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DIE HÖLLE IN DER KEHLE

Die letzten Tage seines Lebens verbrachte

Puccini in Brüssel, wo er sich der Tortur einer RadiumTherapie seines Kehlkopfkrebses unterzog

An diesem 24. November öffnet Dr. Ledoux den Kehlkopf und führt die radiumhaltigen Nadeln direkt in den Tumor ein, um diesen durch eine so genannte Kontakt-Röntgentherapie zu zerstören. Ausserdem wird ein Luftröhrenschnitt vorgenommen, damit der Patient durch eine Kanüle unter Umgehung des Kehlkopfs atmen kann. Zur Versorgung mit flüssiger Nahrung erhält Puccini eine Nasensonde. Er ist wegen seines labilen Gesamtzustands nicht in Vollnarkose, sondern nur lokal mit Morphium betäubt.

Der schreckliche Eingriff beendet Puccinis menschliche Existenz, obwohl er noch fünf Tage am Leben ist. Aber von nun an kann er nicht mehr sprechen, mit Hilfe von Notizzetteln macht er sich seiner Umgebung verständlich. Ein paar davon sind ehrerbietig aufgehoben worden, deprimierende Dokumente eines wehrlos gewordenen Lebens. «Wie viele Tage bleiben die Nadeln?» fragt Puccini schriftlich, als er am Tag nach der Operation seiner Situation gewahr wird. «Das wird sicher schmerzhaft sein», lautet seine Reaktion auf die Antwort seines Sohns Antonio, und erschrocken erkundigt er sich noch einmal: «3 Stunden Operation?» «Weisst du es jetzt?» fragt er Antonio und ergänzt: «Ich nicht – sie haben eine Öffnung gemacht – es scheint, dass das Radium zu wirken beginnt.» Und dann die Bewertung: «Sie glaubten, die Erkrankung sei geringer –haben sie die Tumore herausgeschnitten? Sie haben mich geöffnet, um den Kehlkopf zu sehen.» Seine grösste Angst ist nach all diesen Schrecken: «Ich fürchte, dass die Operation, dass sie am Ende sehen, dass sie nicht vollständig ist und dass sie dann noch eine machen müssen, und darüber bin ich sicher, ich Armer!» Mit dem Arzt korrespondiert er auf französisch: «Ich atme durch die Kehle, und ich verschlucke auch die Auswürfe – sie sind weniger geworden.»

Am Tag nach der Operation telegrafiert Fosca aus Brüssel an Sybil Seligman: Puccini sei ruhig und sein Zustand normal, die Ärzte seien zufrieden. Die hoffnungsvoll gewünschte Besserung hält einige Tage an. Drei Tage nach der Operation teilen Fosca und Tonio den Verwandten und Freunden mit, Puccini gehe es gut, er habe keine Schmerzen mehr. Auch Carlo Clausetti, der auf einer Reise nach London ein paar Tage in Brüssel Station macht, bestätigt, dass überraschenderweise die besten Hoffnungen bestünden; selbst der gewöhnlich eher skeptische Doktor Ledoux sei dieser Ansicht: Puccini werde geheilt aus seiner Klinik entlassen werden können. Das ist am 28. November geschrieben. Und am selben Nachmittag informiert Fosca ausführlich Sybil Seligman über Puccinis guten Zustand.

Es ist der gewöhnliche Irrtum unmittelbar vor der Katastrophe. Auf seine Notizzettel schreibt Puccini: «Mir geht es schlechter als gestern – die Hölle in der Kehle – und ich fühle mich verlöschen – frisches Wasser». Dann vermutlich als allerletztes: «Elvira, arme Frau, zu Ende.» Um neun Uhr abends Clausetti an Adami: «Plötzlich schwere Herzkrise – man befürchtet Katastrophe – wir sind verzweifelt.» Am nächsten Morgen kommt der apostolische Nuntius in Begleitung des italienischen Botschafters in Belgien an Puccinis Sterbebett, um die kirchlich-sakramentale Zeremonie der letzten Ölung zu vollziehen. Und gegen Mittag teilen Tonio und Fosca «gebrochen» der Familie den «kürzlich eingetretenen» Tod des «armen Papa» mit: am 29. November 1924 um 11.30 Uhr.

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