Ihr persönliches Exemplar – mit Wettbewerb!
Das Magazin der Orell Füssli Buchhandlungen Nr. 3/2013
Es kommt Dicker Sprung über den Röschtigraben: Joël Dicker startet durch
«Es ist einfacher, für Erwachsene zu schreiben» Interview mit
Federica dE Cesco
Ein reicher Schatz an Leben Der neue Roman von Alex Capus
Und ausserdem: Graphic Novels, Kinder
bücher, Fantasy-Romane
B체cher erz채hlen die besten Geschichten
Feiern Sie mit uns vom 9. September bis 5. Oktober ! Alle Veranstaltungen und Aktionen finden Sie unter www.books.ch/kramhof
Editorial | 3
Inhalt
Was vom Heute übrigbleibt Liebe Leserin Lieber Leser Eine News-Welle nach der anderen überrollt uns. Kurz bevor sie die Küste der Wahrnehmung erreichen, brechen sie und nennen sich «Breaking News». Dann überfluten sie besonders penetrant blinkend die Bildschirme. Denn im Fernsehen und Internet können News – wie nannte man sie eigentlich, bevor man diesen Anglizismus verwendete? – besonders schnell und ungehindert fliessen. Ein grosser Teil dessen, was uns als News täglich über dem Kopf zusammenschlägt, ist aber von sehr begrenzter Dauer oder Bedeutung. Das Spezial in dieser Ausgabe von «Books» trägt den Titel «Zeitgeschehen». Dieser schwer zu fassende Begriff steht vielleicht für jene Themen, die übrig bleiben, wenn News schon wieder kalter Kaffee geworden sind. Das Zeitgeschehen ist sozusagen das Destillat einer Zeit; es gibt ihr ihren Geschmack und Geruch. Um diese Eigenheiten zu erkennen, braucht es eine feine Nase, einen geübten Gaumen und etwas Zeit. Sind elektronische Medien der richtige Kanal für News, so ist das Zeitgeschehen in Büchern besonders gut aufgehoben. Denn die Materialität von Büchern prägt auch ihre Produktion: Sie dauert etwas länger. Und Zeit kann nicht schaden, wenn man das Wesentliche und Beständige erkennen will – ob als Autor oder als Leserin und Leser.
Graphic novels
Brasilien
Kein Kinderzeugs
Literatur vom Gastland der Buchmesse
Seite 20
Seite 14
Zeitgeschehen-Spezial
Das Heute festhalten
Seite 23
4 Notizen 10 «Es ist einfacher, für Erwachsene zu schreiben» Interview mit Federica de Cesco 18 Im Schaufenster «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» von Joël Dicker 32 Kaffeepause Die Debatte 36 Fantastisch! Fantasy-Neuerscheinungen 40 Im Schaufenster «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» von Alex Capus 42 Kinderwelt Zum Lachen! 45 Mein Buch 46 Kochbücher Trendthema vegan 48 Kreuzworträtsel 49 Veranstaltungen 50 Kolumne Darum schreibe ich – von Corinna T. Sievers
Ihr Michele Bomio CEO Orell Füssli Thalia AG
Die nächste Ausgabe von Books, dem Magazin der Orell-Füssli-Buchhandlungen, erscheint am 15. November 2013. Sie erhalten Books kostenlos in jeder Filiale. Bestellungen nehmen wir gern entgegen über www.books.ch, orders@books.ch und Telefon 0848 849 848. Buchhandlungen von Orell Füssli finden Sie in Basel, Bern, Frauenfeld, St.Gallen, Winterthur und Zürich sowie am Flughafen Zürich.
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Preisänderungen vorbehalten. Unsere aktuellen Verkaufspreise und eine umfas sende Auswahl an Büchern, Filmen und Spielen finden Sie auf www.books.ch.
Impressum Herausgeber: Orell Füssli Buchhandlungs AG, Dietzingerstrasse 3, Postfach, 8036 Zürich Gesamtherstellung: Media Tune AG, Zürich Redaktion: Die Blattmacher GmbH, Zürich Gestaltungskonzept/Layout: Strichpunkt GmbH, Winterthur Coverfoto: Jeremy Spierer Alle so gekennzeichneten Bücher sind auf www.books.ch auch als eBook erhältlich.
4 | NOTIZEN
Books Nr. 3/2013
Notizen Marius Leutenegger
Es soll noch immer Leute geben, denen Reisen im Kopf nicht reichen – und die nicht allein von schönen Destinationen lesen, sondern diese auch besuchen wollen. Solche Unverbesserlichen sollten den Weg in die Europaallee beim Hauptbahnhof Zürich unter die Füsse nehmen, denn dort hat der Transa Flagship Store seine Tore geöffnet. Er bietet alles, was man für einen Ausflug in die nahen Berge oder ans Ende der Welt braucht: Bekleidung und Kletterausrüstung, Zelte oder Rucksäcke. Und natürlich auch das passende Informationsmaterial: Orell Füssli unterhält im Laden auf 160 Quadratmetern die Buchabteilung TransaBooks mit einer berghohen und suezkanalbreiten Auswahl an Reiseführern, Outdoorguides und Bildbänden zu allen Destinationen der Erde. Eine rechte Weltreise beginnt also fortan immer an der Europaallee!
«Books» kennt für Fantasy-Bücher zwar
klärlichen Ereignissen auseinandersetzt.
die Rubrik «Fantastisch!» – Sie finden sie
Bislang bestand diese Abteilung aus ge-
in dieser Ausgabe ab Seite 36 –, aus-
nau einer Person, nämlich aus dem letz-
nahmsweise schafft es eine fantastische
ten Zauberer Englands. Grant lernt von
Neuerscheinung aber in die «Notizen».
diesem distinguierten Herrn das Zauber-
Dann nämlich, wenn sie sich auch für ein
handwerk mehr schlecht als recht, trotz-
Publikum eignet, das mit Gnomen, Zau-
dem taucht der junge Polizist liebend gern
berschulen und Vampiren we-
in die Welt des Mysteriösen
nig anfangen kann. Zwar ent-
ein. Schliesslich wird diese
hält auch der Roman «Ein
nicht nur von einigen wirklich
Wispern unter Baker Street»
schrägen Kreaturen, sondern
von Ben Aaronovitch, der bei
auch von allerhand faszinie-
dtv erschienen ist, genau sol-
renden Damen bevölkert. Au-
che Zutaten. Aber der engli-
tor Ben Aaronovitch ist ei-
sche Bestseller ist von so viel
gentlich ein Drehbuchautor;
Witz und derart hübschen Be-
mit den Peter-Grant-Romanen
schreibungen des Alltags in
lässt er einen ziemlich schnell
London geprägt, dass ihm selbst Harry-
geschnittenen Film laufen. «Ein Wispern
Potter-Verächter eine Chance geben soll-
unter Baker Street» ist bereits der dritte
ten. Hauptfigur ist der junge dunkelhäuti-
Band der Reihe. Wer sich an die Bücher
ge Polizist Peter Grant. Er wird einer
heranwagen möchte, sollte mit dem Erst-
Sondereinheit zugeteilt, die sich mit uner-
ling beginnen: «Die Flüsse von London».
Die Lebensgeschichte von Emily Ruete ist bereits in mehreren Romanen verarbeitet worden. Kein Wunder, denn diese Biografie ist mehr als ungewöhnlich: Emily kam 1844 in Sansibar als Sayyida zur Welt – als Prinzessin des Inselreichs. Ihre Liebe zu einem Hamburger Kaufmann brachte sie als junge Frau nach Deutschland, wo sie einen neuen Namen annahm und drei Kinder gebar. Vorübergehend wurde die früh verwitwete Sayyida-Emily zu einem Spielball der Politik, als mehrere europäische Mächte die Herrschaft über Sansibar anstrebten. Die Frau, die immer an der Schwelle zwischen zwei Kulturen stand, starb 1924 in Jena. Lukas Hartmann hat sich jetzt ebenfalls des spannenden Stoffs angenommen. In «Abschied von Sansibar», erschienen bei Diogenes, richtet er den Fokus vor allem auf die drei Kinder der Prinzessin, die beiden Töchter Antonie und Rosalie sowie den Sohn Said, der sich später Rudolph nannte. Kunstvoll springt Hartmann zwischen seinen Figuren und ihren verschiedenen Lebensabschnitten hin und her, bis sich die verschiedenen Nahaufnahmen zu einem grossen Familiengemälde vereinigen. So etwas kann der Berner Autor gut, und es gelingt ihm, durch den Perspektivenwechsel zeitlos grosse Fragen zur Identität und Zugehörigkeit oder über die Bedeutung von Liebe und Familie vielfältig zu beleuchten. Stellenweise braucht man als Leserin oder Leser einen etwas längeren Atem, man wird aber fürs Durchhalten belohnt: Hartmann lässt einen immer tiefer in eine Welt eintauchen, die längst untergegangen ist und alles andere als eine «gute alte Zeit» war.
NOTIZEN | 5
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© Niklas Lello
Leute, die das mögen, mögen auch ...
Oft ist die letzte Seite eines Buchs jene, die man am wenigsten mag – weil man nicht möchte, dass das Lesevergnügen schon zu Ende ist. Glücklicherweise gibt es Fachleute, die einem in solchen Momenten Bücher mit vergleichbaren Qualitäten empfehlen können – Fachleute wie Désirée Stucki von Orell Füssli Frauenfeld. Die 30Jährige ist so begeisterte Buchhändlerin wie Leserin, «und wie viele andere habe auch ich Hermann Hesses ‹Siddhartha› verschlungen. Das ist ja ein Buch, das man immer wieder lesen kann – und das einem bei jeder Wiederholung etwas anderes gibt. Als Buchhändlerin bin ich oft gefragt worden, ob ich etwas Ähnliches empfehlen könne. Vor ein paar Jahren entdeckte ich den Roman ‹Kaito oder Die Leichtigkeit des Glücks› von Hans Kruppa, der mich wegen seiner Märchenhaftigkeit sehr an ‹Siddhartha› erinnerte. Lange Zeit war das Buch nicht mehr erhältlich; jetzt aber ist bei Coppenrath eine wunderschön gemachte neue Ausgabe erschienen, die ich sehr empfehle. Kruppa erzählt die Geschichte des Buben Kaito, der in einer mausarmen Familie aufwächst und das Gefühl hat, nicht am richtigen Platz zu sein. Als er sich aufmacht in die Welt, erhält er von der Familie ein Medaillon mit auf den Weg. Dieses Medaillon enthält eine Beschriftung, die niemand lesen kann –
ausser einem fahrenden Musikanten, dem Kaito auf seinem Weg begegnet. Der Musikant eröffnet dem Jungen, das Medaillon gehöre dem bekanntesten Flötisten des Landes. Gemeinsam machen sich die beiden auf den Weg zu diesem Flötisten. Unterwegs lernt Kaito ein stummes Mädchen kennen, mit dem er sich sofort tief verbunden fühlt. Als er beim Flötisten ankommt, spielt ihm dieser ein Musikstück vor. Kaito ist so tief berührt, dass ihn der Flötist zu seinem Schüler macht. Das eröffnet dem Jungen die Möglichkeit, zu einer besonderen Erleuchtung zu gelangen – und das stumme Mädche auf aussergewöhnliche Weise für sich zu gewinnen ... Die Parallelen zu ‹Siddhartha› liegen auf der Hand: Hier wie dort lässt einer alles hinter sich, um seine Bestimmung zu finden. Hier wie dort findet einer durch intensive Lehrjahre zum Glück. Aber es gibt auch Unterschiede: Die Sprache von Hesse ist viel literarischer als jene von Kruppa. ‹Kaito oder Die Leichtigkeit des Glücks› eignet sich deshalb auch für Leute, die niemals ein Buch von Hesse zur Hand nähmen, weil es ihnen zu kompliziert scheint. Und ein Unterschied ist auch, dass Kruppa nicht so deutlich den Zeigefinger hebt, wie es Hesse zuweilen tut. Er erzählt einfach eine sehr schöne Geschichte, von der man sich verzaubern lassen kann.»
«Sofies Welt» des Norwegers Jostein Gaarder ist ein Dauerbrenner: Das 1991 erschienene Buch wurde mittlerweile in 95 Sprachen übersetzt. Es erzählt die Geschichte der 14-jährigen Sofie, die eines Tages einen mysteriösen Brief erhält und darin gefragt wird, wer sie eigentlich sei. Darauf beginnt für Sofie und die Leserschaft eine Reise durch die Welt der Philosophie – denn das Mädchen erhält weitere Briefe, die immer einer bestimmten Denkrichtung oder einem berühmten Philosophen gewidmet sind. «Sofies Welt» war eigentlich für ältere Kinder gedacht; weil es einen so charmanten wie nützlichen Crash-Kurs in Philosophie-Geschichte bietet, haben aber auch Erwachsene den Roman geradezu verschlungen. Jetzt, 22 Jahre später, hat Gaarder sein Erfolgskonzept noch einmal angewendet. «Noras Welt» handelt jedoch nicht von Philosophie, sondern von aktuellen Umweltproblemen. Die 16-jährige Protagonistin Nora reist träumend ins Jahr 2084 und erlebt dort als ihre eigene Urenkelin Nova, was wir Heutigen der Erde angetan haben. Diesen eher simplen Plot nutzt der Autor, um Kindern und Jugendlichen ökologische Zusammenhänge zu erklären und den Nachwuchs zu einem naturgerechten Handeln zu bewegen. Erneut gelingt es Gaarder, ein hochkomplexes Thema anschaulich zu behandeln; diesmal schimmern die pädagogischen Absichten des Autors aber etwas stark zwischen den Zeilen hindurch, was die Attraktivität des Romans für Erwachsene stellenweise reduziert – aber «Noras Welt» ist ja auch als Kinderbuch gedacht und sollte nicht unbedingt an «Sofies Welt» gemessen werden.
6 | NOTIZEN
Books Nr. 3/2013
Was lesen Sie gerade?
Vom 24. bis 27. Oktober 2013 findet zum dritten Mal das grösste Literaturfestival der Schweiz statt: «Zürich liest». Es bietet in diesem Jahr 140 Lesungen und literarische Veranstaltungen mit über 200 nationalen und internationalen Autorinnen und Autoren. Mit dabei sind zum Beispiel Milena Moser und Franz Hohler, angekündigt ist auch der Schauspieler Bruno
Marco Fritsche, TV-Moderator:
© Adrian Portmann
Ganz. Als besondere Attraktion werden «Lesungen an ungewohnten Orten» durchgeführt: im Prime Tower, in der Sternwarte, im Staatsarchiv oder in der Hafenkneipe. Auch bei Orell Füssli gibt es verschiedene Veranstaltungen. Zur gleichen Zeit findet übrigens auch «BuchBasel» statt. Die beiden Festivals haben eine strategische Partnerschaft vereinbart und arbeiten fortan eng zusammen. «Lesen dient mir sowohl dem kontemplativen ‹Nichtstun› als auch der Informationsbeschaffung. Daher lese ich neben den drei mir wichtigen Sonntagszeitungen – was schon mal bis zur Wochenmitte dauern kann – auch oft verschiedene Bücher parallel und aus ganz unterschiedlichen Gründen. Da ich erst seit kurzem mein Glück als Hobby-Koch versuche, schmökere ich immer wieder in ‹Querbeet›, dem neuen Kochbuch von Susanne Bloch-Hänseler. Ein reich bebildertes und inspirierendes Schätzkästchen, wenn es um originelle und für mich einigermassen gut zu bewältigende Koch-Rezepte geht. Mein neustes ‹Coffee Table Book›, das mich im charmanten und einzigartigen Buchladen von Carol Forster in Appenzell auf den ersten Blick verzaubert hat, ist ‹Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln› von und über Meret Oppenheim – ja genau, das ist die mit der Fell-Tee-Tasse! Das Buch ist nicht nur höchst dekorativ im Wohnzimmer, sondern nimmt mir auch das schlechte Gewissen, wenn ich faul auf meinem Sofa liege, weil ich dann
immer wieder darin stöbern kann. Dieses autobiografische Album mit unveröffentlichten Briefwechseln ist nicht nur etwas für Kunstinteressierte. Auch wer einfach gern ‹im Leben eines Menschen blättert›, wird viel Erstaunliches erfahren. Zu guter Letzt liegt neben meinem Bett noch ‹Der Geisterfahrer›, ein Buch mit Erzählungen von Franz Hohler. Anregend und manchmal auch wohltuend irritierend, wie Hohler zum Glück ist!»
Querbeet Susanne Bloch-Hänseler 317 Seiten CHF 58.00 Hänseler
Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln Meret Oppenheim 400 Seiten CHF 80.00 Scheidegger & Spiess
Der Geisterfahrer Franz Hohler 576 Seiten CHF 29.90 Luchterhand
Schöne Architekturbücher gibt es glücklicherweise so viele wie Ameisen im Wald. Ein besonders kunstvolles beschäftigt sich jetzt aber genau mit diesen Ameisen – und allen anderen Tierchen und Tieren, von denen wir bezüglich Architektur noch viel lernen können. «Architektier», gerade bei Knesebeck erschienen, zeigt die Werke der Baumeister der Natur in herrlichen Nahaufnahmen. Der renommierte Naturfotograf Ingo Arndt hat gestochen scharfe Bilder von Vogelnestern, Spinnennetzen, Termitenbauten und Kalkschalen geschossen, der Verhaltensforscher Jürgen Tautz begleitet die Bildstrecken mit spannenden Geschichten zu den vielbeinigen Architekten, ihren Werken, Methoden und Tricks. Ein Buch, an dem man sich kaum sattsehen kann.
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Ein echtes Buch aus schönem Papier hat viele Vorteile, doch auch das eBook kann zahlreiche Pluspunkte für sich verbuchen. Wofür soll man sich also entscheiden? Die gute Nachricht: Man muss keine Wahl mehr treffen – zumindest nicht, wenn man einen Titel von Kein & Aber haben will. Denn seit diesem Frühjahr erhalten alle Käuferinnen und Käufer eines Hardcovers aus diesem Verlag gleich kostenlos das entsprechende eBook dazu. In jedem gekauften Buch ist ein individueller Code angegeben; er kann auf der Internetseite des Verlags zusammen mit einer E-Mail-Adresse eingetippt werden – und schon lässt sich das eBook herunterladen. So ist ein guter Mix möglich: Daheim auf dem Sofa kann man die schöne Druckausgabe zur Hand nehmen, unterwegs greift man zum eReader. «Es gab kein anderes Buch in mir», hielt Urs Widmer kürzlich in einem NZZ-Beitrag über sein neuestes Werk «Reise an den Rand des Universums» fest. «Ich hatte in den letzten Jahrzehnten beim Schreiben meiner Bücher so radikal alle Stollen meiner Erinnerung ausgeräumt, dass mir nur noch eine Möglichkeit übrig zu bleiben schien: The truth, the truth, the truth and nothing but the truth.» Im Buch selbst begründet der 75-jährige Basler etwas anders, warum sein neues Buch ausgerechnet eine Autobiografie ist. «Erst träumen wir von der Zukunft, dann leben wir sie, und am Ende, wenn diese gelebte Zukunft vergangen ist, erzählen wir sie uns noch einmal.» Das klingt allerdings weit melancholischer, als die Autobiografie jetzt tatsächlich daherkommt – diese riecht nämlich weder nach Aufguss noch nach Abschluss, sondern ist, typisch Urs Widmer, von einer leichten Ironie durchzogen und von einem lebhaft-weisen Ton geprägt. Der Autobiograf beschränkt sich auf die ersten 30 Jahre seines Lebens, er gelangt also nur bis zu jenem Punkt, an dem er sein erstes Buch veröffentlicht hat. Über die jüngere Vergangenheit wollte Widmer nicht schreiben, weil es dann «links und rechts von meinem Schreibweg zu viele Verwundete, Gekränkte, Sich-verratenFühlende» geben könnte. So bleibt uns also nur dieses Porträt des Künstlers als junger Mann. Ob Widmer hier wirklich «nothing but the truth» erzählt, muss im Raum stehen bleiben. Die frühkindlichen und sogar vorgeburtlichen Erinnerungen stammen aus mindestens zweiter Hand, folgen aber dem schönen Grundsatz «Se non è vero, è ben trovato» – Widmer ist schliesslich Schriftsteller und kein Archivar.
«Glück» war so etwas wie ein heimlicher Bestseller unter den Geschenkbüchern: 100 Glücksforscher aus der ganzen Welt gaben in je 1000 Worten Einblick in die Resultate ihrer Arbeit. Jetzt hat Leo Bormans, der Herausgeber von «Glück», bei Dumont so etwas wie eine Fortsetzung vorgelegt: «Liebe». Das Buch ist genauso faszinierend wie sein Vorgänger. 100 gestandene Forscher und Nachwuchswissenschaftler geben in wiederum je 1000 Worten mögliche Antworten auf Fragen wie «Warum verlieben wir uns – und wie?», «Welches sind die besten Partner?», «Was passiert im Körper, wenn wir verliebt sind?», «Welche Rolle spielen Hollywood und Co. für unsere Gefühlswelt?», «Warum lügen wir in der Liebe?» oder «Wie wichtig ist Sex?». Die so fundierten wie flockig-leicht abgefassten Beiträge sind erst noch hübsch illustriert und am Ende lesefreundlich in wenigen Worten zusammengefasst – es scheint kaum vorstellbar, dass dieses Buch jemanden nicht interessiert.
Cartoon-Romane zum Weglachen Respektlos, liebenswert, unwiderstehlich: Der absolut witzigste Detektiv der Welt ermittelt.
ISBN 978-3-7891-4506-3 Ab 8 Jahren · 304 Seiten
Volle Power ins Chaos! Brüllkomische Protagonisten im schulischen Alltagswahnsinn.
