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Du hast in letzter Zeit sehr viele Opern dirigiert, die im zeitlichen Umfeld von Turandot entstanden sind wie Werke von Erich Wolfgang Korngold, Alexander von Zemlinsky oder Richard Strauss. Wie blickst du mit diesen muskalischen Parallelerfahrungen auf die Turandot -Partitur? Ich finde es spannend, dass sie alle hinter den selben Stoffen her waren, dass Puccini beispielsweise auch sehr genau Die tote Stadt geprüft hat, die Korngold dann vertont hat, oder dass Puccini lange und ernsthaft an der Florentinischen Tragödie interessiert war, die dann von Zemlinsky komponiert wurde. Die haben alle um ähnliche Themen gerungen. Das zeigt Puccinis Zeitgenossenschaft mit diesen Komponisten. Nur dass Puccini einer anderen Generation angehörte. Er hat sehr deutlich wahrgenommen, dass die Moderne angebrochen war und das Komponieren sich in eine neue Richtung bewegt hatte. Diesen Aufbruch konnte er selbst nur teilweise nachvollziehen, aber er war an ihm interessiert. In seinem letzten Lebensjahr ist Puccini noch zu einer Aufführung von Schönbergs Pierrot Lunaire gereist und war davon irritiert und fasziniert zugleich. In Turandot findet man daran auch Anklänge, in der Beschwörung der Geister der verstorbenen Prinzen.

Gleichzeitig gibt es Briefstellen, in denen er kein gutes Haar an der neuen Musik von damals lässt. Nach aussen hin musste er wohl so reagieren. Puccini hat 1913 Strawinskys Sacre du printemps in Paris gehört und fand das irgendwie interessant, aber vor allem schrecklich. In der Turandot -Partitur jedoch finden sich immer wieder Spuren von Strawinsky. Über Schönbergs Gurrelieder lästerte er, eigentlich hätte er keine Lust gehabt, Richard Wagner zu hören, man solle ihn mal den richtigen Schönberg hören lassen. Er hat genau studiert, was um ihn herum passierte, auch die Werke von Richard Strauss. Er wusste genau, was die Kollegen machen und wie sie es machen – nicht zuletzt, um seinen eigenen Stil bewusst dagegen behaupten zu können. Nicht ausgeschlossen, dass er dabei Anleihen bei Komponisten machte, von denen er sich gerade noch distanziert hatte.

Nimmst du Turandot kompositorisch als rückwärtsgewandt wahr, oder hat sie doch moderne Züge?

Turandot ist für mich ein Werk des Aufbruchs. Puccini hat dabei die Parameter seiner Musik, insbesondere Harmonik und Instrumentation, einer Totalrevision unterzogen. Bitonalität verwendet er dabei zum ersten Mal im grossen Massstab. Gleich zu Beginn des Stücks, zur Rede des Mandarins, setzt er den neuen Ton und lässt das Orchester den Grundakkord aus gleichzeitigem d-Moll und Cis-Dur nicht weniger als 60mal hämmern. Der harte und unerbittliche Sound der beiden Xylophone komplettiert diese albtraumhafte klangliche Szenerie. Wir werden dadurch ganz unmittelbar hineingezogen in die brutale Welt dieses Märchens, und von den ersten hasserfüllt herausgeschleuderten Rufen des Chores nach dem Henker Pu-Tin-Pao scheint der Weg zu Schönbergs Moses und Aron nicht mehr weit.

Der Orchesterapparat ist riesig. Eigentlich sind es ja sogar zwei Orchester, eins auf und eins hinter der Bühne.

Du meinst die grosse Banda hinter der Bühne mit zehn Blechbläsern, Saxophonen, Orgel, die Fanfaren in der Hinrichtungsszene des persischen Prinzen. Das alles irrlichtert von draussen herein und trägt ein beunruhigendes Element in das Stück. Man spürt, wie gross dieses imaginäre Peking ist, und dass die Oper surreale Räume öffnet, die alle mit bespielt werden. Das Orchester im Graben ist das grösste je von Puccini verwendete – neben dem schon erwähnten Xylophon und Bass-Xylophon spielt auch eine Batterie chinesischer Gongs für den Klang eine wichtige Rolle. Wenn früher bei Puccini die ausdrucksvolle Streichermelodie prägend war, so steht nun ein gehärteter Grundklang an deren Stelle, der dem inneren Zustand der Titelheldin und der Erstarrung des ganzen Staates entspricht.

Welche Rolle spielt das Chinesische in der Musik?

Der musikalische Exotismus der Turandot geht deutlich über das hinaus, was Puccini in Madama Butterfly bereits versucht hatte. Das Verwenden originaler oder auch nur gut erfundener chinesischer Volkslieder war natürlich naheliegend. Und Puccini macht es auf sehr intelligente Weise: Er borgt sich zwar zentrale Melodien, integriert sie harmonisch aber in seine eigene musikalische Grammatik. Pentatonische Melodik findet man oft – in den Chorpartien und vor allem bei den ursprünglich aus der Commedia dell’arte stammenden drei Ministern. Aufregend an dieser Partitur finde ich die formale Weite, die Puccini hier einzieht. Er spannt Bögen über einen ganzen Akt hinweg, die er durch grosse Tableaux wie die Hinrichtungsszene des persischen Prinzen oder den Mondchor strukturiert. In Turandot hat Puccini einen langen Atem entwickelt und muss nicht mehr alle zehn Takte das Tempo ändern. Das ist neu: diese Ruhe, Geduld und Übersicht. Trotzdem erzählt er detailliert seine Geschichte, aber eben nicht mehr verspielt und nicht mehr jeder spontanen Eingebung folgend. Das ist spannend, weil er natürlich insgesamt trotzdem immer ein äusserst agiler Komponist bleibt, immer ganz nah am Herzschlag seiner Figuren.

Was muss man als Turandot-Dirigent interpretatorisch im Auge behalten?

Die grossen Chormomente. Die Rolle des Chores steht hier singulär in Puccinis Schaffen. Er fordert dem Chor eine enorme Ausdrucksvielfalt ab –die Gewalt, die überschiessende Aggression, das Ätzende, Sadistische und im nächsten Takt Momente grosser Zartheit und Anteilnahme. Der Chor spielt die eigentliche Hauptrolle der Oper. Deshalb bin ich auch bei jeder szenischen Chorprobe dabei. Turandot zu machen, kam für mich nur mit einem Regisseur in Frage, der wie Sebastian Baumgarten mit besonderen Ideen den Chor bewegt, denn darauf kommt es in dieser Oper an.

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