Rauszeit 2017/02

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Preis: 3,00 €

FOTO Stephan Orth

FOTO Gore

FOTO Lars Schneider

FOTO Paul Zizka Photography

RAUSZEIT

RAUSZEIT

Ausgabe Winter 2017 / 2018

ERLEBT

BESSERWISSER NACHGEFRAGT

Wechselhaftes Wetter, winterliche Einsamkeit: ein besonderes Paddel-Abenteuer auf der Schlei

Was macht eine gute Wetter­ schutzjacke aus? Material, Schnitt und Ausstattung unter der Lupe

Mehr auf S. 8

Mehr auf S. 18

Wo kein Reiseführer hinführt: Stephan Orth entdeckt ungewöhnliche Orte – als Couchsurfer Mehr auf S. 22


FOTO Fredrik Schenholm /  Bergans

RAUSZEIT Winter 2017 / 2018

ALLWETTER-LADY An der Westküste Norwegens ist immer mit Regen zu rechnen. Auch in Syvde, einer Gemeinde nördlich von Bergen. Passend, dass die alltagstaugliche Funktions­ jacke von Bergans ihren Namen trägt. Der zweilagige Damen-Parka hält Wind und Wasser ab, lässt dabei aber Wasserdampf von innen entweichen. Der Zwei-WegeFront-Reißverschluss ist mit einer Druckknopfleiste ver­ sehen, die zusätzlich vor Zugluft und Nässe schützt. Der Saum kann über einen Schnürzug angepasst werden, die Armabschlüsse sind in der Weite verstellbar. Vorgeform­ te Ellbogen, ein angenehmes Mesh-Innenfutter und das weiche Obermaterial machen den Mantel zum bequemen Lieblingsteil. Die Jacke ist mit zwei großen Fronttaschen und seitlichen Einschubtaschen ausgestattet, in der sich die Hände verkriechen können. Die Kapuze lässt sich bei Bedarf abknöpfen. Bergans Syvde Lady Jacket Preis: 249,95 Euro

STANDPUNKT Viel Lust, wenig Last Die letzten Winter waren oft lau, Schnee fiel zu den unmöglichsten Zeiten oder gar nicht. Was uns dieses Jahr erwartet? Unsicher. Naheliegend, in andere Länder auszuweichen. Auf der Suche nach Schnee und Abenteuer machen wir uns in die Berge Kanadas, Japans oder Kamtschatkas auf. Oder kehren der kalten Jahreszeit den Rücken und erkunden die Südhalbkugel: Neuseeland, Australien, Südamerika ... Gewaltige Gipfel und außergewöhnliche Landschaften lassen jedes Outdoorer-Herz höher schlagen. Obendrein war es nie so leicht wie heute, Ideen und Träume umzusetzen, mal eben um die ganze Welt zu reisen. Scheint aber auch ein gutes Stück Zeitgeist zu sein: uns selbst zu ver­ wirklichen, Träume zu leben, jetzt. Eine Zeit lang auszublenden, dass wir einen Großteil unseres Lebens mit Arbeiten verbringen. Möglichst viel rauszuholen aus der ach so knappen freien Zeit. Schuldge­ fühle? Passen selten ins Gepäck. Dabei müssen wir uns eingestehen, dass unsere Leidenschaft auch Schattenseiten hat: von der CO2-Bilanz über den Müll, den wir produzieren, bis hin zu den Spuren, die wir vor Ort hinterlassen ... Wir träumen von Wildnis, exotischen Ländern, fremden Kulturen, Abge­ schiedenheit und unberührten Landschaften – und wissen, sie sind so lange unberührt, bis wir sie betreten haben. Oder, um es mit den Worten des Schriftstellers und Dichters Hans Magnus Enzens­ berger auszudrücken: »Wir zerstören, was wir suchen, indem wir es finden.« Und jetzt? Raus in die Welt, aber bitteschön nicht immer, nicht überall und nicht alle auf einmal? Hm. Gar nicht Reisen, ist bestimmt nicht die richtige Lösung. Reisen führen uns die Schönheit und oft auch die Zerbrechlichkeit unseres großartigen »Spielplatzes« noch einmal mehr vor Augen. Was können wir für ihn tun? Nachhaltig reisen, zum Beispiel. Zugegeben, Nachhaltigkeit wird in jedem Zusammen­ hang genannt, ist quasi in Mode. Aber was bedeutet der Begriff überhaupt? Aus der Forstwirtschaft stammend, meinte er ursprünglich einfach, nicht mehr zu nutzen, als wieder nachwächst. Im heutigen, allgemeineren Gebrauch bedeutet Nachhaltigkeit, unseren Bedürfnissen entsprechend zu leben, ohne durch unser Verhalten denen, die nach uns kommen, eben diese Option zu nehmen. Und wie lässt sich das beim Reisen erreichen? Angefangen mit Verhältnismäßigkeit, sagt unter anderem der WWF. Die Dauer der Reise der Entfernung anpassen. Im Klartext: Für Reisen ans andere Ende der Welt mehr Zeit einplanen (anstatt alle paar Monate in den Fernflieger zu steigen) – das erhöht im Allgemeinen auch den nachhaltigen Eindruck einer Reise. Den CO2-Ausstoß ausgleichen, der durch unseren Flug produziert wird. Auch mal Ziele in der näheren Umgebung erwägen. Vor Ort mal den Mietwagen beim Vermieter lassen und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln reisen. Wo möglich, Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen. Und: gut informieren. In welchem Ökosystem werde ich unterwegs sein und wie sehr schade ich ihm dadurch? Kann ich im Zweifel eine andere Route wählen? Aber auch: Wer profitiert von meinem Urlaub – externe Investoren oder die Bevölkerung vor Ort? Klar, Touristenhoch­ burgen und überfüllte Strände sind ohnehin nicht unsere Welt. Wir sind am liebsten ganz nah dran an der Natur, an den Menschen, an unverfälscht. Dazu zählt nicht nur die Unterkunft, sondern auch, was wir unterwegs konsumieren. Zu anstrengend? In Dauerstress ausarten soll das Ganze sicher nicht. Aber öfters zu hinterfragen, abzuwägen und bewusste Entscheidungen zu treffen – was das angeht, können wir schon mal eine gesunde Portion Ehrgeiz an den Tag legen, oder? Und dann: Genießen! Lässt es sich mit ruhigem Gewissen ja auch viel besser. Ihr Andreas Hille, Michael Bode und die RAUSZEIT-Teams

KLASSISCHE KUNST Der Kurier-Rucksack von Ortlieb ist ein echter Klassiker: Mit sei­ nem großen praktischen Rolltop und vielen raffinierten Details ist er für den täglichen (Rad-)Weg zur Arbeit bestens geeignet. Und weil er obendrein noch wasserdicht ist, bleiben selbst bei »Sauwetter« die wichtigen Unterlagen und das noch wichtigere Mittagessen tro­ cken. Ob ihn das zum Kunstwerk qualifiziert? Ansichtssache. Ganz sicher aber, wenn er euer eigenes, individuelles Design trägt. Denn seit Neuestem könnt ihr den Velocity mit einem Motiv nach Wahl be­ drucken lassen. Also: Werdet kreativ. Zeichnet, gestaltet, fotogra­ fiert! Ladet euer Bild anschließend in möglichst hoher Auflösung auf www.ortlieb.com/velocity-­on-demand hoch. Den fertigen Ruck­ sack könnt ihr an uns schicken lassen und bei uns im Laden abholen. Und – was kommt euch in, äh, auf die Tüte? Ortlieb Custom Made Velocity Preis: 99,95 Euro

KUGELBLITZ Noch Ideen gesucht, wie ihr dieses Jahr den Weihnachtsbaum schmücken könntet? Die (fast) kugelrunde Lampe von Rubytec wiegt rund 100 Gramm und ist in verschiedenen Farben erhältlich. Dabei kann die Kleine mehr, als nur gut aussehen: Mit drei Hellig­ keitsstufen, die sich per Knopfdruck regulieren lassen, macht sie sich ziemlich gut als Camper- oder Zeltlaterne. Der integrierte Akku wird über einen USB-Anschluss aufgeladen, der sich in der einseitig ausklippbaren Aufhängung versteckt – Batteriewechsel überflüs­ sig. Ihr seid länger fernab eines Stromanschlusses unterwegs? Wir haben auch noch die passende Powerbank für euch im Sortiment ... Essential Elements Bulb Preis: 19,95 Euro

Foto Titelseite Endorphin-Dosis: Wenn die Wintersonne die verschneite Landschaft in zarte Violett-, Blau- und Goldtöne taucht, liegen begeis­ terte Luftsprünge auf der Hand. Wie hier bei Arctic Bay im Norden der Baffin Islands. Winter-Glück(s)-Gefühle lassen sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise freisetzen. Wie, lest ihr ab S. 8. Fotografiert von Paul Zizka Photography

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RAUSZEIT Winter 2017 / 2018

FOTO Albert Comper / KeepCup

GEWOLLTER SCHUH

BESSER BECHERN

HANDWARM Ein Handschuh, zwei Möglichkeiten: Bei eisigem Wetter (oder empfindlichen Pfoten) wird er als mollig warmer UnterziehHandschuh unter einem schützenden Außenhandschuh getra­ gen. Solo kommt er an milderen Wintertagen zum Einsatz, zum Beispiel beim Schneeschuhwandern, beim Lauftraining oder auf dem Weg zur Arbeit. Er besteht aus doppellagigem, wasser­ dampfdurchlässigem Fleece und schmiegt sich eng an die Hand an. Für mehr Griffigkeit sind Silikonflächen auf der Handinnen­ seite angebracht. Und, wie der Name sofort verrät: Der PL 400 Sensor Glove ist Touchscreen kompatibel, muss also nicht aus­ gezogen werden, um das Smartphone oder die Actioncam zu be­ dienen. Müssen bloß die Akkus in der Kälte durchhalten … Outdoor Research PL 400 Sensor Gloves Preis: 34,95 Euro

FOTO Paul Wennerholm / Hilleberg

Jedes Jahr werden etwa 500 Milliarden Einwegbe­ cher für den »Coffee-to-go« verbraucht. Entsprechend wächst der Müllberg ... Um ihn zu verringern, wurde der Keep­ Cup entwickelt – ein Mehr­ wegbecher, der an die Größe herkömmlicher Kaffeebecher angepasst ist und unter sämtli­ chen Kaffeemaschinen befüllt wer­ den kann. Bei der limitierten Brew Cork Edition besteht der Becher aus besonders stabilem, hitzebeständigem und, ganz wichtig, geschmacksneutralem Glas. Eine griffige Kork­ manschette schützt die Finger vor Verbrennungen – und den Kaffee vor dem Absturz. Der Deckel aus recycelbarem Kunststoff ist frei von schädlichen Weichmachern und hat ein winziges Ventil auf Nasenhöhe, durch das sich das Kaf­ feearoma beim Trinken entfaltet – direkt vor eurer Nase. So schmeckt der Kaffee nochmal besser. Fazit: Mit ruhigem Ge­ wissen und bei vollem Genuss (noch mehr) Kaffee schlürfen! Reusable2Go KeepCup Brew Cork Edition, 340 ml Preis: 22,95 Euro

Muss man zum Mojito noch viel sagen? Der Multifunkti­ onsschuh von Scarpa ist schon lange ein Lieblingsteil im Alltag vieler Outdoorer. Als Halbschuh oder knöchelhoch, ausreichend stabil, mit einer griffigen Sohle, dabei nicht zu schwer und optisch ansprechend, trägt er sich genauso gut im Büro wie auf der Feierabendtour am Berg. Und im Winter? Sprechen viele Gründe für den mittelhohen Mojito City Mid Wool GTX: Mit der Arctic Grip Sohle von Vibram ausgestattet, bewahrt er vor Rutschpartien auf glatten, vereisten Flächen. Beim Innenfutter wurde eine wasserdichte, atmungsaktive Gore-Tex-Membran mit temperaturregulierender Wolle kombiniert. Ergebnis: ein noch besseres Innenschuhklima, in dem die Füße bei Nässe und Kälte schön warm und trocken bleiben. Scarpa Mojito City Mid Wool GTX Preis: 169,95 Euro

WARMKLETTERER Kalt, nass, windig? Kein Grund, eure Tour abzubrechen. Die wasserdichte, was­ serdampfdurchlässige Stretch Nano Storm Jacket von Patagonia ist extra darauf ausgelegt, euch beim Klettern und anderen Bergsport-Unternehmungen warm und trocken zu halten. Dabei kann sie mehr, als bloß vor Regen schützen: Die Schnitt­ führung wurde an die Bewegungen beim Klettern angepasst, der Schulterbereich nahtlos gearbeitet. Sowohl beim Obermaterial als auch bei der isolierenden Fül­ lung kommen stretchfähige Materialien zum Einsatz, wodurch die Jacke insgesamt viel Freiheit bei unterschiedlichen Bewegungsabläufen lässt. Unter die geräumige, zweifach verstellbare Kapuze passt ein Kletterhelm; die Kordelzüge können auch mit Handschuhen an den Fingern bedient werden. Kleinkram findet in den wasser­ dichten Brusttaschen oder Innentaschen Platz, klamme Finger wärmen sich in den hohen Fronttaschen auf (wenn ihr nicht gerade am Sichern seid...). Unterarmbelüf­ tungen mit Zwei-Wege-Reißverschlüssen verhindern den Hitzestau. Patagonia Men’s Stretch Nano Storm Jacket Preis: 449,95 Euro