ISBN 978-3-7915-0707-1 Ab 10 Jahren · 240 Seiten
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Books Nr. 3/2013
Jahrestage
© Roland Gretler
Am 22. September jährt sich der Tod des 1940 in St. Gallen geborenen Journalisten Niklaus Meienberg zum 20. Mal. Wenn Wikipedia behauptet, Meienbergs Werk habe «massgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung der Schweiz im 20. Jahrhundert beigetragen», ist das nicht allzu übertrieben. In einer Zeit, in der man auf so etwas noch stolz sein durfte, arbeitete Meienberg fünf Jahre lang für «Die Weltwoche» – als Korrespondent in Paris. Später wurde er Mitarbeiter des Schweizer Fernsehens, des «Tages-Anzeigers», des Magazins «Stern» und der «Wochenzeitung». Diese Engagements endeten selten friedlich, denn Meienberg war nicht nur ein brillanter Kopf, sondern auch ein streitbarer und äusserst kritischer
Zeitgenosse mit Hang zur Provokation und Polterei. Eine besonders innige Feindschaft verband ihn mit der Familie des superautoritären Generals der Schweizer Armee während des Ersten Weltkriegs, Ulrich Wille. Im Buch «Die Welt als Wille und Wahn» durchleuchtete Meienberg den Wille-Clan. Die Söhne des Generals zerrten den Journalisten schliesslich vor Gericht, vor allem wegen dessen Hauptwerk «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.», in dem Wille ebenfalls eine Rolle spielte. Nach mehreren Schicksalsschlägen nahm sich Meienberg 1993 das Leben. Sein Werk erscheint im Limmat-Verlag. Am 5. Oktober haben alle französischsprachigen Bücherfreundinnen und -freunde etwas zu feiern – aber nicht nur sie. Schliesslich zählt der Pariser Denis Diderot, dessen Geburtstag sich an diesem Datum zum 300. Mal jährt, zu den wichtigsten europäischen Denkern der Aufklärung. Gemeinsam mit zahlreichen Mitstreitern, darunter auch Montesquieu und Voltaire, schuf Diderot die grosse französische «Encylopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et
des métiers»; von den 72 000 Artikeln, die dieses Lexikon enthielt, verfasste er selber rund 6000. Diderot wuchs in der Bischofsstadt Langres auf und kam als junger Mann nach Paris, um dort ein Theologie-Vorstudium zu absolvieren. Anschliessend lebte er in der Hauptstadt als Bohémien, Intellektueller und Übersetzer englischsprachiger Bücher. Diese Tätigkeit öffnete ihm auch die Tür zum «Encylopédie»-Projekt: Ein Verleger wollte ein englischsprachiges Lexikon ins Französische übertragen lassen und kam damit nicht recht vorwärts. Er machte Diderot zum Gesamtleiter – und dieser weitete das Projekt massiv aus. Die Encyclopédie wollte in über einem Dutzend Bänden das gesamte Wissen ihrer Zeit abbilden. Den Autoren ging es aber nicht um die Anhäufung von Fakten, sondern um die Verbesserung der Welt durch Bildung. Das kam bei der Leserschaft extrem gut an – das Lexikon war ein kostspieliger Bestseller –, beim Adel und Klerus wegen seines aufklärerischen Geists aber äusserst schlecht. Der Papst setzte das Werk sogar auf den Index der verbotenen Bücher. Nach 20 Jahren Arbeit schied Diderot im Streit mit den knauserigen Verlegern aus dem Projekt aus. Er schrieb zeitlebens auch Dramen, bedeutende philosophische Schriften, naturwissenschaftliche Bücher, Rezensionen und Essays. Doch die Encyclopédie blieb sein Hauptwerk. Jetzt gerade hat «Die andere Bibliothek» die Zusammenstellung «Diderots Enzyklopädie» veröffentlicht; sie enthält jene Lexikon-Beiträge von Diderot, die laut Verlag «zum geistigen Handgepäck für das dritte Jahrtausend gehören». Georg Büchner kam am 17. Oktober 1813 zur Welt, also vor genau 200 Jahren. Er wurde zwar nur 23 Jahre alt, doch es blieb ihm genug Zeit, gleich drei Stücke zu verfassen, die zum internationalen Kanon gehören: «Dantons Tod», «Leonce und Lena» sowie «Woyzeck». Eigentlich sollte Büchner Arzt werden; während seines Medizinstudiums in Strassburg kam er aber mit dem liberalen Gedankengut der Juli-Revolution in Kontakt. In seine Heimatregion Hessen zurückgekehrt, rief er die Landbevölkerung zum Umsturz auf – mit dem berühmten Slogan «Friede den Hütten! Krieg den Palästen!». Innerhalb von nur fünf Wochen verfasste er «Dantons Tod», in dem er das Scheitern der Revolution verarbeitete; noch vor der ersten
Aufführung des Stücks musste er aber fliehen, weil er als Aufwiegler galt. Erst gelangte er nach Strassburg, dann kam er nach Zürich. Die hiesige Universität machte ihn aufgrund seiner Dissertation «Abhandlung über das Nervensystem der Barbe» zum Doktor der Philosophie und ernannte ihn zum Dozenten für Anatomie. Doch der junge Professor erkrankte an Typhus; im Februar 1837 starb Büchner in Zürich, noch ehe er sein Drama «Woyzeck» beenden konnte. Das Grab des Dramatikers befindet sich im Oberstrass-Quartier und wird in wohl jedem Zürich-Reiseführer erwähnt. Im Horlemann-Verlag ist anlässlich des Jubiläums der Roman «Das Herz so rot» von Udo Weinbörner als Taschenbuch erschienen; darin geht es ebenso um die bewundernswert emanzipierte Braut des Frühverstorbenen wie um diesen selbst. Die Verlobte ist auch ein wichtiges Thema in der dtv-Neuerscheinung «Georg Büchners Frauen» von JanChristoph Hauschild. Wer es umfassend mag, ist wohl mit der Büchner-Biografie «Geschichte eines Genies» von Hermann Kurze gut bedient; sie ist gerade bei C.H. Beck erschienen. Jener Geburtstag, der in diesem Bücherherbst wohl die meisten Neuerscheinungen auslöst, ist jener von Albert Camus. Der Franzose wäre am 7. November 100 Jahre alt geworden. Zur Welt kam er in Algerien, das damals zu Frankreich gehörte. Obwohl seine Familie arm war und er an Tuberkulose erkrankte, konnte Camus dank seiner vielfältigen Begabungen die Matura machen; danach studierte er Philosophie an der Universität von Algier. Eigentlich wollte er Gymnasiallehrer werden, wegen seiner Tuberkulose wurde er aber nicht zu den Prüfungen zugelassen. Seinem Frust über das berufliche Scheitern, das Ende seiner ersten Ehe und die politischen Entwicklungen machte er Luft, indem er einen Roman über einen tuberkulosekranken Mann schrieb: «La Mort heureuse». Das Buch wurde zwar nie fertig, Camus arbeitete das Material aber später um – zum Roman «Der
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... und ausserdem Fremde», der als eines der Hauptwerke des Existenzialismus’ gilt. Während Camus zuerst noch als Journalist und Aushilfslehrer arbeitete, erlaubte ihm sein literarischer Erfolg, sich ab Mitte des Zweiten Weltkriegs ganz auf die Schriftstellerei zu konzentrieren. Mit seinen Werken zu den grossen Themen Freiheit, Schuld und Verantwortung prägte er schliesslich das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Zu seiner Prominenz trug bei, dass er sich – wie Jean-Paul Sartre, der andere wichtige Existenzialist – auch als Philosoph und politisch betätigte: Er engagierte sich in der Résistance und setzte sich gegen Krieg oder Kolonialismus ein. Mit 46 Jahren kam Camus bei einem Autounfall ums Leben. Aus den vielen Neuerscheinungen anlässlich des Hundertsten seien vier herausgegriffen: Martin Meyer, Leiter des Feuilletons der «Neuen Zürcher Zeitung», zeigt in seiner bei Hanser erschienenen Biografie «Die Freiheit leben», warum Autor und Werk seine Zeitgenossen derart stark faszinierten und warum man Camus immer wieder entdecken sollte. Ebenso eindrücklich ist die von Rowohlt veröffentlichte Biografie «Das Ideal der Einfachheit»; Autorin ist Iris Radisch, die Literaturkritikerin der «Zeit». Und das Hörbuch «Leben heisst handeln», erschienen bei DHV, bietet Originalton-Einspielungen des Nobelpreisträgers von 1957. Ganz besonders schön – und passend zu unserem Beitrag über Graphic Novels ab Seite 14 dieser Ausgabe – ist schliesslich die visuelle Umsetzung der Camus-Novelle «Jonas oder der Künstler bei der Arbeit» von Katia Fouquet, erschienen bei der Edition Büchergilde.
Wer ein Rezept aus einem ausländischen Kochbuch ausprobieren will, steht manchmal vor dem Problem, dass man die erwähnten Zutaten in der Schweiz nicht kaufen kann. In englischen Kochbüchern wird zum Beispiel oft eine bestimmte Art Mehl erwähnt, die bei uns kaum zu finden ist. In «The Bookshop» von Orell Füssli an der Zürcher Bahnhofstrasse steht dieses Mehl aber direkt neben dem Kochbuchregal – gemeinsam mit «Marmite»- und «Vegemite»-Würzpasten, der Barbecue-Sauce von «Jack Daniels», dem «Buckwud»-Ahorn-
sirup und vielen anderen Spezialitäten. Dass die Food-Abteilung der Buchhandlung auch Esswaren anbietet, ist nicht neu – damit hat man im Bookshop vor etwa fünf Jahren begonnen. «Inzwischen ist diese Abteilung aber ein regelrechter Magnet für Menschen aus England, den USA und Australien», sagt Assistant Manager Nick Schorp. Was in der grössten englischsprachigen Buchhandlung auf dem europäischen Festland als kundenfreundliche Dienstleistung gedacht gewesen sei, habe sich zu einem echten Hit entwickelt.
Wettbewerbs-Gewinner In der letzten Ausgabe von «Books» verlosten wir unter den Teilnehmenden unseres Kreuzworträtsel-Wettbewerbs drei Büchergutscheine. Gewonnen haben:
1. Preis: Verena Reist, 8460 Marthalen 2. Preis: Rosmarie Speich, 8405 Winterthur 3. Preis: Eva Horvath, 8406 Winterthur
Herzliche Gratulation! Das Lösungswort lautete übrigens «Liebesgeheimnisse». Die Gewinnerinnen und Gewinner der Preise 4 bis 10 werden schriftlich benachrichtigt. Das aktuelle Kreuzworträtsel finden Sie in dieser Ausgabe auf Seite 48.
10 | Interview
Books Nr. 3/2013
«Es ist einfacher, für Erwachsene zu schreiben» Federica de Cesco gehen die Ideen niemals aus. Ihr neuer Erwachsenenroman «Tochter des Windes» vereinigt einmal mehr alle Elemente, die das Publikum an den Geschichten der Schweizer Autorin so liebt. Erik Brühlmann
Books: Federica de Cesco, «Tochter des Windes» erzählt die Geschichte des Deutschen Rainer, der sich in die Japanerin Mia verliebt, ihr in die Heimat folgt und dort ein in jeder Hinsicht völlig neues Leben entdeckt. Dieser Roman liest sich wie eine Einführung in die Geschichte und Kultur Japans ... Federica de Cesco: Eine lockere Einführung, ja. Es gibt ja viele solche Romane, Essays und so weiter, die viel komplizierter sind. Ich hingegen habe versucht, das Thema mit dem Humor anzugehen, der den Japanern eigen ist. Hört man Japanern zu, wie sie über ihre Geschichte sprechen, lacht man sich schief! Haben Sie wegen des Charakters der Geschichte auf eine klassische Hauptfigur verzichtet und stattdessen eine Gruppe wichtiger Figuren eingeführt, von denen jede einen gleichwertigen Platz einnimmt? Genau! Ich wollte Japan anhand von Protagonisten aus vielen verschiedenen Schichten und Positionen porträtieren. Eine der Hauptfiguren ist Rainer Steckborn, ein Ausländer. Er fürchtet, von einem Fettnäpfchen ins andere zu treten, als er sich auf das Abenteuer Japan einlässt. Es geht wohl vielen Ausländern so ... Ja, alle Gaijin – Nichtjapaner – erleben die erste Begegnung mit Japan auf diese Weise. Als ich vor 40 Jahren das erste Mal nach Japan ging, fragte ich meinen japanischen Mann Kazuyuki Kitamura: Chéri, was darf ich in Japan nicht machen? Seine Antwort: Du darfst alles machen, was du willst, ausser in den Hauspantoffeln zur Toilette gehen. Dafür
Peter Peitsch
gibt es spezielle Plastikpantoffeln. Ich dachte erst an hygienische Gründe, doch mein Mann klärte mich auf, dass die Toilette ein heiliger Ort sei, den man nicht mit normalen Pantoffeln verunreinigen dürfe. Eigentlich kann man sich als Gaijin mühelos in Japan zurechtfinden, wenn man eines in Erinnerung behält: Leistet man sich einen Fauxpas, brechen die Einheimischen zwar in schallendes Gelächter aus. Allerdings lachen sie nicht über einen, sondern mit einem. Anschliessend erklären sie einem geduldig, was man falsch gemacht hat. Eine solche Erfahrung macht auch Rainer. Sind die Japaner also nicht so kühl und ernst, wie man immer denkt? Im Gegenteil ist es so, dass die Japaner die Ernsthaftigkeit der Gaijin nicht mögen! Die Japaner sind sehr stolz und sehr scheu und machen deshalb fast nie den ersten Schritt auf einen zu. Das empfinden wir mitunter als Reserviertheit. Geht man aber auf Japaner zu, sind sie sehr herzlich und geben sich die grösste Mühe, sich auf die Eigenheiten der Ausländer einzustellen. Überzeichnen Sie zuweilen Ihre Figuren, um Ihre Anliegen deutlich zu machen? Mia, Rainers japanische Freundin, wird ja zum Beispiel als schon fast tölpelhaft geschildert. Ich habe in 40 Jahren nur einmal eine ungeschickte Japanerin getroffen! Japanerinnen beherrschen in der Regel ihre Hände und Finger so gut, dass man sich wie ein Trampeltier vorkommt. Eine ungeschickte Japanerin ist also tatsächlich eine Exotin, da brauche ich nichts zu überzeichnen.
Federica de Cesco br. Federica de Cesco wurde 1938 in Pordenone, Italien, geboren. Als Tochter eines Italieners und einer Deutschen wuchs sie mehrsprachig auf. Mit ihren Eltern bereiste sie die Welt von Äthiopien bis Deutschland, Frankreich und Belgien. An der Universität Lüttich studierte sie Kunstgeschichte und Psychologie, bevor sie 1962 mit ihrem ersten Ehemann in die Schweiz zog. Aus dieser Ehe stammen ihre beiden Kinder. Ihren jetzigen Ehemann, den japanischen Fotografen Kazuyuki Kitamura, heiratete sie 1973. Ihre literarische Karriere begann Federica de Cesco 1957 mit dem Jugendbuch «Der rote Seidenschal». Fast 40 Jahre lang widmete sie sich fast ausschliesslich der Kinder- und Jugendliteratur; im deutschsprachigen Raum gilt sie als meistgelesene Jugendbuchautorin. Ihre Bücher erzählen meist von fremden Ländern, fremden Kulturen, Religionen oder von anderen Weltanschauungen. 1994 veröffentlichte sie mit «Silbermuschel» ihr erstes Buch für Erwachsene. Mittlerweile hat Federica de Cesco über 80 Bücher veröffentlicht – und hat bereits eine Idee für den nächsten Roman.
Und wie steht es mit Tante Azai, die trotz ihrer extrem schroffen, abweisenden Art von Mia fast schon verehrt wird? Auch hier beschreibe ich nur die japanische Mentalität. Das Alter ist verehrungswürdig, denn Alter bedeutet Erfahrung – und diese gilt als kostbares Gut. Deshalb haben die Seniorinnen und Senioren in Japan auch Narrenfreiheit, sie können sich «ungestraft» über Konventionen hinwegsetzen und werden trotzdem respektiert. Diesen Respekt fordern sie
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Interview | 11
12 | Interview
Books Nr. 3/2013
Gefahr bevorsteht. Stirbt eine Frau aber im Zorn, kann sie auch viel Unheil anrichten, wie ich es in «Die Augen des Schmetterlings» beschrieben habe. Glauben Sie an solche übernatürlichen Begebenheiten? Einmal fragte mich eine Leserin, ob ich einen Draht zum Übersinnlichen habe. Ich sagte: Ja, aber der hängt locker! Im Allgemeinen halte ich es mit Shakespeare: «Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich erträumen lässt.»
In ihrem neuen Roman porträtiert Federica de Cesco Japan anhand von Protagonisten aus verschiedenen Schichten und Positionen.
auch unverhohlen ein. Allerdings ist die Lebenserwartung in Japan sehr hoch, sodass die ganz Alten den jüngeren Alten damit auch gehörig auf die Nerven gehen können. Sowohl Tante Azai als auch Mia entstammen einer Familie von Ninja. Wie kamen Sie auf diese Idee? Weil wir zwei Frauen in unserem Bekanntenkreis haben, die aus solchen Familien stammen. Eine ist wie Mia Architektin, die andere betreibt eine Sake-Brauerei. Allerdings stellen Sie die «Windmenschen», wie die Ninja auch genannt werden, nicht als hinterhältige, Wurfsterne schleudernde Schattenkrieger dar ... Das waren sie schon auch. Ninja wurden häufig von Shogunen und Samurai dafür eingesetzt, ihnen den Weg zu ebnen, und sie arbeiteten auch als Spione. Aber sie waren eben auch hervorragende Architekten, Ärzte, Planer und Apotheker – diese Traditionen leben bei ihren Nachkommen fort. Ninja waren in der Regel überdurchschnittlich intelligente Menschen, was damals eine Frage des Überlebens war. Uns Europäer fasziniert Japan auch deswegen, weil es uns wie eine unmögli-
che Mischung aus Zukunftsgläubigkeit, Konzentration auf den Moment und Verwurzelung in der Vergangenheit vorkommt. Diese «Dreifaltigkeit» kommt in «Tochter des Windes» immer wieder zum Ausdruck. Sie ist auch Teil des japanischen Alltags. Ein Beispiel: Ein junger Mann kann zu einem Schrein gehen und ganz profan darum bitten, dass er sein Examen besteht. Damit beleidigt man die Götter nicht, denn sie sind ja dafür da, uns zu helfen. Im Gegenzug dafür macht man die Götter glücklich, indem man ihnen zeigt, wie schön und perfekt sie die Menschen geschaffen haben, wenn man ausgelassen feiert oder seiner Freude freien Lauf lässt. Sich vor den Göttern in den Staub zu werfen, kommt gar nicht in Frage! Etwas ernster wird es bei der Ahnenverehrung, denn die Ahnen lösen sich nicht einfach in Luft auf, sondern sind allgegenwärtig, leben in ihren Nachkommen weiter. ... und melden sich manchmal in der Gegenwart – wie Yodo-dono, die Ahnin von Mia und Tante Azai ... Man schreibt Frauen besondere Kräfte zu, die es ihnen erlauben, positiv in die Gegenwart einzugreifen. Yodo-dono erscheint daher jeweils warnend, wenn
Fast schon übernatürlich wirkt auch die Szene am Ende der Geschichte, als die Katzen die Bewohner der Insel TashiroJima vor der Katastrophe warnen wollen, die letztlich zum Unglück in Fukushima führte ... Diese Geschichte ist authentisch! Die Katzen retteten die Inselbewohner, indem sie mit ihren Jungen zum Katzenschrein auf dem höchsten Punkt der Insel rannten. Da merkten die Menschen, dass etwas im Argen liegt, und folgten den Tieren zum Glück. In Japan herrscht sowieso eine «Neko-Mania», eine Katzenbegeisterung. Sie haben ja selbst auch eine Katze! Sie heisst Ninja und ist unsere ManekiNeko – unsere Glückskatze. In diesem dramatischen Höhepunkt des Buchs zeigen Sie auch wieder einige typisch japanische Eigenschaften. Ja, die enorme Fähigkeit der Japaner zur Resilienz, ihren Fatalismus und wiederum die Wichtigkeit der Älteren. Nach der Katastrophe wussten die Älteren – wie zum Beispiel Mias Onkel Matsuo –, was zu tun ist. Sie brachten die Jungen dazu anzupacken, schützten sie aber gleichzeitig vor dem Schlimmsten. Das zeigt die Szene, in der die älteren Inselbewohner die Jungen daran hindern, ihnen beim Bergen der Leichen zu helfen. Dass es zu solchen Katastrophen kommen kann, nimmt man hin. Japan ist eben anfällig für Erdbeben, damit lebt man. Es ist zwar entsetzlich, aber nicht zu ändern. War Fukushima für Sie der Auslöser, «Tochter des Windes» zu schreiben? Nein, auch wenn mein Mann und ich zwei Wochen vor dem Ereignis in der Region waren und wir viele Betroffene kennen. Mein Mann gab mir vor etwa drei Jahren den Anstoss für das Buch, als er mir sagte, dass der Genbaku-Dom – heute eine Gedenkstätte für den amerikanischen
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Atombombenangriff – vom tschechischen Architekten Jan Letzel erbaut wurde. Das fand ich so interessant, dass mein Mann und ich zum Recherchieren nach Prag fuhren und dort feststellten, dass Letzel in seiner Heimat gar nicht bekannt ist. Daraus entstand schliesslich das Buch. Trotz allem Positiven, über das wir bisher gesprochen haben, üben Sie in «Tochter des Windes» auch Kritik an der japanischen Gesellschaft. Natürlich, das muss auch so sein. Japan ist keine perfekte Gesellschaft. Vor allem die Technokraten und Politiker stehen bei der Bevölkerung alles andere als hoch im Kurs. Das bekommt man als Aussenstehender jedoch nicht mit, da es den Japanern nicht liegt, mit Plakaten und Parolen auf die Strasse zu gehen und ihrem Ärger Luft zu machen. Szenen, wie sie sich in Griechenland und in der Türkei abgespielt haben, sind in Japan undenkbar. Auch den Technikglauben beurteilen Sie kritisch ... Ebenso wie die Japaner nach Fukushima, als klar wurde, dass Technik eben nicht nur Gutes bringt und dass man recht hilflos sein kann, wenn die Technik im entscheidenden Moment nicht mehr funktioniert. Das merken auch Rainer und Mia, als sie nach dem Beben auf der Insel festsitzen und alle Hände voll damit zu tun haben, einen Tag nach dem anderen zu überleben. Also glauben Sie, dass die Natur am Ende – Technik hin oder her – das letzte Wort haben wird? Aber natürlich! Wobei ich sowieso ziemlich überzeugt bin, dass der Mensch es irgendwann schaffen wird, sich selbst zu zerstören, ohne dass die Natur dabei nachhelfen muss. Steht für diese Übermacht der Natur in gewissem Sinn das intelligente Haus, in dem Mia wohnt und das nach dem Beben eigentlich auch nicht viel mehr als eine Wohnhöhle ist? Genau – und das Haus funktioniert ja allein deshalb nicht mehr, weil es keinen Strom mehr gibt. Die Szenen, die ich beschreibe, sind wirklich passiert: Nach dem Beben in Tokyo funktionierte bei all den schönen, teuren, intelligenten Häusern ohne Strom nichts mehr. Also mussten die Menschen mit ihren Einkäufen 30 oder mehr Stockwerke zu Fuss hochgehen, nur um dann gleich wieder mit gefüllten Nachttöpfen nach unten zu marschieren.
Szenen, die einen schmunzeln lassen, auch wenn sie im Grunde tragisch sind ... So ist doch das Leben. Tragik und Komik liegen manchmal so dicht beieinander! Genau das habe ich in «Tochter des Windes» darzustellen versucht. «Tochter des Windes» ist – auch wenn der Titel vielleicht anderes vermuten lässt – ein Buch für Erwachsene. Ist das schwieriger zu schreiben als ein Buch für Jugendliche? Es stimmt, der Titel ist etwas unglücklich und deutet auf Mädchenliteratur hin. Aber auf den Titel kann man als Autorin nicht immer Einfluss nehmen. Doch um die Frage zu beantworten: Erwachsenengeschichten sind wesentlich einfacher zu schreiben. Das liegt zum einen daran, dass ich für Erwachsene einfach drauflos schreiben kann in der Annahme, dass die Lesenden es dann schon verstehen werden. Für Jugendliche muss ich meine Sprache anpassen, sie bis zu einem gewissen Grad vereinfachen. Auch die Themensuche gestaltet sich für Jugendliche schwieriger. Man kann nur Themen behandeln, welche die Jugendlichen beschäftigen, und muss gleichzeitig Geschichten finden, die aus dem Leben gegriffen sind. Im Buch fragt sich Rainer, wie und in welcher Umgebung Autoren überhaupt schreiben. Wie schreiben Sie denn? Ich brauche Kaffee, schwarze Schokolade und einen Computer. Dazu kommen ein solider Lebenswandel und ein Mass an Selbstdisziplin, das ich von meiner Mutter vermittelt bekam. Das ist im Grund schon alles!
Weiterlesen: Ausgewählte Bücher von Federica de Cesco Kinder- und Jugendbücher Der rote Seidenschal (1957) 200 Seiten CHF 11.90 Arena
Das Buch, mit dem für Federica de Cesco die Laufbahn als Schriftstellerin begann: Ein im Zug liegen gelassener Seidenschal bietet Ann Morrison Gelegenheit, aus ihrem alten Leben auszubrechen und Neues zu erleben. Shana, das Wolfs mädchen (2000) 248 Seiten CHF 15.90 Arena
Die bewegende Geschichte eines jungen Indianermädchens und deren aussergewöhnliche Freundschaft zu einer Wölfin. Die goldene Kriegerin (2009) 377 Seiten CHF 14.90 Blanvalet
Die junge Tomoe ist eine Samurai, die sich beim Versuch, den Respekt des Feldherrn Yoshinaka zu erringen, in ihn verliebt. Dieser begehrt allerdings Tomoes Schwester.
Erwachsenenliteratur Silbermuschel (1994) 764 Seiten CHF 11.90 Blanvalet
Im fernen Japan entflieht Julie nicht nur ihrer unglücklichen Ehe – sie verliebt sich auch in einen japanischen Trommler und entfacht das Feuer der Leidenschaft neu. Federica de Cescos Debüt als Autorin für Erwachsene. Die Augen des Schmetterlings (2005) 509 Seiten CHF 14.90 Blanvalet
Die Finnin Agneta Pacius wird unvermittelt zur Kämpferin im Reich der Ahnen, als sie mit der magischen Weisheit des SamiVolkes gegen böse japanische Nachtgeister angeht. Mondtänzerin (2011) 541 Seiten CHF 13.90 Blanvalet
Vier maltesische Freunde schwören einander ewige Treue, doch das Leben zerstreut sie in alle Winde. Als sie Jahre später wieder aufeinander treffen, ist einiges gleich, aber auch vieles anders. Tochter des Windes 445 Seiten CHF 29.90 Blanvalet
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Kein Kinderzeugs Beim Schlendern durch eine Filiale von Orell Füssli fällt auf: Graphic Novels haben sich aus dem Comicständer verabschiedet und tauchen mittlerweile überall auf – bei der Belletristik ebenso wie bei den Biografien und Sachbüchern. Mit den klassischen Superhelden- oder Entencomics haben die Bildgeschichten kaum noch etwas zu tun. Marius Leutenegger
Kein vernünftiger Mensch würde heute noch unterschreiben, was einst unsere Grosseltern behaupteten: dass Comics per se Schund seien. Carl Barks, der Erfinder von Dagobert Duck und Schöpfer vieler hundert erstklassiger Donald-Geschichten, ist schon seit Jahren eine regelrechte Kultfigur. Über das Werk von Charles M. Schulz, den Vater der Peanuts, werden mittlerweile Doktorarbeiten geschrieben. Und Hergé, dessen Tim-und-Struppi-Bücher ganze Generationen von Leserinnen und Lesern – und erst recht von Zeichnern – prägten, wurde im Pariser Centre Georges Pompidou mit einer grossen Ausstellung gewürdigt.
