Rauszeit 2018_02

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Preis: 3,00 €

FOTO Christian Penning

FOTO Primus

FOTO Henrik Lüderwaldt

FOTO Michael Bissig

RAUSZEIT

RAUSZEIT

Ausgabe Winter 2018 / 2019

ERLEBT

BESSERWISSER NACHGEFRAGT

Mit Angel, Tipi und Ofen aufs Eis: Haben zwei Berliner Erfolg beim ­Eisangeln in Lappland?

Einfach Winter-Campen: Die richtige Ausrüstung, der beste Platz fürs Zelt und andere nützliche Tipps.

Mehr auf S. 8

Mehr auf S. 18

Lärm ist Umweltverschmutzung: Gordon Hempton sucht nach dem ­unverfälschten Klang der Natur. Mehr auf S. 22


RAUSZEIT Winter 2018 / 2019

GEMÜTLICH GEMACHT

Der MicroLiner ist Hüttenschlafsack und Pyjama in einem und hat das Potenzial zum Lieblingsteil. Er hat Ärmel und Kapuze und lässt dadurch viel Armfreiheit, zum Beispiel, um gemütlich eingekuschelt zu lesen, Karten zu spielen oder Tee zu trinken. Elastische Bündchen halten die Ärmel in Position. Über eine Kordel lässt sich das Fußende schnell öffnen und an der Hüfte hochbinden – praktisch, wenn man mal nachts raus muss oder einfach kurz umherlaufen möchte, ohne sich aus dem »Mantel« zu schälen. Der MicroLiner besteht aus Polyester, die Hälfte davon ist recycelt. Da das Material schnell trocknet, kann der Hüttenschlafsack auch unterwegs gewaschen werden, wenn nicht viel Aufenthaltszeit bleibt. Der Stoff fühlt sich auch bei wärmeren Temperaturen noch angenehm auf der Haut an. Bei Kälte erhöht der MicroLiner als Inlet die Wärmeleistung anderer Schlafsäcke um einige Grad. Mit einer Einheitsgröße von 200 Zentimetern passt er größeren Menschen perfekt, für alle anderen bleibt mehr »Verpackungsmaterial«. Gewicht: 380 Gramm. Bergstop MicroLiner Preis: 59,95 Euro

STANDPUNKT Heimatgefühle »Heimat populär wie nie«, titelte das ZDF einen Bericht über die vom Sender in Auftrag gegebene Deutschland-Studie. Populär, da denken wir ja eher an Rockbands, Public Viewing oder Hallenklettern. Aber Heimat? Was ist das überhaupt? Einschlägige Online-Lexika klären auf: In seiner ursprünglichen Bedeutung umfasste das Wort lediglich so viel wie »Wohnrecht mit Schlafstelle.« Heute dürfte das Verständnis von Heimat wohl bei uns allen weit darüber hinausreichen. Heimat sei ein »Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)«, schreibt der Duden. Ist Heimat also ein Ort, oder doch ein Gefühl – oder beides? Befragen wir uns selbst nach Heimat, sind es weder Definitionen noch Erklärungsmodelle, die sich als Erstes aufdrängen. Stattdessen der Geschmack überreifer Himbeeren, von der Hecke ganz hinten im Garten. Der Geruch nach Sonntagsbraten in der Küche meiner Oma. Das Gefühl, im hohen Gras zu liegen, immer auf der Hut vor dem Bauern, der unsere kindliche Begeisterung für plattgelegene Verstecke in seiner Wiese nicht gerade teilte. Mit anderen Worten: Erinnerungen. Sinneseindrücke. Richtig: Neurobiologisch besteht »Heimat« aus unzähligen Engrammen, also den Reiz- und Erlebnisspuren in unserem Gehirn, die das Gedächtnis bilden. Sie verfestigen sich umso stärker, je länger wir positive Erlebnisse an einem Ort sammeln und von diesem geprägt werden. Heimat ist so auch der Ort, an dem wir uns wohlfühlen, sicher fühlen. Der uns vertraut ist, oft seit der frühesten Kindheit. An dem wir sozial verankert sind, dessen Kultur und Traditionen wir kennen und schätzen.

BRAUMEISTER Wasser in die Kanne füllen, Kaffeepulver in den Einsatz füllen, auf den Kocher stellen, warten, trinken. Der Perkolator ist erste Wahl beim Camping, wenn das Gewicht des Gepäcks keine Priorität hat. Sein Geheimnis: Durch Erhitzen entsteht Druck in der Kanne, das Wasser wird durch ein Metallröhrchen nach oben in den Kaffeefilter gepresst, wo es auf das Pulver tröpfelt. Im Gegensatz zur Moka – ­einem Pump-Perkolator mit separatem Kaffeebehälter – läuft das Wasser beim zirkulierenden Perkolator wieder nach unten in die Kanne, wo es sich mit dem restlichen Wasser vermischt. Je öfter sich der Vorgang wiederholt, desto intensiver wird der Kaffee. Der Perkolator von GSI braut auf diese Weise etwa sechs Tassen Kaffee. Er besteht aus geschmacksneutralem Edelstahl; der Griff ist silikonbeschichtet, durch den Deckelknopf aus feuerfestem Glas lässt sich der Fortschritt beobachten. Gewicht: etwa 570 Gramm. GSI Glacier Stainless 6 Cup Percolator Preis: 42,95 Euro

(AUF)ZIEHEN UND LOS Voll flexibel: Der Sojourn 60 ist Reise-Trolley und Rucksack in einem. Zum Ziehen sind Rollen und ein stabiler Aluminium-­ Rahmen mit zweistufig verstellbarem Teleskopgriff angebracht. Ein umlaufender, abschließbarer Reißverschluss verschafft einen schnellen Zugriff auf das Hauptfach. Weitere Fächer, unter anderem ein gut zugängliches Reißverschlussfach, zum Beispiel für die bei Flugreisen vorzuzeigenden Flüssigkeiten, sowie separate Schmutzwäsche- und Schuhfächer erleichtern die Organisation. An Daisy-Chains kann weitere Ausrüstung befestigt werden. Die innen angebrachten Kompressionsriemen halten den Kleiderstapel in Position; seitliche Flügel stabilisieren und komprimieren das Gepäck von außen. Dank verstellbaren Schultergurten, ­ einem gepolsterten Hüftgurt und einem verstellbaren Netz-­Rückensystem lässt sich der Sojourn 60 bequem auf dem Rücken tragen, andernfalls verschwinden die Gurte hinter einer Reißverschlussabdeckung. Gewicht: 3,87 Kilogramm. Osprey Sojourn 60 Preis: 289,95 Euro

Zurück zur Popularität. Warum entwickeln wir aktuell ein neues, tiefes Heimatgefühl? Schließlich war Heimat aufgrund des politischen Missbrauchs und der Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus lange Zeit ein schwieriger Begriff. Heimat sei heute ein Gegentrend zur Globalisierung und der mit ihr verbundenen Anonymität, heißt es. »Man besinnt sich wieder auf das, was es nur am eigenen Ort gibt«, zitiert das ZDF den Kulturanthropologen Werner Mezger von der Universität Freiburg. Rückbesinnung auf das Besondere der Heimat, das heißt nicht, dass wir uns zurückziehen (müssen). Wir sind genauso gerne in der Welt unterwegs wie vor der eigenen Haustür. Trotzdem, finden wir, ist es ein schöner Gedanke, sich bei Touren in unserer Heimat immer wieder klarzumachen, was wir an ihr lieben und schätzen. Unserer zutiefst vertrauten Lebens­welt immer wieder mit offenen Sinnen zu begegnen. Festzustellen, was bleibt und was sich ändert. Zu beobachten, wie sich nicht nur unsere Umgebung, sondern auch unsere Wahrnehmung im Laufe der Zeit wandelt – und Heimat so auch immer wieder neu zu erleben. Ganz egal, wo ihr im Herbst und Winter unterwegs sein werdet: Wir wünschen euch schöne, intensive und bleibende Eindrücke!

Foto Titelseite Die Tage werden kürzer, die Luft kälter. Kein Grund, sich in den Winterschlaf zu begeben. Im Gegenteil! Bunt verfärbtes Laub, einzigartige Nebelstimmungen: Der Herbst hat seinen ganz eigenen Reiz. Einfach in die warme Jacke schlüpfen, Mütze auf den Kopf setzen, Thermoskanne in den Rucksack – und ab nach draußen! Fotografiert von Michael Bissig

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REGEN-CAPE

STANDFEST

Auch wenn man optisch ein wenig »bucklig« daherkommt: Bei Rucksacktouren im Regen leistet das ­ Hooded Raincover von Bach wertvolle Dienste. Als eine Art Cape deckt die Rucksackhülle nicht nur den Trekkingrucksack vollständig ab, sondern reicht weiter über Schultern und Kopf. Dadurch bleibt auch das Tragesystem des Rucksacks trocken, das sich ansonsten bei länger anhaltendem Regen schnell mit Wasser vollsaugt. Getapte Nähte verhindern, dass Wasser nach innen dringt. Ein Schild an der Kapuze schützt zusätzlich vorm prasselnden Nass. Der Regenschutz ist in zwei Größen erhältlich: für Rucksäcke mit einem Volumen von 30 bis 60 und 60 bis 90 Litern. Das Material ist wasserdichter Ripstop Nylon. Je nach Ausführung wiegt das Raincover 180 beziehungsweise 220 Gramm. Bach Hooded Raincover Preis: 49,95 Euro

»Nammatj« bedeutet in der Sprache der Sami so viel wie »Berg, der frei in einer Talöffnung steht«. Tatsächlich steht das gleichnamige Tunnelzelt wie ein Fels in der Brandung, besser gesagt, in jedem Wetter. Das »Nammatj 2 GT« ist der Allrounder unter den Hilleberg-Zelten: robust, geräumig und doch leicht genug, um es auf ausgedehnte Trekkingtouren mitzunehmen. Stürmische oder winterliche Bedingungen muss man mit diesem Zelt nicht fürchten, denn das Außenzelt aus dreifach beidseitig silikonbeschichtetem »Kerlon 1800« reicht tief hinab und das 10 mm-Aluminiumgestänge ist sehr stabil. Zwei hoch angebrachte Lüfter funktionieren auch im Schnee. Im großen Innenzelt ist Platz für gut zwei Personen – das Gepäck wird in der geräumigen Apsis verstaut, die auch Raum zum Kochen lässt. Die »GT«-Variante ist gegenüber dem Grundmodell mit einer längeren Apsis und einem weiteren seitlichen Eingang ausgestattet. Auch wenn es für den Anbau nicht ausschlaggebend gewesen sein dürfte: Als Firmen-Gründer Bo Hilleberg noch einen Hund hatte, schlief dieser oft in der großen Apside des Nammatj … Hilleberg Nammatj 2 GT Preis: 1.115,95 Euro

HAUTPFLEGE

ALLE WETTER

Schönheitskur für die Bergschuhe? Genau. Damit das Leder nicht trocken, spröde und rissig wird, gibt’s für die »Schwerstarbeiter« eine reichhaltige Lederpflege. Das Shoe Wax Eco ist eine Mischung aus Bienen-, Carnauba- und Paraffinwachsen, die das Leder wieder schön geschmeidig, wasser- und schneeabweisend machen und so seine Lebensdauer verlängern. Das funktioniert bei Rau- und Glattledern und darf auch bei Schuhen mit Gore-Tex-Membran angewendet werden. Durch die Behandlung dunkelt das Leder etwas nach, Rauleder bekommt eine typisch »speckige« Oberfläche. Fibertec Shoe Wax Eco Preis: 6,95 Euro

Die Triolet war schon immer alleine deshalb nachhaltig, weil sie so langlebig ist. Jetzt ist sie noch nachhaltiger: Die überarbeitete Jacke kombiniert eine Gore-Tex-Membran mit einem Obermaterial aus recyceltem Polyester, das dauerhaft wasserabweisend behandelt ist. Die geräumige, helmtaugliche Kapuze hat einen laminierten Schirm, ist zweifach verstellbar und ermöglicht auch bei widrigen Bedingungen eine gute Sicht. Die beiden Napoleon-Taschen sind mit wasserdichten Reißverschlüssen gesichert und, wie auch die beiden Handwärmertaschen, mit Klettergurt und Rucksack kompatibel. Innentaschen aus elastischem Netzgewebe bieten Platz für Handschuhe oder Mütze. Belüftungsreißverschlüsse verhindern den Hitzestau. Die Ärmel sind mit elastischen Bündchen abgeschlossen, der Saum lässt sich mit einem Kordelzug in der Weite verstellen. Über ein elastisches Band am Rücken kann die Jacke an jeder Schneehose von Patagonia befestigt werden. Patagonia Triolet Preis: 379,95 Euro

ARBEITSTIER AUFTRAG AUSGEFÜHRT Die passende Auftragbürste zum Schuhwachs. Die von ­Fibertec ist nicht nur sehr leicht (17 g), klein und handlich, sondern auch umweltfreundlich produziert. Die Bürste wird komplett in Deutschland hergestellt, der Bürstenkörper besteht aus Buchenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft, die Borsten stammen von Wildschweinen. Bei der Fertigung wird Energie aus Sonnen- und Wasserkraft genutzt. Fibertec Auftragbürste Preis: 3,95 Euro

Die »Kodiak« steckt einiges weg. Die Lawinenschaufel hat nicht nur ein sehr großes Schaufelvolumen; der Stiel kann zum Räumen außerdem im 90-Grad-Winkel mit dem Blatt verbunden werden. Das Schaufelblatt besteht aus gehärtetem und eloxiertem Aluminium, hat hohe Seitenwangen und einen ausgeprägten Mittelsteg – das macht die Schaufel schön steif. Die Schneide ist geschärft, die Oberkante mit rutschfesten Tritt­ rillen versehen. Am ovalen Schaft, der sich zum Transport teleskopartig zusammenschieben lässt und dabei automatisch arretiert, befindet sich eine gummierte Griffzone. Der D-Griff am Schaftende ist ergonomisch geformt. Bohrungen im Blatt ermöglichen den Bau eines Rettungsschlittens. Die 770 Gramm schwere »Kodiak« lässt sich platzsparend zusammenpacken und im Rucksack verstauen. Ortovox Kodiak Preis: 89,95 Euro

Allgemeine Anfragen und Anregungen bitte an redaktion@rauszeit.net IMPRESSUM Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt: Michael Bode, Andreas Hille Redaktion & Produktion: outkomm GmbH, Eichbergerstrasse 60, CH-9452 Hinterforst, www.outkomm.com, redaktion@rauszeit.net Druck: Bechtle Druck&Service GmbH & Co. KG Copyright: Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung der Herausgeber und der Redaktion unzulässig und strafbar.

