Rauszeit 2016/01 – CAMP 4

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RAUSZEIT

RAUSZEIT WEGE.

ABENTEUER.

Preis: 3,00 €

FOTO Moritz Becher

FOTO ORTLIEB

FOTO Barbara Meixner

FOTO Ian McAllister / pacificwild.org

MENSCHEN.

Ausgabe Sommer 2016

ERLEBT

BESSERWISSER NACHGEFRAGT

Wildes Deutschland – Pfälzerwald Hochzeitsreise im Sattel – Island Vier deutsche Gondolieri – Venedig

Tipps für Tourenradfahrer – warum Radreisen so herrlich entschleunigen und worauf man dabei achten sollte.

Mehr auf S. 8

Mehr auf S. 18

Seine Karten kennen viele, ihn selbst nur die wenigsten: Erhard Jübermanns im wahrsten Sinne bewegtes Leben. Mehr auf S. 22


MEGA-MATTE

FOTO Holger Salach / EXPED

Der Körper braucht sein nächtliches Regenerationsprogramm. Egal, ob im eigenen Bett zu Hause, im Bulli in Nordschweden oder am Campingplatz in Südfrankreich. Zwar zählt die MegaMat LXW von Exped mit ihren gut 2,5 Kilogramm nicht unbedingt zu den Fliegengewichten im Matten-Bereich – jedoch kommt auf der 10 (!) Zentimeter dicken Konstruktion jeder zur erholsamen Nachtruhe. Mit einer durchgängigen Breite von 77 Zentimetern und einer 3D-Konstruktion wie die einer heimischen Matratze steckt das »mega« nicht nur im Namen, sondern im voluminösen Gesamtwerk. Weich gebettet fühlt man sich durch die griffige Oberseite aus Stretch-Stoff, welche gleichzeitig Schlafsack samt »Inhalt« vom Rutschen abhält. Bei dem Umfang kommt die im Preis enthaltene Minipumpe gerade recht: In wenigen Minuten steht das luxuriöse Campingbett, ganz ohne Schnappatmung. Praktisch – und auch sehr romantisch – ist das mitgelieferte Coupler-Kit: Über eine einfache Bänderkonstruktion lassen sich die Matten miteinander verbinden. Auch Amundsen hätte bei seinen Pol-Expeditionen diese MegaMat sicherlich gerne gehabt: Der Wärmedurchgangswiderstand (R-Wert) liegt bei sagenhaften 9,5 – laut Exped soll man so selbst bei -48 Grad Celsius ohne Frostbeulen durchschlafen können. Na dann: gute Nacht! Exped MegaMat 10 LXW Preis: 214,95 Euro

STANDPUNKT Risiken und Nebenwirkungen »Wachet auf! Da nun die Welt erobert ist, gilt es jetzt, die Welt zu erhalten.« Mit diesem Aufruf wollte der Schweizer Publizist und Naturwissenschaftler Paul Sarasin im Jahr 1910 auf dem Internationalen Zoologenkongress in Graz den »Weltnaturschutz« auf breiter Ebene anstoßen. Und auch wenn wirtschaftliche Interessen und Weltkriege seine Bemühungen immer wieder lähmten, war er maßgeblich daran beteiligt, den Umweltschutz gesellschaftlich zu etablieren. Umweltbewusst und »nachhaltig« zu leben ist – zumindest in unseren Breitengraden – im Trend. Die Natur zu schützen und uns gleichzeitig in ihr zu erholen, war nie populärer als heute. Circa 40 Millionen aktive Wanderer leben gemäß einer Untersuchung des Deutschen Wanderverbands in Deutschland. Sie geben 11 Milliarden Euro jährlich für ihr Hobby aus, 3,7 davon für Ausrüstung. Und diese Zahlen beziehen sich nur auf eine Outdoor-Aktivität ... Viele Menschen profitieren von der Naturlust und der Leidenschaft dieser Menschen. Es ist unsere Lebensgrundlage und die vieler Tausender Beschäftigter in dieser Branche. Aber wir teilen eine gemeinsame Basis: die Liebe und Leidenschaft zur Natur. Zu einer intakten Natur. Deshalb muss mit dieser Passion auch immer der Schutz selbiger einhergehen. Wann immer Naturschutz und wirtschaftliche Interessen miteinander kollidieren, zieht Mutter Erde meist den Kürzeren. Wie z. B. der Wolf auf unserer Titelseite. Er ist einer der letzten Küstenwölfe Westkanadas – sein Zuhause, der sagenhafte Great Bear Rainforest, fällt nach und nach der Holzindustrie zum Opfer. Doch mittlerweile ist auch das Geschäft mit der intakten Natur selbst zu einem potenziellen Risiko für sie geworden. Wir lieben es, in der (vermeintlich) unberührten Natur zu sein. Wollen gerne, wie einst Henry David Thoreau, in »Walden« die Natur entdecken. Wollen all das ausleben, was wir in unserem vorgegebenen und von Gesetzen und Geboten dominierten Alltag nicht machen können oder dürfen. Für diesen Frischluft- und Abenteuerfaktor springen wir ins Auto und steigen in die Lüfte, jedes Wochenende, jeden Urlaub. Wir lieben es, Lagerfeuer zu machen, abseits »ausgetretener Pfade« die Natur auf eigene Faust zu entdecken – und ärgern uns, dass wir nach deutschem Recht nicht überall dort unser Zelt aufschlagen dürfen, wo es doch besonders schön ist (es gibt jedoch Ausnahmen, siehe unsere Pfälzerwald-Reportage auf S. 8). Doch ist das nicht einfach der Beitrag, den wir leisten müssen, damit die Natur selbst in stark bevölkerten Ländern wie Deutschland erhalten bleiben kann? Oder ist unser Naturdurst schon zu stark geworden? Manchmal stellen wir uns nachdenklich die Frage, wie viel Mensch die Natur eigentlich verträgt? Auch unabhängig von Diskussionen über Emissionen und die Ausbeutung von Rohstoffen, nein, beim reinen Genuss der »Wildnis«. Wir denken, das Recht auf eine intakte Natur sollte jeder Mensch haben und ausüben dürfen. Doch es liegt in unserer Hand, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie nachhaltig und naturverträglich der eigene Naturdrang ist. In diesem Sinne wünschen wir unseren Lesern eine tolle ZEIT da dRAUSsen – gemeinsam in und mit Mutter Natur. Ihr Andreas Hille, Michael Bode und die RAUSZEIT-Teams

ANTI-MOGELPACKUNG Je höher die Literzahl, desto mehr Ausrüstung passt in einen Rucksack – oder nicht? Der Shield 25 des irischen Rucksackspezialisten Bach zeigt, dass es auch anders geht. Zwar bietet der schlanke Tagesrucksack offiziell »nur« 25 Liter. Jedoch ist das Innenleben ziemlich schlau strukturiert und bietet unterschiedliche Packmöglichkeiten. Ein mit diagonalem Reißverschluss versehener Trennboden zieht sich von der Rückenplatte schräg nach oben zur Vorderseite. Damit rutschen schwere Ausrüstungsgegenstände automatisch in die Mitte und nahe zum Rücken – wo sie eigentlich auch hingehören. Das Resultat: verbesserte, ergonomische Lastenverteilung und ein gutes Tragegefühl. Wer noch mehr Platz benötigt, kann den Trennboden herauslösen und alles in ein einzelnes, großzügiges Hauptfach verwandeln. Einfachen Zugriff auf die »Fracht« gibt es durch zwei Öffnungen – oben am Deckel und an der unteren Frontseite. Dezent als auch praktisch sind die Befestigungsmöglichkeiten für Pickel und Stöcke an der Vorderseite. Und falls Regenwolken aufziehen, ist eine integrierte Schutzhülle zur Stelle. Bach Shield 25 Preis: 139,95 Euro

Foto Titelseite Auge in Auge mit einem der letzten ­Küstenwölfe Westkanadas. Seine Heimat, der Great Bear Rainforest, ist massiv durch die Holzindustrie bedroht. Fotografiert von Ian McAllister / pacificwild.org

