XXX – Drei Jahrzehnte HipHop

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Nelson George XXX | Drei Jahrzehnte HipHop Aus dem Amerikanischen von T. Man

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Vorwort

Erste Worte

Kapitel I

Post-Soul

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Kapitel II

HipHop war nicht irgendein Date

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Kapitel III

Gangster – echte und unechte

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Kapitel IV

Das »I« des »Me«

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Kapitel V

Schwarze Geschäfte

81

Kapitel VI

Das permanente Business

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Kapitel VII

Digital ist besser

112

Kapitel VIII

MCs in Hollywood

122

Kapitel IX

Von »New Jack Swing« bis »Ghetto Glamour« 143

Kapitel X

National Music

160

Kapitel XI

Dunking – Der Sound von Philadelphia

177

Kapitel XII

Kapitalistische Werkzeuge

189

Kapitel XIII

Sexismus und »PC«

215

Kapitel XIV

Generationenkonflikte

235

Kapitel XV

HipHop weltweit

244

Kapitel XVI

»da joint!« und »da nach«

251

Kapitel XVII

Wir gehen nirgendwo hin: twenty-first-century bling

257

Quellen | Bücher | Bildnachweise | Erinnerungen | Dank Index

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Inhalt

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Kapitel I

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Post-Soul »I got so much trouble on my mind (on my mind) I refuse to lose Here’s your ticket Hear the drummer get wicked.« Chuck D, »Welcome to the Terrordome«, 1990 Diese Geschichte beginnt dort, wo die alte endet. Die alte Geschichte ist voller Optimismus und enthusiastischer Ideale darüber, wie man die Menschen durch politische Entscheidungen und moralische Argumentation verändern kann. Die neue Geschichte, unsere Geschichte, ist voller Zynismus, Sarkasmus und geprägt von einer zur Kunst erhobenen Selbstverliebtheit. Der Wendepunkt ist in den frühen siebziger Jahren anzusetzen, als Ponchos, Plateauschuhe und Richard Nixon in Mode waren. Die Phase der Bürgerrechtsbewegung unter der Führung von Martin Luther King, das Prinzip der Gewaltlosigkeit propagierend, und mit Protestmärschen in frisch gestärkten weißen Hemden und schmalen Krawatten, war längst tot. Die sich daran anschließende Phase einer aggressiven »burn-baby-burn«-Rhetorik war selbst schon Zeichen für den Rückzug, wie auch die Zunahme des Heroinkonsums, der massive Einsatz von FBI-Informanten und die mildtätige Ignoranz, die die von liberalen Schuldgefühlen geprägte Sozialpolitik der Regierung ablöste. Protestkundgebungen fanden nicht mehr statt und der Ruf nach sozialem Wandel verstummte. Afroamerikaner durften jetzt im Bus und im Kino vorne sitzen. Wir durften überall in den Vereinigten Staaten unsere Stimme abgeben. Schwarze Politiker bereiteten sich darauf vor, die Macht in den Rathäusern kleiner, aber auch größerer Städte zu übernehmen. Schwarze Absolventen weißer Colleges fielen dem industriellen Amerika in die Arme. Martin Luther Kings Traum, dass sich mit den Bürgerrechten den Schwarzen die Türen öffnen würden, schien zumindest für einige in Erfüllung zu gehen. Die Siebziger brachten die erste Generation von Buppies hervor, auch wenn diese damals noch nicht so hießen. Bup-


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pies waren keine Yuppies, aber sie galten als Pioniere des schwarzen Aufstiegs. Erhobenen Hauptes marschierten sie durch die nun offenen Türen, die Demonstranten in den Südstaaten im Zuge der Konfrontation mit Polizeihundertschaften mit Hundestaffeln für sie aufgestoßen hatten. Sie waren nicht schlauer oder besser als ihre Eltern, sie hatten nur den weißen Verhaltenskodex besser im Griff. Sie waren stolz auf die neu gewonnene Macht und bereit für ganz neue Frustrationen, so differenziert wie sie noch kein Afroamerikaner hatte erleben dürfen. Zwar hatten schwarze Amerikaner zu Beginn der siebziger Jahre erstmals in der Geschichte die Möglichkeit, ihren Beruf völlig frei zu wählen, aber diese Befreiung barg einen neuen Konflikt in sich: den zwischen der Loyalität gegenüber ihren meist weißen Arbeitgebern und dem Einsatz für eine schwarze Politik, die diesen Job gefährden konnte. Nur weil man irgendwo beschäftigt war, hieß das noch lange nicht, dass man sich dort auch problemlos einfügen konnte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Wirtschaftsmagazin Black Enterprise seine Ausgabe vom Juli 1974 dem Thema Bluthochdruck widmete und zu dem Ergebnis kam, dass Bluthochdruck das Gesundheitsrisiko Nummer eins für Schwarze darstellte. Die neue schwarze Mittelschicht – die sich dank Alibitreue zum Staat, staatlicher Integrationsprogramme wie »Affirmative Action«, kurz AA, und harter Arbeit etablieren konnte – lebte in den Siebzigern nicht anders als die meisten Amerikaner der Mittelschicht. Es zog sie in die Vorstädte, vor allem in bereits schwarz dominierte Enklaven wie Teaneck (New Jersey), Baldwin Hills (Kalifornien) oder Silver Springs (Maryland). Man schnupfte Kokain, um einen Kick zu bekommen, aber auch weil es schick und eine Statusfrage war. Der Cadillac, seit jeher das Symbol für Reichtum bei Afroamerikanern, verlor langsam an Bedeutung und wurde von europäischen Nobelkarossen verdrängt. Auch die Unternehmen nahmen die schwarzen Siedlungen zur Kenntnis. Für sie war nicht nur der Zuwachs an qualifizierten Arbeitskräften von Interesse, sie wussten auch, dass man viel Geld verdienen konnte, wenn man sich gezielt um diesen schwarzen Markt

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kümmerte. So kam es, dass die Siebziger auch zum Jahrzehnt der so genannten »Nebenmärkte« wurden und ganze Abteilungen sich der Aufgabe widmeten, den bis dato ignorierten schwarzen Konsumenten zu durchleuchten. In den Black Enterprise-Ausgaben der siebziger Jahre taucht der Euphemismus »Nebenmärkte« immer wieder auf, in Zusammenhang mit Produkten von General Foods, Johnson & Johnson und verschiedenen anderen amerikanischen Anbietern. Für die erste Generation schwarzer Manager waren diese Nebenmärkte oft eine samtweiche Falle, die ihnen alle Annehmlichkeiten des amerikanischen Lebens (Haus in der Vorstadt, Kreditkarten, Skiwochenenden) bescherte, ihnen aber gleichzeitig den Zugang zu den profitabelsten Geschäftsbereichen verwehrte und damit auch die Möglichkeit, Einfluss auf das gesamte Unternehmen zu nehmen. Als stellvertretender Abteilungsleiter für Nebenmärkte hatte man so gut wie keine Chance, in Produktions- oder Vertriebsabteilungen zu wechseln, die mit dem Kerngeschäft des Unternehmens zu tun hatten. Schwarze Manager mussten erkennen, dass sich ihre Rolle allzu oft darauf beschränkte, bei Aktionärsversammlungen als Alibi-Schwarze vorgeführt zu werden und so dem Unternehmen zu einer wohlwollenden Erwähnung im Jahresbericht der Equal Employment Opportunity Commission zu verhelfen, jener Behörde, die über die Gleichberechtigung bei der Vergabe von Arbeitsplätzen wacht. Bis in die siebziger Jahre spielte die Plattenindustrie keine nennenswerte Rolle in der amerikanischen Wirtschaft. In den wilden Sechzigern hatte man sein Geld mit zugedröhnten Gitarristen und Bands verdient, die wilden Sex und linke Ideologien propagierten – Dinge, die das brave Amerika in Angst und Schrecken versetzten. Ironischerweise waren die Gewinne aus der Rockrevolution und der mit ihr einhergehenden Vergrößerung des Marktes so gigantisch, dass kleine Labels sich enorm vergrößerten und es zu einer beträchtlichen Machtkonzentration innerhalb der Musikindustrie kam. Aufgrund der Einnahmen aus Verträgen mit Musikern wie den Doors, den Rolling Stones, Jimi Hendrix und zahlreichen anderen Vertretern der Gegenkultur konnte sich die Branche ein dickes Finanzpols-


