RAUSZEIT
RAUSZEIT AUSZEIT WEGE.
ABENTEUER.
Preis: 2,00 €
FOTO Hilleberg
FOTO Goalzero
FOTO Philipp Schuppli
FOTO Dan Patitucci
MENSCHEN.
Ausgabe Sommer 2015
ERLEBT
BESSERWISSER NACHGEFRAGT
Mit dem Packraft durch die wilden Schluchten des Val Grande Nationalparks. Märchenhaft schöne Natur im Herzen der Alpen. Mehr auf S. 12
Stromversorgung fernab jeder Steckdose? Der Besserwisser zeigt, wie man auch unterwegs Kamera, GPS und Handy laden kann. Mehr auf S. 18
Ein Termin bei Dr. Zelt. Bo Hilleberg versorgt Outdoor-Enthusiasten seit über 40 Jahren mit den besten Zelten der Welt. Sein Antrieb ist die Liebe zur Natur. Mehr auf S. 22
FOTO Exped
RAUSZEIT Sommer 2015
WILDNIS-EINZIMMERWOHNUNG
STANDPUNKT Was für ein Phänomen! Tagelang schlapp, matt, lustlos und müde. Und dann: Nur ein kurzer Ausflug ins Wäldchen um die Ecke hat schon gereicht und der Akku ist zumindest wieder im mittleren Bereich. Kann die Natur in so kurzer Zeit wirklich eine so viel bessere Wirkung haben als zig Tassen frisch gebrühter Kaffee? Sie kann. Und eigentlich spüren wir das auch immer wieder. Diese Kraft, die in uns zurückkehrt, die Ruhe und die Erholung, wenn wir außerhalb von Betonwüsten, Straßenwirrwarr und Stadthektik Zuflucht suchen. Einige Menschen sind empfänglicher für dieses Erlebnis als andere. Und einigen Orten wird eine besonders starke Ausstrahlung zugeschrieben. Zahlreiche Bücher wurden über solche »Kraftorte« verfasst. Nach esoterischen Vorstellungen sollen sie eine besondere Erdstrahlung haben, der eine beruhigende, stärkende oder das Bewusstsein erweiternde Wirkung zugeschrieben wird. Die Natur ist in der Geomantik – der spirituellen Lehre von Kraftorten – überall zu finden. Quellen, Schluchten, Berggipfel, Höhlen, Felsformationen, Steine, alte Bäume – ihnen werden in Mythen und Sagen magische Kräfte zugesprochen, von der Heilung bis zum Jungbrunnen. In Deutschland zum Beispiel gelten die Externsteine, eine markante Sandsteinformation im Teutoburger Wald, in »Fachkreisen« als Kraftort. Aber die Annahme, die Kraft der Natur nur an wenigen ausgewählten Orten zu spüren, ist unserer Meinung nach falsch. Denn selbst ganz ohne esoterische Antennen können wir immer wieder feststellen, welch’ positive Wirkung die ZEIT im Freien hat. Dabei muss es bei Weitem nicht immer die große Tour sein. Die magischen Momente, von denen wir stunden-, tage-, ja manchmal wochenlang zehren können, sind oft auch die kurzen Episoden. Sich zu überwinden, eine Stunde früher aufzustehen, RAUS zu gehen und mitzuerleben, wie der Tag bei fröhlichstem Vogelgezwitscher lautstark und zugleich leise erwacht. Beim Paddeln auf dem heimischen See in der Morgendämmerung die ersten Sonnenstrahlen zu spüren, während der Nebel die Wasseroberfläche noch verhüllt. Oder die »frisch gewaschene« Waldluft in die Lungenflügel zu saugen, nachdem man eingehüllt in die Gore-Tex-Ausrüstung eine Stunde mutterseelenallein durch den Regen gelaufen ist. Kann man einen unvermeidbaren Bürotag nicht besser beginnen, als mit einer Ladung Sauerstoff im Fahrtwind auf dem Tourenrad? Und wenn dabei noch die Morgensonne durch die Bäume blitzt und mit ihren Strahlen den Tau auf den Pflanzen zum Dampfen bringt, ist das unsere tägliche Kraft-Tankstelle. Unsere kurze, aber so heilsame RAUSZEIT. In diesen Momenten spüren wir den genius loci, den »Geist des Ortes«, die Seele der Natur, und finden den Grund für unsere Leidenschaft, immer wieder RAUS zu gehen.
FOTO Sawyer
FOTO Hilleberg
»Enan« heißt das neue, ultraleichte Einpersonen-Zelt von Hilleberg. »Unser Ziel war es, ein Solo-Zelt für den Dreijahreszeiten-Einsatz zu entwickeln, das extrem leicht und gleichermaßen sehr robust ist«, beschreibt Gründer und Chef-Entwickler Bo Hilleberg den »Familienzuwachs«. Neben der Konstruktion ist vor allem das neue Außengewebe interessant: Kerlon 600 ist ein dreifach mit Silikon beschichtetes Nylon-Ripstop-Gewebe mit einer erstaunlich hohen Weiterreißfestigkeit (6 kg) bei sehr geringem Flächengewicht (26 g/m2). Das Enan kommt mit nur einem neun Millimeter starken Aluminium-Gestängebogen (DAC NSL) aus, d. h. sauberes Abspannen ist Pflicht. Ultraleicht-Fetischisten werden über das reine Gewicht von 1,1 Kilogramm nicht komplett ins Schwärmen geraten. Wenn sie jedoch erlebt haben, was die kleine Nylon-Hütte aushält, wenn das Wetter umschlägt, werden sie dies wahrscheinlich nachholen. Hilleberg hat einen Ruf zu verlieren – und den verteidigen sie mit dem Enan in gewohnter Manier. Hilleberg Enan Preis: 668,95 Euro
TRINKSCHLAUCH Ein Liter Wasser wiegt ein Kilogramm. Der »Mini Filter von Sawyer« bringt es auf ganze 57 Gramm. Wer ihn mit auf Tour hat, trägt also leicht und kann – laut Hersteller – bis zu 380.000 Liter Wasser zu Trinkwasser filtern. Selbst ein Hundertstel davon sollte die tatsächlich benötigte Menge locker abdecken. Der Mini Filter wird einfach auf eine Flasche oder einen Wassersack geschraubt – oder direkt als Strohhalm verwendet. Wie funktioniert das Ganze? Der Filter besteht aus sehr kleinen Poren, an denen kleinste, mit Bakterien versetzte Schwebstoffe hängenbleiben. Entfernt werden auf diese Weise 99,9 Prozent aller biologischen Schadstoffe, wie z. B. Salmonellen-, Cholera- oder Escherichia-coli-Bakterien. Nur Schwermetalle oder Chemikalien kann er nicht abtrennen. Wer den Sawyer Wasserfilter regelmäßig durchspült, kann mit einer hohen Lebensdauer rechnen. Das sollte für einen lebenslangen Wasservorrat reichen. Prost! Sawyer Mini Filter Preis: 39,95 Euro
Foto Titelseite
Viel Kraft wünschen Andreas Hille, Michael Bode und Teams
Hardergrat im Berner Oberland in der Schweiz. Mit 20 Kilometern Länge, spektakulären Ausblicken und eindrücklichen Stimmungen lohnt diese Gratwanderung jeden Schweißtropfen, den man bei den 1500 Höhenmetern Aufstieg vergossen hat. Fotografiert von Dan Patitucci/patitucciphoto.com
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FOTO Bergans
FOTO Exped
RAUSZEIT Sommer 2015
FOKUS FUNKTION
PACK-PUMPE Der Schlafkomfort im Freien ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die dicken und damit bequemsten Matten müssen allerdings mit ordentlich Luft gefüllt werden. Bis dato bedeutete das: Hand auflegen und, einer Herzmassage ähnlich, geduldig pumpen und pumpen und pumpen. Oder die Lunge bemühen ... Komfortabler und hygienischer – weil keine Feuchtigkeit in die Isolationsschicht geblasen wird – geht es mit dem »Schnozzel Pumpbag UL M« vom Schweizer Hersteller Exped. Dieser wasserdichte Kompressionssack mit einem Volumen von 42 Litern dient neben seiner Transportfunktion als praktische Luftpumpe für alle Exped-Matten. Luft »einfangen«, »einsperren« und dann in die Matte pressen. Wie etwa in die »Synmat UL 7 M«. Die ist gerade mal 450 Gramm schwer, trotzdem ganze sieben Zentimeter dick und ist zusätzlich mit synthetischer, isolierender Füllung ausgestattet. Dadurch bietet sie bei Temperaturen bis zu -4 Grad ausreichend Komfort. Zwei bis drei Luftfüllungen mit dem Schnozzelbag und das Bett ist gemacht – ohne aus der Puste zu sein. Exped Schnozzel Bag UL M/Exped Synmat UL 7 M Preis Schnozzel Pumpbag UL M: 26,95 Euro Preis Synmat UL 7 M: 119,95 Euro
Die norwegische Marke Bergans setzt seit einigen Jahren auf eine Dermizax-Membran als Alternative zu Gore-Tex. Der Unterschied: Die Dermizax-Membran aus Polyurethan (PU) ist nicht mit Poren durchsetzt, sondern transportiert die Schwitzfeuchtigkeit über Moleküldiffusion. Das wasserdichte Material hat zudem einen leichten Stretch, was den Bekleidungsteilen einen sehr hohen Tragekomfort verleiht. Was die »Letto Jacket« auszeichnet, ist ihr geringes Packvolumen bei voller Ausstattung. Dadurch ist die DreiLagen-Jacke ein sehr guter Begleiter auf mehrtätigen Rucksacktouren. Denn eigentlich holt man eine Hardshell-Jacke nur aus dem Rucksack, wenn man sie tatsächlich braucht. Das Design ist bewusst reduziert gehalten, was sich im geringen Gewicht niederschlägt: Gerade einmal 400 Gramm wiegt die Letto Jacket. Bergans Letto Jacket Men Preis: 229,95 Euro
SCHLAU KOMBINIERT
PERFEKTE PASSFORM
Das kanadische Unternehmen Arc’teryx kauft seine Gore-Tex-Laminate nicht einfach »von der Stange«, sondern tüftelt seit langer Zeit selbst an den Oberstoffen mit (siehe auch Arc’teryx Firmenporträt auf S. 20). Denn darin liegt eines der Erfolgsgeheimnisse einer guten Wetterschutzjacke. Das Nylon-Außenmaterial, welches mit der wasserdichten Membran laminiert wird, sollte so dicht gewoben sein, dass die Wassertropfen aufgrund ihrer eigenen Oberflächenspannung bereits beim Auftreffen an der engen Gewebestruktur »scheitern«. Je dichter die Nylon-Fasern des Oberstoffes gewoben sind, desto robuster und abriebfester ist er – mit leichten Einbußen beim Durchlass von Schwitzfeuchtigkeit. Bei dem Modell »Beta AR Jacket« hat Arc’teryx zwei verschieden starke, mit Gore-Tex Pro Membran ausgerüstete Materialien kombiniert: höchste Robustheit an den Schultern, guter Wasserdampfdurchlass am restlichen Korpus. In puncto Ausstattung ist die Beta AR für den Allround-Einsatz konzipiert, d. h. zwei große, Hüftgurt-taugliche Seitentaschen, eine Innentasche, helmtaugliche und dreifach justierbare Kapuze. Bereit für jedes Draußen-Erlebnis! Arc‘teryx Beta AR Jacket Women Preis: 499,95 Euro
Achtung vor dieser Hose! Denn die »Authentic Pant« von Lundhags sitzt so verdammt gut, dass man sie eigentlich nicht wieder ausziehen möchte. Sie geht mit ihrem Träger durch jedes FrischluftAbenteuer - egal ob Harz oder Härjedalen. Gefertigt ist sie aus Polycotton, einem speziellen Mischgewebe aus biologischer Baumwolle und besonders robusten Polyesterfasern. Die Innenbeinabschlüsse sind mit Cordura verstärkt, an Knien, Gesäß und im Schritt sind zusätzliche StretchEinsätze aus Schoeller-Material integriert. Alle Materialien sind fluorcarbonfrei – inklusive der langlebigen Imprägnierung. Um sich gegen Mücken, Krabbelgetier oder Gestrüpp zu schützen, haben die Nordschweden verstellbare Beinabschlüsse und Schuhhaken integriert. Praktische Seiten-Taschen bieten ausreichend Stauraum für Karten und anderen Kleinkram. Erhältlich ist die Authentic Pant in drei Längen, zahlreichen Farben und als Damen- und Herrenmodell. Lundhags Authentic Pant Preis: 169,95 Euro
Alle Produkte aus dieser Zeitschrift gibt es bei Basislager Kaiserstraße 231 76133 Karlsruhe www.basislager.de
CAMP4 Karl-Marx-Allee 32 10178 Berlin www.camp4.de
SFU Schmiedestraße 24 30159 Hannover www.sfu.de
Allgemeine Anfragen und Anregungen bitte an redaktion@rauszeit.net .