Neues Image dank neuem Namen Trotzdem: So richtig den Kinderschuhen entwachsen sind Comics wohl immer noch nicht. Sie gelten weiterhin eher als Frei-
zeitunterhaltung für Halbwüchsige denn als ernstzunehmende literarische Gattung, die auch Erwachsene begeistern kann – zumindest in unserem Kulturkreis. Wer sich mit Bildergeschichten auskennt, weiss zwar, wie wenig dieser Ruf der Comics gerechtfertigt ist: Es gibt schon seit eh und je herausragende Werke, die auch hohen Ansprüchen genügen. Doch weil sich das Vorurteil, Comics seien Kinderkram, so hartnäckig hält, wollten sich manche Verleger und Zeichner von Superman & Co. abgrenzen. Sie kreierten deshalb vor einigen Jahrzehnten einen neuen Begriff für eine Untergattung des Mediums: «Graphic Novel». Damit werden gezeichnete, erzählerisch komplexe Romane für ein erwachsenes Publikum bezeichnet. Jede Graphic Novel ist ein Comic, aber nicht jeder Comic ist eine Graphic Novel.
Wurzeln in den 1920er-Jahren Die Grenzen der Gattung sind allerdings unscharf – um so mehr, seit die Graphic Novels kommerziell erfolgreich sind und viele auf diesen Zug aufspringen wollen. Die Unschärfe macht es auch nicht einfach, eine Geschichte der Graphic Novels zu skizzieren. Zu den Vätern der Gattung gehört sicherlich der belgische Grafiker Frans Masereel, der in den 1920-Jahren Zyklen von Holzschnitten veröffentlichte. Seine Arbeiten inspirierten den US-Amerikaner Lynd Ward in den 1930er-Jahren, ebenfalls Geschichten mit Holzschnitten und ohne Worte zu erzählen. Wards sechs Bücher mit Holzschnitten zwischen Expressionismus und Jugendstil kommen schon sehr nah an die modernen Graphic Novels heran. Gemeinhin gilt aber das Buch «Ein Vertrag mit Gott» als erstes
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Werk der Gattung. Es erschien 1978 und stammt von Will Eisner. Der 1917 geborene US-Amerikaner verwendete auf dem Cover von «Ein Vertrag mit Gott» erstmals den Begriff «Graphic Novel», um sich von den Comics abzugrenzen. Er war allerdings kein Comic-Verächter, denn von ihm stammte auch die Detektiv-Serie «The Spirit» – ein Comic-Klassiker, der von 1940 bis 1952 in Zeitungen erschien. Doch bereits «The Spirit» hob sich inhaltlich, erzählerisch und grafisch von den üblichen Tierfiguren- und Muskelprotz-Bildgeschichten jener Zeit ab. Eisner arbeitete mit ungewöhnlichen Perspektiven und Blickwinkeln, berichtete vom Innenleben seiner Figuren und thematisierte den Alltag in der Grossstadt.
Formale Freiheiten In «Ein Vertrag mit Gott» erzählt Eisner vier Geschichten aus einer Mietskaserne in New York. Die Figuren sind zwar leicht karikierend gezeichnet, ihre Erlebnisse spielen sich aber in einem glaubwürdigen Alltag ab. «Jede dieser Geschichten wurde ohne Rücksicht darauf geschrieben, wie viel Platz sie braucht, und jede konnte ihre
Gestalt aus sich selbst entwickeln», hielt Eisner im Vorwort des Buchs fest. Diese Abkehr von den Comic-Regeln prägt die meisten Graphic Novels. Während jeder Asterix- oder Lucky-Luke Band genau gleich lang ist – nämlich 48 Seiten –, sind Graphic Novels so umfangreich, wie sie aufgrund der Geschichte sein müssen; für sie gibt es so wenig eine Standardlänge wie für einen geschriebenen Roman. Und während bei Comics die Seiten zumeist in klassische Panels eingeteilt sind, also in rechteckige Bilder, kennen die Graphic Novels auch diesbezüglich keine Standards. In «Ein Vertrag mit Gott» gibt es oft überhaupt keine Bilderrahmen, manche Seiten zeigen nur eine einzige Situation, andere geben Abläufe sozusagen im Zeitraffer mit vielen kleinen Bildern wieder. Die Form folgt ganz dem Inhalt.
Die Autoren stehen im Vordergrund Als Eisner 1978 «Ein Vertrag mit Gott» veröffentlichte, war die Zeit für diese neue Form der Comics offenbar reif – denn nur drei Jahre später wurde in Zürich der wichtigste Schweizer Verlag für Graphic Novels gegründet: die Edition Moderne.
Drei hochkarätige Graphic Novels. Links: «Jimmy Corrigan – der klügste Junge der Welt» von Chris Ware. Mitte: «Persepolis» von Marjane Satrapi. Rechts: «Tod eines Bankiers» von Matthias Gnehm.
Ihr grösster Erfolg sind zwar klassische Comics, nämlich die Bände «Zürich by Mike» des 2009 verstorbenen Mike van Audenhove. Daneben publiziert die Edition Moderne aber vor allem Graphic Novels einer schweizerischen und internationalen Autorenschaft; zu ihren bekanntesten Künstlern gehören Matthias Gnehm, Jacques Tardi oder Marjane Satrapi. David Basler war Mitbegründer der Edition Moderne, inzwischen gehört ihm der Verlag. «Bei Graphic Novels gefällt mir vor allem, dass sie eine zweite Sichtweise eröffnen», meint der 59-Jährige. «Bei einem literarischen Roman muss ich mir die Bilder im Kopf zusammenbauen, bei einer Graphic Novel bekomme ich durch die Zeichnungen
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Empfehlenswerte Neuerscheinungen. Links: «Reportagen» von Joe Sacco. Rechts: «Bleierne Hitze» von Baru.
eine zweite Dimension geliefert – und dadurch entsteht eine ganz besondere Atmosphäre.» Als Fan der ersten Stunde kann David Basler genau sagen, was eine Graphic Novel auszeichnet: «Anders als bei Comicserien wie Lucky Luke oder Micky Maus, die oft von verschiedenen Zeichnern und Autoren oder gar ganzen Studios produziert werden, stehen bei Graphic Novels die Autoren und deren persönlicher Stil im Vordergrund. Eine Graphic Novel erzählt in der Regel eine abgeschlossene Geschichte, sie ist oft kleinformatig und eher dick – ab 80 Seiten aufwärts.» Vor allem aber richte sich eine Graphic Novel an ein Publikum ab mindestens 16, 17 Jahren – und sie behandle andere Stoffe als ein Comic. «Graphic Novels verkaufen sich übers Thema», sagt der Verleger. So seien zum Beispiel die gezeichneten Reportagen von Joe Sacco, die in der Edition Moderne erscheinen, ein Dauerbrenner – denn sie beschäftigen sich unter anderem mit Palästina und interessieren daher viele Leute.
Holocaust als Fabel – das funktioniert! Generell zählen historische Themen zu den wichtigsten Stoffen von Graphic Novels. Auch das international wohl bekannteste Werk der Gattung bereitet ein tatsächliches Geschehen auf: In «Maus – die Geschichte eines Überlebenden» erzählt der New Yorker Autor Art Spiegelman die Geschichte seiner jüdischen Familie im Holocaust. Er nutzt dazu die Form der Fabel: Die Juden sind Mäuse, die Nazis Katzen, die Polen Schweine. Für den aufwühlenden, erzählerisch perfekt gebauten und zeichnerisch aufs Minimum reduzierten Roman erhielt Spiegelman 1992 den Pulitzerpreis, die wichtigste Literaturauszeichnung der USA. Spiegelman hat wohl mehr als jeder andere zur breiten Akzeptanz der Graphic Novels beigetragen – indem er zeigte, dass es nun wirklich kein Thema gibt, dass sich nicht auf künstlerisch hochwertige Weise mit Zeichnungen und Sprechblasen umsetzen lässt. Durch die
Tür, die Spiegelman weit aufstiess, sind seither viele Künstler gegangen. Und viele Künstlerinnen: Während der klassische Comic vorwiegend eine Männerangelegenheit war, gibt es auch zahlreiche erfolgreiche Graphic-Novel-Autorinnen. Eine davon ist Marjane Satrapi. In «Persepolis» behandelt sie ihre Kindheit und Jugend im Iran; das Buch ist der Bestseller unter den Graphic Novels, die bislang bei der Edition Moderne erschienen sind.
Trotz Erfolg ein Randprodukt Dass «Persepolis» seinen Siegeszug von Frankreich aus antrat, hat nicht nur damit zu tun, dass Marjane Satrapi in Paris lebt. Die Heimat von Asterix und Spirou ist seit jeher ein guter Nährboden für Bildgeschichten. David Basler: «In Frankreich haben Comics nie einfach als Kinderzeugs gegolten, es gibt dort eine ganz andere Tradition.» Als in Frankreich kürzlich die neue Graphic Novel von Jacques Tardi erschien – «Stalag» –, war die Startauflage von 60'000 Stück innerhalb einer Woche ausverkauft. Auf Deutsch verlegt die Edition Moderne die Werke von Tardi – und David Basler ist froh, wenn er von den deutschsprachigen Büchern jeweils eine Auflage von 3000 Stück absetzen kann. «Trotz aller Erfolgs-
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meldungen muss man festhalten, dass Graphic Novels bei uns nach wie vor ein Randprodukt sind», sagt der Verleger. «Die erfolgreichsten davon verkaufen sich auf Deutsch vielleicht 20'000 Mal.» Doch die Gesamtauflage von Graphic Novels steigt unentwegt. Längst sind es nicht mehr nur Kleinverlage, die auf dieses Medium setzen – auch Suhrkamp oder Knesebeck und Carlsen publizieren Graphic Novels. «Die
«Schweizer Graphic Novels können international mithalten.»
Strategie, mit dem Begriff ‹Graphic Novel› diese Art von Büchern aus den Kinderabteilungen und aus dem Comicständer herauszuholen, ist auf jeden Fall aufgegangen», meint David Basler überzeugt. Das Publikum reagiere heute ganz anders auf Graphic Novels als noch vor einigen Jahren. «An Buchmessen kam es früher oft vor, dass Leute ein Buch sofort weglegten, wenn sie sahen, dass es eine Geschichte in Bildern erzählt. Heute kommt es kaum noch vor, dass sich jemand an der Form stört.»
Schweiz ein gutes Pflaster Das Interesse an Graphic Novels ist also da – doch die Produktion ist vorderhand noch immer eher gering. David Basler schätzt, dass pro Jahr kaum 500 neue Titel auf Deutsch erscheinen. Der Aufwand, ein solches Buch zu zeichnen, sei eben sehr gross – und nur wenige talentierte Künstlerinnen und Künstler würden wirklich durchhalten. Die Schweiz ist aber ein recht gutes Pflaster für Kunstschaffende. Anders als zum Beispiel in Deutschland gibt es bei uns einigen Support für Graphic Novels. David Basler verweist auf Druckzuschüsse durch die Stadt Zürich, die Migros oder den Kanton Aargau. Solche Unterstützung habe das Niveau zweifellos angehoben, sagt der Verleger. «Schweizer Graphic Novels können international mithalten, was sich allein schon in der Tatsache zeigt, dass die Werke von Matthias Gnehm jetzt auch in Frankreich erscheinen.» Also dort, wo Graphic Novels schon lange das sind, was sie bei uns allmählich werden: eine Selbstverständlichkeit.
5 Klassiker, die alle haben sollten
Herausragende Neuerscheinungen
Ein Vertrag mit Gott
Reportagen
Will Eisner 508 Seiten CHF 53.00 Carlsen
Joe Sacco 196 Seiten CHF 33.90 Edition Moderne
Will Eisners «Miethausgeschichten» von 1978 gelten als erste Graphic Novel überhaupt – und sind in diesem Band mit zwei weiteren literarischen Bildergeschichten des Pioniers vereint worden. Ein idealer Einstieg ins Graphic-Novel-Universum!
Joe Sacco bezeichnet sich als zeichnenden Journalisten und gilt als Erfinder der Comic-Reportage: Er verbindet tatsächliche aktuelle Ereignisse mit subjektiven Eindrücken. Der neue Band vereint seine Doku-Geschichten aus Den Haag, Palästina, Irak, Malta, Indien und dem Kaukasus.
Maus Art Spiegelman 293 Seiten CHF 24.90 Fischer
Das Unaussprechliche Tieren in den Mund gelegt: Art Spiegelman erzählt die Geschichte seines Vaters, der Auschwitz überlebte, als Fabel. Dafür gewann er 1992 den Pulitzer-Preis – und damit ebnete er der Graphic Novel den Weg ins Feuilleton und zu einem erwachsenen Publikum. Jimmy Corrigan – der klügste Junge der Welt Chris Ware 384 Seiten CHF 55.00 Reprodukt
Chris Ware ist ein Meister der minutiösen Gestaltung: Er zieht auf Papier alle filmischen Register vom Zoom über die Totale bis zum Zeitraffer und konzipiert jede Seite als Bild für sich. Ein feiner Stil für eine feinsinnige Geschichte über einen linkischen Enddreissiger. Endlich liegt dieses Meisterwerk auch auf Deutsch vor!
Marx Corinne Maier und Anne Simon 64 Seiten CHF 31.90 Knesebeck
Biografien zählen zu den beliebtesten Stoffen von Graphic Novels. Eine geglückte Neuerscheinung in diesem Bereich ist «Marx»: Die französischen Autorinnen bringen einem auf leichte Weise das Leben und die Überzeugungen des Philosophen näher. Huck Finn Olivia Vieweg 141 Seiten CHF 31.90 Suhrkamp
Suhrkamp fährt vor allem mit Literatur-Adaptionen auf dem Graphic-Novel-Zug mit. Die junge Zeichnerin Olivia Vieweg hat Mark Twains Klassiker nach Ostdeutschland verlegt – und das funktioniert überraschend gut. Bleierne Hitze
Persepolis Marjane Satrapi 356 Seiten CHF 39.90 Edition Moderne
Eine geradezu prototypische Graphic Novel: In holzschnittartigen Bildern berichtet Marjane Satrapi von ihrer Kindheit in Iran zur Zeit der Revolution. Die Künstlerin hat das leicht zugängliche Buch, das man kaum noch aus der Hand legen will, selber verfilmt. Stadt aus Glas Paul Auster und David Mazzucchelli 135 Seiten CHF 23.90 Reprodukt
Viele Graphic Novels adaptieren literarische Vorlagen. Ein geglücktes Beispiel dafür ist «Stadt aus Glas» – dem früheren Superhelden-Zeichner David Mazzucchelli gelang hier die kongeniale Umsetzung eines Romans aus Paul Austers New-York-Trilogie.
Baru 109 Seiten CHF 32.90 Edition 52
Der Franzose Baru gehört zu den wichtigsten europäischen GraphicNovel-Autoren. Sein neuestes, schön buntes Werk erzählt von einem Bauernbub, der von einer Karriere als Mafiaboss träumt – und wegen eines geheimnisvollen Funds tatsächlich auf die schiefe Bahn gerät. Game of Thrones 1. Das Lied von Eis und Feuer GEORGE R.R. MARTIN DANIEL ABRAHAM 109 Seiten CHF 31.90 Panini Manga und Comics
Martins episches Fantasy-Werk als Comic – geeignet auch für alle, die mit möglichst wenig Aufwand wissen wollen, warum «Game of Thrones» gegenwärtig derart abräumt.
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Es kommt Dicker Der Genfer Autor Joël Dicker erzählt den Fall Harry Quebert – und danach gleich auch noch die Wahrheit über den Fall Harry Quebert. Der Krimi ist ein vielschichtiges, unterhaltendes Verwirrspiel. Benjamin Gygax
Jeremy Spierer
Im kleinen Schweizer Literaturzirkus sind Sensationen eher selten. 2012 gab es aber eine zu bestaunen: «La verité sur l’affaire Harry Quebert» des Genfers Joël Dicker. Der 700 Seiten starke Krimi wurde in der Romandie begeistert aufgenommen und in Frankreich mit Lob und Preisen überhäuft. Der erst 28-jährige Autor erhielt den Grand Prix du Roman der Académie Française zugesprochen und gleich auch noch den Prix Goncourt des Lycéens und den Prix littéraire de la Vocation. Die Verleihung dieser renommierten Auszeichnungen blieb nicht folgenlos: Joël Dickers Roman ging in Frankreich über 600'000-mal über die Verkaufstheke, die Übersetzungsrechte wurden in über 30 Sprachen verkauft. Jetzt erreicht die Sensation auch die Deutschschweiz: Piper hat die Übersetzung «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» herausgebracht.
Asyl in Neuengland Womit hat der Autor solche Begeisterungsstürme entfacht? Thema und Ort der Handlung erinnern ein wenig an die grossen amerikanischen Autoren Philip Roth oder Jonathan Franzen: Der junge Schriftsteller Marcus Goldman brütet in New York über seinem zweiten Werk. «Zu Beginn des Jahres 2008, also rund anderthalb Jahre nachdem ich dank meines ersten Romans zum neuen Hätschelkind der amerikanischen Literaturszene geworden war, ereilte mich eine fürchterliche Schaffenskrise, ein Syndrom, das bei Schriftstellern, die einen sofortigen, durchschlagenden Erfolg erlebt haben, offenbar nicht selten vorkommt», berichtet der Protagonist. «Die Krankheit befiel mich allerdings nicht schlagartig, sondern nistete sich ganz langsam ein. Es war, als würde mein Gehirn, einmal befallen, nach und nach einfrieren.» Jetzt sitzt Goldman sein Agent im Genick und sein Verleger wirft ihm an den Kopf: «Verstehst du was von Wirtschaft, Marc? Bücher sind ein austauschbares Produkt geworden. Die Leute wollen ein
Buch, das ihnen gefällt, sie ablenkt und unterhält. Und wenn du ihnen das nicht lieferst, tut es dein Nachbar, und du bist abgemeldet.» In seiner Not besinnt sich Marcus Goldman auf Harry Quebert. Dieser war nicht nur sein College-Professor und Boxtrainer, sondern ist selber einer der angesehensten Autoren Amerikas und hatte Marcus als Mentor dazu gebracht, seinen Traum vom Schreiben mit Biss zu verfolgen. Also fährt der Jungautor zu seinem Mentor in die verschlafene Küstenstadt Aurora in New Hampshire.
«Joël Dicker deckt seinen Plot Schicht um Schicht auf und vollzieht dabei mehr als einmal eine atemberaubende Kehrtwende.»
Eine verbotene Liebe und ihre Folgen Während sich Marcus bei Harry in dessen Strandhaus ausweint, platzt die Bombe: Auf dem Anwesen wird die Leiche von Nola Kellergan gefunden. Sie verschwand 1975, erst 15-jährig. Seither liegt ein Schatten über der beschauliche Gemeinde. Und jetzt erfährt Marcus: Den Teenager und den arrivierten Autor in seinen Dreissigern verband eine innige Beziehung – und Harry Queberts gefeierter Roman «Der Ursprung des Übels» ist die literarische Verarbeitung jener verbotenen Liebe. Quebert ist der Hauptverdächtige und wird in Haft genommen. Gegen jeden gutgemeinten Rat bleibt Marcus in Aurora und recherchiert auf eigene Faust, weil er nicht an die Schuld seines väterlichen Freunds glauben will. Also befragt er alle Bewohner der kleinen Stadt, die vor 33 Jahren schon hier ansässig wa-
ren – Nolas Vater und Freundinnen, ihre Arbeitgeberin im lokalen Diner, die Polizeibeamten. Nach und nach erfahren wir mit Marcus Goldman, dass viele von ihnen etwas mehr wissen oder ein bisschen stärker in die Geschichte verwickelt sind, als es zunächst den Anschein macht. Joël Dicker deckt seinen Plot Schicht um Schicht auf und vollzieht dabei mehr als einmal eine atemberaubende Kehrtwende, bis Marcus Goldmann sich endlich von seiner Schreibblockade lösen und «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» schreiben kann.
Das Spiel mit dem Alter Ego Ein Buch im Buch und beide mit identischem Titel. Ein junger Erfolgsautor mit seinem zweiten Werk: Die Parallelen scheinen offensichtlich! Ist Marcus Goldman das Alter Ego von Joël Dicker? Der Genfer verneint ausdrücklich und sagt, er habe über einen Erfolgsautor geschrieben, während zu dieser Zeit mehrere seiner Manuskripte abgelehnt worden waren. «Was mich mit Marcus verbindet, ist die Begeisterung für Sport, aber auch die obsessive Suche nach der Wahrheit und seinen Blick auf das Leben, der zuweilen noch etwas verschwommen ist.» Dicker dementiert also und scheint Vergleiche dennoch nachgerade zu provozieren. Er spielt vergnügt mit der Erwartung seiner Leserinnen und Leser, vieles davon spiegelt sich in kurzen Rückblenden auf die Vergangenheit von Mentor und Schüler. Einmal lässt Dicker Harry sagen: «Ich werde Ihnen einunddreissig Ratschläge geben, und zwar im Lauf der nächsten Jahre. Nicht alle auf einmal.» Und auf Marcus Frage hin, wieso es gerade einunddreissig sind: «Weil einunddreissig ein wichtiges Alter ist. Das erste Jahrzehnt formt Sie als Kind. Das zweite als Erwachsener. Und das dritte macht Sie zum Mann oder auch nicht. Mit einunddreissig sind Sie aus dem Gröbsten raus.» Joël Dicker ist zwar erst 28 Jahre alt, scheint aber das Gröbste auch schon hinter sich zu haben. Er sagt: «Ich habe das Gefühl, in den letzten zwei Monaten um zehn Jahre gealtert zu sein und gleich noch einmal zehn am Tag der Preisverkündigung des Goncourt.» Der Sohn eines Französischlehrers und einer Buchhändlerin gründete mit zehn Jahren eine Tierzeitschrift, die immerhin fünf Jahre lang erschien. Nach der Matura zog er nach Paris, wo er ein Jahr lang am Cours Florent Schauspiel studierte. 2010 schloss er an der Universität Genf sein Jurastudium ab. 2012 erschien sein Erstling «Les Derniers Jours de nos pères», ein historischer Roman aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.
Im Schaufenster | 19
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weg.» Ein anderes Jurymitglied, der Autor Patrick Rambaud, fand gleich nach der Preisverkündigung weniger schmeichelhafte Worte. Er bezeichnete das Buch als «Strandlektüre mit schlechten Dialogen». Abgesehen davon, dass Lesen am Strand eine schöne Sache ist, hat er einen wunden Punkt erwischt: Die Szenen zwischen dem ungleichen Liebespaar Harry und Nola wir-
«Wenn Sie die Nase mal in diesen grossen Roman gesteckt haben, sind Sie hin und weg.»
ken hin und wieder tatsächlich etwas pathetisch. Ob das wirklich Joël Dickers Verschulden ist, ob es an der Übersetzung liegt oder ob der Autor mit diesem Stil sogar das Alter des Mädchens hervorheben will, muss der Leser selbst beurteilen. Dass sich der Schriftsteller in diesen Teenager verlieben soll, wird mit diesen Dialogen nicht plausibler. Definitiv unglaubwürdig ist dagegen, dass sich der bärbeissige Ermittler so auf Marcus einlässt, ihn über Ermittlungsergebnisse informiert und ihn gar an offiziellen Zeugeneinvernahmen teilnehmen lässt. Aber wen kümmert das bei einem Krimi? Bei einem so voluminösen und vielschichtigen Buch wäre es kleinlich, dem Autor eine Ungenauigkeit vorzuhalten, die eine packende Kriminalgeschichte vorwärts treibt – bis zur verblüffenden Wahrheit im Fall Harry Quebert.
Vom Leben, Schreiben und Fallen Bei einem so raffiniert verschlungenen Plot wie jenem von «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» kann man kaum glauben, dass er nicht auf dem Reissbrett entworfen wurde. Doch Dicker beteuert: «Es gibt keinen Plan. Meine Methode besteht vielmehr darin, mir zu vertrauen und voran zu gehen. Das ist eine lange und bisweilen entmutigende Arbeit.» Vielleicht hat diese Arbeitsweise zu einem Motiv geführt, welches das ganze Buch durchzieht. Harry vergleicht das Leben und das Schreiben mit dem Fallen: «Schauen Sie sich doch an, Marcus: Sie trauen sich nicht zu fallen. Und genau deshalb werden Sie, wenn Sie das nicht ändern, ein hohler, nichtssagender Mensch werden. Wie kann man leben,
wenn man nicht fallen kann?» Es sind solche Abschnitte, die den Krimi zu einer interessanten Reflexion über das Schreiben machen. Andere Leserinnen und Leser sehen ihn vor allem als Spiegel Amerikas, wo Metropolen und Kleinstädte, Offenheit und Bigotterie oder Erfolg und Verdammnis so nahe nebeneinander existieren. Joël Dicker kennt Neuengland von regelmässigen und längeren Aufenthalten gut und liebt es.