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FOTO Jon Dykes / Hilleberg

FOTO Matt Watson / Osprey

RAUSZEIT Sommer 2016

DACH MIT TERRASSE Es gibt Menschen, die behaupten, nur Freiluft-Nächte sind wahre Outdoor-Nächte. Eine Extraportion Natur und Freiheit, die gibt es unter dem Tarp 5 von Hilleberg. Gemacht für Wildnis-Puristen, die die Eindrücke der Umgebung direkt – ohne Zeltwand-Filter – aufsaugen möchten. Mit ein paar Handgriffen und Trekking-Stöcken, Paddel oder stabilen Ästen wird aus der vermeintlich einfachen Plane ein stabiler Schutz vor Wind und Wetter. Über zwei vormontierte, zwei Millimeter dicke Abspannleinen mit justierbaren Leinenspannern lässt sich das Tarp 5 in der Landschaft aufziehen. Kommt der Regen von allen Seiten: einfach als Giebeldach dicht am Boden fixieren. Das wasserdichte Material Kerlon 1000 ist ein sehr gelungener Kompromiss aus Leichtgewicht und Robustheit: Beidseitig dreifach silikonbeschichtet ist das Ripstop-Nylon-Gewebe sehr UV-resistent und mit einer Weiterreißfestigkeit von mindestens 8 Kilogramm (20 Denier) circa sieben Mal stärker als herkömmliche Zeltstoffe. Das kleinste Tarp-Modell der schwedischen Zeltexperten ist mit 3,15 auf 2,15 Meter auch als Ergänzung zu »normalen« Zelten geeignet: als Schutz über dem Eingang, separates Dach für die Küche oder Treffpunkt für redselige Camp-Kollegen. Ein Tarp – 320 Gramm Vielfalt! Hilleberg Tarp 5 Preis: 179,95 Euro

BASISLAGER Kaiserstraße 231 76133 Karlsruhe www.basislager.de

ORGANISATIONSTALENT Das moderne Leben erfordert Flexibilität. Will heißen – wir sind stets unterwegs und in Bewegung. Der Quasar Tagesrucksack von Osprey bringt Struktur in unser mobiles Leben »auf der Straße« und bietet mit 28 Litern Stauraum stabilen Platz für unverzichtbare Alltagswerkzeuge. Neben dem Steckfach für Dokumente (DIN A4) und einem geräumigen Reißverschlussfach mit kleinen Unterfächern ist der Innenaufbau voll »digital-tauglich«: In je einem gepolsterten Laptop- und Tablet-PC-Fach lassen sich elektronische Geräte mit bis zu 15,4 Zoll Größe sicher verstauen und zur Arbeit, zur Uni oder zum Wochenendausflug transportieren. Sonnenbrille und Smartphone können kratzgeschützt in einem speziell samtig verkleideten Reißverschlussfach deponiert werden. Damit Rucksack und Träger auch zu später Stunde sichtbar durch die Stadt kommen, ist der Quasar mit verkehrstauglichen Details wie einer LED-Blinklichthalterung und reflektierenden Grafiken ausgestattet. Als Äquivalent für die Damenwelt gibt es den Questa. Einziger Unterschied zum Herrenmodell: speziell auf die weibliche Anatomie angepasste Schulter- und Hüftgurte sowie Rückensystem. Voll gerüstet für die Alltags-Expedition! Osprey Questa 27 (Damen) & Quasar 28 (Herren) Preis: 69,95 Euro

KOCHHARMONIKA

STIL-LEBEN

Liebe kochfaule Trekker! Es tut uns leid, aber nun zählt die »Kein Platz«-Ausrede nicht mehr. Denn der faltbare 2,8 Liter fassende X-Pot Kochtopf von Sea to Summit ist zusammengeklappt kaum größer als eine Frisbee. Er lässt sich auf eine Packhöhe von 4,5 Zentimetern schrumpfen und bringt nur 325 Gramm auf die Waage. Wie das funktioniert? Die Wände aus lebensmittelechtem, hitzeresistentem Silikon lassen sich bei Bedarf wie ein Akkordeon einfalten und so besonders platzsparend verstauen. Auf Kosten der Topfleistung geht das auch nicht: Der Boden aus hart-anodisiertem Aluminium bringt das Wasser schnell zum Kochen und über das im Deckel integrierte Sieb lässt sich Wasser unkompliziert – und ohne zusätzliches Werkzeug – abgießen, damit die wohlverdiente Pasta auch im Magen landet und nicht im Dreck. Der praktische Reise-Topf für die »Küche to go« ist mit weiterem Kochgeschirr aus der Sea to Summit X-Serie kompatibel und lässt sich in andere Pfannen und Töpfe integrieren. Guten Outdoor-Appetit! Seat to Summit X Pot 2,8 Liter Preis: 49,95 Euro

Wenn morgens dicke Regentropfen gegen die Scheibe peitschen, dann ist der Platz unter der Bettdecke noch attraktiver als sonst. Doch leider sind Arbeitgeber in dieser Hinsicht nicht besonders verständnisvoll – also, hilft ja nichts, raus aus dem Bett und rein in den Venli Coat vom norwegischen Wildnis-Ausrüster Bergans. Zwar wird das Wetter mit dem Mantel nicht besser, doch das Büro trocken und geschützt erreicht. Denn in seinem Lifestyle-Sortiment verbindet Bergans die Funktionalität technischer Outdoor-Textilien mit dem Stil dezenter Alltags- und Bürokleidung. Das heißt: Der nur 480 Gramm schwere Mantel ist dank Zwei-Lagen-Konstruktion wasserwie winddicht und lässt die alltägliche Schwitzfeuchtigkeit trotzdem entweichen. Mit seinem schlichten, knielangen Schnitt passt der Venli Coat perfekt zur Lieblingsjeans, zum schicken Hosenanzug oder zum luftigen Ausgeh-Outfit – ohne dabei nach Bergtour oder Expedition auszusehen. Handy und Hände passen in die zwei seitlichen Reißverschlusstaschen. Ein zusätzliches Sahnehäubchen: Das weiche Netzstoff-Innenfutter trägt sich wirklich kuschlig auf der Haut. Ein guter Grund, die Bettdecke doch aufzuschlagen ... Bergans Venli Lady Coat Preis: 239,95 Euro

CAMP4 Karl-Marx-Allee 32 10178 Berlin www.camp4.de

KLETTERKOGEL Garde-du-Corps-Str. 1 34117 Kassel www.kletterkogel.de

SACK & PACK Brunnenstraße 6-8 40223 Düsseldorf www.sackpack.de

SFU Neue Straße 20 38100 Braunschweig www.sfu.de

SFU Schmiedestraße 24 30159 Hannover www.sfu.de

Allgemeine Anfragen und Anregungen bitte an redaktion@rauszeit.net . IMPRESSUM Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt: Michael Bode, Andreas Hille Redaktion & Produktion: outkomm GmbH, Eichbergerstrasse 60, CH - 9452 Hinterforst, www.outkomm.ch, redaktion@rauszeit.net Druck: Bechtle Druck & Service GmbH Copyright: Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung der Herausgeber und der Redaktion unzulässig und strafbar.

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RAUSZEIT Sommer 2016

STÜRMISCHE ZEITEN

25 JAHRE Vor 25 Jahren. Es ist kurz nach der Wende, als Anke und Andreas sich das erste Mal begegnen – als potenzielle Konkurrenten. Und dabei feststellen, dass es da eine Verbindung gibt, die über das Geschäftliche hinausgeht: die gemeinsame Leidenschaft für den Klettersport, steile Wände und hohe Berge. Nach dem Mauerfall reift unabhängig in zwei Köpfen eine Idee heran. Ost-Berlin braucht einen Bergsport- und Kletterladen, geführt von Menschen, die sich mit der Materie auskennen. 1991 wird aus der Idee Wirklichkeit: Wir eröffnen den ersten Ausrüstungsladen in Berlin-Ost. Doch wie nennen wir das »Kind«? Es soll ein Name sein, von dem sich Sportkletterer und Alpinisten gleichermaßen angesprochen fühlen. Anke, Ostberliner Kletterfrau, zieht es damals ins kalifornische Yosemite-Valley. Wie heißt noch einmal der Zeltplatz am Fuße des El Capitan? Andreas, Ostberliner Klettermann, liebt die eisigen Höhen – und wie heißt das letzte Hochlager am Südsattel des Mount Everest? CAMP4 – ein Name, der unsere beiden Sehnsuchtsorte perfekt bündelt! 25 Jahre später. Auch heute ist die gelebte Leidenschaft für Berge, steile Wände, Natur und ferne Länder noch immer Grundpfeiler für die Philosophie im CAMP4. Das heißt: »Nein« zu extremen Wachstumswünschen. »Ja« zu aktivem Unterwegssein, um so den Kunden aus eigener Erfahrung glaubwürdig beraten zu können. 25 Jahre CAMP4! Dafür möchten wir dir, lieber Kunde, danken. Dass wir dir als Ratgeber bei der Ausrüstungswahl zur Seite stehen dürfen. Dass du unsere Art der Beratung zu schätzen weißt. Und dass wir seit 25 Jahren ein Teil deiner Abenteuer sein dürfen! Danke für ein Vierteljahrhundert CAMP4! Wir freuen uns auf die nächsten gemeinsamen 25 Jahre Berg- und Outdoor-Leidenschaft mitten in Berlin.

