JÜRGEN DURNER translucent
JÜRGEN DURNER t ra n s l u ce n t
Bildsplitter, 2000 Öl auf Leinwand 45 x 50 cm
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T IEF S T E N ACH T – HEL L S T ER TAG
In meinen Bildern versuche ich eine Dramaturgie des Lichtes zu finden, die das hellste Licht und den dunkelsten Schatten zueinander ausreizt. Der Untertitel dieser Ausstellung „Tiefste Nacht - Hellster Tag“ setzt einfach nur die Pole für meine permanente Auseinandersetzung mit der Palette. Mich hat in der Ölmalerei von Anfang an die dünne Schicht interessiert, man könnte sie auch Lasur nennen. Das Wechselverhältnis von transparenter und pastoser Ölfarbe läßt eine gewisse Komplexität des materiellen Farbgeschehens auf der Leinwand entstehen. Aus einer bestimmten Grundfarbe, die anfangs auf die gesamte Fläche der Leinwand aufgetragen wird, entwickelt sich nach und nach das Bildgeschehen. Dabei wird die erste Farbschicht durchwegs den Charakter der Farbigkeit bestimmen. Je länger in transparenten Schichten aufgetragen wird, desto länger leuchtet die erste Farbschicht in Variationen nach oben hindurch. Dieses innere Leuchten nenne ich Transluzenz. An bestimmten Stellen des Bildes kann dieses Leuchten durch einen weiteren farbgleichen, aber pastosen Farbauftrag verstärkt, oder durch dichtere Komplementärfarbe abgeschwächt werden. Ein Gemälde zieht sich bei Betrachtung aus der Ferne zusammen, das heißt, wir sehen den Farbauftrag des Pinsels nicht mehr richtig. Das Auge illusioniert oder besser ergänzt die Farbflecken zu einem Gewebe der Realitätsbeschreibung. Wir sehen das Bild nahezu so, als sei es die Wirklichkeit selbst. Aus diesem Grund erlaube ich mir, große und breite Pinsel zu verwenden und die Sprödigkeit des Farbauftrags als natürliche Unschärfe mit in die Bildwirkung einzubauen.
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Mein Antrieb ist immer das Sehen selbst. Alles, was in mein Auge fällt, könnte gemalt werden, wir nennen es Netzhaut-Realität. Ich bin eigentlich immerzu am auswerten und aussortieren, ob die Netzhaut-Bilder für ein gemaltes Bild taugen oder nicht. Erst wenn mich das Gesehene wirklich emotional bewegt, versuche ich eine Komposition dafür anzugehen. Ich fotografiere und versuche einen Niederschlag des ursprünglich Gesehenen ins Atelier zu bringen. Endlose Fotos, die hin- und her gedreht werden, ob sie mit dem Ort der Wahrnehmung und der dazugehörigen Begeisterung noch etwas gemeinsam haben. Collagieren, Ausschneiden, Zusammenkleben, Wegschneiden. Dann springt mich plötzlich wieder etwas an. Daraufhin bestimme ich eine Bildgröße, einen Rahmen, ein Format der Leinwand. In dieses Format wird hineinkomponiert, die Farbe hineingeworfen. Keine Projektion, kein Fotorealismus. Die Abzüge regen an und klären Details. Sie sind klein und werden nebenbei zur Überprüfung herangezogen. Ich lese mich in sie hinein, ich spinne mich hinein bis zur Umformung, zur berstenden Übertreibung. Zum Ende hin leuchtet das gemalte Bild und die Fotografien verblassen, erscheinen wertlos. Die Fenster der Stadt sind meine Bilder. Die Membran der Glasscheibe ist die Projektionsfläche für meine Leinwand. Das Glas wirkt durchsichtig oder verspiegelt, oftmals beides. Die durchsichtige, aber gleichzeitig verspiegelte Glasscheibe ist das Spielfeld meiner Malerei. Der Raum hinter der Scheibe wird von den Reflexen des Spiegels auf der Scheibe angegriffen, konterkariert, aufgelöst. Innen und Außen verschränken sich. Im Zusammentreffen oder besser der visuellen Überlagerung der Gegenstände des Inneren und der Gegenstände des Äußeren entsteht eine Kulmination im Bild, ein Höhepunkt der visuellen Realität. Gleichzeitig wandelt sich das reale Geschehen in ein abstraktes Geschehen.
