und ein gewisses Maß an Entspannung, so Costa Chaud. Daher solle man nicht nur den Körper trainieren, sondern auch auf sich selbst achten und genug Ruhe- und Entspannungsphasen einbauen.

Lange fließende Linien, eine aufrechte stolze Haltung – das ist das ästhetische Ideal, das im klassischen Ballett angestrebt wird. Dabei ist nicht nur die gerade Aufrichtung des Rumpfes wichtig. Bis ins Detail wird die korrekte Haltung der Hände, der Finger, der Füße oder des Kopfes trainiert. Alle Winkel müssen stimmen. Jede Bewegung soll elegant sein, mühelos und federleicht aussehen. Gerade im klassischen Tanz ist die korrekte Haltung besonders wichtig. Bei professionellen Tänzerinnen und Tänzern wird diese durch das tägliche Training gewährleistet. »Beim Einstudieren der Choreografien hat man kaum noch Zeit, auf die richtige Haltung des Körpers, der Arme oder der Füße zu achten. Es muss einem daher schon früh in Fleisch und Blut über­ gegangen sein«, sagt Laura Costa Chaud, Tänzerin im Leipziger Ballett. Darüber hinaus betont sie, wie wichtig die richtige Haltung nicht nur für die Ästhe­ tik, sondern auch für die Stabilität beim Tanzen sei. Nur wenn die Körpermitte fest ist, können auch an­ spruchsvolle und schnelle Bewegungen korrekt und sicher ausgeführt werden. Die Tänzerin weist aber darauf hin, dass die im klassischen Tanz trainierte Haltung auch nicht unbedingt gesund sei, wenn man dazu keinen Ausgleich schaffe. Dafür macht sie mehrmals wöchentlich Pilates mit einer privaten Trainerin und auch gelegentlich Yoga.

Übrigens: Als Tipp für eine gute Haltung würde Laura Costa Chaud jedem raten, sich regelmäßig zu bewegen und Training wie Pilates oder Yoga zu ­machen. Darüber hinaus empfiehlt sie, nicht zu viel Zeit am pc oder am Handy zu verbringen, da man dabei oft eine ungesunde Körperhaltung einnimmt, und nicht zuletzt besonders auf die innere Haltung zu achten, da Körper und Geist eng miteinander ver­ bunden sind.

Z U R PE RS O N

Laura Costa Chaud, geboren in Pirassununga, São Paulo/Brasilien, erhielt ihre Ausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper. B ­ is­herige Engagements führten sie u. a. an das Landes­ theater Salzburg, das Centre Choréographique National de Caen/Basse in Frankreich, das Ballett Vorpommern in Greifswald und zuletzt an das ­Anhaltische Theater Dessau. Mit der Spielzeit 2013/2014 wurde sie Mitglied des Leipziger Balletts. Solistisch zu sehen ist sie in »Dornröschen – Once Upon a Dream«, »pax 2013«, im »Mozart Requiem«, in »Rachmaninow«, als Desdemona in »Othello«, als Aschenputtel in »Die Märchen der Gebrüder Grimm«, in »Lobgesang«, als Clara bzw. Zuckerfee in »Der Nussknacker«, als V ­ incents Schwester in »Van Gogh«, in »Walking Mad« und als Schwarzer Schwan in »Schwanensee«. In Beethovens »Siebente Symphonie« (Ballettabend Beethoven/­Ravel) tritt sie ebenfalls solistisch auf.


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Das Leben als Mutprobe Prüfungsstress in Mozarts »Zauberflöte« T E XT: CH R IS T IA N G E LT IN G E R

»Von nichts kommt nichts«, auf diese einfache Formel lässt sich die Lebensweisheit der vermeintlich Tüchtigen auf den Punkt bringen: »Fortes fortuna adiuvat« (Den Tüchtigen hilft das Glück) heißt es schon in Ciceros »Tusculanae disputationes«. Vom ­protestantischen Arbeitsethos, nach dem nur die ernste Sache wahres Vergnügen bereite, über die Industrialisierung bis hin zur modernen Hochleistungsgesellschaft mit ihrem Selbstopti­ mierungswahn zieht sich ein Narrativ: Der Mensch muss sich im Leben bewähren, sei es gegenüber den Ansprüchen a­ nderer oder sei es gegenüber seinen eigenen, die ja nicht selten von anderen beeinflusst werden. Und immer wieder muss er Prüfungen bestehen, das fängt an in Schule, Universität und Arbeit und endet bei der Frage nach der Partnerwahl: »Drum prüfe, wer sich ewig bindet!« Selbstredend bedarf es gewisser messbarer Parameter, die Men­ schen zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten befähigen: Wer ein Auto oder ein Flugzeug steuern will, sollte sich vorher einer Führerscheinprüfung unterziehen oder einen Flugschein er­ werben. Doch nicht selten ergreift der Mechanismus des Prüfens und Strafens bzw. Belohnens von unserer ganzen Persönlichkeit Besitz und wir reagieren wie die Pawlowschen Hunde auf das hingehaltene Stöckchen. Wenn wir Männchen machen, gibt es nachher auch ein Leckerli. Hinzu kommt oft der soziale Druck, der uns zu Taten antreibt, die wir aus freien Stücken nie im Leben zu tun gedächten. Schon Kinder zelebrieren das Ritual einer Mutprobe, um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe unter Beweis zu stellen. Christlich bzw. lebensphilosophisch ­betrachtet nimmt die Geschichte des Prüfens buchstäblich schon bei Adam und Eva ihren Ausgang. Die ersten Menschen werden von Gott auf die Probe gestellt, indem er ihnen verbietet, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Prüfung nicht bestanden: Paradise lost! Ist diese biblische Szene nicht ein schönes Gleichnis dafür, dass das Leben an sich und der damit zwangsläufig verbundene Tod die eigentliche Prüfung darstellt, die es zu bewältigen gilt und der sich keiner auf dieser Erde entziehen kann?