SFU Neue Straße 20 38100 Braunschweig www.sfu.de
KLETTERKOGEL Garde-du-Corps-Str. 1 34117 Kassel www.kletterkogel.de
IMPRESSUM Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt: Michael Bode, Andreas Hille Redaktion & Konzept: outkomm GmbH, Eichbergerstrasse 60, CH - 9452 Hinterforst, www.outkomm.ch, redaktion@rauszeit.net Layout & Produktion: ALPENBLICKDREI.com Druck: Bechtle Druck & Service GmbH Copyright: Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung der Herausgeber unzulässig und strafbar.
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CHEF KOCHT
Ratatouille auf dem Campingkocher Oft sind die simplen Dinge die besten. Auch in der Küche – wenn man sie richtig zubereitet. Mathias Hascher, einer der CAMP4-Chefs, zeigt, wie man den Klassiker Ratatouille auf Tour so richtig gut hinbekommt.
KLETTER-KLASSIKER
Ausrüstung: 1 Kocher, 2 Töpfe,
ini und rot Je 1 kleine Aubergine, Zucch 2 kleine Möhren 2 Knoblauchzehen 2 Tomaten Penne Rigate nach Belieben Salz, Pfeffer, Olivenöl, frischer Rosmarin
e Paprika
1 Pfanne
Zubereitung:
Entscheidend ist bei diesem Schmorgericht die Reihenfolge. Landet alles gleichzeitig auf dem Campingkocher, entsteht ein matschiger Brei. Als Erstes etwas weniger Wasser als üblich mit Salz zum Kochen bringen, dann die Penne rein. Wichtig: nur die halbe Kochzeit. In der Zwischenzeit die Aubergine in circa sieben Millimeter kleine Würfel schneiden. Die Penne vom Kocher nehmen. Abdecken, aber nicht abgießen. Die Auberginen mit wenig Öl in die Pfanne geben und bei voller Hitze lecker anrösten. Nach 10 bis 15 Minuten kommen erst die fein geschnibbelten Zucchini dazu, bis sie ebenfalls angeröstet sind. Dann die dünn geschnittenen Möhren und Paprika ebenfalls knackig anbruzzeln und Knoblauch in die Pfanne. Sobald das Gemüse fertig ist, die Nudeln kurz durchrühren, nochmals etwas erwärmen und abgießen. Achtung: Das Nudelwasser unbedingt in einer Tasse auffangen! Anschließend das Olivenöl auf kleiner Flamme erwärmen, den Knoblauch anschmelzen, Tomatenstücke hinzugeben und alles etwas einköcheln. Es folgt das geröstete Gemüse und als Krönung etwas Nudelwasser. Dank des salzigen Stärkegehalts entsteht so eine herrlich sämige Soße mit knackigem Röstgemüse darin. Im geschlossenen Topf ca. fünf Minuten mit dem Rosmarin köcheln lassen, abschmecken – und voilà: Frischluft-Ratatouille à la chef! Tipp: Mit frisch gepflückten Löwenzahnblättern garnieren!
SCHARFER ZWERG Das SanYouGo von Böker beweist: Es kommt nicht immer auf die Größe an. Das nur 14,2 Zentimeter große Messer bringt die Präzision eines japanischen Küchenmessers auf Taschenmesser-Größe. Nur 70 Gramm leicht begleitet es jede Tour. Preis: 54,95 Euro
FOTO Lafouche/Petzl
Zutaten:
Petzl hat vor Jahren mit dem »Hirundos« einen Klassiker gebaut. Seine Neuauflage vereint enorme Leichtigkeit mit hohem Tragekomfort. Nur 280 Gramm wiegt der Hirundos in Größe M und steckt dennoch voller technischer Raffinessen: Die Rahmenkonstruktion ist so angelegt, dass das Gewicht des Kletterers gleichmäßig verteilt wird, die leichte Polsterung aus thermogeformtem Schaum reduziert unangenehmen Druck. Bewusst hat Petzl auf Stichnähte verzichtet, um Druck- und Scheuerstellen zu vermeiden. Die Beinschlaufen sind nun elastisch, was absolute Bewegungsfreiheit schafft. Die Anordnung der Materialschlaufen ist sehr durchdacht: zwei große, starre Schlaufen vorne, die den schnellen Zugriff auf die Ausrüstung ermöglichen, und zwei flexible Schlaufen hinten, die beim Tragen eines Rucksacks nicht stören. Modellpflege gelungen! Petzl Hirundos Preis: 89,95 Euro
STARKE WORTE Aus dem Café Kraft in der Kletterhalle Nürnberg kommt eine Trainingsanleitung für kletterspezifische Kraftübungen. Laut Vertikal-Legende Wolfgang Güllich ist genügend Kraft ein Zustand, den es gar nicht gibt. Doch: Eine Anleitung, wie man im alltäglichen Training seine eigenen Kraft-Grenzen auslotet und ausbaut, bekommen ambitionierte Kletterer und Boulderer mit diesem Trainingsbuch präsentiert. Die Illustrationen sowie die beigefügte DVD machen die Übungen anschaulich und helfen, Fehler zu vermeiden. Das Buch »Gimme Kraft« hat echtes KlassikerPotenzial. Gimme Kraft Preis: 29,90 Euro
www.camp4.de
UNTERNEHMUNGS-BERATER: Ben Biggel
Ruhig, entspannt und ausdauernd. So lässt es Ben nicht nur bei seinem Hobby Weitwandern angehen. In der Stadt geht’s mit Freunden erst zum Baden oder »Slacken« und dann ans Lagerfeuer. Hauptsache draußen! Wenn es ernst wird – in den Alpen zum Beispiel –, dann zieht Ben aber gerne auch mal alleine los. Denn: »Wer in Berlin wohnt und lebt, braucht auch mal Zeit nur für sich und die Natur«, findet Ben. Die Zeit hat er, wenn er vier Wochen und mehr beim Wandern ist, in den Alpen oder bald auch im Himalaya. Seit wann im CAMP4? Seit drei Jahren. Gelernter Beruf? Ich habe meinen Bachelor in Politikwissenschaften und Geographie gemacht – und den Master in Sicherheitspolitik draufgesetzt.
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Lieblingsverkaufsbereich und warum? Rucksäcke! Weil man da sooooo viel falsch machen kann und ich das den Kunden gerne ersparen möchte. Es gibt nichts Wichtigeres auf Tour, als einen wirklich komfortablen, nicht zu großen, nicht zu kleinen Rucksack, der aushält, was man ihm antut. Lieblingsausrüstungsgegenstand? Ganz eindeutig: meine Therm-A-Rest Solar Mat! Weil sie so simpel, unverwüstlich und sehr vielfältig einsetzbar ist. Klassischen Komfort gibt’s bei mir eher zu Hause. Welches Reiseziel steht ganz oben auf deiner »Liste«? Das wirklich große Ziel wäre der Great Himalaya Trail. Natürlich nicht komplett, aber einen Teil davon in Nepal. Realistisch betrachtet, läuft es aber in naher Zukunft auf den GR 20 durch Korsika oder den GR11 in den Pyrenäen hinaus.
FOTO Vaude
ÜBRIGENS …
NACHHALTIGKEIT KOMMT VON HALTEN
STÄNDIGER BEGLEITER So groß wie ein Apfel und vermutlich noch leichter. Gerade einmal 155 Gramm bringt die minimalistische Windjacke »Squamish Hoody« von Arc’teryx auf die Waage. Da sie in der Brusttasche komplett verstaubar ist, eignet sie sich für den Alltagseinsatz oder als Notfallwetterschutz in der wärmeren Jahreszeit. Gegen Nebel, Nieselregen oder einen leichten Schauer ist die Jacke mit einer wasserabweisenden Imprägnierung auf dem Nylon-Ripstop-Gewebe ausgestattet. Die Kapuze ist helmkompatibel, und mit einer verlängerten Rückenpartie wäre das Squamish Hoody auch eine gute Wahl für Ausflüge mit dem Rad. Dank minimalem Packmaß nimmt es im Rucksack kaum Platz weg. Beim Sportklettern lässt sich das Jäckchen einfach am Klettergurt befestigen, um z. B. beim Sichern schnell vor Auskühlung zu schützen. Kurz gesagt: ein ständiger Begleiter. Arc‘teryx Squamish Hoody Preis: 139,95 Euro
Das Wort »Nachhaltigkeit« liest und hört man oft in den vergangenen Jahren. Nachhaltig zu leben ist en vogue, ein Trend sozusagen. Ratgeber und Zertifikate zu dem Thema gibt es reichlich. Sogar unsere Bundesregierung bietet auf ihrer Homepage Hilfestellung zu einem nachhaltigen Leben an. Auch die Outdoor-Branche tut eine ganze Menge, um den Anforderungen gerecht zu werden. Interessant ist, dass es zahlreiche Hersteller gibt, die bereits seit Jahrzehnten sehr nachhaltig wirtschaften, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Einfach aus Überzeugung und nicht aus Zwang. Sie folgen – bewusst oder unbewusst – der Definition, die zum Beispiel Wikipedia angibt: »Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem die Bewahrung der wesentlichen Eigenschaften, der Stabilität und der natürlichen Regenerationsfähigkeit des jeweiligen Systems im Vordergrund steht.« Beim nordschwedischen Zelthersteller Hilleberg gilt der Ansatz, dass ein Ausrüstungsgegenstand dann am nachhaltigsten – und somit auch am sinnvollsten – ist, wenn man sich in der Wildnis voll und ganz darauf verlassen kann und er zugleich seinen Dienst über viele, viele Jahre anständig verrichtet. Nachhaltig kommt schließlich von halten. Gleichzeitig bietet Hilleberg an, auch nach intensivem Gebrauch zu einem sehr fairen Preis Reparaturen jeder Art – wie etwa das Einsetzen eines neuen Zeltbodens – vorzunehmen. Patagonia forderte seine Kunden vor einiger Zeit (und bis heute) in seinem »Worn Wear«-Programm dazu auf, beschädigte Ausrüstung nicht durch neue zu ersetzen, sondern sie reparieren zu lassen. Das mag auf den ersten Blick geschäftsschädigend klingen, der Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft verleiht es aber Nachdruck. Zumal: Jede nachträglich angebrachte Naht auf einer Jacke, jede »Narbe« in einer Zelthaut und jede Neubesohlung des geliebten Trekkingschuhs erzählt doch eine eigene Geschichte. Fast so, als würde man ins Fotoalbum der persönlichen Tourenerlebnisse gucken. Ob reparieren oder neu produzieren, es ist echte Handwerkskunst, einen langlebigen Ausrüstungsgegenstand (wieder-) herzustellen. Einen guten Ansatz, wie man mit einer ökologisch und sozial vertretbaren Fertigung ein zuverlässiges Produktergebnis erzielen kann, zeigt auch das Beispiel Vaude. Das oberschwäbische Unternehmen, das sogar eine kleine »Made in Germany«-Kollektion am eigenen Standort in Obereisenbach herstellt, greift in seinen Bemühungen die wichtigen Punkte auf und bleibt dennoch realistisch. Nämlich mit der Ansage, dass es noch sehr viel zu tun gibt, um eine gänzlich ausgeglichene Nachhaltigkeitsbilanz zu erreichen. Aber ähnlich Patagonia ist bei Vaude seit vielen Jahren ein ökologisch und sozial bewusstes Handeln fest in der Unternehmensphilosophie verankert. Damit tragen sie – und viele andere Outdoor-Marken – dazu bei, dass aus dem Trend Nachhaltigkeit ein fester Bestandteil unseres Handelns wird.
HOMEOFFICE-HERBERGE Gleich mehrere Eigenschaften der Umhängetasche Norderney geben ihrem Nutzer ein gutes Gefühl: Ihre Bestandteile sind möglichst umweltschonend produziert, ihre Fertigung erfolgt in Deutschland und sie bietet einem Laptop und allen weiteren Inhalten gut gepolsterte und wasserdichte Sicherheit. Im Detail: Das Material ist ein mit Polyurethan beschichtetes und dadurch wasserdichtes Textilgewebe. Dadurch ist es PVC-frei, umweltbelastende Weichmacher – die z. B. in LKW-Planen enthalten sind – werden vermieden. Als Teil der »Made in Germany«-Kollektion von Vaude werden die Einzelteile in der hauseigenen Produktion im schwäbischen Obereisenbach »zusammengebaut«. Neben Einschubfächern und kleineren Taschen bietet die Norderney Platz für ein 13-Zoll-Notebook. Vaude Norderney Preis: 85,- Euro
VEGANER-SCHLAFSACK Die Zeiten, in denen ausschließlich Daunenschlafsäcke ein leichtgewichtiges Schlafsackvergnügen bereiteten, sind vorbei. Die Kinderkrankheiten des Kunstfaserfüllmaterials sind ausgemerzt, zumindest bei den Schlafsack-Linien »Lamina 20« und »Laminina 20« von Mountain Hardwear. Neben der besonders leichten und langlebigen Thermal.Q-Füllung aus Synthetikfasern, ist an den Modellen vor allem die nahtarme Verarbeitung mit – nomen est omen – Laminierungen ausschlaggebend. Dadurch werden Kältebrücken deutlich reduziert. Mit einem Gewicht von nur 1,3 Kilogramm – für einen Dreijahreszeiten-Kunstfaserschlafsack sensationell – und einem absolut tourentauglichen Packmaß lässt er die Nachteile früherer Synthetikmodelle schnell vergessen. Die Fuß-Box des Damenmodells Laminina 20 ist zudem so konzipiert, dass Kompression und damit Verlust von Isolationskraft und Wärme entgegengewirkt wird. Der Komfortbereich beider Modelle ist für Dreijahreszeiten-Einsätze ausgelegt – vom Trekking in Lappland bis zum Tourenrad in Galizien. Mountain Hardwear Lamina 20/Laminina 20 Preis: ab 169,95 Euro
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Ein bisschen Lofoten mitten im Allgäu: Die Höfats (2259 m) ist ein extrem steiler Grasberg mit einzigartig schöner Botanik. Besonders, wenn sie in der Abendsonne strahlt. Fotografiert von Bastian Morell.