FOTO Matthias Lübbert

Eure Anke Kunst und Andreas Hille

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In diesem Frühjahr bringt die nepalesische Outdoor-Marke Sherpa Adventure Gear ein komplett neues Material auf den Markt. 3D Dry heißt das winddichte, stark wasserabweisende sowie sehr wasserdampfdurchlässige Polyester-Material mit 3D-Struktur. In der neuen Tufan Jacket erlebt es seinen ersten Einsatz. Wie funktioniert das Ganze: Am Innenmaterial bildet sich durch integrierte, dreidimensionale Dreiecke eine Zwischenlage für zusätzliche Luftzirkulation. Für den Träger bedeutet dies, dass er bei schweißtreibenden Aktivitäten eine Kühlung durch einen regulierten Luftzug erfährt. Die von den unteren Kleidungsschichten abgegebene Feuchtigkeit kann besser von der zirkulierenden Luft aufgenommen werden und so schneller nach außen entweichen. Funktional ist auch die Ausstattung: Die Ärmelbündchen lassen sich mit einem Klettverschluss anpassen, ein Gummizug schließt den Jackensaum bei Bedarf an der Hüfte. Die angeschnittene Kapuze ist individuell anpassbar, Griffbereites findet in zwei Seiten- und einer Brusttasche Platz. Übrigens: Tufan bedeutet auf Hindi »Sturm« – und mit dem wird diese stabile Wetterschutzjacke locker fertig. Sherpa Adventure Gear Tufan Jacket Preis: 149, 95 Euro

FLEXIBEL BLEIBEN Im Idealfall merkt man eine Wetterschutz-Jacke kaum. Sie sollte leicht sein, gut geschnitten, den Regen draußen- und den eigenen Wasserdampf rauslassen – und jede Bewegung mitmachen. Die Stretch Ozonic Jacket von Mountain Hardwear kommt diesem Wunsch ziemlich nahe. Ihr Erfolgsrezept liegt in dem 2,5-Lagen-Material, welches neben Wasser- und Winddichtigkeit einen traumhaften Vier-Wege-Stretch aufweist. Eben genau das, was die meisten Hardshell-Jacken vermissen lassen. Ob Trekking, Tourenrad oder Trailrunning – in Kombination mit einer bewegungsfreundlichen Passform macht diese Schutzhaut ziemlich viele Abenteuer mit. Damit von außen wirklich keine Feuchtigkeit eindringt, hat Mountain Hardwear sämtliche Nähte getaped und spezielle VislonReißverschlüsse eingesetzt. Und das bei einem wirklich geringen Gewicht von nur 276 Gramm. Überflüssige Details wird man an der Stretch Ozonic lange suchen, dennoch hat sie eigentlich alles, was eine Allround-Outdoor-Jacke braucht: zwei Seiten- und eine Brusttasche, verstellbare Ärmelbündchen, Belüftungsreißverschlüsse unter den Achseln und eine zweifach einstellbare Kapuze. Kurzum: leicht, fein und seeehr flexibel. Mountain Hardwear Stretch Ozonic Jacket Preis: 199,95 Euro

UNTERNEHMUNGS-BERATER: Ludger Offerhaus

Seit wann bei CAMP4 in Berlin? Ende 2007.

Wandern oder Radfahren? Würde er vor die Wahl gestellt, fiele Ludger Offerhaus die Wahl schwer. Bei seiner Tour durch Europa kam er mit dem Rad auf jeden Fall schneller voran: 1500 Kilometer hat er zurückgelegt, alleine. Das ist schon eher die Ausnahme, denn am liebsten ist er mit seinem Bruder oder der ganzen Familie unterwegs. Dabei ergeben sich auch mal völlig neue Herausforderungen: mit vier Leuten, drei Rädern und Anhänger per Bahn ins Altmühltal zu reisen, zum Beispiel – fünf Mal umsteigen inklusive. Organisation ist alles. Bei Fragen zur richtigen Ausrüstung, den nötigen Reisevorbereitungen oder dem besten Fortbewegungsmittel ist man bei Ludger daher immer an der richtigen Adresse. Was sollten Eltern beachten, wenn sie mit kleinen Kindern zelten gehen? Oder wie kommt man im Frühling mit dem Rad über die Alpen? »Ich teile die Vorfreude der Kunden«, sagt er. »Da helfe ich gerne bei der Planung«.

Gelernter Beruf? Ich bin Diplom-Geologe, habe eine Zusatzausbildung als Gestaltberater und einen Abschluss als Einzelhandelskaufmann. Dein Lieblingsverkaufsbereich und warum? Rucksäcke. Es gefällt mir, zusammen mit dem Kunden nach dem passenden Rucksack zu suchen. Wohin soll’s gehen? Was muss mit? Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdest du auf Tour nie verzichten? Mein Taschenmesser oder das Leatherman. Aber der »kleine Luxus« bringt oft noch mehr Freude: ein kleiner Schneebesen zum Beispiel, oder ein Zeltteppich. Welches Reiseziel steht ganz oben auf deiner Liste? Skandinavien – zu jeder Jahreszeit.


FOTO RomainQuéré / Fotolia

RAUSZEIT Sommer 2016

ÜBRIGENS … KLEINE UND GROSSE STICHELEIEN Schlanke Figur, lange Beine, Wespentaille – das längste Insekt der Erde hat Modelmaße. Auf sagenhafte 35,7 Zentimeter bringt es die Phobaeticus Chani, eine auf Borneo heimische Gespenstschrecke. Mit Beinen sind es sogar 56,7 Zentimeter. Erschreckend groß, doch beruhigend ungefährlich. Denn für den menschlichen Körper interessiert sich das Rieseninsekt nicht im Geringsten. Anders sieht es bei einigen ihrer kleinformatigen Verwandten aus. Laut Wissenschaft beleben zehn Trillionen Insekten – also 10.000.000.000.000.000.000 Stück – unsere Atmosphäre. Umgerechnet hieße das: Auf jeden einzelnen Menschen kommen neun Milliarden. Gefühlte acht Milliarden Insekten machen sich genau dann über uns her, wenn tropische oder sommerliche Temperaturen zum Draußensein einladen. Doch der Besuch mancher Insektenart ist mehr als nur unangenehm und juckend. Denn Mücken, Moskitos oder Zecken können gefährliche Krankheiten wie Denguefieber, Malaria oder Borreliose übertragen. Neben angepasster Kleidung und synthetischen Abwehrmitteln in Spray- und Cremeform lässt sich das Zusammentreffen mit gefährlichen Insekten auch durch vernünftiges Verhalten reduzieren. Süßes Blut, das bei manchen Menschen angeblich durch

die Adern fließt, spielt dabei keine Rolle. Die Fühler von Mücken reagieren zwar auf den Körperduft ihres Opfers – attraktiv wird dieser jedoch durch eine Mischung aus Fettsäuren und Ammoniak. Anders gesagt: Schweiß. Regelmäßiges Duschen hält die Plagegeister also zumindest ein bisschen vom Leib. Neben Schweißgeruch finden viele Insekten auch dunkle Kleidung besonders anziehend. Tropenforscher tragen bei der Suche nach dem letzten Dschungeleinhorn nicht umsonst beige oder helle Outfits. Wer auf Trekkingtour keine Duschmöglichkeiten hat oder länger die gleiche Kleidung trägt, der sollte sich – neben dem Einsatz von textilen oder synthetischen Mitteln – in seinem Tagesablauf möglichst nach der »Stechuhr« der Angreifer richten. Richtig aktiv ist der Rüssel nämlich meist zwischen Dämmerung und Mitternacht. Deshalb: früh aufbrechen und das Zelt dort aufstellen, wo die zierlichen Geschöpfe aufgrund von starken Winden oder Luftzügen keine Chance auf Annäherung haben. Eine der gefährlichsten Mückenarten ist übrigens die in den Tropen heimische Asiatische Tigermücke. Sie ist eine der Hauptüberträgerinnen des gefährlichen Dengue-Virus. Mit einer Größe von knapp 10 Millimetern ist sie leicht zu übersehen. Keine langen Beine also – aber eine gefährlich lange Nachwirkung.