Der Titelheld in Wolfgang Amadeus Mozarts am Zenit der Auf­ klärung entstandenen Oper »Die Zauberflöte« wirkt zu Beginn der Handlung wie ein aus dem behüteten Mutterschoß orien­ tierungslos in die Welt Hineingeworfener: »Wo bin ich! Ist’s Fantasie, dass ich noch lebe? Oder hat eine höhere Macht mich gerettet?« Von Aufklärung keine Spur. Es handelt sich gewis­ sermaßen um einen, der auszog, das Fürchten zu lernen, einen reinen Toren, der aber anders als Siegfried bei seiner ersten Mut­ probe gnadenlos durchfällt und in Gestalt der riesigen Schlange mit seinen eigenen Urängsten konfrontiert wird. Ein Held sieht anders aus. Und wie sich Tamino allein durch ein Bildnis von ­Pamina zunächst für die Sache der Königin der Nacht instrumen­ talisieren lässt, um dann kurze Zeit später umzuschwenken in das Lager von Sarastro und sich den Prüfungen der Weisheits­ lehre zu unterziehen, zeugt nicht gerade von einer gefestigten Persönlichkeit. Sein »Buddy« Papageno geht das Ganze dagegen von vornherein etwas Spielerischer an. Er folgt dem Prinzip »Trial and Error« mit der Konsequenz, dass er immer wieder seine Grenzen überschreitet. Und das Interessante dabei: Abgesehen von eher harmlosen Einschnitten wie einem Vorhängeschloss als vorübergehenden Maulkorb oder einer von den drei Damen ebenfalls nur auf Zeit verordneten Zwangsdiät spaziert er damit ganz gut durchs Leben. Die gravitätischen Anfangsakkorde der Ouvertüre kündigen das zentrale Motiv an, das auf den Schultern Taminos lastet und das für die Handlung des zweiten Aktes konstitutiv ist: die Prüfung, die als eine existentielle beschrieben wird. »Du unterziehst jeder Prüfung dich, auch wenn Tod dein Los wäre«, so der Prüfungs­ ausschuss der Weisheitslehrer. Die »Zauberflöte« entpuppt sich hier als eine Initiationsgeschichte im doppelten Sinne: philoso­ phisch betrachtet als ein Weg aus der Dunkelheit der seelischen Untiefen hin zum Licht der Erkenntnis, entwicklungspsycholo­ gisch als die Geschichte des Erwachsenwerdens eines Teenagers in einer Umgebung, die Tamino und Papageno nicht wirklich geheuer ist. Bei genauerer Betrachtung geht es in der »Zauberflöte«


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Kl i n g e t, Gl ö c kc hen k l i n get …

Die Zauberflöte nämlich alles andere als harmlos zu – in der Geschichte gibt es ja bekanntlich allein zwei Selbstmordversuche –, vielmehr werden die klassischen Wirkungsmechanismen eines Gruselfilms be­ dient. Es blitzt, donnert und kracht allenthalben. Aber nicht nur die Naturgewalten bedrohen die Protagonisten, hinter jeder Ecke lauern Gefahren. Wie ein Kind, das allein im Wald zu sin­ gen beginnt, wenn es sich gruselt, oder das nachts noch einmal unter das Bett schaut, ob sich dort nicht doch das Ungeheuer aus dem letzten Kinofilm verbirgt, vermag Papageno Dunkelheit, Sprachlosigkeit und Einsamkeit nicht zu ertragen. Vom Geist der Aufklärung zur Schauerromantik ist es nur noch ein kurzer Weg. Joanne K. Rowling und Stephen King lassen grüßen. Und natürlich geht es für Tamino auch noch um einen anderen Preis: Ohne Prüfung keine Pamina. Als ob Liebe und Zuneigung alleine als Basis für eine Partnerschaft nicht ausreichten. Aber um das auszuloten, wird den auf den ersten Blick Verliebten gar keine Gelegenheit gegeben, sodass die entscheidende Frage am Ende der Oper eher die sein dürfte, ob die Liebe auf den ersten Blick einer eingehenderen Prüfung standhält. Das ist die eigent­ liche Feuerprobe, die das Paar erst noch vor sich hat. »Hinaus ins Leben«, könnte es wie nach einer bestandenen Abiturprüfung heißen. Für den »Naturmenschen« Papageno ist der Fall klar: Er geht mit seiner Papagena auf volles Risiko!