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Die Abstraktion im vermeintlich Realen wirkt verstörend, irritierend. Innen und Außen verkehren sich. Der Betrachter sucht nach Orientierung. Das Bild muss untersucht werden. Die Dauer der Betrachtung öffnet das Auge für die Farben. Erst im Verweilen des Blicks kann Sehen sich entfalten. Der eigentliche Träger der Idee meiner Malerei ist die Musik. Sie ist der immerwährende Hintergrund, der das Spiel der Farben als Klang bestimmt. Die Bildarchitektur rhythmisiert sich durch viele vertikale Schnitte. Der Filter des Glases wirkt als Zeitmodus. Spiegelreflexe fräsen sich wie ein chorales Echo in den Bildraum. Sie lassen das Bild in ein Fließen übergehen, das Bild verflüssigt sich. Eigentlich sollte man meine Bilder eher hören als sehen, oder beim Sehen schon ins Hören übergehen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass es eine Synästhesie der Malerei mit der Musik gibt. Ein Bild sollte für mich den Anspruch einer Transformation beinhalten. Die Welt des Alltags, die Banalität der Dinge, die uns umgeben, werden durch spiegelnde Scheiben überblendet und damit in einen anderen Kontext gebracht. Der Blick durch eine geriffelte Glasscheibe verwandelt den Raum dahinter, verflüssigt ihn. Die verwitterten Plakatreste auf einer sonnenbeschienenen Mauer bekommen ein Eigenleben und lassen mythische Figuren auftauchen. Die konkave Scheibe verzerrt die Realität ihrer Spiegelebene durch ein Zusammenziehen der Formen, so dass sie viel länger und dünner werden, ihr Volumen einbüßen. Eine spiegelnde Folie verzerrt die Reflexe des Raums bis ins Abstrakte, der Raum scheint zusammenzubrechen. Die Farbreste eines alten Bildes verselbstständigen sich und werden zu einem lyrischen Gebilde.
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Wir alle sehen unterschiedlich. Jeder hat eine Eigenheit in seinem Wahrnehmen. Als Maler finden wir nach und nach heraus, was die eigenen Besonderheiten sind. In meinem Fall gibt es ein Bedürfnis nach Genauigkeit, aber zugleich auch nach Auflösung der strengen Form. Cremonini, mein Lehrer in der École des Beaux Arts de Paris, meinte damals, ich hätte ein eingebautes Teleobjektiv in meinen Augen. Alles werde herangezogen und größer gesehen, als es im Verhältnis ist. Mit diesem Umstand muss ich vor der Leinwand kämpfen. Es entsteht immer ein Sog durch den inneren Zoom. Die Darstellung der Gegenstände erleidet dadurch eine gewisse Deformation. Diese Umgestaltung kann jedoch auch als Eigenheit des Blicks gelten und wirken. Zusätzlich gibt es in mir ein Bedürfnis nach Rätselhaftigkeit. Als Kind waren es die Gewässer mit Fischen, die mich angezogen haben, weil ich sie nicht richtig sehen konnte, sie sich unter der Wasseroberfläche dem Blick entzogen haben. Auf den Wanderungen mit der Familie war ich immer derjenige, der vom Weg abkam und sich am Bachgrund herumgetrieben hat. Mich hat diese halbdurchsichtige und teilweise verspiegelte Wasseroberfläche angezogen. Es ist doch eigenartig, dass sich derartige persönliche Eigenarten durchs ganze Leben ziehen und den ganzen künstlerischen Modus bestimmen können. Jürgen Durner
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Mauerwerk, 2017 Öl auf Leinwand 85 x 70 cm