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ZWEI GESICHTER Ein hochwertiger asiatischer Wasserschleifstein mit einer groben und einer feinen Seite. Mit den relativ rauen Körnungen, 600 und 1500, eignet er sich besonders für den Vorschliff und Feinabzug stumpfer Messer. Auf der breiten Fläche lässt sich bequem und effektiv arbeiten. Ein stabiler Standfuß aus Hartgummi verhindert das Verrutschen des Steins beim Schärfen. Gewicht: 570 Gramm. Der Schleifstein ist auch mit einer gepaarten Körnung von 2000 / 5000 für sehr feine Klingen erhältlich. Böker Schleifstein 600 / 1500 Preis: 35,95 Euro

SCHARFE LEISTUNG Professionelles Schleifen leicht gemacht: Der »Knife & Tool Sharpener« macht Küchen-, Outdoor- und Taschenmesser, aber auch Äxte und andere Werkzeuge schnell und einfach wieder sehr scharf. Er besitzt drei Führungen, die unterschiedliche Messer und Schliffe im jeweils passenden Winkel an ein Schleifband führen. Die Bandgeschwindigkeit ist variabel. Der Feinabzug erfolgt auf einem KeramikSchleifstab. Das Gerät wird allen gefallen, denen das Schärfen von Hand zu langwierig ist, die aber gleichzeitig ein hervorragendes Schärfergebnis erzielen möchten. Mit dabei: drei Winkelführungen, zwei Schleifbänder je Körnung (80, 220 und 6000) und eine Transporttasche. Work Sharp Knife & Tool Sharpener Preis: 129,95 Euro

GUT VERPACKT Die Winterjacke »Skogsö« ist nach einem Naturschutzgebiet vor den Toren von Stockholm benannt. Passt, denn die Jacke kann ebenso gut in der Metropole wie in der Natur getragen werden – nicht nur in Schweden. Hüftlang geschnitten und leicht gefüttert, hält sie mollig warm, wenn’s draußen ungemütlich ist. Die Isolierung, G-Loft Supreme, wärmt auch noch bei feuchten Bedingungen. Das Obermaterial, robustes G-1000, ist wasserdampfdurchlässig, wind- und wasserabweisend. Eine geräumige, verstellbare Kapuze schützt und wärmt den Kopf. Saum und Ärmel lassen sich in der Weite anpassen. So hat kühle Zugluft keine Chance. Die »Skogsö« ist mit mehreren nützlichen Taschen ausgestattet: zwei auf Brusthöhe, zwei an den Seiten. Alle vier sind mit Reißverschlüssen mit extragroßen Zippern versehen, die sich auch mit Handschuhen gut greifen lassen. Platz für die Mütze, Handschuhe oder andere Kleinigkeiten bieten zwei große Mesh-Innentaschen. Als Männer- und Frauen-Ausführung erhältlich. Fjällräven Skogsö Padded Jacket M/W Preis: 379,95 Euro

Messer richtig schärfen

Dass ein scharfes Messer sicherer ist als ein stumpfes, dürfte euch geläufig sein. Das Schneiden erfordert weniger Kraft, die Klinge rutscht nicht so leicht ab. Aber wie lässt sich ein stumpf gewordenes Messer wieder nachschärfen? »Schleifen erfordert etwas Übung«, ­erklärt Messerexperte Christian Salmann. Für die ersten Versuche solltet ihr also nicht gleich das edelste Messer der Sammlung hernehmen. Vor allem Klingenmaterial und -schliff bestimmen die Schärfmethode. Beim Schleifen wird immer der ursprüngliche Schliff des Messers wiederhergestellt: Beim Flachschliff verjüngt sich die Klinge im gleichbleibenden Winkel vom Rücken zur Schneide, beim Skandischliff erst ab etwa zwei Dritteln der Klingenbreite. Auch der Ballen­schliff, bei dem die Schneide leicht konvex zuläuft, und Schliffe mit einer zusätzlichen Schneidekante sind recht gängig. »Wer sein Messer zu Hause schleifen möchte, nimmt am besten einen zweiseitigen Wasser- oder Ölschleifstein«, rät Salmann. »Insbesondere für feine Klingen aus Kohlenstoffstahl oder Damast.« Man beginnt mit der groben Körnung und wechselt später auf die feine Seite. Ein Wasserschleifstein wird vor dem Schärfen etwa zehn bis fünfzehn Minuten gewässert, dann auf einer rutschfesten Unterlage positioniert. Der Schleifwinkel sollte möglichst konstant eingehalten werden; er ­v ariiert je nach Klinge und Anwendungsbereich und beträgt häufig etwa 20 Grad. Der Skandischliff macht es e ­ inem am leichtesten: Er gibt automatisch den richtigen Winkel vor. Beim Schärfen wird die Klinge so lange mit leichtem Druck über den Schleifstein gezogen, bis sich über die gesamte Klingenlänge ein gleichmäßiger Grat herausgebildet

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SCHARF GEMACHT

hat. Anschließend wird der Vorgang mit der anderen Klingenseite wiederholt. Der Grat ist jetzt kleiner und nicht so deutlich zu spüren. «Wer sich unsicher ist, ob er zu steil oder zu flach ansetzt, kann die Schneide mit einem Filzmarker markieren. So erkennt man leicht, wo geschliffen wurde und wo nicht», empfiehlt Salmann. Ist der Schliff zu flach, bleibt die Farbe an der Schneide, ist er zu steil, ist die Farbe unmittelbar an der Kante entfernt, aber darüber hinaus nicht. Während des Schärfens bildet sich ein feiner Schlamm an der Schleifsteinoberfläche. Weil er die nötigen Schleif­p artikel enthält, sollte er während des Schärfvorgangs nicht entfernt werden. Nach dem Schärfen wird die Klinge noch abgezogen, um den Grat zu entfernen. Dazu werden beide Klingenseiten einige Male über den Abziehstein gezogen. Eine andere, materialschonendere Variante ist das Abledern, bei dem ein Lederriemen mit etwas

hochwertigem Poliermittel versehen wird, meist Diamantpaste mit feinen Schleifkörnern. Neulinge tun sich leichter mit speziellen Schärf-Sets, die mit einer Klingenführung ausgestattet sind. Diese führt die Klinge immer im richtigen Winkel über die unterschiedlichen Schleifoberflächen (z.B. von Lansky). Übrigens: Unterwegs auf Tour ist in der Regel kein kompletter Grundschliff notwendig, hier reicht das Nachschärfen. Bei Mehrtageswanderungen gehören daher ein kleiner, kompakter Schleifstein, ein leichter Taschenschärfer (z. B. von Lansky oder Victorinox) ins Gepäck, sagt Salmann. Und: »Wer sich das Schärfen gar nicht zutraut, kann sein hochwertiges Messer dem Profi anvertrauen.«

SFU – SACHEN FÜR UNTERWEGS GmbH Filiale Braunschweig Neue Straße 20 38100 Braunschweig Telefon: +49 (0)531 13666 E-Mail: info@sfu.de Filiale Hannover Schmiedestr. 24 / Ecke Osterstr. 30159 Hannover Telefon: +49 (0)511 4503010 E-Mail: info-hannover@sfu.de Web: www.sfu.de


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ÜBRIGENS … DIE NATUR ZUM VORBILD In der Natur etnscheidet die Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen über das Überleben. Daher haben sich, wie wir alle einmal gelernt haben, im Laufe der Evolution sinnvolle Merkmale gegenüber weniger nützlichen durchsetzen können. Der Mensch macht sich diese »Ideallösungen« auf unterschiedlichste Art und Weise zunutze, oder versucht, sie nachzuahmen. Auch, wenn es um den Schutz vor Kälte geht. Dazu raubt er unter anderem Wasservögeln ihre natürliche Isolationsschicht, die Daunen, um sie als Füllung in Outdoor-Bekleidung oder Schlafsäcken zu verwenden. Sie wärmt nicht nur hervorragend, sondern ist auch sehr leicht. Das liegt an ihrer dreidimensionalen Struktur: Anders als eine Feder besitzt eine Daune keinen Kiel, stattdessen verästeln sich von ihrem Kern ähnlich wie bei einem Pinsel etwa zwei Millionen feinste Federäste – je Daune, wohlgemerkt. Diese greifen ineinander und bilden so kleine Luftkammern, in denen sie im Verhältnis zu ihrem Gewicht große Mengen Luft einschließen können. Da Luft ein schlechter Wärmeleiter ist, wird die Körperwärme gespeichert, der Kälteschutz ist perfekt. Daune ist aber auch gut komprimierbar und sehr elastisch. Nach dem Zusammenpacken erreicht

sie schnell wieder ihre ursprüngliche Form. Einen Nachteil hat sie allerdings: Wird sie nass, fällt sie in sich zusammen, verklumpt und verliert so ihre wärmende Funktion. Zudem trocknet sie nur sehr langsam. (Bei Wasservögeln verbergen sich die Daunen deswegen unter einer schützenden Schicht aus Deckfedern, die sie zudem ständig fetten). Immer mehr Hersteller versuchen, den Aufbau von Daune mit synthetischen Materialien zu kopieren und so die Vorteile von Kunstfaser und Daune zu vereinen. Das Ziel sind Füllungen, die sehr gut isolieren, leicht und gut komprimierbar sind, aber auch im nassen Zustand wärmen und schnell trocknen. Beispiele sind das »PrimaLoft«, bei dem feinste Polyesterfasern über Kontaktpunkte miteinander verbunden sind und so ein Fasergespinst mit vielen kleinen Luftkammern bilden, »Quad Fusion« (hier schließen Kügelchen aus spiralförmigen Polyesterfasern die erwärmte Luft ein), oder »Coreloft«, bei dem unterschiedlich große, stapelförmige Polyesterfasern gekräuselt werden, um möglichst viele Luftkammern zu erzeugen. Teilweise fühlen sich die »Kunstdaunen« sogar wie echte Daune an.