Und wie ­m utig sind Sie? Finden Sie es in unserem Test auf Seite 60 heraus!

Wolfgang Amadeus Mozart L E IT U NG

Musikalische Leitung David Reiland Inszenierung Barbora Horáková Bühne Falko Herold Kostüme Eva Butzkies Choreinstudierung ­Thomas ­Eitler-de Lint Dramaturgie Christian Geltinger B ES E TZ U NG

Königin der Nacht Gloria Rehm Pamina Julia Sophie Wagner Erste Dame Magdalena Hinterdobler Zweite Dame Kathrin Göring / Sandra Maxheimer Dritte Dame Christiane D ­ öcker / Sandra Janke Papagena Leonor Amaral / ­Mirjam Neururer Tamino Matthias Stier / Patrick Vogel Papageno Jonathan Michie / Franz Xaver Schlecht Sarastro Sejong Chang / ­Randall Jakobsh Monostatos Dan Karlström / Martin Petzold Sprecher Hinrich Horn / ­Tuomas Pursio Erster geharnischter Mann ­Alvaro Zambrano Zweiter geharnischter Mann ­Jean-Baptiste Mouret Opernchor, Gewandhausorchester PR E M I ERE

02. Mai 2020, Opernhaus S c h o n g e w us s t?

Für seine 1884 erstmals produzierte Mozart­ kugel erhielt der Salzburger Konditor­ meister Fürst im Jahr 1905 bei der Pariser Weltausstellung die Goldmedaille.

AUF F Ü H R U NG EN

09., 15. & 31. Mai / 07. & 20. Jun. / 02. Jul. 2020 alle Vorstellungen mit ­Einführung 45 Min. vor Vorstellungsbeginn W E R K S TAT T

23. Apr. 2020, 18:00 KA N T IN E N GES PRÄCH

07. Jun. 2020 im Anschluss an die Vorstellung


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Z U GABE

Te s t

Rascher Mut! Würden Sie die Prüfungen in der »Zauberflöte« bestehen oder sind Sie eher ängstlich veranlagt wie Papageno? Finden Sie es selbst heraus!

Im Urlaub treffen Sie auf eine gefährlich ­a ussehende Schlange, die Sie angreift. Ich schlage sie tot. (A) Ich falle in Ohnmacht. (B) Ich laufe davon, schäme mich dann aber und erzähle, dass ich sie e­ rschlagen habe. (C) Ich schreie laut und renne um mein Leben, aber nur wenn mich keiner sieht. (D) In Ihrer Schulzeit waren Sie … Der Klassenclown (C) Der Liebling der Lehrer (A) Der Mädchen-/Jungenschwarm (B) Meistens in der Raucherecke oder Schule schwänzen (D) Ihr Traumjob ist … Musiker oder Tierpfleger (C) Ich kann gut organisieren. Vielleicht Personal Assistant? (A) Mafiaboss (D) Schriftsteller (B)

Sie sehen eine schöne Frau/einen schönen Mann in einer Bar. Ich bin verliebt! (B) Die/Den kriege ich schon rum, zur Not auch mit Zwang. (D) Die/Der wäre vielleicht etwas für eine Freundin/einen Freund von mir. (A) Ich starre ihn/sie an und traue mich nicht hinzugehen. (C) Wenn Sie einen Wunsch freihätten … Weltherrschaft! (D) Die große Liebe finden! (B) In Ruhe und Frieden leben. (C) Hmm … da müsste ich erstmal drüber nachdenken. (A) Alleine sein ist für Sie … Ich arbeite lieber im Team. (A) Ich finde auch alleine immer eine ­B eschäftigung. (C) Ich sehne mich nach einem geliebten Menschen. (B) Ich brauche keine Menschen! (D) Auf der Autobahn … Bin ich sehr schnell unterwegs und fahre dicht auf, wenn man mir nicht ausweicht. (D) Halte ich mich an die Verkehrsvorschriften. (A) Fahre ich gemütlich und habe hoffentlich Snacks und gute Musik dabei. (C) Rase ich geradezu, wenn das Ziel der/die Liebste ist. (B)

Ihre größte Angst ist … Einsamkeit (B) Machtlosigkeit (D) Dunkelheit, Höhe, Spinnen, Ratten… Irgendwie alles! (C) Kontrollverlust (A) Vor einer Prüfung … Bin ich entspannt, da ich gut vorbereitet bin. (A) Bin ich meistens aufgeregt, aber auch zuversichtlich. (B) Bin ich mit Spickzetteln ausgerüstet und besteche zur Not den Prüfer. (D) Bin ich total aufgeregt und vergesse vor lauter Nervosität alles. (C) Sie sonnen sich am See. Auf einmal droht ein Kind zu ertrinken. Ich werde ziemlich panisch, springe aber sofort ins Wasser und rette das Kind. (B) Ich bin als Rettungsschwimmer ausgebildet und handle daher souverän. (A) Ich bin total überfordert, renne hin und her und rufe panisch nach Hilfe. (C) So lernt das Kind wenigstens endlich schwimmen! (D)