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Rauschgold, 2021 Öl auf Leinwand 60 x 60 cm
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Piano, 2016 Öl auf Leinwand 60 x 50 cm
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Zerbrechendes Weltbild, 2021 Öl auf Leinwand 180 x 180 cm
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Spielraum, 2015 Öl auf Leinwand 90 x 90 cm
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Katzenaugen, 2019 Öl auf Leinwand 140 x 190 cm
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Subversion, 2022 Öl auf Leinwand 150 x 220 cm
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Erschütterung, 2019 Öl auf Leinwand 140 x 190 cm
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Jürgen Durner 1964 geboren in Nürnberg 1984 Praktikum an den Städtischen Bühnen in Nürnberg In Zusammenarbeit mit Jürgen Kötter Erstellung eines Bühnenbilds für Hans Werner Henzes Kinderoper „Policino“ Beginn des Studiums der freien Malerei bei Prof. C. Colditz an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg 1989–1990 Gaststudium der Philosophie an der Universität Erlangen 1990 Stipendium des Deutsch-Französischen Jugendwerks / Paris 1991 Studium bei Leonardo Cremonini an der Ecole des Beaux Arts in Paris 1992 Meisterschüler / Atelier in Berlin Lucas-Cranach-Förderpreis der Stadt Kronach Deutscher Kunstpreis Frankfurt 1996 Debütantenpreis der Bayerischen Staatsregierung Erster Preis beim Kunstpreis der Sparkasse Karlsruhe 1997 Bühnenbild für die Kammeroper Die Briefe Van Gogh’s von Grigori Frid mit dem Neuen Musik- theater Erlangen im Rahmen der 6-Tage-Oper Nürnberg 1998 Kulturförderpreis der Stadt Fürth 2002 Arbeitsaufenthalt in New York 2003 Arbeitsaufenthalt in London
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Austellungen (Auswahl) 1992 Eröffnungsausstellung zum Deutschen Kunstpreis in der 2010 Kunsthalle „Schirn”, Frankfurt 1993 11. Bundeswettbewerb deutscher Akademien; Ausstellungen im Kunstverein Bonn und der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig 2011 1994 Kunstverein Kronach Kunsthalle Nürnberg, Kunstraum Franken 1997 Ausstellung im Neubau der Bayerischen Staatskanzlei in München 2012 1998 Galerie Stühler, Berlin; Bilder des Nicht-Bildes 1999 Große Jubiläumsausstellung für junge Kunst im Haus der Kunst, München Galerie Münch, Amberg 2013 2000 Beteiligung am Ausstellungsprojekt Zeit des Kulturring C der Stadt Fürth; Raumarbeit Der Ursprung der Welt für Film, Text und Bild Galerie Stühler, Berlin; Das Bild im Bild Galerie Seeling, Fürth; Die Öffnung des Spiegels Große Kunstausstellung im Haus der Kunst, München 2001 Kunstraum Franken 2000; Ausstellung im Kunsthaus Nürnberg 2014 Kunstverein Weiden; Reisebilder Palais Stutterheim, Erlangen; Colours 2002 Große Kunstausstellung im Haus der Kunst, München 2003 Spitäle, Würzburg; Fensterspiegelbilder 2015 Galerie Stühler, Berlin; New-York-Bilder Galerie Seeling, Fürth; Das Innere des Spiegels 2004 Ausstellung zum Buch ...bis ins Innere des Spiegels 2016 Galerie Seeling, Fürth 2005 Galleria Graziosa Giger, Leuk/Schweiz; Lichtblick 2006 Galerie Waßermann, München; Translucent Membranes 1. Kunstpreis der Kreissparkasse Esslingen/Nürtingen; Die Magie des Realen 2017 Galerie Brötzinger Art, Pforzheim; Gegen-Bild mit Michael Hirschfeld Bernsteinzimmer, Nürnberg; Wasserspiegelbilder 