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ter zulegen, und um der gestiegenen Nachfrage zu begegnen, musste man expandieren – vor allem in den Bereichen Vertrieb und Marketing. Der Zusammenschluss von Warner Reprise, Elektra Asylum und Atlantic zwecks Gründung der Vertriebsorganisation WEA 1970 war symptomatisch für diese Zeit. Die Rockstars der Sechziger glaubten tatsächlich noch, ihre Rhetorik könne die Welt verbessern, aber wie die meisten anderen Vertreter des öffentlichen Lebens verloren auch sie in den Siebzigern ihre Vision, wurden Teil einer in Sub-Genres zersplitterten Musiklandschaft und stellten sich somit in den Dienst eines hochgradig effektiven Zielgruppenmarketings. Trotz allem dauerte es eine Weile, bis schwarze Musik, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg in der Hand von Labels wie Motown, Stax und Chess befand, von den großen Plattenfirmen als Wachstumschance erkannt wurde. Dabei hatte Motown bereits in den Sechzigern bewiesen, dass R&B erfolgreich an weiße Teenager verkauft werden konnte, und damit einen lukrativen kommerziell-kulturellen Crossover-Trend ausgelöst. Nicht anders als zuvor schon General Motors und General Foods eröffnete CBS Records (und in der Folge auch Warner Bros., Polydor, RCA, ABC Dunhill und andere große Plattenfirmen) Abteilungen für »Nebenmärkte«. Einige Geschäftsbereiche schmückten sich sogar mit der Bezeichnung »R&B« oder »Black Music«. Ihre Aufgabe bestand darin, Afroamerikaner einzustellen, um Popmusik an ihresgleichen zu verkaufen und Interpreten zu finden, die »Crossover«-Appeal hatten. Was Arbeitsmöglichkeiten, Gehälter und Vorschüsse für die Künstler anging, war dies ein Riesenfortschritt, der zu Recht bejubelt wurde. Plötzlich gab es überall stellvertretende schwarze (!) Abteilungsleiter und Soul-Sänger, chronisch unterbezahlt von den geizigen Labels, die den R&B groß gemacht hatten, und die sich plötzlich besserer Verträge, qualitativ hochwertigerer Einspielungen und prozentualer Beteiligung am Gewinn erfreuten. In den Strategiepapieren von CBS, WEA oder RCA wurden den Abteilungen für schwarze Musik die Aufgaben von Versuchslaboren zugedacht, in denen Crossover-Stars wie The O’Jays, Earth, Wind & Fire oder Michael Jackson gezüchtet werden sollten.

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Natürlich verlief die Umstellung nicht immer reibungslos und ohne Komplikationen. Viele ältere Soul-Stars konnten den neuen Erwartungen der Popkonsumenten nicht gerecht werden. Musiker, die in den alten Strukturen erfolgreich waren (darunter Tyrone Davis, Bobby Womack und Candi Staton), bekamen nun keinen Fuß mehr auf den Boden. Die schwarzen Manager hatten ähnlich wie ihre Kollegen bei General Motors und Johnson & Johnson nichts zu melden, sobald es um etwas anderes als den Verkauf des Produkts (so nennt man in der Musikbranche die Musik) ging. Mit wenigen Ausnahmen standen alle ambitionierten schwarzen Manager vor verschlossenen Türen, wenn sie sich weiterentwickeln und ihren Einfluss geltend machen wollten. Zwar war die Musik selbst nicht streng nach Ethnien getrennt, dafür aber die Beschäftigten, die für sie zuständig waren. Die traurige Ironie dieser Abgrenzungen war, dass genau zu diesem Zeitpunkt – zwischen 1976 und 1981 – eine der Phasen der afroamerikanischen Popmusik mit dem geringsten kreativen Potenzial begann. Zwei Faktoren begünstigten diese Entwicklung: Erstens veränderten die Produzenten die Aufnahmen nachträglich – meist in der Hoffnung auf ein gelungenes Crossover – und verdarben dabei nicht selten den Sound. Oft wurden Singles angeboten, die nur in der Vorstellung der Labels Crossover-Qualitäten besaßen. Die Karriere des Interpreten, der Geschmack der schwarzen Konsumenten und die Qualität der Platten waren zweitrangig. Zwar wurden diese Platten zunächst von den Abteilungen für schwarze Musik vermarktet, der langfristige finanzielle Erfolg wurde jedoch durch die Manager gesichert, die dieselbe Platte im Radio bei den (weißen) Popsendern unterbrachten. Der zweite Faktor war das Aufkommen der Disco-Musik. Nicht dass die Disco-Bewegung an sich schlecht gewesen wäre für die schwarze Musik – das steht außer Frage. Das Problem war vielmehr die Art, wie Disco von der Plattenindustrie rezipiert wurde sowie die sich daraus ergebende Einstellung vieler weißer Musikfans zu diesem Genre.


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Für diejenigen, die zu jung sind, um sich daran erinnern zu können: Ich rede von einer Zeit, in der es nur Vinylplatten gab: neu, ohne Kratzer, nicht gewellt. Man riss die Folie ab, zog die Scheibe zuerst aus dem Karton mit dem Cover und dann aus der inneren, weißen Schutzhülle. Dann hielt man eine schwarze Vinylscheibe mit einem Loch in der Mitte in den Händen. Um das Loch herum war ein kreisrundes Stück Papier mit Texten und Grafiken aufgeklebt. Man legte die Platte auf den Plattenteller, und über Stereolautsprecher konnte man sie ebenso gut hören wie heute CDs. Ich bitte um Nachsicht – ich bevorzuge noch immer Vinyl. Discothèque ist eine französische Bezeichnung aus den fünfziger Jahren für Clubs, in denen Musik von Platten und keine Live-Musik zu hören war. In Amerika hatte man schon immer zu Musik aus der Jukebox getanzt, aber nie Eintritt dafür bezahlt. Als es mit dem Rock’n’Roll langsam zu Ende ging, starteten Radio-Discjockeys wie Alan Freed und Murray the K so genannte »Teeny Bopper«-Partys, bei denen die Jugendlichen dafür bezahlten, dem Discjockey bei der Arbeit zuzusehen, eine Playback-Version ihres Lieblingshits zu hören oder einfach nur zu tanzen. Schon bald fingen die Fernsehsender an, die Radio-DJs abzuwerben, um dieselbe Art von Party im Fernsehen auszustrahlen. So entstand in Philadelphia Dick Clarks American Bandstand, eine Show, die zwei Jahrzehnte lang in den ganzen USA ausgestrahlt wurde. In den darauf folgenden zehn Jahren sorgte die Tanzbegeisterung (Twist, Frug, Mashed Potato, Hully Gully) dafür, dass das Tanzen zu Musik vom Plattenteller in besonderen Clubs – damals oft als »Go-gos« bezeichnet – zum festen Bestandteil des Nachtlebens in New York und Los Angeles wurde. Überall sonst traten in Bars noch immer Cover-Bands auf, die sich bemühten, aktuelle Hits und Oldies so originalgetreu wie möglich nachzuspielen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Technik ganz simpel. Die aufgezeichnete Musik in den Clubs stammte von Sieben-Inch großen Singles, die mit 45 Umdrehungen pro Minute abgespielt wurden, oder

