3 minute read

EINE MERKWÜRDIG

Lichtlose Oper

Der Dirigent Marc Albrecht über «Turandot», die letzte Oper von Giacomo Puccini

Marc, warum ist die Oper Turandot eigentlich beim Publikum so beliebt? Vermutlich, weil sie eine der populärsten Arien der gesamten Opernliteratur enthält.

So einfach ist das: Die Leute wollen Nessun dorma hören? Diese Arie hat einfach eine anhaltend elektrisierende Wirkung auf ihre Zuhörer. Dabei ist der von Calaf gesungene Text eigentlich nur ein Beispiel für männliche Hybris. Die Musik dazu ist dann allerdings einfach hinreissend. Wenn es Nessun dorma nicht gäbe, sähe das mit der Popularität von Turandot vielleicht anders aus. Das Stück ist auf den ersten Blick nämlich weniger zugänglich als andere Werke Puccinis. Es ist eine merkwürdig lichtlose Oper mit beklemmender Handlung. Die Härte der Charaktere und auch des Tonfalls zieht sich durch alle drei Akte. Vor diesem Hintergrund wirkt das Licht, das die Figur der Liù in das Stück trägt, umso stärker.

Das Libretto basiert auf einem Schauspiel von Carlo Gozzi, in dem die Figur der Liù in anderer Gestalt und in viel marginalerer Bedeutung vorkommt. Liù ist eine Erfindung Puccinis.

Ja, sie kam auch im ersten Librettoentwurf der Oper noch nicht vor. Puccini hat sie erst im Verlauf des Entstehungsprozesses eingefügt. Man sieht daran, wie sehr Puccini auch sein eigener Dramaturg war und an der theatralischen Konzeption in diesem Fall noch viel intensiver mitgearbeitet hat, als bei früheren Werken. Seine Ungeduld hat dabei die beiden Librettisten regelrecht gepeinigt. Wenn er beim Komponieren nicht schnell genug voran kam, schrieb er sich notfalls selbst die Verse wie beispielsweise in Liùs letzter Arie.

Puccini hat sehr gekämpft mit dem Stoff und der musikalischen Sprache. Er ist gestorben, bevor das Finale fertig war. Hat er so intensiv gesucht, weil er nicht genau wusste, wohin die Reise mit Turandot gehen sollte, oder stand ihm das, was er wollte, besonders genau vor Augen, und er konnte es nur nicht auf das Papier bringen?

Wahrscheinlich beides. Puccini hat sich tatsächlich sehr an dem Stoff abgearbeitet, die Komposition immer wieder unterbrochen, um den Text ändern oder gleich neu schreiben zu lassen. Oft brauchte es mehrere Textfassungen bestimmter Passagen, um kompositorisch weiter voran zu kommen. Aber schliesslich hat ihn sein untrügliches Gespür für dramatische Zusammenhänge die richtigen Entscheidungen treffen lassen. Durch seine visionäre Akribie ist ein Drama entstanden, das die Version Gozzis an Gehalt und Tiefe weit hinter sich lässt.

Puccinis Stoffe waren bis dahin konkret, realistisch, manche sagen: veristisch. Und plötzlich greift er zu einem Märchenstoff, der wie alle Märchen auf Bilder und Typisierungen aufbaut. Die Turandot -Geschichte hat ja ihre Wurzeln in einer Erzählung aus Tausendundeiner Nacht. Wie ist das Interesse zu erklären?

Puccini wollte mit diesem chinesischen Märchen endlich neue Wege beschreiten. Der Triumph der Liebe über die Finsternis hat ihn als Thema fasziniert und zu seiner besten und abgründigsten Musik inspiriert. Und wenn man nachliest, wie dornig der Schaffensprozess für ihn war, der sich über vier Jahre hinzog, hat man das Gefühl, dass es ihn selbst fröstelte angesichts des Charakters seiner Hauptfigur, Turandots Kälte wurde für ihn immer mehr zum Problem. Liù entspricht da dem Typus der vom Komponisten geliebten Frauenfiguren seiner früheren Opern. Er brauchte diesen positiven Charakter und die entsprechende Musik, um über der Arbeit nicht zu verzweifeln. Daher macht es auch Sinn, das Stück mit dem Tod Liùs enden zu lassen. Sie ist das heimliche Zentrum der Oper.

Es gibt nur 36 Skizzenseiten zum Finale. Hat Puccini es einfach nicht hingekriegt, oder war es doch der Tod, der die Vollendung verhinderte?

Er sagte zwar selbst, es sei nur noch eine Sache von sechs oder sieben Wochen, aber ich habe da meine Zweifel. Dieses grosse abschliessende Duett war für Puccini der wichtigste Moment des Dramas, dem er vor allem musikalisch erhabene Schönheit geben wollte, die Krönung alles Vorherigen. Insbesondere der alles entscheidende Kuss sollte ein sinfonisch-epischer Moment purer Magie werden. Aber er wusste eben noch nicht, wie das hätte gehen können. Im Manuskript findet sich dann am Rand eines Notenblatts der Hinweis «Poi Tristano» (weiter wie bei Tristan). Das hat beinahe etwas Rührendes. Man weiss, dass er sich in dieser Zeit intensiver mit Wagners Tristan beschäftigt hat, die Partitur aber einmal frustriert zugeklappt und sinngemäss gesagt hat: Wir sind alle nur Hütchenspieler – dieses werden wir nie erreichen! Neben seiner Krankheit waren es die destruktiven Selbstzweifel, die ihn immer wieder stark behinderten.

Wir geben in Zürich nicht die oft gespielte Fassung mit dem von Franco Alfano nachkomponierten Finale. Wir enden mit dem Tod Liùs, an der Stelle also, an der Puccini nicht mehr weitergeschrieben hat. Was waren deine Überlegungen als Dirigent für diese Entscheidung?

Immer wenn ich bei Turandot im Publikum sass und die Oper mit dem Alfano-Schluss gehört habe, fand ich dieses Finale problematisch. Es wirkt seltsam grob und mit Ausnahme von zwei kurzen Momenten eher unpoetisch. Es klingt vor allem nach Alfano. Es ist hier eben anders als etwa bei Alban Bergs Lulu, wo das kompositorische Material für den fehlenden dritten Akt im Wesentlichen im Particell vorlag und es «nur» noch instrumentiert werden musste. Bei Turandot ist das von Puccini hinterlassene Skizzenmaterial bruchstückhaft und lässt wesentliche Fragen offen. Daher sind für mich alle bisherigen Versuche, diese letzten beiden Szenen zu vervollständigen, nicht überzeugend. Sie schwächen das Werk eher, gerade im entscheidenden Moment. Ich finde es stärker, die Oper mit Liùs Tod enden zu lassen in dem Wissen, dass dies die letzten Takte sind, die Puccini komponiert hat. Ich glaube, dass die Oper so auf ihrem inneren Höhepunkt schliesst.

This article is from: