Unesco - Weltkulturerbe

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Unesco-Weltkulturerbe Stiftsbezirk St. Gallen


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Unesco-Welterbe 1972 hat die Uno-Organisation

für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) das «Internationale Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt» verabschiedet. Inzwischen haben es 176 Staaten unterzeichnet. Es ist das international bedeutendste Instrument, das jemals von der Völkergemeinschaft zum Schutz ihres kulturellen und natürlichen Erbes beschlossen wurde. Damit hat es sich die Unesco zur Aufgabe gemacht, die Kultur- und Naturgüter der Menschheit, die einen «aussergewöhnlichen universellen Wert» besitzen, zu erhalten.

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Im Jahr 1983 wurden als erste schweizerische Kulturstätten das Kloster St.Johann Müstair in Graubünden, der Stiftsbezirk St. Gallen und die Altstadt von Bern auf die Liste des Kultur- und Naturerbes der Menschheit gesetzt. Damit umfasste diese 165 Objekte. Heute (Frühjahr 2004) stehen im Verzeichnis 754 Stätten in 129 Ländern.

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Das sanktgallische Welterbe machen – die barocke Klosteranlage mit der Stiftskirche, – die Überreste der frühmittelalterlichen Anlage und Elemente der Gotik, – die Stiftsbibliothek und – das Stiftsarchiv aus. Das Karlstor aus dem 16. Jahrhundert und zusätzliche Bauten aus dem 19. und 20. Jahrhundert können im weiteren Sinne dem Stiftsbezirk zugerechnet werden. So stellt dieser einen einmaligen Ausdruck einer 1200-jährigen Geschichte, vom Frühmittelalter bis in die Gegenwart, dar.

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Gallusplatz

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Kathedrale

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Westflügel mit Stiftsbibliothek und Lapidarium

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Hofflügel

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Neue Pfalz

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Karlstor

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Nord- oder Zeughausflügel mit Stiftsarchiv

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Schutzengelkapelle


Das Kloster St. Gallen Um 612 errichtete Gallus, einer der Begleiter des Iren Kolumban auf seiner Missionsreise auf dem Kontinent, im Steinachtal eine Einsiedelei und scharte einige gleichgesinnte Jünger um sich. Nach seinem Tod blieb sein Grab ein Ort der Verehrung. Ums Jahr 719 trat der am Bischofshof von Chur herangebildete Priester Otmar, ein Alemanne, begleitet wohl von einigen rätisch-romanischen Mitbrüdern, an die Spitze der St.Galler Gemeinschaft. Er baute die geistliche Niederlassung des Gallus zu einem eigentlichen Kloster aus, das von 747 an die Benediktsregel befolgte. Die Abtei erreichte bald eine europäische Ausstrahlung. Dank Schenkungen erlangte das Kloster St. Gallen vom 8. bis zum 10. Jahrhundert rasch einen reichen Güterbesitz. Im Spätmittelalter wurde es zu einem Klosterstaat, einem geistlichen Fürstentum mit geschlossenem Territorium und einigen auswärtigen Besitzungen wie Ebringen im Breisgau, Wasserburg am Bodensee oder Neuravensburg im Allgäu. Das Kloster war als Reichsabtei Glied des Deutschen Reichs, zugleich konnte es sich 1451 als Zugewandter Ort mit der Alten Eidgenossenschaft verbinden. Stürmische Zeiten erlebte die Abtei während der Reformation (um 1530) und im Zeitalter der Französischen Revolution (ab 1793). 1805 hob der junge Kanton St. Gallen Kloster und Klosterstaat auf. 1847 wurde das Bistum St. Gallen gegründet. In kultureller Hinsicht bildeten das 9. bis 11. Jahrhundert die Blütezeit des Klosters St. Gallen. Der Dichter Notker der Stammler, der Künstler und uomo universale Tuotilo, Notker der Deutsche als Schöpfer einer lateinisch-althochdeutschen Sprachkultur, der Chronist Ekkehart IV., die Äbte Gozbert und Grimald oder Abtbischof Salomon sind Beispiele herausragender Gestalten dieser Zeit. Weitere kulturelle Höhepunkte waren das Spätmittelalter (spätes 15. und frühes 16. Jahrhundert) und das Zeitalter des Barocks (von Mitte des 17. bis Ende des 18. Jahrhunderts).

