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Ein spezifischer Wagnerton

Verehrtes Publikum, heute morgen habe ich eine Orchesterprobe besucht. Auf den Pulten der Philharmonia Zürich lag der zweite Akt aus Richard Wagners Siegfried, am Pult stand unser Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda. Am 5. März hat der dritte Teil des neuen Zürcher Rings Premiere, und im Orchesterprobenraum am Kreuzplatz kann man an diesem Morgen erste Eindrücke sammeln, wie dieser Siegfried wohl klingen wird, den Gianandrea Noseda die sinfonischste Oper des Rings nennt. Mime, Siegfried, Brünnhilde und all die anderen Figuren, die diesen Ring­Teil bevölkern, sind auf einer szenischen Probe. Der Dirigent vertieft sich mit seinen Musikerinnen und Musikern ausschliesslich in den orchestralen Part der Partitur. Wir sind im tiefsten Wald, gedeckte instrumentale Farben, dunkle Stimmungen, abgründige musikalische Gedanken. Und sofort ist dieser spezifische Wagnerton da, der Nosedas Wagner­Interpretation bereits in Rheingold und Walküre ausgezeichnet hat und so wunderbar geprägt ist von Plastizität und zügig fliessenden Bewegungsformen.

Noseda entwickelt die Partitur als ein feinstoffliches, dicht und zugleich durchscheinend gewirktes Motivgewebe. Er dirigiert ungemein energetisch, ohne das Kraftvolle als eine Frage von Lautstärke zu interpretieren. Vor allem aber lässt er die Ring­Musik einfach nur packende, dramatische Musik sein ohne mythisch raunende Überbedeutung und deutschtiefe Schwere. Vielleicht schlägt da tatsächlich etwas Italienisches durch in seiner Art, Wagner zu interpretieren. Aber das müssen am Ende andere beurteilen. Es stehen ja auch noch einige musikalische Proben auf dem Plan, bevor sich der Vorhang zur Premiere hebt.

Gianandrea Noseda hat im Vorfeld der Ring­Produktion in einem Interview gesagt, er strebe einen «bellinesken», also auf der Kantabilität und den grossen melodischen Bögen Vinzeno Bellinis aufbauenden Wagner an. Die Zürcher Besetzung der beiden heldischen Hauptfiguren dürften diesem Verständnis entgegenkommen. Als Siegfried gibt Klaus Florian Vogt sein Rollendebüt. Er ist im Wagner­Repertoire zu Hause und seit vielen Jahren einer der begehrtesten Lohengrine weltweit – aber kein stählerner Heldentenor klassischer Prägung. Vogt bringt zwar inzwischen das stimmliche Material und die Ausstrahlung mit, um Siegfried auf der Bühne zu verkörpern, aber sein Tenor ist leichter und beweglicher, und das wird ihm Möglichkeiten eröffnen, auch die verletzlichen und zarten Seiten der Figur auszuloten. Ähnliches gilt für Camilla Nylund als Brünnhilde: Auch sie debütiert in ihrer Partie, auch sie ist keine Hochdramatische, verfügt aber über einen hellen Sopran mit ganz grossem Ausdrucksspektrum. Sie können sich also freuen, verehrtes Publikum, auf eine Fortsetzung des Rings mit vielen spannenden musikalischen Aspekten. Selbstverständlich wird auch Andreas Homoki als Regisseur seinen in Rheingold und Walküre so erfolgreich eingeschlagenen Inszenierungsweg fortsetzen.

MAG 99 / Feb 2023

Unser Titelbild zeigt Wolfgang

Ablinger-Sperrhacke, der den Mime in «Siegfried» singt (Foto Florian Kalotay)

Unsere aktuelle MAG ­Ausgabe bereitet Hintergrundinformationen, Denkanstösse und Künstlerbegegnungen rund um die Siegfried­Neuproduktion in bewährter Weise für Sie auf. In unserer aktuellen Debatte «Wie toxisch ist das Opernrepertoire?» beleuchten wir die Frage, wie man fremde Kulturen noch auf die Opernbühne bringen kann in einer Zeit, in der die Debatte um die sogenannte kulturelle Aneignung hohe Wellen schlägt.

Claus Spahn

Zwischenspiel

Der Podcast des Opernhauses

Weltweit ist er als Wagner-Tenor gefragt, hier am Opernhaus Zürich gibt er sein Rollendebüt als Siegfried. Im Podcast spricht der Tenor Klaus Florian Vogt mit Beate Breidenbach über die Figur Siegfried, die in seiner Interpretation mehr ist als ein tumber Tor und durchaus auch zarte, leise Töne kennt. Ausserdem erzählt er, dass eine Wagnerpartie zu singen für ihn leicht und stimmschonend ist und warum er es vorzieht, auf Reisen im Wohnmobil zu wohnen statt im Hotel.

12 Ein Gespräch mit dem «Ring»-Dirigenten Gianandrea Noseda über musikalische Aspekte in Wagners «Siegfried»

16 Regisseur Andreas Homoki über seinen Blick auf den Helden

Siegfried 24 Richard Wagner und der Antisemitismus –der Kulturwissenschaftler Jens

Malte Fischer analysiert die Judenfeindlichkeit des «Ring»Komponisten 46 Wie toxisch ist das Opernrepertoire? In der dritten Folge unserer Debatte geht es um kulturelle Aneignung.

Ich sage es mal so – 4, Opernhaus aktuell – 6, Drei Fragen an Andreas Homoki – 7, Wie machen Sie das, Herr Bogatu? – 9, Volker Hagedorn trifft … – 30, Auf dem Pult – 37, Wir haben einen Plan – 38, Der Fragebogen – 44, Kalendarium – 53

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