Grosser Roman oder Strandlektüre? Bei allem Erfolg – «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» fand nicht nur Gefallen. Zwar sagte Bernard Pivot, Literaturjournalist und Jurymitglied des Goncourt: «Wenn Sie die Nase mal in diesen grossen Roman gesteckt haben, sind Sie hin und
Die Wahrzeit über den Fall Harry Quebert 724 Seiten CHF 35.90 Piper
20 | Brasilien
Books Nr. 3/2013
Zeugnisse einer Welt im Wandel Die brasilianische Literatur bietet weit mehr als den Exportschlager Paulo Coelho. Nun kann man ihre Vielfalt noch besser erkunden – denn anlässlich der Frankfurter Buchmesse, an der Brasilien zum zweiten Mal Ehrengast ist, wurden viele Bücher neu ins Deutsche übersetzt. Markus Ganz
Eine eigenständige Schriftkultur hat Brasilien noch nicht sehr lang. Im Jahr 1500 soll der Steuermann des portugiesischen Seefahrers und Brasilien-Entdeckers Pedro Alvares Cabral als erster über diese Weltgegend geschrieben haben. In einem 27 Seiten langen Brief beschrieb er dem portugiesischen König Manuel I. die Tropenwelt und deren Bewohner, welche die Schiffmannschaft an der Küste von Salvador da Bahia vorfand. Noch lange sollte der portugiesische Blickwinkel die schriftliche Wahrnehmung von Brasilien prägen, denn es waren zunächst vor allem portugiesische Reisende und Missionare, die Land und Leute beschrieben. Aber auch die ersten Schriftsteller urteilten meist aus kolonialer Sicht. Als der portugiesische König Joao IV. 1808 auf der Flucht vor Napoleon in Brasilien ankam, soll es dort noch keine gedruckte Presse gegeben haben. Erst als das Land 1822 unabhängig wurde, begann man sich von europäischen Traditionen zu emanzipieren. Es entstand eine brasilianische Schriftkultur, die stark vom SchmelztiegelCharakter des Lands geprägt ist und auch den Hintergrund der afrikanischen und indigenen Minderheiten aufgenommen hat. Geschrieben wird allerdings bis heute Portugiesisch – die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht, wenn auch in brasilianischer Ausprägung. 97 Prozent der Einwohner bezeichnen das brasilianische Portugiesisch als Muttersprache, nur 0,1 Prozent sprechen eine Indianersprache.
Unschlagbare Klassiker Paulo Coelho ist nicht nur der bekannteste Schriftsteller Brasiliens, sondern auch einer der erfolgreichsten Autoren der Welt. Bereits mit seinem zweiten Buch gelang
dem 1947 geborenen Schriftsteller der ganz grosse Wurf. Der Roman «Der Alchimist» erschien 1988, entwickelte sich jedoch erst in den 1990er-Jahren zum weltweiten Bestseller, der in über 60 Sprachen übersetzt wurde. Rund 30 Millionen Exemplare sollen sich bisher verkauft haben, davon eine Million in deutscher Sprache. Anfangs dieses Jahrs erschien der neuste Roman von Coelho: «Die Schriften von Accra». Er handelt von einem geheimnisvollen Fremden, der auf der Suche nach Abenteuern und Reichtum in die Welt geht und Antworten auf die grossen Fragen der Menschheit findet.
Brasilien mg. Die Dimensionen von Brasilien sind in mancherlei Hinsicht aussergewöhnlich. Das südamerikanische Land ist sowohl bezüglich der Fläche wie auch der Bevölkerung der fünftgrösste Staat der Erde. Es leben dort fast 25-mal mehr Leute als in der Schweiz, unser Land fände allerdings 200-mal Platz in Brasilien. Rund die Hälfte der fast 200 Millionen Brasilianer haben afrikanische Vorfahren, die zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert als Sklaven nach Südamerika kamen. 2005 bezeichnete sich die Hälfte der Brasilianer als Weisse, 43 Prozent als Mischlinge, 6,3 Prozent als Schwarze und 0,7 Prozent als Asiaten oder Indigene. Brasilien erlebte in den letzten Jahrzehnten einen gewaltigen Aufstieg zur sechstgrössten Volkswirtschaft der Welt. Wirtschaftsexperten gehen aber davon aus, dass die goldenen Zeiten für Brasiliens Wirtschaft bereits wieder vorbei sind.
Zu den populärsten lateinamerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts gehört auch der 1912 geborene Jorge Amado. Bis zu seinem Tod 2001 gelang es ihm immer wieder, ernste Anliegen in Komödien zu verpacken. Derart thematisierte er in seinen 35 Büchern immer wieder auch die rassistische Diskriminierung in seiner Heimat. «Zwei Geschichten von der See» zeigt, wie zeitlos und höchst vergnüglich seine lebensnahen Schilderungen sind. Komisch ist besonders die neu übersetzte Erzählung «Der Tod und der Tod des Quincas Berro Dágua» von 1959. Heisst es bei James Bond, man lebe nur zweimal, so muss der Antiheld hier gleich dreimal sterben. Die Geschichte bekundet zum einen die absolute Sympathie für die Aussenseiter dieser Welt. Sie ist aber auch ein Manifest für das Anrecht aller Menschen, ihre Lebensweise selber bestimmen zu können – und dazu gehört auch die Art ihres Tods.
Marçal Aquino verbindet in seinem Roman «Flieh. Und nimm die Dame mit.» die beiden Themenkomplexe dramatisch. Im Mittelpunkt des Buchs steht eine Frau, die zwei Seiten hat: eine dunkle selbstzerstörerische und eine helle verführerische. Zwei Männer verfallen ihr: ein am Fernsehen vor der gesellschaftlichen Fäulnis warnender Pater und der Erzähler, ein Journalist in der Sinnkrise. Dem 1958 geborenen Autor gelingt es, die abgründige Art dieser Beziehungen mit der spannungsgeladenen Stimmung in einer Goldgräberstadt zu grundieren.
Leidenschaft und Tod
Spiegel der Entwicklung
Neben existentiellen Fragen spielt in der brasilianischen Literatur auch die Liebe immer wieder eine herausragende Rolle.
Goldgräberstädte gibt es zwar noch heute im modernen, boomenden Brasilien. Der Literaturkritiker Manuel da Costa Pinto
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© Marcelo Correa
© KEYSTONE / Ayse Yavas
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Brasilien ist ein riesiges Land – und seine Literatur daher ausserordentlich vielseitig. Brasilianische Autorinnen und Autoren im Uhrzeigersinn von links oben: Paulo Coelho, Ana Paula Maia, Jorge Amado, Marçal Aquino, Luiz Ruffato, Andréa del Fuego und Daniel Galera.
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betonte in einer Vorschau auf die Frankfurter Buchmesse aber, wie rasant sich Brasilien seit Mitte des 20. Jahrhunderts modernisiert und urbanisiert habe. Viele Autoren wirkten als Chronisten dieses dynamischen Prozesses, der sich faszinierend in der Gesellschaft widerspiegle. Zu diesen Schriftstellern darf man auch Andréa del Fuego zählen, die 1975 geboren wurde und aus dem Journalismus kommt. In «Geschwister des Wassers» erzählt sie nicht nur das berührende Schicksal dreier Geschwister, die in einer archaisch gebliebenen Welt plötzlich ihre Eltern verlieren.
Luiz Ruffato entwirft in 69 Szenen ein kaleidoskopisches Abbild der Megacity São Paulo mit ihrem Glamour und ihrem Elend.
Sie schildert auch beklemmend die Verstrickungen dieser Familie mit dem Gutsbesitzer, der so herrisch über die Kinder wie über das Leben seiner Angestellten verfügt. Der Bau einer Staumauer verändert das Leben aller, doch trotz Einzug der Elektrizität verlieren die Menschen ihren Sinn für das Übersinnliche nicht.
Zeichen der Moderne Auch Daniel Galera gehört mit Jahrgang 1979 zur jüngeren Generation der brasilianischen Schriftsteller. Das merkt man auch seinen Themen an; sie haben oft mit Problemen von Jugendlichen im modernen Brasilien zu tun. Im Mittelpunkt von Galeras Roman «Flut» steht ein junger Mann, dessen Vater sich direkt vor ihm erschiesst. Daraufhin lässt der junge Mann die schwerverletzte Hündin des Vaters nicht einschläfern, wie dieser von ihm verlangt hat. Er päppelt sie vielmehr auf und zieht mit ihr in den Süden. Dort will er ergründen, wieso sein Grossvater einst verschwand. In die Quere kommt ihm dabei, dass er Gesichter vergisst, sie nicht wiedererkennen kann. Dies führt im Alltag zu schwierigen, manchmal aber auch angenehmen Situationen. Einer Freundin schil-
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dert er die eigenartigen Folgen so: «Ich kann mich erinnern, dass du sehr schön warst. Da freue ich mich natürlich, dich wiederzusehen». Es wundert einen nicht, dass Ana Paula Maia als Jugendliche in einer Punkband gespielt hat. Denn in «Krieg der Bastarde» spart die 1977 geborene Schriftstellerin nicht mit drastischen Bildern und direkter Sprache. Sie beschreibt die Geschichte von Amadeu, der eine Tasche voll Kokain aus der Pornoproduktionsfirma entwendet, für die er arbeitet. Er macht den Stoff zu Bargeld, um seine Geliebte – eine illegale Preisboxerin – von ihren Schulden zu befreien und mit ihr ein neues Leben zu beginnen. Doch dann wird Amadeu überfahren. Und da dies kaum jemand weiss, führt die Suche nach ihm zu immer groteskeren Situationen.
Die Schriften von Accra Paulo Coelho CHF 27.90 183 Seiten Diogenes
Zwei Geschichten von der See. Der Tod und der Tod des Quincas Berro Dágua. Die Abenteuer des Kapitäns Vasco Moscoso Jorge Amado 500 Seiten CHF 39.90 S. Fischer
Flieh. Und nimm die Dame mit. Marçal Aquino 284 Seiten CHF 21.90 Unionsverlag
Megacity und Fussball Luiz Ruffato gilt als Ausnahmetalent. Mit seinem ersten Roman «Es waren viele Pferde» habe er die brasilianische Literatur revolutioniert. Eine Jury von Literaturkritikern der Zeitung «Globo» bezeichnete das 2001 erschienene und nun auch auf Deutsch erhältliche Buch als einen der zehn besten brasilianischen Romane der letzten Dekade. Der 1961 geborene Schriftsteller entwirft in 69 Szenen ein kaleidoskopisches Abbild der Megacity São Paulo mit ihrem Glamour und ihrem Elend, ihrer Verlogenheit und ihrem Schmerz. Die verschiedenen Schlaglichter fügen sich zur Geschichte eines Lands, das von Gewalt und Entwurzelung gezeichnet ist. Brasilien ist ohne den Fussball undenkbar – und umgekehrt. Luiz Ruffato hat 15 brasilianische Kolleginnen und Kollegen gebeten, darüber Geschichten zu verfassen. In der Anthologie «Der schwarze Sohn Gottes. 15 Fussballgeschichten aus Brasilien» beschreiben die Schriftstellerinnen und Schriftsteller nicht nur die zuweilen zauberhafte Magie des Balls und die Unvorhersehbarkeiten eines Spielverlaufs, sie erzählen auch von den Träumen, Hoffnungen und Wünschen, die mit dem Fussball verbunden sind. Dabei kann man zur tröstlichen Erkenntnis kommen, dass sogar Fussballnieten imstande sind, ein glückliches Leben zu führen.
Geschwister des Wassers Andréa del Fuego 203 Seiten CHF 28.90 Hanser
Flut Daniel Galera 425 Seiten CHF 36.90 Suhrkamp
Krieg der Bastarde Ana Paula Maia 208 Seiten CHF 28.90 A1
Es waren viele Pferde Luiz Ruffato 158 Seiten CHF 28.90 Assoziation A
Der schwarze Sohn Gottes. 15 Fussballgeschichten aus Brasilien Diverse, Luiz Ruffato (Hrsg.) 144 Seiten CHF 22.90 Assoziation A
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Books Spezial
Felsen in der Brandung der Zeit Elektronische Medien wie Internet oder Fernsehen sind dem Sachbuch immer ein paar Schritte voraus. Doch sie sind im Grunde nichts anderes als ein nie endender Newsticker. Hintergrundinformationen, Zusammenhänge und vertiefte Betrachtungen bleiben oft auf der Strecke. Vorteil: Buch! Natürlich dauert es Wochen oder gar Monate, bis Bücher zu einem aktuellen Ereignis in den Regalen stehen. Dafür erhalten diese dann auch gründlich recherchierte Fakten, Zusammenhänge, Karten, Bilder, Meinungen, Grafiken und Statistiken, eben alles, wofür in der digitalen Hektik einfach keine Zeit bleibt. Auf den folgenden Seiten zeigen wir Ihnen wichtige Neuerscheinungen im Bereich des Zeitgeschehens – und suchen Antworten auf die Frage, wie solche Bücher entstehen.
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Das Heute festhalten Was wir als «Zeitgeschehen» bezeichnen, soll ein deutliches Bild der Gegenwart zeichnen. Was eignet sich heute für diese Kategorie? «Books» hat aus der Fülle der Neuerscheinungen zu Gesellschaft, Politik und Kultur einige Themen herausgegriffen. Benjamin Gygax
schaftlerin, «Befunde aus verschiedenen Geschichtsepochen und kulturellen Bereichen zu besichtigen in der Erwartung, dass sich aus diesen konkreten Fragmenten ein Bild dessen aufbaut, was ich mit einem abstrakten Begriff das ‹Zeitregime der Moderne› nenne». Der Niedergang dieses Zeitregimes sei der Grund für ein temporales Chaos in unserer Zeit. Bisher hatte es uns auf die Zukunft ausgerichtet und liess uns die Vergangenheit vergessen. Heute sei Geschichte «Vergangenheit, die nie vergeht» und uns damit nicht mehr loslässt – und der Glaube an die Zukunft ist vielen abhanden gekommen.
Der Einzelne und das Imperium
Zeit ist ein faszinierendes Phänomen, das nicht nur Sportler, Philosophen und Physiker beschäftigt, sondern uns alle im Alltag. Vielleicht hat die deutsche Sprache deshalb in Kombination mit dem Wort «Zeit» einige ebenso eigentümliche wie prägnante Begriffe hervorgebracht. Der Dichter und Philosoph Johann Gottfried Herder prägte 1769 den Begriff «Zeitgeist» für die vorherrschende und typische Art, wie zu einer bestimmten Zeit gedacht und gefühlt wird. Seine Wortschöpfung war so eingängig, dass sie es sogar als Lehnwort in mehrere andere Sprachen geschafft hat, zum Beispiel ins Englische. Hans Magnus Enzensberger äusserte sich zwar verächtlich über diesen ominösen Geist, der eine Zeit durchweht: «Etwas Bornierteres als den Zeitgeist gibt es nicht. Wer nur die Gegenwart kennt, muss verblöden.» Vielleicht verkennt Enzensberger dabei aber, dass man den «Zeitgeist» oft nur unter einer Lupe erkennen kann, die «Geschichtsbewusstsein» heisst – schliesslich macht ja erst der Vergleich eine Besonderheit erkennbar.
Ein Bild der Gegenwart zeichnen Mit dem «Zeitgeist» verwandt ist auch das «Zeitgeschehen». Dieser Begriff hat die
Aufgabe, aktuelle Ereignisse von historischen abzugrenzen. Deshalb findet er auch rege Verwendung dort, wo es um Aktualität geht: Als Rubrik in Zeitungen und Zeitschriften. Daraus zu schliessen, dass alles gerade Aktuelle sich als «Zeitgeschehen» qualifiziert, wäre falsch. Die Kategorie «Zeitgeschehen» adelt sozusagen jene Aktualität, die prägend und dauerhaft, ja vielleicht sogar epochenbildend ist. «Zeitgeschehen» soll mit wenigen klaren und kräftigen Strichen ein Bild der Gegenwart skizzieren.
«Zeit» ist zeitlos Was charakterisiert unsere Zeit? Ein Thema, das zwar in gewisser Weise zeitlos ist, uns heutzutage aber besonders stark beschäftigt, ist die Zeit selber. Einen äusserst anregenden und auch anspruchsvollen Blick auf dieses Phänomen präsentiert Aleida Assmann mit «Ist die Zeit aus den Fugen?» Sie ist Professorin für Anglistik und Literaturwissenschaften in Konstanz und vertritt eine interessante These. Ihr Ausgangspunkt: «Das Auseinanderbrechen und neu Zusammensetzen des temporalen Zeitgefüges von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.» Sie mute ihren Lesern zu, schreibt die Kulturwissen-
Vielleicht lässt sich diese These zum Zeitregime gerade anhand des nächsten Buchs illustrieren? Swetlana Alexijewitsch, die 1948 in der Ukraine geboren wurde, hat ihr neues Buch «Secondhand-Zeit» genannt. Die Journalistin und Buchautorin ist eine der profiliertesten Zeitzeuginnen der postsowjetischen Gesellschaft. Ihre Bücher wurden unter anderem mit dem «Kurt-Tucholsky-Preis» des schwedischen PEN, mit dem «Triumph-Preis für Kunst und Literatur Russlands» und mit dem «Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung» ausgezeichnet. 2013 erhält Swetlana Alexijewitsch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Für ihr Werk hat die Autorin Gespräche mit Männern und Frauen aufgezeichnet, die sich an die Sowjetzeit erinnern. Zwar sehen jüngere Menschen diese Ära nur im Nebel der Geschichte, doch der Kalte Krieg, die Sowjetunion und der kommunistische Staatsterror leben in der Erinnerung vieler Russinnen und Russen weiter. «Ich kenne diesen Menschen, er ist mir vertraut, ich habe viele Jahre Seite an Seite mit ihm gelebt. Er ist ich», schreibt die Autorin. Diesem «Ich» ist sie auf der Spur – und sie nähert sich ihm mit den Mitteln der Journalistin. «Ich schreibe mit, ich suche Körnchen für Körnchen, Krume für Krume nach der Geschichte unseres ‹alltäglichen›, unseres ‹inneren› Sozialismus. Danach, wie er in der Seele der Menschen wirkte. Dieser Massstab hat mich schon immer fasziniert – der Mensch ... der einzelne Mensch. Denn im Grunde passiert dort alles.» Und was passiert zurzeit? Vielen gilt Stalin wieder als grosser Staatsmann, die sozialistische Vergangenheit wird nostalgisch verklärt. Dieses Leben mit gebrauchten Ideen und Worten nennt Swetlana Alexijewitsch «Secondhand-Zeit». In ihren Gesprächen stellt sie die Brutalisierung von Menschen fest, die «immer entweder gekämpft oder
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Das Leben zurückgewinnen Kapitalismus oder Demokratie? Diese gesellschaftliche Frage könnte auf individueller Ebene vielleicht auch lauten: Arbeit
«Aber wenn die Gesellschaft kaputt ist, geht auch der Mensch kaputt. Das wollten die Ideologen des Neoliberalismus lange Zeit nicht wahrhaben.»
nennen, in Wirklichkeit ein Berufslauf. Arbeit bestimmt unser ganzes Dasein. Mit dieser Feststellung provoziert der Autor zwei Fragen: Was soll daran schlecht sein? Und wie sollen wir sonst unsere Bedürfnisse erfüllen? Ulrich Renz schreibt in seiner Einleitung: «Zwar ist der Autor hoffnungsloser Romantiker und Freund von Utopien. Aber er ist nicht doof. Er weiss, dass wir alle von unserer Hände Arbeit leben, als Einzelne wie als Gesellschaft.» Doch die
Nur die Fakten Seelenheil ist ein gutes Stichwort für das nächste Buch, denn es könnte diesem beträchtlichen Schaden zufügen. Zu Beginn seines Buchs «Zehn Milliarden» gestattet sich Stephen Emmott Emotionen: «Dies ist ein Buch über uns. Es ist ein Buch über Sie, Ihre Kinder, Ihre Eltern, Ihre Freunde. Es geht um jeden Einzelnen von uns. Und um unser Versagen. Unser Versagen als Individuen, das Versagen der Wirtschaft und das unserer Politiker. Es geht um einen beispiellosen Notfall planetarischen Ausmasses. Und um unsere Zukunft.» Der Mann, der sich zu so alarmistischen Tönen hinreissen lässt, ist kein ideologieverblendeter Umweltaktivist, sondern Professor in Oxford und Leiter eines von Microsoft aufgebauten Forschungslabors für computer-
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Der Kalte Krieg ist Geschichte und die Konkurrenz zwischen kommunistischem und kapitalistischem Block weitgehend vorüber. Doch damit rückt zunehmend eine andere Bruchstelle ins Bewusstsein: jene zwischen Kapitalismus und Demokratie. So zumindest sieht es Jakob Augstein in seinem Buch «Sabotage». Der Sohn von «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein ist im Untertitel sehr klar: «Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen». Der streitbare und umstrittene linke Publizist hält ein Plädoyer dafür, Gerechtigkeit, Gesetz, Gleichheit, Demokratie und Freiheit zu verteidigen, sonst gehe die Gesellschaft kaputt. «Aber wenn die Gesellschaft kaputt ist, geht auch der Mensch kaputt. Das wollten die Ideologen des Neoliberalismus lange Zeit nicht wahrhaben.» Die Bedrohung sieht er im Finanzkapitalismus. Auch wenn Augstein von der Deutschen Politik ausgeht, wirft er Fragen auf, die von globaler Bedeutung sind. Die Lösungsvorschläge sind nicht so eindeutig, doch Augstein kreist um den Begriff der Gewalt und bringt den französischen Begriff der «Sabotage» ins Spiel: Dieser bezeichnet nicht Gewalt gegen Menschen, sondern gegen Sachen.
Glaubensgewissheiten der Leistungsgesellschaft seien inzwischen so fest in die Hirne einbetoniert, dass wir sie bedenkenlos an unsere Kinder weitergäben: Ihr Spiel soll sinnvoll sein, wir «fördern» sie und merken gar nicht, dass wir ihnen ihre Kindheit nehmen, indem wir sie zu Hoffnungsträgern auf dem Arbeitsmarkt machen. Der Autor prangert aber an, dass wir uns keine Pausen mehr gönnen, weil wir glauben, das Rad bleibe dann stehen. Seine eigene Auflehnung gegen die Tyrannei der Arbeit hat der Arzt Ulrich Renz hinter sich: Er schmiss seinen Job als Leiter eines medizinischen Fachverlags und wurde freier Autor. Das ist keine Lösung für alle. Wichtig sei aber, sich aus der Erfolgsfalle zu befreien: «Es gehört zu den Gründungsmythen der Leistungsgesellschaft, dass Erfolg mit Glück, ja mit Seelenheil identisch ist.»
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Kapitalismus oder Demokratie?
oder Leben? So legt es uns zumindest Ulrich Renz in «Die Tyrannei der Arbeit» nahe. Und diese oder eine ähnliche Frage hat uns alle in der rastlosen Leistungsgesellschaft schon einmal beschäftigt. Ulrich Renz’ Buch verspricht nicht weniger als die Antwort darauf, «wie wir die Herrschaft über unser Leben zurückgewinnen». Doch zunächst zur Problemstellung: Heute ist das, was wir einen Lebenslauf
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sich auf einen Krieg vorbereitet haben». Das Buch ist keine leichte Kost, aber vielfältig und berührend. Es zeigt, wie die Sowjetunion bis ins Heute nachwirkt.
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gestützte Naturwissenschaften. Deshalb wird er nach der Einleitung ganz sachlich. Er präsentiert neueste, zum Teil noch nicht veröffentlichte Fakten zur Lage des Planeten und seiner Bewohner. Er leitet her, wie die Erdbevölkerung in kürzester Zeit von einer auf sieben Milliarden Menschen angewachsen ist und schon bald die Schwelle von zehn Milliarden überschreiten wird. Für die Herstellung eines Burgers braucht man 3000 Liter Wasser. Wir produzieren in einem Jahr mehr Russ als die Menschheit im gesamten Mittelalter und fliegen allein in diesem Jahr sechs Billionen Kilometer. Besserung verspricht sich Emmott weniger von der Technik als von einem radikal umgekrempelten Wirtschaftssystem, Kinder sollten wir möglichst wenige in die Welt setzen. Der faktengestützte Pessimist meint: «Ich glaube, wir sind nicht zu retten. Ich hoffe ja selbst, dass ich mich irre. Aber alle Erkenntnisse, die die Wissenschaft uns derzeit liefert, deuten darauf hin, dass ich richtig liege.» Das Buch ist leicht zu lesen und überzeugt – aber vielleicht sollte man es bei depressiven Verstimmungen nicht zur Hand nehmen.