TEXTILE SELBSTVERTEIDIGUNG

MAGISCHER UMHANG

Der britische Hersteller Craghoppers entwickelt funktionelle Kleidung für Reisende. Mit der Wanderhose NosiLife beweist er nun schon seit einigen Jahren, dass permanenter Insektenschutz auch direkt aus der Kleidung heraus wirken kann. Durch den in die Faser eingearbeiteten Wirkstoff Permethrin werden Insektenstiche um bis zu 90 Prozent reduziert. Denn schon vor der Landung drehen Mücken ab und lassen Zecken ihre Beißwerkzeuge eingefahren, um die für sie gefährliche Geruchsquelle zu meiden. Für den Menschen sind die eingesetzten aktiven Bestandteile jedoch ungiftig: Permethrin zerfällt rasch, wenn es direkt auf die Haut gesprüht wird, bleibt aber dauerhaft wirksam beim Aufbringen auf Gewebefasern. Selbst nach unzähligen Waschgängen oder schweißtreibenden Wanderungen. Die athletisch geschnittene Hose ist zudem mit einem integrierten Sonnenschutz von UPF 40+ ausgestattet und liefert einen sehr guten Wasserdampfdurchlass. Perfektes Beinkleid für Dschungelwanderungen oder skandinavische Sommerabende. Craghoppers NosiLife Trousers Preis: 79,95 Euro

Auf Reisen ist meist nicht die nachbarliche Stereoanlage schuld daran, dass wir nicht einschlafen können. Es ist dieses »Sssssss«-Geräusch, das sich langsam unserer Schlafstätte nähert und juckendes Unheil prophezeit. Die Travel Blanket von Cocoon stellt sich dem Geräusch samt Verursacher effektiv entgegen. Denn in der 180 auf 140 Zentimeter großen Decke ist das insektenabwehrende »Insect Shield« auf Permethrin-Basis integriert. Der Stoff ist die synthetisch hergestellte Version eines natürlichen Abwehrmittels, das in Chrysanthemen-Pflanzen vorkommt. Das Ergebnis: effektiver und geruchloser Schutz. Statt Abwehrmittel auf der Haut, lieber Decke über den Körper und die Mücken bleiben fern. Versprochen! Das Ganze hält für bis zu 70 Waschgänge – also mindestens so lange wie die Decke selbst. Cocoon Travel Blanket Insect Shield Preis: 39,95 Euro

DICHTE SACHE Egal, ob Tropen oder schwüler Sommerabend an der Mecklenburgischen Seenplatte – schwirrende Belästigung gibt es überall. Was tun? Eine effektive und natürliche Insektenabwehr bietet das Reisehemd Eanes des portugiesischen Herstellers Viavesto. In einem speziellen Webverfahren entsteht ein extrem dichter Stoff aus 74 Prozent Polyamid und 26 Prozent Baumwolle. Da heißt es für Mücken und Zecken: Wir müssen leider draußen bleiben. Selbst der nur ein Zehntel-Millimeter dicke Saugrüssel einer Mücke hat kein Durchkommen. Doch nicht nur Insekten haben keinen Zugang – auch UV-Strahlen bis Lichtschutzfaktor 50+ werden von der Haut ferngehalten. Um eine Überhitzung des Körpers zu verhindern, ist die Stoffinnenseite mit Belüftungsöffnungen und einem Mesh-Futter versehen, das die Luftzirkulation am Körper fördert. Viavesto Eanes Preis: 99,95 Euro

UNSICHTBARER SCHUTZSCHILD Die Übertragung von Malaria findet vor allem in den Tropen und Subtropen durch weibliche Stechmücken statt. Vorsicht also bei Reisen in diese Gebiete – selbst mit langärmliger Kleidung. Denn etwa 40 Prozent der Mückenstiche erfolgen durch die Kleidung. Eine Möglichkeit zur Vorbeugung von Stichen ist eine Barriere in Form von speziell imprägnierten Textilien. Insektenspezialist Nobite hat einen Wirkstoff entwickelt, der nach dem Auftragen auf den Stoff die unliebsamen Quälgeister maximal 50 Zentimeter nah herankommen lässt. Einmal per Spray aufgetragen, wirkt der Schutz bis zu vier Wochen. Nach einem Waschgang muss die Imprägnierung jedoch erneuert werden. Tipp vom Tropen-Experten: Ein imprägnierter Hut mit breiter Krempe in Verbindung mit einem imprägnierten Hemd ersetzt das Einschmieren von Gesicht und Ohren. Nobite Kleidung (100 ml) Preis: 12,95 Euro

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Nublet, Mount Assiniboine Provincial Park, British Columbia, Kanada. FOTO Paul Zizka

Apple Tree Bay, Abel Tasman Nationalpark. S端dinsel, Neuseeland. FOTO Bernard van Dierendonck


RAUSBLICK

Adam Ondra in der Route Údolní VIIIb (on-sight), Teplické skály, Tower Hláska, Tschechische Republik. FOTO Claudia Ziegler

NORWEGISCHES SPRICHWORT

Reinefjorden, Lofoten, Norwegen. FOTO Tomasz Furmanek

»NUR WER UMHERSCHWEIFT, FINDET NEUE WEGE.«


RAUSZEIT Sommer 2016

ERLEBT: Mit Rucksack und Zelt durch den Pfälzerwald

ABENTEUER FÜR ANFÄNGER Dunkle Wälder und faszinierende Sandsteingebilde – im Naturpark Pfälzerwald können Wanderer auf 1000 Kilometern markierter Wege ein Stück wildes Deutschland entdecken. Und sich im Meer aus Bäumen und Burgruinen verlieren. Mit Zelt, Landkarte und Forscherdrang entdecken vier Großstädterinnen die verborgenen Ecken des mystischen Mittelgebirges.

Meist beginnt es mit einem Rascheln. Dann folgen Zischlaute. Ehe man sichs versieht, schießt ein aufgerissener Schnabel vorbei. Nur im Pfälzerwald gibt es diese Wesen: halb Tier, halb Elfe. Quatschend bahnt sich der ältere Herr seinen Weg durch die am Boden liegenden Rucksäcke. »Seien Sie also nicht überrascht, wenn Ihnen heute Nacht vor dem Zelt ein hungriger Elwetritsch begegnet!« Mit einem übertriebenen Zwinkern beendet er seine Einführung in die wilde Pfalz und lässt uns mit verwunderten Blicken am Wanderparkplatz am nördlichen Rande der Ortschaft Leinsweiler zurück. Wie lauten die Selbstverteidigungsregeln bei Fabeltieren? Mit wenig Ahnung, was uns in dieser Gegend im Westen der Republik erwartet, brechen wir auf. Vier weit gereiste Frauen aus dem Großstadt-Dschungel, die sich vorgenommen haben, die heimatliche Natur besser kennenzulernen. Zugegeben: Bis vor

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ein paar Wochen glitten die Finger bei »Pfälzerwald« noch orientierungslos über die Deutschlandkarte. Doch für eine spätsommerliche Trekkingtour scheint es der geeignete Ort zu sein: Seit 2009 können sich Wanderer innerhalb der Naturpark-Grenzen an zehn offiziellen »wilden« Zeltplätzen niederlassen. Bio-Toi lettenhäuschen, Feuerstelle und Wasserquellen inklusive. Wer sich anderswo in in der Republik mit Zelt im Wald am Rande der Legalität bewegt, bekommt hier mit Anmeldung die genauen Platz-Koordinaten. Und die braucht es. Denn die Mittelgebirgslandschaft zwischen Landau, Kaiserslautern und den französischen Vogesen ist das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands mit Hunderten Kilometern verschlungener Wanderpfade. In nebelverhangenen Tälern, verwunschenen Burgruinen und auf bizarren Sandsteinformationen sagen sich Luchs, Dachs und Wildschwein gute Nacht.

KAISERLICHER FERNBLICK Die ersten Kilometer am Ostrand des Gebirges führen durch ein Meer aus Weinstöcken: Dunkelrote Trauben warten auf die Ernte. Der sonnenreiche Sommer hat die Hänge der Rheinebene in eine mediterran anmutende Landschaft verwandelt. Mit großen, entschlossenen Schritten lassen wir die deutsche Toskana hinter uns und betreten schattigen Mischwald. Ein würziger Geruch nach Moos, Pilzen und feuchtem Laub schlägt uns entgegen. Bis auf fast 600 Meter reicht das bewaldete Hochplateau, über das wir uns die nächsten Tage bewegen werden. Nach zweistündigem Anstieg lädt der erste Rastplatz zur Pause ein: Pompös thront die Burg Trifels auf 494 Metern Meereshöhe. Wuchtige Mauern aus Sandstein leuchten rot durch das volle Grün der Baumwipfel. Von hier oben genoss im 12. Jahrhundert Friedrich Barbarossa,


Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, den Blick über sein Herrschaftsgebiet. Herannahende Feinde konnte er von der Burg früh ausmachen. Ebenso den Reifegrad der Reben an der Südlichen Weinstraße. Wichtige Dinge im Leben eines mittelalterlichen Herrschers. »Ach, mit einem Glas Federweißen auf den Kaiser anstoßen?« Fragend blickt Magda in die Runde. Strikt weist die Navigations-Beauftrage Eva darauf hin, dass noch zwei Drittel der Tagesetappe von 17 Kilometern vor uns liegen. Dann mal weiter. Flott trampeln vier Paar Schuhe den steilen Weg Richtung Nordwesten hinunter. Die Wegbeschreibung führt durch die engen Gassen des verschlafenen Annweiler. Seit dem Mittelalter scheint sich hier wenig verändert zu haben: Das dunkle Eichenholz der Fachwerkhäuser strahlt Ruhe und Unvergänglichkeit aus. Nur das Plätschern einer hölzernen Mühle durchschneidet die Stille der Mittagsruhe, die über den Häusern liegt. Prompt endet der Ausflug in die Zivilisation an einem steilen Pfad. Ist das wirklich die richtige Abzweigung? Die Landkarte meint es nicht gut mit uns. Nach einer Stunde Fluchen und Anstieg erreichen wir schwitzend das Licht am Ende des Baumtunnels. Der Wald öffnet sich und gibt den Blick frei auf das kleine Naturwunder » Krappenfels «. Wie ein Steg schiebt sich das Sandsteingebilde über den Abgrund. Vor über 250 Millionen Jahren lagerten urzeitliche Flüsse mit rötlichem Eisenoxid versetzte Sedimente in der Wüstenlandschaft ab und hinterließen die für diese Region typischen Felsformationen. Ein Meer aus Laubbäumen liegt uns still zu Füßen und trägt dazu bei, den schweren Aufstiegsatem zu beruhigen. Nach einer Schoko-Stärkung tauchen wir wieder ein in die Wunderwelt aus Buchen und Eichen. Wie ein kleines Kind springt Julia enthusiastisch von Baumstamm zu Baumstamm und berührt die Rinden. Ob sie die tierischen Bewohner des Waldes vor uns auch so zu schätzen weiß? Die Angstschreie bleiben uns in der Kehle stecken. Eine Rotte von fünf Wildschweinen schießt in hohem Tempo durch das Laub. »Ich hoffe, die kommen nicht auf die Idee, uns heute Nacht im Zelt zu besuchen«, stammelt Eva. Apropos Nacht: Die breitet sich spätestens in zwei Stunden über dem Medium-Gebirge, aus und nach sechsstündigem Auf

Foto: Christoph Michel

Links: Yoga-Terrasse mit Blick auf die Rheinebene – perfekter Start in den Wandertag. Ganz oben: Für Trinkwasser macht Frau sich gern‘ zum Esel. Darunter: Die Namensgeber für den Weinsteig laden zum heimlichen Naschen ein.


Oben: Vierfach motivierter Start in das Heimat-Abenteuer. Unten: Lagerfeuerromantik am Zeltplatz Modenbachtal.

und Ab liegt Erschöpfung in der Luft. Die Koordinaten leiten uns zu einem Steig am Rande des Eußerthals. Nur ein kaum zu erkennendes Schild weist auf den halbgeheimen Trekkingplatz hin. Es folgt ein Anstieg von 200 Höhenmetern über Wurzeln und Steine – und die Erkenntnis, dass die Wegbeschreibung, inklusive der Angaben zur finalen Abzweigung zum Zeltplatz, bei der letzten Rast im Tal liegen geblieben ist. Es muss doch irgendwo hier sein! Wie aufgescheuchte Elwetritsche irren vier Gestalten durch den Wald und folgen jedem Weglein ins Unterholz. Fehlalarm. Kein Zeltplatz! Nun muss eine Lösung her, bevor die Nacht das Tageslicht verschluckt. Wir aktivieren die letzten Kräfte und in nur 15 Minuten stehen zwei Zelte auf einer schmalen Lichtung. Geschafft: Selten löste eine verkochte Portion Gnocchi mit Pesto derartige Jubelrufe aus. Jetzt, am Ende des Tages, bleibt Zeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Nur zwei Kilometer tiefer liegt das Dorf Eußerthal. Doch die dunkle Wand aus Rinden, Blättern und Stämmen trennt uns in diesem Moment von dem Rest der Menschheit. Alleine in der Wildnis. Zufriedene Seufzer, bevor die müden Wanderritter in ihren Schlafsäcken verschwinden: Wildschweine, Luchse und Elwetritsche – bleibt wo ihr seid!

MAGIE DES MORGENS Der nächste Morgen entschädigt für die vorabendliche Kletterpartie und begrüßt seine noch müden Gäste mit einem magischen Sonnenaufgang über der Rheinebene. Die felsige Lagerplatz-Terrasse

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Oben: Toskana-Trekking – italienisches Flair am östlichen Rande des Pfälzerwaldes. Unten: Landkartenstudium im Morgennebel – Grün, so weit das Auge reicht.

verwandelt sich in ein aussichtsreiches Frühstückslokal. Warme Sonnenstrahlen vertreiben die Nebelschwaden aus den Tälern und lassen sie wie Rauchzeichen über den grünen Hügeln verdampfen. Jetzt würde mich aber doch interessieren, wo sich dieser offizielle Lagerplatz befindet. Anspornend werfe ich den Kommentar in die Runde. Bei Tageslicht schwärmen wir aus und siehe da: Nur 500 Meter von unserer Lichtung entfernt stoßen wir auf einen großzügigen Platz mit Klohäuschen und Feuerstelle. Egal, dann klappt es heute Nacht. Die genaue Wegbeschreibung zum zweiten Platz liegt – hoffentlich – sicher verstaut im Deckelfach des Rucksacks. Die heutige Etappe führt größtenteils über den Weinsteig, einen Wanderpfad, der sich über 172 Kilometer an der östlichen Kante des Pfälzerwalds entlangzieht. Das Wort Wein im Titel wirkt anziehend. Und um die Mittagszeit stoßen wir dann auf den Grund für das erhöhte Wanderer-Aufkommen: An der Landauer Hütte findet ein kleines Volksfest statt. Zahlreiche Pfälzer lassen ihren aktiven Tag mit einem Glas Neuen Wein und Zwiebelkuchen ausklingen. Eine kulinarische Verführung, der wir gerade noch entgehen können. Denn wir sind uns bewusst, dass unsere schweren Rucksäcke nicht leichter werden, wenn zusätzlich noch deftige Hausmannskost in den Mägen liegt. Stattdessen erforschen wir die Burg­ ruine Neuscharfeneck, von deren Wachturm sich der westliche Teil des Naturparks überblicken lässt. Wie Schildkrötenpanzer mit unterschiedlichen Grünschattierungen ziehen sich die Hügel über den gesamten Horizont. Eva plappert verträumt: »Da hätte

ich auch gerne gewohnt. So ein Wahnsinnsausblick. Obwohl: Im Mittelalter hatte man keine Duschen oder Heizung. Und nur Essen vom Lagerfeuer.« Naja, eigentlich genau so, wie wir gerade unterwegs sind.

FEURIGER ZIMMERSERVICE Am späten Nachmittag nähern wir uns laut Koordinaten unserem Lagerplatz. Die Beschreibung wandert einer Schatzkarte gleich von Hand zu Hand. »Wir müssen in diese Richtung!« Überzeugt kommentiert Magda den Plan. »Aber kann es nicht sein, dass diese Linie eher den linken Weg meint?« Rätseln. Diskussion. Die Einigung kommt nur aufgrund des akuten vierfachen Hungergefühls zustande. Auf den letzten Metern zeichnet unsere Fantasie schon HotelkatalogBilder: Einsame Aussichtsplattform und Morgen­ sonne zum Frühstück heißt es in der eingebildeten Beschreibung. Als wir nach einer Kurve unser » ­ Hotel« entdecken, sind wir überrascht, nein, sogar ein wenig enttäuscht. Denn auf der Wiese stehen bereits drei Zelte. Inklusive der Bewohner: zwei Familien mit drei Kindern. Müde bauen wir unsere »Hotelzimmer« auf. Die kalten Glieder sind erschöpft. Und jetzt noch ­kochen? Uff! Doch die verwehrte Einsamkeit hat auch ihren Vorteil: »Wollt ihr was von unserem Essen? Wir haben zu viel gekocht.« Eines der Nachbarmädchen navigiert uns selbstbewusst zum Lagerfeuer. Ein breites Grinsen breitet sich über dem sommersprossigen Gesicht aus. Endlich ist hier was los! Knusprige Würstchen machen die Runde und mit lauten Schlürf-Geräuschen


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Unten: Kaiserliche Ausblicke bieten sich von Burg Trifels, 494 Meter über dem Meeresspiegel. wandert heiße Tortellini-Suppe in unsere leeren Mägen. Zumindest Stockbrot können wir zur Lagerfeuerromantik beitragen. In Sekundenschnelle färbt sich der zähe Teig am Astende braun und lässt den Duft von Frischgebackenem um unsere Nasen wehen. Würstchen, Suppe, Brot und zum Abschluss Esskastanien – um 22 Uhr schleichen wir zufrieden und sichtlich satt in Richtung Zeltbett. Doch die Ruhe währt nicht lange: Um zwei Uhr klopft es ans Zelt. Wildschweinbesuch? Nein. Nur Regentropfen, die sich bis zum Morgen zu einem tropischen Schauer fortpflanzen. Eigentlich stehen für heute nur noch drei Stunden Wanderung auf dem Plan. Ein flacher Weg führt aus dem Modenbacher Tal heraus zum Parkplatz, wo eines unserer zwei Autos wartet. Eine ungefährliche Strecke, die auch im Regen zu schaffen wäre. Doch bevor wir uns die Köpfe zerbrechen können, bieten unsere Camp-Nachbarn an, unseren Regenmarsch etwas zu verkürzen. Ihr Wagen steht nur 20 Minuten vom Lagerplatz entfernt. Auch wenn es nicht unbedingt ehrenvoll ist, sind wir uns schnell einig: Wir nehmen das WeicheiAngebot dankend an. In einer Schlammschlacht landen die Zelte in den Packtüten und wir in bunter Regenmontur für den nun deutlich verkürzten Heimweg. Der tropische Monsun hat den Naturpark über Nacht in einen dampfenden Urwald verwandelt: Wie monströse Spinnennetze legen sich Nebel und Regenwolken um das grüne Laub. Vier Augenpaare saugen die letzten Eindrücke auf, bevor die Wildnis wieder dem großstädtischen Alltag weichen muss. Der dreitägige Ausflug vor die deutsche Haustür hat uns beeindruckt, auch ohne ElwetritschSichtung war es ein fabelhaftes Erlebnis. Und welches deutsche Mittelgebirge gehen wir als Nächstes an?