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Disco to go


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von Zwölf-Inch großen LPs, die mit 33 Umdrehungen pro Minute liefen. Das wichtigste Werkzeug der Musikbranche war der Plattenteller, aber das Jahrzehnt der Umbrüche, die siebziger Jahre, veränderte auch das. Ein kleines Gerät wurde erfunden, das den schlichten Namen »Mixer« erhielt. Der Mixer erlaubte es Club-DJs, den Sound flüssig von einem Plattenteller auf einen anderen zu übertragen und die Party so in einem nahtlosen Soundfluss zu halten. Die gesamte Disco-Bewegung, die bis zu ihrem Aufschwung 1975 ein rein subkulturelles Phänomen gewesen war, basierte auf dieser Erfindung. Der Mixer hatte enorme Auswirkungen: Das Soundkontinuum erzeugte eine Atmosphäre, die zum Tanzen und Trinken anregte und den akustischen Horizont der Besucher veränderte. Live-Bands stießen auf immer weniger Interesse, bekamen immer weniger Engagements, und viele gaben ganz auf. Zusammen mit der Entwicklung des Synthesizers revolutionierte der Mixer die Tanzmusik von Grund auf: Aus einer Vorrichtung für Musikinstrumente wurde die Manipulationsmöglichkeit vorgefertigter, synthetischer Sounds. Mit der Erfindung des Mixers wurde der Club-DJ zur Kultfigur. Die Plattendreher wurden zunehmend kreativer und eigenwilliger in ihrer Musikauswahl. Besonders engagierte »Jocks« baten die Labels um längere Versionen ihrer Lieblingsstücke. Salsoul, West End, Wing & A Prayer und andere kleine unabhängige Labels, die auf Tanzmusik spezialisiert waren, fingen an, extra lange Zwölf-Inch-Platten, so genannte Maxi-Singles, mit Instrumental- und Vokalversionen zu produzieren, die sie an die DJs und bald auch an deren Publikum verkauften. Als die Neuigkeit die Runde machte, dass einige DJs in ihren Clubs dazu übergingen, die Platten miteinander zu mixen, begannen einige Labels, diese Mixes aufzunehmen und zu pressen. Larry Levan, Tom Moulton und andere DJ-Stars waren Garanten für den Verkauf einer Platte, nicht anders als es sich mit einem Puff Daddy-Mix in den Neunzigern verhielt. Nur war damals das Publikum erheblich kleiner. 1974 hatte sich der Begriff »Disco« als Bezeichnung sowohl für die Clubs als auch für die Musik, die dort gespielt wurde, durchgesetzt.


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In New York unterschieden sich die Discotheken nach Einkommen, ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht ihrer Besucher. Es gab Schwulendiscos im West Village, das Studio 54, Xenon und andere schicke Adressen in Midtown Manhattan, Discos für die schwarze Mittelschicht wie Leviticus und Othello’s und härtere schwarze Discos vor allem in Harlem wie etwa Harlem’s Charles’ Gallery. Weiße Arbeiterdiscos, in denen italienische DJs den Ton angaben, befanden sich vor allem in Brooklyn, Queens und New Jersey. 1975 gab es nach Schätzung des Rolling Stone Magazine 2.000 Diskotheken in Amerika, davon 200 bis 300 im Raum New York. An jedem Wochenende zählten diese Clubs allein im Big Apple 200.000 Besucher. Wichtig, wenn auch zunächst nur von den karibischen Einwanderern New Yorks geschätzt, war die Einführung des »jamaikanischen Soundsystems« in den Partymix der Stadt. Mit ihrer eigenen Variante von Mischpulten hatten die DJs aus Jamaika schon seit den Sechzigern so genannte »Back-a-Yard«-Partys veranstaltet, bei denen Drum und Bass wie Presslufthämmer dröhnten. Der »Dub«-Stil dieser mobilen DJs schnitt einfach die Melodie weg, um dem tiefen, dunklen Groove der Reggae-Musik mehr Raum zu geben. Bei grasgeschwängerten Zusammenkünften erzeugten DJs wie King Tubby, Prince Buster und Duke Reid mit ihren Soundmaschinen wuchtige, grollende Klänge, die ihnen einen Kultstatus verliehen, der demjenigen der amerikanischen Club-DJs durchaus ebenbürtig war. Da die Basslastigkeit auf Dauer als Handschrift nicht ausreichte, fingen einige DJs an, zu »toasten«, ins Mikrofon zu sprechen und von ihren Heldentaten zu erzählen. Einer dieser »toasting DJs«, U-Roy, landete mit »Wear You To The Ball« in Jamaika sogar einen Nummereins-Hit. Aber zu jener Zeit erkannte noch niemand den Zusammenhang zwischen der Kunst des Mixens und der smoothen Sounds, auf denen Disco basierte, und dem unterirdischen Sturmangriff des Reggae-Soundsystems. Disco war ein popkulturelles Phänomen, während Dub als Ethnomusik galt, die nur von Rockkritikern und einer Hand voll Freaks mit Begeisterung aufgenommen wurde. Aber dennoch war es die Synergie aus Disco-Mix, Dub-Sound und Toasting, die schließlich Technik und Gefühl des HipHop ausmachte.

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Disco ist scheiße – Disco sucks! Die Entwicklung, die die Disco-Musik nahm – vom Underground zur lokalen Szene und schließlich zu einem internationalen Trend – ist ein für die Popkultur typisches Migrationsmuster. Wie sich das künstlerische Produkt dabei verändert, ist nicht abzusehen. Im Fall der Disco-Musik ging zwischen 1973 und 1976 aus einer Musik der Clubs ein ganz bestimmtes und je nach Geschmack des DJs starres Schema aus Rhythmus und Instrumentierung hervor. Am Anfang lief in den Discos qualitativ hochwertige schwarze Dance-Musik, beispielsweise Kenny Gamble und Leon Huffs leicht funkige Philly Sound-Nummern oder die satten Bässe von Barry White, der vor allem wegen seiner tiefen Stimme bekannt war. Leider fanden die typischen Stilelemente von Philly Sound und die Hits von White begeisterte Aufnahme bei einer Reihe von Nachahmern, die mit Hi-Hat-Drums, rauschenden Streicherarrangements, Percussion-Breaks im Latinostil und debilen Texten einen Stil prägten, der sich im öffentlichen Bewusstsein negativ als »Disco« festsetzte. Der Mainstream erfasste diese Musikrichtung um 1975. Plötzlich eroberten die Disco-Hits die Pop-Charts. Der Erfolg dieser Musik, die aus dem Dance-Underground emporgestiegen war, erregte bei den großen Labels sofort Futterneid. Schwarze Musiker, die dem Dancefloor gegenüber bis zu einem gewissen Grad positiv eingestellt waren, wurden von Produzenten und Labelmanagern entweder dazu genötigt, Disco-Musik zu machen oder machten sich von selbst auf die Suche nach dem Disco-Gold. So kam es in der Folge zu einigen Riesenhits wie »Disco Lady« (Johnnie Taylor), »Shake Your Groove Thing« (Peaches & Herb) oder »Love Hangover« (Diana Ross). Typischer waren jedoch Einspielungen, bei denen große Stimmen und ambitionierte Bands übermächtigen Orchesterarrangements und erbärmlichen Rhythmen untergeordnet wurden. Zu den scheußlichsten Auswüchsen der Disco-Periode zählen Aretha Franklins »La Diva« und das ebenso miese »Everybody Up« der Ohio Players, das vom Disco-Star Van McCoy produziert wurde: Dies war der Ausverkauf einer einstmals außergewöhnlichen und vielversprechenden