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Ist die Zeit aus den Fugen?
Die Tyrannei der Arbeit
Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne Aleida Assmann 272 Seiten CHF 36.90 Hanser
Wie wir die Herrschaft über unser Leben zurückgewinnen Ulrich Renz 240 Seiten CHF 28.90 Ludwig
Secondhand-Zeit
Zehn Milliarden
Leben auf den Trümmern des Sozialismus Swetlana Alexijewitsch 592 Seiten CHF 42.90 Hanser
Stephen Emmott 220 Seiten CHF 24.90 Suhrkamp
Sabotage Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen Jakob Augstein 304 Seiten CHF 29.90 Hanser
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«Der Erste erzielt höhere Auflagen» Zeitgeschehen in Buchform festzuhalten, ist eine Kunst für sich – eine Kunst, die nicht nur von den Autorinnen und Autoren, sondern auch von den Verlagen viel abverlangt. Sebastian Ullrich, Lektor für Zeitgeschichte und Politik im Verlag C.H.Beck sowie Programmleiter Paperback, gewährt einen Einblick in seine Arbeit. Erik Brühlmann
«Books»: Sebastian Ullrich, was zum «Zeitgeschehen» gehört, ist schier uferlos. Wie definieren Sie den Begriff? Sebastian Ullrich: Ich würde ihn so uferlos belassen, wie er ist. Für die Programmmacher der Verlage geht es darum, in den unendlichen Weiten des Zeitgeschehens die Inseln des Publikumsinteresses auszumachen. Und selbst wenn man diese Inseln durch das Fernrohr erspäht hat, ist nicht gesagt, dass man sie mit
den vom Stapel gelassenen Büchern auch erreicht. Wer entscheidet nach welchen Kriterien, welche Themen für ein Buch in Frage kommen? Um im Gleichnis zu bleiben: Man kann sich das vorstellen wie eine frühneuzeitliche Entdeckungsfahrt in die aussereuropäische Welt. Natürlich gibt es grobe Vorstellungen davon, welche Themen
sich eher für ein Buch eignen und für welche ein Zeitschriftenartikel ausreicht. Langjährige Erfahrungen mit aktuellen Büchern und ausgiebige Zeitungslektüre helfen zudem, ein Gespür für marktgängige Themen und Buchtypen zu entwickeln. Aber es ist doch jedes Mal ein Aufbruch ins Ungewisse. Scheitern und Schiffbruch sind immer möglich, ebenso wie auch Zufallsfunde und unerwartete Erfolge. Wer Sicherheit will und feste Kriterien für seine Entscheidungsfindung braucht, sollte vom aktuellen Sachbuch eher die Finger lassen. Ein bisschen Neugierde und Risikobereitschaft gehören dazu. Mit dem Erwartbaren wird man eher keinen Erfolg haben – es sei denn, der Autor oder die Autorin ist so beliebt, dass man auch ein Telefonbuch aus ihrer oder seiner Feder kaufen würde. Wie kommt man zu den entsprechenden Autoren? Werden zum Beispiel nach einem Ereignis wie 9/11 automatisch mehr Manuskripte zu diesem Thema eingereicht, oder geht man als Verlag auch aktiv auf die Suche? Nach meiner Erfahrung taugen gerade
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«Man braucht in diesem Segment Titel, die schnell hohe Auflagen erzielen. Themenwahl und Design der Bücher müssen also sitzen und einen Nerv treffen.»
im Segment des aktuellen Sachbuchs die unverlangt eingesandten Manuskripte nur äusserst selten zur Veröffentlichung. In der Regel gehen die Anregungen von den Verlagen oder den Agenten aus, die gezielt geeignete Autorinnen und Autoren für die von ihnen für attraktiv gehaltenen Themen suchen.
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Wie schnell muss man reagieren können, um ein Thema nicht zu verpassen? Und werden Manuskripte zu hochaktuellen Themen schneller bearbeitet als solche zu «zeitlosen» Themen? Der Zeitfaktor spielt bei aktuellen Themen eine sehr grosse Rolle. Es ist ein bisschen wie bei den grossen Konquistadoren: Wer zuerst seine Flagge in die Erde der neuen Welt rammte, dem gehörte das Gebiet. Wer bei einem aktuellen Thema als erster auf dem Markt ist, der erzielt deutlich höhere Auflagen. Deswegen sind natürlich die Produktionsfristen in diesem Segment viel kürzer. Man muss dann den Schreibtisch frei räumen und das Buch in kürzester Zeit durchschleusen – nach Möglichkeit ohne Abstriche bei der Qualität zu machen. Das ist für alle Beteiligten jedes Mal aufs Neue eine grosse Herausforderung. Wie ist die «Halbwertszeit» solcher Bücher, oder anders: Geht man davon aus, dass es von den allermeisten Veröffentlichungen nur eine Auflage geben wird? Die Halbwertszeit ist deutlich kürzer als etwa bei einer Gesamtdarstellung zur
römischen Geschichte. Aktuelle Themen unterliegen einer schnellen Veränderung, und in unserer Mediengesellschaft ist die Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr allzu lang, auch bei wichtigen Themen. Das heisst aber nicht, dass man generell nur mit einer Auflage rechnet. Wäre das titelübergreifend der Fall, liessen sich diese Bücher nicht kalkulieren. Man braucht in diesem Segment Titel, die schnell hohe Auflagen erzielen. Themenwahl und Design der Bücher müssen also sitzen und einen Nerv treffen. Kommt man als Buchverlag gegen die Geschwindigkeit des Internets noch an? Wie hebt man sich von den InternetInfos ab? In der Tat ist das Internet neben Zeitungen und Zeitschriften eine grosse Konkurrenz für das aktuelle Sachbuch. Bloss die wichtigsten Informationen zu einem aktuellen Thema zusammen zu stellen, reicht daher schon lange nicht mehr aus. Damit ein Buch in diesem Segment erfolgreich ist, muss mehr dazu kommen. Eine originelle These etwa oder ein neuer Blickwinkel, die geeignet sind,
BILDBAND
SWISS VISION Mit Swiss Vision hat der renommierte Landschaftsfotograf Patrick Loertscher ein wahres Meisterwerk der Extraklasse geschaffen, sozusagen eine Liebeserklärung an seine Heimat, das die besonderen Werte der Schweiz in ihrer ganzen Ursprünglichkeit und Schönheit festhält. Ein aussergewöhnlicher Bildband, der sich an alle Menschen wendet, welche die Schweiz lieben und mit viel Freude die visuelle Schönheit dieses einzigartigen Landes mitten in Europa geniessen oder weiterreichen möchten.
Bildband Swiss Vision von Patrick Loertscher mit einem Vorwort von Adolf Ogi durchgehend deutsch /englisch gekürzte Fassung im Anhang: f, i, sp, jap, chin, r 208 Seiten, ca. 150 Farbabbildungen Gegliedert in 14 Schweizer Regionen 30.5 x 24 cm, Leinenband mit Schutzumschlag ISBN: 978 -3 -905987-12- 6
In allen Orell FüssliFillialen ist auch der grossformatige Kalender Lichtvisionen Schweiz 2014 von Patrick Loertscher erhältlich.
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gesellschaftliche oder politische Debatten anzustossen. Sehr wichtig ist auch der Autor oder die Autorin. Er oder sie muss das Thema oder die These glaubwürdig vertreten können. Und auch die Art der Darbietung ist wichtig. Die Zeiten, in denen man sich auf eine Art Bildungsverpflichtung des Publikums zurückziehen konnte, sind definitiv vorbei. Wer sein Publikum erreichen will, sollte zugänglich und unterhaltsam schreiben können. Insgesamt bin ich aber sehr optimistisch, was die Zukunft des aktuellen Sachbuchs angeht. Immer wieder regen solche Bücher auch in unserer auf das Internet fixierten Zeit Debatten an und halten das Publikum in Atem. Mir scheint sogar, dass sie dies besser schaffen als etwa Zeitungen und Zeitschriften. Welches sind die gerade aktuellen Themen? Da gibt es viele. Bei uns erscheint etwa in den nächsten Tagen ein aktuelles Buch zu Syrien aus der Feder von Rupert Neudeck, dem Gründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme. Er hat dort unter schwierigsten Bedingungen
humanitäre Hilfe geleistet. Ein dramatischer und berührender Bericht aus dem Inneren eines Bürgerkriegs. Innenpolitisch ist natürlich die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit ein wichtiges Thema. Das Buch des grossen Historikers Hans-Ulrich Wehler über «Die neue Umverteilung» etwa ist seit Wochen auf der deutschen Bestsellerliste. Und wir haben die erste zeithistorische Einordnung der rot-grünen Jahre unter Bundeskanzler Gerhard Schröder im Programm. Der Historiker Edgar Wolfrum hat sich durch Berge exklusiven Archivmaterials gewühlt und mit allen Protagonisten ausführlich gesprochen. Aber da sieht man schon, wie sehr die Aktualität eines Themas von Land zu Land unterschiedlich sein kann. In Deutschland steht Rot-Grün im Zen trum aktueller Debatten – wie das in der Schweiz aussieht, kann ich schon nicht mehr beurteilen.
Sebastian Ullrich, Lektor für Zeitgeschichte und Politik im Verlag C.H.Beck sowie Programmleiter Paperback.
C.H.Beck Der Verlag C.H.Beck – benannt nach seinem Gründer Carl Gottlob Beck – zählt zu den grössten und renommiertesten Verlagen Deutschlands. Bekannt ist er vor allem für seine Publikationen in den Bereichen (Zeit-)Geschichte, Ethnologie, Literatur- und Sprachwissenschaften, Religion, Philosophie, Politik- und Sozialwissenschaften sowie Kunst und Architektur. C.H.Beck wurde 1763 gegründet und feiert somit dieses Jahr sein 250-jähriges Bestehen.
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Books Nr. 3/2013
Thomas Koebner
Susannah Cahalan
Roman Polanski – Feuer im Kopf Der Blick der Verfolgten. Eine Biographie
Daniela Schwegler
Traum Alp – Älplerinnen im Porträt
Gabriela Vetter
Die Filme von Roman Polanski haben selten ein Happy End, aber sie baden auch nicht in der Lust an der Katastrophe. Die Konstellation von Verfolger und Verfolgten, Macht und Ohnmacht prägt alle grossen Filme des Regisseurs, und eines bleibt immer gleich: Polanski sieht die Welt durch die Augen der Opfer. Kaum einem Künstler seiner Generation wurde so viel Ruhm und Glück für sein umfangreiches Schaffen zuteil – und keinem sind in seinem Leben so tiefe Wunden geschlagen worden. Die grosse Biografie zum 80. Geburtstag des gebürtigen Polen nimmt die wechselvolle Lebenserfahrung und das vielgestaltige Werk zusammen in den Blick und lässt es sich wechselseitig erklären.
Kann man über Nacht verrückt werden? Ja, man kann. Dies hat die junge Journalistin Susannah Cahalan am eigenen Leib – oder besser: im eigenen Kopf – erlebt. Auf schmerzhafte, lebensbedrohliche und schliesslich gut ausgehende Art und Weise.
Mit dem Alpauftrieb zieht es jedes Jahr etliche Stadt- und Landmenschen hinauf auf die Alp – besonders Frauen. Dort machen sie den Sommer über Käse und hüten sie Ziegen, Kühe, Rinder, Pferde, Schafe oder neuerdings auch Lamas. Daniela Schwegler hat Älplerinnen unterschiedlichster Couleur auf der Alp besucht. Die 15 Frauen zwischen 20 und 75 Jahren erzählen, wie sie den Alpsommer erleben und erleiden und wie sie sich an Natur, Tieren, Sonne und dem Himmel erfreuen. Das Buch gibt Einblicke in den gelebten Traum von der Alp, der für einige allzu Blauäugige auch schnell zum Albtraum werden kann. Jedes Porträt wird mit einem attraktiven Wandervorschlag von der jeweiligen Alp aus und mit einem Älplerinnen-Rezept abgerundet.
Sie stecken in einer schwierigen Lebenssituation, die Sie verheimlichen müssen. Sie fühlen sich allein, ausgeliefert und verloren. Ihr «böses» Geheimnis quält Sie. Es spricht Ihnen jemand in dieser Angelegenheit aus der Seele, sieht Auswege, die Sie ermutigen, Ihr Leiden konkret anzugehen. Es werden Ihnen Wege aufgezeigt, sowohl die momentane Situation als auch deren Ursachen zu klären. Das Buch schildert mit der Liebesgeschichte zwischen Dagmar und Fabian eine gesellschaftlich verpönte, versteckte Beziehung: eine Aussenbeziehung. Es will die Angelegenheit nicht gutheissen, sondern bietet dem Leser mittels psychologischer Betrachtungen und Übungen Impulse an, sich selbst zu helfen und sich neu zu orientieren. Dem nicht persönlich betroffenen Leser kann es helfen innezuhalten und zu sich zu finden.
In «Feuer im Kopf» erzählt sie ihre Geschichte zwischen Leben, Wahnsinn und Rettung mitreissend, eindrucksvoll und fesselnd. Ihr authentischer Erfahrungs- und Schicksalsbericht ist so spannend wie bewegend. Hier bricht sich ein großes Schreibtalent Bahn!
Mit 180 Farbfotos von Vanessa Püntener.
Fremdgehen – Was dann?
256 Seiten
304 Seiten
256 Seiten
138 Seiten
CHF 37.90
CHF 28.90
CHF 41.90
CHF 29.90
Reclam
MVG
Rotpunktverlag
FO-Publishing
ISBN 978-3-15-010936-6
ISBN 978-3-86882-467-4
ISBN 978-3-85869-557-4
ISBN 978-3-905681-80-2
BUCHtipps | 31
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Peter Allmend
Christine Fivian
Ein Zürcher Anwalt zieht sich für einige Tage in die Berge zurück und trifft dort vor einer Almhütte völlig unerwartet eine ungewöhnliche Frau. Er erkennt allmählich, dass er es mit einer Meisterseele zu tun hat, die ihn in die grossen Geheimnisse des Lebens einweiht. Was diese Wesenheit, die sich ihm gegenüber Elision nennt, ihm über Verzeihen und Güte, über Glück und den Sinn des Lebens, über Tiere und Pflanzen, über die Geistige Welt und das innere Erwachen oder über das Geheimnis der Liebe erzählt, lässt ihn zu einem neuen Menschen reifen. «Das grösste Glück jedoch ist, überhaupt die Fähigkeit zu haben, glücklich zu sein. Vielen Menschen begegnet das Glück, aber sie sind nicht in der Lage, es zu erkennen.»
«Das Bild» ist ein Buch über die Ambivalenz des Lebens und der Liebe; über Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern; über Beziehungen – zwischen Paul, dem Maler des Bildes, und drei Frauen: Alma, seiner Lebenspartnerin, Lisa, seiner ersten Liebe, und Mona, mit der er eine leidenschaftliche Affäre hatte. Und zwischen den drei Frauen, die so verschieden und doch untrennbar miteinander verbunden sind. Sie erinnern sich an Brüche in ihrem Leben. Brüche, die nicht nur das Leben verändern, sondern sich prägend auf die Vorstellungswelt auswirken. Eine Vorstellungswelt, die manchmal so ganz anders aussieht, als die Realität. Oder die vermeintliche Realität.
160 Seiten CHF 23.90
Elision – Begegnung mit einer Weisen
Das Bild
Wanderwelt & Co.: Niklas Böwer tiptoi® Wieso? Die schönsten Weshalb? Wanderungen Warum? Schweiz Die Welt der Fahrzeuge Der nächste Herbst kommt bestimmt – und damit auch die schönste Zeit, die Schweiz auf einer Wanderung zu entdecken. Mit diesem bebilderten Führer wird bereits die Auswahl der nächsten Tour zum wahren Vergnügen und macht Lust auf mehr. Die Auswahl an verschiedenen Routen ist gross: Das handliche Werk stellt 50 Touren vor, verteilt über die ganze Schweiz. Keine wichtige Information fehlt. Schwierigkeitsgrade, Wanderzeit, Anfahrtsroute sowie Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten werden beschrieben. Praktische Kartenausschnitte, Erklärungen zu den Signalisationen der Wanderwege und selbst ein kleines Handbuch zur Wetterkunde sind in diesem unverzichtbaren Führer zu finden.
Schon ganz kleine Jungs – und manchmal auch Mädchen – sind fasziniert von allem, was einen Motor hat. Ob Formel-1-Rennwagen, Sattelschlepper oder Traktor, hier brummt, knattert und röhrt es. Mit tiptoi®, dem interaktiven klingenden Lernspiel, erfahren die Kinder Wissenswertes über die verschiedenen Fahrzeuge und ihre Aufgaben. Beim Besuch in einer Autofabrik sind sie bei der Produktion eines Autos hautnah dabei. Dann nehmen sie die Rettungsfahrzeuge ganz genau unter die Lupe. Und beim Formel-1-Rennen flitzen die Autos nur so an ihnen vorbei, und sie hören beim Boxenstopp die gut abgestimmten Befehlsrufe des Rennteams.
160 Seiten
140 Seiten
Ab 4 Jahren, 16 Seiten
CHF 29.90
CHF 21.90
CHF 35.90
Aquamarin
Xanthippe
Hallwag Kümmerly + Frey
Ravensburger
ISBN 978-3-89427-625-6
ISBN 978-3-905795-26-4
ISBN 978-3-259-03721-8
ISBN 978-3-473-32912-0
32 | K affeepause
Books Nr. 3/2013
Die Debatte Was machen Buchhändler in der Kaffeepause? Sie plaudern über Bücher. «Books» hat sich im Starbucks im Kramhof an der Zürcher Bahnhofstrasse zu den Orell-Füssli-Mitarbeitenden Bettina Zeidler und Dario Widmer gesetzt. Marius Leutenegger
Last Exit to El Paso Fritz Rudolf Fries 192 Seiten CHF 31.90 Wallstein
Der Weg des Falken Jamil Ahmad 186 Seiten CHF 34.90 Hoffmann und Campe
Gleis 4 Franz Hohler 219 Seiten CHF 26.90 Luchterhand
Erik Brühlmann
«Books»: Ladies first: Bettina, welches Buch hast du mitgebracht? Bettina Zeidler (BZ): «Last Exit to El Paso» des ostdeutschen Schriftstellers Fritz Rudolf Fries. Die Hauptfigur, Pierre Arronax, ist wohl etwa so alt wie der 77-jährige Autor. Er lebt zurückgezogen in seinem Haus, betreut von seinem Hausmädchen Kathleen, mit der er gern eine erotische Beziehung hätte. Regelmässig trifft sich Arronax mit seinem alten Freund Arcimboldo, mit dem er fantastische Szenarien für nie geschriebene Romane oder Filmdrehbücher entwirft. Eines Tages erfahren die beiden per Telefon, dass sie eine Weltreise gewonnen haben. Diese Reise entpuppt sich aber als Wettrennen von New York nach El Paso – Arronax wird von Kathleen begleitet und nimmt die Ostroute, Arcimboldo reist mit seinem Sohn, einem Drehbuchautor, die Westküste hinunter. Die Reisenden kommen in billigen Hotelketten unter, werden in einen Kunstraub verwickelt, bei dem vielleicht auch Kathleen ihre Hände im Spiel hat, es geht um Spionage und Affären. Allerdings weiss man nie genau, was sich wirklich ereignet und was nur eine Vision von Arronax ist. «Last Exit to El Paso» ist ein Schelmenroman, bei dem uns der Autor immer wieder in die Irre führt. Und ein Road Movie? Dario Widmer (DW): Ja, auf jeden Fall. Ein wichtiges Element des Buchs sind die zahlreichen Bezüge auf literarische Werke und Filme. Eine Rolle spielt zum Beispiel das Kritikertrio aus dem Roman «2666» von Roberto Bolaño. Der Aufbau des Buchs erinnert mich an Fellinis Filme, bei manchen Szenen sehe ich Bogart vor
mir – und über der ganzen Geschichte steht ein Motto aus dem Märchen mit den Bremer Stadtmusikanten: «Etwas Besseres als den Tod findest du überall.» BZ: Auch die Figuren selbst sind Anlehnungen: Pierre Arronax ist der Name der Hauptfigur in Jules Vernes Roman «20‘000 Meilen unter dem Meer»; dort ist Arronax ein Forscher, der in die Tiefe geht. Und Arcimboldo ist jener Renaissance-Maler, der auf seinen Bildern Gemüse so arrangierte, dass daraus ein Porträt wurde. In Bolaños «2666» nennt sich eine Figur nach diesem Maler. Der Autor führt uns also ständig wieder auf neue Fährten, lässt uns in fantastische Welten reisen – und am Ende ist nicht einmal mehr klar, ob diese Reise überhaupt stattfindet. Das Buch ist schwierig zu beschreiben, man muss sich einfach darauf einlassen. Du hast dich darauf einlassen müssen, Dario. Wie hast du das denn erlebt? DW: Am Anfang wusste ich nicht recht, wie ich mit diesem Buch umgehen sollte. Ich dachte, das ist ähnlich wie der Bestseller «Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand» von Jonas Jonasson. Auch der Klappentext des Buchs verspricht einen Roman in diese Richtung. Aber der Vergleich stimmt nicht. «El Paso» ist wesentlich anspruchsvoller als der «Hundertjährige». Fries hätte mit seinem Stoff einen Riesenroman schreiben können – hat jetzt aber unglaublich viele Informationen in ein kleines Buch gepackt. BZ: Es ist wirklich faszinierend, wie viele Hinweise auf Literatur und Film er untergebracht hat. Mich hat das zu Recherchen animiert; ich begann im Internet nachzu-
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forschen, woher er die Figuren hat. DW: Bei mir hat er die Fantasie angeregt und Interesse an anderen Stoffen geweckt. Ich werde zum Beispiel jetzt auch noch den Bolaño lesen. Die vielen Andeutungen machen neugierig, und man merkt, wie sehr sich der Autor selber für die Dinge interessiert, die er thematisiert. BZ: Für mich sprengt das schmale Buch sämtliche Rahmen – es hat mich echt gefordert. DW: Ja, es ist anspruchsvoll, das kannst du nicht jedem in die Hand drücken. Aber wenn man einmal mit Lesen begonnen hat, schlägt es einen in den Bann. Am Anfang hat mich genervt, dass Bettina dieses Buch für unsere Debatte aussuchte; jetzt bin ich froh darüber. Ich finde, alle Buchhändler sollten «Last Exit to El Paso» lesen, weil es so viele literarische Bezüge hat. Wie bist du denn auf dieses Buch gestossen, Bettina? BZ: Zuerst hat mich einfach das Cover angesprochen. Dann las ich den Klappentext, mir fiel ein, dass ich von diesem Autor schon einmal gehört habe, ich begann ein paar Seiten zu lesen – und konnte nicht mehr aufhören. Für wen eignet sich der Roman? BZ: Für alle, die einen gewissen Zugang zur Literatur haben. Man kann das Buch auch ohne Vorwissen lesen, aber es macht sicher viel mehr Spass, wenn man die Andeutungen entschlüsseln kann. Kommen wir zum Buch, das Dario mitgebracht hat: «Der Weg des Falken» von Jamil Ahmad. DW: Es spielt in einem zusammenhängenden Gebiet in der Grenzregion von Pakistan, Afghanistan und Iran. Der rote Faden ist die Geschichte eines Paars, das mit seiner Liebe gegen die Stammesregeln verstossen hat und auf der Flucht ist. Die beiden jungen Leute finden Unterschlupf in einem Militärfort, wo sie auch einen Sohn bekommen – Tor Baz, was so viel heisst wie schwarzer Falke. Doch das Paar wird aufgespürt und getötet. Tor Baz bleibt allein zurück. Sein weiterer Lebensweg bietet dem Autor die Möglichkeit, ganz verschiedene Geschichten zu erzählen, die kaum in einem Zusammenhang zueinander stehen. Der rote Faden ist sehr fein; man könnte auch sagen, es handle sich bei diesem Buch um eine Sammlung von Kurzgeschichten. Worum geht es in den Geschichten? DW: Um die Menschen, die in dieser Region leben. Ein Beispiel ist die Geschichte
Bettina Zeidler, 48, lebt in St. Gallen. Sie arbeitet in der Abteilung Belletristik der St. Galler Buchhandlung Rösslitor, die zu Orell Füssli gehört. Am liebsten liest sie skandinavische Krimis und Thriller.