ext: Barbara Meixner T Fotos: Barbara Meixner, Eva Sander

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RAUSZEIT Sommer 2016

ERLEBT: Im Seekajak durch die Welt der Gondolieri

VENEDIG VON DER WASSERKANTE Historische Bauten, faszinierende Wasserstraßen und kulinarische Blüten – in Venedig herrscht das volle Leben. Ihr wahres Ich zeigt die alte Handelsmetropole jedoch nur denen, die sie vom Wasser aus erkunden. Auf einer Paddeltour durch das Kanalsystem entdecken vier deutsche »Gondolieri« die geheimen Ecken der Lagunenstadt.

Unsere voll beladenen Boote liegen vor der Pforte zu einer anderen Welt. Einer Welt, die wir in den nächsten drei Tagen erkunden werden. Das südliche Lagunentor »Porto di Chioggia« ist einer der drei Seeeingänge, die von der Adria in die venezianische Lagune führen. Gespannt und mit bübischer Vorfreude lassen wir das offene Meer hinter uns und bewegen uns paddelnd in Richtung Abenteuer. »Wie wäre eine Seekajaktour, bei der wir Kultur und Natur verbinden?« So lautete vor einigen Monaten der Vorschlag von Kai, dem langjährigen »Chef« unserer Viermann-Seekajak-Truppe. »Ich arbeite da mal was für uns aus ...« Gesagt, getan. Nun liegt das venezianische Wasser glatt wie ein Ententeich vor uns und aus dem nebligen Dunst tauchen immer wieder Muschelfischer-Stelzenhäuser auf. Denn hier, in der Nähe des südlichen Eingangs, werden anscheinend schmackhafte Lagunen-Muscheln gezüchtet, sortiert und verladen. Zur Einstimmung genießen wir abseits des Fahrwassers für große Schiffe das südländische Flair der kleinen Inselsiedlungen. Da es in diesem Teil der Lagune keine Campingplätze gibt, halten wir am späten Nachmittag Ausschau nach einer Zeltmöglichkeit. Eine

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skurrile Vorstellung, im Vorgarten Venedigs sein Zelt aufzuschlagen. Doch nach kurzer Suche finden wir eine überwucherte, unbewohnte Insel mit einem breiten Muschelstrand. Noch ein kritischer Blick auf den Spülsaum am Ufer – denn keiner von uns hat Lust auf eine nasse Überraschung in der Nacht. Auch wenn der Tidenhub hier in der Regel 50 Zentimeter nicht überschreitet. In der Ferne können wir von hier schon die bunte TurmSilhouette des historischen Zentrums erkennen. Nachdem vier »Einzelzimmer mit Venedig-Blick« aufgebaut und abgespannt sind, machen wir uns in der Dämmerung über das wohlverdiente Abendessen her, bevor wir vor Müdigkeit in die Schlafsäcke kriechen.

Prachtvoller Empfang Rooooaaaar – in der frühen Morgendämmerung werden wir von lauten Motorbootgeräuschen geweckt. Eines nimmt Kurs auf unser Inselcamp. Wir vermuten Ärger mit der Polizei, aber weit gefehlt: Die zivile Besatzung kümmert sich nicht um uns, obwohl sie nur zehn Meter entfernt anlegt. Die »Polizisten« sortieren und packen in aller Seelenruhe die nächtliche Muschelernte um.

So ganz legal sieht das nicht aus, denn die offiziellen Fischer haben ja eigentlich ihre Stelzenhäuser. Doch in Bella Italia scheint alles ein wenig anders zu funktionieren. In der warmen, herbstlichen Morgensonne besprechen wir den Fahrplan für heute. Als Erstes wollen wir Venedigs Wohnstadtteil »La Giudecca« passieren, der dem historischen Zentrum südlich vorgelagert ist. Dann soll die Querung des ersten großen Kanals folgen, durch den auch die mächtigen Kreuzfahrtschiffe in den westlich gelegenen Fährhafen gelangen. Als wir dort ankommen, herrscht so dichter Bootsverkehr, dass wir extrem aufpassen müssen – wie Rehe, die eine Autobahn überqueren müssen. Geschafft! Fürs Erste bevorzugen wir ab jetzt die kleinen Wasserwege und arbeiten uns auf diesen in Richtung Norden vor. Das Netzwerk ist beachtlich: Mehr als 175 Kanäle mit einer Länge von 38 Kilometern dienen als Straßen. Einen Teil davon erkunden wir genüsslich Stück für Stück. Die an den Häuserecken angebrachten Spiegel weisen uns auf Gegenverkehr hin. Auch wenn es hier schon mal recht eng werden kann, erleben wir alle Bootsführer auf dem Wasser als sehr rücksichtsvoll. Aber mit unseren Kajaks sind wir auch eine echte Attraktion und werden


Links: Auf dem Canale Grande hat es verkehrsbedingt ordentlich Wellengang. Oben: Keine »Pisa-Studie«, sondern der schiefe Turm von Burano im Abendlicht. Unten: Wildes Kanuten-Camp vor den Toren Venedigs.

mindestens so oft fotografiert wie die edlen Gondeln – nur singen, das wollen wir den Touris nicht antun ... Immer wieder bieten sich Gelegenheiten anzulegen, auszusteigen und die Gassen für uns zu entdecken. Natürlich nutzen wir dies, genießen italienische Küche und la dolce vita direkt am Kanal. Von einem Wirt bekommen wir den »Tipp«, dass mit den Gondolieri nicht zu spaßen ist. Prompt werden wir bestimmt darauf hingewiesen, dass die Anlegetreppen nicht für »selbstpaddelnde Touristen« gedacht sind. Capisce?? Capisce! Schnell heben wir die Boote aus dem Wasser, um Ärger aus dem Weg zu gehen.

Schwimmendes Fenster zum Hof Die Einblicke, die wir aus der Kajakperspektive bekommen, sind sensationell. Wir haben das Gefühl, durch die »Hinterhöfe« zu paddeln, blicken in Wohnzimmer und beobachten, wie die Anwohner auf ihren nur vom Wasser aus sichtbaren Terrassen gemütlich beim Essen zusammensitzen. Ich bin überrascht, wie sauber die Kanäle sind. Zumindest an der Wasseroberfläche ist weitaus weniger Müll zu sehen als in mancher deutschen Großstadt auf den Straßen. Nach einigen Stunden »Kulturprogramm« verlassen wir ganz im Norden das Zentrum und nähern uns den kleinen Schwesterinseln Murano und Burano. Hier ist das Leben deutlich ruhiger, der Bootsverkehr nicht so dicht. Auf Burano gibt es sogar einen Gondelsportclub und am Abend fahren etliche Gondolieri ihre Trainingsrunde mit ihren malerisch verzierten Schiffchen. Alle Achtung: ganz schön fix die Herren. Eine weitläufige Sandinsel dient uns als Nachtlager. Auf unserer Nachbarinsel Madonna del Monte, die nur wenige Meter entfernt liegt, schimmern die Überreste eines alten Benediktinerklosters rötlich

Oben: Nerven bewahren – manchmal wird es eng auf Venedigs Wasserstraßen. Unten: Autoren-Pflichten – Paddler-Tagebuch führen.

im Abendlicht. Nach einem mediterran angehauchten Gaskocher-Dinner lassen wir den Tag am Lagerfeuer ausklingen. In der Dämmerung genieße ich den fantastischen Blick auf die Siedlung Burano: Scheinbar hat nicht nur Pisa einen schiefen Turm ...