Stiftsbezirk und Altstadt


Kathedrale Die Stiftskirche St. Gallen (heute Kathedrale) ist ein Werk des späten Barocks. Sie stellt eine der letzten monumentalen Klosterbauten des Barocks im Abendland dar. Erbaut wurde sie von 1755 bis 1767 unter der Leitung des Vorarlberger Baumeisters Johann Michael Beer von Bildstein. An der Planung des Baus waren auch die renommierten Baumeister Peter Thumb und Johann Caspar Bagnato beteiligt. Das langgestreckte Gebäude der Kathedrale besteht aus Chor und Langhaus, beide gleich lang, verbunden durch einen mittleren Querbau, eine Rotunde. Die Doppelturmfassade ist von der Stadt abgewendet und auf die Pfalz gerichtet. Die Türme sind 68m hoch. Das Giebelrelief zeigt die Himmelfahrt Mariens. Darunter sind die Statuen des gallischen Bischofs Desiderius und des römischen Soldatenmärtyrers Mauritius zu sehen. Gallus soll Reliquien dieser beiden Heiligen mit sich getragen haben. Die rückwärtige Kirchenfassade, zur Stadt hin, ist bescheiden dekoriert, eine Muttergottesstatue ziert sie. Der Haupteingang der Kathedrale führt vom Klosterhof in die Rotunde. Eine Büste des Erlösers und die Statuen von Petrus und Paulus (unten) und Gallus und Otmar (oben) erheben sich über und neben dem Portal. In der Giebelbekrönung ist das Wappen des Bauherrn, des Abts Cölestin Gugger von Staudach, zu sehen. Auf der Gegenseite der Rotunde sieht man die Heiligen Benedikt und Magnus, Eusebius und Notker, im Giebelaufsatz das Wappen der St. Galler Mönchsgemeinschaft mit dem sitzenden Gallus und dem Bären.

Kathedrale

Im Chor vor der Rotunde ist das Chorgestühl aus Nussbaumholz, in zwei Teilen mit je drei Reihen und insgesamt 84 Sitzen, künstlerisch besonders wertvoll. Die zehn Reliefs an den Rückwänden zeigen Szenen aus dem Leben des heiligen Benedikt. Die Ostkrypta, die im Grundbestand bis ins 9. Jahrhundert zurückreicht, birgt das Grab des heiligen Gallus und ein Stück seines Schädels in einem

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modernen Reliquiar sowie die Überreste der drei letzten St.Galler Äbte. Im hintersten Teil des Langhauses, unter der Empore, liegt die ins 10. Jahrhundert zurückreichende Westkrypta mit der Gruft des heiligen Otmar und der Bischöfe von St. Gallen. Der Kirchenraum ist üppig ausgemalt, mit Stuckaturen verziert, die Innenausstattung reich mit Schnitzereien versehen. Das grossartige Kuppelgemälde zeigt das Paradies und die acht Seligkeiten der Bergpredigt. Die weiteren Malereien und Bildwerke stellen die christliche Botschaft, die grossen Heiligen der alten Kirche, die St. Galler Heiligen und die Geschichte des Klosters dar. Das Bildprogramm ist Ausdruck eines grossartigen theologischen Gedankengebäudes: Kein Bild, keine Stuckatur, keine Schnitzerei ist zufällig.

Gallusplatz, Kathedrale und Westflügel

In der Kirche herrscht eine heitere Stimmung, bewirkt durch das helle Licht und die leichten lehmgelben und malachitgrünen Stuckaturen.