FEDERLEICHT

SCHMEICHELEI

Patagonia setzt auf »PlumaFill«. Bei dieser synthetischen Füllung werden Zentralfasern spiralförmig von flauschigen Mikrofasern umgeben. So entstehen Luftkammern, in denen die Wärme gespeichert wird. Was Isolation, Gewicht und Komprimierbarkeit angeht, ist PlumaFill natürlicher Daune sehr ähnlich. Dabei ist die Füllung u ­ nempfindlich gegen Nässe. Beim Micro Puff Hoody ist sie über besonders feine Nähte abgesteppt, um der Kälte möglichst wenige Brücken zu bieten. Das Außenmaterial der 250 Gramm leichten Isolationsjacke ist winddicht und wasserabweisend imprägniert, der Front-Reißverschluss über eine innenliegende, nässeableitende Windleiste geschützt. Auch die anliegenden, elastischen Bündchen und der elastische Saum halten kalte Luft ab. Die leichte Kapuze passt unter einen Kletterhelm. Wird sie nicht benötigt, kann die Jacke in einer ihrer Reißverschlusstaschen verstaut und über eine Schlaufe in den Karabiner eingehängt werden. Patagonia Micro Puff Preis 279,95 Euro

Etwas schwerer als das Micro Puff, genauer gesagt 110 Gramm, ist das Atom LT Hoody, eine Isolationsjacke von Arc’teryx. Ihr windabweisendes Außenmaterial ist dauerhaft wasserabweisend behandelt. Dadurch kann die körpernah geschnittene Jacke nicht nur als wärmende Mittel-, sondern auch als schützende Außenschicht getragen werden – solange es nicht kräftig schüttet. An Rumpf, Armen und Kapuze wärmt die Kunstdaune »Coreloft«. Stretcheinsätze an den Unterarmen und den Seiten erhöhen die Bewegungsfreiheit. Das Atom LT Hoody lässt sich klein komprimieren und anschließend in der e ­ igenen Tasche, im Ärmel oder der Kapuze verstauen. So passt sie immer irgendwo ins Gepäck. Arc’teryx Atom LT Hoody Preis 249,95 Euro

WOLLIG WARM Wolle statt Daune: Die Piz Bianco ist mit einer Mischung aus Kunstfaser und Schurwolle (150 g/m2) gefüllt. Das Naturmaterial wirkt temperaturausgleichend, wärmt auch in nassem Zustand und müffelt auch bei längerem Tragen nicht. An den Ärmeln und in der Kapuze wurde die Füllung reduziert (120 g/m2), um die Beweglichkeit zu verbessern. Am Oberkörper wärmen zusätzliche Einsätze aus reiner Merinowolle. Das Außenmaterial, Nylon, macht die Jacke wasserabweisend und winddicht. Damit keine Wärme verloren geht, schließen der Kragen hoch und die Ärmel bündig ab. Kapuze und Saum lassen sich in der Weite verstellen. Kalte Hände werden in den seitlichen Bauchtaschen aufgewärmt, notwendiger Kleinkram in der Brust- oder den beiden Innentaschen verstaut. Die Jacke ist mit gut 500 Gramm zwar nicht ultraleicht, nimmt aber klein komprimiert nicht viel Platz im Gepäck ein. Ortovox Piz Bianco Preis: 329,95 Euro

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Hood River, Oregon, USA. FOTO Tyler Roemer

Allgäuer Alpen, Deutschland. FOTO Bastian Morell

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RAUSBLICK

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HENRY DAVID THOREAU

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Harz, Deutschland. FOTO Paul Masukowitz

Luleå, Schweden. FOTO Per Lundström

»KEIN FEUER KANN SICH MIT DEM SONNENSCHEIN EINES WINTERTAGES MESSEN.«


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ERLEBT: Eisangeln Lappland

MIT ANGEL UND OFEN AUFS EIS Auf einem zugefrorenen See campieren, ein Loch ins Eis bohren, eine Angel auslegen – und warten. Das Ganze in der Einsamkeit Lapplands, bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Klingt ungemütlich? Nicht, wenn man einen Ofen im Gepäck hat. Zwei Freunde aus Berlin haben das Abenteuer gewagt. »Eisangeln in Lappland ist etwas ganz Besonderes!« Mit glühender Leidenschaft unterbreitet mir Henrik im späten Frühjahr seine Idee. Ich lausche mit immer größer werdenden Augen. Er hält mir die offene Hand entgegen, ich schlage ein. »Ich bin dabei!« Die ersten kräftigen Sonnenstrahlen vertreiben endgültig den Winter aus Berlins Straßen und die Wärme ruft die kurzen Hosen auf die Kleiderordnung. Mit dem Sommer vor der Brust kommt das Versprechen leicht über die Lippen. Knapp ein Jahr später, im März, machen wir uns auf den Weg. Ich bin aufgeregt, fühle mich wie eine Mischung aus flugunsicherem Jungvogel und unzügelbarem Schlittenhund. Das letzte halbe Jahr hatten wir mit Planen und Vorbereiten verbracht. Auch wenn ich schon etliche Wintertouren im hohen Norden bewältigt hatte und meine Ausrüstung entsprechend gut beisammen war – in Sachen Eisangeln war ich ein Neuling. Würden wir unter einem Meter Schnee und noch einmal ebenso viel Eis tatsächlich noch Fische fangen? Sind nicht nur die Sami, die mit der Natur verschmolzene Urbevölkerung des Nordens, in der Lage, diese zu finden? Als begeisterte Nutzer eines Tipis kam uns die Vorstellung, abends bei wohliger Wärme Fisch zu braten, nur allzu verführerisch vor, also sollte der Zeltofen mit. Gleichzeitig trieb uns schon der Gedanke an die ersten Höhenmeter mit schwerem Gepäck die Schweißperlen auf die Stirn. Beim ersten Probepacken unserer Ausrüstung hatte meine Pulka – eine 120er Acapulka mit immerhin 250 Litern Volumen – kapituliert. Und das, noch bevor elementare Dinge wie Schlafsack, Angelausrüstung und Essen Platz

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fanden. Also musste eine größere Pulka mit sage und schreibe 600 Litern her. Mit der Bahn geht es nach Murjek, von dort über Jokkmokk mit dem Bus nach Kvikjokk. Die Anreise verläuft trotz unseres riesigen Gepäckstücks überraschend unproblematisch. Nur der Schaffner fragt kopfschüttelnd, was wir mitten im Winter mit einem Boot vorhaben.

Die Stille des Nordens Dann, am Abend, entsteigen wir freudestrahlend dem »Norbotten Länstrafik«. Zwei ungestüme Berliner, endlich wieder in Lappland! Es dämmert bereits, als wir den ersten Aufstieg angehen. Gegen Mitternacht schlängeln sich unsere Ski zwischen immer kleiner werdenden Tannen hindurch, Bergkuppen schlummern wie weiße Riesen im Mondlicht. Im Schein der Stirnlampen bauen wir unser Zelt auf, verkriechen uns in die Schlafsäcke und lauschen der Stille. Diese Stille! Bei vergangenen Wintertouren lag die Strecke im Fokus; dieses Mal wollen wir die Ruhe suchen. Unser Lager aufschlagen, Brennholz sammeln, Feuer machen und fischen. Die Etappen beschränken wir entsprechend auf ein Minimum, laufen oft nur wenige Stunden pro Tag und verbringen einige Zeit mit der Suche nach dem besten Platz für unser Tipi. Wir zelten immer auf dem Eis, aber nicht zu weit vom Ufer entfernt, denn wir brauchen Feuerholz und wollen die Köder nicht zu tief anbieten. Das Krachen des Eisbohrers, der sich durch die frostigen Massen fräst, begleitet uns, das Ermitteln der Wassertiefe wird zum täglichen Ritual. Wenn

es draußen zu unwirtlich ist, sitzen wir am Ofen im Tipi – direkt neben zwei Eislöchern – und angeln im Zelt. Doch der Fangerfolg bleibt aus. Als hätte ich es geahnt. Was messen sich auch zwei Großstadtindianer mit dem Können der Sami! Wir probieren es in verschiedenen Tiefen, über Grund und im Mittelwasser, aktiv und mit Schwimmer, aber der See behält seine Fische für sich. Niedergeschlagen und mit hängenden Köpfen ziehen wir weiter, darauf bedacht, unsere lebenden Köder, die schwedischen Maden, nicht erfrieren zu lassen. Das Wetter und die Landschaft sind umwerfend, die Bedingungen perfekt, doch der Stachel des fehlenden Fangerfolges sitzt tief.

Freudentänze im Schnee Der nächste See. Es ist Wochenende, und gelegentlich zieht ein Schneemobil in der Ferne über das Eis. Auch in Lappland ist eine »Generation Smartphone« herangewachsen. Wer hier mit Ski und Pulka unterwegs ist, kann nur Nostalgiker oder Tourist sein. Neben unserem Tipi haben wir an einem großen Ast die Nationalflagge der Samen gehisst, sie weht sanft in der nordischen ­Brise. Vielleicht ist das der ausschlaggebende Punkt, denn plötzlich beginnt die Angelschnur zu zucken – die erste Forelle hat angebissen! Es soll nicht die letzte bleiben. Wir tanzen durch den Schnee und können unser Glück kaum fassen. Mit aufrichtiger Ehrfurcht bewundern wir die Tiere und danken der Natur für unser Abendessen. Ein Festschmaus! Selbst ein paar Einheimische, die unser auffälliges


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Ganz links: Polarlichter – ein einzigartiges Naturschauspiel. Links oben: In die große 600-Liter-Pulka passt unser gesamtes Gepäck. Darunter: Anglerglück. Das Abendessen ist gesichert.

Lager mit dem Skido besuchen, bewundern unseren Fang und schenken uns Bier. Das gehöre schließlich dazu, meinen sie. Und wer schon einmal bei minus 30 Grad im Zelt am Öfchen saß, frisch gegrillte Forelle verspeisen durfte und dazu ein kaltes Bier genossen hat, der weiß, wie wir am Abend gelacht und gefeiert haben. Nun, da der Knoten geplatzt ist, laufen wir auf unseren Skiern zu weiteren Seen, um neue Fischgründe zu erschließen. Immer weiter zieht es uns in die Berge, bis der Gipfel des Skierffe vor uns liegt – ein Koloss, der mit stoischer Ruhe den Eingang zum Sarek bewacht. Das Wetter ist uns weiter gnädig. Jeden Morgen empfangen uns klare, eisigkalte Luft, Windstille und ein strahlendblauer Himmel, Nacht für Nacht flackern farbenfroh schillernde Polarlichte am Himmel. Unterbrochen vom gelegentlichen Holznachlegen bestaunen wir das surreale Naturschauspiel, das Auf- und Abflammen der Lichter und den Wechsel der Farben. Henrik klimpert auf seiner Gitarre und ich zaubere flambierte Eierkuchen mit Obst. All das mitten in der unwirtlichen Weite Lapplands.

Ein eindrucksvoller Abschluss Fast zwei Wochen sind vergangen, langsam neigt sich unsere Tour gen Ende. Beim abendlichen Einpacken der Angelausrüstung verschwindet die Pose plötzlich im Eisloch und wird nach unten gezogen. Konnten wir bei Forellen und Saiblingen in handelsüblicher Pfannengröße einfach kurz drillen und hochkurbeln, sitzen wir jetzt zu zweit über dem Eisloch und kämpfen uns

Oben rechts: Wir zelten immer in Ufernähe auf dem Eis. Darunter: Wer´s warm will, muss etwas dafür tun: Holz für den Ofen spalten. Ganz rechts: Eindrucksvoll – heißes Wasser gefriert in der eisigen Luft.

geschlagene zehn Minuten jeden Zentimeter Schnur zurück. Dann liegt eine gut 60 Zentimeter große Lachsforelle vor uns im Schnee! Sie hat gerade so durch das Eisloch gepasst. Unsere lauten Jubelrufe durchdringen die Stille. Für uns alleine ist dieses wunderschöne Tier natürlich viel zu groß, also legen wir es auf Eis und nehmen den Fisch als stummen Passagier mit auf die weitere Reise. In der letzten Nacht sinkt das Thermometer noch einmal gefährlich nah an 40 Grad unter Null. Wir haben gehört, dass man bei diesen Temperaturen – etwa zwanzig Grad weniger als in einer herkömmlichen Tiefkühltruhe – heißes Wasser in der Luft gefrieren lassen kann. In der Morgendämmerung beschließen wir mit kindlicher Aufregung, es selbst auszuprobieren. Gesagt, getan. Auf dem Öfchen bringen wir Wasser zum Kochen, füllen es in die Thermoskanne und stehen anschließend zum Fototermin bereit. Henrik flucht kurz über den kalten Kamerabody, ich schleudere den dampfenden Inhalt meiner Titantasse gen Himmel, wo dieser unter lautem Zischen zu einem imposanten Pilz vernebelt. Es funktioniert! Langsam wabert das Wölkchen durchs Tal und verflüchtigt sich allmählich, während wir staunend zuschauen und versuchen, diesen Augenblick für die Ewigkeit in unseren Köpfen zu verankern. Wenige Tage später sind wir zurück in Berlin. Zurück in der Zivilisation, die uns mit zu viel von allem überfordert: Menschen, Essen, beheizten Räumen, all diesen modernen Errungenschaften, denen wir für zwei Wochen dankbar entsagt hatten. Ich packe den

tiefgefrorenen Fisch aus und bereitete einen großen Wiedersehensschmaus für Freunde und Familie zu. Henrik ist natürlich auch dabei. Wir wechseln nicht viele Worte. Wir wissen auch so, dass wir etwas ganz Besonderes erlebt haben. ext: Johannes Ahrens T Fotos: Henrik Lüderwaldt

LAPPLAND

NORWEGEN

SCHWEDEN

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ERLEBT: Hüttenleben & Schneeschuhwandern im Rhonetal

ZURÜCK ZUR EINFACHHEIT Man nennt sie die Schattenberge. Was zunächst abschreckend klingen mag, wandelt sich zum Vorteil, wenn man ein ­weniger überlaufenes Winterquartier mit Topschneeverhältnissen sucht. Wie auf dem Präsentierteller zeigt sich die Berner Alpenparade vom Diablerets bis ins Goms – ein besonderes Vergnügen auf den Schneeschuhpfaden zwischen der Moosalp, Bürchen und Unterbäch. Noch intensiver erlebbar, wenn man sich in einer einfachen Berghütte einquartiert.