Verkehrsstau mit Aussicht Am nächsten Tag »fliegen« wir mit deutlichem Rückenwind und unangenehm bewegter See von Burano zurück zum Zentrum. Vorbei an der Friedhofsinsel San Michele, hinein in die kleinen Stadtkanäle. Skeptisch beäugen uns die Kellner, als wir uns für einen Morgenkaffee an Land begeben. Badehose, UV-Shirt, Schwimmweste und Fivefinger-Schuhe sind offensichtlich nicht das gewohnte Outfit für Venedig-Touristen. Der Höhepunkt ist die Fahrt auf dem Canale Grande, der »Wasserautobahn«, die die Stadt wie ein großes Fragezeichen von Nord nach Süd durchzieht. Insbesondere an der weltbekannten Rialtobrücke sind Verkehr und Wellen so stark, dass ich die Stützhilfe der Kollegen sehr gerne annehme. Im Viererpäckchen ist man selbst zur Hauptverkehrszeit sicher und kann in Ruhe fotografieren. Oben auf der Brücke kämpfen die Fuß-Touristen um die begehrten Aussichtsplätze und die besten »SelfieSpots«. Unten sind wir auf dem großen Kanal auch ohne Drängeln direkt am Leben dran – was für ein Luxus! Neben uns werden gerade Hochzeitsfotos vor historischer Kulisse gemacht: Die Braut droht mehrfach aus der wackeligen Gondel ins Wasser zu fallen, denn der Fotograf animiert sie zu immer waghalsigeren Posen. The show must go on. Bis knapp vor der Mündung in die Lagune folgen wir der Hauptverkehrsader. Dann wird es auch uns zu kritisch und wir biegen kurz vor dem Markusplatz

in Richtung Süden ab. Nun liegt nur noch ruhiges Gewässer vor uns. Entlang der Schifffahrtsstraße Malamocco gleiten wir seidenweich und tiefenentspannt zurück zum Porto di Chioggia. Wohlwissend, dass hier die Wassertiefe teils so niedrig ist, dass wir mit dem Paddel den Grund berühren könnten. Ein Vorteil für Kanuten – Grenzen gibt es kaum, solange eine Handbreit Wasser unterm Kiel ist. Endlich können wir die zahlreichen Eindrücke der letzten Tage verarbeiten. Trotz Erkundung zahlreicher verwinkelter Gassen haben wir das Gefühl, immer noch nicht alles entdeckt zu haben. Die einzige Lösung: Wir kommen wieder – selbstverständlich auf dem Wasserweg. Wichtiger Hinweis: Die Kanu-Befahrungsregeln für Venedig ändern sich laufend. Den aktuellen Stand finden Sie unter diesem QR-Code: Text & Fotos: Ekkehard Brahm

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RAUSZEIT Sommer 2016

ERLEBT: Island mit Rad, Zelt und Kleinkind

FLITTERWOCHEN IM SATTEL Sollen wir? Dürfen wir das? Mit einem einjährigen Kind per Tourenrad durch Island? Die Antwort ist: Wir wollen! Und erleben eine fantastische Reise zu dritt durch eine Landschaft, die geprägt ist von Vulkanen, endlos weiten Blicken und ganz besonderen Menschen.

Steht eigentlich irgendwo geschrieben, dass man, sobald ein Kind das Leben bereichert, fortan nur noch ruhigen Hotelurlaub machen darf? Nein, dachten Felix und ich, als wir unsere Hochzeitsreise planten. Da wir sozusagen »zu dritt« geheiratet haben, sollte natürlich auch unsere Tochter – knapp ein Jahr alt – mit von der Partie sein. Island sollte das Ziel unserer Reise sein. Und das mit Fahrrad und Kinderanhänger. Liest man in Reiseführern und auch einschlägigen Radführern über Island, so lernt man schnell, dass diese Insel doch speziell ist. In vielerlei Hinsicht: raues Klima (15 Grad Durchschnittstemperatur im Juli), raue Landschaft mit Vulkanwüste und dazu noch relativ wenig asphaltierte Straßen – jedenfalls dann, wenn man sich nicht nur auf der Ringstraße, die einmal rund um die Insel führt, bewegen will. Egal, dachten wir, kriegen wir schon hin. Ziel der Unternehmung sollte ja nicht sein, Kilometer zu schrubben, sondern das Genießen und Erkunden. Die eine oder andere gerunzelte Stirn

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– als wir von unserem Vorhaben erzählten – ist uns allerdings doch begegnet. So machten wir uns also an die Vorbereitungen: Reiseführer und Landkarten wurden gekauft, gelesen und gewälzt, Pack- und Einkaufslisten geschrieben und abgearbeitet. Ganz speziell bereitete uns die Versorgung unseres Töchterchens einiges an Kopfzerbrechen. In welcher Frequenz würde es wohl Windeln zu kaufen geben? Und wie stellt man möglichst breiartiges Essen nur mit einem Benzinkocher und ohne Stabmixer her? Und Knäckebrot – unsere auf vielen »Erwachsenentouren« erprobte Notration – so ohne Zähne? Also musste noch ein Gepäckanhänger mit, der ausschließlich mit kindgerechtem Essen und der ersten Ration Windeln bestückt war. Am Tag vor unserer Abreise glich unser Wohnzimmer zu gleichen Teilen einem Outdoor-Laden, einem Fahrrad-Ersatzteilelager sowie einem Supermarkt. Undenkbar, dass all das in Fahrradtaschen passen sollte, geschweige denn, dass die so bepackten Fahrräder und

Anhänger dann nur von Muskelkraft vorwärtsbewegt werden sollten. Tatsächlich konnten wir aber alles verstauen und zu unserer abenteuerlichen Hochzeitsreise aufbrechen. Gute drei Wochen wollten wir auf der Insel verbringen, mit zwei unterschiedlichen Touren: ein Dreitagestrip im Hochland und anschließend entlang der Ost- und Südküste.

Auf ins vulkanische Hochland Und dann geht es tatsächlich los. Über Reykjavik weiter mit dem Flieger nach Akureyri, und von dort mit dem Bus ins Hochland. Bus? Zwei Fahrräder, ein Anhänger, massenweise Gepäck und zweieinhalb Menschen in einem Bus? Ja! Das geht auf Island! Und wenn der Laderaum voll ist, dann wird mal eben noch ein Anhänger organisiert. Wir haben die Isländer als äußerst entspanntes, entgegenkommendes und vor allem kinderfreundliches Volk kennengelernt. Und somit sollte es nie ein Problem werden, mit unserer


Endlich raus! Mit deinem Hilleberg.

enan 1,1kg. Beeindruckend leichtes 3-Saisonzelt für eine Person in unserer yellow label Kategorie.

Links: Endlos scheinen die Straßen im Hochland. Oben: Vorlesen im »Vorgarten«. Unten: Kleine Familie – großes Gepäck. Trotzdem: Jedes Gramm ist es wert!

ganzen Ausrüstung zu reisen. Mit dem Fahrer des Touristenbusses, der uns ins Hochland mitgenommen hat, vereinbaren wir einen Abholpunkt drei Tage später, denn uns ist klar, dass wir nicht die ganze Strecke mit Kinderanhänger wieder zurück in die Zivilisation radeln können. Ziel der ersten Tour ist die Gegend um den Vulkankrater Askja, der sich mit einer Gesamthöhe von 1510 Metern immer noch 800 Meter über die Hochebene erhebt, durch die wir teilweise strampeln. Das isländische Bergland ist wirklich faszinierend: eine Vulkanwüste ohne Baum und Strauch. Einzig winzig kleine Pflänzchen, die sich in der kargen Natur zurechtfinden, tauchen dann und wann auf. Bedrohlich sehen die Vulkane aus und ziehen uns dennoch in ihren Bann. Auf Schotterstraßen mühen wir uns durch diese grandiose Landschaft. Doch was sich nach »Feldweg« anhört, ist eine genauere Beschreibung wert, denn größtenteils sind sie nicht mit unasphaltierten Wegen in Deutschland vergleichbar. Der Belag einer isländischen »Schotterstraße« reicht von tatsächlich kleinkörnigem Schotter, der gut zusammengepresst und dadurch gut fahrbar ist, bis zu kinderfaustgroßen Steinen, die in Form einer Straße durchs Land verlaufen – und mit dem Fahrrad überhaupt nicht zu befahren sind. Die Durchschnittsgeschwindigkeit variiert also »etwas« ... Dennoch erreichen wir unser erstes Etappenziel, die Oase Herdubreidarlindir, ein grüner Fleck inmitten der ganzen Bimssteinwüste – und ein Ruhepol fürs Auge. Denn so faszinierend die Vulkanwüste auch ist, so anstrengend ist es auch, durch diese zu fahren. Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, aber gleichermaßen eintönig, weil das Auge einfach keinen Haltepunkt hat. Die Idee »beim nächsten Baum machen wir Pause« muss man sich schnell aus dem Kopf schlagen, da es nahezu nichts gibt, was als Kurzziel herhalten kann. Abenteuerlich macht eine solche Radreise auch, dass es im Hochland kaum Brücken gibt. Ein Fluss muss also durchfahren bzw. durchschoben werden. Mit einem allradgetriebenen Geländewagen ist das ja kein Problem – mit einem Fahrrad aber durchaus eine Herausforderung ... Doch wir haben zum Glück auch an solche feuchten Abenteuer gedacht. Sogar für das Loch im Boden des Kinderanhängers hatten wir uns schon zu Hause eine Dichtung ausgedacht. Tja, aber bekanntlich lernt man ja

Elias Kunosson/eliaskphoto.com

seit 45 jahren fertigt Hilleberg Zelte in höchster Qualität. Konzipiert und entwickelt in Nordschweden, bieten unsere Zelte die ideale Balance aus niedrigem Gewicht, absoluter Stärke und hohem Komfort. Bestelle unseren Katalog für weitere Informationen!