Kein fremder Planet, sondern der brasilianische Nationalpark Lençois Maranhenses an der nördlichen Atlantikküste. Nach heftigen Regenfällen wird die Dünenlandschaft jedes Jahr zum Naturschauspiel. Heimische Fischer nutzen dann ihre Chancen auf einen guten Fang. Fotografiert von George Steinmetz.
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RAUSZEIT Winter 2014/2015
RAUSBLICK ES IST VERMESSEN ZU GLAUBEN, WIR MENSCHEN KÖNNTEN DIE NATUR BEHERRSCHEN. ABER JE KLEINER WIR UNS FÜHLEN, DESTO GRÖSSER IST DAS GLÜCKSGEFÜHL …
Einmal tief durchatmen. Fast 800 Meter in die Senkrechte fällt die Nordwestwand des Half Dome im kalifornischen Yosemite Nationalpark ab. Alex Honnold meisterte die Route free solo, also ohne Seil. Fotografiert von Jimmy Chin.
Blaue Stunde am grünen See. Patagonien verzaubert seine Besucher, meistens mit beeindruckenden Stürmen - und manchmal mit windstillen Sonnenuntergängen. Camping mit Aussicht am Lago Verde im Torres del Paine Nationalpark. Fotografiert von Ralf Gantzhorn.
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RAUSZEIT Sommer 2015
ERLEBT: Vulkan-Reisen auf den Äolischen Inseln
WANDERN AUF DEM »RING OF FIRE« Ein paar Fleckchen Erde mitten im Tyrrhenischen Meer, auf der Schuhspitze des italienischen Stiefels, verzaubern Reisende mit ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit. Verteilt auf sieben Inseln ist für jeden Geschmack und jede Stimmung etwas dabei. Und nur dort kann man garantiert Vulkanausbrüche beobachten. »Arrrgh, wenn dich das Vulkanvirus mal erwischt hat, ... dann bist du hoffnungslos verloren«, philosophiert der 51-jährige Ugo Pegurri aus Bergamo und packt sich dabei lauthals lachend selbst am Kragen. Ugo ist staatlich geprüfter Bergführer. Er durchstieg die Matterhorn-Nordwand, kletterte über den Bianco-Grat, führte Eistouren im Himalaya und in den Anden. Obendrein ist er Sicherheitstrainer für Industriekletterer. »Klar, streng alpinistisch betrachtet ist der Stromboli bestenfalls zweite Wahl, aber ich sage euch … seit neun Jahren nehme ich jedes Jahr zwei Monate Urlaub und führe täglich auf diesen Feuerspucker. Die donnernden Eruptionen, das Brodeln der Lava – ich glaube, ich bin süchtig«. Ugo spielt den Resignierten und stapft munter in der tiefschwarzen Lavaasche voran.
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Inseln für jeden Geschmack Sieben Perlen funkeln nördlich von Sizilien im Tyrrhenischen Meer – die Äolischen Inseln. Sieben bildhübsche Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch alle das gewisse Etwas ihr eigen nennen. Alicudi, der Außenposten, kein einziges Auto, eine Handvoll Maulesel erledigt nötige Transporte. Einsame Wanderer bekommen hier das perfekte Cyber-Detox-Programm gratis. Filicudi hat immerhin schon eine Straße. Auf den mittelalterlichen Steintreppenwegen herrscht garantiert kein alpiner Rummel. Das fruchtbare Salina mit seinen beiden Gipfeln, die knapp an der Tausend-MeterMarke schrammen. Das mondäne und teure Panarea, wo Mailänder Multis und römische Industrielle gerne
mit der Hummerzange hantieren. Lipari – die Hauptinsel: Badebuchten mit türkis glitzerndem Wasser bei Punta Sparanello, Thermen bei San Calogero und dann die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen. Direkt darüber thront das Castello auf einem 60 Meter hohen Lavafelsen und offenbart einen kongenialen Tiefblick auf den alten Hafen, die Marina Corta. Wild mit den Armen rudernd diskutieren dort wettergegerbte Fischer lautstark über den Papst, den Fußball und natürlich den wie immer viel zu mickrigen Fang. Lipari offenbart den geschäftigen Charme einer Metropole, obwohl es nur ca. 15.000 Einwohner hat. Mit 37,5 Quadratkilometern ist sie die größte der sieben Äolischen Inseln. Ein mediterranes Wanderparadies. Wirklich lohnend ist eine Rundtour, egal, ob zu Fuß oder zeitsparend auf zwei Rädern.
HOCHWERTIGE OUTDOOR-AUSRÜSTUNG SEIT 1908
THERE IS MORE TO EXPLORE
Linke Seite: Vulcano - am Rand des großen Kraters dampft und duftet es. Oben: Höllisch schön - Ausbruch des Musterknaben Stromboli. Unten: Die Fischer bleiben davon ungerührt und flicken ihre Netze, wie jeden Tag.
Ein Muss ist der Blick vom »Belvedere Quattrocchi«, einem Aussichtspunkt, bei dem sich der Betrachter tatsächlich ein zweites Augenpaar wünscht. Aus 200 Metern Seehöhe reicht der Blick über Agaven, blühende Kakteen und Zistrosen, auf jäh abstürzende Klippen und frei in der Brandung stehende Felstürme, die »Faraglioni«. Der Legende nach stellen sie die beiden Finger des zu Stein erstarrten Windgottes Aiolos dar. Der göttliche Blick endet unweigerlich im 391 Meter hohen »Cran Cratere«, dem monumentalen Krater der Nachbarinsel Vulcano. Exakt hier befindet sich Homers Sagen zufolge die Schmiede des antiken Waffenschiebers Hephaistos, den die Römer später Vulcano nannten. Mitten auf dem den gesamten Erdball umspannenden »Ring of Fire«, auf Deutsch, dem Gürtel der Vulkane.
Durch Schwefelblumen zum Vulkankrater Die Überfahrt mit dem Tragflächenboot zu Vulcanos Porto di Levante ist ein Katzensprung, dauert gerade mal 15 Minuten. Der Weg zum Großen Krater führt zunächst direkt durch die Ortschaft. Wer noch Ausrüstung benötigt, findet sie bei Luigi Segatta. Der gebürtige Schwarzwälder verleiht hochwertige Bergstiefel und Wanderstöcke, aber auch Räder, Mopeds und Cabrios für spannende Inseltouren. Der weitere Wanderweg ist vorbildlich beschildert, zickzackt zunächst in weiten Serpentinen gemach auf Lavasand empor und erobert auf einem welligen Pfad die Kraterwand. Nach einer knappen Stunde Aufstieg ist der optisch einem Weinkelch gleichende, mustergültige Kraterrand erreicht. Schwefelfumarolen zucken tanzend aus Felsspalten und
EKSTREM TURGLEDE bergans.de
RAUSZEIT Sommer 2015
Vulcano: Aufstieg zum Kraterrand, im Hintergrund lugt der Stromboli aus dem Meer.
wabern, von Aiolos angestachelt, über die Kraterkante. Guy de Maupassant schönte in einem Anfall poetischer Vernebelung diese Emissionen als »betörenden Duft der phantastischen Schwefelblume«. Fakt ist, dass der gebein-erweichende Duft nach faulen Eiern auch die Atemwege und Netzhäute attackiert. Also, Nase zu und schnell durch. Der gigantische Krater mit seinen 500 Metern Durchmesser, das Farbenspiel der fies zischenden Fumarolen mit ihren giftig-gelben Chlorid-Krusten und das bahnbrechende Panorama auf die umliegende Inselwelt sind jede Strapaze wert. Wieder im Hafen verheißt das Schild »Zona delle Acque Calde« einen pompösen Kurbetrieb. In Wahrheit handelt es sich um eine eher schmucklose Schlammpfütze. Aber die 34 Grad heiße Schwefelsuppe entspannt die Muskeln und soll obendrein Hautunreinheiten beseitigen. Tipp: Schmuck ablegen, denn Metalle beschlagen sofort. Die Schlammpool-Perspektive verleitet zum »Dolcefarniente« – dem süßen Nichtstun … In Wahrheit leben die Leute hier aber auf einem geologischen Schleudersitz. Der letzte große Ausbruch startete am 3. August 1888 und dauerte immerhin bis zum 22. März 1890. Damals blieb fast kein Stein auf dem anderen. Und die Experten sind sich einig. Dieser Vulcano ist eine tickende Zeitbombe, ein echt böser Bube. Unweigerlich steuert er auf sein großes Finale hin. Wann es so weit sein wird, weiß indes niemand, doch seit 1980 steigt die vulkanische Aktivität beständig. Lediglich die weißen Schaumkronen verraten, dass das Meer heute ziemlich aufgewühlt ist. Tja, Bootsbursche müsste man sein. Das Schiff Richtung Stromboli schlägt bereits Kapriolen und der Bursche verschlingt ein fettes Tramezzino: ein Doppeldecker aus fast
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weißem, saftigem Toastbrot, dick belegt mit Thunfisch und Mayonnaise. Uns Landeiern krampft der Magen, bleibt nur der stoisch-konzentrierte Blick auf den Nothammer. Endlich, wir passieren Ginostra. Die Ortschaft krallt sich förmlich an der steilen Flanke des Vulkankegels fest. Noch eine sanfte Kurve und wir landen samt Mageninhalt am Scari-Strand. »Lasst eure Hände und Beine immer hübsch innerhalb«, erklärt uns Antonino vom »Giardino Segreto«, dem geheimen Garten, in brüchigem Englisch. Dann rauscht er los mit seiner dreirädrigen Piaggio Ape. Immer wenn der blecherne Aufbau des aufgemotzten Rollers die Hauswände touchiert, fliegen die Funken. An fast allen Hausecken haben sich schon klaftertiefe Schrammen gebildet. Spätestens jetzt ist er überfällig, ein ordentlicher Rachenputzer, der zugleich den Mageninhalt wieder sortiert. Und dafür gibt es keinen besseren Platz als das Ritrovo Ingrid auf der Piazza San Vincenzo, gleich bei der Kirche. Es war ein handfester Hollywood-Skandal, der die Äolischen Inseln 1949 aus einem langen Dornröschenschlaf riss. »Stromboli – Terra di Dio«, hieß der Streifen, der den Regisseur Roberto Rossellini und die Diva Ingrid Bergman einander näherbrachte. Skandalös dabei? Beide waren verheiratet – nur nicht miteinander. Das zähe Melodram war filmisch von zweifelhaftem Prädikat. Aber die bunten Fischerboote auf dem schwarzen Lavasand, die weißen Kuben und das blaue Meer und natürlich der übermächtige Stromboli … quasi über Nacht wurde die Insel weltberühmt. Heute verleihen die vielen Bergführerbüros, die Ausrüstungsshops und die nervösen Gipfelaspiranten, die mit Rucksack und Stein-
Oben: Den Stromboli findet man überall auf der Insel. Unten: Durch Bougainvilleen blicken Reisende auf die Altstadt von Lipari.
schlaghelm auf die Dämmerung warten, um endlich aufzusteigen, Stromboli die Aura eines sizilianischen Kathmandus und jede Menge polyglotten Charme.
Garantiert mit Lavaausbruch – einmalig weltweit Zurück zu Ugo. Die 924 Höhenmeter bis zum Kraterrand fallen unter die Rubrik Genussbergsteigen. Auf dem zunächst steinigen Serpentinenpfad gewinnen wir schnell an Höhe. Eidechsen flüchten in mannshohe, quietschgelb-blühende Ginsterbüsche. Rosmarin und Salbei verströmen einen betörenden Duft. Über Zitronen- und Orangenhaine reicht der Blick auf das vor der Küste aufragende kleine Inselchen Strombolicchio. Mitten auf diesem längst erloschenen Vulkanschlot ragt eine weiß gekalkte Gnadenkapelle in den Himmel – der Ausblick ist eine Augenweide. »Ab hier dürfen Touristen nur noch mit Guide weiter«, erklärt Ugo bei einer Wegtafel auf 400 Metern über dem Meer. Wer es auf eigene Faust versucht, riskiert satte Bußgelder. »In der Hauptsaison wird häufig kontrolliert. Es ist leider zu viel vorgefallen in den letzten Jahren. Und wenn das Zivilschutzamt eine erhöhte seismische Tätigkeit feststellt und den Aufstieg untersagt, sollte auch tatsächlich keiner oben auf dem Vulkan sein«, erklärt der drahtige Bergführer. Zwei Schritte vorwärts, einen zurück – weiter oben strapaziert der lose Vulkansand die Waden. Doch schon hören wir das Fauchen der Höllenschlünde. Auf 750 Metern Seehöhe offenbart sich bei Schutzwällen aus Stahl und Beton der erste Einblick in den Hauptkrater. Beim ersten richtigen Rumms
ICH LIEBE NATUR
Am Aussichtspunkt »Quattrocchi« könnte ein zweites Augenpaar nicht schaden... Blick über die Faraglioni vor Lipari bis in den »Gran Cratere« von Vulcano.
fällt einem fast die Kamera aus der Hand. Glühende Lavabrocken fräsen brennende Feuerschneisen durch das Dunkel. Poltern lautstark die Sciara del Fuoco hinunter, um schließlich mit lautem Zischen im Meer zu verdampfen. Draußen in den Wellen antwortet die Armada der Ausflugsboote zeitgleich mit einem Blitzlichtgewitter. Wow, der Stromboli, der Leuchtturm der Antike, der schon Odysseus den Weg wies, legt sich mächtig ins Zeug. Ehrfürchtig steigen wir höher zum Pizzo Sopra la Fossa auf 918 Metern. Im Abstand von zehn bis zwanzig Minuten kündigt animalisches Fauchen urgewaltige Eruptionen an. Teilweise sind bis zu neun der elf Krater gleichzeitig aktiv. Hephaistos muss noch ein paar Angestellte haben. Während Vulkane weltweit gelangweilt vor sich hin qualmen, bricht Musterknabe Stromboli seit Tausenden von Jahren mehrmals stündlich aus. Diese Form der Aktivität gibt es tatsächlich nur einmal auf der Welt und wurde deswegen auch »Strombolianischer Vulkanismus« benannt. Wir Europäer haben in dem Fall Glück: Kein kostspieliger Langstreckenflug, kein Jetlag und auch keine schmerzhaften Impfungen sind nötig, um dieses geologische Wunder und einmalige Schauspiel erleben zu können. Der Abstieg vom Stromboli erfolgt weiter westlich. Dort lässt sich die Vulkanasche »direttissima« absurfen. Natürlich landen wir alle noch im Ritrivo Ingrid. Und natürlich bestellen wir eine Pizza Stromboli mit extrascharfer Salami, natürlich aus dem Holzofen. »Wann geht eigentlich euer Boot«, fragt Ugo mittendrin mit vollem Mund? »Arrrgh, wie gemein«, ... das Vulkanvirus hat uns jetzt schon fest am Wickel.
Photo: Florian Mayerhoffer Location: Velebit / Croatia
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Text und Fotos: Norbert Eisele-Hein ITALIEN
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RAUSZEIT Sommer 2015
ERLEBT: Abenteuer-Tour durch die Schluchten des Val Grande Nationalparks
GROSSES TAL & WILDE WASSER Im Norden des Piemont liegt der Val Grande Nationalpark, ein wilder, menschenverlassener Landstrich. Der Rio Val Grande fräst sein Flussbett darin nahezu ungezähmt durch eine schroffe, steile Bergwelt, die seit Jahrzehnten sich selbst überlassen wurde. Ein Paradies, geschaffen von wilden Wassern, und ein Abenteuerspielplatz für Packraft-Pioniere. Als Kind war die ganze Welt ein Abenteuer, das meist direkt vor der Haustür begonnen hat. Die Neugierde war der Wegweiser, nicht das Tourenbuch. Unbefangen und unbeschwert entdeckten wir die Natur, liefen Flussufer entlang, um die Quelle zu finden, und folgten nur unserer kindlichen Abenteuerlust. Manchmal finden wir diesen Spieltrieb wieder, machen uns auf die Suche nach dem verborgenen Pfad. Für uns liegt er im Nordwesten des Piemont. Dort, im Grenzgebiet zum Schweizer Tessin, schlummert eine Perle wilder alpiner Natur. Von über 2000 Meter hohen Bergketten umschlossen ist der Nationalpark Val Grande ein Juwel für all diejenigen, die bereit sind, den sicheren, ausgetretenen Weg zu verlassen. Nur 20 Minuten von der romantischen Stadt Verbania am Lago Maggiore entfernt liegt er: der Eingang zum größten Wildnisgebiet Italiens. Von dieser Nummer werden wir noch unseren Enkelkindern erzählen, denke ich mir, als wir die Straßen von Premosello hochkurbeln. Wir wollen den Fluss Rio Val Grande im Herzen des Nationalparks quasi »erstbefahren«. Mit kleinen, besonders leichten und im Rucksack verstaubaren Schlauchbooten, sogenannten »Packrafts«. Ein echtes Abenteuer, drei Tage ohne
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Handyempfang und ohne nachlesbares Wissen, was uns »da unten« tatsächlich erwarten wird. Es ist Anfang August. Während Scharen von Urlaubern nur wenige Kilometer entfernt die Ufer und Eisdielen rund um den Lago Maggiore bevölkern, starten wir vom kleinen Örtchen Colloro unsere Tour. Wir, das sind: Guido, im »richtigen« Leben Professor an einer Münchner Hochschule und Canyoning-Guide-Ausbilder, sozusagen unsere »Lebensversicherung« bei diesem Projekt. Philipp, ein junger Fotograf aus Zürich und begeisterter Paddler. Jürg, mein Kollege aus der Schweiz. Und ich. In der Abendsonne steigen wir in Richtung Berggrat, um dort oben zu nächtigen und am nächsten Vormittag nach dem nordseitigen Abstieg in den Oberlauf des Rio Val Grande einzusetzen. Von dort, so der Plan, werden wir dem Flussbett folgen, bis wir nach insgesamt rund 18 Kilometern das östliche Ende des Nationalparks bei der markanten Steinbrücke Ponte Casletto erreichen.
Schlafen unter Schafen Die Rucksäcke sind ordentlich schwer. Neben Schlafsack, Matte, Tarp, Verpflegung, Kocher und Ersatzklei-
dung hat jeder von uns noch sein eigenes Packraft, teilbare Paddel und Neoprenausrüstung im Gepäck. Und das will zunächst knapp 1000 Höhenmeter bis zur Alpe della Colma, unserem Ziel für die erste Nacht, hochgeschleppt werden. Im letzten Tageslicht winken uns die Bewohner der beiden Siedlungen Alpe La Piana und Alpe La Motta skeptisch zu. Wanderer mit Paddel am Rucksack haben sie hier noch nie gesehen. Es duftet nach Heu, Schaf und lauer Sommernacht. Als wir endlich völlig erschöpft die rustikale Steinhütte erreichen, ist es bereits Nacht. 25 Minuten und eine Tütensuppe später schmiege ich mich in meinen Schlafsack, ausgerollt zwischen den Schafen, um den klaren Sternenhimmel zu genießen. Was für ein Anblick! Ein letzter, massiver Glücksmoment, bevor die Lichter ausgehen. Steil windet sich der kleine Steig am nächsten Morgen zwischen Farnen und Buschwerk den Hang hinunter, keine 30 Zentimeter breit. Wir passieren mehrere Alphütten. Die Dächer der mühsam aus Steinplatten aufgemauerten Häuschen sind eingefallen. Bäume wachsen aus den ehemaligen Behausungen, in denen bis in die Siebzigerjahre hinein versucht wurde, mit dem harten Älpler-Leben einen Grunderwerb zu erwirtschaften. In
Links: Lautloses Gleiten unter der Ponte Velina. Mitte oben: Frühstück mit Aussicht an der Alpe della Colma. Mitte unten: Glasklar und angenehm frisch ist das Wasser des Rio Val Grande. Rechts: Bergsteigen mit Boot - der Zugang ins Val Grande ist anspruchsvoll.
der Ferne zeigen sich die ersten Gämsen, der Weg wirkt fast jungfräulich – paradiesische Zustände für uns Wildnishungrige.
Weg ohne Rückkehr Am Talgrund nahe der Alpe Val Gabbio wollen wir die Boote wassern. Endlich paddeln, so der Plan. Was uns auf den nächsten zwei Tagen erwarten wird, davon wissen wir, offen gestanden, wenig. Das Gebiet ist bestenfalls in einer Auflösung von 1:50.000 zuverlässig kartiert, eine detaillierte Beschreibung des Flussverlaufs nicht wirklich vorhanden. Nach 30 Minuten und einem schnellen Rührei aus der Tüte sind unsere vier bunten Luftboote einsatzbereit. Wanderkleidung und -stiefel stecken in den Rucksäcken und wir in hautengen Neoprenkostümen. Das Wasser ist kalt, glasklar und schillert in allen erdenklichen Grüntönen. Es kann losgehen. Nach der ersten Biegung und 20 Paddelschlägen müssen wir wieder stoppen. Dicke Brocken versperren den Weg. Aussteigen, tragen. Mit gerade einmal 2,2 Kilogramm sind unsere Gummikähne sagenhaft leicht. Wir witzeln, dass wir am Ende wahrscheinlich die Boote mehr schleppen als paddeln. Noch finden wir das lustig. Ganz ohne ist unser Vorhaben jedoch nicht. Diesseits des Bergkammes gibt es keinerlei Handy- und kaum GPS-Empfang. Ausstiegswege sind rar, es geht nur vor oder zurück. Zwei Stunden später erreichen wir die erste Schlüsselstelle: eine etwa sieben Meter hohe, glatt gewaschene, steile Felsrutsche. Guido macht den Anfang, tastet sich auf allen vieren Stück für Stück hinunter. Nach der Hälfte gibt es keinen Halt mehr – erstaunlich elegant rutscht er in das tiefgrüne Wasserbecken. Wir schieben alle Boote nach, dann trete ich mit weichen Knien an. Irgendwann geben auch meine Gummisohlen nach. Ich rutsche mit mit einem mulmigen Gefühl im Magen die Rinne runter. Zugegeben, das war eigentlich ein ziemlicher Spaß. Es folgt ein ständiger Wechsel aus kurzen Paddelpassagen und gelaufenen oder gekletterten Abschnitten. Ich bewundere Guido: Unbeschreiblich, wie er das Gelände liest und sich darin bewegt wie eine Katze. Regelmäßig müssen wir mittlerweile
Unser Ursprung: die raue Wildnis der Coast Mountains in Kanada. Unsere Verpflichtung: unermüdlich innovativ in der Entwicklung, präzise CONCEPTION/FABRICATION ARTISANALE/PERFORMANCE in der Verarbeitung. Unser Anspruch: beste Performance genau dann, wenn sie gebraucht wird.
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Mut wird mit Spaß belohnt. Nur zurück geht es nicht mehr ...
die Energiereserven auffüllen. Wie Hochöfen verbrennen unsere Körper in dem anspruchsvollen Gelände jede eingeworfene Kalorie. Besonders die permanente Anspannung laugt aus. Oft müssen wir über haushohe Ansammlungen aus Felsblöcken klettern. Abzurutschen wäre eine schlechte Idee, denn eine anatomische Panne dürfen wir uns hier nicht leisten. Trotz Erschöpfung und Psychostress halten wir immer wieder inne und bestaunen diese sagenhaft unberührte Natur. Die kunstvoll gewundenen, in die Felswände geschliffenen Formationen geben einen einzigartig schönen Eindruck von der Kraft des Wassers, das seit Jahrtausenden hier am Werk ist. Das Tal wird enger. Vor uns liegt die Schlucht von L’Arca, angeblich die spektakulärste Schlüsselstelle. Die Sonne hat sich mittlerweile hinter eine graue Wolkenschicht verzogen. Mein Blick wandert nach oben. Zu beiden Seiten ragen die Felswände 200 Meter hoch und nur fünf Meter auseinander. In diesem Moment klatscht der erste Regentropfen auf meine Stirn, gefolgt von einem entfernten Donnergrollen. Ein Anflug von Panik macht sich bemerkbar. Schluchten laufen bei Regen schnell voll wie Badewannen – und bekanntlich soll man in denen ja nicht mit Elektrizität spielen. Verdammt! Ausgerechnet jetzt versperrt uns ein riesiger Felsklotz das Weiterkommen. Links und rechts davon fällt das Wasser sechs Meter in die Tiefe. Alle Blicke sind auf Guido gerichtet, er grübelt, sucht nach dem besten Lösungsweg für diese Aufgabe. Abklettern geht nicht, nur abseilen. Doch zuvor noch die Gretchen-Frage: »Wir müssen uns alle einig sein, dass wir diesen Schritt tun wollen. Wenn ich aber das Seil von unten abgezogen habe, geht es nur noch in eine Richtung weiter!« Um der Dramatik der Si-
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Anders als geplant: kein Durchkommen im Sitzen.
tuation Ausdruck zu verleihen, donnert es nochmals. Von allen kommt ein halblautes »Ja«. Mit geschickten Handgriffen baut Guido aus Reepschnur und Maillon einen Fixpunkt um einen schweren Felsbrocken. Minuten später hänge ich im Wasserfall und schwebe der Gumpe darunter entgegen. Nichts wie weg von hier!