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Funkband, eine jämmerliche Bilanz. Ein weiteres Beispiel dafür ist das dämliche »Dancin’ and Lovin’« von den Spinners, über das der Disco-Produzent Michael Zager schützend seine kümmerliche Hand gehalten hatte. Mal abgesehen davon, dass dabei kostbares Vinyl verschwendet wurde, waren es vor allem solche Platten (und andere gleichfalls wertlose Neuheiten wie »Star Wars Theme« von Meco und »Brazil« von der Ritchie Family), die sich negativ auf das Image der gesamten schwarzen Popmusik auswirkten und schließlich zu Gegenreaktionen führten. Die Ablehnung kulminierte in der Parole: »Disco sucks«, mit der leider auch schwarze Musik pauschal diffamiert wurde. Zwar hieß es, dass schwarze Musiker mit Disco eine größere Hörerschaft erreichen und leichter Karriere machen könnten, aber es reicht ein Blick auf die Charts der Zeit, um zu erkennen, dass das genaue Gegenteil der Fall war. Die Bereitschaft der Radiostationen, schwarze Musik zu spielen, nahm in den Glanzzeiten der Disco-Musik sogar ab – und damit auch die Möglichkeit, ein größeres Publikum zu erreichen. Betrachtet man die Top Ten-Singles zwischen 1973 und 1978, stellt man fest, dass 1973 36 Singles von den Black Single Charts in die Top 100 der Pop-Charts wechselten. In den beiden Folgejahren, in denen Disco allmählich ins öffentliche Bewusstsein vordrang und die Musikbranche von der Idee des Crossover besessen war, gelang dies im Jahre 1974 nur noch 27 Titeln und 28 im Jahre 1975. Zur Zweihundertjahrfeier waren es dreißig, was die Vermutung nahe legt, dass das Pendel wieder zurückschwingt. Aber im Jahr ‘77, das als das DiscoJahr schlechthin bezeichnet werden kann, gab es nur schwache 23 Crossover-Titel, inbegriffen ein paar Disco-Mixes aus den schwarzen Radiostationen. Die Auswahl der Künstler in der Kategorie R&B bei der GrammyVerleihung 1977 ist ein weiterer Beleg für die kriminelle Verachtung schwarzer Musik in jener Zeit: Von den fünf Nominierungen sind nur zwei nicht der Disco-Musik zuzurechnen: die Stücke von Earth, Wind & Fire und den Commodores. Die Auszeichnung erhielt aber eine leichtgewichtige Disco-Schnulze des weißen Engländers Leo Sayer:

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»You Make Me Feel Like Dancing«. In den uniformen Köpfen der Grammy-Jury, die sich damals fast ausschließlich aus weißen Mitarbeitern der Plattenindustrie zusammensetzte, waren »Disco« und »R&B« zu einem Begriff verschmolzen. Die strategischen CrossoverVorgaben von Seiten der Konzerne führten zu einer schweren musikalischen Identitätskrise, von der nur ganz wenige schwarze Musiker wie George Clintons Parliament-Funkadelic, Marvin Gaye und Stevie Wonder nicht betroffen wurden. Berechnender Crossover, Disco-Begeisterung und eine immer stärkere Kontrolle der US-Musikszene durch die Konzerne führte zu Monotonie und Provinzialität. Mitte der Siebziger hatten sich die meisten Labels rund um die 6th Avenue in Manhattan niedergelassen. Sie waren ebenso wie die Nobeldiscos jener Tage, Regine’s, Xenon und das legendäre Studio 54, alle zu Fuß zu erreichen. Die angesagteste schwarze Disco, das Leviticus, lag weiter südlich auf der 6th Avenue, am Herald Square, zwei Blocks vom Madison Square Garden entfernt. Das Leviticus war ein Laden, in dem Anzugpflicht herrschte und Cognac getrunken wurde – ein Ort, an dem all die frisch gekürten Nebenmarkt-Manager des Business-Amerika bemüht waren, im Gedränge nicht zu schwitzen. Das Gedankengut, das aus der Konzentration in der Musikbranche resultierte, und die Tendenz der Manager, selbst beim Urinieren noch professionelle Urteile abzugeben, ist ein Grund, weshalb das bedeutendste Musikphänomen der letzten zwanzig Jahre so lange gebraucht hat, um vom Mainstream aufgegriffen zu werden. Wenn man heute zurückblickt, muss man sagen: Welch ein Glück. Boogie down

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»You gotta go out and paint and be called an outlaw at the same time.« Lee Quinones, Graffiti-Künstler, im Film Wild Style 1976, nach zweihundert Jahren amerikanischer Geschichte, gönnt sich das Land eine große Feier. Selbst das neurotische New York, das


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mitten in einer verheerenden Wirtschaftskrise steckt, ist voll patriotischer Wimpel und erhabener Phrasendrescher, die den Geist der Demokratie beschwören. Historische Segelschiffe kreuzen vor Manhattan zu Ehren eines großherzigen und selbstlosen Amerika, das nur in den Köpfen jener existiert, die den Genozid an den Ureinwohnern und die Lynchmorde an Afroamerikanern ignorieren. Die Lüge beginnt mit den Worten: »All men are created equal« – »Alle Menschen sind von Geburt an gleich.« Auf Amerikas Schattenseite befinden sich jene, die sich nicht reibungslos in die offizielle Geschichtsschreibung einfügen lassen: Arbeiter, für die man keine Verwendung hat, und Jugendliche ohne Bildung, deren einziger Kontakt zu staatlichen Stellen sich auf die Konfrontation mit aggressiv vorgehenden Polizisten beschränkt, wenn diese in den heruntergekommenen, von Graffiti überzogenen Stadtvierteln patrouillieren. Die Vorstadt-Revolution, vom Staat gefördert und von den Konzernen (Auto, Öl, Gummi, Immobilien) bejubelt, hatte zusammen mit den Vorurteilen gegen Schwarze und Latinos dazu geführt, dass ganze Stadtteile ökonomisch tot waren. In den Siebzigern, als wir zum ersten Mal einen verstohlenen Blick in die Vergangenheit warfen, wurde sofort mit dem Finger auf die schlimmen Zustände gezeigt, und keine Gegend wurde stärker zum Symbol städtischer Verwahrlosung als die Bronx, vor allem die South Bronx. Trotz des frisch renovierten Baseballstadions der Yankees und des Erfolgs der Mannschaft brachten die Medien immer wieder Bilder ausgebrannter Gebäude und verlassener Straßenzüge. In der Tonight Show machten Johnny Carson und unzählige andere Entertainer immer wieder das Image der Bronx zum Thema, um billige Lacher über den Zustand New Yorks zu landen. Die Bronx hatte ein Gang-Problem, ein Heroin-Problem und, wie viele andere Krisenbezirke, keine ökonomische Basis, auf der man aufbauen konnte. Hollywood schlug Kapital aus dem Image der South Bronx als Vorhof zur Hölle. In The Warriors diente der Stadtteil als Kulisse für einen durchgestylten Bandenkrieg, und in Fort Apache: The Bronx erlebte Paul Newman seine dringend benötigte Renaissance, indem er einen Cop mit großem Herz inmitten des Chaos der Bronx spielen durf-