SCHNEEKUPPEL Würden wir nach einem Zwei-Personen-Zelt gefragt werden, das wirklich alles kann und jeden »Unfug« mitmacht, wir würden das »Staika« von Hilleberg emp­ fehlen. Warum? Weil diese völlig freistehende Trutzburg aus dreifach doppelseitig Silikon-beschichtetem Kerlon 1800 – dem Zeltgewebe schlechthin – und 10 mm starken DAC-Aluminiumgestängen seit vielen Jahren unter extremsten Bedin­ gungen getestet und auf Expeditionen von den Polkappen bis zum Himalaya ein­ gesetzt wird. Die Konstruktion erlaubt höchste Windgeschwindigkeiten ebenso wie beträchtliche Schneelasten. Die Seitenwände reichen bis zum Boden und die Lüfter können von innen schneedicht verschlossen werden. Starkregen? Keine Sorge: Für den Aufbau ist das Innenzelt wie bei allen »Hillebergs« bereits einge­ hängt und die Bodenwanne so weit hochgezogen, dass man es wahrscheinlich in so manchem Bachbett aufbauen und immer noch trocken darin schlafen könnte. Und das Beste: Das Aufstellen könnte simpler nicht sein. Ausprobieren? Gerne bei uns im Laden. Hilleberg Staika Preis: 1.159,95 Euro

Allgemeine Anfragen und Anregungen bitte an redaktion@rauszeit.net IMPRESSUM Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt: Michael Bode, Andreas Hille Redaktion & Produktion: outkomm GmbH, Eichbergerstrasse 60, CH-9452 Hinterforst, www.outkomm.com, redaktion@rauszeit.net Druck: Jungfer Druckerei und Verlag GmbH Copyright: Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung der Herausgeber und der Redaktion unzulässig und strafbar.

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FOTO Marcel Pabst / Thule

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AUF FLOTTEN KUFEN Auf dem Eis dahingleiten und in Pausen oder am Festland bequem laufen können? Wer mit dem Tou­ renschlittschuh »Fleet« von Lundhags unterwegs ist, muss dafür nicht einmal die Schuhe wechseln. Auf den rostfreien Stahl-Kufen ist eine Bindung für normale Wanderschuhe angebracht, die über zwei Ratschen-Verschlüsse individuell angepasst werden kann und am Knöchel gepolstert ist. Die Befestigung an der Schiene ist schwenkbar. Der Wenderadius beträgt unabhängig von der Außentemperatur 30 Grad. Damit ist der Schweden-Schlittschuh ganz aufs Touren-Skaten ausgelegt (mehr dazu ab S. 14). Für »ver­ spielteres« Eislaufen mit engen Radien oder gelegentliche Eishockeyspiele ist er nicht geeignet. Lundhags Fleet Preis: 169,95 Euro

TAUCHERGLOCKE Versenkt! Leider war‘s das Smartphone … Einmal ab­ getaucht, ist es in der Regel unbrauchbar, es sei denn, es steckt in einer wasserdichten Hülle wie der von Thule. Nach Standard IP68 bleibt das Gerät darin sogar bei lange anhaltenden Tauchgängen trocken. Bleibt zu hoffen, dass es trotzdem schnell aus dem Wasser gefischt wird – Petri heil! Auch auf dem Festland macht die Hülle Sinn, und das nicht nur bei Regen: Der Bildschirm ist fünfmal stär­ ker vor Schlägen und Stößen geschützt als ohne Hülle. Außerdem wird das Phone vor Staub, Kratzern und Fingerabdrücken bewahrt. Der Touchscreen lässt sich natürlich trotzdem wie gewohnt bedienen, Kopf­ hörer- und Ladeanschluss bleiben erreichbar. Falls es einem trotz des griffigen Rückenteils doch mal aus der Hand rutschen und auf den Boden fallen sollte, mil­ dern verstärkte Kanten und spezielle Armierungen den Aufprall ab. Für die Montage wird obendrein kein Werkzeugkasten benötigt: Das Case lässt sich schnell und einfach anlegen. Thule Atmos X5 Preis: 69,95 Euro

RETTUNGSANKER Hoffentlich wird sie nicht gebraucht. Denn im Eis einbrechen heißt, in Lebensgefahr sein. Im Falle des Falles erhöht die Ice Claw von Lundhags jedoch die Chance, sich selbst aus dem Wasser zu retten. Dazu werden die Griffe mit den Metallspitzen ins Eis gerammt, sodass sich der Verunfallte leichter auf der glatten Oberfläche emporziehen kann. Die gummierten Griffe aus Hartplastik lassen sich auch mit nassen Fingern gut grei­ fen. Eine integrierte Signalpfeife hilft, Helfer auf sich aufmerksam zu machen. An einem verstellbaren Band um den Hals gehängt, sind die Eis-Anker schnell griffbereit; flexi­ ble Schutzkappen verhindern, dass sich Eisläufer oder -angler beim Tragen an den Spitzen verletzen. Lundhags Grip Ice Claw Preis: 19,95 Euro

Service nach dem Kauf

Einige Reparaturen werden direkt bei uns im Laden durchgeführt, für andere beauftragen wir qualifizierte Partnerbetriebe.

Neulich brachte eine junge Dame einen Rucksack in der Service-Abteilung vorbei. Der Reißverschluss sei defekt, das Polster vom Riemen beschädigt, meinte sie. Tatsächlich aber drohte der 40 Jahre alte, löchri­ ge Rucksack in ihren Händen zu zerfallen. Eine Repa­ ratur lohnte sich eigentlich nicht. Zumindest in mate­ rieller Hinsicht: Die Kundin erklärte, dass schon ihre Mutter mit diesem Rucksack auf Weltreise gewesen sei und sie nun genau das Gleiche vorhabe. Eine Her­ zensangelegenheit! Mit den passenden Ersatzteilen, Schulterträger, Hüftgurt, Rückenpolster, Schnallen, Schieber, Kordeln und Flicken, machte der ServiceMitarbeiter den Rucksack wieder einsatzfähig – und die Kundin überglücklich.

FOTO Oliver Heinrich

Was viele Outdoorer gar nicht wissen: Wir bieten als Fachhändler zahlreiche Serviceleistungen an – auch (lange) nach dem Kauf. Nicht immer sind die Fäl­ le so aufwendig wie der gerade geschilderte. Eine

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FOTO Oliver Heinrich

WASCHEN, SCHNEIDE(R)N, REPARIEREN

gebrochene Zeltstange, ein gerissener Gurt, eine de­ fekte Rucksack-Schnalle, ein kaputter Reißverschluss oder einfach ein Loch im Stoff ... Das hat jeder schon mal erlebt. In unserer Service-Abteilung sind sol­ che Schäden oft schneller repariert, als die Kunden vermuten. So reicht es bei einem nicht mehr schlie­ ßenden Reißverschluss häufig, schon den Schlitten zu ersetzen, oder beim Campingkocher, die Zündung auszuwechseln. Viele Ersatzteile haben wir selbst vor­ rätig – alles andere lässt sich in der Regel bestellen. Das aufwendige Waschen und Neubefüllen des Dau­ nenschlafsacks, das fachmännische Wiederbesohlen von Kletter- und Wanderschuhen oder das Tapen von Nähten läuft immer über spezialisierte Partnerbe­ triebe. Für den Kunden bleibt der Aufwand gering: Die Ausrüstung wird bei uns im Laden abgegeben und ab­ geholt, wir kümmern uns um das Auftrags- und Ver­ sandprozedere. Ebenso werden Reklamationen abge­ wickelt. Achtung: Eine Gewährleistungsfrist von zwei Jahren ist keine Garantie, sondern bedeutet, dass der Fehler herstellungsbedingt ist. Im Zweifel vermitteln wir immer im Sinne des Käufers.

Einige Service-Fälle könnten Kunden leicht vermeiden. So hält sich immer noch der Irrglaube, dass Outdoor­ jacken oder -hosen mit Membran nicht oder nur selten gewaschen werden müssen. Stattdessen gilt: Nicht zu oft, aber so oft wie nötig. Regelmäßige, sachgerechte Pflege, das heißt, Waschen und Nachimprägnieren, er­ höhen die Lebensdauer und Funktionalität der Produk­ te. Wer genau wissen will, welche Anwendung für seine Ausrüstung das Beste ist, lässt sich bei uns im Laden persönlich beraten.


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FOTO Annie Spratt / unsplash.com

ÜBRIGENS …

ACHTUNG HEISS! Kalter Kaffee ist Schnee von gestern. Sprich: völlig irrelevant. Nicht nur sprichwört­ lich. Zum Glück hat irgendjemand die Isolierkanne erfunden – gefüllt mit dampfendheißem Kaffee oder Tee hat sie uns schon durch so manchen nasskalten Draußen-Tag gebracht. Genau genommen waren mehrere Personen mit ihrer Entstehung befasst: 1893 konstruierte der schottische Physiker Sir James Dewar ein doppelwandiges Ge­ fäß aus verspiegeltem Glas. Zwischen Innen- und Außengefäß befand sich ein Vaku­ um, das Wärme gemeinhin sehr schlecht leitet. Dadurch blieb die Temperatur kalter oder heißer Flüssigkeiten im Inneren des Behältnisses für einige Stunden konstant. Der deutsche Glastechniker Reinhold Burger entwickelte das Isoliergefäß weiter – ohne Dewars Wissen. Zu dessen Ärger ließ er sich dann auch noch 1903 die Ther­ mosflasche patentieren und verkaufte die Rechte weiter. »Thermos hält kalt und heiß, ohne Feuer, ohne Eis«, bewarb die »Thermos-Aktiengesellschaft« Anfang des 20. Jahrhunderts das neue Utensil. Ob der Kaffee damals wirklich so lange warm blieb wie versprochen, wissen wir nicht. Tatsache ist, dass die Isoliergefäße von heute auf

dem gleichen Prinzip beruhen wie einst. Allerdings bestehen die meisten nicht mehr aus splitterndem Glas, sondern aus bruchfestem Edelstahl. Gut, in den USA hatte der Tüftler William Stanley Jr. schon vor mehr als 100 Jahren diese Idee und schweißte die erste doppelwandige Flasche aus Stahl zusammen. Immer noch führt die Marke Stanley die vermutlich robusteste Isolierkanne auf dem Markt: Mit Wänden aus 1 mm dickem Edelstahl ist sie zwar kein Leichtgewicht, aber auch extrem stabil, und hält Getränke bis zu 40 Stunden lang heiß. Die meisten von uns dürften ihren AufwärmTrank schon vorher geleert haben. Tipp: Die Flasche vor dem richtigen Befüllen einige Minuten mit heißem Wasser »anheizen«, das erhöht die Temperaturkonstanz. Auf der Ski- oder Schneeschuhtour haben sich leichtere Kannen bewährt – am bes­ ten noch rutschfest ummantelt, damit der begehrte Inhalt nicht auf dem Boden lan­ det. Übrigens: In ihren Anfängen wurde die Iso-Kanne mit einem Korken verschlos­ sen. Wir vertrauen lieber dem auslaufsicheren Kunststoff-Schraubverschluss. Alles Weitere bleibt Geschmackssache, vor allem, was reinkommt ...

UNERSCHÜTTERLICH

ABGESPECKT Die Isolierkanne Glacier Stainless Microlite von GSI macht ihrem Namens­ zusatz alle Ehre: Mit ihren gerade mal zwei Millimeter dünnen Wänden aus rostfreiem Edelstahl ist sie sehr leicht – die Kanne wiegt gerade mal 224 Gramm. Trotzdem hält sie war­ me Getränke bis zu acht Stunden auf Temperatur, kalte sogar sechzehn Stunden. Mit einem Volumen von 500 Millilitern ist sie perfekt für kürzere Touren, den Weg zum Büro oder Arbeitspausen. Der auslaufsi­ chere Kunststoffverschluss lässt sich per Knopfdruck entriegeln und zum Säubern zerlegen. Alle Teile können auch bequem in der Spülmaschine gereinigt werden. Die Flasche ist geruchs- und geschmacksneutral und in ver­ schiedenen Farben erhältlich. GSI Glacier Stainless Microlite 500 Preis: 29,95 Euro

Hitze, Kälte, Stürze … der Stanley Classic kann so schnell nichts anhaben. In der 1-Liter-Isolierflasche aus rostfreiem Edelstahl bleiben Getränke bis zu 24 Stunden lang heiß oder kalt. Die Hammerschlaglackierung, optisches Markenzei­ chen des Herstellers, hat nicht nur Kultstatus erlangt, son­ dern schützt den Korpus zusätzlich. Mit einem Gewicht von mehr als 800 Gramm ist die Kanne sicher nichts für Ultra­ leicht-Fetischisten. Stattdessen kommt sie auf Roadtrips, im Basecamp oder bei der Arbeit zum Einsatz. An der Seite ist ein Kunststoff-Griff angebracht, an dem sich die große Kan­ ne auch mit kleineren Händen gut festhalten lässt. Der Trinkbecher, der auf dem auslaufsicheren Verschluss sitzt, ist ebenfalls isoliert. Über die weite Öffnung kann die Flasche mühelos befüllt und gereinigt werden. Stanley Classic Preis: 49,95 Euro

WINTERMANTEL Praktisches Zubehör: Der Trinkflaschenüberzug von Outdoor Research besteht aus offenporigem Schaumstoff und hält so Getränke im Winter länger warm, im Sommer kühl. Die Hülle ist in drei verschiedenen Größen erhältlich und passt zum Beispiel über eine Nalgene-Flasche mit einem Liter Volumen. Über einen seitlichen Reißverschluss kann der Flaschen-Mantel geöffnet und geschlossen werden. Praktisch: Am oberen Ende befindet sich eine Schlaufe, über die sich der Überzug samt Inhalt zum Beispiel mit einem Karabiner am Rucksack befestigen lässt. Outdoor Research Waterbottle Parka Preis: 34,95 Euro

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Bruneck, Italien. FOTO: PatitucciPhoto.