Klinisch tot und überglücklich »Ich glaube, die Felsnase da vorne müsste es sein«, ruft Jürg mit euphorischer Stimme. Eine Viertelstunde später stehen wir tatsächlich oberhalb einer Kiesbank und blicken auf den Wegweiser zur nahen Alpe Orfalecchio, unseren Zielpunkt für heute Abend. Dieses Gefühl ist nicht in Worte zu fassen, ehrlich. Unser Plan, den Rio Val Grande überwiegend zu paddeln und notfalls unmögliche Stellen zu umtragen, ging zumindest heute nicht auf. Wir haben unsere Packrafts gefühlte 90 Prozent der Zeit geschleppt. Im Augenblick ist mir das egal. Nach zwölf Stunden im Dauereinsatz liege ich auf meiner Matte und fühle mich klinisch tot. Zehn Minuten Batterien aufladen. Als ich die Augen öffne, sehe ich Philipp, wie er versucht, sich wie ein junges Fohlen nach einer anstrengenden Geburt aus der Fruchtblase – in seinem Fall sein Neoprenanzug – zu winden. Ich breche ab vor Lachen. Der Blick, den ich von ihm kassiere, ist unbezahlbar, aber dann findet auch er es komisch, beide Handgelenke noch immer in den Ärmeln verheddert. In »Vorfreude« auf ein Leichtgewichts-Dinner aus der Tüte setzen wir ein kleines Lagerfeuer auf einem riesigen, oben abgeflachten Felsblock über dem Fluss in Gang. Und dann kommt der Moment, an dem ich Jürg trotz Entkräftung am liebsten um den Hals gefal-
len wäre: Aus seinem Rucksack zaubert er mit einem breiten Grinsen acht dicke Grillwürste und flauschig weiches Brot hervor. Halleluja! Nach so einem Tag nun Stockwurst am Feuer hoch über dem wilden Fluss – das übertrifft jede Vorstellungskraft. Am Morgen blicken wir bei Kaffee und Müsli auf der Karte auf eine immer breiter werdende blaue Markierung für den Rio Val Grande. Wir sind uns einig: Das schaffen wir! Und tatsächlich, in den folgenden Stunden können wir deutlich länger paddeln, machen entsprechend mehr Strecke. Einige Male erreichen wir Passagen, die gänzlich verblockt vor uns liegen. Ausgehöhlte Halbtunnel, geschaffen in unzähligen Jahren des Wasser- und Sedimenttransports. Wissenschaftler würden das »fluviatile Tiefenerosion« nennen. Als Laie sollte man sich von solch feuchten Fallen eigentlich fernhalten. Für Guido sind sie das Salz in der Suppe, und er führt uns mit absolut beneidenswerter Sicherheit durch diese spektakulären Abschnitte.
Finale (Val) Grande Vor uns taucht die Ponte di Velina auf, ein Mauerwerk aus Stein, das sich mit Rundbögen an die steilen Felswände klammert. Lautlos gleiten wir unter ihr hindurch, können jeden Kiesel haargenau unter uns erkennen, so klar und ruhig fließt der Rio Val Grande hier. Kleine Farne mit unterschiedlichsten Blattformen kleben in der Vertikalen, Miniaturwasserfälle treffen aus großer Höhe senkrecht auf die glatte Wasseroberfläche. Außer fernem Vogelgezwitscher ist kein Laut zu hören, drei bis vier Meter unter uns stehen Forellen still in der Strömung und warten auf den nächsten Lecker-
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bissen. Zum Teil sind die Abstände zwischen den Felswänden nur so breit, dass wir gerade mit unseren Booten durchpassen. Man fühlt sich wie in einer anderen Welt. Die Strapazen der letzten zwei Tage sind fast vergessen. Dann öffnet sich das Tal etwas, die Strömung kommt gänzlich zum Erliegen. Wie ein Infinity-Pool in einem Luxus-Resort beendet die Staumauer kurz vor der Ponte Casletto nicht nur den Vortrieb des Rio Val Grande, sondern auch unsere Reise. Die Boote und die Neopren-Bekleidung verschwinden in den Rucksäcken, 30 Minuten später sitzen wir auf den Rücksitzen eines örtlichen Taxis – und kurven ziemlich erschöpft, aber mit zufriedenem Grinsen zurück Richtung Zivilisation. Text: Moritz Becher Fotos: Philipp Schuppli
ITALIEN
Letzter Blick auf Premosello in der Abendsonne. Danach folgen drei Tage Wildnis ohne Handyempfang.
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Peak District: Zeitreise mit dem Tourenrad
DURCHS GRÜNE HERZ DER INSEL Alte Schlösser, noble Herrenhäuser, weite Schafweiden und Heidemoore – im Herzen Großbritanniens erheben sich in gelassener Regelmäßigkeit die sanften Hügel des Peak District – garniert von einer grandiosen Mischung aus Natur und Kultur. Eine wahrhaft entschleunigende Radtour durch eine britische Bilderbuchlandschaft. Der Regen hat aufgehört. Das Grün der Landschaft wirkt so frisch, als hätte der Maler seinen Pinsel gerade erst weggelegt. Es ist die dominierende Farbe im Peak District. Das Gebiet ist seit 1951 Nationalpark – der erste des Landes. 1400 Quadratkilometer umfasst die Region der Grafschaft Derbyshire. Viel Natur. Viel Platz für ungestörte Radtouren. Das Naturschutzgebiet markiert den Übergang vom südlichen Flachland und den sanften »Midlands« hin zum nordenglischen Berggebiet. Die Gipfel gehören zum ersten Viertel der insgesamt 240 Kilometer langen, von Süden nach Norden laufenden »Pennines« – aufgrund ihrer Lage auch gerne als »Backbone of England« bezeichnet. Seit einigen Stunden kurbeln wir entlang einsamer Sträßchen. In den Packtaschen der Räder haben wir alles verstaut, was wir für die nächsten Tage brauchen. Der Peak District, die Perle Mittelenglands, ist Naherholungsgebiet des ehemaligen Industriegürtels Manchester, Birmingham und Liverpool. Entsprechend gut angeschlossen ist man hier. Als Wander- und Reitparadies ist die Gegend schon lange kein Geheimtipp mehr. Doch in jüngster Zeit finden auch immer mehr Tourenradler hier ihr Dorado. »Loops« nennen die Engländer die ausgewählten Strecken, auf denen sich die grandi-
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ose Landschaft entdecken und echtes Outdoor-Feeling inhalieren lässt.
Alles wasserdicht verpackt Die erste Nacht auf dem Campingplatz in Bakewell war geruhsam. Sanft wiegen sich die Bäume im Wind, eine milde Brise streicht über den kurz geschorenen Rasen. Gestärkt von tiefem Schlaf starten wir morgens durch – gemächlich, denn eilig hat es hier niemand. Von Freunden haben wir den Tipp bekommen, »Packt eure Ausrüstung wasserdicht ein, England wässert seine Besucher regelmäßig«. Gaskocher, GPS-Gerät, Zelt, Schlafsack, Matte – alles hat irgendwie in unsere Packtaschen gepasst. Am Horizont quellen dunkle Wolken – und bestätigen, wovor unsere Ratgeber gewarnt haben. Noch aber ist es trocken. Eine gute Gelegenheit, noch etwas durch das malerische Örtchen Bakewell zu schlendern. Dort, wo die wuchtige, alte Steinbrücke in fünf Bögen den River Wye überspannt, gibt es den berühmten »Bakewell Pudding« – eine Sünde für »Couch Potatoes«, Treibstoff für uns Radler. Die hier 1860 erfundene, gebackene süße Versuchung gibt uns Energie für die bevorstehenden Höhenmeter. Einer
Legende zufolge soll die Köstlichkeit rein zufällig von einer unerfahrenen Küchenhilfe im White Horse Inn kreiert worden sein. Wem der Sinn eher nach etwas Deftigem steht, der ist ein Stück weiter in der Thornbridge Brewery richtig. Hier lassen sich mehr als vier Dutzend Biersorten verkosten. Wir verzichten, Promille vertragen sich nicht mit der Pedaltreterei. Wieso also nicht alternativ das Chesworth House besichtigen? Das architektonische Schmuckstück mit seinen atemberaubend schönen Gärten ist einer der prunkvollsten Herrensitze Englands – und jeden Besuch wert.
Das Flüstern der Natur Nun aber in den Sattel! Saftig grüne, von wackeligen Steinbarrieren umschlossene Wiesen und Weiden huschen an uns vorüber. Dazwischen fügen sich bunt gewürfelt kleine Gehöfte, Dörfer und Kleinstädte ein. Wir genießen jede Pedalumdrehung durch die herrliche Landschaft. Nur die heranziehenden Gewitterwolken machen uns Sorgen. Als wir an einem Wäldchen stoppen, hält zeitgleich ein Auto neben uns. Der Fahrer, ein knorriger Einheimischer mit Hornbrille und verschmitztem Lächeln, warnt uns trocken: »Passen Sie auf, gleich
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Links: Tourenrad-Traum - endlos durch grüne Weidelandschaften pedalieren. Oben: Einer von vielen Hinguckern: die St. John the Baptist Church in Tideswell. Unten: Das Zelt garantiert Freiheit, Standort-Flexibilität und Draußen-Genuss.
regnet’s.« Noch während er spricht, zerplatzen die ersten dicken Tropfen auf unseren Helmen. Zum Glück ist es nicht weit zum Örtchen Parsley Hay, dort gibt es eine Bike-Station mit Restaurant. Während es draußen in Strömen gießt, gönnen wir uns ein »Full English Breakfast«. »Full« bezieht sich dabei auf den körperlichen Zustand nach dem Verzehr: Bohnen in Tomatensauce, Spiegelei, Rösti-Ecken, Grillwürstchen, Speck, Toast und Blackpudding – keine Süßspeise, sondern gebratene Blutwurst. Bei so viel »Schmalkost« kriecht uns die Trägheit bald in die Knochen. Was soll’s, schon Asterix ist daran gescheitert, solche Esstraditionen zu verstehen, als er mit seinem Freund Obelix bei den Briten war. So schnell, wie sie gekommen sind, verziehen sich die Gewitterwolken, und wir kehren dankbar auf unsere Sättel zurück. Die frische Luft reaktiviert die Lebensgeister, die Beine verbrennen die üppig getankten Kalorien. Per Drahtesel im Peak District unterwegs zu sein bedeutet Feld- und asphaltierte Wege in Abwechslung. Immer wieder kreuzen Fasane unaufgeregt die Fahrbahn. Nicht umsonst heißt der Loop 8 »Hills, dales and trails«. Gehöfte aus Natursteinen schmiegen sich in die Landschaft, als wären sie ein natürlicher Teil von ihr. Kleine Bäche bahnen sich ihren Weg, dick gepolsterte Schafe suchen bei Schlechtwetter Zuflucht unter mächtigen Eichen, deren dicke Äste schwer fast bis zum Boden hinunterreichen – und so zu natürlichen Schutzburgen werden. Man verspürt augenblicklich das Verlangen innezuhalten, in diese Landschaft einzutauchen, sie zu malen – oder genau hier sein Zelt aufzuschlagen. Gedacht, getan. Der freundliche Farmer hat kein Problem damit, uns auf seinem Land campieren zu lassen.
Mancher mag vielleicht lieber in einem der renovierten Herrenhäuser absteigen. Für uns ist dieses temporäre wurzellose Dasein ohne großen Luxus der Inbegriff von Freiheit und Erholung.
Gärten und Parks – Very British! Nahezu stündlich, zuweilen von Minute zu Minute, ändert sich das Licht, wechseln die Farben des Himmels, die Formen der Wolken. Wir genießen jede Sekunde, ehe die Nacht hereinbricht. Am nächsten Morgen begrüßen wir den Tag mit einer ordentlichen Portion Müsli und einem Pot starken Kaffee, kredenzt auf unserem treuen Gaskocher. Auf unserem Tagesplan steht die höchst gelegene Marktstadt Englands: Buxton liegt 307 Meter über dem Meeresspiegel und ist einer der ältesten Kurorte des Königreichs. Schon die Römer wussten um die Vorzüge der wohltuenden Thermalquellen. Berühmtheit erfuhr die Region aber auch durch die Höhlen der »Blue John Cavern«. Der Name geht auf einen blau funkelnden Halbedelstein zurück, der in den vergangenen 250 Jahren nur hier gefunden wurde. Aus dem im Jahre 1813 größten je entdeckten »Blue John« wurde eine wertvolle Vase gefertigt, die wir schon zu Beginn unseres Trips in Bakewell auf Schloss Chatsworth bewundern durften. Nicht weniger edel wirkt der Park von Buxton. Grünes und Blühendes ist dem Engländer seit keltischen Zeiten heilig. Die berühmten englischen Gärten und Parks sind auch im Peak District ein nicht wegzudenkender Teil der üppig grünen Landschaft. Da wundert es kaum, dass eine Gartenveranstaltung mehr Zulauf verzeichnet als so manches Fußball- oder Rugbyspiel.