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te. Ein paar Jahre später kostete Tom Wolfe in Fegefeuer der Eitelkeiten die größte Angst aller weißen New Yorker aus: sich in der Bronx zu verlaufen. Aber 1976 war die Bronx alles andere als eine kulturelle Einöde. Trotz Verfall und Vernachlässigung war hier das Zentrum einer lebendigen, von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommenen, zukunftsweisenden Kreativität, die nur durch diese extreme Mischung der Ethnien und ihre relative Isolation gegenüber dem Rest von New York entstehen konnte. Innerhalb der engen Grenzen der Bronx entstanden die Ausdrucksformen, die wir mit HipHop-Kultur assoziieren: Graffiti-Kunst, Breakdance, Rappen und Mixen.

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Tags Graffiti ist so alt wie die ältesten Steinmauern. Vieles von dem, was wir über die Frühgeschichte wissen, stammt von Bildern und Symbolen, die vor Jahrtausenden irgendwohin geschmiert wurden. Als sich die Menschheit weiterentwickelte und das Papier sich als wichtigstes Kommunikationsmedium durchsetzte, wurden Mauern zum Tabu. Sie mit Worten zu verzieren galt als Rückfall in unzivilisierte Zeiten, was sicherlich der Grund ist, warum das, was wir Graffiti nennen, sich so lange gehalten hat. Als Möglichkeit, ungewöhnliche Ansichten zu verbreiten und Gebiete zu markieren, oder einfach um eine kunterbunte Sauerei anzurichten, wird Graffiti niemals verschwinden. Dafür ist Graffiti zu wichtig und macht viel zu viel Spaß. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Amerika alles daran setzte, sich ein blütenreines Äußeres zu verschaffen, sei es nun im Bereich der Geschichte oder der Architektur, begann auch der Aufstieg von Graffiti. Zunächst war es nicht viel mehr als ein kleines städtisches Ärgernis. Erst mit der explosionsartigen Zunahme in den siebziger Jahren begannen die ersten Sprayer, sich als Künstler zu verstehen. In den frühen Siebzigern trafen sich Sprayer regelmäßig in DeWitt Clinton High, einer Schule in der Bronx, nur ein paar Blocks von einem Depot der New Yorker U-Bahnen entfernt. Busse und Bahnen mit Obszönitäten und Reimen zu verzieren, war schon


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immer eine beliebte Beschäftigung von gelangweilten Jugendlichen, aber bewaffnet mit Krylon, Rustoleum, Flowmaster Ink oder Red Devil-Spray – und mit der damals neuen Errungenschaft des Filzmarkers – verwendeten die Schüler von Clinton die Arbeitsmittel der Künstler nicht, um etwas zu verschandeln, sondern um GuerillaKunst zu fabrizieren. Weil es verboten war, machte es Spaß. Die Teenager gaben sich verwegene Namen, so genannte »Tags«, die sie vor Strafverfolgung schützen sollten und ihr Tun mystifizierten. »Phase 2«, das Tag des Clinton-Schülers Lonny Wood, war eines der Ersten, das in ganz New York berühmt wurde, weil es die Hauptstrecken der städtischen UBahn zierte. Als Afroamerikaner stellte er eher eine Ausnahme dar, denn die ersten Sprayer waren meist Weiße oder Puertoricaner. Die Zurschaustellung einer eigenen persönlichen Note wurde schon bald wichtiger als die Abgrenzung gegenüber anderen Stilen oder anderen ethnischen Gruppen. Nicht, dass sich der DurchschnittsNew-Yorker für die ethnische Herkunft eines Sprayers interessiert hätte, er vermutete dahinter eher eine gelangweilte, wahrscheinlich sogar gefährliche Jugendbande. Für viele New Yorker war das Auftauchen von Graffiti in Manhattan ein sicherer Hinweis auf den baldigen Untergang der Stadt. Offensichtlich hatte man die Kontrolle verloren und musste jetzt schleunigst zusehen, dass man sich nach Jersey, Florida oder sonst wohin absetzte. Im weiteren Verlauf der Siebziger verwandelten sich die New Yorker U-Bahnen und U-Bahn-Stationen immer mehr in Gemäldegalerien. Unter totaler Missachtung des Seelenfriedens ihrer Mitmenschen, die mit der Freisetzung eines ungeheuer kreativen Potenzials einherging, markierten und verfremdeten die Graffiti-Künstler aller Stadtteile öffentliche Verkehrsmittel mit riesigen, kunstvollen Wandbildern. Meist war es der Name des Sprayers, der sich in bunten comicartigen Buchstaben über die gesamte Länge der Wagen erstrekkte. In der Hochphase des Graffiti gab es in ganz New York nicht einen Wagen, der verschont blieb. Alle, die jung oder interessiert genug waren, Graffiti nicht nur als Ärgernis zu betrachten, verstanden, dass sich diese Jugendlichen mit

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Spraydosen und Magic Markern Gehör verschaffen und lautstark auf sich und ihre Kunst aufmerksam machen wollten. Für die einen, wie für die Bürgermeister John Lindsay und Abe Beame beispielsweise, war Graffiti der reinste Alptraum. Für die anderen, die nach Zeichen der Rebellion, nach einem letzten Aufschrei des Geistes der sechziger Jahre Ausschau hielten, war Graffiti die passende neue Ausdrucksform. Und so zeigte bereits 1973 eine Galerie zwanzig riesige Graffiti-Werke, was für einen enormen Medienrummel sorgte, auch wenn die meisten Kommentare herablassend waren und einige Kritiker es kategorisch ablehnten, Graffiti als Kunst anzuerkennen. Auch die etablierte Kunstszene verlor schnell wieder das Interesse an dieser neuen Kunstform. Eine Ausstellung in Soho 1973 mit Preisen zwischen 1.000 und 3.000 Dollar verlief enttäuschend, und die Trendsucher, die sich einst so sehr dafür eingesetzt hatten, das öffentliche Ärgernis Graffiti in ein Luxusprodukt zu verwandeln, wendeten ihren taxierenden Blick anderen Dingen zu. HipHop ist mit Sicherheit eines: unverwüstlich. Als Graffiti bei den intellektuellen Kritikern auf Ablehnung stieß, fand die Kunst schnell neue Anhänger in der Avantgarde. Das lag teilweise an der Vermittlung durch Promoter, die sich in der Kunstszene auskannten, wie etwa durch den jungen Künstler-Unternehmer Fred Braithwaite, den die Welt als Freddy Love und später als Fab Five Freddy kennen lernen sollte. Er brachte Graffiti-Künstler zusammen und führte sie in die Downtown-Kunstszene ein, die gleichzeitig mit Punk ihre Blüte erlebte. Er glaubte, dass diese lebendige, aggressive Kunst perfekt zur Anti-Haltung von Punkhochburgen wie dem CBGB passte. Wenn Punk die Musik der Rebellion war, dann musste Graffiti die Kunst der Rebellion sein. Das Wiederaufkeimen des Interesses ist verschiedenen außergewöhnlichen Menschen zu verdanken, von denen Samo wohl der bekannteste ist: Unter seinem richtigen Namen Jean-Michel Basquiat wurde der dünne, unverständlicherweise gefürchtete Outlaw aus Brooklyn zum primitiven Weisen der Kunstwelt. Basquiat, eine Art Jimi Hendrix der Sprühdose, wurde nur 27 Jahre alt. Ob Aerosolspray, Leinwand oder dreidimensionale Formen, gleich welche Ma-