Westflügel mit Stiftsbibliothek und Lapidarium

Namhafte, vor allem aus Süddeutschland stammende Künstler haben an der inneren und äusseren Ausstattung der Stiftskirche mitgewirkt, allen voran Christian Wenzinger, Bildhauer, Maler und Baumeister aus Freiburg im Breisgau. Weiter sind hervorzuheben die Bildhauer Josef Anton Feuchtmayer und Franz Anton Dirr, der Maler Josef Wannenmacher und die Gebrüder Johann und Mathias Gigl, Stuckateure aus Wessobrunn.

Die Stiftsbibliothek zählt zu den ältesten und schönsten Bibliotheken der Welt. Bereits im 8. Jahrhundert verfügte das Kloster St. Gallen über eine Sammlung von Büchern, die sich rasch vermehrte. Der heutige Bibliotheksraum entstand zwischen 1758 und 1767 unter der Leitung des Bregenzerwalder Baumeisters Peter Thumb, welcher auch bei der Errichtung der Stiftskirche eine entscheidende Rolle spielte. Jedes Jahr besuchen um die 100000 Personen die darin gezeigte Ausstellung wertvoller Manuskripte. Durch 34 Fenster erhellt, erzeugt das reichliche Holzwerk eine freundliche, warme Atmosphäre. Diese Inneneinrichtung schufen klostereigene Kunsthandwerker unter der Leitung des aus dem Allgäu stammenden Klosterbruders Gabriel Loser. Die grossen Deckengemälde, welche die vier ersten Konzilien darstellen, sind Werke des bereits im Zusammenhang mit der Kathedrale genannten Josef Wannenmacher. Die Stuckaturen führten die ebenfalls schon erwähnten Gebrüder Gigl aus.

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Stiftsbibliothek und ein Exponat

Über dem Portal des Bibliotheksraumes laden zwei Putten mit dem griechischen Schriftband «Psyches iatreion» = «Seelen-Apotheke» zum Besuch ein. Die Bibliothek soll als «geistige Unterstützung» der Besucher und Benützer, als «Heilstätte der Seele», dienen. Zwanzig Putten begleiten den Besucher rund um den Bibliothekssaal. Sie verkörpern Künste, Wissenschaften und Handwerk. Vielleicht sind sie erst nachträglich in die Bibliothek gelangt, sie tragen indes viel zum Reiz dieses wunderschönen Saales bei.

Die Stiftsbibliothek besitzt einen einmaligen Bestand von Manuskripten aus dem Frühmittelalter, welche die Leistungen des Klosters seit dem 8. Jahrhundert dokumentieren. Es handelt sich um rund 400 Bände aus der Zeit vor dem Jahr 1000, um erstrangige Zeugen für Buchmalerei, Schriftkunst und Wissenschaft. Von diesen Werken seien etwa das «Evangelium longum» mit seinem beschnitzten ElfenbeinEinband, der «Folchart-Psalter», der «Goldene Psalter», eine massgebende Fassung der Benediktsregel und das lateinisch-althochdeutsche Wörterbuch «Abrogans», das als das «älteste deutsche Buch» bezeichnet wird, sowie Codices zur gregorianischen Musik genannt. Nicht zu vergessen sind die einzigartige Sammlung frühmittelalterlicher irischer Handschriften und der weltberühmte St.Galler Klosterplan. Auch aus dem Hoch- und Spätmittelalter, aus der Frühzeit des Buchdrucks und aus der Neuzeit liegen in der Stiftsbibliothek wertvolle Bestände, erwähnt seien nur die berühmte Nibelungen-Handschrift und ungefähr tausend Inkunabeln (Wiegendrucke). Insgesamt besitzt die Stiftsbibliothek gegen 150000 Bände. Etwa 30000 davon sind im barocken Bibliothekssaal aufgestellt. Als Kuriosum ist die gut erhaltene Mumie einer ägyptischen Priestertochter aus dem 7. Jahrhundert vor Christus mit ihren reich bemalten Holzsärgen zu sehen.


In jährlichen Wechselausstellungen werden die schönsten Schätze der Bibliothek präsentiert. Die Stiftsbibliothek kann sowohl individuell als auch im Rahmen von Führungen besucht werden.