Kulinarische Köstlichkeiten: Das Peak District zeigt sich »very british«.
Gegenüber des Opernhauses strömt aus einem Löwenkopf kostenlos Mineralwasser. Wir füllen unsere Flaschen, gerüstet für die Weiterfahrt. Wieder tauchen wir ein in eine üppige Melange aus Grüntönen: Wälder, Wiesen, Hügel. In Tideswell mit seiner wunderbaren Kirche »St. John the Baptist«, auch bekannt als »Cathedral of the Peak«, entlasten wir unser Sitzfleisch und stellen die Räder ab. Der Aufstieg zum Aussichtspunkt von Chapel-en-le-Frith lohnt jeden Schweißtropfen: Zu unseren Füßen liegt das sagenumwobene Goyt Valley. Die Abendsonne verwandelt den leichten Dunst über den Wiesen, Waldinseln, Bachläufen und Seen in einen goldenen Schleier. Viele sagen, das Goyt Valley sei die schönste Seenlandschaft des Peak District. Fast vergessen wir, dass auch morgen noch eine Etappe ansteht. Zu gerne würden wir hierbleiben und nicht anderes tun als uns einfach nur sattzusehen an diesem grünen Paradies. Text und Fotos: Klaus Herzmann
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FOTO Goalzero
FOTO Travis Burke/Goalzero
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Besserwisser: Stromversorgung auf Tour
WATT SATT Viele digitale Helfer machen inzwischen auch das Outdoor-Leben angenehmer. Doch ihre Akkus brauchen Strom. Den liefern heute mobile Lade- und Speichergeräte. Johannes »Joh« Ahrens kennt sich mit ihnen bestens aus – er lötet auch gerne mal selbst herum. In Katalogen entdeckt man Dinge, über die vor Kurzem selbst James Bond gestaunt hätte: Mini-WasserstoffReaktoren, Solarzellen – sogar Kochtöpfe, die Energie erzeugen. Sind die Hersteller verrückt geworden? Überhaupt nicht. Die Leute schleppen immer mehr Technik mit in die Natur – und die funktioniert eben nicht ohne Strom. Ich selbst packe gerade für eine längere Tour, und da kommt einiges zusammen: eine große Kamera, das Handy, die Stirnlampe, mein Navigationsgerät und die GPS-Uhr. Nur leider wurden die Bäume in Nordskandinavien immer noch nicht mit Steckdosen ausgestattet. Teilweise muten die Produkte recht futuristisch an. Sind das eher Spielzeuge für Technikfans – oder tatsächlich zuverlässige Begleiter für jedermann? Das ist sehr unterschiedlich. Die thermischen Generatoren zum Beispiel, die etwa aus Feuer oder Kocherhitze Energie gewinnen, haben sich noch nicht so richtig durchgesetzt. Die Herstellerangaben bleiben meist unerfüllt, einige Kunden sind enttäuscht. Ich bin skeptisch, ob die sich am Markt behaupten können. Einen Schritt weiter sind die Wasserstoff-Reaktoren, aber auch diese Technik für unterwegs steckt noch in den Kinderschuhen …
Johannes Ahrens ist viel draußen unterwegs. Kamera, Handy und GPS kommen dank mobiler Stromversorgung auch auf langen Trekkingtouren mit.
JOHANNES AHRENS EMPFIEHLT ... ... Gewichtsfanatikern, die jedes Gramm zählen: »Ein kleines Akkupack ohne Solarpanel, am besten mit Lithium-Technik, weil am leichtesten. Z. B. Goal Zero »Switch 8«: 8 Wattstunden Kapazität, 91 Gramm leicht, 39,95 Euro.«
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… heißt das, dass ich Angst haben muss, dass mir der Reaktor im Rucksack in die Luft fliegt? Schließlich trägt man hier Patronen mit Wasserstoff mit sich herum! Der Hersteller garantiert, dass man die Patronen sogar mit ins Flugzeug nehmen kann – dann sollten sie wirklich sicher sein. Echte Langzeiterfahrungen haben wir damit noch nicht gesammelt. Wir haben ein Testgerät im Einsatz und setzen es immer mal wieder auf Touren ein. Bisher ohne Probleme. Ich meinte aber eher: Die Reaktoren bringen erst Vorteile, wenn man sehr viel mehr Energie benötigt, als es der normale Benutzer tut. Aber auch da bleibt spannend, was die Zukunft bringt. Bleiben für die breite Masse also Solargeräte. Solarpanels funktionieren schon recht zuverlässig, nur muss man bei der Benutzung ein paar Dinge beachten. Wichtig ist vor allem, dass sie möglichst im rechten Winkel zur Sonne ausgerichtet sind und wenig Fläche abgeschattet wird. Ich tüftle gerne – und einmal habe ich mir mal den Spaß gemacht und die Leistung an einem Panel gemessen. Sobald ich es gekippt habe, waren die Einbußen gegenüber dem, was auf der Verpackung stand, enorm.
... Sparfüchsen, die wenig ausgeben wollen: »Auf keinen Fall ein scheinbar günstiges Kombiprodukt, wie etwa Akku mit Solarpanel auf der Vorderseite, das Ganze so groß wie ein Smartphone – die taugen nichts. Dann lieber ein vernünftiges Akkupack für um die 40 Euro und auf das Solarpanel verzichten.« ... Technikfans mit erhöhtem Strombedarf: »Bei großen Akkus von z. B. Spiegelreflexkameras reicht die USB-Ladefunktion nicht mehr aus. Dafür bräuchte man einen speziellen Wandler, um die Spannung zu transformieren (z. B. Pixo »C-USB« 29,95 Euro). Da aber bei hohem Strombedarf ohnehin mehr
Ein Solarpanel genau im 90-Grad-Winkel zur Sonne auszurichten und dann nicht mehr zu bewegen, dürfte im Outdoor-Alltag schwierig sein. Die Herstellerangaben zu Leistung und Ladezeit beziehen sich auf Laborbedingungen – die habe ich draußen natürlich nie. In unseren Breitengraden scheint die Sonne kaum senkrecht und erst recht nicht, wenn ich in Skandinavien wandern gehe. Und leider soll es ab und zu vorkommen, dass sich eine Wolke vor die Sonne schiebt. Viele schnallen ihr Solarteil auch an den Rucksack, an das Deck ihres Kajaks oder oben auf den Gepäckträger am Rad. Klar, dass wir auch da mit Verlusten rechnen müssen, das Panel wird nie hundertprozentig ideal ausgerichtet sein. Wenn man sich also Gedanken macht, wie leistungsstark das Gerät sein muss, das man braucht, sollte man schon Reserve einrechnen. Dass Solarzellen Energie einsammeln, während ich laufe, paddle und Rad fahre, klingt ja ideal. Sind die Geräte robust genug für solche Einsätze? Solarpanels sind sehr unempfindlich. Man sollte nur darauf achten, dass man die Oberfläche nicht zu sehr verdreckt oder zerkratzt, das bringt natürlich Leistungsverluste mit sich. Da die Panels aus vielen kleinen Solarmodulen zusammengebaut sind, könnte von denen sogar eines ausfallen und das Gerät bleibt im Gesamten noch nutzbar, wenn auch mit weniger Leistung. Und es kann sogar auch mal nass werden. Nur die elektrischen Anschlüsse, die sich meist auf der Rückseite befinden, sollten nicht baden gehen. Die Produkte welcher Marken versorgen uns unterwegs mit Energie? Start-ups? Oder haben Traditionshersteller einen neuen Markt entdeckt? Die kleinen Wasserstoff-Reaktoren stellt Brunton her, ein US-Unternehmen, das bereits lange auf dem Markt ist und ursprünglich auf Kompasse spezialisiert war. Im Bereich Solarstrom sind neue Spieler am Markt. Ich habe fast alles durchprobiert und auch schon vieles zu-
Kapazität benötigt wird: Einfach den ›Sherpa 50‹ von Goal Zero samt Inverter nehmen, das ganz normale Ladegerät nutzen und wahlweise mit dem Solarpanel ›Nomad 13‹ die Sonnenenergie puffern. Da bewegen wir uns zwar knapp über 400 Euro, doch damit klappt auch die Stromversorgung im gewünschten Umfang.«
FOTO Travis Burke/Goalzero
sammengelötet. Empfehlen kann ich Produkte von Goal Zero und Powertraveller. Beide bieten wirklich pfannenfertige Produkte an, leicht verständlich und simpel in der Funktionsweise. Persönlich gefallen mir die Sachen von Goal Zero für den Outdoor-Einsatz noch etwas besser. Aber das ist auch ein bisschen Geschmackssache. Neben Geräten, die unterwegs Strom erzeugen, gibt es sogenannte »Akkupacks«, die ich zu Hause bequem an der Steckdose laden kann. Ist es nicht viel einfacher, gespeicherte Energie mitzunehmen? Klar ist das einfacher, die Frage ist nur: Komme ich damit zurecht – oder bin ich schon am zweiten Tag verzweifelt, weil ich die Energie aufgebraucht habe? Deshalb versuche ich in Beratungsgesprächen mit Kunden immer als Erstes herauszufinden, wie hoch ihr Strombedarf ungefähr sein wird. Das geht mit einer ganz einfachen Frage: Was soll wie oft aufgeladen werden? Wenn ich das weiß, brauche ich eigentlich nur etwas technisches Verständnis und Kenntnisse in den Grundrechenarten ... Bitteschön! Okay, ein Beispiel – Achtung, jetzt kommen Zahlen: Ein Handy-Akku hat etwa sieben Wattstunden, ein GPS genauso viel. Wenn ich nun mein Handy zweimal unterwegs aufladen will, brauche ich also einen Akkupack mit 14 Wattstunden. Mindestens, denn Akkus werden mit der Zeit schwächer – wer sicher gehen will, kauft sich also einen mit 20 Wattstunden und hat Reserve. Wenn ich nun aber mein Handy ständig leer spiele und auch noch das GPS laden will, brauche ich einen Akku mit der doppelten Kapazität. Die sind dann aber schon recht schwer und auch teuer – besser wäre es also, ein Solarpanel mitzunehmen und mit ihm einen kleineren Akkupack, um unterwegs nachzuladen.
Foto: Miah Watt
Different Inside. Von innen heraus anders- In den vergangenen 20 Jahren hat Mountain Hardwear Outdoor Bekleidung und Hartware neu definiert. Durch Innovation, Handwerkskunst und dem Antrieb Dinge anders anzugehen.
Ich lade also meine Geräte nicht direkt an der Energiequelle, sondern zunächst an den Extra-Akkus? An die meisten Solarpanels lassen sich Geräte per USB-Kabel anschließen. Smartphones z. B. laden aber erst ab einer gewissen Wattleistung, die Solargeräte nicht konstant erreichen. So kann es passieren, dass mein Gerät auch nach zehn Stunden Sonnenschein nur halb voll ist, weil immer nur dann geladen wurde, wenn die Bedingungen ideal waren. Dazu kommt, dass es für den Handy-Akku extrem »ungesund« ist, wenn das Laden ständig unterbrochen wird. Technisch eleganter und deutlich praxistauglicher ist daher der Umweg über einen Akkupack. Das sammelt den ganzen Tag über Energie vom Solarpanel, ohne eine Mindestladeleistung zu benötigen. Abends im Zelt kann man dann per USB-Kabel ganz komfortabel seine Geräte laden – akkuschonend. Und was ist mit Geräten, die keinen USB-Eingang haben? Dafür hat Goal Zero einen sogenannten »Inverter« gebaut, der sich an den großen Akkupack »Sherpa« anschließen lässt. Er transformiert die knapp 20 Volt Spannung vom Akku für einen normalen Eurostecker-Anschluss. Aber Achtung: Bei über 60 Watt Leistung schaltet er sich ab, sprich: Weder Föhn noch Wasserkocher dürfen mit auf Tour. Für Laptops, große Kameras oder Spezialakkus ist er aber sehr hilfreich. Früher gab es auch noch was ganz anderes: Taschenlampen mit Kurbel, bei denen der Benutzer selbst sein eigenes Kraftwerk war … Kurbel-Trafos sind eher ein Wunschtraum derer, die auch daran glauben, ihren Strombedarf von einem Hamster im Laufrad erzeugen lassen zu können. Aber auch hier gibt es Möglichkeiten: Goal Zero etwa hat eine Taschenlampe mit Solarpanel und Kurbel im Angebot, die auch eine Lademöglichkeit per USB-Anschluss integriert hat. Aber wenn ich das mal vorrechnen darf: Die Kurbel liefert bei 120 Umdrehungen pro Minute 2,2 Watt – um eine Smartphone zu laden, würde das bedeuten: Vier Stunden am Rad drehen! Bleibt nur zu hoffen, dass das Gerät danach auch Empfang hat, um einem den Weg durch die Wildnis zu weisen … Text: Moritz Baumstieger
Stretch™ Ozonic Jacket Eine 2,5 Lagen Jacke, die wasserdicht, atmungsaktiv, unglaublich anschmiegsam und stretchig ist. Eine leichte Jacke mit höchster Funktion und angenehm sanften Tragegefühl, sie wird Deine erste Wahl sein für alle Aktivitäten draussen. Die exzellente Kontruktion erfüllt alle Anforderungen, die Du während Deiner Outdoor-Aktivitäten an die Jacke hast. DryQ Active Technologie schützt Dich vor allen feucht-nassen Witterungsverhältnissen.