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Three Sisters, Oregon, USA. FOTO: Tyler Roemer


Lake Minnewanka, Alberta, Kanada. FOTO: Paul Ziska Photography

MARK TWAIN

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Queen Charlotte Sound, Kanada. FOTO: Michael Clark Photography

»GEGEN ZIEL­SETZUNGEN IST NICHTS EIN­Z­U­WENDEN, SOFERN MAN SICH NICHT VON INTERESSANTEN UMWEGEN ABHALTEN LÄSST«

RAUSBLICK


RAUSZEIT Winter Sommer 2017 / 2018 2017

ERLEBT: Winterpaddeln auf der Schlei

WIE PATAGONIEN, NUR MIT LAKRITZ Die Schlei, Deutschlands längste Ostseeförde, ist im Sommer ein Wassersportparadies. Und im Winter? Ein Traum, denn dann haben Paddelabenteurer den Naturpark im Norden Deutschlands fast für sich alleine. Das war knapp. Aus lauter Freude über das Spiel mit den Wellen hatte ich vergessen, wie ungünstig es wäre, hier und jetzt zu kentern. Verlegen und erleich­ tert lächelnd blicke ich zu Lars, der nur die typische »auweia«-Handbewegung macht. Mit spürbar erhöh­ tem Adrenalinpegel geht es weiter Richtung Arnis. Es ist Anfang Januar – die »beste« Zeit zum Paddeln ...

Stürmischer Start Rückblick: »Ich habe einen Anschlag auf dich vor«, beichte ich Lars im Hochsommer 2016 am Telefon. Stil­ le am anderen Ende der Leitung, dann: »Lass hören.« »Ich würde unglaublich gerne die Schlei im Winter durchpaddeln. Kommst du mit?« Dieses Mal keine Pau­ se. »Na klar!« Die Vorstellung, dieses im Sommer stark frequentierte Gewässer ganz für uns allein zu haben, war einfach zu schön. Schnell war der Termin festge­ legt, wohlwissend, dass der Januar in Schleswig-Hol­ stein nicht gerade mit Regentagen geizt. Am Tag vor der geplanten Abfahrt sind wir uns der Sinnhaftigkeit unserer Sache nicht mehr ganz so sicher.

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Der Wetterbericht: insgesamt eine Sonnenstunde, je­ den Tag 100 Prozent Niederschlagswahrscheinlichkeit, voraussichtlich durchgehend Regen, Temperaturen um die 5 Grad (ohne Windchill), mittlere Windgeschwindig­ keiten von 45 km/h und Böen bis 85 km/h – zum Glück »von hinten«, also aus West/Nordwest. »Scheiß drauf, wir ziehen’s durch«, lautet der gemeinsame Beschluss. Die letzte Nacht verbringen wir in Lars’ VW-Bus nahe der Einsetzstelle am Selker Noor, einem seeartigen Arm südlich der Kreisstadt Schleswig. Während der Regen aufs Dach prasselt, macht sich bei uns eine Mi­ schung aus Galgenhumor, Verzweiflung und Vorfreude breit. »Das wird wie in Patagonien – nur quasi vor der Haustür«, sage ich zu Lars. Schließlich ist Patagonien für wechselhaftes Wetter, starke Winde und kaltes Was­ ser bekannt. »Ne, noch besser«, entgegnet mein erfah­ rener Paddel-Freund grinsend. »Hier gibt’s Lakritze.« Auch der nächste Morgen empfängt uns mit nord­ deutschem »Schietwedder« vom Feinsten. Wasser­ dicht packen ist daher oberstes Gebot, dazu die Mun­ termacher Lakritze und ein 18 Jahre alter schottischer Whiskey – gegen Kälte, schlechte Laune und für die

langen Zeltabende. Dann endlich sitzen wir in den Boo­ ten, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Kaum haben wir den geschützten Strand verlassen, bläst der Wind dermaßen stark, dass wir schon auf den ersten Metern ordentlich ausbalancieren müssen. Wellen klatschen seitlich an die Bootsrümpfe, das Popometer muss ei­ nen Kaltstart von 0 auf 100 meistern. Doch schon nach den ersten Metern weicht die Skepsis der Freude. Und ja, wir sind ein bisschen stolz, dass wir uns vom Wetter­ bericht nicht haben abhalten lassen. Vom Selker geht es schnell ins Haddebyer Noor. Ein meterhohes Schilf blockiert den Wind kurzzeitig etwas, dann trifft er uns wieder volle Breitseite, als würde man auf der Auto­ bahn einen Lkw überholen. Links erkennen wir die re­ konstruierten Wikingerhäuser des Freilichtmuseums Haithabu. Der Ort, der bis 1066 n. Chr. ein wichtiger Han­ delshafen war, ist eine der bedeutendsten historischen Kulturstätten dieser Region. Die Durchfahrt zur Schlei versteckt sich in einem dichten Schilfgürtel. Dahinter säumen knorrige alte Eichen wie stille, aber bedrohli­ che Wächter den natürlichen Kanal. Lautlos gleiten wir wenig später unter der Bundesstraße 76 hindurch. Auf


RAUSZEIT Winter 2017 / 2018

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Ganz links: Immer wieder passieren wir schmucke Dörfer und Städte. Die Altstadt von Kappeln. Links: Wechselnde Wetterbedingungen zaubern faszinierende Lichtstimmungen. Ganz oben: Spät geworden ... Unten: Jede Pause wird genutzt, um die »Gräten« zu dehnen.

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der anderen Seite sind die Wellen sofort doppelt so hoch. Vor uns liegt die längste Ostseeförde Deutschlands: 42 Kilometer, 54,6 Quadratkilometer und 163,8 Millio­ nen Kubikmeter Brackwasser. Würden wir sie aus der Luft betrachten, könnten wir die Vielseitigkeit der Schlei erahnen; ständig weitet und verengt sich ihre Ausdeh­ nung. 2008 wurde die Region als Naturpark anerkannt. Unser Blick fällt auf die Schleswiger Altstadt, den Kirchturm und das ebenso markante Turmhochhaus – ein hässliches Denkmal, das sich der Ex-Bürgermeister selbst gesetzt hat; es passt so gar nicht in die idyllische Schlei-Landschaft. Einige wenige Fischer betreiben hier noch immer traditionellen Fischfang, zu bestaunen auf dem Holm, dem absolut sehenswerten Fischerviertel Schleswigs mit seinen schmalen, gepflasterten Gässchen und teilweise winzigen, uralten Reihenhäuschen.

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»Patagonische« Bedingungen Nach zwei Stunden erreichen wir die Stexwiger Enge, die mit gerade einmal 280 Me­ tern Breite schmalste Stelle der Schlei. Unmittelbar im Anschluss dehnt sich der Meeresarm auf der Großen Breite wieder auf seine maximale Weite von 4,2 Kilome­ tern aus. Der Blick über die Schulter verheißt nichts Gutes: Tiefschwarze Wolken tür­ men sich im Nordwesten auf und kommen mit beeindruckender Geschwindigkeit nä­ her. »Lass uns dieses Monster lieber an Land abwarten«, schlägt Lars vor. Ich nicke dankbar. Eine gute Gelegenheit für eine Tasse heißen Tee, Schokokekse und ein biss­ chen »Gräten-Dehnen«. Leise knirschend landen die Boote auf dem flachen Strand.

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Oben links: Wasserdicht verpacken hat oberste Priorität. Oben rechts: OstseeStimmung: Fischkutter mit Möwen im »Schlepptau«. Oben Mitte: Im Winter findet sich hier leicht ein Zeltplatz. Unten: Rückreise: Ein letztes Mal geht es aufs Wasser.

Schon peitscht der Regen auf die Wasseroberfläche, die Wellenkämme schäumen im Wind. Wir verstecken uns am Rande eines Wäldchens aus windgebeugten OstseeKiefern. Während die Kekse in die Münder wandern, beobachten wir das herrliche Schauspiel der Elemente. Doch so schnell, wie es gekommen ist, so schnell ist es wieder vorbei. Ab zurück aufs Wasser. Unglaublich! Nur Minuten nachdem sich der Sturm gelegt hat, durchboh­ ren Sonnenstrahlen den grauen Januar-Himmel und zaubern dramatisch schöne Lichtspiele, die wir faszi­ niert aufsaugen. Verrücktes Wetter hier in Patagonien, äh, Schleswig-Holstein! Beschaulich schmiegen sich die Häuschen von Mis­ sunde in die Uferlandschaft, eines von ihnen gehört dem bekannten deutschen Weltumsegler Wilfried Erdmann. »Ich glaube, ich weiß ein schönes Zeltplätzchen«, ruft Lars mir kurz darauf zu. Bei Anbruch der Dämme­ rung geht es vorbei an langen, gelbgrauen Schilfrei­ hen, hinter denen vereinzelt Bauernhöfe im typisch norddeutschen Stil, Fachwerk mit Reetdach, liegen. Lars hat nicht zu viel versprochen. Der Platz, an dem wir im letzten Tageslicht anlanden, ist perfekt: Auf grasbewachsenem Boden bauen wir unser Nachtla­ ger auf, Laubwald hält den Wind ab. Wie eine Glucke hält eine alte, knorrige Buche ihre Zweige schützend über uns. Aus den Ladeluken befördern wir bunte Tro­ ckensäcke in die Zelt-Apsiden. Raus aus den Paddel­ klamotten, rein in die kuscheligen Schlafsäcke! Wäh­ renddessen bringt der Kocher fauchend das Wasser

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Oben: Der Leuchtturm von Schleimünde. Unten: Seemänner unter sich. Nach dem »Schietwedder«-Start wird jeder Sonnenstrahl genossen.

auf Pasta-Temperatur. Paddeln macht hungrig, im Winter erst recht.

Verwunschene Wälder, verträumte Dörfer Trommelfeuer weckt mich am nächsten Morgen. Träu­ me ich noch? So laut kann doch kein Regen sein ... Der Blick nach draußen gibt die Antwort: Myriaden kleiner weißer Kügelchen bedecken die Landschaft. Als wir uns nach dem Hagelschauer aus dem Zelt schälen, blitzt jedoch schon die Morgensonne durch den Buchenwald. Jetzt, im Tageslicht, zeigt er seine volle Pracht: Hellgrün leuchtende Moosbetten wechseln sich mit rotbraunen, raschelnden Laubteppichen ab, ein kleiner Bach windet sich zwischen den alten Stämmen hindurch, bevor er in die Schlei mündet. Wenn jetzt ein paar Trolle um die Ecke kämen, wäre ich nicht überrascht. Am besten, mit dampfendem Kaffee ... Zurück auf dem Wasser, das vor der Klappbrücke bei Lindaunis wieder ordentlich Fahrt bekommt. Von allen Seiten treffen Wellen aufeinander. Die Kreuzseen sind etwas ungemütlich und erfordern volle Konzentration. Spätestens jetzt sind wir richtig wach. Kurz überlegen wir, ob wir am »Lindauhof« am Lindauer Noor anlegen sollen. Das jahrhundertealte Gebäude diente 26 Jahre lang als Filmkulisse der TV-Serie »Der Landarzt«, be­ vor es 2013 zu einem Café umgebaut wurde. Aber die Sonne, der Rückenwind und der Gedanke an unser Ta­ gesziel – Schleimünde – lassen uns weiterschippern.