Öffnungszeiten Stiftsbibliothek Dezember – März: Mo – Sa 10 – 12 Uhr und 13.30 – 17 Uhr, So 10 – 12 Uhr und 13.30 – 16 Uhr. April – Ende November: Mo – Sa 10 – 17 Uhr, So 10 – 16 Uhr. Im November während drei Wochen geschlossen. Besondere Öffnungszeiten an Feiertagen. www.stiftsbibliothek.ch Klosterhof und Hofflügel

In einem neuzeitlichen Gewölbekeller unter dem Westflügel der Klosteranlagen befindet sich das Lapidarium («Steinsammlung») der Stiftskirche. Als wichtigstes Ausstellungsgut sind darin die archäologischen Funde zu dem um 830 bis 837 gebauten karolingischen St.Galler Münster zu sehen. Die frühmittelalterlichen Werkstücke gehören zu den grossartigsten Zeugnissen karolingischer Architekturplastik. Darunter fallen besonders die einzigartigen Säulenkapitelle auf. In einem Seitentrakt hat die erfolgreiche Wanderausstellung «Die Kultur der Abtei St. Gallen», die von 1990 bis 2002 an 160 Orten in der ganzen Welt gezeigt worden ist, eine dauernde Bleibe gefunden. Sie präsentiert in Kopien (Modelle, Leuchttafeln, Abgüsse, Fotografien) die schönsten Schätze von Stiftsbibliothek und Stiftsarchiv. Unter den Exponaten hervorgehoben sei das Faksimile des weltberühmten St.Galler Klosterplans aus dem ersten Viertel des 9. Jahrhunderts mit dem dazugehörigen Holzmodell, das die beiden Professoren Walter Horn und Ernest Born von der University of California, Berkeley, erarbeitet haben.

Der Hofflügel Der Hofflügel, der den Klosterhof vom südlich anliegenden, kleineren Brunnenhof trennt, entstand unter Abt Gallus Alt 1666/67, also fast ein Jahrhundert vor dem Bau der neuen Stiftskirche. Beim Bau der Neuen Pfalz 1767–1769 wurde er in östlicher Richtung verlängert bis zum mittelalterlichen Rundturm. Der ältere, westliche Teil des Hofflügels ist heute die Residenz des Bischofs von St. Gallen. Kunstgeschichtlich von Bedeutung sind insbesondere die bischöfliche Privatkapelle, der Festsaal, einige spätgotische Tafelmalereien und barocke Gemälde. Im Parterre befindet sich die Galluskapelle. Sie steht an der Stelle, wo Gallus der Überlieferung nach über einen Dornenstrauch stolperte, was er als Zeichen verstand, er solle an diesem Ort bleiben. In ihrer heutigen Gestalt stammt die Kapelle aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ihr kostbarster Schatz ist ein Bilderzyklus zum Leben des heiligen Gallus an der Decke und an den Wänden.

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Neue Pfalz Der repräsentative Mittelbau auf der Ostseite des Klosterhofs heisst Neue Pfalz (von palatium/Palast). Er wurde 1767–1769 unter Abt Beda Angehrn errichtet. Baumeister war Johann Ferdinand Beer aus dem Bregenzerwald. Die Innenausstattung wurde nach und nach bis 1787 fertiggestellt.

Ostflügel

Im östlichen Teil des Hofflügels sind heute in den ehemaligen Gästezimmern des Klosters Teile der Staatsverwaltung untergebracht. Herauszuheben ist hier das 1752/53 mit Stuckmarmor und Deckenstuck von höchster Qualität ausgeschmückte Tafelzimmer. Darin pflegte der Fürstabt seine hochgestellten weltlichen Mitarbeiter und die Gäste der Abtei zu bewirten. Die Räumlichkeiten des Hofflügels und der Neuen Pfalz sind nicht frei zugänglich.