Bettina Zeidler: «Den Anfang des Romans fand ich sehr gut, aber danach häuften sich die Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten. Das fand ich dann schon recht konstruiert.» Dario Widmer: «Ich fand das Buch trotzdem spannend. Es liest sich leicht, es geht schnell voran, viele Situationen werden schön beschrieben.»
Dario Widmer, 21, lebt in Bühler in Appenzell Ausserrhoden. Seine Lehre zum Buchhändler absolvierte er im Rösslitor, heute arbeitet er in der Abteilung Belletristik im Kramhof in Zürich. Er hat schon seit jeher ein grosses Interesse an Literatur.
von Familien, die herumziehen müssen, damit ihr Vieh immer genug zu fressen hat. Diese Leute haben aber keine Pässe. Bislang spielten Landesgrenzen keine Rolle, jetzt aber können sie nicht mehr von einem Land ins andere ziehen – und werden beim Grenzübertritt erschossen. Einmal geht es um Frauenhandel. Oder um Entführungen, mit denen sich manche Familien über Wasser halten. Das klingt jetzt aber alles reichlich dramatisch und nicht nach Literatur, die man sich vor dem Einschlafen zu Gemüte führen will. DW: Das Buch geht einem weniger unter die Haut, als man aufgrund meiner Schilderung vielleicht annehmen könnte. Der Autor hat eine gute Distanz zu seinem Thema gefunden: Seine Geschichten sind keine sachlichen Dokumentationen, aber auch keine hochdramatischen Schilderungen, die Mitleid auslösen. Man nimmt einfach wahr, wie das Leben in dieser Region spielt. In einer Region notabene, von der wir sehr wenig wissen und über die es kaum Bücher gibt. BZ: Zum Genuss wird dieses Buch vor allem durch die Sprache; sie ist sehr schön, sehr poetisch. Alles fliesst, die Beschreibungen der kargen und öden Landschaften sind sehr bildhaft, man kann sich alles genau vorstellen. Mich faszinierte vor allem die Rahmenhandlung mit Tor Baz, und ich hätte gern noch etwas mehr über ihn erfahren; manchmal empfand ich den Schnitt von der Rahmenhandlung zur nächsten Geschichte etwas hart. Aber alles in allem hast du das Buch gern gelesen? BZ: Ja, vor allem auch, weil mir die Gegend, in der es spielt, überhaupt nicht bekannt war. Als ich mit dem Buch fertig war, dachte ich: Jetzt habe ich einen Roman in wunderschöner Sprache gelesen und erst noch viel gelernt. DW: Zu Beginn kam es mir fast ein wenig vor, als würde ich ein Buch von Karl May lesen: Über den wilden Westen im Osten. Es war unterhaltsam und faszinierend. Als ich das Buch erstmals in der Hand hatte, schlug ich es irgendwo auf und las einen Abschnitt, der mir ziemlich esoterisch vorkam, aber zum Glück war er eine Ausnahme – das Buch ist überhaupt nicht spirituell ausgerichtet. BZ: Ja, hier wird auch nichts glorifiziert. Jamil Ahmad bleibt bei den Fakten. Er will nicht moralisieren, sondern uns einfach zeigen, wie es dort ist. Er hat die Begabung, uns die Welt zu öffnen. Von mir aus hätte ich dieses Buch nicht gelesen,
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jetzt bin ich aber froh, dass ich es für die Debatte lesen musste. Kommen wir zum dritten Buch, über das wir heute reden: «Gleis 4» von Franz Hohler, dem Zürcher Schriftsteller, der gerade 70 Jahre alt wurde. BZ: Der Roman erzählt von Isabelle, die eine Italienreise antritt. In Oerlikon will sie in den Zug zum Flughafen steigen, der Koffer ist schwer, ein älterer Herr kommt und will ihr helfen. Als der Koffer an seinem Platz ist, bricht der Mann zusammen und stirbt. Die Polizei kommt, Isabelle verpasst den Flieger und hat auch gar keine Lust mehr auf eine Ferienreise. Wieder daheim angekommen, merkt sie, dass sie aus Versehen eine braune Mappe des Toten mitgenommen hat. In dieser Mappe steckt ein Mobiltelefon, das immer wieder klingelt. Dieser Anfang ist schon einmal sehr gut, finde ich.
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DW: Das Telefon klingelt immer wieder. Isabelle weiss, dass sie es eigentlich zur Polizei bringen sollte, aber ihre Neugier ist stärker: Irgendwann nimmt sie einen Anruf entgegen. Der Anrufer sagt nur, Marcel dürfe keinesfalls an der Beerdigung auftauchen. Isabelle wird noch neugieriger. Schliesslich geht sie selber auf den Friedhof, findet heraus, um welche Beerdigung es geht und wer der anonyme Anrufer war. Von da an entwickelt sich fast so etwas wie ein Krimi: Isabelle ermittelt auf eigene Faust, welches Geheimnis den verstorbenen Marcel umweht. BZ: Dabei wird sie auch von Marcels Frau begleitet, die aus Kanada angereist ist. Es stellt sich heraus, dass Marcel einst Martin hiess – und dass er eine himmeltraurige Familienbiografie hat. Wie gesagt, den Anfang des Romans fand ich sehr gut, aber danach häuften sich die Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten. Das hat mich ge-
stört. Diese ganzen Funde immer wieder, plötzlich steckt eine Telefonnummer im Koffer oder taucht eine neue Person auf – das fand ich dann schon recht konstruiert. DW: Da hast du Recht. Aber ich fand das Buch trotzdem spannend. Es liest sich leicht, es geht schnell voran, viele Situationen werden schön beschrieben. Und Franz Hohler ist ja auch dafür bekannt, dass er groteske Elemente in seine Texte einbaut. Wie Isabelles Tochter Sarah gegen Schluss des Buchs wegen einer Voodoo-Puppe zu einem Medizinmann geht, fand ich zum Beispiel sehr witzig. BZ: Jaja, das Buch ist nicht schlecht, aber die vielen Zufälle störten mich eben. Ich kenne das Werk von Franz Hohler nicht gut, doch ich denke, seine Fans werden diese Neuerscheinung auf jeden Fall mögen. DW: Den Fans kann man es sicher empfehlen. Hohlers beliebter Roman «Es klopft» ist recht ähnlich wie «Gleis 4». Mir hat dieses Buch aber so gut gefallen, dass ich jetzt sicher noch mehr von Hohler lesen werde. BZ: Für mich ist «Gleis 4» dennoch die Nummer drei unter den drei Büchern, die wir hier vorgestellt haben. Aber das ist am Ende natürlich Geschmacksache. DW: Man kann die Bücher nicht miteinander vergleichen. Die anderen beiden haben einen tiefgründigen Inhalt, «Gleis 4» ist ein Unterhaltungsroman. Aber ich finde ihn eine perfekte Sommerlektüre – ich habe ihn am See gelesen, und ich kann allen nur empfehlen, das auch zu tun.
Die Geschichte des Kaffees erzählt in deinem Caffè Latte.
Besuche auch unsere Coffeehouses in den Orell Füssli Buchhandlungen im Westside in Bern sowie im Kramhof und am Bellevue in Zürich.
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T. C. Boyle
Khaled Hosseini
Irena BreŽnÁ
Uwe Timm
Eine einsame Insel vor der Küste von Kalifornien: für die einen die Hölle, für die anderen das Paradies. Die schwindsüchtige Marantha verschlägt es 1888 nach San Miguel. Während sie sich – geplagt vom rauen Klima, von Monotonie und Einsamkeit – dem Leben entzieht, schafft es Adoptivtochter Edith, dem tyrannischen Vater und der verhassten Insel zu entfliehen. Jahrzehnte später zieht Elise Lester dorthin und findet mit ihrer Familie ihr Glück. Die Presse in den USA feiert die Lesters mitten in der Weltwirtschaftskrise als Sinnbild vom Mythos der Pioniere, doch die Idylle trügt. Boyle gelingt es meisterhaft, in dieser grossen Saga das Schicksal dreier starker Frauen lebendig werden zu lassen.
Abdullah ist zehn und liebt seine kleine dreijährige Schwester Pari über alles. Die beiden leben in den erhabenen kargen Weiten Afghanistans und fürchten nur eines: den Dämon aus den fernen Bergen, der in Sturmnächten auf die Dächer der Häuser klopft und sich eines der Kinder holt. Eines Tages bringt der Vater die Geschwister auf einem Fussmarsch quer durch die Wüste nach Kabul – in der grossen Stadt sucht er nach einem besseren Leben. Doch die beiden Kinder werden getrennt ... Ein grosser Roman, dessen emotionale Intensität und Erzählkunst neue Massstäbe setzen. Fesselnder, reicher, persönlicher als je zuvor – und noch bewegender als «Drachenläufer».
Auf der Suche nach einer besseren Welt verschlägt es eine Jugendliche 1968 in die Schweiz, ins Land des harten Käses. Zuhause ist da, wo man motzen darf, hier aber soll sie dankbar sein. Die neue Umgebung scheint ihr sperrig, distanziert, sie rebelliert gegen das Gastland, das sie unter seine Regeln zwingt und sie nicht sie selbst sein lässt. Aber sie trifft auch auf viele andere Gestrandete, die hoffen, etwas aus ihrem Leben machen zu können: kleine Diebe, Depressive, Schlawiner, Kriegsflüchtlinge, Ausgebeutete, Überangepasste und Naive. Und sie lernt, Exil und Fremdheit als Reichtum zu erfahren, sie wird Brückenbauerin zwischen den Kulturen.
Ein Mann hat alles verloren, seine Geliebte, seinen Beruf, seine Wohnung, er ist hoch verschuldet. Nun lebt er für eine Weile ganz allein auf einer Insel in der Elbmündung und versieht dort den Dienst als Vogelwart. Ein geradezu eremitisches Dasein, das durch einen Anruf durcheinandergewirbelt wird. Anna kündigt ihren Besuch an – jene Anna, die vor sechs Jahren vor ihm geflohen ist und zuvor sein Leben komplett aus den Angeln gehoben hatte. Während Eschenbach sich auf das Wiedersehen mit ihr vorbereitet und seinen Alltagsritualen folgt, besuchen ihn die Geister der Vergangenheit ... Uwe Timm lässt ein konturscharfes Bild unserer Gegenwart entstehen, in der die Partnerwahl einerseits von Optimierungsstrategien, andererseits von entfesselter Irrationalität geleitet wird und immer auf dem Prüfstand steht.
448 Seiten
448 Seiten
144 Seiten
336 Seiten
CHF 35.90
CHF 31.90
CHF 14.90
CHF 29.90
Hanser
S. Fischer
Kiepenheuer & Witsch
Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-446-24323-1
ISBN 978-3-10-032910-3
ISBN 978-3-462-04591-8
ISBN 978-3-462-04571-0
San Miguel
Traumsammler
Die undankbare Fremde
Vogelweide
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Fantastisch! Ein Mitarbeiter von Orell Füssli präsentiert Neuerscheinungen und Geheimtipps aus dem Fantasy-Genre: Bücher für alle, die sich gern in fremde Welten entführen lassen. Marius Leutenegger
«Heute stelle ich drei Bücher vor, die zufälligerweise alle im gleichen Verlag erschienen sind – Heyne trifft offenbar meinen aktuellen Geschmack. Die dickste der drei Neuerscheinungen ist ‹Der rote Krieger› von Miles Cameron. Die Menschen leben im durch hohe Mauern geschützten Königreich Alba. Ausserhalb der Mauern befindet sich die Wildnis voller Dämonen und Drachen. Als eine Nonne in Alba bestialisch ermordet wird, macht sich Angst breit – und alle fragen sich, wie so viel Böses in den geschützten Bereich kommen konnte. Schliesslich wenden sich die Menschen an den roten Krieger. Sie trauen ihm zwar nicht richtig und er ist ihnen auch nicht wirklich sympathisch, aber der rote Krieger gilt als stark, klug und mutig. Er scheint der einzige zu sein, der diesen Mordfall aufklären kann. Bald zeigt sich, dass ein
Zauberer seine dunkle Seite in Alba auslebt. Und es kommt zu überraschenden Wendungen, die ich hier nicht verraten will. Es gibt grossartige, zuweilen etwas gar blutige Schlachten, die wunderbar plastisch beschrieben sind – man kommt sich vor wie im Kino. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass dieses Buch irgendwann verfilmt werden wird. ‹Der rote Krieger› ist High-Fantasy vom Feinsten. Man sagt ja gern, ein Buch habe einen von der ersten Seite an gepackt, aber hier war das wirklich der Fall: Ich konnte das Buch nicht mehr weglegen, kaum hatte ich mit dem Lesen begonnen. Der Schreibstil von Miles Cameron hat mich positiv überrascht. Vieles wird zwar sehr detailliert und ausführlich geschildert, aber es gibt kaum Längen, auch wenn sich die Er-
eignisse erst auf den letzten 400 Seiten überstürzen. Auf dem Buch steht, es werde allen Fans von ‹Games of Thrones› empfohlen, der Kultserie von George R.R. Martin, und das kann ich als solcher nur unterschreiben – ‹Der rote Krieger› kann man jedem Martin-Fan unbesehen in die Hand legen. Das Buch wird aber auch sonst allen gefallen, die epische Fantasy-Romane schätzen. Es gibt ja viele Leute, denen kein Buch zu dick ist! Martin-Fans sind wohl auch mit meiner nächsten Empfehlung gut bedient: ‹Planetenwanderer›, ein Science-Fiction-Abenteuer des Meisters persönlich. Ich liebe Martins Charaktere und ironisch-tapferen Helden; der Engländer hat eine coole Art, seine Protagonisten lebhaft zu gestalten. Auch der Planetenwanderer Haviland Tuf
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ist ein schräger Antiheld. Der Katzenliebhaber reist mit einem Saatschiff durch die Galaxien – das ist ein ehemaliges Kriegsschiff, mit dem einst Genproben von in Schlachten einsetzbaren Monstern eingesammelt wurden. Diese Proben sind immer noch da, Haviland Tuf nutzt sie aber, um damit Gutes zu tun – und um zum Beispiel einen Planeten von einer Riesenkraken-Plage zu befreien. Es passiert zwar ständig etwas, aber in diesem Buch geht’s nicht unbedingt um die Action. Haviland Tuf wird mit immer neuen Problemen konfrontiert, und man ist stets gespannt, wie er sie löst.
«Der Schreibstil von Miles Cameron hat mich positiv überrascht. Vieles wird zwar sehr detailliert und ausführlich geschildert, aber es gibt kaum Längen.»
Auf das dritte Buch, das ich vorstelle, bin ich durch den Klappentext gestossen. Dort wird eine Dystopie angekündigt, also eine Anti-Utopie. ‹Das Testament der Jessie Lamb› von Jane Rogers erzählt davon, wie ein Virus in nicht allzu ferner Zukunft dafür sorgt, dass alle schwangeren Frauen mit ihren Föten sterben – das bedeutet, dass der Menschheit das baldige Ende droht. Mir gefallen solche Endzeit-Dramen, bei denen die Autorin oder der Autor der Frage ‹Was wäre wenn› nachgeht. Es macht mich oft neugierig, welche Antworten angeboten werden. Ein gutes Beispiel für diese Art von Büchern ist ‹Die Stadt der Blinden› von José Saramago. Bei Jane Rogers suchen die Forscher mit Hochdruck ein Mittel gegen den Virus. Schliesslich wird klar, dass man wenigstens den Nachwuchs retten kann, wenn sich die Frauen in ein Wachkoma versetzen lassen und am Ende ihr Leben hergeben. Die 16-jährige Protagonistin Jessie Lamb fällt den Entscheid, sich zu opfern und damit zum Weiterbestehen der Menschheit beizutragen. Ihre Eltern stehen dem völlig machtlos gegenüber. Die Diskussionen zwischen ihnen und Jessie sind spannend und clever gemacht. Das Buch eignet sich für Leserinnen, die sich mit einer 16-jährigen Hauptfigur identifizieren können. Denn es ist aus der Sicht von Jessie geschrieben, und manchmal hatte ich etwas Mühe, deren Gedankengänge nachzuvollziehen. Darüber hinaus gefällt ‹Das Testament der Jessie Lamb› sicher allen, die Dystopien mögen. Ich werde es daher jenen Kundinnen und Kunden empfehlen, die von der ‹Panem›-Trilogie angetan waren.»
Geschrieben wurde ‹Planetenwanderer› bereits in den 1980er-Jahren. Bis ich erfuhr, dass die Geschichten bereits 30 Jahre alt sind, habe ich von ihrem Alter nichts gespürt. Der Roman erschien damals in Fanzines als Fortsetzungsgeschichte; die Kapitel sind daher einzelne Episoden, die sich aber zu einem grossen Ganzen mit Anfang und Ende fügen. Dass die Episoden jetzt erstmals zusammen zwischen zwei Buchdeckeln erscheinen, hat mit dem ungeheuren Erfolg von Martins ‹Games of Thrones› zu tun. Da ich diese Serie momentan geradezu verschlinge, habe ich mir jetzt auch den ‹Planetenwanderer› zu Gemüte geführt – als allerersten Sciencefiction-Roman, den ich gelesen habe. Jedenfalls würde ich sofort wieder eine Geschichte dieses Stils lesen.
Marino Castelli, 28, wohnt in Ruswil und arbeitet bei Orell Füssli am Bellevue. Buchhändler wurde er, weil «ich ein leidenschaftlicher Leser bin und mein Hobby zum Beruf machen wollte». An seiner Tätigkeit schätzt er vor allem, dass er immer neue Bücher entdecken kann – auch dank der Kundinnen und Kunden, die etwas Bestimmtes suchen. Marino liest querbeet, vor allem Krimis und Fantasy-Romane. «Jetzt will ich mich aber noch stärker der Literatur widmen – und die wichtigsten Bücher der bekanntesten Autoren lesen.»
Der rote Krieger Miles Cameron 1166 Seiten CHF 25.90 Heyne
Planeten wanderer George R.R. Martin 511 Seiten CHF 23.90 Heyne
Das Testament der Jessie Lamb Jane Rogers 382 Seiten CHF 23.90 Heyne
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Junge Mitarbeitende von Orell Füssli geben weitere Tipps: Tim Lenny George, 18, lebt in einem Dorf ausserhalb von Bern, hat gerade seine Buchhändler-Lehre im Zürcher Kramhof abgeschlossen und will jetzt die Berufsmatura machen. Künftig arbeitet er in der Filiale Westside in Bern. Sein Tipp: «Silber» von Kerstin Gier. «Seltsame Träume lassen Liv immer wieder aufschrecken. Sie handeln von grünen Türen, deren Türklinken aus Eidechsen bestehen, und von Jungs, die um Mitternacht Rituale auf Friedhöfen durchziehen. Wieso fühlen sich diese Träume so besonders an? Und wieso scheinen die mysteriösen Friedhofsjungen geheime Dinge über Liv zu wissen? Das ist rätselhaft – doch Rätseln konnte Liv noch nie widerstehen ... Ich habe das Buch auf Drängen einer Kollegin gelesen, die davon absolut begeistert war. Mit seinem guten Mix aus High-School-Erlebnissen und zauberhaften Traumwelten hat es auch mich restlos überzeugt. Die Hauptperson Liv ist eher Mauerblümchen als Cheerleaderin; liebenswert-tollpatschig und selbstironisch stolpert, fällt und tapst sie durch die Geschichte. Kerstin Giers Talent, mit einfacher Sprache viel Emotion und Spannung zu erzeugen, gefällt mir sehr. Vor allem der Tittle-Tattle-Blog, das schuleigene Boulevardmagazin, hat mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht. ‹Silber› kreuzt ‹Inception› mit ‹Gossip Girl› – und eignet sich für alle Fans der ‹Edelsteintrilogie›, mit der Kerstin Gier auch schon überzeugte, sowie für die Leserschaft von ‹Panem›. Meines Erachtens ist dieser Auftakt zu einer Trilogie absolute Pflichtlektüre für FantasyFreundinnen und -Freunde!»
Silber Kerstin Gier 410 Seiten CHF 29.90 Fischer FJB
Manuela Bigler, 25, arbeitet in der Kinder- und Jugendbuchabteilung von Orell Füssli im Berner Einkaufszentrum Westside. Am liebsten mag sie Fantasy-Romane. «Bei diesem Genre kann ich am besten abschalten», sagt die Bernerin. Ihr Tipp: «Mystic City» von Theo Lawrence. «Durch die Erderwärmung sind die Polkappen geschmolzen, weite Flächen der Erde sind überschwemmt. In New York leben die Reichen und Schönen glamourös hoch oben in den Wolkenkratzern, der arme Teil der Bevölkerung, vorwiegend magiebegabte Mystiker, haust unten in der fast unerträglichen Hitze der Tiefe. Mystiker sorgen durch die gesetzlich bestimmte Abschöpfung ihrer magischen Kraft für die Energieversorgung der Stadt. Aria, Tochter aus reichem Haus, hat ihr Gedächtnis verloren. Nun steht sie an ihrer eigenen Verlobungsfeier und kennt ihren Verlobten nicht mehr. Aber sie muss ihn sehr geliebt haben – denn sie wollte für ihn alles aufgeben und mit ihm in die Tiefe fliehen. Als Aria auf der Suche nach des Rätsels Lösung nach unten geht und den gut aussehenden Mystiker Hunter trifft, fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Auf ihrer Suche stösst sie auf immer mehr Geheimnisse und Intrigen ... Eines der besten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe. Die Zutaten sind so einfach wie genial: eine Romanze à la Romeo und Julia, gepaart mit einer sich stetig steigernden Spannung. Klar, die Geschichte ist oft vorhersehbar, aber die wenigen Überraschungen sorgen dafür, dass der Spannungsbogen niemals abflaut. Spannend wie ein Thriller, bildgewaltig wie ein Film und kämpferisch wie ‹Panem›.» Mystic City 01. Das gefangene Herz Theo Lawrence 410 Seiten CHF 29.90 Ravensburger
Angelina Rubli, 28, ist im Kanton Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in Dachsen und arbeitet bei Orell Füssli am Bellevue in der Kinder- und Jugendbuchabteilung, weil «ich das die spannendste Literatur finde – sie ist extrem vielseitig, jeden Monat gibt es neue Strömungen». Angelina liest etwa drei bis vier Bücher pro Woche. Ihr Tipp: «Bitterzart» von Gabrielle Zevin. «New York im Jahr 2083. Anya Balanchine ist die Tochter des Mafiabosses, der in der zu dieser Zeit verbotenen Schokoladenproduktion tätig ist. Der Boss wird allerdings ermordet, und nun stellt sich die Frage nach seiner Nachfolge. Anya verliebt sich in Win, den Sohn des Oberstaatsanwalts, doch den beiden ist vorerst kein Glück beschieden: Unwillentlich verabreicht Anya nämlich ihrem ehemaligen Freund Gable eine vergiftete Schokolade, die Polizei ermittelt, und Anya wird in ein Mädchengefängnis gesteckt. Der Vater von Win haut sie zwar raus und kann auch ihre Unschuld beweisen, doch er verbietet seinem Sohn, mit dieser Tochter eines Mafiabosses weiterhin Kontakt zu haben. Werden sich die Verliebten über dieses Verbot hinwegsetzen? Wer übernimmt die Familiengeschäfte der Balanchine? Ich fand die Geschichte super. Sie ist so süss wie Schokolade und so herb wie ein guter Whiskey, der in der Geschichte ebenfalls verboten ist. Empfehlen würde ich ‹Bitterzart› vor allem Mädchen, die gern Romane voller erstaunlicher Wendungen lesen und unübliche Liebesgeschichten mit starken Protagonistinnen sowie süssen Söhnen von Oberstaatsanwälten schätzen. Wer diese Geschichte mag, kann sich das Warten auf die Fortsetzung mit der ‹Arkadien-Trilogie› von Kay Meyer verkürzen.» Bitterzart Gabrielle Zevin 540 Seiten CHF 26.90 Fischer FJB
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Gillian Flynn
Nora Roberts
Tom clancy
Karin Slaughter
«‹Was denkst du gerade, Amy?› Das habe ich sie oft gefragt. Was denkst du? Wie geht es dir? Wer bist du? Wie gut kennt man eigentlich den Menschen, den man liebt?» Genau das fragt sich Nick Dunne am sonnigen Morgen seines fünften Hochzeitstags. An diesem Morgen verschwindet seine Frau Amy spurlos. Die Polizei verdächtigt Nick sofort. Amys Freunde berichten, dass sie Angst vor ihm hatte. Auf der Festplatte seines Computers entdeckt die Polizei merkwürdige E-Mails. Ausserdem hat Nick Amys Geld verwendet, um sein Geschäft aufzubauen – und nebenbei ihre Lebensversicherung erhöht. Aber vielleicht ist ja auch alles gar nicht so, wie es scheint. Was geschah mit Nicks wunderbarer Frau Amy?