Am Schwansen-Ufer zeigt sich zuerst das schöne Dörf­ chen Sieseby, das mit seinen verträumten ReetdachHäusern ein bisschen an Schlumpfhausen erinnert, dann der Gutshof Bienebek. In der Ferne wartet das maleri­ sche Örtchen Arnis. Dort, so hoffen wir, können wir unse­ re Trinkwasservorräte auffüllen. Kurz vor Arnis nutzen wir die Dünung zum »Surfen«, werden dabei richtig schnell. Dann die Schrecksekunde: Plötzlich drückt eine unerwartet hohe Welle mein Vor­ derschiff unter Wasser und will gleichzeitig mein Heck zur Seite drehen, der Bug wirkt wie ein Frontanker. Ge­ rade noch so kann ich aussteuern. Mit weichen Knien lande ich am geschützten Strand an. Kleine, schmucke Häuschen mit zahllosen Kletterrosen reihen sich anein­ ander. Im Sommer ist Arnis stark besucht, jetzt scheint der Ort wie ausgestorben. Am Hafen wie auf dem Fried­ hof sind alle Wasserhähne abgeschraubt. Und nu? Hin­ ter den Fenstern eines Hauses entdecken wir Bewegung und klingeln dreist. Etwas skeptisch öffnet uns die Fa­ milie die Tür, aber schmunzelt, als wir unser Anliegen vortragen. »Da seid ihr wohl die Einzigen zu der Jahres­ zeit und bei dem Wetter!«, kommentieren sie grinsend, während sie bereitwillig unsere Wassersäcke befüllen. Eine gute Stunde später kommen wir in Kappeln, dem zweitgrößten Schlei-Ort, an. Zahlreiche liebevoll restaurierte Holz-Segler, deren raue Ostsee-Erleb­ nisse sich leicht erahnen lassen, verbringen im Muse­ umshafen ihren Ruhestand. Hinter der Doppelklapp­ brücke, dem Wahrzeichen der Stadt, liegt ein weiteres


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Jemand zuhause? Auf Wassersuche im malerischen Arnis, der kleinsten Stadt Deutschlands.

»Altertümchen«: der letzte noch erhaltene und mittler­ weile unter Denkmalschutz stehende Heringszaun Eu­ ropas. Er ist seit 1451 urkundlich erwähnt und der letz­ te von ehemals fast 40 Zäunen dieser Art in der Schlei.

Ruhiges Finale Wir haben die Entfernung etwas unterschätzt: Als die Dämmerung einsetzt, ist es noch eine ganze Ecke bis zu unserem Zielort Schleimünde. Wir steigern die Schlag­ zahl. Das Popometer muss nun ganze Arbeit leisten, der Seegang wird erfühlt anstatt gesehen. Beim Ein­ stechen des Paddels stoße ich plötzlich auf Grund. Wir packen die Stirnlampen aus und sehen, dass sich nur rund 50 Zentimeter Wasser zwischen uns und feinstem Sandboden befinden. Klar zeichnet sich der Schutzha­ fen Schleimünde mit dem markanten alleinstehenden Pappelwäldchen der Lotsenhalbinsel gegen den vom Vollmond erleuchteten Himmel ab. Nach wenigen Hun­ dert Metern erreichen wir endlich den kleinen Hafen am Ende der Landzunge mit seinem grünweißen Leucht­ turm. Im Sommer ist hier ordentlich was los. Vor allem die »Giftbude«, eine kleine Bar, ist bei Seglern sehr beliebt. Jetzt ist das gesamte Areal menschenleer. Ein Vogelschutzgebiet versperrt den Durchgang zum rest­ lichen Festland. Zwischen Kartoffelrosen-Hainen, de­ ren Duft bei mir immer so herrlich Kindheitserinnerun­ gen weckt, bauen wir unser Zelt auf. Essen, Lakritze, Scotch, Licht aus.

Der Morgen unseres letzten Paddeltags empfängt uns, als hätte es nie eine Schlechtwetterprognose gege­ ben. Wir erkunden »unser« Territorium. Gegenüber, am anderen Ufer, liegt Olpenitz. Auf dem Gelände der alten Marinebasis entsteht eine gigantische neue Ferienhaus­ siedlung mit schwimmenden Häusern und Bauten aller Stilrichtungen. Bald wird es hier auf Schleimünde mit der Ruhe und Beschaulichkeit wohl vorbei sein ... Entspannt paddeln wir bei nahezu völliger Windstille die wenigen Kilometer zurück nach Maasholm, wo un­ ser zweites Auto steht. Lautlos gleiten die Boote durchs glasklare Wasser ... Windstill? In Patagonien? Nein, na­ türlich wissen wir genau, wo wir sind. Und auch, was wir sind: restlos begeistert von unserem Winterabenteuer – im Norden Deutschlands. ext: Moritz Becher T Fotos: Lars Schneider und Moritz Becher

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ERLEBT: Aufbruch Ost

VON ZU HAUSE NACH DAHEIM Einfach los! Die Welt vor der Haustür entdecken. Nicht irgendwann. Jetzt, im Winter. Andreas Hille ist in seiner Heimat den Spuren seiner Kindheit gefolgt. Zwischen Gegenwart und Vergangenheit, von Sachsen-Anhalt nach Brandenburg. Ein Kaleidoskop spätwinterlicher Impressionen.

Nach Osten führen die rostigen Gleise, nach Osten führt auch mein Weg. Schnurgerade zerschneidet das braune Band die endlos erscheinende Ebene aus zar­ tem Grün. Über allem wölbt sich ein strahlend blauer Himmel. Ich habe Urlaub, eine ganze Woche. Was tun? Lange hatte ich hin und her überlegt. Endlich endlich mal wieder eine Pulkatour in Schweden? Am Ende ent­ schied ich mich ganz anders. Ich blieb daheim in mei­ nem kleinen Biederitz bei Magdeburg, frühstückte am Samstagmorgen mit der Familie, packte meinen Ruck­ sack, mit Trekkingausrüstung und Essen. Dann ging ich los – nach Osten. Ich will meine Eltern besuchen. Zu Fuß. Mit Goog­ le Earth habe ich mir eine Route gesucht. Möglichst abseits von Straßen. Durch die bewaldeten Hügel des Fläming. Und natürlich ist eine Besteigung des höchsten Berges der Region geplant, sagenhafte 200,24 Meter hoch. Ich schultere meinen Rucksack und bin völlig euphorisch, als ich weiter durch diese Weite der Ebene schreite. Es ist das gleiche Gefühl, das mich durchströmt, wenn ich zu einer Trekking­ tour in den Traumregionen der Welt aufbreche. Auf ein GPS verzichte ich bewusst, ich will mich durch­ fragen, kommunizieren.

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Herbergsuche im Schlosswald Hinter Möckern verlasse ich die offene Ebene und tau­ che in den Wald des Vorflämings ein. Hier liegt teilweise noch eine geschlossene Schneedecke. Die Wärme des Tages und die jetzt tiefstehende Sonne lässt den Wald dampfen. Alles tropft. Die Temperatur fällt auf knapp über Null. Meine Lust auf Zelten ist eher verhalten. Im Nebel taucht mitten im Wald das Schloss Wendgräben auf. Ein Relikt von Aufbau Ost und den erhofften blühen­ den Landschaften. Anfang der 90er-Jahre aufwendig saniert, steht es nun leer. Als ich schaue, ob ich auf der Schlossterrasse ein trockenes Plätzchen finde, flammen Scheinwerfer auf, eine polnische Stimme aus der Höhe fragt nach meinem Begehr. Meine Frage, ob ich denn ir­ gendwo meinen Schlafsack ausrollen dürfe, wird beant­ wortet: »Ich weißen nich, Scheffe iss nich da«. Ich reiche meinen Wassersack durch ein vergittertes Fenster. We­ nigstens etwas Wasser bekomme ich, es ist sogar warm. Gleich in der Nähe finde ich den perfekten Zeltplatz. In einer Grillhütte auf dem großen Tisch steht alsbald mein Hilleberg Unna. Dieses Hüttchen ist auch Zeugnis der Versuche von Aufbau Ost. Sie ist Bestandteil eines Wanderwegnetzes, dessen Schilder ich umgefallen und

verrottet gelegentlich am Wegesrand finde. Am frühen Sonntagmorgen wandle ich durch Wal­ nussplantagen und erreiche Loburg. Das Barbycafé entpuppt sich als unerwartet schön. Bis zur Bodenre­ form gehörte der Ort einem alten Adelsgeschlecht, den Barbys. Ein Enkel oder Urenkel der Vertriebenen kauf­ te unlängst das verfallene Rittergut und etwas Land zurück, eröffnete dieses Café und beschloss, Loburg zur Walnussregion Deutschlands zu entwickeln. Na, es geht doch, mit dem Aufbau Ost!

Angst vorm bösen Wolf In der Nacht schlafe ich doch etwas unruhig. Ich habe mich beim Weitermarsch auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow verlaufen, habe nicht aus dem Wald he­ rausgefunden. Jack London und Grimms Märchen haben auch bei mir ihre Spuren hinterlassen. Es beunruhigt mich, zu wissen, dass es hier gleich zwei Wolfsrudel gibt und zusätzlich etliche Einzelgänger gesichtet wur­ den. Doch es ist am Ende ein Rotte Wildschweine, die in der Nacht mein Zelt beschnüffelt. Topfgeklapper und der Blinkmodus meiner Stirnlampe überzeugen sie dann doch, sich zu entfernen.


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Ganz links: Rostige Gleise führen nach Osten. Links oben: Steinreiche Gegend. Links unten: Schmucke Kirche am Wegesrand.

Oben: Zelt im Kunstwerk. In Brandenburg ist Zelten in freier Landschaft legal – zumindest für eine Nacht. Unten: Nach dem Weg durch karge Kiefernwälder lädt eine knorrige Eiche zur Rast in der Sonne.

Links: Nach 135 Kilometern am Ziel: das historische Rathaus im Zentrum von Jüterborg. Oben: Die bunten Hausfassaden des Städtchens ­Loburg.

Gegen Morgen fängt es leise an zu schneien. Die Temperaturen sind deutlich unter Null gesunken. Lange bleibe ich im Zelt, im warmen Schlafsack schlürfe ich den duftenden Kaffee und schaue in die Landschaft. Als ich mein rotes Zelt verstaut habe, verschwindet auch der letzte Farbklecks. Die entfärbte, in Grau gehüllte Sze­ nerie lässt mich tiefenentspannt dahinschreiten Men­ schen treffe ich kaum. Mittags erreiche ich ein kleines Dorf, und ich klingle an einem Haus, aus dem ich Stim­ men höre. Eine Frau öffnet mir. Als ich um Wasser bitte, schlägt sie mir die Tür vor der Nase zu. An einem großen Vierseithof stellt ein Mann seinen Lieferwagen ab. Ich begrüße ihn freundlich, spaße ein wenig, halte ihm mei­ nen Wassersack hin. »Nein«, sagt er, »hier gibt es kein Wasser.« – Warum und wovor haben die Menschen hier nur solche Angst? Ein Stück weiter schließlich hängen lustige Kinder­ bilder im Fenster eines Hauses. Ich klingle erneut. Eine junge Frau öffnet, Kinderaugen blinzeln durch die Beine. Wir schenken uns ein Lächeln und nette Worte. Die Frau füllt mir obendrein noch meinen Wassersack. Danke! Von Wiesenburg geht es auf dem Kunstwanderweg in die Schlamauer Rummel. Und plötzlich liegt er vor mir: der Hagelberg. 200,24 Meter über Normalnull. Ich besteige ihn über die »Südwand« und erreiche bald das Gipfelplateau. Leichter Schneegriesel entfärbt schon wieder die Landschaft, hüllt sie in harmonisches Grau.

Ich stoße auf eine uralte Eichenallee. Von einem ver­ wilderten Obstbaum erhebt sich ein Schwarm Seiden­ schwänze. Dann treffe ich auf den schönsten Zeltplatz meines Lebens. Das Bett in der Brautrummel bei Gru­ bo. Der Künstler Sebastian David hat hier in der Biegung des Trockentals ein wunderbares überdimensionales Feldbett gebaut. Ich kann einfach nicht weiter, muss es benutzen. Schlage mein Zelt auf dem Bretterboden auf, flankiert von geschnitzten Holzsäulen, die wie nächtli­ che Kameraden auf mein Lager herabblicken.

Holzfäller im Kappan und fällten in der Tat mit der Axt einfach Bäume. Handys gab es nicht, niemand wusste, wo wir waren und was wir taten ... Es zählt eben nicht nur das Wo, sondern auch das Wie! Schließlich stehe ich vor der Stadtmauer. Am Markt lasse ich in meinem Lieblingscafé jeden einzelnen der 135 Kilometer dieser wunderbaren sechstägigen Wanderung Revue passie­ ren. Dann mache ich mich auf und nehme endlich meine Eltern in die Arme.

Spuren der Kindheit Im eisigen Sturm wandere ich gegen Ende meiner Tour durch die kargen Kiefernwälder des niederen Fläming, raste unter knorrigen Bäumen, komme an romanischen Feldsteinkirchen vorbei. In manch einer diente ich frü­ her als Messdiener. Ich beginne meine Kindheit zu füh­ len. Bis Jüterborg, dem Ort meiner Kindheit, ist es nur noch ein Steinwurf. Doch als ich auf der Schlussetap­ pe die Dennewitzer Brücken erreiche, laufe ich noch eine ganze Weile im Zickzack, um die vertrauten Plät­ ze von früher zu besuchen. Wie war das doch damals? Morgens verschwand ich von daheim, wir fuhren mit unseren Rädern los, um die Welt zu entdecken, spran­ gen in den schlüpfrigen Ziegeleiteich, krochen durch alte, stillgelegte Eisenbahntunnel, spielten kanadische

Text & Fotos: Andreas Hille

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ERLEBT: Iceskating in Schweden

AUF DÜNNEM EIS Lautlos über klares Eis dahingleiten: Nordic Iceskating ist ebenso elegant wie riskant. Ein Abenteuer. Vor den Toren der schwedischen Hauptstadt, im Schärengarten Stockholms, hat sich Gabriel Arthur mit einem Veteranen der Sportart aufs Eis begeben.