Die Pfalz war die offizielle Residenz des Fürstabtes und der Sitz der weltlichen Zentralverwaltung des Klosterstaates. Nach der Aufhebung des Klosters wurde sie zum Sitz der Regierung des neuen Kantons St. Gallen. Der ehemalige Thron-, Prunkund Festsaal des Abts im Mittelteil des Ostflügels wurde im 19. Jahrhundert zum Sitzungssaal des kantonalen Parlaments (Kantonsrat) umgestaltet. In der Mitte der Neuen Pfalz ermöglicht ein Torbogen, über dem heute anstelle des Klosterwappens das Kantonswappen prangt, den Durchgang zum Karlstor. Unter dem Hofflügel und der Neuen Pfalz liegen mächtige Keller, die 1998/99 durch den spanischen Architekten Santiago Calatrava zu grosszügigen Tagungs- und Versammlungsräumen (Hofkeller und Forum Pfalzkeller) ausgebaut und auf der Ostseite mit einem spektakulären, in den Boden eingelassenen Metalltor versehen wurden.

Pfalzkeller

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Karlstor Von ursprünglich acht Aussentoren der Stadt St. Gallen ist das Karlstor das einzige heute noch erhaltene. Es befindet sich im Osten des Stiftsbezirks. 1569/70 wurde es erbaut und ist nach dem Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo benannt. Dieser massgebende Vertreter der Gegenreformation in der Schweiz soll es als Erster durchschritten haben. Durch das Karlstor konnte der Abt in seine ländlichen Untertanengebiete reisen. Seine Südseite ziert ein in der Schweiz einzigartiges RenaissanceWappenrelief. Oben ist Christus am Kreuz mit Maria und Johannes dargestellt, flankiert links vom Papstwappen, rechts vom Reichswappen mit Doppeladler. Das Klosterwappen darunter hat vier Felder: Bär (Kloster St. Gallen), Agnus Dei (inkorporiertes Kloster St.Johann im Thurtal), Familienwappen des Erbauers (Abt Otmar Kunz), Hund (Dogge, von der Abtei erworbene Grafschaft Toggenburg). Nordöstlich ans Karlstor anschliessend wurde 1996–99 von Santiago Calatrava die kantonale Notrufzentrale errichtet. Das Gebäude hat die Form eines Auges.

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Nord- oder Zeughausflügel mit Stiftsarchiv Nach dem Bau der Neuen Pfalz blieb der ebenfalls geplante Nordflügel der Klosteranlage zunächst unausgeführt. Erst im 19. Jahrhundert, 1838–1841, wurde er nach den Plänen von Felix Wilhelm Kubly doch noch errichtet. Der Bau «trägt das Gepräge florentinischer Frührenaissance des Münchner Historismus» (Bernhard Anderes). Er diente verschiedenen Nutzungen, so als Zeughaus und als städtische Brandwache. Heute sind im Gebäude das Kantonsgericht, weitere Verwaltungsabteilungen und wichtige Kulturinstitute untergebracht: das Stiftsarchiv, das Staatsarchiv, eine Abteilung der Kantonsbibliothek und ein Ausstellungssaal. Das Stiftsarchiv St. Gallen ist ein Zentrum frühmittelalterlicher Rechts- und Schriftüberlieferung und stellt für die Zeit bis 1800 für den grössten Teil des Kantons St. Gallen und weitere Gebiete das Landesarchiv dar. Sein wichtigster Anteil am St. Galler Weltkulturerbe sind fast 850 Pergamenturkunden aus der Zeit zwischen 700 und 1000, ein nördlich der Alpen einzigartiger frühmittelalterlicher Urkundenbestand. Diese für die Wissenschaft in verschiedener Hinsicht interessanten Dokumente bieten für zahlreiche Orte im Raum St. Gallen / Appenzell/Thurgau/Zürich, aber auch in weiteren Teilen der Deutschschweiz, in Süddeutschland, im Elsass und in Vorarlberg die ältesten Erwähnungen. So liegen im Stiftsarchiv etwa die ältesten Berner Urkunden, die älteste mittelalterliche Urkunde Österreichs, die Ersterwähnungen der deutschen Städte Ulm, Wangen im Allgäu oder Rottweil. In der Verlängerung des Nordflügels nach Westen liegt ein weiterer Gebäudekomplex. Er besteht aus der Kinder- oder Schutzengelkapelle, die ebenfalls nach einem Projekt von Kubly 1843–1846 errichtet wurde, und Schulgebäuden.