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Ihr persönliches Testergebnis

Die drei Damen

Tamino

Sie sind pragmatisch, gut organisiert und machen grundsätzlich, was von Ihnen ver­ langt wird und was die Situation nun mal erfordert. Daher haben Sie eigentlich keine Zeit, ängstlich zu sein. Auf andere wirken Sie gelegentlich kühl und abgeklärt. Viel­ leicht sollten Sie mehr darüber nachdenken, was Sie persönlich für Ziele haben, welche Emotionen Sie antreiben und sich trauen, diese zu verfolgen, auch wenn Ihnen dann keiner den Weg vorgibt. Nur Mut!

Sie haben gelegentlich Angst, handeln nicht immer souverän und verbergen das auch nicht. Wenn es aber darauf ankommt, ­kön­nen sie wirklich mutig sein, schwierige Prüfungen bestehen und setzen sich auch für andere ein. Sehr noble Eigenschaften! Zu Ihren großen ­Taten treibt Sie jedoch vor allem die Liebe an. Da Liebe bekanntlich blind machen kann, sollten Sie gelegentlich Ihren Verstand einschalten und überprüfen, ob Sie noch auf dem richtigen Weg sind. Ansonsten: Weiter so!

Papageno

Monostatos

Sie sind ein kleiner Angsthase, aber ein lie­ benswerter. Gelegentlich versuchen Sie das zu verbergen, meistens stehen Sie jedoch zu Ihrer vermeintlichen Schwäche und gerade dafür werden Sie gemocht. Sie sind ein ­direkter, unverstellter und fast kind­lich fröhlicher Mensch, dem man notfalls auch gerne aus der Patsche hilft. Manchmal könnten Sie sich jedoch etwas mehr aus Ihrer Komfortzone wagen. Wer weiß, was Sie dann alles noch erreichen könnten?

Sie spielen gerne den harten Kerl, sind aber eigentlich ein recht unsicherer und ängst­ licher Mensch. Durch Zwang und Gewalt versuchen Sie Macht zu demonstrieren und andere von Ihrer Furchtlosigkeit und ­Ab­geklärtheit zu überzeugen, laufen dann aber schon vor einer kleinen Spinne davon. Lernen Sie zu Ihrer weichen Seite zu stehen und vertrauen Sie darauf, dass Menschen eher dann Ihre Nähe suchen, wenn sie Sie lieben und nicht, wenn sie Sie fürchten.

A = Die drei Damen B = Tamino C = Papageno D = Monostatos


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DR E IKL ANG # 04

»Man hört durch die Augen« Die steile Karriere der jungen ­t schechischen ­O pernregisseurin ­B arbora Horáková T E XT: CH R IS T IA N G E LT IN G E R

Als die junge tschechische Regisseurin Barbora Horáková im Februar 2018 als Gast an die Oper Leipzig kam, um hier ­Calixto Bieitos Inszenierung von Richard Wagners »Tann­ häuser« einzustudieren, er­ oberte sie im Sturm die Herzen des ganzen Ensembles. Für ­Horáková ist Theater ein lust­ voller Prozess. »Im Musik­ theater«, so die in Prag ­geborene Regisseurin, »gibt es Klänge, die die ganze Welt in sich tragen. Man hört durch die ­Augen«. Blickt man in B ­ arbora ­Horákovás Augen, so liest man darin eine u ­ ngebändigte Freude an der Arbeit mit ­Menschen und eine Neugier, in der Auseinandersetzung mit den Werken immer wieder e­ twas Neues über die Welt und sich selbst zu erfahren. Dabei kennt sie das Opernbusiness aus zwei verschiedenen ­Perspektiven: Die ­ Regisseurin studierte zunächst Gesang an den Musik-­Akademien von Basel und Genf und war nach dem Besuch des internationalen Schweizer Opernstudios kurz vor dem Beginn einer Karriere als Mezzosopranistin, bevor sie ihre Neigung zur Regie entdeckte und an der Bayerischen Theaterakademie in München ein Studium in Opernregie draufsattelte. »Ich glaube schon, dass ich die Körper­ lichkeit und die Technik von Sängern gut verstehen kann«, sagte sie etwas bescheiden in einem Interview anlässlich ihrer Neu­ produktion von »Luisa Miller« an den Bühnen Wuppertal 2018. Die Sängerinnen und Sänger, mit denen sie arbeitet, bestätigen das.