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RAUSZEIT Sommer 2015
EinBlick: Evolutionskünstler Arc’teryx
IMMER EINEN SCHRITT VORAUS Kanada – nur wenige Länder stehen so sehr für wilde, atemberaubend schöne Natur und die Erfüllung von OutdoorAbenteuerträumen. In Vancouver, dem Schmelztiegel aller »Outdoor-Verrückten«, hat sich vor 26 Jahren eine kleine Manufaktur mit langer Wunschliste, höchstem Anspruch und feinsten Ergebnissen niedergelassen: Arc’teryx. Anfang der 90er-Jahre. Es herrscht Pionierstimmung in einer kleinen Firma in Kanadas Outdoor-Hauptstadt Vancouver. Getüftelt wird am bequemsten Hüftklettergurt, den die Szene je um die Hüften hatte. Neue Maßstäbe möchte Kletterer Dave Lane setzen, als er 1989 das Unternehmen »Rock Solid Manufacturing« gründet. Und legt sich damit gleich mit den ganz Großen der Branche an: The North Face hat bereits eine Kollektion mit ähnlichem Namen in den Regalen. Also müssen Lane und sein neuer Partner Jeremy Guard ihre Marke umbenennen. Was also könnte als Name für die Dinge stehen, die ihnen wichtig sind: Perfektion, Akribie, Streben nach permanenter Weiterentwicklung. Klingt nach Evolution. Dachten sich Lane und Guard auch – und erkoren das Abbild des Synonyms für Evolution als ihr neues Markenlogo: das fossile Skelett des Urvogels Archaeopteryx. Die Kurzform: Arc’teryx ... Wie viele Marken der Outdoor-Welt ist eben auch Arc’teryx aus einer Unzufriedenheit mit dem Bestehenden entstanden. Der Ansatz: Wenn es die notwendige Lösung noch nicht gibt, bauen wir sie eben als Erste. Um die Klettergurte bequem zu machen, entwickelte das Team um Dave Lane also »einfach« ein neues, spezielles Pressverfahren, mit dem filigrane, dreidimensionale Polsterungen möglich wurden. Fachausdruck »Thermo-Molding«. Die erhoffte Wirkung – ein für damalige Verhältnisse unglaublicher Gurt names »Vapor« – sprach sich bald in Fachkreisen herum. Mitte der 90er tauchte in den Fachgeschäften der erste Rucksack, Modell »Bora«, mit dem markanten Logo auf. Das ThermoMolding-Verfahren kam bei seinem Hüftgurt und seiner Rückenpartie zum Einsatz – und zauberte ein verzücktes Grinsen in die Gesichter der Menschen, die ihn erstmals aufsetzten. Das Loch, das die Anschaffung in die Reisekasse riss, wurde mit lebenslanger Zufriedenheit
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aufgefüllt. Wenige Jahre später brachte Arc’teryx seine ersten Jacken auf den Markt und traf auch damit voll ins Mark der Outdoor-Enthusiasten. Passform, Funktion, Gewicht, scheinbar alles war an ihnen mit kompromissloser Perfektion umgesetzt. Dass die edlen Teile auch noch richtig gut aussahen, war ein äußerst willkommener Nebeneffekt.
Viele kleine Revolutionen Bis heute lebt die Marke von Mitarbeitern mit überdurchschnittlich hoher Leidenschaft für ihr Tun. Menschen, die nicht Ruhe geben, bevor sie ihre Vorstellung eines perfekten Produktes realisiert haben. So brachten die »Birds«, wie die Kanadier von Insidern genannt werden, nach dem Thermo-Molding noch zahlreiche weitere bahnbrechende Produktentwicklungen auf den Weg, die heute zum Standard in der Outdoor-Welt zählen. Wie zum Beispiel den wasserfesten Reißverschluss, an dem sich Weltmarktführer YKK lange die Zähne ausgebissen hatte. Mike Blenkarn – eine Legende unter den »Daniel Düsentriebs« der Branche und seit 1995 bei Arc’teryx – beschichtete, bügelte, schnippelte und testete so lange, bis er ihn 1998 endlich in Serie einbauen konnte. Mittlerweile gehören solche wasserfesten Reißverschlüsse zum Branchen-Standard. Auch der Laminathersteller W.L. Gore profitierte vom Innovationsdrang aus Vancouver. Im Rahmen der jahrzehntelangen Partnerschaft war man maßgeblich an der Entwicklung bahnbrechender Top-Laminate wie »Gore-Tex Pro« beteiligt. Die Liste der kleinen Revolutionen ist noch länger: z. B. »Zipper-Garagen« um das Eindringen von Wasser in Außentaschen zu unterbinden, Thermolaminierung, um Nähte mit Tapes wasserdicht zu machen, dreidimensionale Schnitttechnik ...
Auch wenn Arc’teryx im Jahr 2015 kein Geheimtipp mehr ist, an kompromissloser Qualität und herausragender Design-Arbeit hat einer der besten Importe in der Geschichte Kanadas – zumindest aus Sicht von Alpinisten, Trekkern und Kletterern – kein bisschen eingebüßt, im Gegenteil. Seit dem ersten wasserfesten Reißverschluss ist Mike Blenkarns Kollegenschaft gewachsen. Aus einem halben Dutzend Ende der 80er-Jahre sind über 600 Mitarbeiter geworden. Und gearbeitet wird nicht mehr in einem Keller, sondern in mehreren großzügig angelegten Gebäuden in North Vancouver am Fuße der Berge British Columbias. Am Empfang sitzt Usha Parbhakar, auf ihrem Firmenausweis steht die Mitarbeiternummer 1. Zu Beginn hatte sie Klettergurte genäht, jetzt regelt sie den Zugang in die Schaltzentrale des Unternehmens. Auch sie strahlt diese Zufriedenheit aus, die im »Bird’s Nest« omnipräsent ist.
Die Perfektion liegt im Detail Knapp 400 verschiedene Modelle hat Arc’teryx mittlerweile in seiner Kollektion. Aber verträgt eine auf Feinheiten und kompromisslose Funktion ausgerichtete Marke so viel Wachstum? Das tut sie. Denn Leidenschaft, Neugierde und Perfektionismus sind nach wie vor Einstellungskriterien. Wenn ein Produkt nicht »fertig« ist, kommt es auch nicht auf den Markt. Basta! Im Design-Center von Arc’teryx tüfteln gleich auf zwei Stockwerken circa 30 Produktdesigner, Schneider, Mustermacher und Farbspezialisten an neuen Modellen und Materialien. Mittendrin steht der nach reichlich Arbeit aussehende Tisch von Carl Moriarty, dem Chef der Truppe. »Viele Leute haben gesagt, mit dem Wachstum würde das Produkt schlecht werden. Aber es macht Spaß, diesen Menschen das Gegenteil zu beweisen«,
Kein Schnick schnack: Arbei tsplatz von pa ssionierten Puri sten.
De sign-L eg in seinem ende Mike Blenka Metier. rn
r ste s tet sein e s te e n a D av e L G ründer Klettergurte. Produkt: sagt er mit einem zufriedenen Lächeln. Neben den vielen Detaillösungen sei vor allem der dreidimensionale Schnitt der Grund, warum die Menschen Arc’teryx-Bekleidung so liebten – volle Bewegungsfreiheit und trotzdem eine athletische Passform. Im nächsten Gebäudetrakt sind die Wände gepflastert mit unzähligen Farbkombinationen. Es ist das Reich von Kristi Birnie, Hüterin der Farben und damit Leiterin eines Bereiches, der für Arc’teryx essenziell wichtig ist. Studien haben bestätigt, dass ein enormer Anteil bei der Entscheidung für ein Produkt an dessen Farbgebung hängt. Und genau hier setzen Kristi Birnie und ihr neunköpfiges Team an. Sie beherrschen die Komposition und Dosierung von Farben nahezu perfekt, wie etwa das Setzen minimalster Kontrastpunkte durch andersfarbige Reißverschlussbändchen an einer einfarbigen Jacke – die ansonsten vielleicht »langweilig« wirken würde. Dazu kommt die punktgenaue Auswahl der einzelnen Farben, die immer auf eine Art speziell sind – wie der exakt passende Name dazu. So heißt ein helles Grün «mantis», das englische Wort für Gottesanbeterin, ein dunkles Rot «buckeye», die Rosskastanie. «Damit hauchen wir einem relativ sterilen Produkt Leben ein», sagt Birnie, selbst eingehüllt in ein perfekt abgestimmtes, kräftiges, aber unaufdringliches Outfit. Allein den
m me n Stoffe ko n te s e b N ur die teryx-Produkt. rc’ in ein A
Jacken einer Saison verabreichen die Arc’teryxFarbkünstler circa 60 verschiedene Farben.