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terialien er verwendete, nie vergaß Basquiat seine Herkunft. Seine Farbpalette verwies auf seinen haitianischen Familienhintergrund und seine schräge Technik auf seine Distanz zum Bürgertum. Seine Karriere war ein unaufhörliches Auf und Ab, durchaus eines Popstars würdig. Aber die Parallele zu Hendrix beschränkt sich nicht nur auf seine begeisterte Aufnahme in der Londoner Rockszene. 1988 starb er an einer Überdosis Heroin. Acht Jahre später fand im Whitney Museum in New York eine umfassende Retrospektive statt, die seinen Status als Künstler untermauerte. Gegen Ende der Achtziger stellten die Schriftsteller und Alt-Hippies in Greenwich Village, in Soho und auf der Südspitze Manhattans eine Verbindung zwischen Graffiti-Künstlern wie Phase 2, Dondi White, Lee Quinones und den Musik- und Tanzstilen her, die das kulturelle Geschehen in den Straßen New Yorks prägten. 1982 trieb ein junger weißer Underground-Filmemacher namens Charlie Ahearn genügend Geld auf, um Wild Style zu drehen, einen dynamischen Film, der unter Mitwirkung von Quinones, Braithwaite und anderen eine Verbindung zwischen der Straßenkultur der Bronx und jenen Leuten in Downtown Manhattan herzustellen vermochte, die diese Ausdrucksformen als rebellische Kunst feierten. Wegen seiner Uptown-Downtown-Dynamik ist Wild Style bis heute eines der besten Filmdokumente über HipHop. Wir wissen heute, dass die Spraydosen-Ästhetik und Straßenherkunft des Graffiti Einfluss auf Künstler der ganzen Welt hatte. Die ersten Promoter von HipHop-Partys setzten oft auf Sprayer, um Flyer und Poster zu gestalten. In den Achtzigern, als sich die Musik zu einem Massenphänomen entwickelt hatte, gab es eine Phase, in der fast alles, was mit HipHop-Vermarktung oder der Prostituierung des HipHop zu tun hatte, mit einer klischierten Form von Graffiti kombiniert wurde. Bis heute gibt es einen Bezug zur Protestkunst, wenn Magic Marker und Spraydosen zum Einsatz kommen – dies zeigen etwa die wütenden Kritzeleien der Revolutionäre in Mexiko oder die Schriftzüge gelangweilter reicher Teenager in Zürich. In den von Gangs beherrschten Städten im heutigen Amerika werden Gebietsgrenzen und Gewaltandrohungen über Graffiti kommuniziert.

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Early days: Die Sugar Hill Gang 1980 in London.

Rechts oben: Grandmaster Flash And The Furious Five 1984 in Frankfurt am Main.

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Rechts: Afrika Bambaataa (rechts) auf der Love Parade 2000.

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Puff Daddy auf dem Weg zur MTV Pressekonferenz 2005.

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Wir gehen nirgendwo hin: twenty-first-century bling Ich saß in einem dieser Läden auf der Amsterdam Avenue, wo weiße Frauen in den besten Jahren zum Brunch hingehen und bei Himbeerpfannkuchen und Quiche über Ferienhäuser, Kindermädchen und den Schlussverkauf plaudern. Ein lauschiges Plätzchen, ein paar Quadratmeter Dorfatmosphäre für die Bewohner der Upper West Side mit ihren Louis Vuitton-Taschen. Kann gut sein, dass Sean Combs genau deshalb hier speiste. Niemand scherte sich um ihn, als er durch die Tür kam, niemand war aufgeregt oder gar beunruhigt, ja, außer mir schien nur die blonde Bedienung – eine der wenigen Personen im Raum unter dreißig – zu wissen, wer er war. Niemand schien die verkabelten Bodyguards in ihren schwarzen Anzügen vor der Tür, oder die an der Ecke geparkten Cadillac Escalades zu bemerken. Wir trafen uns ein paar Wochen vor der Broadway-Premiere von A Raisin in the Sun. Die meisten Theaterprofis fanden die Vorstellung, dass Combs die Rolle des Walter Lee Younger spielen sollte, einfach nur lächerlich. Diese Rolle, die in der ersten Broadway-Produktion des Stücks 1959 von Sidney Poitier verkörpert wurde, ist eine der Schlüsselrollen im amerikanischen Drama. Combs’ Vorhaben, sich am Broadway zu versuchen, war sowieso schon ehrgeizig, aber sein Debüt ausgerechnet im schwarzen Pendant zu Shakespears Hamlet zu versuchen, schien geradezu verrückt. Während Combs ein herzhaftes Frühstück aus Eiern, Speck, Hash Browns und O-Saft zu sich nahm, redete er beiläufig über seine Theaterambitionen, als wäre der Broadway bloß der nächste Punkt auf einer langen Liste von Herausforderungen. Er wolle auf eine Ebene mit Denzel Washington und Danny Glover gestellt werden, sagte er. Ein hohes, vielleicht ein zu hohes Ziel, aber wer könnte schon an Sean Combs, aka P.Diddy, aka Puff Daddy, zweifeln? An einem Mann Anfang dreißig, der sich schon mehrmals neu erfunden hatte. Ich saß nicht irgendeinem MC gegenüber, sondern einem echten New Jack-Impresario, der gleichzeitig Old School-Entertainer war. Nicht nur, dass 2004 seine Sean John-Modelinie Millionen umsetzte, son-