Still liegt das Skigebiet da. Mittendrin eine einsame Hütte. Wir sitzen davor und beobachten die Schatten, die in die Höhe kriechen. Die Bergspitzen, die im letzten Sonnenlicht immer röter werden, dann allmählich verglühen und in die Farbe des Himmels wechseln. Besser als jedes Fernsehprogramm und jeden Tag anders. »Lass uns die Sauna einheizen«, schlägt Dieter vor und meint damit das runde Fass gleich neben der Hütte. Bald bullert darin der Ofen, wir sitzen schwitzend auf den Bänken und verfolgen durch das Panoramafenster, wie langsam die Nacht einbricht, die Lichter im Tal mehr und mehr leuchten, als seien es die Spiegelungen der Sterne. Draußen knirscht die Kälte, als wir unsere Füße in den Schnee setzen, unseren dampfenden Leib mit dem weißen Pulver einreiben. Der Effekt könnte nicht intensiver sein. Hochrot zurück in die Fasssauna und dann nochmal. Die Moosalp-Hütte im kleinen Skigebiet der Augstbord-Region auf der Schatten­seite des Rhonetals hat Suchtpotenzial.

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Zurück zum einfachen Leben Die Vision von Reto Gilli trifft genau den Trend der Zeit. Eine Zeit, die immer schneller, immer technischer, immer konsumorientierter wird und Körper und Geist schlichtweg überfordert. «Dabei sind so viele Dinge überflüssig, sie lenken uns ab und schenken keine innere Zufriedenheit», sagt Reto. Zehn Jahre leitete der Luzerner das Igludorf auf dem Rotenboden oberhalb von Zermatt. Irgendwann hatte er genug von dem ganzen Trubel und Chichi. Er reiste nach Kanada und fand, was er suchte. Einsamkeit und ein Leben im Einklang mit der Natur. Und der Abenteurer stellte fest: Je weniger er hatte, um so zufriedener wurde er. In einer Lodge lernte Reto die Blockbauweise kennen, ein ­Helfer ­w urde gerade gebraucht. Sein Traum von einem einsamen Blockhaus irgendwo an einem See in der Schweiz wurde immer stärker und er begann in seiner Heimat nach einem geeigneten

Platz Ausschau zu halten. »Doch in einem Land, wo alles kompliziert geregelt ist, keine einfache Sache«, stöhnt Reto. Er musste Kompromisse eingehen, stiess nach langer Suche auf die Moosalp-Hütte, die er von der Gemeinde Bürchen pachten konnte. Die archaische Holzhütte entsprach seinen Vorstellungen. Auch die Lage gewissermaßen, hoch über allem, kein Straßenanschluss, freier Blick auf eine atemberaubende Gebirgskulisse – aber eben in einem Skigebiet. Ein Bügellift zieht direkt vorbei. Der steht zwischen 16.30 und 9.15 Uhr still. Also ein akzeptabler Kompromiss mit der Einsamkeit. Mit seiner Vision möchte Reto anderen Menschen das einfache Leben, das er in Kanada so zu schätzen lernte, näherbringen. Nicht überstürzt, sondern »step by step«, wie er gerne betont. In Unterbäch baute er ein Blockhaus, das er nun vermietet. Der erste Step. Die Gäste müssen ihr Wasser vom etwas entfernten Brunnen holen, selber Holz hacken und Feuer machen. »Plötzlich überlegst du


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Allrounder für jede Jahreszeit.

Ein Nallo im Sarek Nationalpark, Schweden. Erik & Lies Wijn

Links: Die Moosalp empfängt uns mit Kaiserwetter. Oben: Der Luxus des Einfachen: Aufwärmen in der Sonne, Candle-Light-Dinner und Schwitzen in der Fasssauna.

Ein Akto an der japanischen Küste. Stefan Rosenboom/augenwege.de

dir genau, wie viel du brauchst, gehst sorgsamer mit den Ressourcen um. Wenn du etwas selber tust, wird es wertvoller«, sinniert Reto. Auch auf Strom verzichtet die Hütte. »Also musste ich eine Lampe finden, die anders funktioniert.« Er entdeckte die Sonnengläser – ein Fair-Trade-Produkt aus Afrika. So simpel wie genial. Ein recyceltes Einmachglas, mit LEDs ausgestattet, die über ein Solarsonnenmodul im Deckel aufgeladen werden. »Wenn man eine Lampe tagsüber vor die Tür stellen muss, damit sie sich mit Sonne auflädt, um am Abend Licht zu haben, entsteht ein anderes Verständnis. Woher kommt die Energie eigentlich?« Etwas Komfort darf der Gast in Retos Blockhaus in Unterbäch noch genießen: Straßenzufahrt, Dorfkontakt mit Einkaufs- und Restaurantoption, auch eine Dusche mit fließend warmem Wasser hat er angebaut. Die Moosalp-Hütte ist dann etwas für Fortgeschrittene. Der zweite Step. Schon vorher muss man sich genau überlegen, was man für seine Selbstversorgung mitnimmt. Vom Parkplatz der Moosalp dauert der Zustieg zur Hütte mit Ski oder Schneeschuh eine halbe Stunde. Im Winter gibt es dort kein Wasser. Das bedeutet Schnee schmelzen. Reto zeigt uns bei der Einführung eine große, stählerne Pfanne. »Die Waschschüssel«, sagt er grinsend. Am besten als Katzenwäsche im Freien in Kombination mit der Sauna. Und zum stillen Örtchen hat er extra einen Pfad durch die Schneemassen getrampelt. Dann lässt er uns alleine mit unserem Schicksal.

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Oben: Über Schneemangel können wir nicht klagen. Unten: Noch einen Kaffee, einen Blick vor die Tür – dann geht es auf Tour.

Feuerholz zu holen gehört genauso zum Hütten­ alltag dazu wie den Ofen anzuheizen und Schnee zu schmelzen.

Es gilt, sich zu organisieren. Am Abend schon mal den Wasservorrat für den Morgen schmelzen. Aufwachen, Feuer machen, nochmal kurz unter die warme Bettdecke schlüpfen, erneut Schnee schmelzen ... Die Zeit bekommt hier eine ganz andere Dimension. Erst neun Uhr früh und wir haben schon ungeheuer viel auf die Beine gestellt. Die Sonne lacht, der Schlepplift setzt sich in Bewegung. Wir suchen aber nicht den Abfahrtsrausch, sondern genau das Gegenteil: Entschleunigung.

Impressionen wie in Kanada Wir wandern hinaus in die Landschaft, in die weiten Wälder der Moosalp, die sich jenseits der Passstraße auftun. Ein ideales Schneeschuhgelände, einsam und voller Routenmöglichkeiten. Reto hat recht, fast fühlt man sich ein bisschen nach Kanada versetzt. Dicke Schneepolster lasten auf den Nadelbäumen, zerstäuben zu glitzernden Kristallwolken, wenn die Tageswärme sie zum Fallen bringt. Ein Schneehase flüchtet durchs Unterholz. In einer Kuhle ahnt man einen See. Mehrere Tümpel, Flach- und Hochmoore verbergen sich in der einst durch eiszeitliche Gletscher geschliffenen Rundhöckerlandschaft. Darunter Biotope von nationaler Bedeutung, die nun unter der schützenden Schneedecke ihren Winterschlaf halten. Infotafeln weisen auf das Naturschutzgebiet hin. Aus dieser überzuckerten Märchenlandschaft ragt unser Stand. Schweigend stehen wir auf der offenen Hügelkuppe und lassen uns vom Horizont, der sich rund um uns ausdehnt, in den Bann schlagen. Im Süden blendet die mächtige Mischabelgruppe. Daneben schließen sich im Osten die Simplonberge an. Weissmies und Monte Leone können wir ausmachen. Im Norden die markanten Pyramiden

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von Aletschhorn und Bietschhorn und im Westen ganz nah das Augstbordhorn, das der Region seinen Namen gab. Kurz hinter dem Stand verschluckt uns wieder Wald. Wir stapfen durch ein Labyrinth aus knorrigen Arven und Lärchen nordwärts. Der ostseitige Hang gen Vispertal ist tabu, eine Wildruhezone, die nicht betreten werden darf. An der Lichtung der Breitmatte kommt man ihr ganz nah. Wir schwenken deshalb zur Eischmatte, stoßen irgendwann auf die Schneetrasse des Alpuschnaager, der einzigen Fahrverbindung zwischen Bürchen und Moosalp. Hinterm Steuer der Pistenraupe sitzt Roger Pollinger. Ein begnadeter Geschichtenerzähler. Gerne erzählt er vom Bozu, wie die Walliser ihre Naturgeister nennen. Eigentlich gutmütige Wesen. Sie spielen aber demjenigen böse Streiche, der die Natur nicht achten will. Sozusagen als Erinnerung, weil wir ein Teil von ihr sind. Sie nährt uns, sie schenkt uns Erholung, sie lehrt uns. In den Städten kann man das leicht vergessen.

Wolfsspuren Ein schönes Gefühl, in die Moosalp-Hütte zurückzukehren. Unsere kleine Einsiedelei in der Weite der Schneeberge. Der Lift steht längst still. Noch glimmen im Ofen ein paar letzte Kohlestücke. Das nachgelegte Holz flammt schnell wieder auf und die urgemütliche Stube füllt sich mit wohliger Wärme. Holz hacken, Schnee schmelzen. Hat man sich organisiert, geht alles ganz leicht von der Hand. Nach dem SaunaRitual gönnen wir uns ein Fondue am großen Holztisch, dekoriert mit Kerzenlicht. Auf die Uhr schauen wir längst nicht mehr. Zeit spielt keine Rolle. Man geht zu Bett, wenn man müde ist. Unter den dicken Duvets

schlummern wir wie Babys. Kein störendes Geräusch, nichts. Allmählich stellt sich ein natürlicher Rhythmus ein. Mit dem Licht stehen wir auf, voller Vorfreude auf die Morgenstimmung. Manchmal steigen wir den Hang höher hinauf, um noch mehr Gipfel im ersten Sonnenzauber zu bestaunen. Nach ausgedehntem Frühstück ziehen wir auf Erkundungstour, entlang uralter Wasserkanäle, die man hier Suonen nennt. Sie folgen den Höhenlinien und machen die steile Topografie genüsslich begehbar. Auch der Wolf nutze diese Schneeschuhpfade gerne, erzählt uns der Wildhüter Richard Imboden. Gekleidet in Jägergrün, nippt er gerade an seinem Kaffee, als wir auf der Brandalp eintreffen. Mehrere Fotofallen betreue er. Dazu seien allein in den letzten zwei Jahren 14 glaubwürdige Sichtbeobachtungen eingegangen. Was besagt, dass sich die menschenscheuen Tiere nur äußerst selten zeigen. Doch ihre Spuren lassen sich bestens im Schnee verfolgen. Das Augstbord-Rudel zählt etwa fünf Wölfe, weiß Imboden. Sie sorgen für heißen Gesprächsstoff vor allem unter den Bauern, die ihre Schafe seither mit Zäunen schützen müssen. Im Alpenrösli auf der Brandalp hoch über Unterbäch bleibt man nicht nur gerne auf ein Schwätzchen. Im Speicher unterm Dach hängen Würste, Schinken, Speck zum Trocknen, verrät uns die Wirtin, als wir die Qualität des Walliser Tellers loben. Auch die Kartoffelabfälle neben dem Haus zeigen, dass man auf frische, lokale Produkte Wert legt. Ein bekanntes Gesicht taucht auf: Reto ist zum Fitnesstraining mal eben so hinaufgespurtet. Nanuk, sein weißer Schäferhund, immer an seiner Seite. Reto deutet zum Ginalstal, das sich westlich der Brandalp ins Hochgebirge schneidet. Dort, weit oben, gäbe es eine Hütte, die wolle er für


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Photos: Fredrik Marmsater, Oskar Enander, Andrew Burr, Austin Siadak © 2018 Patagonia, Inc.

Besuch von Reto. Immer mit dabei: Nanuk, sein weißer Schäferhund.

Nimm Nichts mit. Die perfekte Antwort auf die

seinen dritten Step präparieren. Noch abgelegener, noch archaischer. Wie ein Blitz verschwindet der drahtige Hüne mit seinem »Eisbären«, denn das bedeutet Nanuk in der Sprache der Inuit, wieder ins Tal. »Wandert zur Lichtung Tschorr«, empfahl er uns noch. Hangparallel stoßen wir nach einer Weile auf die Hütten am Senggboden. Schnee türmt sich so hoch, dass man auch über die Dächer der Holzchalets spazieren könnte. Vis-à-vis strahlt der Berner Alpenkamm mit dem Bietschhorn als Blickfang. Die Landkarte leitet uns in ein Tälchen, in das im Februar kaum Sonnenstrahlen dringen. Ein Kältepol mit bizarr vereisten Nadelbäumen, auf denen sich der Schnee wie Schlumpfhauben türmt. Immer wieder sieht man abgeknickte Bäume, die der Gasse den Eindruck eines Urwalds verleihen. Man wäre nicht verwundert, einen Wolf zu sichten. Weltabgeschieden wirkt Tschorr. Aus der verträumten Lichtung scheinen die Felsflanken des Wildstrubelmassivs zu wachsen – dabei liegt das Rhonetal dazwischen. Weder müde noch schlapp nach solchen Touren versorgen wir uns abends in der Moosalp-Hütte. Als würde das einfache Leben uns verwandeln. Es scheint das Auge zu schärfen für die wirklich wichtigen Dinge. Alles wird bewusster angegangen, der Augenblick intensiver erlebt. Daraus schöpft man Kraft, Energie und neues Ideengut. Splitternackt rennt Dieter durch den Schnee, als wolle er die Welt umarmen. Die Fasssauna ist zum liebenswerten Ritual geworden. ext: Iris Kürschner T Fotos: Iris Kürschner & Dieter Haas

häufige Frage: Welche Jacke soll ich einpacken? Für kalte Standplätze und schnelle Übergänge. Abziehen der Skifelle und Abwarten von Stürmen. Begrenzter Stauraum und Aufwärmen nach dem Surfen. Campen in der Wüste und unerwarteter Monsun. Biwakieren und Fliegenfischen in eisigen Flüssen. Lange Traversen und nach anstrengenden Trail-Runs. Vorbei die Entscheidung zwischen Gewicht, Stauraum

SCHWEIZ

RHONETAL

oder Wärme. Wir machen es leicht. Die Micro Puff ist die einzige Jacke im Rucksack. 13


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ERLEBT: Trekking Sachsen

ÜBER ALLE BERGE Seit diesem Jahr gibt es in Sachsen einen neuen Trekkingweg: den Forststeig. Ein Jahr vor seiner Eröffnung haben sich drei ungleiche Gefährten auf einen Weg gemacht, der noch nicht existierte. »Querwaldein«. Eine abenteuerliche Erkundungstour durchs Elbsandsteingebirge.