Nachdem sie am Theater in ­Basel als Assistentin, Spiellei­ terin und Dramaturgin ihre künstlerische Sozialisierung erfahren hatte durch die Zu­ sammenarbeit mit Regisseuren wie David Bösch, Georges ­Delnon, Frank Hilbrich, Vera Nemirova, ­Sebastian Nübling oder Armin Petras, wurde ab dem Jahr 2015 C ­ alixto Bieito einer ihrer wichtigsten künst­ lerischen Mentoren. Für ihn studierte Barbora Horáková Produktionen in aller Welt ein, u. a. an der Bayerischen Staats­ oper in München, am Opern­ haus Z ­ ürich, der eno in London oder den Opernhäusern von Venedig, Bilbao, Madrid, Nürn­ berg und eben auch Leipzig. Doch Bieito wird in Zukunft öfter auf sie verzichten müssen. Im gleichen Jahr, als sich die Oper Leipzig entschied, die Regisseurin mit einer Neuproduktion von Mozarts »Zauberflöte« zu beauftragen, ging ihre Regie-Karriere durch die Decke. Sie wurde 2018 bei den International Opera Awards zur Newcomerin des Jahres gekürt und erhielt Engage­ ments u. a. an ihrem alten »Stammhaus«, dem Theater Basel, der Staatsoper Hannover, dem Nationaltheater Mannheim, der eno in London, der Wiener Kammeroper, der Semperoper Dresden und dem Theater in Bilbao.


ZUGABE

A n g e r i c h te t

Thomas Eitler-de Lint empfiehlt zur Premiere von Mozarts »Zauberflöte«

Kaiserschmarrn ZU TAT E N FÜR 3 – 4 P ORT I ON E N

ca. 100 g Rosinen (am Vortag in Rum eingelegt) 4 Eier 1⁄4 l Milch etwas Zucker 150 g Mehl eine Prise Salz 50 g Butter Puderzucker zum Bestreuen

ZU BE RE I T U N G

D E R KO CH

Die Eier trennen. Eidotter, Mehl, Zucker und Milch verquirlen, Eiweiß zu Schnee schlagen. Eischnee mit Teigschaber vorsichtig nach und nach unter den flüssigen Teig mischen, dabei können durchaus noch weiße Flocken bestehen bleiben. Rosinen dazu­geben. Währenddessen Butter in beschichteter Pfanne erhitzen (nicht zu heiß!), Teigmasse hinein­ geben und ein paar Minuten anbraten lassen. Teig vierteln und wenden. Wieder ein paar Minuten ­anbraten, eventuell noch ein paar Mal wenden, bis der Teig fest ist. Teig mit zwei Kochlöffeln oder Pfannenwendern auseinanderreißen.

Thomas Eitler-de Lint ist gebürtiger Österreicher. Noch während des Studiums in Wien wurde er stellver­ tretender Chordirektor und Bühnen­ kapellmeister an der Wiener Volks­ oper. Weitere Engagements als Chordirektor, später Erster Kapell­ meister am Stadttheater Koblenz und als Chordirektor am Bremer Theater. 2013/14 künstlerischer ­Leiter des Chores der Nationalen Oper in Amsterdam. Chorleiter bei diversen Rundfunkchören wie dem wdr, dem ndr, dem mdr und dem Niederländischen Rundfunk­ chor in Hilversum. Chorassistent bei den Bayreuther Festspielen und Gastchordirektor an den Opern­ häusern Zürich und Hannover. Seit 2016 zusätzlich Gastchordirektor an der Oper Shanghai. 2014–17 Chor­ direktor am Staatstheater Darmstadt. Seit November 2017 Chordirektor an der Oper Leipzig.

Vor dem Servieren mit Puderzucker bestreuen. Dazu passt am besten Zwetschgenröster (Kompott).

D IE PR E M IE R E

»Die Zauberflöte« ab dem 02. Mai 2020 im Opernhaus

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Seit eineinhalb J­ ahrtausenden schon inspiriert ein legen­ därer König zahlreiche D ­ ichter, ­Komponisten und ­Künstler immer wieder dazu, seine ­Geschichte auf neue Art und Weise zu ­erzählen. Es handelt sich um K ­ önig Artus oder im ­Englischen King Arthur – eine berühmte Figur, um die sich zahlreiche Sagen ranken.

WIR SIND KÖNIG! Der sagenumwobene König Artus und seine Tafelrunde T E XT: N E LE WI N T E R