Die Kälte beißt im Gesicht. Nur wenige Hundert Meter von uns entfernt verläuft eine Fahrrinne, in der Eis­ schollen umherschwimmen. Ich gleite langsam auf den Kufen dahin, betrachte das Ganze mehr als Naturerleb­ nis, nicht so sehr als Abenteuer. Mårten Ajne, der ver­ mutlich beste aktive Nordic Iceskater, sieht das etwas anders. Zusammen mit Fotograf Henrik haben wir heu­ te in Stavsnäs die Fähre nach Runmarö genommen, wo wir uns aufs Eis begeben. Unser Plan: so lange laufen, bis wir das offene Meer erreichen. Nordic Iceskating ist eine der beliebtesten Winter­ sportarten in Süd- und Mittelschweden. In Mitteleuro­ pa ist die Kombination aus Eis- und Langlauf vor allem in den Niederlanden populär. Was das Klima angeht, hat Schweden aber die besseren Karten. Stockholm kann ohne Weiteres als Welthauptstadt dieser Sport­ art bezeichnet werden. Nicht nur, weil hier das Nor­ dic Iceskating Anfang des 20. Jahrhunderts erfun­ den wurde: Mit dem Mälaren, dem drittgrößten See

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Schwedens, Hunderten von kleinen und mittelgroßen Seen und dem Schärengarten mit seinen 30.000 Inseln direkt vor der Haustür ist die Auswahl an möglichen Strecken riesig. Im Winter wechselt die Tempera­ tur oft zwischen Minus und Plusgraden, wodurch der Schnee nicht durchgängig auf dem Eis liegen bleibt. Zum Glück, denn schneefreies, blankes Eis ist eine der Grundvoraussetzungen für das Nordic Iceskating. Vie­ le der kleinen, flachen Seen frieren schon Ende Okto­ ber zu, Schritt für Schritt folgen die größeren Gewäs­ ser und Schärenbuchten. Januar und Februar sind die Lieblingsmonate der Schlittschuhläufer, doch in guten Wintern trägt das Eis sogar bis Ostern. Auch in Deutschland wird vereinzelt geskatet. Wie an der Mecklenburgischen Seenplatte, wo Guido Grim­ me seit zehn Jahren läuft: »Das Gefühl, lautlos auf den Kufen über das Eis zu gleiten und den Fischen hinter­ herzufahren, ist unbeschreiblich«. Wenn es drei Tage durchgängig Frost gab, ist er in Bereitschaft. Vor dem

Fahren testet er mit einem Eispickel, ob das Eis eine Dicke von etwa fünf Zentimetern erreicht hat. Schnell melden sich dann auch andere Skater bei ihm, denn alleine sollte man nie losziehen. Über das Netzwerk »Skridskonätet« und Vereine im ganzen Land sind deutsche wie schwedische Skater gut vernetzt.

Leidenschaft fürs Eis Um einen Einblick in die Praxis zu erhalten, habe ich Mårten gebeten, mit mir auf Tour zu gehen. Er ist ein echter Veteran. Ende der 70er-Jahre stand er als Schüler zum ersten Mal auf Langlaufschlittschuhen. Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick. Er begann, die Wasserläufe der Umgebung auf eigene Faust zu erkunden. Ein Jahr später traf er in »seinem« Revier auf Läufer vom Stockholmer Schlittschuhclub SSSK. Zu dieser Zeit war Nordic Iceskating noch ein ziemlich bürgerlicher Sport mit zahlreichen Benimmregeln und


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Links: Iceskater-Glück: Während die Sonne langsam am Horizont versinkt, spiegelt sie sich im blanken Eis. Oben: Nach der kalten, klaren Nacht trägt das Eis endlich. Unten: Beim Iceskaten ist neben der nötigen Balance auch die richtige Technik gefragt.

Konventionen. Doch die Aktiven verfügten über wertvolles Wissen, das von Genera­ tion zu Generation weitervererbt wurde. Schon bald wurde Mårten zum Gruppen­ leiter und Eisbeobachter befördert. Er war dafür verantwortlich, die befahrbaren Strecken in der Region Stockholm zu melden. Nach einigen Jahren »in den Fängen« der Schlittschuhgemeinde standen Familie und Arbeit im Vordergrund. Doch Mitte der 90er-Jahre wuchs seine Leidenschaft für das Eis erneut. So war er auch der Erste, dem es gelang, auf Schlittschuhen vom finnischen Festland bis zu den Inseln Ålands zu fahren.

Risiko als Teil des Abenteuers Im Winter legt Mårten bis zu 4000 Kilometer auf Kufen zurück. Doch trotz seines immensen Wissens über das Eis, ist auch er dem damit verbundenen Risiko ausge­ setzt – je länger man sich in einer gefährlichen Umgebung bewegt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Unwahrscheinliche eintritt. Bricht man tatsächlich ins Eis ein, dient der mitgebrachte Rucksack mit Wechselklamotten als Luftmatrat­ ze. Eispickel, Wurfleine und Rucksackkarabiner helfen beim Herausziehen. Mårten sieht die Gefahr als Teil des Abenteuers. »Wenn andere Eisläufer nach gutem Eis suchen, bin ich auf der Suche nach offenem Wasser«, verrät er mir. »Ich versuche zu berechnen, wann das Eis frühestens trägt, damit ich als Erster dort laufen kann«.

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Oben: Iceskating-Veteran Mårten ist heute unser Führer auf dem Eis. Unten: Die MS Solöga verkehrt auch im Winter in den Schären.

Gestern noch wäre es unmöglich gewesen, östlich von Runmarö aufs Eis zu gehen. Doch nach der kalten und klaren Nacht stehen die Chancen gut. Zumindest, wenn man Mårten Glauben schenkt. Als ich mich auf die dünne Unterlage begebe, bin ich noch nicht ganz überzeugt. Schnell schicke ich eine SMS an einen Freund, der mich immer um meine Plattensammlung beneidet: Im Fall des Falles darf er sie sich unter den Nagel reißen. Dann fahren wir los. Ab und zu sehe ich, wie die Schicht unter den Kufen von Mårten und Hen­ rik leicht nachgibt. Im Fachjargon nennt man diesen Effekt »Hängematte«; »normale« Menschen würden es wohl eher als blanken Wahnsinn bezeichnen. Zwar ist es um einiges leichter, auf den Langlaufkufen die Balance zu halten, als auf gewöhnlichen Schlittschu­ hen, aber beherrscht man die Technik nicht, kommt man nicht weit. Dazu verlagert man das Körperge­ wicht abwechselnd vom linken Bein auf das rechte und stößt sich mit dem jeweils anderen ab. Ich be­ merke, dass Mårten mich aus den Augenwinkeln be­ obachtet und sowohl meinen Fahrstil als auch meine

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Wir lassen uns vom Eis den Weg leiten, bis uns nur noch wenige Meter vom offenen Wasser trennen.

Ausrüstung kritischen Blicken unterzieht. Besonders beeindruckt wirkt er dabei nicht. Überhaupt habe ich habe den Eindruck, dass er auf dem Eis irgendwie anders ist als an Land – Einfühlungsvermögen ge­ hört momentan nicht gerade zu seinen Stärken (»Ga­ briel, du fährst wie eine beinamputierte Gans!«). Was ihm an verbalem Fingerspitzengefühl fehlt, macht er durch seinen eleganten Fahrstil wett: Er gleitet in weiten Bögen über das Eis, fährt auf einem Bein, nimmt Fahrt auf und scheint fast zu fliegen. Noch nie habe ich jemanden gesehen, der so schnell und ge­ schmeidig fährt wie Mårten.

Spiegelnde Sonne auf dünnem Eis Wir lassen uns vom Eis den Weg leiten, fahren in Buch­ ten hinein und folgen den Farbschattierungen des Ei­ ses, lauschen dem Knacken und gelangen so immer weiter Richtung offenes Meer. Die Inseln um uns herum werden weniger. Nach einigen Stunden trennen uns nur noch wenige Meter vom Wasser.

ICESKATEN IN DEUTSCHLAND Es muss nicht immer Schweden sein: Die Meck­ lenburgische Seenplatte oder die Kanäle im Spreewald sind bei ausreichender Eisdicke ein wunderbares Iceskating-Revier. Zum ersten Üben reichen auch kleine Seen. Tipps: • Gehe niemals alleine aufs Eis • Gehe niemals in der Dunkelheit oder bei schlechter Sicht aufs Eis • Meide schnell fließende Gewässer • Vorsicht: Unter Brücken und an Engstellen von Fließgewässern ist das Eis oft dünn • Halte dich von offenen Fahrrinnen oder Eis­ löchern fern • Mache dich mit Rettungsausrüstung und ­Rettungsübungen vertraut • Habe immer wasserdicht verpackte Ersatz­ kleidung im Rucksack dabei


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Alles richtig gemacht: »Einen solchen Tag gibt es vielleicht nur einmal pro Saison«, sagt Mårten. Einige Seemeilen vor uns liegt die Insel Bullerö. Bis dorthin wollten wir eigentlich fahren, doch die Insel ist noch vollständig von Wasser umgeben. Bei der späteren Kaffeepause wirken Mårten und Henrik zwar nicht sonderlich enttäuscht – als wir aber plötzlich drei andere Schlittschuhläufer sehen, sinkt die Stimmung: Wir sind offenbar nicht alleine hier draußen. Für den Rest des Tages bewegen wir uns im Grenzland zwischen offenem Meer und dickem Eis. Manchmal knackt es unter den Schlittschuhen und kleine Risse entstehen unter den Kufen. Als es anfängt zu dämmern, brechen wir unseren Tanz auf dem Eis ab. In Runmarö wartet die Fähre. Als wir an Bord gehen und die Sonne im Eis spiegelnd langsam hinter den Schären ver­ sinkt, ist Mårten zufrieden. Seine Berechnungen wa­ ren korrekt: Wir hatten richtig gutes Eis da draußen. »Einen solchen Tag gibt es vielleicht nur einmal pro Saison. Und dann muss man bereit sein«, sagt er. ext: Gabriel Arthur und Julia Anders T Fotos: Henrik Trygg

SCHWEDEN


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Für den Abperleffekt ist die wasserabweisende ­Beschichtung des Oberstoffs verantwortlich.

FOTO Gore

FOTO Gore

3-Lagen-Laminate bestehen aus einem Innenfutter, einer Membran und einem schützenden Oberstoff.

Zerreißprobe: Funktionsstoff auf dem Prüfstand.

BESSERWISSER: Hardshells

REGENRÜSTUNGEN Es regnet – na und?! Mit hochwertigen Wetterschutzjacken scheitert der Out­ door-Spaß höchstens an der eigenen schlechten Laune. Was müssen Regen­ häute können und worauf gilt es zu achten? RAUSZEIT gibt einen Überblick. Es gibt kein schlechtes Wetter – nur schlechte Aus­ rüstung. Eine ziemlich abgedroschene Outdoor-Weis­ heit. Allerdings stimmt es: Mit guter Regenbekleidung macht es draußen deutlich mehr Spaß als mit schlech­ ter. Was aber macht eine gute Wetterschutzjacke aus? Grundsätzlich: Sie muss wasser- und winddicht sein. Gut, dafür könnten auch Plastiktüten herhalten. Doch wer einmal seine Hand ein paar Minuten in selbige ge­ steckt hat, spürt, wie schnell es unangenehm feucht darin wird. Denn wir transpirieren permanent. In Ruhe merken wir das kaum, wenn wir allerdings sportlich aktiv sind, produzieren wir viel Schweiß. Heutige Re­ genjacken – auch »Hardshells« genannt – müssen also einen Spagat bewältigen: von außen dicht, von innen dampfdurchlässig. Genau das leisten »semi­ permeable Membrane«, wie sie im Fachjargon heißen. Dahinter stecken hauchdünne Folien, deren Struktur so aufgebaut ist, dass Wassertropfen nicht hindurchpas­ sen, Wasserdampfmoleküle hingegen schon. Denn ein Wassertropfen ist mindestens 2000-mal größer als ein Wasserdampfmolekül.