Ein paar Kilometer hinter Ostrov an der sächsischböhmischen Grenze sieht Mitteleuropa beinahe so aus, wie es die Römer einst vorfanden. Als sie angesichts der wüsten Landschaft beschlossen, lieber die Finger davon zu lassen und in ihren Kastellen am Rhein zu bleiben. Zwischen grün bemoosten Felsen windet sich eine hauchzarte Spur den Hang hinauf. Vielleicht hat hier mal ein vom Leben enttäuschtes Reh versucht, von der Bildfläche zu verschwinden – man sieht von seinem letzten Weg kaum mehr als ein paar umgeknickte Grashalme. Wir hingegen hinterlassen eine gut und weithin sichtbare Fährte. Die Füße finden auf dem rutschigen Blätterteppich keinen rechten Halt. Einen halben Schritt vorwärts, drei zurück. Äste fahren uns zwischen die Beine, Dornen angeln nach unseren Hosen – und in diesem unbeschreiblichen Gestrüpp aus Birken, totem Holz und Brombeeren ist irgendwann Schluss. Nicht bloß die Römer, auch wir sind mit unserem Latein am Ende.

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Wir ahnen, dass gleich hinter dem Steilhang eine wunderschön geradlinige Holzrückeschneise im Hochwald zurück ins Reich der zivilisierten Forstwirtschaft führt. Aber wir sehen sie nicht, und das kurze Stück durch Kraut und Rüben genügt, dass wir uns gründlich darin verirren. Vor zwei Tagen sind wir aufgebrochen: Rolf Böhm, Kartograf aus Bad Schandau, seine Frau Karla und ich. Wir folgen einer roten Linie, die uns Sachsens Förster auf einen Stapel laminierter Geländekarten gemalt haben, Maßstab 1:10.000. Die Linie verläuft von Schöna an der Elbe kreuz und quer durch die grenznahen Wälder der Sächsisch-Böhmischen Schweiz, um schließlich nach knapp 100 Kilometern gegenüber von Bad Schandau wieder am Fluss zu enden. Dabei überquert sie zwölf Tafelberge und macht um die meisten Ortschaften einen weiten Bogen. Die Linie beschreibt einen Weg, den es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gibt. Den neuen Forststeig, die erste richtige Trekkingroute im Elbsandsteingebirge.

Wir sind dann mal weg – mitten in Sachsen Die Idee von Trekking ist schnell erklärt: Einen Rucksack aufsetzen und loswandern. Den Kopf freimachen von allen gedanklichen Lasten. Nur noch ein Ziel: der eigene Weg. Der Welt den Rücken kehren und mit sich selbst Kontakt suchen. Teil der Natur und eins mit ihr sein. So haben sich Wanderpioniere die Sache vorgestellt, wie der Amerikaner John Muir, nach dem eine der anspruchsvollsten Trekkingrouten in den Vereinigten Staaten benannt ist: der JohnMuir-Trail. Wer seine Bücher liest, hat die weiten und unberührten Landschaften des amerikanischen Westens vor Augen. Doch im Elbsandsteingebirge, wo der Mensch schon vor Jahrhunderten fast jeden Winkel erschlossen und besiedelt hat und es weit und breit keine freie Wildnis mehr gibt – kann da die Idee von Trekking überhaupt funktionieren? Wir sind ein ungleiches Team. Meine beiden Begleiter wandern am liebsten minimalistisch wie


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Oben links: Nebel umgibt die Festung Königstein, einen geschichts­trächtigen Ort. Oben: Still und romantisch – das Gelobtbachtal.

pilgernde Mönche und verzichten auf nahezu alles, was ihnen unterwegs beschwerlich werden könnte. Ich dagegen bin so ausgerüstet, dass ich die Tour unter allen Umständen zu Ende bringen kann. Gemessen an diesem Anspruch ist mein Rucksack eigentlich ganz vernünftig gepackt. Doch beim Anblick von Rolfs und Karlas Gepäck erscheint er mir plötzlich reichlich übergewichtig. Ich komme mir vor wie der Caravan unserer Wandergruppe, wie eine Schnecke, die ihr Haus mit sich herumschleppt – oder wie jemand, der vom Elbsandsteingebirge weiterwandern will, bis ihm die Chinesische Mauer den Weg versperrt. Offensichtlich sind unsere Vorstellungen von Trekking und dem, was uns auf dem bevorstehenden Weg erwarten wird, grundverschieden.

Wo kein Weg ist, finden wir einen Auf den Sachsenforst-Karten führt die rote Linie den Hang hinauf und dann oberhalb der sogenannten

Wir sind dann mal weg! Vier Tage haben wir für den »Elbsandstein-­Dschungel« geplant, es werden sechs.

Fichtenwände immer an der Geländekante entlang. Die Wirklichkeit ist aber nicht zwei-, sondern dreidimensional und viel komplizierter. Der Hang ist steil und dermaßen zugewachsen, dass wir ständig höllisch aufpassen müssen, nicht zu stolpern. So, als würde man mit den Füßen Tetris spielen. Nichts deutet darauf hin, dass hier jemals ein Mensch gewesen ist – oder nach uns je wieder seinen Fuß in diese Gegend setzen wird. Terra incognita, mitten im Elbsandsteingebirge. »Dreimal darfst du raten, warum die uns hier langschicken«, sagt Böhm mit einer feinsäuerlichen Spur Zynismus in der Stimme. Doch die Initiatoren des Forststeigs trifft keine Schuld. Niemand hat uns vorgeschickt, wir haben es selbst gewollt. Rolf Böhm gehört zur aussterbenden Sorte von Kartografen, die die Welt gern selbst mit den Füßen erkunden, um sich anschließend mit Tusche und Feder ein möglichst präzises Bild davon zu machen. Dabei sind Wege für ihn nicht einfach bloß Linien und Koordinaten. Für ihn haben sie eine Geschichte, einen Charakter, ja

sogar eine Seele, als wären sie lebendig. Doch im Gegensatz zum Menschen zeigen Wege ihre Seele nicht auf der Couch. Um zu erkennen, wes Geistes Kind der Forststeig ist, müssen wir wie ein Maultier beladen die zwei höchsten Tafelberge der Sächsischen und Böhmischen Schweiz erklimmen, den Großen Zschirnstein (560 Meter) und den Hohen Schneeberg (723 Meter). Die Nacht wie eine Raupe zusammengerollt bei klirrender Kälte in einer Biwakschachtel am Taubenteich verbringen. Von der Grenze südwärts über böhmischen Asphalt trotten, bis unsere Gelenke ein Lied davon singen können. Und uns schließlich durch die wahrscheinlich anhänglichsten Brombeerranken im gesamten Gebirge kämpfen. »Und ich dachte, der Weg wird langweilig«, bemerkt Karla trocken. Davon ist die Route weit entfernt. Sie ist hart! Über die gesamten 100 Kilometer gibts nur wenige Berührungspunkte mit der Zivilisation, mit Ausnahme von drei Kneipen auf böhmischer Seite (Kristin Hrádek, Schneeberg, Ostrov) und zweien auf sächsischer

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Oben: Kletterer lieben die bizarren Felstürme. Unten: Der Forststeig hat von April bis Oktober »Saison«.

Oben: Die Große Hunskirche vor Sonnenaufgang. Unten Mitte: Rast auf dem höchsten Berg im Elbsandstein, dem Hohen Schneeberg (723 m). Ganz unten: Spur im Beutwald. Handelt es sich um einen Wolf?

DER FORSTSTEIG IM ÜBERBLICK (Ottomühle, Papststein). Die meisten Anstiege sind steil und anstrengend, auf einigen Abschnitten geht es zeitund kräfteraubend hin und her, mehr als 20 Kilometer am Tag sind mit schwerem Gepäck kaum zu schaffen. Unübersichtliches Gelände wie in den Fichtenwänden erschwert die Orientierung, und mit anderthalb Litern Trinkwasser im Rucksack schaffen wir es gerade so von einer Quelle zur nächsten. Am dritten Tag macht es sich sogar bezahlt, dass ich einen Wasserfilter im Rucksack mitschleppe; als wir in einer Senke im Wald, am Rand einer Wildschweinsuhle, ein kleines Rinnsal anzapfen müssen. Das Wasser schmeckt selbst nach dem Filtern noch sehr nährstoffreich, nach Erde und Nüssen. Zum Glück kommen die Kohletabletten nicht zum Einsatz. Mitunter ist nicht ganz klar, wer da eigentlich wen testet: wir den Forststeig, oder er uns. Das Projekt zieht sich in die Länge. Vier Tage hatten wir geplant – es werden sechs. Dafür belohnt uns der Weg aber immer wieder mit ungewohnten Aussichten auf das vermeintlich vertraute Sandsteinland. Der Forststeig umläuft das Gipfelplateau des Großen Zschirnsteins wie eine Hutschnur und eröffnet auf der Nord- und Ostseite spektakuläre und völlig neue Perspektiven. Später, auf

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dem Schneebergblick am Katzstein, hat man beide Zschirnsteine wie ein mächtiges Tablett vor sich liegen. Wie die sagenumwobenen Tafelberge von Venezuela, inmitten einer schier endlosen Waldwildnis. Wir tauchen tief in den Schoß der linkselbischen Felslandschaft ein, durchwandern Gründe und Schluchten, in denen Licht und Finsternis einen beständigen Kampf ums Dasein führen, namenlose Rinnsale im Gebüsch verschwinden und die weißen Blüten des Waldsauerklees wie Glühwürmchen über moosbewachsenen Steinen leuchten. Steigen empor zu blanken Gipfeln, wo der Wind und die Sonne unsere Begleiter sind. Finden Wolfs- und Rotwildspuren in den Wäldern, aber begegnen nur selten einem Menschen. Die Welt bleibt bereits am ersten Tag zurück. Und bevor wir die Veränderung so richtig mitbekommen, sind wir schon über alle Berge.

Beim Trekking lernt man seine Lektionen schnell und gründlich Doch in den Fichtenwänden stecken wir fest. Mein GPS-Gerät hat offenbar den Kontakt zu einem Satelliten verloren, im Gitternetz verschiebt sich meine

Der Forststeig ist eine anspruchsvolle Mehr­ tages-Trekkingtour für geübte, ambitionierte und gut ausgerüstete Wanderer. Das Geländeprofil erfordert eine sehr gute Kondition. Dafür belohnt die Route mit spektakulären Panoramablicken auf die Felslandschaft des Elbsandsteingebirges und verspricht Stille und Abstand zu den touristisch hochfrequentierten Teilen des Gebirges. • Eröffnung: 28. April 2018 • Distanz: 100 km • Gehzeit: 6 – 7 Tage • Aufstieg gesamt: 2840 hm • Abstieg gesamt: 2842 hm • Höchster Punkt: Hoher Schneeberg im böhmischen Teil des Elbsandsteingebirges (723 m) • Farbmarkierung: Gelber Strich • Empfohlene Ausrüstung: Robuste Trekking­ ausrüstung inklusive Zelt, Schlafsack und Kocher. Wasserfilter empfohlen. • Trekkinghütten und Biwaks am Trail sind von April bis Oktober geöffnet. Route und Hüttentickets: forststeig.de


EXTREM LEICHT. EXTREM ROBUST.