An der Oper Leipzig entsteht in dieser Spielzeit eine ganz neue Bearbeitung des Artus-Stoffes, speziell zuge­ schnitten für den Kinder- und Jugendchor der Oper. Das Team um Regisseur Philipp J. Neumann, der hier bereits »Die schwarze Spinne« inszenierte, und Chor­ leiterin Sophie Bauer entwickelt gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen ein Musiktheater-Stück namens »König Artus«, das im Juli im Kunstkraft­ werk uraufgeführt wird. Basierend auf der Musik aus Henry Purcells S­ emioper »King Arthur« wird die Geschichte des jungen Artus erzählt, der bei Pflegeeltern aufwächst und plötzlich unverhofft zum König wird. Viele kennen die Sage von Excalibur, dem magischen Schwert: Nur derjenige, der das Schwert aus dem Stein ziehen kann, ist der wahre König und darf somit seinen Anspruch auf den britischen Thron geltend machen. Genau dies ge­ schieht Artus, der daraufhin völlig unerwartet zum König gekrönt wird. Nun wird er mit großen Aufgaben und jeder Menge Verantwortung konfrontiert. Da Artus glaubt, dass man nur gemeinsam mit anderen gut regieren kann, schart er schon bald eine treue Gemeinschaft um sich. Außerdem lernt er die kluge Guinevere kennen und hält um ihre Hand an. Zunächst fällt es dem jungen König jedoch schwer, die verschiedenen Ideen und Meinungen seiner Freunde unter einen Hut zu bringen. Dazu d ­ rohen ­immer wieder Krieg, Krankheiten und andere Pro­bleme. Als sich Artus dann noch mit seinem ­Berater, dem Zauberer Merlin, zerstreitet und es zu einem ­ Betrug unter den Rittern kommt, wird der Zusammen­ halt der Gemeinschaft erschüttert. Jeder geht seinen eigenen Weg, worauf auch die N ­ atur empfindlich reagiert. Nun liegt es bei Artus und s­ einen Freunden, das Unheil abzuwenden.


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Immer wieder fragen Forscher sich, ob König Artus und seine Tafelrunde wirklich existiert haben. Die meisten bezweifeln jedoch, dass es ein konkretes his­ torisches Vorbild gab. Die Wurzeln der Sage liegen vermutlich in der Zeit der Völkerwanderung. Erstmalig erwähnt wird Artus als britischer Heerführer des 5. Jahrhunderts in der »Geschichte der Briten«, die im 9. Jahrhundert entstand. Ausführlichere Beschrei­ bungen des Stoffes wurden erst später, im Hochmittel­ alter verfasst. Die älteste bekannte Überlieferung der Artus-Sage ist die »Geschichte der Könige Britan­ niens« von Geoffrey of Monmouth von 1135. Dar­ aufhin wurde der Stoff Gegenstand zahlreicher Epen und Romane. Ursprung der meisten heutigen ArtusAdaptionen sind die Romane des Franzosen Chrétien de Troyes, die zwischen 1140 und 1190 entstanden. Im Zentrum dieser großen Fülle verschiedenster Ver­ sionen stehen zumeist König Artus und seine Tafel­ runde. Aber es gibt auch Geschichten, bei denen ein anderer Titelheld die Hauptrolle spielt. Diese bewe­ gen sich zwar im Kosmos des Artushofes, erwähnen diesen aber nur am Rande. Prominente Beispiele ­dafür sind Wolfram von Eschenbachs »Parzival« und Gottfried von Straßburgs »Tristan«, die Richard ­Wagner dann wiederum im 19. Jahrhundert in seinen Opern »Parsifal« und »Tristan und Isolde« aufgriff. Die beiden bekannten Wagner-Figuren sind bei uns in dieser Spielzeit auf der großen Bühne im Opern­ haus zu erleben, tauchen aber auch in Neumanns »König Artus« als Ritter der Tafelrunde auf. Wird es der Gemeinschaft gelingen, zusammen für eine ­bessere Zukunft zu kämpfen?

König Artus Uraufführung des Kinder- und Jugendchores der Oper Leipzig LE I T U N G

Musikalische Leitung Sophie Bauer Inszenierung, Konzept, Bühne Philipp J. Neumann Kostüme Nicola Minssen Dramaturgie Nele Winter BESE TZU N G

Nac h g e f r ag t

Ist Buhrufen im Theater erlaubt? L IE B ES PU B L IKU M ,

die Geschichte der Theaterskandale kennt unterschiedliche Formen der Missfallens­ äußerung, von einfachem Auszischen über Pfiffe – wobei diese bisweilen auch als Beifallsbekundung gedeutet werden können – bis hin zu ernsthaften Handgreif­ lichkeiten, von faulen Eiern und Tomaten ganz zu schweigen. Die heute am weites­ ten verbreitete Unmutsbekundung ist der Buhruf. Woher der Ausruf »Buh« tatsäch­ lich kommt, ist etymologisch nicht ein­ deutig zu erklären, jedoch sollte man sich dessen bewusst sein, dass man sich mit diesem Ausruf in die Ausdrucksformen der Wiederkäuer einreiht. Scherz beiseite: ­Natürlich muss sich jeder, der sich auf eine Bühne stellt, auch der öffentlichen Kritik aussetzen. Gleichzeitig verdient gerade das aber auch jede Menge Respekt. Mögen Bühnenkünstler nicht selten schon von Berufs wegen zur Selbstdarstellung ten­ dieren, so kostet jeder Schritt auf die Bühne vor einem ausverkauften Haus ein großes Stück Überwindung (siehe dazu unsere Rubrik »Lampenfieber« auf Seite 26f.). Ich persönlich kenne auch keine Regisseure oder Choreografen, die mit dem festen Vor­satz agieren, Buhrufe zu provozieren. Eine Inszenierung oder eine Choreografie ist immer ein Angebot, das natürlicher­ weise unterschiedliche Reaktionen hervor­ rufen und zu dem man sich auch auf unterschiedliche Art und Weise verhalten kann. Die viel interessantere Frage ist doch, was genau hinter diesem »Buh« steckt. Und schon sind wir im Gespräch … IH R CH R IS T IA N G E LT IN GER

Kinder- und Jugendchor der Oper Leipzig Jugendmusiziergruppe »Michael Praetorius« AU FFÜ H RU N G E N

15., 16. & 17. Jul. 2020 Kunstkraftwerk Leipzig

N E UG IE R IG ?