Karlstor

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Zeittafel 612

Der irische Wandermönch Gallus baut im Steinachtal seine Zelle.

719

Der Alemanne Otmar übernimmt als erster St. Galler Abt die Füh rung der Brüdergemeinschaft. Die erste steinerne Kirche entsteht. Das Kloster beginnt mit dem Aufbau seiner Bibliothek. Erste Ur kun den aus der Zeit Otmars zeugen von einem wachsenden Grund besitz der Abtei.

9./10. Jh.

Geistige Hochblüte: St. Gallen wird ein Zentrum abendländischer Wissenschaft und Kultur. Im Skriptorium entstehen zahlreiche wertvolle Handschriften.

Nord- oder Zeughausflügel, St. Laurenzen-Kirche im Hintergrund

Neubau des Klosters unter Abt Gozbert 830–837. 926

Einfall der Ungarn. Ein erster Mauerring um den Klosterbezirk entsteht.

Hinter dem Zeughausflügel fällt ein etwa dreissig Meter langes Stück einer hohen Mauer auf. Sie ist der Rest einer im Jahre 1566 zwischen dem Stiftsbezirk und der seit 1457 vom Kloster unabhängigen Reichsstadt St. Gallen errichteten Schiedmauer. Unmittelbar am Stiftsbezirk steht die evangelischreformierte Kirche St.Laurenzen. Geschichtlich geht sie wohl ins 9. Jahrhundert zurück. Sie betreute ein umfangreiches Pfarreigebiet, das weit in die appenzellischen und sanktgallischen Lande hinaus reichte. Im Spätmittelalter wurde sie zur Leutkirche der Stadtbevölkerung, dann zur Hauptkirche der reformierten Stadtrepublik. In ihrer heutigen Gestalt stammt sie aus den Jahren 1849–1853, als sie nach Plänen von Johann Georg Müller zur neugotischen Basilika umgebaut wurde. Sie zählt zu den schönsten Bauwerken des Historismus in der Schweiz.

14./15. Jh.

Aufstieg der Leinwandindustrie und des Leinwand handels in der Stadt St. Gallen, die in dieser Zeit vom Kloster unabhängig wird.

1463 ff.

Abt Ulrich Rösch ordnet Besitz und Territorium der Fürstabtei und verhilft ihr zu neuer Blüte.

1529

Reformation der Stadt St. Gallen unter Joachim von Watt, genannt Vadian.

1551

Neubau der Klosterbibliothek.

1566 ff.

Katholisches Kloster und reformierte Stadt schaffen scharf getrennte Rechts- und Güterverhältnisse. Der Stiftsbezirk erhält eine Ringmauer und ein eigenes Tor, das Karlstor.

1755ff.

Neubau der Stiftskirche und der Stiftsbibliothek unter Abt Cölestin Gugger von Staudach. Zenit der klöster lichen Prunkentfaltung.

1798

Die Helvetik stürzt die alte Ordnung und mit ihr den Klosterstaat.

1803

St. Gallen wird Hauptort des neu gegründeten, gleichnamigen Kantons.

1805

Der Grosse Rat beschliesst die Aufhebung des Klosters St. Gallen.

1824

Gründung des Doppelbistums Chur und St. Gallen. Die Stiftskirche wird Kathedrale.

Quellennachweis: Informationen aus dem Stiftsarchiv St. Gallen, der Stiftsbibliothek St. Gallen und dem Amt für Kultur des Kantons St. Gallen. Text: Lorenz Hollenstein Printed in Switzerland 2006

1847

St. Gallen wird selbständiges Bistum.

1983

Aufnahme des Stiftsbezirks St. Gallen in die UNESCO-Liste des Welterbes.


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St. Gallen-Bodensee Tourismus Bahnhofplatz 1a, 9001 St. Gallen Telefon +41 (0)71 227 37 37 Fax

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