2007 Open Art München, Galerie Waßermann 2018 Pinakothek der Moderne, München; Von Abts bis Zmijewski, Werke aus der Sammlung Gegenwartskunst Galerie Brennecke, Berlin; Whats new? 2008 Galerie Barbara Ruetz, München; Uncertain Spaces Art Karlsruhe, One-Artist-Show mit Galerie Brennecke 2019 Galerie Brennecke, Berlin; bis ins Innere des Spiegels 2009 Galerie Barbara von Stechow, Frankfurt; Spiegelräume Galerie Brennecke, Berlin; After the Gold-Rush 2020 Staatsgalerie für moderne Kunst im Glaspalast Augsburg; Malerei ist immer abstrakt 2021 Kunsthalle Schweinfurt, Fokus Franken - Triennale Schweinfurt für zeitgenössische Kunst
HSBC Trinkaus & Burkhardt, Frankfurt am Main; ausgetragen von Galerie Barbara von Stechow Städtische Galerie Fürth; Disappearance. Der hermetische Spiegel Kunstmuseum Erlangen; Disappearance. Der transparente Spiegel Art Karlsruhe, One-Man-Show, Galerie Barbara Ruetz Munich Contempo, Galerie Barbara Ruetz Art.Fair Köln, Galerie Barbara Ruetz Kunst 11 Zürich, Galerie Barbara von Stechow Kunsthaus Nürnberg; Und der Gewinner ist... Galerie Atzenhofer, Nürnberg; Jürgen Durner - hellsichtig Galerie Ruetz, München; Verdichtungen (mit Adrian Maryniak) TÜV Rheinland, Nürnberg; Kunstsommer LGA White Brush Gallery - André Schnaudt, Düsseldorf; dazwischen Art Fair Köln, Galerie Barbara Ruetz Galerie Atzenhofer, Nürnberg; Rotlicht Galerie an der Pinakothek der Moderne, München; Jubiläumsausstellung, 20 Jahre Galerie Barbara Ruetz Galerie Atzenhofer, Nürnberg; Illusion und Wirklichkeit Ortung VIII, Schwabach; Im Zeichen des Goldes Galerie Barbara Ruetz, München; Invisible Galerie Malchers, Bergisch Gladbach - urban views art Karlsruhe, one-man-show, Galerie Ruetz Galerie Atzenhofer, Nürnberg; Jürgen Durner - unsichtbar White Brush Gallery - André Schnaudt, Düsseldorf; Landschaft Punto Sull Arte, Varese, Italien; Ritmi e Toni Kunstverein Kaponier, Vechta; Das Sichtbare im Unsichtbaren Galerie Keller, Paris; Art Hybride Stadtmuseum Lindau, Cavazzen; Möglichkeiten einer Insel Galerie in der Promenade, Fürth; UNheimlich Galerie Atzenhofer, Nürnberg; Schein und Welt Galerie Kremers, Berlin; Portraits Abspannwerk Berlin-Adlershof; My Sweet Electric Chair Malerei von Durner, Gastl, Thol Galerie von Stechow, Frankfurt; Gerd Winter / Jürgen Durner / Mathias Will Galerie Barbara Ruetz, München; Ausweitung des Kosmos Kunstverein Wolfenbüttel; Im Auge des Spiegels Galerie Schmalfuss, Berlin; Jürgen Durner mit Fredder Wanoth - Die Innenwelt der Außenwelt Galerie Schmalfuss, Berlin; Thema Architektur MCL, Metz (F), Galerie Raymond Banas; La Nuit et l’Invisible Galerie Schmalfuss, Marburg; Die Innenwelt der Außenwelt, Teil 2 Atelier Jürgen Durner, Berlin; Malerei von Sid Gastl, Peter Thol und Jürgen Durner Galerie Barbara Ruetz, München; Neue Arbeiten Positions Art Fair, Berlin; Galerie Schmalfuss Part 2 Gallery, André Schnaudt, Düsseldorf; Delirium Galerie Schmalfuss, Berlin; Urban Life
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JÜRGEN DURNER translucent 29.03. – 05.05.2022 Text: Jürgen Durner Grafische Gestaltung: Marie Hareiter N°
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Fotos: Friedhelm Hoffmann (S. 3, 9-21) Marcus Schneider (S. 22-25) Druck: Triggermedien, Berlin Auflage: 200 © 2022 O&O Depot