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dern der Council of Fashion Designers kürte ihn noch während er auf der Bühne stand zum Herren-Designer des Jahres. Für seine Darbietungen als Walter Lee bekam Combs schlechte bis mittelmäßige Kritiken, aber der wirtschaftliche Erfolg der Inszenierung war überwältigend und ganz alleine sein Verdienst. Das Revival des Klassikers von Lorraine Hansberry spielte Geld ein – und war damit eine von nur zwei Broadway-Produktionen im Frühling 2004, die Gewinn machten. Combs lockte sehr unterschiedliche Menschen ins Theater, und er war maßgeblich daran beteiligt, dass seine Schauspielkollegin Phylicia Rashad als erste Afroamerikanerin einen »Tony« als »Beste Schauspielerin« gewann. Am Ende der Spielzeit wurde Combs sogar von vielen des »Great White Way« widerwillig bewundert. Wenn nicht für seine Schauspielkunst, dann zumindest für seine Hartnäckigkeit. Aufgrund der unermüdlichen PR in eigener Sache, seinem Geschäftssinn und seiner noch immer umstrittenen Persönlichkeit ist Combs ein typischer Vertreter der heutigen amerikanischen HipHop-Szene: Worte wie »unerbittlich«, »kommerziell« und »kontrovers« beschreiben am treffendsten die Macht, die HipHop mit dem Ende der zweiten Amtszeit Clintons in der Gesellschaft gewann und bis in die kriegsgeplagte Gegenwart hinein innehat. Seit dem 11. September 2001 hat sich in den USA viel verändert, aber weder die Terroranschläge noch die Mobilisierung des Militärs konnten den Aufstieg von HipHop bremsen. Obwohl das Weltgeschehen die Stimmung im Land definitiv verändert hat, ist die Begeisterung Amerikas für die Musik, die Stars und für alles was dazu gehört ungebremst. 1999 gewann Lauryn Hill, die ehemalige Leadsängerin der Fugees, gleich fünf Grammys für ihr Album The Miseducation of Lauryn Hill. Das Album ist eine emotionale Reise durch ihr Leben, auf dem sie nahtlos zwischen Rap und Gesang wechselt, als wären beide einund dasselbe. 2002 räumte Alicia Keys fünf Grammys ab für »Fallin’«, den Song des Jahres, und mehrere Preise für das Album Songs in A Minor, einer Retro-Soul-Sammlung deren Arrangements und Songtexte die junge Soul-Diva eng mit dem B-Boy-Blues verband. 2004 erhielten Outkast einen Grammy für das Album des Jahres, Spea-


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kerboxx/The Love Below. Die ambitionierte Doppel-CD des streetsmarten Big Boi und des cool-alternativen Andre 3000 ist eine Verbindung aus erlesenen MC-Skills und freakigen Pop-Experimenten. Hill, Keys und das Outkast-Duo – sie alle nahmen Stücke auf, die in der Ästhetik des HipHop wurzeln, und dabei sehr geschickt andere musikalische Einflüsse in ihre Musik integrieren. So entstanden visionäre Arbeiten, auf die sich auch Hörer außerhalb der HipHop-Gemeinde einlassen konnten (auch wenn Keys’ Arbeit weniger avantgardistisch und ambitioniert war als die der anderen). Auch die großartigen Aufnahmen von Missy Elliott gehen in diese Richtung. Sie ist, genau wie Lauryn Hill, Sängerin und MC und schuf musikalisch anspruchsvollere Reime als die meisten ihrer Rap-Kollegen. Ihr Talent gekoppelt mit dem Produktionsgenie ihres langjährigen Mitstreiters Timbaland, ließ Aufnahmen entstehen, die sich durch unvorhersehbare Genresprünge auszeichnen. Entscheidend hierfür ist die Kombination der ultra-Macho Welt des HipHop mit der sexuell gemäßigteren Rave-Kultur, die Elliott zu ihrem Markenzeichen machte. Eine Kreation wie »Get Yer Freak On«, mit starken Gesangs-Hooks, cleveren Percussion-Verlagerungen und schamlosen Ausschweifungen, lässt sich leicht in die internationale Dance-Kultur (wie Elektro, Trance, Techno) der DJs übersetzen, zu der HipHop parallel läuft, mit der es jedoch fast nie Überschneidungen gibt. Hill und Elliott waren für die HipHop-Musik der Jahrhundertwende genauso wichtig wie ihre männlichen Produzenten- und Künstlerkollegen. Es war ein großer und längst überfälliger Durchbruch für die Frauen in der Szene. Elliott, eine der ersten im Pop-Radio gespielten MCs, machte die meisten Aufnahmen in Virginia Beach, wo sie sich an den rhythmischen HipHop-Style Crunk heranwagte. Dieser Stil stammt aus der Gegend um Atlanta und Miami und wurde vor allem in afroamerikanischen College-Verbindungen gehört. Polyrhythmische Intensität und einfache (oft auch einfältige) Texte zeichnen Crunk aus, bei dem es vielmehr um Beats als um Reime geht. Große Hits, wie u.a. die von Lil John & The East Side Boys und den Ying Yang Twins, basie-

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ren weniger auf traditionellen Reimkünsten als viel mehr auf dem Skandieren von Hooks, die an den lust- und körperbetonten Funk der Siebziger erinnern. Crunk verstärkt die fortwährende Verwandlung des im Radio gespielten HipHop-Sounds, bei dem brillante Texte zunehmend von gesungenen oder skandierten Refrains in den Hintergrund gedrängt werden. Der »booty«, der Hintern, spielt für die Sinnlichkeit in der afrikanischen Diaspora von jeher eine gewichtige Rolle, und hat im 21. Jahrhundert (entschuldigt mein Wortspiel) noch an Gewicht zugelegt. Von Crunk aus dem Süden über die Liedchen von Nellys St. Lunatics bis zu aufreizenden Schönheiten wie Beyoncé, Britney und J-Lo: bebende, Wellen schlagende, entzückende Hinterteile, wackelnde und hüpfende Ärsche füllten MTV, BET und das People Magazine. Genau wie in den Fünfzigern die Brüste Jayne Mansfields, rückten nun die Hinterteile von Lopez und Knowles ins Licht der Öffentlichkeit und wurden zu einem weiteren Triumph der afrozentrischen Ästhetik. Diese »bootyliciousness« hatte einen unerwarteten Effekt: Die Songs und Videos machten den Hintern nicht nur zum favorisierten Objekt der Begierde, sie glamourisierten auch das Strippen. Aerobic an der Stripstange wurde zu einem frechen, Schenkel stärkenden Hobby der unteren Mittelschicht. Für Mädchen mit schwachem Selbstbewusstsein und knappen finanziellen Mitteln wurde das Strippen zu einer reizvollen Karriereoption, in der Geld sofort verfügbar war. Weibliche Jugendliche träumten plötzlich von einer Karriere als Stripperin und glaubten daran, auf diesem Weg Selbstständigkeit und wirtschaftliche Mobilität zu erlangen sowie ihren sexuellen Status zu verbessern. Strippen wurde für Frauen zu dem, was Drogendealen für Männer ist – zu einem One Way-Ticket raus aus dem Ghetto. Zu diesem Trend gehört auch das Tragen von Hüfthosen, von Strings, kunstvollen Tattoos oder ganz einfach das Zur-Schau-Stellen der Arschritze – ein Anblick, der auf amerikanischen Straßen schnell zur Normalität wurde. Auch das HipHop-Business versuchte aus dieser hypersexualisierten Umwelt Kapital zu schlagen. So entstanden beispielsweise Pornofilme unter Mitwirkung prominenter MCs, die bis auf wenige Ausnah-