Was wollten Sie schon immer mal von uns wissen? Senden Sie uns Ihre Fragen an dreiklang@oper-leipzig.de


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Z U GABE

Ein Blick

in die Werkstätten. In dieser Ausgabe besuchen wir die Hut- und Putzmacherei und schauen den Modistinnen Katja Schmidt, Berit Fabig, Sylka Lindhammer und Annett Vogel bei der Fertigung des K ­ opfputzes für das Ballett »Dornröschen – Once Upon a Dream« über die Schulter.

Als Modistin braucht man vor allem handwerkliches Geschick, Kreativität und viel Geduld!


67 Vom Entwurf des Kostümbildners Charlie Le Mindu werden die einzel­ nen Herstellungsschritte der Rosen­ kappen für »Dornröschen – Once Upon a Dream« abgeleitet – dabei ist neben Fachwissen immer auch Ein­ fallsreichtum gefragt.

Was dem Schuster der Leisten ist dem Modisten der Holzkopf. Je nach Kopfumfang der Tänze­ rinnen und Tänzer und der ­gewünschten Hutform wird das passende Modell für die Kappe herausgesucht. Für »Dorn­ röschen – Once Upon a Dream« ­variieren die Kopfumfänge übrigens ­zwischen 52,5 cm und 58 cm!

Alles beginnt dann mit dem ­sogenannten Filzstumpen. Er wird aus Kaninchenhaar gewalkt und ist in den ver­ schiedensten Farben erhältlich. Im Gegensatz zu Stumpen aus Wolle ist der HaarfilzStumpen besonders leicht und formstabil – ideal für die­ ­speziellen Anforderungen am Theater.


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Nachdem die Kappe gebürstet, mit Hutsteife fixiert und grob in Form geschnitten wurde, beginnt die Transformation zur Rose: In Handarbeit wird der Blütenkern mit einem Stoffband genäht und die einzelnen Rosen­ blätter Schicht für Schicht angebracht.

Formbar wird der Stumpen nachdem er einige Minuten in warmem Wasser eingeweicht und anschließend auf dem Hut­ dämpfer auf ca. 100 °C erhitzt wurde. Anschließend wird er über die gewünschte Holzform gezogen. Dafür braucht man nicht nur viel Kraft und hitze­ robuste Hände, sondern vor ­allem Fingerspitzengefühl, ­damit der Stumpen gleichmäßig gezogen wird und nicht reißt.

Für die ­Herstellung einer Rosenkappe benötige ich 16 Stunden!

Neben den Rosenkappen wer­ den für »Dornröschen – Once Upon a Dream« auch spezielle Schlafkissen angefertigt: Für die Kappe werden einzelne Stoffteile – angepasst an die jeweilige Kopfgröße – zuge­ schnitten, zusammengenäht und schließlich an ein mit Watteline gefülltes Kissen angebracht.

Die Rosenkappe der Prinzessin hat einen Clou: Die äußeren Blätter werden einzeln abge­ pflückt. Dafür haben sich Chef­ modistin Katja Schmidt und ihr Team etwas Besonderes ein­fallen lassen: Die äußeren Blüten­blätter werden mit star­ ken Magneten und Druck­ knöpfen an der Kappe befestigt und lassen sich problemlos ­entfernen, ohne dass sie zuvor im Tanz verloren gehen.


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Bei der Anprobe wird alles noch einmal individuell angepasst – da die Rosen­ kappen und S ­ chlafkissen transparent über dem ­Gesicht liegen, ist das ­be­­sonders wichtig!

Die Abwechslung macht unsere Arbeit so spannend!


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Z U GABE

Fun d s tüc k e

Was uns sonst noch alles über den Weg lief CD

Leo Fall »Rosen aus Florida« Rondeau, Februar 2019

WO RTE

Kapitalien braucht man auf. Aber die geistige ­Haltung nicht.

ZAHLEN

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Millionen Menschen aus aller Welt haben die Gedenkstätte des früheren ­deutschen Konzen­ trations- und Vernichtungslagers Auschwitz-­Birkenau seit ihrer ­Eröffnung 1947 besucht.

DV D

»Kuss der Spinnenfrau« (1985) Concorde Video 2011

Honoré de Balzac

AUS S TELLU N G

Störenfriede. Kunst und Protest und das Ende der ddr Deutsche Nationalbibliothek 29.11.2019 – 26.07.2020

M A N U S K R IPT

Arie des Papageno aus Wolfgang ­Amadeus Mozarts »Zauberflöte«

BUCH

Rainer Falk und Sven Limbeck »Casta Diva. Der schwule Opernführer« Querverlag 2019

WO RT E

ZAHLEN

Courage ist gut, aber ­Ausdauer ist besser.