Stoff für wasserdichte Outdoor-Träume Wer hat’s erfunden? 1969 gelang dem US-Amerikaner Bob Gore die Erfindung eines »Outdoor-Wunderstoffs«. Er entwickelte mit dem Polymer Polytetrafluorethy­ len (PTFE) eine mikroporöse Membran, die wasser­ dicht war, aber Wasserdampf durch über 1,4 Milliar­ den kleinste Poren pro Quadratzentimeter passieren ließ. Das war die Geburtsstunde von Gore-Tex und zugleich funktionaler Regenjacken. Seitdem sind die Stoffe massiv verbessert worden. Die fragile Membran wird mit immer robusteren und gleichzeitig leichteren Trägerstoffen verklebt, im Fachdeutsch »laminiert«. Das Ergebnis sind sogenannte »Laminate«. Das sind Sandwich-Konstruktionen in mehreren Lagen, die au­ ßen einen möglichst robusten Oberstoff, darunter die Membran und als unterste Schicht entweder ein fest aufgeklebtes Innenfutter (3-Lagen), einen Schutzfilm (2,5-Lagen) oder nur einen locker eingehängten Stoff

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(2-Lagen) haben. 3-Lagen-Laminate gelten als hoch­ wertigste Lösung, weil sie robuster und langlebiger sind. Für die äußerste Schicht wird häufig Polyamid, also Nylon, verwendet, denn es bietet die besten Ab­ riebswerte. Während Gore bei der Membran auf PTFE setzt, verwenden die meisten anderen Hersteller die Basismaterialien Polyurethan (PU) oder Polyester. Je nach Oberstoff sind sie – im Gegensatz zu Gore-Tex – dehnbar. Die Auswahl an verfügbaren Laminaten ist verwirrend riesig. Allein Gore-Tex Pro, ein dreilagiges Hochleistungslaminat, das von vielen guten Marken in deren Top-Jacken verbaut wird, ist aktuell in knapp 40 Varianten erhältlich. Doch bei all den Werbeversprechen zu garantierter Trockenheit: Nicht die Wasserdichtigkeit – angegeben in »Wassersäulen« von meist 20.000 mm und mehr – ist heute noch das Problem, sondern der Wasser­ dampfdurchlass, also der Abtransport von Schwitz­ feuchtigkeit. Im Marketingdeutsch wird er oft aber ir­ reführend als »Atmungsaktivität« bezeichnet – denn aktiv atmen tut (bis jetzt) kein Kleidungsstück. Die gro­ ße Herausforderung besteht also darin, die Schwitz­ feuchtigkeit von innen nach außen zu bekommen. Ein gut trainierter Sportler kann bis zu zwei Liter Schweiß pro Stunde produzieren. So viel, dass selbst die besten Membranen mit dem Abtransport nicht hinterherkom­ men. Schwitzwasser lagert sich dann an den Jackenin­ nenseiten ab, die Schweißtropfen blockieren zusätzlich den Dampfdurchlass. Die Folge: Die Träger gewinnen den Eindruck, ihre sündhaft teure Hardshell-Jacke sei nicht mehr dicht und rennen wutschnaubend zu uns, ihrem Fachhändler – obwohl sie nicht im Regenwasser, sondern in ihrem eigenen Saft schmoren. Auch die Außentemperatur und die Luftfeuchtigkeit wirken sich auf die Leistungsfähigkeit der HightechBekleidung aus. Das Wirkprinzip aller wasserdichten Wetterschutzjacken mit dampfdurchlässiger Membran basiert auf einem Temperatur- und Feuchtigkeitsge­ fälle: innen wärmer und feuchter als draußen. Ist dies der Fall, entsteht ein sogenannter »Partialdruck«. Entsprechend funktioniert dieses System wirklich

PFLEGE VON REGENJACKEN »Ich dachte, man soll Gore-Tex-Jacken nicht wa­ schen?« Der Mythos hält sich hartnäckig, obwohl grundfalsch. Denn seine Hardshell-Jacke nicht zu waschen, bedeutet den schleichenden Tod selbi­ ger. Schmutz, Körperfette und Salzkristalle aus dem Schweiß verstopfen und beschädigen das La­ minat und die Membran nachhaltig. Aber wie häufig solltest du deine Funktionsjacke waschen? So oft wie nötig, aber so selten wie möglich – je nach Tragedauer und -intensität. Die Jacke in die Trommel geben, im Schonwaschgang bei maximal 40 Grad mit einem speziellen Funk­ tionswaschmittel reinigen. Keinesfalls Weich­ spüler verwenden! Reißverschlüsse schließen, Kordelzüge öffnen. Am Schluss nur leicht, also mit 400 Umdrehungen, anschleudern. Nach dem Waschen für ca. 30 Minuten bei hoher Tempera­ tur in den Wäschetrockner geben. Neue Wetterschutzjacken lassen Regentropfen sauber abperlen. Grund dafür ist eine dauerhafte Imprägnierung, die notwendig ist, damit der Stoff sich nicht vollsaugt und Schwitzfeuchtigkeit von innen nach außen passieren lassen kann. Lässt das Abperlen nach, kannst du die abweisende Schicht durch Hitze im Trockner wieder reaktivie­ ren. Nach einer gewissen Zeit sollten Regenjacken allerdings nachimprägniert werden. Entspre­ chende Spezialsprays (wie auch Waschmittel) gibt es bei uns im Fachhandel. Bitte achte beim Kauf auf eine bestmögliche Umweltverträglichkeit – wir informieren dich gerne dazu bei uns im Laden. Die Jacke im Freien (!) auf den Boden legen, die Imprägnierlösung großflächig aufsprühen und an­ schließend mit einem weichen Schwamm ins Gewe­ be einreiben. Danach entweder erst zum Antrock­ nen aufhängen oder gleich in den Wäschetrockner geben. Nicht partiell nachimprägnieren, sonst be­ steht die Gefahr, dass es zu unschönen Verfärbun­ gen auf dem Stoff kommt. Pflegst du deine wetterfeste Funktionsjacke rich­ tig, wird deren Lebensdauer deutlich erhöht – und der eigene Outdoor-Spaßfaktor ebenso.


FOTO Fredrik Schenholm / Bergans

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Auch der Schnitt ist wichtig: Macht die Jacke jede Bewegung mit?

brauchbar nur bis ca. 20 °C Außentemperatur. Zum Vergleich: Wenn man an kühlen Tagen nach einer heißen Dusche das Badezimmerfenster öffnet, zieht der Wasser­ dampf bedeutend schneller nach draußen als an einem heißen Sommertag.

Fair Trade Fleece © 2017 Patagonia, Inc.

Den Regen abperlen lassen Werbebilder zeigen gerne abperlende Wassertropfen als Synonym für Wasserdich­ tigkeit. Klar ist, ohne eine wasserabweisende Behandlung der Außenstoffe – die so­ genannte DWR-Ausrüstung (durable water repellent) – würden die Laminate nicht im gewünschten Maße funktionieren. Denn saugt sich die oberste Stoffschicht flä­ chig mit Wasser voll – Experten sprechen von einem »wetting-out-Effekt« –, wird der Wasserdampfdurchlass spürbar eingeschränkt, gemäß den Forschungen der Schweizer Eidgenössischen Materialprüfanstalt EMPA sogar um bis zu 80 Prozent. Das Ergebnis: Obwohl die Jacke nach wie vor wasserdicht ist, hat man den Ein­ druck, dass sie es eben nicht mehr ist. Auch Schmutz und Öle soll die DWR abhalten, um die empfindliche Membran zu schützen. Im Neuzustand perlen die Jacken noch wunderbar ab. Durch mechanische Reibung lässt diese Wirkung allerdings je nach Trageintensität früher oder später nach. Mittels Wärmebehandlung oder Nachim­ prägnieren lässt sich die DWR wieder reaktivieren (siehe Infokasten).

Ausstattung – worauf muss ich achten? Ein guter Funktionsstoff ist die halbe Miete, genauso wichtig sind Schnitt und Aus­ stattung. Bereits vor dem Kauf gilt es zu überlegen, wo und bei welcher Aktivi­ tät das gute Stück primär zum Einsatz kommen soll. Bin ich häufig in den Bergen mit Felskontakt unterwegs? Oder suche ich die perfekte Trekking-Jacke für mei­ nen Lappland-Urlaub? Oder doch nur eine Notfall-Jacke, falls mich das schlechte Wetter überrascht? Grundsätzlich gilt: Je mehr Kontakt ich zu Felsen, Sträuchern und schweren Rucksäcken habe, umso robuster sollte das Material ausfallen. Bei eher sommerlichen Einsätzen und beim Klettern darf eine Hardshell-Jacke ruhig körpernah geschnitten sein. Wer im Ganzjahresbereich sucht, tut gut daran, zur Anprobe eine dünne Isolationsjacke mitzubringen – die sollte auf jeden Fall darun­ terpassen. Wichtig: auf angenehme Beweglichkeit im Schulter- und oberen Rücken­ bereich achten. Die Seitentaschen gehören dort hin, wo sie auch mit geschlossenem Rucksackgurt gut zugänglich sind, also nicht zu niedrig. Sogenannte »Pit-Zips« – also Reißverschlüsse von der Armunter- bis zur Rumpfseite – helfen, Dampf abzu­ lassen und die Temperatur zu regulieren. Sie sollten gut einhändig bedienbar sein. Und schließlich das vermutlich wichtigste Ausstattungsdetail: die Kapuze und der Kragen. Denn es nervt gewaltig, wenn es in den Halsabschluss hineinregnet, die Kapuze schlapp über dem Kopf hängt und die Augen bei jeder Kopfdrehung statt auf den Weg nur in die Dunkelheit der eigenen Haube blicken. Gute Jacken haben ein einstellbares Gesichtsfeld und einen Rundumzug, der die Kapuze am Kopf fixiert, sodass sie Drehbewegungen mitmacht. Der Kragen sollte mindestens bis zum Kinn reichen, nicht zu eng, aber auch nicht zu weit sein. Ein fester Kapuzenschild hält Regen von Gesicht und Hals fern. Und noch ein Tipp zum Schluss: Je mehr Ausstattung eine Jacke hat, desto schwe­ rer ist sie. Circa 500 Gramm sind eine gute Orientierungsgröße, zusammengerollt so voluminös wie eine kleine Trinkflasche. Dann macht sie nicht nur im Regen, sondern auch im Rucksack bei Sonnenschein Spaß. Text: Moritz Becher

Wir unterstützen die Menschen hinter den Produkten Alle Modelle der Better Sweater® und Synchilla® Snap-T®-Kollektion sind entsprechend dem Fair Trade Certified™-Standard genäht. Mit jedem Kauf werden die Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter unterstützt. Pro Produkt zahlen wir eine Prämie direkt an die Arbeiter, die entweder bar ausbezahlt, zur Finanzierung gemeinschaftlicher, sozialer Projekte oder auch für beides verwendet werden kann.


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EINBLICK: Firmenporträt Outdoor Research

VOM ABENTEUER INSPIRIERT Manchmal ist das Scheitern die Basis für den Erfolg. So wie bei Ron Gregg. 1981 musste er die Besteigung des Denali in Alaska wegen Ausrüstungsproblemen und erfrorener Zehen seines Tourenpartners abbrechen. So etwas sollte nie wieder passieren, schwor sich Ron Gregg und gründete die Firma Outdoor Research. RAUSZEIT ist in Seattle den Spuren des Outdoor-Entrepreneurs und seiner Erben gefolgt. Zugegeben, es gibt Kleidungsstücke und Ausrüstungs­ teile, die mehr Sexappeal verströmen, die technolo­ gisch imageträchtiger oder zumindest modisch schi­ cker sind als Gamaschen. Die einzigen, die diesen Stoff gewordenen Alptraum von Beinkleidern mit Würde zu tragen verstehen, sind Comic-Ikone Dagobert Duck (bevorzugt in royalem Blau) und verwegene OutdoorAbenteurer, die sich laufend oder wandernd durch sumpfige, verbuschte oder wüstenartige Landschaf­ ten bewegen (bevorzugt in Kaki, Grau oder Schwarz, einst auch gerne in leuchtendem Rot oder Blau). Doch Style hin oder her, die Dinger können ziemlich prak­ tisch sein. Trotzdem klingt es nach einem kühnen Plan, auf solch einem Nischenprodukt eine Outdoor-Firma aufzubauen, die zu den Top 5 Nordamerikas zählt. Und dennoch: Die Geschichte ist wahr. Um so etwas zu schaffen, sollte man nicht nur Visi­ onen haben, sondern auch hartnäckig, zielstrebig und besessen sein von dem, was man tut. Ein wahrer Out­ door-Nerd eben. Und das war Ron Gregg. Schnauz­ bart und Muskelshirt, das waren seine Markenzeichen in den Achtzigerjahren. Auch wenn er ein begnadeter Sportler und leidenschaftlicher Outdoorer war, Rons berufliche Karriere schien zunächst eine ganz andere Richtung zu nehmen: Mit einem brillanten Abschluss und dem Doktortitel in Nuklearphysik an der kaliforni­ schen Eliteuniversität Caltech in der Tasche, reiste er in den Siebzigerjahren mit Lasermessgeräten um die Welt, um die Stabilität von Erddämmen zu überprüfen. Die beruflichen Trips nutzte er, um im Anschluss im­ mer wieder wilde Gegenden in Afrika, Asien und Euro­ pa zu erkunden. Dabei keimte in dem 32-Jährigen der

Vom Gamaschen-Bastler zur Weltfirma 1981 war es so weit. Zusammen mit einem Freund kämpf­ te er sich 18 Tage lang aus eigenen Kräften auf Ski an den Fuß des weißen Bergriesen heran. Doch auf halbem Weg zum Gipfel mussten sie umkehren: Rons Partner hatte schwere Erfrierungen an den Zehen. Schuld waren man­ gelhafte Gamaschen. Die beiden alarmierten die Flugret­ tung. Ron aber weigerte sich, im Helikopter Platz zu neh­ men. Ganz alleine trat er den 100 Meilen langen Rückweg in die Zivilisation an. Er war verärgert und hatte jetzt viel Zeit, um nachzudenken. Für ihn war klar: Noch einmal sollte ihm so etwas nicht passieren! Ron kam schließ­ lich von der Denali-Tour mit der absoluten Überzeugung zurück, er könne weit bessere Outdoor-Ausrüstung ent­ wickeln. Wenig später fertigte er zusammen mit einem Rucksackhersteller aus Seattle sein erstes GamaschenModell: die X-Gaiters. Auch einen Namen für seine Firma hatte sich Ron auf dem Rückweg vom Denali überlegt: Outdoor Research. Die X-Gaiters wurden sofort ein Erfolg. 50.000 Dol­ lar Umsatz erzielte Ron Gregg im ersten Jahr mit sei­ nen Gamaschen. Doch er wusste, um mit seiner Firma weiter zu wachsen, benötigte er weitere Produkte. Es folgten Erste-Hilfe-Sets, verpackt in weiche, flexible Taschen, zugeschnitten auf die unterschiedlichen Out­ door-Aktivitäten – der Auftakt zu einem Ausrüstungs­ sortiment, das ebenso schnell wuchs wie das Unter­ nehmen Outdoor Research.