Liebe ist Spannung pur: der neue Roman von Nora Roberts erstmals im Taschenbuch! Rowan liebt die Gefahr. Wann immer die Feuerspringerin zu einem Einsatz mit Fallschirmen gerufen wird, um die tödlichen Flammen in den Wäldern Montanas zu bekämpfen, riskiert sie ihr Leben. Doch dann stirbt ihr Kollege Jim bei einem Einsatz. War Rowan wirklich machtlos, wie der attraktive Gull ihr immer wieder versichert? Fast ist sie bereit, sich Gulls Fürsorge hinzugeben, als kurz hintereinander zwei verkohlte Leichen gefunden werden. Der Verdacht fällt auf Rowan. Wird sie ihre Unschuld beweisen und Gull je vertrauen können?
Eine neue Bedrohung. Ein neuer Held. Ein neuer Tom Clancy. Seit Jahren tobt der Konflikt im Mittleren Osten. Nun sieht es danach aus, als dass sich der Kriegsschauplatz verlagert hätte. Die Taliban bedienen sich für ihre Machenschaften eines mexikanischen Drogenkartells und tragen den Kampf ins Heimatland des Erzfeinds: in die Vereinigten Staaten von Amerika. Tom Clancy, der Meister des internationalen Politthrillers, stellt uns seinen neuen Helden vor: Ex-Navy-SEAL Max Moore. Und dieser steht allein gegen alle Feinde.
Dr. Sara Linton, Krankenhausärztin in Atlanta, Georgia, will ihr Leben neu ordnen. Doch als es zu einer Reihe grausamer Folterungen und Morde kommt, kann die ehemalige Rechtsmedizinerin aus Grant County nicht tatenlos zusehen. Sie schaltet sich in die Ermittlungen von Will Trent und Faith Mitchell vom Georgia Bureau of Investigation ein – auch wenn die Ereignisse schmerzhafte Erinnerungen in ihr wecken, die sie eigentlich hinter sich lassen wollte. Die Ermittlerin Faith Mitchell hat neben dem Fall noch ganz private Probleme, die sie in den Griff bekommen muss. Der Täter nimmt darauf aber keine Rücksicht und mordet einfach weiter ...
576 Seiten
623 Seiten
864 Seiten
587 Seiten
CHF 27.90
CHF 15.90
CHF 15.90
CHF 15.90
FISCHER Scherz
Diana
Heyne
Blanvalet
ISBN 978-3-502-10222-9
ISBN 978-3-453-35740-2
ISBN 978-3-453-43719-7
ISBN 978-3-442-37478-6
Gone Girl – Das perfekte Opfer
Sommerflammen Gegen alle Feinde
Tote Augen
40 | im schaufenster
Books Nr. 3/2013
Ein reicher Schatz an Leben Mit «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» liefert Alex Capus einen weiteren Beleg seiner stupenden Erzählkunst. Marius Leutenegger
Marco Grob
ausgeprägtem Gespür für aussagekräftige Details. Und ähnlich wie bei «Leon und Louise» schöpft Capus auch beim neuen Roman aus tatsächlichen Geschehnissen – die drei Personen, die im Titel genannt werden, haben alle gelebt. Der Fälscher ist Emile Gilliéron, der 1851 in Villeneuve am Genfersee zur Welt kam, mit dem Archäologen Heinrich Schliemann nach Griechenland ging und sich dort als «Restaurator» betätigte – Gilliéron gestaltete die Fantasien seiner Auftraggeber, schuf Fresken oder entwarf anhand einzelner Fundstücke grandiose Altertümer, die es so wohl nie gab. «Steht man vor dem Palast von Knossos, an dem Gilliéron arbeitete, fühlt man sich irgendwie an Art déco erinnert», erzählt Capus. «Kein Wunder: Das ist Art déco! Gilliéron und später auch sein Sohn prägten mit ihrem Stil unsere Vorstellung vom alten Griechenland, sie erfanden eine ganze Hochkultur – und das ist eine Leistung, die Respekt verdient.»
Recherchiert in den USA Bei der Spionin im Buch handelt es sich um Laura d’Oriano, Tochter von Musikanten, die im osmanischen Reich herumtingelten
Alex Capus
Das letzte Buch von Alex Capus, der Roman «Leon und Louise», war ein Knüller: Die Kritik überschlug sich fast vor Euphorie, und die Verkaufszahlen schossen sozusagen durch die Decke des Buchhandels. Die zarte, zwei ganze Menschenleben dauernde Liebesgeschichte von Leon und Louise, die vor dem Hintergrund eines schrecklichen europäischen Jahrhunderts spielt, sprach offenbar ein sehr breites Publikum an. «Nach einem solchen Buch ein neues Projekt an die Hand zu nehmen, ist nicht leicht», gibt Alex Capus unumwunden zu. Kein Schriftsteller möchte schliesslich zu hören bekommen, sein letztes Buch habe besser gefallen – daher ist auch die Versuchung gross, ein Erfolgskonzept wieder und wieder zu kopieren. Alex Capus ist dieser Versuchung zum Glück nicht erlegen:
Sein neuestes Buch «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» – nach seiner Aussage sein ungefähr fünfzehntes – ist in vielerlei Hinsicht ganz anders als «Leon und Louise».
Beschreibungen, die haften bleiben Parallelen gibt es natürlich schon: Auch mit dem neuen Buch zeigt Alex Capus, welch hervorragender Schriftsteller er ist. Müsste man diesen Text kürzen, würde man wohl scheitern – jedes Wort sitzt, die Sprache scheint so ideal gemeisselt wie eine Statue von Praxiteles. Nie spürt man schriftstellerische Koketterie, alles fliesst ganz wunderbar. Und immer wieder stösst man auf kurze Beschreibungen, die haften bleiben; Capus erweist sich in diesen Passagen als aufmerksamer Beobachter mit
ml. Alex Capus kam 1961 in der Normandie als Sohn eines Franzosen und einer Schweizerin zur Welt. Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte er bei seinem Grossvater in Paris. Dann zog er mit seiner Mutter nach Olten. Er studierte Geschichte, Philosophie und Ethnologie in Basel und arbeitete als Journalist und Redakteur bei verschiedenen Tageszeitungen sowie bei der Schweizer Depeschenagentur. Sein erster Erzählband erschien 1994: «Diese verfluchte Schwerkraft». Seither hat er rund ein Dutzend weiterer Bücher publiziert, die in viele Sprachen übersetzt wurden und zahlreiche Preise gewannen. Oft verbindet Capus in seinen Werken sorgfältig recherchierte Fakten mit fiktiven Erzählebenen; einige seiner Publikationen sind Sammlungen literarischer Porträts und historischer Miniaturen. Einen Namen gemacht hat sich Capus auch als Übersetzer der Romane von John Fante und John Kennedy Toole. Alex Capus lebt noch immer in Olten. Dort besitzt er mit dem «Flügelrad» auch eine eigene Beiz – gemeinsam mit seinem Schriftstellerfreund Pedro Lenz («Der Goalie bin ig»). Capus ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.
und schliesslich in Südfrankreich sesshaft wurden. Laura wollte Sängerin werden, war aber nicht gut genug. Vom Studium in Paris nach Südfrankreich zurückgekehrt, lernte sie einen Schweizer kennen, mit dem sie während der Wirtschaftskrise in
im schaufenster | 41
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dessen Heimatdorf Bottighofen zog. Weil ihr der Thurgau zu eng war, flüchtete Laura nach kurzer Zeit wieder zurück ans Mittelmeer, wo sie durch Zufall Spionin für die Alliierten wurde. Doch lange dauerte ihr Leben als Mata Hari nicht – 1943 kam ihr die zweifelhafte Ehre zu, als einzige Frau im Königreich Italien hingerichtet zu werden. «Ich las alle Verhörprotokolle», erzählt Capus, «eine sehr reiche Quelle! Leider schickte mir das Archiv in Rom Scans aller Protokolle auf einer CD, so dass sich meine geplante Italienreise erübrigte.» Trotzdem konnte Capus für sein neues Buch ins Ausland reisen: In den USA recherchierte er über seine dritte Figur, den Bombenbauer. Dabei handelt es sich um den Zürcher Felix Bloch, der 1951 den Nobelpreis für Physik gewann. Die Gräuel des Ersten Weltkriegs stiessen Bloch als jungen Mann derart ab, dass er eine Tätigkeit suchte, die sich mit Sicherheit nie für den Krieg verwenden liesse. Er glaube, sie bei der jungen Quantenphysik gefunden zu haben – am Ende landete er aber dennoch beim Manhattan-Projekt, das die erste Atombombe hervorbrachte. «Bloch steckte in einem ethischen Dilemma», sagt Alex
Capus: «Sollte er helfen, die schlimmste Waffe zu bauen, um damit den Holocaust zu stoppen? Immerhin gehörte er dann aber zu den wenigen Leuten, die aus dem Manhattan-Projekt ausstiegen.»
Begegnung wäre denkbar gewesen Der neue Roman handelt also von drei Leben und hat drei Handlungsfäden. Was haben die drei Figuren miteinander zu tun? Zur Antwort erzählt Alex Capus aus seiner Kindheit in Olten. «Ich sass oft am Bahnhof und beobachtete die Leute; es gefällt mir immer noch, einfach dort zu sitzen und diesen reichen Schatz an Leben an mir vorbeiziehen zu lassen. Es hat mich immer beeindruckt, wie viele Menschen meinen Lebensweg kreuzen, ohne dass wir voneinander Notiz nehmen – und als Kind stellte ich mir manchmal vor, wie es wäre, einfach einmal mit Leuten mitzugehen und sie durchs Leben zu begleiten.» Mit dem neuen Buch richtet er jetzt den Fokus auf drei Leute, deren Wege sich vielleicht auch einmal kreuzten – 1924 am Bahnhof in Zürich. «Eine Begegnung wäre zumindest möglich gewesen», sagt der Autor. «Ich halte allerdings schon ganz am Anfang des
Buchs fest, dass die drei Handlungsstränge nicht zusammenkommen werden.» Dennoch bleiben die drei Hauptfiguren miteinander verbunden: «Am Ende dreht sich alles um die Frage, ob man seine Lebensträume und Ideale verwirklichen kann oder nicht. Der eine ist Künstler und will es nicht sein. Die andere will Künstlerin sein und ist es nicht. Der Dritte will einer Sache ausweichen und gerät dann doch in sie hinein. Ich selber bin jetzt 52 Jahre alt, und in diesem Alter stellt man sich natürlich gewisse Fragen: Hat man wirklich die Begabung, das zu tun, was man gern macht? Tut man das Richtige?» Als Leser glaubt man im Fall von Alex Capus die Antwort zu kennen: Als Schriftsteller ist er am richtigen Platz. Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer 272 Seiten CHF 29.90 Hanser
Neue Bücher bei Diogenes
512 Seiten, Leinen, sFr 32.90*
352 Seiten, Leinen, sFr 32.90*
336 Seiten, Leinen, sFr 32.90*
Ein junges marokkanisches Fußballteam hält Amsterdam in Atem. Ein dubioser jüdischer Geschäftsmann entdeckt plötzlich sein gutes Herz. Väter und Söhne finden schicksalhaft zueinander, eine alte Liebesgeschichte flackert wieder auf… Der neue atemberaubende Thriller von Leon de Winter!
»Kein Schriftsteller, der bei Trost ist, schreibt eine Autobiographie«, lautet der erste Satz. Urs Widmer hat die eigene Warnung in den Wind geschlagen und ein großartiges Erinnerungsbuch verfasst. Eine persönliche Geschichte aus den für die Weltgeschichte so entscheidenden Jahren 1938 – 1968.
Eine Prinzessin von Sansibar, die mit einem Hamburger Kaufmann durchbrennt. Mit dieser verbotenen Liebe beginnt die spannende Saga einer westöstlichen Familie zwischen Europa und der arabischen Welt. Ein historischer Roman nach der wahren Geschichte von Emily Ruete.
*unverbindliche Preisempfehlung
42 | Kinderwelt
Books Nr. 3/2013
Zum Lachen!
Kinder sind fröhliche Wesen – deshalb gibt es für sie auch viele ausnehmend humorvolle Bücher. Unsere Fachfrau für Kinderbücher hat einige der witzigsten Neuerscheinungen aus dem Regal gezupft. Marius Leutenegger
© Beltz & Gelberg
Solche Piraten will Polly im Buch von Matthias Weinert an ihrer Geburtstagsparty sehen.
«Als Buchhändlerin und Mutter weiss ich, wie sehr Kinder und Jugendliche lustige Bücher mögen. Und ich bewundere oft, mit wie viel Humor gute Autorinnen und Autoren auch ernsthafte Themen behandeln können. Meine erste Empfehlung ist allerdings ein reiner Spass: ‹Pollys Piratenparty› des Hamburger Illustrators Matthias Weinert. Dieses comicartige Bilderbuch hat so viel Atmosphäre! Es erzählt von einer Gruppe von Piraten, die von der kleinen Polly zu einer Geburtstagsparty eingeladen werden – und die sich jetzt riesig auf den Kuchen freuen. Doch Fred, der Bordkakadu, wird zum Spielverderber. ‹Kein Bad, kein Kuchen›, sagt er. Also baden die Piraten. Doch das reicht Fred nicht. ‹Kein Schick, kein Kuchen›, ‹Kein Geschenk, kein Kuchen› – so geht es ständig weiter. Als die Piraten dann geschniegelt und mit einer schön eingepackten Puppe bei Polly eintreffen, ist das Mädchen ausser sich: Es wollte mit einem Haufen Piraten feiern und nicht mit diesen sauberen Herren! Im Moment muss ich dieses Buch meinem drei-
jährigen Bub jeden Abend erzählen. Ihm gefällt besonders, wie entsetzt die Piraten darüber sind, dass sie baden müssen. Und natürlich liebt er, wie Fred am Schluss an den Masten gefesselt wird. ‹Pollys Piratenparty› ist das Lieblingsbuch meines Sohns – meine eigene LieblingsNeuerscheinung ist ‹Familie Grunz hat Ärger› von Philip Ardagh, übersetzt von Harry Rowohlt und illustriert von Axel Scheffler. Vater und Mutter Grunz sind zwei stinkende, streitsüchtige, betrügerische Ekelpakete, die einem sofort ans Herz wachsen. Zusammen mit ihrem Sohnemann – der aber gar nicht ihr richtiger Sohn ist – machen sie sich in einem Wohnwagen auf den Weg, einen Elefanten zu kaufen. Unterwegs begegnen sie den seltsamsten Gestalten. Zum Beispiel einem Mann, der in einer grossen Gummitomate lebt. Oder dem Herrn Schlecht, der einen gierigen Grossgrundbesitzer namens von Guuth bekämpft. Die Geschichte führt zu einem regelrechten Showdown, bei dem
alle Handlungsfäden zusammenkommen – für jedes skurrile Element und jede Figur gibt es dann eine Erklärung. Dieses Buch ist spannend, witzig, liebenswert, humorvoll, da steckt einfach alles drin. Man kann es Kindern ab dem Kindergartenalter vorlesen. Oder es gleich selber verschlingen. Auch das nächste Buch ist ein Volltreffer: ‹Pow!› von Michael Fry. Ein gutes Beispiel dafür, wie humorvoll man ein eigentlich ernstes Thema behandeln kann – vor allem, wenn man Engländer ist. ‹Pow!› gefällt sicher allen ‹Greg›-Lesern, denn es ist comicund tagebuchartig gestaltet. Hauptfigur ist der elfjährige Paul, der leider viel zu klein ist für sein Alter. Er wird ständig von Roy gehänselt und jeden Morgen ins Schliessfach gesteckt. Irgendwann beschliesst die Schulpsychologin, Paul zusammen mit der Bohnenstange Molly und dem Nerd Karl in eine Bande zu stecken – in der Überzeugung: Halten die Unbeliebtesten zusammen, werden sie stärker. Die drei bekommen den Wachdienst übertragen. Vor allem
Kinderwelt | 43
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© NordSüd
sen sich Amanda und zwei ihrer Freundinnen an einer Pizza. Paula geht es tags darauf hundsmiserabel, und sie kann nicht zur Schule gehen. Amanda und ihre Freundin bauen darauf eine Paula aus Ballonen, damit niemand merkt, dass die echte Paula gar nicht da ist. Und diese Ballon-Paula, die nicht platzen darf, schleppen die Mädchen nun von einer Lektion zur nächsten ... Diese grandiose Ausgangslage nutzt Kjartan Poskitt für geniale Szenen und Dialoge. Ein Jugendbuch mit so originellen Ideen habe ich noch nie gelesen – es ist einfach total unterhaltsam und eignet sich vor allem für Mädchen ab etwa 10 Jahren. Im Buch von Autor Philip Ardagh und lllustrator Axel Scheffler hat die Familie Grunz tatsächlich viel Ärger!
aber beschliessen sie, Roy auf eigene Faust das Handwerk zu legen ... An diesem Buch gefällt mir besonders, dass der Autor seine Figuren nicht schwarz-weiss gestaltet. Roy ist nicht einfach böse, sondern er hat einen Grund, warum er sich so verhält. Darüber hinaus ist das Buch aber einfach umwerfend komisch. Dasselbe lässt sich auch von der nächsten Neuerscheinung sagen: ‹Amanda Babbel und die platzende Paula› von Kjartan Poskitt. In der Schulklasse von Amanda war in diesem Jahr noch niemand krank, und die Lehrerin verspricht: Wenn ihr das bis Ende Jahr durchhaltet, gehen wir zur Belohnung ins Mumienmuseum. Darauf freut sich die ganze Klasse. Doch eines Abends überes-
Auch das nächste Buch richtet sich wohl eher an Leserinnen: ‹Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt› von Emmy Abrahamson. Grandios witzig! In erster Linie geht es um eine Mutter-Tochter-Beziehung, der Vater arbeitet gerade irgendwo in Amerika. Dass die Mutter aus Polen stammt, spielt keine Rolle – sie ist einfach eine Frau, die in schwierigen Zeiten aufgewachsen, supersparsam und eigentlich total schräg ist. Tochter Alicja ist aber selber megaschräg. Sie gerät ständig in superpeinliche Situationen, in die sie oft von ihrer Mutter getrieben wurde; einmal muss Alicja ihre Cousine zum Papstbesuch begleiten, und da geht alles schief. Trotzdem halten Mutter und Tochter am Ende eisern zusammen – denn man kann natürlich nur so schön streiten wie Alicja und ihre polnische Mutter, wenn man einander wirklich liebt.»
Testleserinnen und Testleser von 8 bis 12 gesucht! Niemand weiss besser, was jungen Lesern gefällt, als die jungen Leser selbst. Deshalb sucht Orell Füssli gemeinsam mit dem Kindermagazin «Spick» Buben und Mädchen für die Testleser-Gruppe. Sie dürfen während eines halben Jahrs bei uns so viele druckfrische Bücher ausleihen, wie sie möchten. Zu jedem Buch schreiben sie eine kurze Besprechung, die dann – zusammen mit einem Porträtbild – in den Buchhandlungen und im «Spick» veröffentlicht wird. Sich für die Testlese-Gruppe zu bewerben, ist ganz einfach: Bist du zwischen 8 und 12 Jahre alt, schickst du uns bitte ein Foto von dir und eine kurze Besprechung deines Lieblingsbuchs. Bitte sag uns in fünf Sätzen, worum es im Buch geht, was dir daran gefallen hat und wem du dieses Buch empfiehlst. Foto und Besprechung – sowie deine Adresse – kannst du uns per E-Mail oder Post schicken: isabel.hammer@books.ch Orell Füssli Buchhandlung, Kramhof, Füsslistrasse 4, 8001 Zürich
Nicole Stäuble, 40, ist Buchhändlerin bei Orell Füssli in Frauenfeld; sie hat einen dreijährigen Sohn. «Ich machte bereits meine Lehre zur Buchhändlerin bei Orell Füssli», erzählt sie. Schon in der Lehre seien Kinder- und Jugendbücher für sie das Grösste gewesen, denn «dieser Bereich ist so vielseitig – und fast so etwas wie eine Buchhandlung in der Buchhandlung!» Ausserdem könne man die Kundinnen und Kunden, die Kinderbücher suchten, richtig beraten: «Die meisten Leute sind dankbar für Empfehlungen, weil sie sich mit den Neuerscheinungen nicht so gut auskennen.»
Pollys Piratenparty Matthias Weinert 32 Seiten CHF 23.90 NordSüd
Familie Grunz hat Ärger Philip Ardagh, Axel Scheffler (Illustrationen) 240 Seiten CHF 19.90 Beltz & Gelberg
Pow! Michael Fry 240 Seiten CHF 19.90 Dressler
Amanda Babbel und die platzende Paula Kjartan Poskitt, David Tazzyman (Illustrationen) 208 Seiten CHF 21.90 Sauerländer
Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt Emmy Abrahamson 214 Seiten CHF 19.90 dtv
44 | Buchtipps
Books Nr. 3/2013
Marisha Pessl
Milena Moser
Ka Hancock
Nicholas Sparks
Ashley ist tot – gerade einmal 24 Jahre alt, eine Leiche in einer verlassenen Lagerhalle Manhattans. Tief unten im Schacht leuchtet rot ihr Mantel. Ein Unfall? Oder Selbstmord? Und was hat Cordova, der übermächtige Vater und besessene Filmemacher, mit ihrem Tod zu tun? Der Schlüssel zum Geheimnis liegt in seinen magischen Filmen, die nach und nach zu einer Wirklichkeit werden, aus der es kein Entkommen gibt. «Die alltägliche Physik des Unglücks» machte Marisha Pessl 2006 weltberühmt – jetzt kehrt die New Yorkerin mit einem donnernden Paukenschlag zurück.
Zwei Frauen in der Mitte ihres Lebens, beide in der Krise: Nevada ist krank und lernt gerade damit umzugehen. Immer noch unterrichtet sie Yoga, und das so erfolgreich, dass ihr eine Klasse mit schwierigen, absturzgefährdeten Mädchen anvertraut wird. Erika dagegen beschliesst, angesichts ihres Versagens als Mutter und Ehefrau das zu tun, was ihr niemand zutraut: Sie verlässt ihr luxuriöses Zuhause am Zürichberg und zieht in eine heruntergekommene Vorstadtsiedlung. Dort lernt sie Nevada kennen, die sich unverhofft verliebt. Mit Witz, Verve und voller Zuneigung lockt Moser ihre Figuren durch existentielle Höhen und Tiefen. Eine intensive Liebesgeschichte rund um Schmerz, Krankheit und Trennung.
Vielleicht hätten Lucy Houston und Mickey Chandler sich nie verlieben dürfen. Und erst recht nicht heiraten sollen. Denn beide haben ein schweres Schicksal zu tragen. Doch die Liebe geht ihre eigenen Wege, und so führen Lucy und Mickey eine ungewöhnliche, aber glückliche Ehe. Als ihr Leben eine dramatische Wendung nimmt, wird die Kraft ihrer Gefühle jedoch einer harten Prüfung unterzogen.
Mit 17 verlieben sich Dawson und Amanda ineinander. Sie werden ein Paar – obwohl ihre Familien nicht unterschiedlicher sein könnten und die Beziehung nach Kräften bekämpfen. Ein Jahr lang hält die Liebe, dann trennen widrige Umstände und ein Schicksalsschlag die beiden. Erst als 25 Jahre später ein gemeinsamer Freund stirbt, sehen sich Dawson und Amanda wieder. Erneut sind sie von den Gefühlen füreinander überwältigt, aber mit beiden hat es das Leben nicht nur gut gemeint. Sie haben wichtige Entscheidungen getroffen, die sie nachträglich bereuen. Kann ihre Liebe, die schon einmal ihr Leben verändert hat, die Vergangenheit überwinden und die Zukunft von Dawson und Amanda prägen?
800 Seiten
320 Seiten
528 Seiten
400 Seiten
CHF 36.90
CHF 29.90
CHF 32.90
CHF 15.90
S. Fischer
Nagel & Kimche
Knaur
Heyne
ISBN 978-3-10-060804-8
ISBN 978-3-312-00576-5
ISBN 978-3-426-65322-7
ISBN 978-3-453-40864-7
Die amerikanische Nacht
Das wahre Leben
Tanz auf Glas
Mein Weg zu dir
Mein Buch | 45
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Nur noch schnell ein Buch kaufen Wir möchten von Orell-Füssli-Kundinnen und -Kunden wissen: Welches ist Ihr liebstes Buch? Heute antwortet Fabienne Dirbach aus Zürich. Erik Brühlmann
Ferienzeit – Lesezeit! Das gilt auch für die 15-jährige Fabienne Dirbach, die sich zusammen mit ihrer Mutter in der Orell Füssli Filiale am Flughafen Zürich mit Ferienlektüre eindeckt. «In letzter Zeit bin ich ziemlich oft hier, da wir öfter mal fliegen», sagt sie. Diesmal geht es erst nach London, dann nach Schweden und Finnland. «Und bald reisen wir sogar nach Japan!», freut sich die Schülerin.