75%

Theodor Fontane

der Teilnehmer einer Studie der University of Southern ­California gaben an, dass sie mutige Menschen sexy ­ finden – damit landete Mut im ­Ranking klar vor Schönheit!


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D e tai l ve r l i e bt

Gewinnen Sie

2 KARTEN für die Premiere von Mozarts »Zauberflöte« am 02. Mai 2020!

Aus welchem Stück stammt diese Detailaufnahme? Senden Sie die ­Antwort bis zum 15. März 2020 per Mail an dreiklang@oper-leipzig.de oder postalisch an Oper Leipzig, Stichwort: Dreiklang, Augustusplatz 12, 04109 Leipzig.


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Z UU GGA AB BE E IM PR ES S UM

Du si e hst a u s, wi e ich m ich f ü h l e  …

Herausgeber Oper Leipzig Intendant und Generalmusik­direktor Prof. Ulf Schirmer (V. i. S. d. P.) Verwaltungsdirektor Ulrich Jagels Redaktion Elisabeth Kühne (verantwortlich), Dr. Christian Geltinger, Uwe Möller, Dramaturgie & Marketing Texte Felix Bender, Daniel Castillo, Juliette Chofflet, Thomas Eitler-de Lint, Dr. Christian Geltinger, Patricia Grünzweig, Marie Paulin Helgert, Sandra Janke, Anna-Lena Kaschubowski, Elisabeth Kühne, Karin Lovelius, Thomas Müller, Sebastian Pilgrim, Evelyn Richter, Yishai Sarid, Prof. Ulf Schirmer, Dieter Thomä, Nele Winter Fotos addictive creatives / Stocksy United (S. 58 – 59), Alamy Stock Photo (S. 63), Sabrina Asche (S. 2, 13 – 19), Cihan Cakmak (Cover, S. 12, 20 – 25), Sejong Chang (S. 11), Juliette Chofflet (S. 1, 4, 5, 66 – 69), Sebastian Garcia (S. 40 – 43), Abran Khan (S. 28), Martin Kraft (S. 11), Karin Lovelius (S. 34, 35), Uwe Möller (S. 11), Mirjam Neururer (S. 11), Kirsten Nijhof (S. 26, 27, 71), Yishai Sarid (S. 38), Frank Schmutzler (S. 50), Tom Schulze (S. 1, 52 – 54, 72) , Nele Winter (S. 51, 56, 57), Augustine Wong (S. 36), Dieter Wuschanski (S. 27), Ida Zenna (S. 44, 45) Videos Maria Gollan Illustrationen Pablo Stanley & formdusche (S. 6 – 11) Gestaltung formdusche, Berlin Druck Löhnert Druck, Markranstädt Urheber, die nicht ermittelt werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten.

… wenn während der Vorstellung plötzlich mein Handy klingelt.

Die Oper Leipzig bemüht sich um eine geschlechtergerechte Sprache. Auch wenn zur Verbesserung des Leseflusses in Einzelfällen das generische Maskulinum verwendet wird, schließen wir ausdrücklich alle anderen Geschlechts­ identitäten mit ein. S E RV ICE

Telefonische Kartenbestellung Mo – Sa 10:00 – 19:00 T + 49 (0) 341 – 12 61 261 Abo-Service T + 49 (0) 341 – 12 61 296 Schriftliche Kartenbestellung

Adelaide (Andreas Rainer) in »Der Vogelhändler«

Kartenwünsche können für die gesamte Spielzeit schriftlich bei der Oper Leipzig eingereicht werden. Die Bearbeitung erfolgt umgehend. Ihre Kartenwünsche richten Sie bitte an: Oper Leipzig, Besucherservice Postfach 100346, 04003 Leipzig Fax + 49 (0) 341 – 12 61 300 service @ oper-leipzig.de

Die nächste »Dreiklang« erscheint im Oktober 2020.

Kartenbestellung im Internet / Print at home Online-Ticketkauf mit Ticket-Ausdruck am ­eigenen PC über unseren Webshop möglich: www.oper-leipzig.de Keine Vorverkaufsgebühren! (bei Gast­spielen kein Ticket-Ausdruck möglich).

Richtigstellung zur Dreiklang #03

Abendkassen

In ihrem Essay »Gesellschaft im Wandel« zitierte Rita Süssmuth in der letzten »Dreiklang«-Ausgabe Kurt Masur mit folgenden Worten: »Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung der freien sozialen Marktwirtschaft in unserem Land.« Das korrekte Zitat lautet: »Wir alle brauchen freien Meinungs­ austausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land.«

Opernhaus eine Stunde vor Beginn der Vorstellung T + 49 (0) 341 – 12 61 261 Musikalische Komödie eine Stunde vor Beginn der Vorstellung T + 49 (0) 341 – 12 61 115


L e tz te Wo r te

Frau Gräfin, das Souper ist serviert. Haushofmeister, Schlusssatz in »Capriccio«


www.oper-leipzig.de


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