Großstadt als Basecamp: Die Region Pacific Northwest rund um Seattle ist ein Paradies für Outdoor-Aktivitäten.

Auch mit hochwertigen Handschuhen hat sich ­Outdoor Research einen Namen gemacht.

FOTO Christian Penning

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FOTO Christian Penning

FOTO Christian Penning

Headquarter: Unternehmenszentrale und Shop an der 2203 1st Avenue South in Seattle.

Längst ist Outdoor Research ein weltweit agierender Hersteller mit Produktionsstätten in den USA und Asi­ en. 1999 stellte Outdoor Research mehr Gore-Produkte her als jeder andere Hersteller in der Outdoor-Indus­ trie. Qualitativ hochwertige Ausrüstung und Bekleidung und hohe Investitionen in Neuentwicklungen zählen auch heute noch zur Firmen-DNA. Ron Gregg ist 2003 bei einem Lawinenunglück auf einer Skitour in British Columbia ums Leben gekommen. Doch sein Spirit und seine Leidenschaft fürs Produkt sind im Gebäude der Zentrale an der 2203 First Avenue South in Seattle nach wie vor zu spüren. Ebenso nahe am Kunden wie an der Natur zu sein – das ist nach wie vor der rote Faden, der von der Produktent­ wicklung über die ökologisch verantwortliche Produkti­ on bis hin zu Marketingaktionen und Verkaufsideen die Firmenphilosophie bestimmt. »Einen wirklich guten Job haben wir dann gemacht, wenn die Leute draußen vergessen, was sie tragen«, meint Jeremy Park, Leiter des Brand Stores im Erdgeschoss der Firmenzent­ rale. »Wenn die Sachen so gut sind, dass sie sich ein­ fach gar nicht mehr damit beschäftigen«, ergänzt der durchtrainierte Kletterer. Wenn es sein muss, bringt er Kunden vor einer Tour auf den Mt. Rainier die vergesse­ nen Handschuhe schon mal höchstpersönlich im Hotel vorbei. Fast ist es, als spräche der gute alte Ron Gregg aus ihm. Der meinte mal: »Grundlage für unseren Er­ folg war nicht, dass OR die Ausrüstung und Bekleidung gemacht hat, die die Leute wollten, sondern Produkte, die viel besser waren, als sie es sich vorstellen konn­ ten.« Um so weit zu kommen, war und ist eines uner­ lässlich: viel Outdoor-Erfahrung und noch intensivere

Gedanke, dass es wichtiger wäre, den Denali zu bestei­ gen, als weiter für eine Vermessungsfirma zu arbeiten.


RAUSZEIT Winter 2017 / 2018

Funktionell und vielseitig: Die Radar Cap mit abnehmbarem Sonnenschutz ist noch heute ein Bestseller.

Praxistests. Egal, ob in der Ressourcenplanung, im Verkauf oder in der Entwicklung – Mitarbeiter bei Outdoor Research zu sein, setzt eine gewisse Out­ door-Vernarrtheit voraus. »Wir sind die Experten für schlechtes Wetter und harte Bedingungen«, sagt Dave Mahoney, Vice President of Sales, nicht ohne Stolz. Der begeisterte Skifahrer, Tourengeher, Trailrunner und Mountainbiker hat auch schon fünf Jahre lang als Fly­ fishing-Guide in Alaska sein Geld verdient. Auch Dana Wolf, die in ihrem Bürojob die Logistik für die Produk­ tion von OR plant, verbringt in ihrer Freizeit fast jede Minute draußen – beim Mountainbiken in den Hügeln von Seattles Discovery Park und den Cascade Moun­ tains oder bei Wanderungen mit Rucksack und Zelt in den entlegensten Ecken des Olympic National Parks.

Ich bin dann

mal weg: Ron

Gregg auf T est-Expeditio n.

Was Outdoor Research von anderen Herstellern unter­ scheidet? »Bei uns soll eine Jacke selbstverständlich cool aussehen«, antwortet Product Manager Alex Lau­ ver. »Noch viel wichtiger aber ist, dass sie auch unter den härtesten Bedingungen perfekt funktioniert.« Da­ mit tritt er ebenfalls in die Fußstapfen Ron Greggs. Mit einem sympathischen Hang zum Perfektionsmus hat es Outdoor Research geschafft, in einigen Segmenten »State of the Art«-Produkte zu kreieren, deren Perfor­ mance weit über dem üblichen Niveau liegt. Ron Gregg war nicht nur ein Outdoor-Freak im positiven Sinne, sondern als studierter Wissenschaftler ein intellektu­ eller Antreiber. »Natürlich ist auch etwas Verklärung dabei«, meint Marketing Manager Christian Folk augen­ zwinkernd. »Rons Intelligenzquotient verdoppelt sich posthum alle zehn Jahre. Mittlerweile dürfte er bei min­ destens 300 liegen.« Wie auch immer, einige aus seinem Bekanntenkreis hätten ihm durchaus einen Nobelpreis zugetraut, wäre er der Nuklearphysik treu geblieben. Auszeichnungen gibt es dafür regelmäßig für wegwei­ sende Produkte. Geradezu legendär sind Passform und

Handling der Out­ door Research Handschu­ he. Nicht zuletzt ein Ergebnis von Ron Greggs »Big Office«-Philoso­ phie. Ein bis drei Monate im Jahr ver­ schwand er mit ausgewählten Part­ . Kajakabenteuer in den 80ern nern zum Bergsteigen, Tourengehen Ron Gregg bei einem seiner oder Kajakfahren in der Wildnis, am liebsten dort, wo die Flecken auf den Landkarten noch möglichst weiß wa­ ren. Sein Ziel: Spaß zu haben. Noch mehr aber, um an Produkten zu feilen und auf seinem Notizblock Ideen für neue Prototypen zu entwickeln. aus. So machte er das Unternehmen fit für den immer Diese outdoor-authentische Akribie wirkt noch immer. härteren Wettbewerb. Der Fokus auf Funktionalität ist Outdoor Research hat spezielle Maschinen entwickelt, geblieben. Ron Greggs Spirit lebt weiter. Kein Wunder: Vom Fir­ um die Nähte von Goretex-Handschuhen zu versiegeln – wegen der mühseligen Handarbeit ein anspruchsvol­ mengebäude ist es mit der Fähre von den spiegelnden les Unterfangen. Doch wieder einmal hat sich die Hart­ Wolkenkratzerfassaden Seattles nur ein Katzensprung näckigkeit ausgezahlt. OR ist der einzige Hersteller, auf die Olympic Peninsula, in die Natur, in die Wildnis. der von Gore für diese aufwendigen Produktionskniffe »Dort draußen zu sein, macht dich zu einem besseren zertifiziert ist. Menschen«, philosophiert Dave Mahoney. »Und wenn wir neben tollen Produkten dazu einen kleinen Bei­ Die Outdoor-Philosophie weitergeben trag leisten können, ist doch viel gewonnen.« Worte, die auch von Ron Gregg stammen könnten. Ein Mann, So grenzenlos Rons Streben nach Qualität war, so klar dessen Spuren zu folgen es sich lohnt. Und wer sich waren ihm auch seine Defizite als Geschäftsmann be­ darauf einlässt, wird draußen im Backcountry um Se­ wusst. Es war Dan Nordstrom, der nach Rons Tod Out­ attle, irgendwo tief in den Wäldern von Pacific North door Research kaufte und das Ruder übernahm. Als West, vielleicht auf ein altes, langsam vor sich hin ros­ Spross einer Unternehmerfamilie, ergänzt er als CEO tendes Schild stoßen, das einst neben dem Eingang an seither Rons authentische Outdoor-Philosophie mit der 2203 1st Avenue South in Seattle hing: »Ron Gregg unternehmerische Finesse. Ein Glücksfall: Auch Dan Parking Only«. ist seit seiner Jugend mit ganzem Herzen Outdoorer und Alpinist. Er entrümpelte 2003 das OR-Sortiment, Text: Christian Penning erweiterte gleichzeitig das Portfolio marktrelevanter Fotos: Outdoor Research, Lars Schneider, Produkte und baute bis heute die Bekleidungslinien Jürg Buschor, Christian Penning

Legendär: Mit den X-Gaiters legte Ron Gregg 1981 den Grundstein für Outdoor Research.

Funktionalität im Fokus: Das AscentShell-Material ist wasserdicht und besonders wasserdampfdurchlässig.

Ein Genie mit einem IQ von 300?

The Big Office: Ron Gregg auf Klettertour.


FOTO Gulliver Theis

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NACHGEFRAGT: Stephan Orth

VOM SOFA INS ABENTEUER Manche sehen »Couchsurfing« als Möglichkeit, besonders günstig zu reisen. Der Bestseller-­ Buchautor Stephan Orth sieht es als Chance, andere Länder und fremde Kulturen in ihrem Alltag zu erleben und zu verstehen. Am liebsten an Orten, die so gar nicht für touristische Entdeckungen zu taugen scheinen. Seit 14 Jahren erforscht er so die Welt – und widerlegt so manches Vorurteil. »Man sollte mehr reisen, statt am Computer zu sitzen.« Das ist eine von Stephan Orths Wahrheiten aus seinem jüngsten Buch »Couchsurfing in Russland. Wie ich fast zum Putin-Versteher wurde« In ihm beschreibt der 38-Jährige ebenso humoristisch wie real und mit viel Liebe zum Detail, was man alles so erleben kann, wenn man sich von Sofa zu Sofa durch die Alltagskultur eines fremden Landes schläft. Wenn man sich nicht mit dem zufriedengibt, was die Medien einem über Nachrichten­ beiträge zu vermitteln versuchen, sondern sich selbst ein Bild machen möchte. Stephan Orth ist ein ReiseEnthusiast der besonderen Art. »Mich reizen absurde Orte total, dafür habe ich einfach so ein heimliches, perverses Faible.« Meist seien das Orte, die in keinem Reiseführer stehen. Orte, wie die riesige Diamantenmi­ ne in Mirny in der russischen Republik Jakutien, die von Einheimischen als »das größte Arschloch der Welt« be­ zeichnet wird. »Da habe ich dann immer das Gefühl, et­ was zu entdecken, was sich noch nicht rumgesprochen hat – und das ist irgendwie auch der Sinn des Reisens für mich.« Für sein Russland-Buch tingelt Orth von Moskau über die Krim, den Kaukasus, durch Dagestan bis nach Jakutien. Alle paar Nächte wechselt er Ort und Gastge­ ber. Taucht dabei ein in die reale Alltagswelt der Rus­ sen, lernt deren Sichtweisen und Lebensperspektiven kennen. Momente größter Gastfreundschaft wechseln sich ab mit skurrilen Erlebnissen. In Inguschetien feiert er im Verwandtenkreis seines Gastgebers Mu­ rad das Ende des Ramadans, während sich die Tische von den reichhaltigen Speisen biegen. Beim Besuch der »Sonnenstadt« stößt er mitten in der sibirischen Wildnis auf das Zentrum der sektenartigen Selbstver­ sorger-Community von Messias Wissarion. HinterhofSpelunkenbesuche mit regimekritischen Journalis­ tenkollegen ergänzen ausgedehnte Wanderungen im sagenhaft schönen Altai-Gebirge, umgeben von mäch­ tigen Drei- und Viertausendern. Ist das Urlaub oder Ar­ beit? »Das ist schon auch sehr anstrengend. Man muss immer dankbar sein, die Leute laden einen ja schließ­ lich ein in ihr Zuhause und ihr Leben. Ich muss mich

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stets nach dem Gastgeber richten, echte Privatsphäre bleibt sehr wenig.« Wenn der gebürtige Münsteraner richtig Urlaub machen will, geht er Bergsteigen, wan­ dert in den Alpen von Hütte zu Hütte, schnallt die Ski an, läuft den Santa Cruz Trek in Peru oder sucht sonst wie die Flucht in die Natur. »Zeit in der freien Natur als Kontrast zu meinem stark von digitalen Medien, Bildschirmen und Großstadtschluchten bestimmten Alltag ist für mich sehr wichtig. Das ist wie ein Lebens­ elixier, ein Batterie-Auflader.«

Mit den Genen des Abenteurers Den jugendlichen Berufswunsch als Gitarrist in einer Rockband tauscht Stephan Orth gegen ein AnglistikStudium, gefolgt von einem Master in Journalismus an der australischen Ostküste. Die Leidenschaft fürs WeltEntdecken und das Text-Talent führen ihn 2008 in die Reiseredaktion von Spiegel Online. Bereits im Volonta­ riat handelt ihm seine Neugier fürs Absurd-Skurrile das eine oder andere fragwürdige Erlebnis ein. Wie etwa in Peking bei einem Dinner in einem Restaurant, das auf die Zubereitung von Tierpenissen spezialisiert ist. Sein 3-Gänge-Menü: Lamm, Hund, Rind. Bis heute sei »die­ se Dschungelcamp-Erfahrung die unangenehmste Re­ cherche, die ich je hatte«. Mittlerweile rangieren seine sieben Bücher meist ziemlich weit oben in den Bestseller-Listen. Ei­ nes davon ist »Opas Eisberg«, das einfühlsam be­ schreibt, wie Stephan Orth sich auf die Expeditions­ spuren seines lange vor seiner Geburt verstorbenen Großvaters begibt. Der hatte 1912 mit seinen Ge­ fährten als zweite Mannschaft überhaupt das grön­ ländische Inlandeis überquert – mit Holzschlitten und Robbenfellschlafsäcken. Damals ein durch und durch lebensgefährliches Unterfangen. Der Versuch von Stephan Orth, mit einem Expeditionsteam die­ se Tour zu wiederholen, scheiterte leider bereits an Tag 4: Eine Highend-Karbon-Pulka hielt den Eis­ zacken nicht stand. Diese Enttäuschung wurmt den Schriftsteller bis heute: »Das juckt mich schon noch,

so kann ich das nicht stehenlassen.« Für 2019 ist ein zweiter Versuch geplant.