Fabienne Dirbach liest viel, zum Teil natürlich gezwungenermassen die Pflichtlektüre in der Schule. «In meiner Freizeit mag ich lieber Krimis und Fantasy-Geschichten wie die ‹Panem›-Saga.» Allzu viele Bücher stehen trotzdem nicht bei ihr zu Hause – vielleicht, weil sie E-Books vorzieht? «Nein, denn vom Lesen von E-Books bekomme ich Kopfschmerzen», erzählt sie. Vielmehr sei es so, dass sie Bücher häufig aus der Bibliothek hole oder dass sie mit ihren Kameradinnen und Kameraden Bücher austausche. «Mal hat jemand dieses Buch, ein anderer jene Trilogie – so hat man immer Lesestoff.» Apropos Trilogie: Fantasy-Autoren haben ja einen Hang, ihre Serien ins Unendliche fortzusetzen ... «Und meist folge ich den Serien auch bis zum Schluss», sagt Fabienne. An eine Serie könne sie sich allerdings erinnern, bei der sie vorzeitig aufgab. «Da habe ich nach dem fünften Band aufgehört, weil es irgendwie immer dasselbe war.»
und die Geschichte ist mir einfach geblieben – nicht nur, weil meine Cousine auch Flavia heisst!» In der Geschichte, die mit dem renommierten «Dagger Award» ausgezeichnet wurde, geht es um ein Mädchen, das eines Morgens im Gurkenbeet eine Leiche findet. Verdächtigt wird Flavias Vater, der sich am Vortag mit dem Verstorbenen gestritten hat. Flavia macht sich auf die Suche nach dem wahren Mörder. «Gefallen hat mir, wie Flavia mit der Wissenschaft, vor allem mit Chemie, arbeitet, um den Fall zu lösen», sagt Fabienne. «Und dass Flavia eine Giftmischerin ist, die ihren Schwestern ständig Streiche spielt. Einmal stellt sie Enthaarungscrème her und tauscht sie gegen das Shampoo ihrer Schwester aus ...» Ein Roman, der Krimifans wohl ebenso begeistern wird wie Leserinnen und Leser, die mit ihren Geschwistern noch ein Hühnchen zu rupfen haben!
Flavia de Luce – Mord im Gurkenbeet Alan Bradley 382 Seiten CHF 14.90 Blanvalet
Für unsere Rubrik empfiehlt Fabienne Dirbach den Krimi «Flavia de Luce – Mord im Gurkenbeet» von Alan Bradley. «Ich habe das Buch vor ein oder zwei Jahren gelesen,
URSUS & NADESCHKIN
JOACHIM RITTMEYER «ZWISCHENSAFT»
«Reif für den Oskar»
DI 17. – FR 20. SEP / DI 26. – SA 30. NOV
DI 24. / DO 26. – SA 28. SEP
MI 16. OKT Premiere / DO 17. – SA 19. OKT
«SECHSMINUTEN»
20.00 Uhr, CHF 60.– / 40.– / 30.–
20.00 Uhr, CHF 50.– / 40.– / 30.–
HUTZENLAUB & STÄUBLI
20.00 Uhr, CHF 55.– / 45.– / 35.–
Kartenbestellung und weitere Infos: www.casinotheater.ch oder Telefon 052 260 58 58
46 | Kochbücher
Books Nr. 3/2013
Guter Geschmack – und gutes Gewissen Beim Thema vegane Ernährung gingen die Meinungen bisher deutlich auseinander. Nun gibt es eine Trendwende. Auch Fleischesser zeigen sich interessiert: Es zählt, was schmeckt. Neue Kochbücher animieren dazu, vegane Gerichte auszuprobieren. Markus Ganz
«Vergessen Sie alles, was Sie bisher über vegane Küche gehört haben», heisst es in der Einführung zu Jérôme Eckmeiers neuem Kochbuch «Vegan. Tut gut – schmeckt gut!». Bisher war die Meinung vorherrschend, der Verzicht auf Fleisch, Eier und Milchprodukte bedeute zwangsläufig auch ein Verzicht auf kulinarischen Genuss. Jérôme Eckmeier möchte mit seinem zweiten Kochbuch belegen, dass seine Rezepte in erster Linie von der Leidenschaft für gutes Essen geprägt sind. Dass Mensch, Tier und Umwelt von der veganen Ernährung profitieren, ist eher ein zusätzlicher Nebeneffekt. Mit dieser Argumentation hat sich auch der Kreis der Menschen geöffnet, die sich zumindest hin und wieder vegan ernähren. Während Vegetarier heute recht verbreitet sind – sie essen auch Eier und trinken Milch –, bleiben reine Veganer, die oft auch aus weltanschaulichen Gründen gänzlich auf Tierisches verzichten, nach wie vor selten: In Deutschland wurde ihr Anteil 2008 auf 0,1 Prozent der Bevölkerung geschätzt. Doch mittlerweile probieren auch Fleischesser vegane Gerichte aus und bauen sie nach Lust und Laune in den Speiseplan ein. Hauptsache, es schmeckt; wenn es auch noch sinnvoll ist, umso besser. «In Berlin floriert der vegane Lifestyle», schrieb «Der Tagesspiegel». Vegane Supermärkte verbreiten sich mittlerweile in ganz Deutschland, und auch im «Schnitzel-Land» Österreich hat der erste Laden seine Türen geöffnet. Und mit «Eva's Apples» gibt es seit diesem Frühling auch in Zürich einen Laden, der sich auf rein vegane Produkte beschränkt. Jérôme Eckmeier betont in «Vegan. Tut gut – schmeckt gut!», dass für seine Rezepte alle Zutaten im normalen Supermarkt oder im Bioladen erhältlich seien. Nicht immer
vorhanden und bei veganen Gerichten besonders wichtig sind hingegen Fantasie und Erfahrung. Und über die verfügt Jérôme Eckmeier, kochte er doch einst in renommierten Restaurants für Gäste wie Prince Charles und Helmut Kohl. Trotzdem verspricht er, dass all seine Rezepte wie etwa vegane Pizzataschen oder «Pikanter Wirsing-Auflauf mit getrockneten Aprikosen» leicht nachzukochen und alltagstauglich seien. Dabei helfen auch Grundrezepte und Tipps, wie man beispielsweise am besten Milchprodukte ersetzt.
Spass mit der Punk-Küche Auch Uschi Herzer und Joachim Hiller liegt viel daran, die vegane Küche von ihrem schlechten Ruf zu befreien. «Veganismus ist nur cool, wenn er ohne erhobenen Zeigefinger auskommt», schreiben sie in «Kochen ohne Knochen – Das Ox-Kochbuch 5». Entsprechend munter und witzig präsentieren sie ihre Rezepte, die «von Punks und nicht nur für Punks» seien. So führen sie zu den Gerichten jeweils passende Songs an, und nicht etwa nur von Punk-Musikern: Beim «Maulwurf-Tiramisu» darf es auch Eros Ramazzotti sein. Musiker und bekannte Figuren der VeganSzene haben Gastrezepte beigesteuert. Mille von der bekannten Thrash-Band Kreator verrät, wie er Tofuscheiben mit Wurzelgemüse zubereitet. Und Kriminalbiologe Mark Benecke zeigt, wie man einen schmackhaften «Reste-Auflauf» zubereitet. Trotz des unkonventionellen Ansatzes bieten die beiden Autoren ein seriöses und umfassendes Kochbuch. Sie präsentieren neben Grundlagen auch komplette Menüs und aufwändigere Gerichte – und zeigen, dass es gar nicht so schwer ist, ohne Eier, Käse und andere Tierprodukte auszukommen. Dazu gehört, wie man Fleischalterna-
tiven aus Soja und Seitan einsetzt. Die Autoren stellen aber auch Rezepte vor, die ohne Anlehnung an Gerichte mit Fleisch und Milchprodukten auskommen. Zum Buch gehören auch «Das Einmaleins der veganen Ernährung» von Dr. Markus Keller sowie allgemeine Infos zum Veganismus.
Aus aller Welt Justin P. Moore ist Veganer und Weltenbummler, der auf seinen Reisen in über 40 Länder viele lokale Gerichte kennen- und liebengelernt hat. Manche waren bereits vegan, bei anderen wandelte er das Rezept entsprechend ab; oft liess er sich auch zu Eigenkreationen inspirieren. Über 100 dieser Rezepte hat er zu seinem neuen Kochbuch «The Lotus and the Artichoke – Vegane Entdeckungen eines Weltreisenden» zusammengefasst. Darunter findet man auch vegane Varianten von Klassikern wie der vietnamesischen Pho-Suppe oder des russischen Bœuf Stroganoff. Ergänzt werden die Rezepte mit persönlichen Geschichten und Anekdoten. Auch Surdham Göb lässt sich von den Ess erfahrungen in fremden Ländern inspirieren. Der deutsche Autor, der Bali seine zweite Heimat nennt, ist seit 16 Jahren Chefkoch in verschiedenen veganen Restaurants. Dank dieses Hintergrunds kann er in seinem Kochbuch «Meine veganen Superfoods» eine euro-asiatische Küche präsentieren, die neue Geschmackserlebnisse eröffnet. Dies ist auch auf die Verwendung sogenannter «Superfoods» zurückzuführen. Damit meint Göb Lebensmittel wie Rohkakao, Lucuma, Maca und Gojibeeren, die über einen besonders hohen und konzentrierten Anteil an wertvollen Nährstoffen verfügen. Die 70 Rezepte reichen von originellen Frühstücksideen und Snacks über spezielle Drinks und Suppen bis zu abwechslungsreichen Hauptspeisen.
Gesund für Körper und Geist Der Bestseller-Autor Ruediger Dahlke hat mit seinen Büchern Brücken zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde sowie zwischen Religion und spiritueller Philosophie geschlagen. In «Peace Food – Das vegane Kochbuch» überträgt der Arzt und Psychotherapeut seine Erkenntnisse auf die praktische Ernährung. Eine rein pflanzliche Ernährung bringe nicht nur dem Planeten und seinen tierischen wie menschlichen Bewohnern Frieden. Als Argumente führt er in seiner ausführlichen Einleitung an, dass Menschen «keinen natürlichen Impuls» hätten, Tiere zu essen,
Kochbücher | 47
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und dass Tierprotein zudem schädlich sei. Wer sich vegan ernähre, baue ein «regelrechtes Schutzschild gegen die gravierendsten Krankheitsbilder der Moderne» auf. Sein Fazit: Eine ausgewogene pflanzliche Kost sei der beste Garant für ein langes gesundes Leben. Deshalb hat Dahlke seine Lieblingsköche gebeten, für dieses Buch ihre besten veganen Rezepte preiszugeben: Unter den 90 vorgestellten Gerichten findet man auch bekannt klingende wie Veggie-Burger, Scrambled (V)eggs und Spaghetti Sojanese.
Szegediner Gulasch – rustikal und deluxe (Rezept aus dem nebenan vorgestellten Buch «Kochen ohne Knochen»)
Vegan. Tut gut – schmeckt gut! Jérôme Eckmeier 192 Seiten CHF 31.90 Dorling Kindersley
Für 2 Personen
Zutaten: Kochen ohne Knochen – Das Ox-Kochbuch 5 Uschi Herzer und Joachim Hiller 192 Seiten CHF 16.90 Ventil
The Lotus and the Artichoke – Vegane Entdeckungen eines Weltreisenden Justin P. Moore 216 Seiten CHF 31.90 Ventil
Meine veganen Superfoods Surdham Göb 122 Seiten CHF 29.90 AT
Peace Food – Das vegane Kochbuch Dahlke, Ruediger 192 Seiten CHF 29.90 Gräfe & Unzer
600 g Weinsauerkraut 2 mittelgrosse Zwiebeln 1 rote Spitzpeperoni 400 g Seitan Olivenöl 0,5 l dunkles Hefeweissbier Wacholderbeeren 2 Lorbeerblätter Kreuzkümmel gemahlener Kreuzkümmel 1-2 EL Gemüsebouillon schwarzer und roter Pfeffer scharfer und süsser Paprika 1 kleine Dose geschälte Tomaten 500 ml Tomatenpassata Sojasahne Sojasauce
Zubereitung: Tag 1: 1. Klein geschnittene Zwiebeln und Knoblauch mit Kreuzkümmel und Wacholderbeeren mit etwas Olivenöl in einem grossen Topf leicht andünsten. Die Spitzpeperoni in kleine Scheiben schneiden und dazugeben. 2. Das Weinsauerkraut plus Lorbeerblätter dazu geben und weiter andünsten. Nach etwa 5 Minuten mit ca. 0,2 l Hefeweissbier aufschütten und den Rest nach und nach im Lauf des Kochvorgangs dazugeben. Mit Gemüsebouillon abschmecken (ca. 1-2 EL).
3. Nach ca. 10 Minuten die geschälten Tomaten und das Tomatenpassata dazumischen. Mit süssem und scharfem Paprika, schwarzem und rotem Pfeffer sowie Chili würzen. Das Ganze mit etwas gemahlenem Kreuzkümmel verfeinern. 4. In der Zwischenzeit den gewürfelten und anschliessend in Sojasauce eingelegten Seitan in einer Pfanne kurz anbraten und danach das Gulasch beimengen. Bei fertig gekauftem Seitan entfällt das Einlegen in Sojasauce, diesen also nur würfeln und anbraten. 5. Vorgekochte Kartoffel grob schneiden und in einer Pfanne mit etwas Olivenöl und Rosmarin anbraten. 6. Das Gulasch in einem flachen Teller nebst den Kartoffeln anrichten. Tag 2: 1. Den Rest Szegediner Gulasch vom Vortag mit ca. 120 ml Sojasahne verfeinern und im Topf langsam erhitzen. 2. In der Zwischenzeit die Kamuthörnchen nach Kochanweisung in etwas Salzwasser kochen (ca. 10 Minuten). 3. Kamuthörnchen in Olivenöl schwenken, in einen Pastateller geben und das Gulasch draufpacken.
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Books Nr. 3/2013
Das Literatur-Kreuzworträtsel Unter den richtigen Lösungen verlosen wir Gutscheinkarten von Orell Füssli: 1. Preis: CHF 200.–, 2. Preis: CHF 100.–, 3. Preis: CHF 50.–, 4. bis 10. Preis: je CHF 20.–.
✁ Lösungswort: Vorname / Name Adresse Bis zum 15. November 2013 in einer der Orell-Füssli-Filialen in Zürich, Basel, Bern, Winterthur, Frauenfeld, am Flughafen Zürich oder bei Rösslitor Bücher in St. Gallen abgeben – oder per E-Mail senden an: books@books.ch. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.
PLZ / Ort E-Mail
VERANSTALTUNGEN | 49
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Veranstaltungen von Orell Füssli September
Oktober
bis 30. Filiale Kramhof, Zürich 20-Jahr-Jubiläum
2.
Diverse Veranstaltungen
16. Kellerbühne St. Gallen, St.Georgen-Str. 3,
20 h
«Laure Wyss»
4.
Lesung und Gespräch mit der Biografin Barbara Kopp, veranstaltet von der Kellerbühne in Zusammenarbeit mit der Filiale Rösslitor
18. Filiale Kramhof, Zürich
«Das verwunschene Geschenk»
20. Filiale Rösslitor, St.Gallen
20 h
«Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer»
13-16 h
Papa Moll und sein Zeichner kommen zu Besuch Filiale Kramhof, Zürich
27. Tonhalle Zürich
20 h
L-Reihe: «Sprechen wir über Eulen – und Diabetes»
5.
Filiale Marktgasse, Winterthur Nachmittag
5.
Filiale Kramhof, Zürich
23. Kellerbühne St. Gallen, St.Georgen-Str. 3 «Gleis 4»
Lesung mit Franz Hohler, veranstaltet von der Kellerbühne in Zusammenarbeit mit der Filiale Rösslitor
24. Filiale am Bellevue, Zürich
20.30 h
«Maria Rosenblatt» Buchvernissage mit Corinna T. Sievers. Moderation: Denis Scheck
17. Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich
20 h
2.
Filiale Marktgasse, Winterthur
13-16 h
Globi kommt zu Besuch Filiale Kramhof, Zürich
13-15 h
Theo der Bär kommt zu Besuch
18-20 h
Zürich liest: «Stressfrei glücklich sein»
11. Filiale Rösslitor St.Gallen
20 h
Literaturcafé mit der Frauenzentrale
Buchpräsentation mit Alain Sutter
25. Filiale Marktgasse, Winterthur
19 h
Zürich liest: Lesung und Diskussion mit Milena Moser und Katharina Faber 20.15-22 h
Buchhändlerinnen und Buchhändler stellen Bücher vor
14. Filiale Marktgasse, Winterthur
17-20 h
23. Filiale Frauenfeld
10.30 h
23. Filiale Rosenberg, Winterthur
13-16 h
Handanalysen mit Monika Hauser
Märlischtund
Reading with Stefan Bachmann
25. Filiale Bellevue, Zürich
20.30 h
Globi kommt zu Besuch
Zürich liest: «In Küstennähe»
25. Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich
26. Filiale am Bellevue, Zürich
18.30 h
Zürich liest: «Carola & Heinz»
Drawing Class 10.30 h
Lesung mit Bernd Schroeder, Peter Gaymann zeichnet live dazu
Märlischtund
26. Filiale The Bookshop, Zürich
Gabriel Palacios
Zürich liest: Saturday Night Special
Buchpräsentation und Demonstration
Music, Drinks and Discount
30. Hotel Einstein, Berneggstrasse 2, St. Gallen 20 h
20 h
L-Reihe: «Ein gutes Herz»
13-16 h
«Diary of a Wimpy Kid»
28. Filiale Frauenfeld
November
2.
Veranstaltet mit der Filiale Kramhof
Lesung mit Joachim B. Schmidt
26. Filiale The Bookshop, Zürich
Anmeldung direkt im Laden oder unter info.frauenfeld@books.ch
17-20 h
Zeichnen mit Greg Kinderveranstaltung im Rahmen des 20-Jahr-Jubiläums des Kramhofs
19 h
Lesezirkel
Theo der Bär kommt zu Besuch
25. Filiale The Bookshop, Zürich
13-14.30 / 15-16.30 Uhr
Lesung mit Milena Moser, veranstaltet von der Kellerbühne in Zusammenarbeit mit der Filiale Rösslitor
30. Filiale Frauenfeld
Zürich liest: «The Whatnot»
25. Filiale Kramhof, Zürich
20 h
«Das wahre Leben»
13-15 h
25. Filiale Kramhof, Zürich 20 h
29. Kellerbühne St. Gallen, St.Georgen-Str. 3
Theo der Bär kommt zu Besuch
L-Reihe: Lesung mit Daniel Kehlmann
Lesung mit David Sedaris, veranstaltet mit der Filiale Kramhof
Erstaufführung des Kinderkonzerts und Buchvernissage, veranstaltet vom Globi Verlag und von der Filiale Bellevue
Spannung zum Geburtstag
Handanalysen mit Monika Hauser
21. Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich
11 h
Zürich liest: «Musik mit Globi – Eine Reise in die Welt der Töne».
20.15 h
10. Filiale Marktgasse, Winterthur
Lesung mit Alex Capus
10.30 h
Märlischtund
Filiale Kramhof, Zürich
Zum 20-Jahr-Jubiläum veranstaltet der Kramhof einen grossen Krimiabend mit BestsellerAutorin Ingrid Noll, Richterin Barbara Salesch und Forensikerin Lydia Benecke. Teilnahme kostenlos, nur mit Anmeldung: veranstaltungen.kramhof@books.ch
14-15 h
Katja Alves und Boni Koller erzählen aus ihrem Kinderbuch; Kinderveranstaltung im Rahmen des 20-Jahr-Jubiläums des Kramhofs
26. Filiale Frauenfeld
18.30-22 h
Lesung mit Leon de Winter, veranstaltet mit der Filiale Kramhof
Dezember 9. Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich
20 h
L-Reihe: Lesung mit Hans Magnus Enzensberger Veranstaltet mit der Filiale Kramhof
Mehr Veranstaltungen und Informationen finden Sie auf www.books.ch
50 | Kolumne
Schweizer Autorinnen und Autoren erzählen in «Books», warum sie schreiben. Heute: Corinna T. Sievers Ich habe einen Brotberuf. Ich bin Kieferorthopädin. Ärztin kann man nicht ein bisschen sein. Mein Handy ist sieben Tage die Woche empfangsbereit, rund um die Uhr. Hat jemand am Sonntagnachmittag ein Problem, eile ich in die Praxis. Ausserdem bin ich Schriftstellerin. Ich habe gelernt, nachts zu schreiben. Wenn die Kinder schlafen und alles still ist, setze ich mich an den Laptop. Der steht auf einem winzigen, runden Tischchen hoch oben auf dem Dachstock eines Bauernhauses von 1659 (die Zahl ist in den gewaltigen Balken geschnitzt, der sich über meinem Kopf befindet). Aus dem Fenster blicke ich über den schwarzen See. Neben mir steht ein Glas Wein. Ab vier Uhr morgens Kaffee. Der Stoff kommt zum Schriftsteller, nicht umgekehrt. Ich habe eine allenfalls vage Vorstellung von der Handlung meines Romans, skizziere ihn auf weniger als einer halben Seite und warte. Beethoven hat gesagt, der liebe Gott habe ihm seine Musik nächtens ins Ohr gebrüllt. Auch noch, als er längst taub war. Er, Beethoven, brauche sie morgens bloss noch zu notieren. So ähnlich geht es mir auch. Meine Figuren kommen um Mitternacht. Ich rufe sie nicht. Plötzlich sind sie da und erzählen mir ihre Geschichten. Bisweilen sind es traurige Geschichten oder gewaltsame. Fast immer unartige. Häufig sehen die Figuren aus wie Menschen, die ich allzu gut kenne. Der Mann, den ich liebe, ist dabei, Freunde, Kollegen. Meine Kinder. Die Figuren lassen nicht locker. Ich schreibe auf, was sie zu sagen haben. Dabei scho-
Books Nr. 3/2013
ne ich niemanden. Manchmal lache ich, manchmal weine ich. Gelegentlich schäme ich mich. Um mit Kafka zu sprechen: «Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.» Literatur muss brutal ehrlich sein, sonst ist sie wertlos. Damit ist gemeint, dass der Schriftsteller sein Inneres nach aussen kehrt, sei es vordergründig oder zwischen den Zeilen.
Schriftsteller sind manisch. Sie müssen es sein. Aus ihrer Besessenheit entsteht im besten Fall Literatur. Solche erhoffe ich mir in den Nächten an meinem winzigen, runden Tischchen oberhalb des schwarzen Zürichsees. Den Schlaf hole ich nach, wann immer es geht.
Jedoch – im Prozess des Schreibens entfernen sich die Romanfiguren von ihren leibhaftigen Vorbildern. Was diese gesagt oder getan haben, unterliegt einer immer stärkeren Verwandlung. Gegen die der Autor machtlos ist. Die schriftstellerische Fantasie drängt sich in die Realität. Die an Torschlusspanik leidende Ärztin Phoebe aus meinem ersten Roman «Samenklau» hat nur noch entfernt mit mir zu tun, das Kind Ute aus «Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in seiner Schöpfung» ist nicht mehr jenes behinderte Mädchen aus meinem Dorf, das sieben Mal tötete, um sich zu befreien. Gerade erschienen ist mein Krimi «Maria Rosenblatt», der auch eine Liebesgeschichte ist. Ich habe mir einige skurrile Eigenschaften meines Ehemanns geborgt (er hat zugestimmt), ich schöpfe aus dem Fundus einer zwanzigjährigen Beziehung, aber es ist nicht unsere Ehe, die ich dort beschreibe. Irgendwann tippe ich das letzte Wort. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Hat die erste Niederschrift ein Jahr in Anspruch genommen, dauert es mindestens ebenso lange, den Text zu überarbeiten. Ich gehe ihn unzählige Male durch. Ich verknüpfe die Worte zu einer Melodie. Zwei Jahre sind vergangen. 300 Liter Kaffee getrunken. Schon lange bin ich des Textes überdrüssig. Ich vernachlässige meine Kinder und den Mann, den ich liebe. Es ist an der Zeit, mich vom Text zu trennen. Der Roman geht an den Lektor (und kehrt danach noch viele Male zu mir zurück). Es war Inspiration und Knochenarbeit.
Corinna T. Sievers Corinna T. Sievers, 48, studierte Politik, Medizin und Zahnmedizin. Sie betreibt am Zürichsee eine Praxis als Kieferorthopädin. 2010 erschien ihr Debütroman «Samenklau», jetzt hat sie einen Krimi verfasst – er feiert am 24. September 2013 um 20.30 Uhr in der Filiale am Bellevue Premiere.
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