Position plötzlich um 30 Meter nach Osten, obwohl ich mich keinen Schritt von der Stelle bewege. In der entgegengesetzten Himmelsrichtung verkrümelt sich die Sonne gerade ins Unterholz. In spätestens einer Stunde wird es dunkel sein, vom geplanten Übernachtungsplatz im Beutwald sind wir noch kilometerweit entfernt. Wie aus heiterem Himmel fegt ein Windstoß durchs Unterholz. Aufkommender Wind kündigt oftmals Wetterwechsel an. Wenn wir Pech haben, wird es heute Nacht wie aus Kübeln gießen. Wir sollten einen trockenen Platz zum Schlafen suchen. Irgendeinen. Schließlich findet Rolf die im Dickicht versteckte Nordwest-Passage Richtung Zeisigstein doch noch. Eine halbe Stunde später werfe ich am Rand einer Klippe unweit von Hellendorf meinen Rucksack ins Heidekraut. Böhms sind schon am Auspacken. Zum Vorschein kommt ein dünnwandiges Armee-Zelt, mit dem der Kartograf und seine Frau im Unterholz so gut getarnt sind, dass sie ganz sicher von der nächsten Wildschweinrotte überrannt werden. Die Konstruktion wirkt alles andere als robust und wiegt im Ganzen bloß ein Kilo. Die Nähte sind nicht versiegelt, das Dach erinnert an die legendären DDR-Tropfenfänger der Marke Fichtelberg. Jedes Taschentuch würde mehr Nässe abhalten. Ich werfe einen Blick auf die schweren Regenwolken, die von Westen heranziehen, und versöhne mich gedanklich mit jedem Gramm, das mein Rucksack zu viel auf die Waage bringt. Mein Zelt ist wetterfest, ich werde prima schlafen. Den Gedanken, wie Böhms nachts auf Knien ihren Schützenstand trockenwischen, blende ich aus. Beim Trekking lernt man seine Lektionen schnell und gründlich. Eine ist, dass sich Leid keineswegs dadurch halbieren lässt, dass man es teilt. Text & Fotos: Hartmut Landgraf

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(1) Schneemauer als Witterungsschutz (2) T-förmig einge­ grabener Hering (3) hoch angebrachte Lüfter

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(4) Snowflaps; werden von außen mit Schnee beschwert (5) Sitzgrube

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BESSERWISSER: Winter-Camping

SCHNEENÄCHTE Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, Schnee satt. Jetzt ist die Zeit zum Winterwandern, Schneeschuh- oder Skitouren­gehen. Oder Campen. Richtig! Wenn eure Ausrüstung stimmt und ihr darüber hinaus einige Tipps beherzigt, wird Zelten auch in der kalten Jahreszeit zum faszinierenden Outdoor-Erlebnis.

Campen im Winter. Klingt wenig einladend? Eine Winternacht im Zelt muss nicht mit klappernden Zähnen und eisigen Zehen oder gar der Flucht in die Wärme der nächsten Hütte enden. Im Gegenteil: Mit der richtigen Ausrüstung und dem nötigen Grundwissen ist die Outdoor-Nacht auch bei Minusgraden ein tolles Abenteuer. Wer sich bislang noch nicht getraut hat, sollte es einfach mal ausprobieren. Sei es für eine Nacht, oder gleich mehrere. Dafür muss man nicht weit reisen; spannende Touren gibt es direkt »vor der Haustür«. Zum Beispiel den Westweg im Schwarzwald oder den erst kürzlich eröffneten Forststeig im Elbsandsteingebirge (mehr zu Sachsens neuem Trekking­weg ab Seite 14).

Gut gerüstet Zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen fürs Nächtigen im Schnee gehören ein wintertaugliches Zelt, eine Isomatte und ein warmer Schlafsack. Egal, ob mit Daune oder Kunstfaser gefüllt, der Komfortbereich sollte zu den nächtlichen Temperaturen passen und lieber etwas Spielraum nach unten lassen. Wichtig: Auf Mehrtagestouren den Daunenschlafsack unbedingt tagsüber in Pausen auslüften lassen. Dazu auf links drehen! Wer das Wintercampen erst einmal ausprobieren möchte, muss sich nicht sofort eine komplette Ausrüstung zulegen. Fürs Erste können auch zwei Schlafsäcke kombiniert, sprich, übereinander getragen werden. Ähnlich ist es bei der Isomatte: Eine zweite, möglichst rutschfeste Matte (zum Beispiel eine dünnere Schaumstoffmatte) verstärkt die Isolation. TIPP: Legt eine etwas breitere Matte unter die aufblasbare Isomatte oder gleich den kompletten Boden im Innenzelt mit einer Schaumstoffmatte aus. So kommt ihr nachts nicht mit dem kalten Zeltboden in Berührung, auf dem sich im Winter zudem schnell Kondenswasser bildet.

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Wasser im Zelt ist immer unangenehm, daher sollte Schnee gründlich von der Kleidung abgeklopft oder -gebürstet werden, bevor es ins »Schlafzimmer« geht. Kondenswasser an den Zeltwänden ist bei Temperaturen unter minus fünf Grad übrigens kein Problem – es gefriert und wird am nächsten Morgen einfach abgeschüttelt. Wer nur gelegentlich im Winter zeltet, kann quasi jedes (3- oder 4-Jahresezeiten-)Zelt nutzen. Vorausgesetzt, es hat ein geschlossenes Innenzelt. Ein Innenzelt, das nur oder teilweise aus Moskitonetz besteht, ist ungeeignet. Außerdem sollten die Lüfter so hoch positioniert sein, dass sie auch im Schnee funktionieren. Denn: Ist die Belüftung blockiert, kommt kaum Sauerstoff ins Zelt. Wird dann noch in der Apside gekocht oder Schnee geschmolzen, droht schnell eine Kohlenmonoxidvergiftung, die im schlimmsten Fall tödlich enden kann. Bei speziellen Winterzelten sind die Lüfter besonders hoch angebracht. Das Außenzelt reicht tief bis zum Boden und ist häufig mit sogenannten »Snowflaps« ausgestattet. Diese lappenförmigen Verlängerungen des Gewebes verhindern, dass Schnee unter das Außenzelt drückt oder verweht; sie werden von außen mit Schnee beschwert. Winterzelte sind sehr strapazierfähig, wasserdicht und sturmtauglich. Bei extremem Wind kann die Stabilität des Zelts auch dadurch erhöht werden, dass die Gestängebögen verdoppelt werden. So legt zum Beispiel Hersteller Hilleberg die Gestängekanäle darauf aus, bei Bedarf zwei Stangen aufzunehmen. Davon abgesehen empfiehlt es sich auf Mehrtagestouren immer, Ersatzgestänge und Reparaturhülsen mitzunehmen. Darüber hinaus gehören eine leichte und stabile Schneeschaufel, eine Stirnlampe, ein verlässlich funktionierender Outdoor-Kocher (zum Schneeschmelzen und zur Zubereitung warmer Mahlzeiten), eine Thermoskanne und energiereiche Nahrung ins Gepäck. Neben der Thermoskanne dient eine normale, mit warmem (nicht zu heißem) Wasser gefüllte Trinkflasche als Wärmflasche im Schlafsack oder zum Wärmen und Trocknen von Socken und Schuhen.

TIPP: Einen Socken als »Wärmflaschenüberzug« über die Trinkflasche ziehen. So schützt ihr euch besser vor Verbrennungen und Hitzeschäden am Material. Der Mensch verliert die meiste Wärme über den Hals, den Kopf und den Leistenbereich. Eine Mütze, ein Schal oder ein Schlauchtuch, extrawarme, lange Unterwäsche, zwei Paar Socken (zum Wechseln), zwei Paar Handschuhe, eine wasserdampfdurchlässige mittlere Bekleidungsschicht und eine isolierende Daunenjacke schützen vor dem Auskühlen.

Wie man sich bettet … … so liegt man. Deswegen kommt der Standplatzwahl eine große Bedeutung zu. Senken werden vermieden, denn dort sammelt sich nicht nur kalte Luft, unter ­Umständen wird das Zelt auch schneller eingeschneit. Am schönsten sind Plätze mit Aussicht – diese dürfen aber nicht zu windexponiert sein. Besser eignen sich geschützte Stellen hinter Kuppen, Felsblöcken oder am Waldrand. Falls es sehr stark stürmt und es keinen natürlichen Windschutz gibt, dient eine selbst gebaute Schneemauer als Windschutz. Ihre Höhe und Ausrichtung hängen von den Windverhältnissen ab, sie sollte jedoch etwa ein bis zwei Meter Abstand vom Zelt ­haben. Tipp: Während ihr ihre windzugewandte Seite flach a ­ nsteigen lasst, fällt die Seite zum Zelt steil ab. So ­werden Schnee-Verwirbelungen abgemildert. Vor dem Zeltaufbau wird der Untergrund präpariert, das heißt, Unebenheiten werden ausgeglichen und der Schnee wird mit Ski oder Schneeschuhen festgestampft. Anschließend lässt man die Fläche etwa zehn Minuten ruhen, damit sich der ­verdichtete Schnee neu verbinden kann. Um die zukünftige Liege­f läche nicht zu zerstören, sollte sie beim Zelt­ aufbau möglichst nicht betreten werden. Der Eingang des Zelts wird auf der windabgewandten Seite positioniert, sorgfältiges Abspannen ist Pflicht! Im


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Oben links: Trotz der Kälte das Trinken nicht vergessen! Oben rechts: Flüssigbrennstoff funktioniert auch bei Minusgraden.

pulvrigen, leicht nachgebenden Schnee finden die Heringe allerdings wenig Halt. Besser geht es, wenn sie T-förmig wie ein Anker tief in den Schnee eingegraben und anschließend festgestampft werden. Spezielle Schneeheringe haben eine große, schaufelförmige Fläche und bieten deutlich mehr Widerstand. Alternativ bilden Ski, Stöcke, Schneeschuhe oder Schaufeln Anker für die Leinen. Eine Schaufel bleibt aber immer im Zelt. Sollte es eingeschneit werden, kann man sich damit selbst ausgraben. TIPP: Um bequem im Zelteingang sitzen zu können, hebt ihr eine Sitzgrube in der Apsis aus. Etwa 50 Zentimeter tief sollte sie sein. Ebenfalls praktisch, vor allem wenn ihr länger an einem Ort verweilt: ein Regal, das ihr unter der Schräge der Apsis in den Schnee baut. Hier findet zum Beispiel das »Küchenequipment« Platz. Beim Ausheben der Sitzgrube mit einplanen oder direkt mit bauen!

Wärme tanken Ist das Lager fertig, geht es zum gemütlichen Teil des Abends über. Auf dem Kocher lassen sich warme Gerichte wie Curry, Eintopf oder Pasta zaubern. Gefriergetrocknete Fertigmahlzeiten, die mit heißem Wasser zubereitet werden, sind besonders energiereich, sparen Gewicht und reduzieren die Kochzeit. Zutaten wie Ingwer und Chili wärmen den Körper von innen. Das Trinken nicht vergessen! Bei Kälte wird die ausreichende Aufnahme von Flüssigkeit oft unterschätzt, der Flüssigkeitsbedarf ist aber dennoch hoch. Vorteil im Schnee: Nachschub ist immer vorhanden, der Schnee muss lediglich im Kocher geschmolzen werden. Am besten, man häuft immer einen Vorrat an frischem, sauberem Schnee in Reichweite am Zelteingang auf. Manche Gaskocher funktionieren bei tiefen Minusgraden nicht mehr vernünftig, weil das Gas mit weniger Druck aus der Kartusche kommt. Entweder, man verwendet spezielles Gas für Wintereinsätze oder einen MultifuelKocher. Denn Flüssigbrennstoff ist weniger temperaturanfällig als Gas, und daher bei extremer Kälte zuverlässiger. Warm, satt, sicher? Dann ab in den Schlafsack … Eine gute Winternacht! TIPP: Bevor es endgültig in den Schlafsack geht, wärmt ihr euch am besten nochmals durch Bewegung auf. Ein Wettlauf durch den Tiefschnee oder zehn Runden ums Zelt machen warm – und gute Laune!

ext: Titus Arnu, Mirjam Milad T Fotos: Jonas Jacobsson (o.l.), PatitucciPhoto (o.r.), Joe Stock/Hilleberg

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EINBLICK: Ortovox

NATÜRLICH HIGHTECH Einst startete Ortovox mit Sicherheitsausrüstung für Skitourengeher. Heute sorgen auch T-Shirts für ordentlich Umsatz – und doch schafft es Ortovox, im Bergsport verwurzelt zu bleiben. Das Streben nach mehr Sicherheit und vor allem eine feine Faser halten den Laden zusammen.

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Mittags steht Produktchef Stefan Krause dann mit einem Teller Lachsfilet und Blumenkohlauflauf in der Hand auf der Sonnenterrasse und sucht einen freien Platz. An den Bierbänken sitzen junge, sportlich aussehende Menschen, bayerischer und Tiroler Dialekt schwirrt durch die Luft. Die Wiese vor der Terrasse ist stellenweise plattgedrückt. »Das kommt vom Pilates heute Morgen, machen unsere Mitarbeiter immer«, sagt Krause. Hinter der Wiese rauschen die weiten Gerstenfelder im Wind, und über allem liegt ein Duft von frischem Kaffee, den eine nahe Rösterei gerade verpackt. Ist man hier, im südlichen Münchner Speckgürtel, nicht doch bei einer der vielen aufstrebenden IT-Firmen gelandet, die ihre Mitarbeiter mit allerlei »Benefits« umgarnen? Nein, die Adresse stimmt. Hier residiert Ortovox, und zwischen zwei Lachshappen erklärt Krause einem Kollegen, dass er sich im Hinblick auf die gewünschte Rückmeldung eines tasmanischen Wolllieferanten noch etwas gedulden müsse: »Der James ist zwei Wochen beim Skifahren.« Was wiederum eine Art Beleg ist für Krauses Aussage, die er zuvor in seinem Büro fallen ließ und schon anderen Journalisten in den Block diktierte: »Ich weiß von jedem unserer Farmer in Tasmanien, welches Bier und welchen Tee er trinkt.« Die tasmanischen Wollfarmer, sie sind derzeit das große Thema bei Ortovox. Es wächst gewissermaßen parallel zu den Kollektionen und Umsätzen der Abteilung »Mountainwear«, die sich um die Entwicklung von Bergsportbekleidung kümmert. Und die ist bei Ortovox seit jeher aus Wolle.