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men (wie z.B. Treach von Naughty by Nature) sich allerdings nicht selbst beim Sex filmen ließen. Aber wenn Snoop Dogg oder Ice-T zu sehen sind, wie sie reden, rappen oder sich frei in dem lüsternen Treiben um sie herum bewegen, verkaufen sich die Bänder gleich zehnmal so häufig wie andere Porno-DVDs. Oft wird für diese Pornos neues Musikmaterial aufgenommen, um die Streifen dann bei der Neuveröffentlichung von CDs und Mix-Tapes, auf denen diese Titel erscheinen, besser verkaufen zu können. Wenn Snoop Dogg nicht gerade mit Mr. Marcus und anderen PornoStars rumhing, traf man ihn mit Oscar-Preisträger Denzel Washington am Set von Training Day, in dem er einen Gangster im Rollstuhl spielte. Und das ist nur einer seiner zahllosen Auftritte in HollywoodFilmen. Snoop Dogg ist heute so allgegenwärtig, wie er einst berüchtigt war. Er war so beschäftigt mit seinen Filmprojekten, dass man mit ihm sehr erfolgreich Six Degrees of Separation der Filmindustrie spielen könnte, das so genannte »Small World«-Phänomen, wonach jeder Mensch mit jedem anderen Menschen über maximal sechs Personen verbunden ist: Snoop war mit Tom Arnold in Soul Plane, trat mit Owen Wilson in Starsky & Hutch auf, mit Luke Wilson in Old School – und diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Wie hoch sein Einfluss in der Konsum- und Unterhaltungskultur einzuschätzen ist, zeigt die Fernsehwerbung für das hippe Sidekick-Handy, in der sich Snoop mit dem neuen Handy-Textmessage-System bei seinen Celebrity-Freunden Rat holt für das schwierige Unterfangen, seine Waschmaschine in Gang zu bringen. Snoops Präsenz ist symptomatisch für das bereits beschriebene Raptor-Phänomen und dessen Auswirkungen auf das amerikanische FilmBusiness: Selbst wenn sie weder über schauspielerisches Können noch über komödiantisches Talent verfügen, schmeißt man den RapSchauspielern die Rollen, die an schwarze Profi-Schauspieler gehen könnten, nur so hinterher. DMX wurde zum neuen Steven Segal, LL Cool J wandlungsfähiger Charakterdarsteller, Method Man und Redman machten sich als street-smarte Version von Laurel& Hardy einen Namen, und Eve wurde zur Schauspiel-Diva der HipHop-Szene. Ohne jene MCs schlecht machen zu wollen, die tatsächlich schauspiele-

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rische Qualitäten besitzen (wie Will Smith, Queen Latifah, Ice Cube), lässt sich nicht leugnen, dass die meisten dieser Darsteller mit wenig Talent gesegnet sind und zu ihren Filmen kaum einen nennenswerten künstlerischen Beitrag leisten. Daher sind sie trotz des Hypes keine Garantie dafür, dass Rap-Fans Kinokarten kaufen. Eminem stellt – wie in den meisten Dingen seit seinem überragenden Labeldebüt 1999 – die Ausnahme dar, die die Regel bestätigt. Amerikas erster White Trash-MC, der (im Gegensatz z.B. zu Kid Rock) Ghetto-cred, also Glaubwürdigkeit, genießt, drehte einen Film, der ihn zum Mythos machte, zu einem Steve McQueen der Jahrhundertwende, einem coolen, wortkargen und introvertierten Antihelden. Gleichzeitig fand er aber auch einen Platz im Herzen der romantisierten HipHop-Kultur, weil er mit der Welt der Underground-RapBattles in Verbindung gebracht wird, in der die »reputation«, der Ruf und das Ansehen, noch genauso wichtig sind wie das Geldmachen. Slim Shady besaß die Fähigkeit, sich in Texten, Interviews und Bildern als großartige Ausnahme darzustellen (der weiße MC, der sich nicht unterkriegen lässt) und sich gleichzeitig mitten im schwarzen HipHop-Kontext zu platzieren. Während seine bunt gemischte Band D-12 und sein Produzentengott Dr. Dre bei Schwarzen und kritischen Weißen für Glaubwürdigkeit sorgten, blieb Eminem auch mit seiner Stadt und seiner sozialen Schicht verbunden und konnte so eine große Pop-Zuhörerschaft bedienen – etwas, das bis dahin außer den Beastie Boys mit License to Ill noch keinem weißen MC gelungen war. Eminem wusste ganz genau, dass ihm seine Solidarität mit den wirtschaftlich und sozial benachteiligten Schwarzen bei jedem Publikum Sympathie einbrachte. 8 Mile ist neben Princes Purple Rain und Whitney Houstons The Bodyguard die erfolgreichste Übertragung der Popularität eines Popstars ins Filmgenre und profitiert enorm von Eminems Herkunft. Der Film stellt ihn als einen weißen Helden der Arbeiterklasse dar, wie ihn Hollywood seit Jahrzehnten, seit Rocky, nicht mehr hatte zeigen können und der etwas Unterschichtsrealität in Hollywoods gewöhnlich beschönigende Darstellung des wirtschaftlichen Kampfes brachte. Wie der junge Sly Stallone spielt Eminem einen Weißen, der sehr er-


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folgreich schwarze Männer auf ihrem Terrain battlete. Fred Durst und seine Rap-Rock-Kumpels konnten vor Neid nur ihre Mikros fressen. 8 Mile verdankt seinen Erfolg, zumindest aus cineastischer Sicht, der Arbeit von Regisseur Curtis Hanson. Die meisten HipHop-Filme wurden von Anfängern gemacht, von schwarzen wie weißen Regisseuren, die erste Erfahrungen sammelten. Hanson hatte zuvor den Oscar nominierten Spielfilm L.A. Confidential gedreht und seine Erfahrung trug wesentlich dazu bei, dass 8 Mile die meisten HipHop-Filme an Qualität deutlich übertrifft. Mit seinen ersten drei Platten und seinem ersten Film (der, wie er behauptet, sein letzter sein wird) nahm Eminem die verschiedenen Fäden des Rap in die Hand und verband die Hörer zu einer lockeren, aber tragfähigen Community – trotz der pausenlosen Angriffe der Zeitschrift The Source. Dessen Verantwortliche warfen ihm vor, ein falscher weißer Heiland zu sein (obwohl seine Hauptkritiker ebenfalls weiß waren!). Auch scheint es, als suche er bereits nach einer Rückzugsmöglichkeit aufgrund seiner Popularität. Noch weiß man nicht, ob sich Eminem auf Dauer durchsetzen wird. Ein spöttisches Video, das er am Vorabend der Gerichtsverhandlung gegen Michael Jackson veröffentlichte, war ein unnötiger Angriff auf den derzeitigen King of Pop, ein Fehltritt, der hoffentlich kein Vorbote für weitere, schwere Fehlurteile ist. Das Auftauchen all dieser MCs in Film, Theater und Fernsehen wirft auch eine weitreichende kulturelle Frage auf: Was ist HipHop und was nicht? Wenn Queen Latifah in Chicago in einem perlenbesetzten Kleid und Kopfschmuck eine jazzige emotionsgeladene Ballade singt, ist das dann ein HipHop-Moment oder nicht? Soll, nur weil jemand als MC bekannt wird, alles was er tut durch ein HipHop-Prisma gesehen werden? Hat HipHop seine Bedeutung verloren, als sich die Stars und ihre Projekte immer weiter von der Szene entfernten, die sie hervorgebracht hatte? Was war das, als Jay-Z im Fernsehen Heineken-Bier verhökerte und Queen Latifah eine Talkshow moderierte? War das wirklich die Fortsetzung rebellischer Straßenkultur oder machten sich die lieben Stars einfach nur mitschuldig am »Pimping« des HipHop?

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