Von Spiegel Online zum Sofa-Schriftsteller Mit Mitte 20 beginnt Stephan Orth seine Reisen durch die Wohn- und Gästezimmer der Welt. Sein erster Gast­ geber, eine sehr nette Dame in Vancouver, entpuppt sich als Hobby-Domina. Verschreckt hat ihn das nicht. Nun sind fremde Privatmatratzen und deren Besitzer fester Bestandteil seiner Trips. Über 60 Länder hat er mittlerweile bereist. »Es geht mir viel um die Be­ gegnung mit Menschen. Ich bin kein Sehenswürdigkei­ ten-Abhaker. Wenn ich die Wahl habe zwischen dem Eiffelturm und einem Kaffee mit Pariser Studenten, würde ich immer den Kaffee nehmen«, umreißt er sei­ ne Grundidee. Nach einem zweiwöchigen Iran-Aufent­ halt, der seine ursprüngliche Reiseplanung komplett auf den Kopf stellt, weil seine Gastgeber so gar nicht zu dem zwanghaften, ultrareligiösen Klischee des vermeintlichen Schurkenstaats passen, das in vielen unserer Köpfe vorherrscht, beschließt er wiederzu­ kommen. Länger, und mit dem Ziel, aus seinen Erfah­ rungen ein Couchsurfing-Buch zu machen. Er erlebt Unvorstellbares, von der Bikiniparty in der Pilgerstadt Mashhad bis zum Rotweinbesäufnis mit einem persi­ schen Prinzen, alles hübsch verschleiert vor den Mul­ lahs und ihren Sittenwächtern. Vorsichtig muss er dort trotzdem sein. Denn so liberal viele, vor allem junge Iraner hinter verschlossenen Türen denken und sich verhalten, so hart und teilweise willkürlich greift der Staat durch, wenn sie einen als Touristen getarnten Westjournalisten bei der Recherche erwischen. »Ich hatte in der Kamera viele verbotene Fotomotive, und auch meine Notizen wären sehr kritisch gewesen. Ei­ gentlich hätten sie nur einmal meinen Namen googeln müssen, dann wären sie auf Spiegel Online gestoßen –, und ich hätte ein massives Problem gehabt.« 2015 kommt das Buch »Couchsurfing im Iran« in die Regale und hält sich 70 Wochen in der Bestsellerliste. Ein Jahr später kündigt Stephan Orth seinen


10 Fragen an Stephan Orth:

Glaubst du an Schicksal und wenn ja, warum? Nein, ich glaube, dass man sehr viele Dinge schon selbst in der Hand hat – und dass es nix bringt, mit dem Schicksal zu hadern.

Meine Wahl? Hilleberg!

Bitte vervollständige folgenden Satz: Ein Abenteuer ist … ... eine Unternehmung, die die eigenen Grenzen verschiebt. Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdest du unterwegs nicht verzichten? Inzwischen ist das tatsächlich mein Smartphone. Darauf mache ich Notizen, mache Bilder von Dingen, über die nachher berichten möchte, und ich nutze es zur welt­ weiten Navigation. Was hat dir im Leben schon mal richtig Angst gemacht? Die zwei Stunden auf einer iranischen Polizeiwache. Da macht man sich grundsätz­ liche Gedanken über seinen Job. Wer war der beeindruckendste Mensch, den du je kennengelernt hast, und warum? Vielleicht war das ein Couchsurfing-Gastgeber im Iran, der sich »Funman« nannte. Ein wahnsinnig extrovertierter, herzlicher, verrückter Mensch, der den Widrigkei­ ten seines Landes einen unerschütterlichen Humor entgegensetzt. Von ihm habe ich gelernt, dass Spaß haben eine Form von Rebellion sein kann. Was hast du im Leben wirklich Relevantes gelernt? Dass sich die Menschen auf der ganzen Welt oft sehr viel ähnlicher sind, als wir denken – selbst in Ländern, die total exotisch und anders wirken. Träume, Wünsche und Sorgen sind oft sehr ähnlich.

Krister Jonsson

Was ist Glück für dich? Die Freiheit, das tun zu können, was ich machen will, und der eigenen Leidenschaft zu folgen.

Wie würde der Titel deiner Autobiografie lauten? Vielleicht: »Ausgesurfed«. Aber das wird wohl noch eine ganze Weile dauern.

Mehr Informationen unter alpinemadness.blogspot.com (in Schwedisch). FOTO Mina Esfandiari

Was für einen Kindheitstraum hast du dir erfüllt? Ich habe mit einer Band auf einer Bühne vor 8000 Men­ schen gespielt. Welche Dinge werden heutzutage oft überschätzt? Konsumgüter aller Art.

Bergsteiger. Abenteurer. Weltweit aktiver Kletterer. UIAGM-Guide seit 2003. Erste Schwede, der alle sechs klassischen Nordwände der Alpen bezwang. Verwendet Zelte von Hilleberg, darunter das Jannu.

“ KLETTERN SPIELT IN MEINEM Leben eine große Rolle – bei Redaktionsposten beim Spiegel Verlag, um sich zukünftig voll seiner Leidenschaft zu widmen, Bücher über kurio­ se und besondere Reisen zu schreiben. Nach Russland steckt das nächste Couchsurfing-Projekt gerade mitten in der Planung. »Dänemark und Frankreich werden es nicht«, verrät er. Welche Erkenntnisse hat er in über 14 Jahren SofaReisen gewonnen? Bei den Russen hat Stephan Orth be­ sonders gefallen, dass sie stärker im Hier und Jetzt le­ ben, mehr den Moment genießen und nicht so sehr an das denken, was sie morgen, in einem Monat oder in einem Jahr erwartet. »Im Iran habe ich erlebt, wie unfassbar schön Gastfreundschaft selbst komplett Fremden ge­ genüber sein kann.« Und letztendlich die Überzeugung, »dass ein Großteil der Menschen es gut mit den anderen meint. Ich glaube, die Welt ist ein gastfreundlicherer Ort, als viele es vermuten«. Text: Moritz Becher Fotos: Stephan Orth

der Arbeit als auch für mich selbst. Da mir mein Beruf viele Reisen und Klettereien beschert, verbringe ich bis zu 12 Wochen im Jahr im Zelt. Auf meiner letzten Patagonientour hatte ich das Jannu dabei. Während der vielen Tage und Nächte mit heftigen Stürmen und Regenfällen hielt es uns trocken und war eine komfortable und ruhige Unterkunft. Niemals kam uns der Gedanke auf, dass es zerstört werden könnte. Ein großartiges, einfach aufzubauendes Zelt.

Mehr Informationen unter

HILLEBERG.COM + 46 (0)63 57 15 50 Folge uns auf facebook.com/HillebergTheTentmaker

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FOTOS Hansi Heckmair / Ortovox

RAUSZEIT Winter 2017 / 2018

LIE ESERKLÄRUNG »ICH HABE EINEN GANZ EINFACHEN G­ESCHMACK: ICH BIN IMMER MIT DEM BESTEN ZUFRIEDEN.« (THOMAS A. EDISON) Wir geben es zu: Wir stehen auf regionale Produkte. Ohne lange Transportwege. Saisonales Gemüse vom Kleinbauern aus dem Nachbarort zum Beispiel, das wir direkt im Hofladen oder auf dem Wochenmarkt einkau­ fen. Abgesehen davon, dass die Sachen ganz frisch sind und besonders gut schmecken, tragen wir mit ihrem Kauf auch ein Stück dazu bei, dass die Landschaft, die wir so lieben, erhalten bleibt. Warum? Der Landwirt unseres Vertrauens bewirtschaftet kleine Wiesen und Felder – und das heißt Vielfalt statt Massentierhaltung und Monokulturen. Und was hat das alles mit der »Piz Bianco« von Ortovox zu tun? Eine ganze Menge. Denn die Isolationsjacke ist mit feinster Schafschurwolle ge­ füllt – und diese kommt überwiegend von Schäfereien aus der Schweiz, die dafür eine faire Bezahlung erhal­ ten. Durch die Nutzung der Wolle wird das Aussterben der kleinen Betriebe verhindert, was wiederum bedeu­ tet, dass ihre Schafherden weiterhin die alpinen Weiden offenhalten und zur Verbreitung typischer, teils selten gewordener Pflanzen und Tiere beitragen. Finden wir sehr gut! Und weil es die Jacke als Damen- und Her­ renmodell gibt und beide auch noch richtig gut ausse­ hen, haben wir uns einfach mal selbst beschenkt. Klar,

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Geschichte dahinter und Aussehen sind nicht alles: Genauso wie das Gemüse schmecken muss, müssen auch Outdoor-Produkte funktionieren. Da wir ständig unterwegs sind, kamen die »Neuzugän­ ge« schnell zum Einsatz: auf Ski- und Schneeschuh­ touren in der Palagruppe. Und? Total verliebt! Nein, nicht nur in die beeindruckenden Dolomitengipfel ... auch in die Jacken! Das natürliche Füllmaterial bietet einen unglaublichen Tragekomfort: Die Wolle regu­ liert die Temperatur angenehm, sie wärmt und hält trocken. Obendrein hat sie einen natürlichen »AntiStink-Effekt« – nicht zu vernachlässigen, wenn man als Paar länger auf Tour ist. Obwohl das Außenmate­ rial sehr leicht ist, scheuert es der Rucksack nicht auf. Klein zusammengepackt nehmen die Jacken nicht viel Platz weg, wenn wir sie mal nicht anhaben sollten. So sind sie immer ganz oben auf unserer Packliste. Wer lässt schon seinen Liebling zu Hause ... Text: Katja & Robert Zurawski

PRODUKT­INFORMATION: ORTOVOX PIZ BIANCO / PIZ BERNINA JACKET Die Piz Bianco und ihr Damen-Pendant, die Piz Ber­ nina, sind Isolationsjacken, die mit einer Mischung aus Schurwolle (150 g/m2) und Kunstfaser gefüllt sind. Die Wolle wirkt temperaturausgleichend, wärmt auch in nassem Zustand und entwickelt selbst bei längerem Tragen keine unangenehmen Gerüche. Zur kommenden Wintersaison wurde die Jacke weiter überarbeitet: An den Ärmeln und in der Kapuze befindet sich eine etwas leichtere Fül­ lung (120 g/m2), um die Flexibilität zu verbessern. Auf der Innenseite im Front- und Rückenbereich befinden sich wärmende Einsätze aus reiner, wei­ cher Merinowolle. Das Außenmaterial, Nylon, ist winddicht und wasserabweisend. Die Jacke ist er­ gonomisch geschnitten, das heißt, sie liegt gut am Körper an, lässt aber genügend Bewegungsfreiheit für alle Outdoor-Aktivitäten. Kalte Zugluft hat kei­ ne Chance: Der Kragen schließt hoch am Hals ab, der Reißverschluss ist von innen mit einer Wind­ schutzleiste und einem Kinnschutz versehen. Über einen Kordelzug lässt sich die Kapuze in der Weite verstellen, ebenso wie der Saum. Die Armbünd­ chen schließen gut ab. Kalte Hände können in den seitlichen Bauchtaschen aufgewärmt, notwendiger Kleinkram in der Brust- oder den beiden Innenta­ schen verstaut werden. Die Piz Bianco / Piz Bernina lässt sich leicht komprimieren und so gut im Ruck­ sack verstauen. Preis: 329,95 Euro


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