Auf zwei Wellenlängen Doch der Ursprung von Ortovox war ein ganz anderer. Gerald Kampel und Jürgen Wegner, zwei Münchner Studenten und begeisterte Skitourengeher, gründeten die Firma im Jahr 1980. Damals war die Frequenz für LVS-Geräte noch nicht vereinheitlicht. Kampel und Wegner entwickelten das erste Gerät, das zwei Wellen­längen abdeckte: Das »F2«. Wegner besetzte die Rolle des technischen Direktors. Kampel, gebürtiger Österreicher, übernahm den Vertrieb und versuchte unermüdlich, Bergführer von den Vorteilen des Geräts zu überzeugen. Seine Strategie, Experten der Branche als Meinungs­führer und Co-Entwickler zu gewinnen, ist eines der Vermächtnisse, die Ortovox noch heute hochhält. Die Firma rüstet nicht nur den Verband der deutschen Berg- und Skiführer aus, sondern auch mehrere Lawinenwarndienste. Über die 2008 gegründete, eigene »Safety Academy«, die bis heute stetig ausgebaut wird, begannen zudem Kooperationen mit zahlreichen Bergschulen. Und natürlich fänden sich auch in der eigenen Belegschaft ein paar »echte Freaks«, so Krause – vom Bergwachtler über die Skilehrerin bis hin zum AV-Tourenleiter. »In der Entwicklung sitzen echte Core-Anwender, im Vertrieb unter anderem ein Bergführer. Da geht es am Montagmorgen erst mal da­ rum, was am Wochenende alles gemacht wurde.« Ein Teamausflug der heute 65 Mann starken Truppe kann schon mal (gewollt) in der Gletscherspalte enden.

Zurück zu Kampel und Wegner: Die beiden Ski­ enthusiasten erweiterten das Sortiment bald um einen Tiefschneerucksack und eine Lawinenschaufel, ehe sie 1988 die erste Sportmode fertigen ließen. Handschuhe, Pullover, Mützen, Socken, im simplen LinksLinks-Strick und aus gewalkter Schafschurwolle. Mitten zur Boomzeit der pflegeleichten und schnelltrocknenden Kunstfaser, die erst knappe 20 Jahre zuvor ihren Sieges­zug angetreten und Schurwolle aus dem Bergsportbereich weitestgehend verdrängt hatte. Und dennoch entwickelte sich das Woll-Portfolio von Ortovox stetig weiter. 1995 produzierte die Firma die erste Funktionsunterwäsche aus Merinowolle, die dank ihrer feineren Faserstärken kein Kratzgefühl auf der Haut erzeugt. Die olfaktorischen Vorteile der W ­ olle und ihre selbstreinigende und wasserspeichernde Faserstruktur taten ihr Übriges, um der Kunstfaser weitere Marktanteile abzujagen – nicht zuletzt, weil auch andere Firmen die Merino­wolle entdeckten und ihr Image beförderten. »Zu Beginn des Jahrtausends kam die Idee, W ­ olle und Polyester zu kombinieren«, schildert Krause die Chronik. Ein wichtiger Antrieb sei gewesen, die pflegeintensiven Wollklamotten robuster zu machen, ohne gleichzeitig mit dem Grundsatz »Wolle auf die Haut« zu brechen. »Wolle ist nun mal das beste Material für die Klimaregulierung. Da kommt keine Kunstfaser hin, allein schon vom chemischen Aspekt«, so Krause. Gemischt aber tat sich eine neue Welt auf: Merino plus Polyester, Elasthan, Nylon, Cordura

Ortovox startete im Jahr 1980 mit Sicherheitsausrüstung für Skitourengeher.

Unten: Seit zehn Jahren vermittelt die »Safety ­Academy« Wissen zur Lawinenprävention.

Oben: Produktchef Stefan Krause auf Tasmanien-Besuch. Unten: Merinowolle ist besonders weich und hochwertig.


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– blättert man heute durch das »Materiallexikon« am Ende des Ortovox-Warenkatalogs, stößt man auf mehr als ein Dutzend verschiedener Woll- und Kunstfaserkombinationen, vom »Naturetec Plus« über das »Merino Fleece« bis zum »Competition Light«.

Die Entdeckung des Sommers Immer leichter, immer funktioneller wurden diese Kombinationen, bis der einstige Skitouren-Spezialist Ortovox so ausgefuchste Wollmaterialien in die Hände bekam, dass auch ein Sommersortiment denkbar schien. 2015 war es so weit. »Das berühmte OrtovoxSommerloch gibt es nicht mehr«, sagt Krause und klatscht zum Beweis einen Stapel Kataloge auf den Tisch: Jahr für Jahr wird die Sommerausgabe dicker. Und weil das Wintersortiment weitgehend frei von neuen Produkt­ kategorien blieb (abgesehen vom eigenen Lawinen-Airbag, der 2016 auf den Markt kam), schenken sich Umfänge von Sommer- und Winter­ katalog neuerdings nichts mehr. Wo aber kommt all die Ware her, die Krauses Abteilung »Mountainwear« in Taufkirchen zwischen Moodboards und Schneidetischen ersinnt? Ein Drittel stammt aus Asien – nicht nur aus Lohngründen, sondern auch, weil die entsprechenden Maschinen in Europa gar nicht mehr verfügbar wären. Wie etwa beim neuen Material »Guardian Shell«, bei dem eine wind- und wasserdichte, dampfdurchlässige Membran zwischen eine Polyamid- und eine Merinoschicht eingezogen

Mehr als 400.000 Schafe verbringen in den Schweizer Alpen die Sommermonate auf der Alm.

wird. Entwicklungszeit: vier Jahre. »Der Unterschied zu anderen Firmen ist, dass wir unsere Materialien selbst entwickeln und nichts von der Stange kaufen«, sagt Krause. Die Zusammenarbeit mit großen Produzenten sei so gut, dass Ortovox früh auf deren Entwicklungen zurückgreifen könne. Immerhin zwei Drittel der Bekleidungsproduktion von Ortovox erfolgen in Europa. Die Lieferkette führt von Branchengrößen wie Schoeller in Bregenz oder der Südwolle Group aus Nürnberg über die altbewährte Textilindustrie in Lettland und Litauen und große bulgarische Wollwäschereien, die bis zu 15 Tonnen Wolle pro Tag verarbeiten, bis hin zum Ein-Mann-Betrieb aus der Steiermark, der die Wollstrickhandschuhe eine Woche lang im Keller in Form trocknen lässt.

Das Woll-Versprechen Geht man noch einen Schritt zurück, nämlich bis zum Schaf, ist Krause ganz in seinem Element. Er, der mindestens einmal im Jahr die zehn tasmanischen Merinofarmen mit ihren 60.000 Schafen besucht, war eine treibende Kraft hinter dem »Ortovox Wool Promise« – dem Woll-Versprechen, welches die Firma nach zwei Jahren Vorbereitung 2017 abgab. Für Farmund Landmanagement, Tierhaltung, Transport und Schlachtung wurden hohe Standards definiert und auditiert, vom Dünger über die Medikamente bis zur Bewässerung. Und man überwacht, dass an den Schafen kein Mulesing durchgeführt wird. Bereits seit 2015 ist

Ortovox Mitglied der Fair Wear Foundation. Neben der tasmanischen Merinowolle greift Ortovox auch auf die aus der Schweiz stammende »Swisswool« als Füllmaterial zurück. Sogar die »Daniel Düsentriebs«, wie Krause das Team in der Hartwarenentwicklung nennt, haben die Wolle für sich entdeckt: An einigen Rucksäcken sind die Rückenpolster aus der temperatur- und feuchtigkeitsregulierenden »Swisswool« gefertigt. Was bringt die Zukunft? Öffnet man sich, wie andere Ausrüster, dem Laufsport und Speed-Bergsteigen, oder gar dem lukrativen »Urban Outdoor«-Markt der Freizeitbekleidung? »Für uns ist extrem wichtig, dass wir spitz bleiben«, sagt Krause, »mit einem klaren Firmenziel, dem sich auch der Vertrieb verpflichtet fühlt.« Gut möglich also, dass die typisch knalligen Farben noch eine Weile vorherrschen dürfen und die Produkte auf Berg-, Kletter- und Skitourensport gepolt bleiben. Pilates geht darin natürlich auch.

Text: Thomas Ebert Fotos: ZVG

In speziellen Maschinen wird die Schafwolle ausschließlich mit Seife und Soda gereinigt.

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NACHGEFRAGT: Anti-Lärm-Aktivist Gordon Hempton

DER HERR DER STILLE Zwischen Seattle und den endlosen Weiten des Pazifiks liegt der Olympic Nationalpark. »Eine der ruhigsten Ecken der Welt«, meint Gordon Hempton. Der Sound-Tracker hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, natürliche Stille akustisch einzufangen und zu bewahren. Ein Streifzug, der zeigt, wie wichtig die Abwesenheit von menschlich erzeugten Geräuschen für Körper und Seele ist. Zusammen mit Fritz schleicht Gordon Hempton durch den Hoh-Regenwald im Olympic Nationalpark. Vorsichtig. Darauf bedacht, möglichst wenige Geräusche zu machen. Fritz’ Kopf ist noch kahler als der von Gordon. Doch sitzt er nicht auf einem durchtrainierten Körper wie bei Hempton, sondern auf einem Stativ. »Fritz« ist ein Mikrofon, integriert in einen Plastikschädel, mit ramponiertem Gummiohr, in das mal ein Wolf gebissen hat. Eigentlich wurde »Fritz« kon- struiert, um die Akustik von Konzertsälen authentisch zu analysieren. Doch was für Musikfans die Benaroya Symphony Hall in Seattle ist, ist für Gordon die Natur. Ein Bach gluckert, ein Zaunkönig trällert, ein Rabe krächzt, untermalt vom sanften Rauschen des Windes in den Baumwipfeln. Seit über 35 Jahren unternimmt Gordon Hempton oft mehrwöchige Exkursionen, auf der Suche nach dem reinen, ursprünglichen Klang der Natur – ohne von Menschen erzeugte Geräusche. Er wurde dafür bereits mit einem Emmy Award ausgezeichnet, beliefert Weltfirmen wie Microsoft mit Sound-Bibliotheken und arbeitet mit führenden Wissenschaftlern zusammen. Doch es gelingt selbst hartnäckigen Naturen wie Hempton nur noch extrem selten, Tondokumente einzufangen, in die sich nicht in irgendeiner Form unnatürliche Geräusche mischen. »Wenn man berücksichtigt, dass Geräusche von Autos oder Lastwagen bei idealen Bedingungen bis über 30 Kilometer weit hörbar sind, benötigt man große unberührte Flächen«, erklärt Gordon. Solche Areale bietet der Olympic National Park. Im Westen brandet der Pazifik an 100 Kilometer unverbaute Küstenlinie ohne Straßen. Gordon war auch viel in Europa unterwegs. »Selbst in den Alpen habe ich nirgendwo einen Ort gefunden, der die Kriterien für Stille erfüllt hätte.«

Dimension des Lebendigseins Den Menschen zu zeigen, wie Natur klingt und wie sie von einer nicht lärmverschmutzten Umwelt profitieren können, ist für Gordon Hempton längst eine Mission. Das