Echte Handwerkskunst Die Fertigung der hochwertigsten Kollektionsteile ist mit klassischer Massenproduktion kaum vergleichbar, eher mit traditioneller Handwerkskunst. Die Produktion einer Alpha SV Jacket, der Porsche unter den Bergsportjacken, benötigt 211 Arbeitsschritte, durchgeführt von 65 unterschiedlichen Personen, und einen Zeitaufwand von durchschnittlich vier Stunden und 38 Minuten – für eine Jacke. Allein das Logo entsteht durch ungefähr 11.000 Stiche, um optisch wie qualitativ dem hohen Anspruch gerecht zu werden. Kein Produkt verlässt die Produktion, ohne vorher eine genaue Qualitätskontrolle zu durchlaufen. Die Rücklaufquote der Garantieabteilung liegt bei unter einem Prozent. Bei Darren Ritten, dem Manager des Kundenservice-Centers und ebenfalls »Langzeit-Vogel« wie Blenkarn, Moriarty und Birnie, gehen häufig Anfragen ein, ob sie es nicht bitte, bitte schaffen könnten, die abgetragene, manchmal jahrzehntealte Jacke nach einem Sturz wieder zu reparieren. »Auch diese Menschen versuchen wir natürlich glücklich zu machen«, sagt Ritten. Dafür halten er
und sein Team früher verwendete Stoffe und Farben parat. Seit 26 Jahren sprudelt es Innovationen aus dem Hause Arc’teryx. Woher bekommen sie all die Eingebungen? »Wir leben hier in einem einzigen Testcenter. Um uns herum gibt es wunderbare Berge, Meer und Natur, eine riesige Spielwiese für jede erdenkliche Outdoor-Sportart – und dazu eine Menge Regen«, erklärt Chef-Designer Carl Moriarty. In seinen Augen sieht man die Lust auf weitere Tüftlererfolge, um der Konkurrenz wieder einen Schritt voraus zu sein. Man darf gespannt sein auf den nächsten Schritt der Evolution ... Text: Moritz Becher Fotos: Arc’teryx, Angela Percival
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RAUSZEIT Winter Sommer 2014/2015 2015
NACHGEFRAGT: Bo Hilleberg
TERMIN BEI DR. ZELT Viele nennen ihn schlicht den »Zeltpapst«. Dass Bo Hilleberg eines der meistbegehrten Outdoor-Produkte geschaffen hat, ist allerdings eher eine natürliche Konsequenz seiner Denkweise. Mit fast 75 kann er zurückblicken auf ein Leben, das bestimmt war und ist von seinem Familiensinn, seiner grenzenlosen Liebe zur Natur und dem Fokus auf – man ahnt es – die besten Zelte der Welt. Manche Menschen haben dieses außergewöhnliche Charisma. Eine Aura, mit der sie ihre Mitmenschen in den Bann ziehen. Bo Hilleberg, den die meisten »Bosse« nennen dürfen, ist so ein Mensch. Schon der Nachname an sich löst bei vielen Outdoorern feuchte Augen aus. Bei denen, die ein Hilleberg-Zelt besitzen, vor Rührung und Stolz, bei dem Rest vor Wehmut. Um sein Lebenswerk zu begreifen, sollte man Bosse näher kennenlernen. Keine Starallüren, kein offensichtlicher Luxus, nur der Wunsch, dass die notwendigen Dinge im Leben funktionieren. Denn genau aus diesem Grund, oder besser weil eben genau das nicht der Fall war, können heute Outdoor-Abenteurer auf dem patagonischen Inlandeis oder den nordschwedischen Fjälls beruhigt in ihre Schlafsäcke kriechen, wenn draußen Mutter Natur mal wieder die Windmaschine angestellt hat. Denn hätte er sich damals, auf seinen wochenlangen SoloTouren in der Wildnis des Sarek Nationalparks, nicht so maßlos über sein Zelt geärgert, dann gäbe es die grünen und roten Tunnel-, Kuppel- und Geodät-Modelle aus dem jämtländischen Frösön heute vermutlich nicht. Lässt man Bo Hilleberg aus dem Nähkästchen plaudern, lernt man einen Mann kennen, dessen Liebe zur Natur von klein auf einfach da war. Er wuchs in behüteten Verhältnissen im Südosten Schwedens, nahe der Stadt Söderköping, auf, der Vater ein Waldarbeiter, die Mutter Leiterin eines kleinen Geschäftes und Hausfrau. Der Weg zum nachbarlichen Bauernhof, um frische Milch zu holen, war begleitet von Naturgeräuschen – Wind in den Bäumen, das »Bellen« der Füchse, das Kreischen der Greifvögel. All das fasziniert Bosse. So viel Zeit wie möglich verbringt er im Freien. Oft allein, denn zum einen, so sagt er, kann man die Natur dann intensiver erleben, zum anderen war damals auf dem Land die Leidenschaft für das Freizeitthema Outdoor noch nicht sonderlich weit
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verbreitet. »Die Leute haben den ganzen Tag draußen gearbeitet, weil sie es mussten.« Erst später, während seines Militärdienstes in der »Mountain Ranger School« im nordschwedischen Kiruna und bei seiner Ausbildung in Forstwirtschaft lernt er Gleichgesinnte kennen. Zunächst favorisiert er den Wald, das Geschehen unterhalb der Baumgrenzen, dann zieht es ihn zunehmend in alpine Regionen. Immer mit dabei: ein nicht wirklich funktionierendes Zelt. 1971 gründet er die Hilleberg AB, einen Importeursbetrieb für finnische Forstausrüstung und kleine, den Wald schonende Maschinen. Parallel nehmen Ärger und Vision Formen an: Bosse tüftelt an seinen ersten Zelt-Prototypen. Seine Idee ist ebenso simpel wie revolutionär. »Ich wollte nicht nur ein starkes Zelt, das dem Wetter dieser rauen Region standhalten würde, sondern auch eines, dessen Innenzelt beim Aufbau im Regen nicht nass wird.« Der Gedanke klingt nicht nur für ihn logisch – und nach einiger Entwicklungsarbeit steht ein Firstzelt, in dem das Innenzelt bereits eingeknüpft ist. »Keb«, die Abkürzung für seinen geliebten Berg Kebnekaise, tauft Bo sein erstes »Hilleberg«. Das Zelt ist gut, wie soll es aber weitergehen? Er entschließt sich, den Forstmaschinenbetrieb einzustellen und alles auf die Karte Zelte zu setzen. Seine Frau Renate, die er 1971 im Skiurlaub in Tirol kennengelernt und bereits ein Jahr später mit Ehering am Finger nach Schweden »importiert« hat, näht die Zelte, Bo entwickelt und verkauft. Gut 40 Jahre später ist das Sortiment auf über 35 Modelle angewachsen, die Firma – mittlerweile international bekannt – nach wie vor ein Familienbetrieb. Tochter Petra leitet in Seattle das Geschehen der US-Tochterfirma, Sohn Rolf lenkte viele Jahre als Geschäftsführer den Betrieb in Europa und ist heute Aufsichtsrat bei Hilleberg und Präsident der Scandinavian Outdoor Group. Und Bosse? Der ist immer noch
– neben Familienoberhaupt und CEO der Hilleberg Group – der Leiter der Produktentwicklung. Im Oktober 2014 erhielt er von der Universität Mid Sweden den Ehrendoktortitel für die jahrelange Zusammenarbeit in puncto Entwicklung. Von Ruhestand will er noch nichts wissen: »Warum sollte ich jetzt aufhören? Ich liebe meinen Job – außerdem macht es mir Freude, mit jungen, motivierten Leuten zu arbeiten.« Die Alten, so sagt er, tendieren immer dazu, in Erinnerungen zu schwelgen und nur über die Vergangenheit zu sprechen. Er wolle aber lieber nach vorne schauen, in die Zukunft, das sei spannender. Zugegeben, sein Arbeitspensum hat er auf 30 Prozent heruntergeschraubt. Aber die reichen oft, um seinen Vorstellungen ausreichend Ausdruck zu verleihen. Seine Frau Renate hat einmal über ihn gesagt, es sei seine größte Schwäche, immer Recht haben zu müssen – und seine größte Stärke, dass er eben meistens auch Recht habe. Wer so lange die Natur sein zweites Zuhause nennt, ist viel herumgekommen. Doch auch wenn lange KanuExpeditionen im hohen Norden Kanadas und Ausflüge in den Dschungel Borneos sein Tourenbuch zieren, am liebsten ist er »vor der Haustür« unterwegs. »Wir sind hier in Schweden so gesegnet mit grandioser Natur, es ist eigentlich absolut nicht notwendig, weiter wegzufahren.« Sein Lieblingsgebiet ist das Naturreservat Rogen in der Provinz Härjedalen, wohin er regelmäßig Touren mit der gesamten Hilleberg-Belegschaft unternimmt. Ob er mit fast 75 wirklich immer noch so oft in »seinen« Zelten schlafe? So oft es eben gehe. Der Unterschied sei nur, dass jetzt – im Alter – jeder sein eigenes Schlafzelt habe. Naja, ein bisschen Luxus darf es für Dr. Zelt schon sein. Text: Moritz Becher Fotos: Hilleberg, Moritz Becher
RAUSZEIT Winter 2014/2015
Die Entwicklung der besten Zelte als logische Konsequenz. Im Leben von Bo Hilleberg spielen Naturerlebnisse eine zentrale Rolle.
10 Fragen an Bo Hilleberg: Glaubst du an Schicksal, und wenn ja, warum? Nein, mir gefällt der Gedanke, dass ich meine Entscheidungen im Leben selbst treffe und meinen Weg selber gehe. Bitte vervollständige folgenden Satz: Ein Abenteuer ist ... ... sowohl ein Ausflug in die Natur vor der Haustür als auch eine große Expedition in unbekanntes Terrain. Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdest du unterwegs nicht verzichten? Ein Hilleberg-Zelt (lacht). Im Ernst: vermutlich mein Messer und Streichhölzer. Aber es hängt tatsächlich stark von der jeweiligen Tour ab. Was hat dir im Leben schon mal richtig Angst gemacht? Dinge, die ich nicht beeinflussen oder handhaben kann. Kriege etwa, wie z. B. aktuell in der Ukraine. Das besorgt mich sehr. Wer war der beeindruckendste Mensch, den Du je kennengelernt hast, und warum? Da fällt mir keine spezielle Person ein. Oder besser: Es gibt viele völlig unterschiedliche Menschen, die mich auf ihre Weise beeindruckt haben.
Effizient und leicht, um sich auf die Griffe zu stürzen.
Welche Dinge werden heutzutage oft überschätzt? Materieller Besitz und Reichtum. Wie würde der Titel deiner Autobiografie lauten? Ich habe kürzlich einen Ehrendoktortitel erhalten. Vielleicht wäre es also »Outdoor-Doktor Hilleberg« oder »Der Zelt-Doktor«.
FOTO Christina Karliczek
Was ist Glück für dich? Einfach draußen die Natur zu genießen oder zu Hause eine gute Zeit mit der Familie zu verbringen. Sehr simple, aber meines Erachtens essenzielle Dinge. Welchen Kindheitstraum hast du dir erfüllt? Die Freiheit zu haben, mein Leben selbst zu bestimmen und Entscheidungen zu treffen – beruflich wie privat.
Photo © www.kalice.fr
Was hast du im Leben wirklich Relevantes gelernt? Einen klaren Fokus vor Augen zu haben, ohne in irgendeiner Weise extrem zu sein.
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RAUSZEIT Sommer 2015
LIEBESERKLÄRUNG »VIELE SUCHEN IHR GLÜCK, WIE SIE IHREN HUT SUCHEN, DEN SIE AUF DEM KOPF TRAGEN.« ( FRIEDRICH LÖCHNER ) Eigentlich weiß ich gar nicht mehr so richtig, wie dieser Hut zu mir kam. Doch ich kann mich noch genau an unseren ersten gemeinsamen Auftritt in der Öffentlichkeit erinnern: Es war ein grauer, verregneter Sonntag, 1992, in Berlin, mit Frau und Kind im Tierpark. Bei Regen ist dort fast kein Mensch unterwegs, die Tiere sind entspannt und man kann nahezu unbehelligt durch die leeren Alleen wandeln. Nahezu. Denn ich, der spazierende Zweimetermann mit großem »schwarzem Deckel« veranlasste die wenigen anderen Zoobesucher dazu, sich irritiert umzudrehen. 1992 waren Hüte alles andere als »en vogue« oder normal. Die Kapuzen an Regenjackenkrägen waren zwar vorhanden, hatten aber wenig funktionalen Nutzwert – und Brillenträger wie ich bekamen garantiert immer Wasser auf die Lupen. Kurz: Für meinen neuen Super-Hut nahm ich die kritischen Blicke herzlich gerne in Kauf. Und hätten diese Menschen an diesem Tag von seinen Qualitäten gewusst, es wären neidische Blicke gewesen. Mein Hut, der bis heute auf den sonnigen Namen »Seattle Sombrero« hört, war wie eine Befreiung: keine raschelnde, das Lauschen einschränkende, beengende Tüte mehr auf dem Kopf. Ich war trocken vom Scheitel bis zu den Schultern und schritt erhobenen Hauptes in die Welt hinaus. Unsere erste gemeinsame Reise führte uns im Kanu durch ein sehr verregnetes Schweden. Der Fuluälven floss träge dahin, der Regen kredenzte riesige Platzer auf die Wasseroberfläche. Ein wunderschönes Erlebnis. Denn ich war warm und trocken unter dem Spritzverdeck – und unter meinem Hut. Ohne nervige Kapuze lauschte ich dem Prasseln des Regens, während das Ally-Kanu im mäandernden Fluss um die Kurve trieb. Da stand er plötzlich im Wasser, ein Elch
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mit seiner Madame. Er war genauso erschrocken wie wir – ich glaube nicht, dass es dieses Mal am Hut lag. Seit jenem verregneten Sonntag, 1992 in Berlin, begleitet mich der Seattle Sombrero zuverlässig durch die Welt. Klein gefaltet passt er sogar in die Hosentasche, bei Bedarf bereit zum schützenden Einsatz. Sei es in der sengenden Sonne der ägyptischen Wüste, beim Bergsteigen in den Höhen der kaukasischen Gipfel oder in der feuchttropischen Hitze des südamerikanischen Regenwaldes. Er ist Schattenspender, Regenschutz und angenehme Klimaanlage in einem. Etwas in die Jahre gekommen, muss er mittlerweile hin und wieder in die Waschmaschine und bekommt anschließend eine neue Imprägnierung auf die emeritierte Haut. Doch danach ist er wieder ganz der Alte, so wie damals in Schweden, auf dem Fuluälven. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr liegt er nicht mehr nur zusammengefaltet bei meiner „restlichen“ OutdoorAusrüstung. Er hat sich einen Ehrenplatz an der Flurgarderobe verdient. Der Hut für jeden Tag und jedes Wetter. Ja, es gibt sie noch, die wirklich guten Dinge.
PRODUKTINFORMATION/ OUTDOOR RESEARCH SEATTLE SOMBRERO Der Hut aus dreilagigem Gore-Tex-Material schützt vor Sonnenschein und Regenschauern. Mit ein paar Handgriffen lässt sich die mit Schaum verstärkte Krempe an die Witterung anpassen. Hochgeklappt und an der Seite festgeklippt ist der Hut ein praktischer Sonnenschutz. Bei Regen leitet die heruntergeklappte, breite Krempe das Wasser wie eine Rinne weg vom Jackenkragen und hält Gesicht- und Halsbereich trocken. Ein funktionelles Innenfutter unterstützt den Wasserdampfdurchlass, sodass unter der Haube ein angenehmes Klima herrscht. Über ein Innenband lässt sich die Passform genau auf den Träger einstellen, damit der Hut auch bei Wind fest am Kopf sitzt. Denn Sonne und Regen, die wechseln sich ab … Preis: 54,95 Euro
Andreas Hille
im Pir 2000, en. i Bulgar
irge in in- Geb
2014, mit dem Se ekajak rund um Rügen.
er am 1997 mit Tochtacasee Titic