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Schlüsselerlebnis dazu hatte er während seiner Studienzeit. »Ich war in Seattle zu Hause, studierte aber Botanik an der University of Wisconsin-Madison«, erzählt er. Auf einer der vielen endlos langen Autofahrten dorthin überkam ihn eines Tages eine bleierne Müdigkeit. »In the middle of nowhere«, irgendwo in Iowa, parkte er seinen Pick-up-Truck. »Ich legte mich in ein Kornfeld. Schaute in den Himmel. Betrachtete, die Wolken, die immer dunkler wurden. Der Wind bewegte die Halme, es wär Spätsommer. Es fühlte sich richtig gut an. Ein Gewitter zog auf und rollte heran. Aber ich blieb liegen. Ich war so müde, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Ich saugte einfach alles auf. Das war das erste Mal, dass ich wirklich hinhörte. Ich hörte nicht auf das eine oder andere Geräusch. Ich nahm alles in seiner Gesamtheit wahr. Ich musste meinen Kopf nicht drehen, um die Dimensionen des Tals wahrzunehmen, der Donner hat sie mir verraten.« Augenblicke, die Gordons Leben geprägt haben. »Ich fuhr weiter, und mir wurde bewusst: Ich habe eine neue Dimension dessen erfahren, was es heißt, wirklich lebendig zu sein.« Gordon kehrte schließlich zurück nach Seattle, kaufte sich Kopfhörer, ein Mikrofon, einen Rekorder und begann die Welt der Klänge zu erkunden. Nach einer Zeit des Experimentierens stand sein Plan fest: »Ich wollte eine SoundBibliothek der Natur schaffen, Klänge bedrohter Arten aufnehmen, ehe sie endgültig verstummen.«

vielleicht, alles ist o.k., aber dein Körper hört trotzdem zu.« Nicht zuletzt durch die Entwicklung der Medien sei der zivilisierte Mensch vor allem visuell geprägt. Doch noch wichtiger sei das Hören. »Sound ist Information«, sagt Gordon. »Wir können unsere Augen verschließen, aber nicht unsere Ohren. Hören ist ein 24/7-Nonstop-Dataflow, der uns informiert und intelligent hält. Hören kommt vor Sehen. Macht uns aufmerksam. Wir hören etwas und sehen es uns dann an!« Diese Erkenntnis hat Gordon Hempton möglicherweise schon das Leben gerettet: »Es war bei Aufnahmen in Sri Lanka. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt, dass Gefahr droht. Also ging ich weg, ließ aber das Gerät laufen. Später hörte ich die Aufnahme ab. Es war eindeutig: Im Hintergrund war ein Leopard zu hören.« Viele Botschaften der Natur gehen heute nach Gordons Meinung im vom Menschen produzierten Lärm unter. Diese Störgeräusche wirkten, als würde man mitten in die Unterhaltung der Natur hineinplatzen. Und dann erzählt er von einem Experiment: Wissenschaftler installierten mithilfe von Lautsprechern einen »Phantom-Highway«. Sie simulierten akustisch eine Autobahn, mitten durch den Wald. Ergebnis: Innerhalb kurzer Zeit nahm die Zahl der Spezies deutlich ab. Einige Arten verschwanden sogar komplett.

Umweltbelastung Lärm

Bisweilen wirkt Hempton, als erkläre er eine Religion oder zumindest eine Weltanschauung. Lauscht man mit ihm der Natur, verfestigt sich der Eindruck, dass seine Mission tatsächlich auf ein elementares menschliches Bedürfnis abzielt. »Hinzuhören, was uns die Natur zu sagen hat, hat beruhigende, öffnende und erdende Effekte.« Gordon hebt langsam den Kopf, blickt durch die Baumkronen zum Himmel. Wie entfernter Donner rollt das Dröhnen eines Düsenflugzeugs heran. Auch der Olympic Nationalpark ist nicht frei von Lärmverschmutzung. Doch Gordon ist guter Dinge, dass der Park bald zum ersten »Quiet Park« weltweit erklärt wird. Hempton

Entlang moosüberwucherter Baumstämme setzt Gordon behutsam Schritt für Schritt. Dann bleibt er stehen, spitzt die Ohren, schüttelt den Kopf. »Lärmverschmutzung belastet Menschen und Tiere mindestens genauso negativ wie jede andere Form der Umweltverschmutzung«, sagt er fast flüsternd, aber bestimmt. Lärm – auch wenn »nur« unterschwellig – verursache stressbedingte Krankheiten, fördere sogar asoziales Verhalten. Laute, unwichtige Klänge übertünchten andere, möglicherweise wichtige Töne. »Der Kopf sagt dir

Auf dem Weg zum Quiet Park


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10 Fragen an Gordon:

Glaubst du an Schicksal und wenn ja, warum? Ja und nein. Wenn du dir Zeit nimmst, in der Stille in dich hineinzuhorchen, wirst du erfahren, was nötig ist, um das Leben zu meistern. Bitte vervollständige folgenden Satz: Ein Abenteuer ist … ... wenn du dich nicht auf das Ergebnis fixierst. Die Cofan-Indianer in der ecuadorianischen Amazonasregion haben kein Wort für »Abenteuer« und benutzten stattdessen ein Sprichwort: »Caen’tsu Daja – Lass es geschehen!« Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdest du unterwegs nicht verzichten? Auf einen Regenschirm. Er ist ein perfektes Multitool, nicht nur bei Nässe. Er spendet Schatten, dient als Windschutz und hilft mir, mich bei Tierbeobachtungen zu verstecken. Außerdem verstärkt die Parabolkonstruktion schwache Geräusche. Davon abgesehen habe ich damit schon über ein Dutzend Mal Schlangen beiseitegeschoben, die auf dem Weg lagen. Was hat dir im Leben schon mal richtig Angst g ­ emacht? Jedes Mal, wenn ich in abgelegene Wildnisgebiete vordringe, beschleicht mich ein gewisses Angstgefühl. Denn die Erfahrung hat mich gelehrt, dass lebensbedrohliche Ereignisse jederzeit passieren können. Angst öffnet meine Sinne – ich fühle mich dann völlig lebendig. Wer war der beeindruckendste Mensch, den du je kennengelernt hast und w ­ arum? Auf jeden Fall Bertis, mein Guide in der Kalahari. Wir hatten nur zwei Worte gemeinsam, »Löwen« und »keine Löwen«. Bertis wusste alles, nur nicht, woher er alles wusste. Er wusste es eben. Bertis rettete mehr als einmal mein Leben, indem er meine Einschätzungen korrigierte. Was hast du im Leben Relevantes gelernt? Jedes lebende Tier, jeder lebende Mensch ist gleich entwickelt. Wir alle haben unsere Reise. Respektiere die Reise des anderen.

Die Natur wartet auf dich

Was bedeutet Glück für dich? Ich habe mir Glück in den 80er-Jahren einmal im Monat gekauft – in Seattle von e ­ inem der Natives. Ich legte eine Münze in den Schnurkreis, in dem er stand, musste ihm tief in die Augen blicken, und dann übertrug er seine Energie mit einem festen Hände­ druck auf mich – ich fühlte sie in Form einer Hitze. Aber Glück ist noch viel mehr: Ich glaube an das Glück harter Arbeit. Welchen Kindheitstraum hast du dir erfüllt? Als Kind genoss ich besonders die Stille am Grund des Schwimmbades zu Hause in unserem Ort. Jetzt kann ich überall »am Grund des Pools« sein. Welche Dinge werden heutzutage oft überschätzt? Die Bedeutung von Wissenschaft und Technologie. Wir suchen oft nach »Informationen«, um unsere globalen Umweltkrisen zu lösen, ignorieren jedoch, dass wir nicht in der Lage sind, Lösungen umzusetzen, die bereits bekannt sind. Wir sollten einsehen, dass unsere wahre Krise keine ökologische, sondern eine spirituelle ist. Wie würde der Titel deiner Autobiografie lauten? Seuketat. Das ist ein Eskimo-Wort und bedeutet so viel wie »Tierohr«. Ich bin jetzt 65. Mein Lebensweg bestand darin, ein besserer Zuhörer zu werden.

schreibt die Fluggesellschaften an. »Den Nationalpark zu meiden, kostet die Airlines weniger als eine Minute Flugzeit, und die Mehrkosten pro Ticket liegen unter einem Dollar.« Mittlerweile haben schon vier Inflight Magazine von Gordons Projekt berichtet. »Wir alle haben ein Recht auf Stille«, sagt er, »genauso wie die Natur. Wir stehen auf diesem Planeten vor immensen Herausforderungen. Aber ich bin mir sicher: Die Antworten darauf existieren bereits. Sie liegen in der Stille. Wir müssen nur richtig hinhören.« Text & Fotos: Christian Penning

während du diese Zeilen liest, wartet draußen die Natur auf dich. Ob ein kurzer Ausflug in den Wald, ein Wochenendtrip oder das tägliche Abenteuer auf dem Weg zur Schule oder in die Arbeit: mit Fjällräven kannst du dich bei Wind und Wetter draußen aufhalten. Unsere zeitlose, langlebige Ausrüstung, macht jedes OutdoorErlebnis perfekt. Um dich warm und trocken zu halten, verwenden wir 100 % ethisch gewon-

nene und rückverfolgbare Daunen, eine pfc-freie Imprägnierung und recycelte Wolle. Die Natur wartet auf dich. Worauf wartest du?

www.fjallraven.de


FOTO Adobe Stock

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LIE ESERKLÄRUNG

ZAUBERHAFTER GEFÄHRTE Überlegt mal, jemand erzählt euch, sie oder er sei schon siebzehn Jahre mit dem Freund oder der Freundin zusammen. Auch wenn ich weiß, dass das keineswegs unmöglich ist: Heutzutage ist das wirklich schon eine lange Beziehung. Anzunehmen, dass sie glücklich sind. Vielleicht durch Höhen und Tiefen gegangen sind. Sicher aber vieles gemeinsam erlebt haben, das sie zusammengeschweißt hat. So ähnlich ist es auch bei uns, dem Wizard und mir. Der Rucksack begleitet mich jetzt schon siebzehn Jahre – da kann man schon von einem Lebensabschnittsgefährten sprechen. Er teilt ja auch mit mir die »Lasten des Alltags«: alles, was ich bei der Arbeit brauche, meine Einkäufe, Gepäck für eine Tagestour, das verschwitzte Sportzeug. Seinen Namen, Zauberer, trägt er zu Recht: Obwohl er mit seinen 27 Litern Volumen »nur« ein Tagesrucksack ist, passt nämlich erstaunlich viel rein. Nicht nur meine Kletterausrüstung inklusive Schuhe, Chalkbag und einem hallentauglichen 40-Meter-Seil. Auch die Getränke für die Feierabendrunde, bei der wir samstags nach Ladenschluss die Erlebnisse der Woche Revue passieren lassen. Vorsichtig ziehe ich dann eine Flasche Fassbrause nach der anderen aus dem Rucksack, bis schließlich alle sechzehn auf dem Tisch stehen. Zauberhaft! Da liegt der Vergleich mit einem Zylinder, aus dem weiße Kaninchen hervorgezaubert werden, ja quasi auf der Hand ... Einen doppelten Boden hat der Wizard aber nicht. Auch sonst keinen Schnickschnack, sondern nur die Taschen, die man wirklich braucht: ein großes Innenfach und, je nach Alter des Modells, zwei Netztaschen an den Seiten. Die verstellbare Helmhalterung, in der sich

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aber auch alles Mögliche verstauen lässt. Fallen die Einkäufe fürs Wochenende mal üppiger aus, ist das auch kein Problem: Dank dick gepolsterter Schultergurte, Hüft- und Brustgurt lassen sich auch schwerere Dinge bequem auf dem Rücken transportieren; über die Lastenkontrollriemen kann der Sitz gelockert oder gestrafft werden. Dazu ist der Wizard ungewöhnlich robust (sonst hätte er es wohl kaum so lange mit mir ausgehalten). Weder beim Obermaterial noch bei den Reißverschlüssen wurde gespart. Die geben in der Regel ja als Erstes auf. Und als Alltagsrucksack wird er viel öfter geöffnet und geschlossen als einer, den man nur gelegentlich zum Wandern benutzt. Sollte mein Rucksack tatsächlich irgendwann das Zeitliche segnen (worauf noch nichts hindeutet), werde ich ihn wohl durch einen neuen Wizard ersetzen. Das Modell wurde im Laufe der Jahre überarbeitet und sieht nun deutlich schicker aus. Aber was ist schon Schönheit … Sie ist vergänglich. Was bleibt sind die inneren Qualitäten. Und nach siebzehn Jahren weiß ich einfach, was ich an meinem Wizard habe. Text: Mathias Hascher

PRODUKT­INFORMATION: BACH WIZARD 27 Der »Wizard« erblickte 1994 das Licht der Rucksack-Welt und wurde seither mehrfach überarbeitet und weiterentwickelt. Der Daypack mit einem Volumen von 27 Litern lässt sich sehr flexibel einsetzen. Da er eigentlich als Radrucksack konzipiert wurde, verfügt er über eine verstellbare Helmhalterung an der Front. Die nimmt jeden Bike- oder Kletterhelm auf oder bietet Platz für die Regenjacke und andere Ausrüstung, die man gerne schnell zur Hand hat. Unter der Halterung versteckt sich eine zusätzliche Netztasche, von außen ist eine kleine Reißverschlusstasche zugänglich. Außerdem befinden sich Reflektoren und eine Befestigungsmöglichkeit für das Rücklicht an der Außenseite. Das geräumige Hauptfach verfügt über eine Halterung für die Trinkblase. Eine integrierte, verstaubare Regenhülle schützt den Inhalt vor Nässe. Die Materialien, Cordura mit einer Faserstärke von 1000 Denier und 420 Denier, sind abrieb- und reißfest. Die Rückenplatte aus vorgeformtem HDPE schmiegt sich eng an den Rücken an. Die Schultergurte sind angenehm gepolstert, Hüft- und Brustgurt halten den Rucksack in Position. Lastenkontrollriemen ermöglichen das individuelle Austarieren der Last. Der Rucksack ist aktuell in vier Farben erhältlich. Gewicht: 1050 Gramm. Preis: 139,95 Euro


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