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RAUSZEIT Sommer 2016

Oben: »Cooler« Zeltplatz – Camping am Gletschersee Jökulsarlon. Unten: Eine von vielen Furten – es leben die wasserdichten Packsäcke!

immer noch was dazu. Hier z. B., dass ein Loch durchaus zwei Funktionen haben kann: Einlass und Abfluss. Nachdem wir zu Hause ersteres Problem durch Versiegelung schick gelöst hatten, war nun aber auch der Abfluss außer Funktion. Die Folge: Das Wasser von oben blieb im Anhänger. Wie gut, dass Kinder wasserdicht sind und der Rest in Ortlieb-Säcken verstaut war ... So einfach wird es an einer anderen Furt leider nicht. Ein ausgewachsener Fluss, kein Flüsschen, das könnte abenteuerlich werden. Denken wohl auch die Autofahrer, die gerade noch an uns vorbeifuhren, – und haben Erbarmen. Hier der Original-Auszug aus unserem Reisetagebuch: »Schon von Weitem sehen wir das Auto der Ranger und einen großen alten Camper, die uns überholt hatten, wieder durch den Fluss zurückkommen. Noch wundern wir uns, aber als wir an der Furt ankommen, wird uns klar, dass sie alle auf uns gewartet haben, um uns trockenen Fußes durch den wilden Fluss zu bringen.« Töchterchen Luca bleibt im Hänger und wird ins Ranger-Auto gesteckt, Felix’ Fahrrad kommt schnell aufs Dach und der Gepäckanhänger landet im Wohnmobil. Zu unserem Glück stoppt auch noch ein Holländer mit seinem »Monstertruck«, den wir schon zuvor kennengelernt hatten, und lädt den restlichen Teil unserer kleinen Karawane auf. Luca und ich dürfen bei den Rangern Platz nehmen, Felix im niederländischen Riesen-Truck. Und ruckzuck sind wir durch den Fluss, aus- und abgeladen und schon wieder fahrbereit. Was für ein herrliches

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Gefühl, wenn man ungefragt so tolle Hilfe von Fremden bekommt! Und zusätzlich hat uns die Aktion locker eine Stunde Zeit gespart – und diverses anderes sicher auch … Felix sagt, er ist ein bisschen in seinem Stolz gekränkt – und zwinkert.

Die Ringstraße ruft Zugegeben, wir waren leicht skeptisch, ob der Busfahrer sein Wort wirklich halten würde. Aber tatsächlich, am Nachmittag des dritten Tages tauchte sein Gefährt in der Vulkanlandschaft auf – und brachte uns wohlbehalten wieder runter zur Küste und an die Ringstraße. Auf der sind wir nun unterwegs, wollen bis fast nach Reykjavik kommen – und erleben zum ersten Mal: Regen. Der ist ja schon generell nicht so beliebt bei Radfahrern, aber bei besagter isländischer »Sommertemperatur« plus Wind macht er sich noch unbeliebter. Wir ändern unseren Plan ein wenig. An einem solchen nasskalten Tag soll das Ziel nicht ein Zeltplatz, sondern eine Jugendherberge werden. Wir kommen an, freuen uns auf die trockene Wärme – und dann: leider ausgebucht! Enttäuschung, die man uns offenbar ansieht. Und so kommen wir in den Genuss unseres »Kleinkind-Bonus«. Der Jugendherbergschef will uns nicht wegschicken und beim Regen auch nicht im Zelt übernachten lassen. Kurzerhand wird – nach Zustimmung aller »Mitbewohner« – der Gemeinschaftsraum

Oben: Kinderbuch-Idylle – auch gut für Erwachsene. Unten: Island macht süchtig – sagen alle, die dort waren.

in ein Familienzimmer umgewandelt. Purer Luxus! Eine Schlafcouch für die Großen, ein Babybett für den Nachwuchs. Alle anderen Gäste nehmen bereitwillig und freundlich in Kauf, dass sie den Abend auf den Stühlen im Speisezimmer verbringen. Wenn das mal nicht echte Gastfreundschaft ist! Weiter geht es pedalierend durch diese atemberaubende Landschaft aus grünbraunen weiten Ebenen, bedrohlicher Bergkulisse im Hintergrund und der schroffen Meeresküste. Die Beschaffenheit der Ringstraße ist – nachdem wir die Pisten im Hochland kennenlernen durften – ein Traum für Radfahrer! Hier sind es dann »nur noch« die Wettergegebenheiten, die uns immer mal wieder zu schaffen machen. Den größten Feind des Tourenradlers, den Gegenwind, haben auch wir ausgiebig kennengelernt. Man glaubt gar nicht, wie langsam man sich vorkämpfen kann. Jeder Versuch, sich selbst irgendwie aufzumuntern, scheitert kläglich. Das Vorbeiziehen von Strommasten beispielsweise wird zur Folter, wenn man sich bei ebener Strecke und tadellosem Asphalt trotzdem nur mit acht Stundenkilometern (!) vorwärtsbewegt und der nächste Mast gar nicht näherzukommen scheint. Doch das Ende der Etappe entschädigt für vieles: Wir zelten wild am Gletschersee Jökulsarlon. Schwimmende, bläulich schimmernde Eisberge in verschiedensten Größen, eine Robbe, die am Abend unverhofft auftaucht, um neugierig seine »Nachbarn« zu inspizieren, und Sonne, die am nächsten Morgen das Gesicht wärmt. Was will man mehr?!


Luca beim Reifen-Check. Nach einer kleinen Stärkung geht‘s los ...

Wellness überall Was will man mehr? Ein Schwimmbad vielleicht? Auch das ist auf Island kein Problem. Aufgrund der natürlichen heißen Quellen gibt es – jedenfalls gefühlt – an jeder zweiten Straßenecke eine kleine Badeanstalt mit herrlich warmem, manchmal ziemlich schwefelig-müffeligem Wasser zu einem Spottpreis. Einmal sogar wirklich mitten im Nichts: Eine Sackgasse führt circa sechs Kilometer weit in die menschenleere, unbebaute Landschaft. Am Ende der Straße liegt ein Schwimmbad, das unglaublicherweise sogar geöffnet hat. Es gehörte einmal zu einem stillgelegten Bergwerk. Uns erscheint es wie ein Traum, der sogar noch getoppt wird, als dann auch noch der vorherige Herzenswunsch (»Jetzt einen Espresso und ein Stück Schokoladenkuchen ...«) tatsächlich an der Kasse zu kaufen ist. So langsam fangen wir an, an Wunder zu glauben. Wehmütig neigt sich unsere Radreise dem Ende zu. Es gäbe noch so viel zu erzählen an Erlebnissen, großen und kleinen Begebenheiten und Anekdoten. In jedem Fall bedarf es aber eines Abschlusswortes: Es war eine wunderbare Reise, gerade weil wir sie mit unserer kleinen Tochter Luca gemacht haben. Sie hat uns gezeigt, dass wir Individualurlaub – auch oder gerade mit Kind – weitermachen können und wollen. Wir haben längst beschlossen, dass wir wiederkommen werden auf die ­große Insel der Vulkane, der weiten Blicke und der unglaublich gastfreundlichen Menschen. Und den Gepäckanhänger brauchen wir beim nächsten Mal auch nicht mehr. Denn Island – so haben wir auch herausgefunden – bietet für eine Fahrradtour mit Kind eine geradezu fantastische Infrastruktur – von Windeln und Babybrei ...

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FOTO Lars Schneider / ORT LIEB

BESSERWISSER: Tipps & Tricks für Tourenradfahrer

MIT RAD UND TAT

Grenzenlose Freiheit, Entschleunigung selbst bei Beschleunigung und ökologisch ­einwandfrei unterwegs – Tourenradfahren hat seinen besonderen Reiz. Egal, ob ­Kirgistan oder Ostseeküstenradweg, Abenteuer und Genuss sind eigentlich immer ­dabei. Anke Kunst erklärt, wie man sich unterwegs mit wenigen, aber wichtigen ­Dingen pudelwohl fühlt. Anke, du bist selbst gern und oft auf dem Fahrrad unterwegs: Was waren deine eindrucksvollsten Touren? Wir waren für zwei Touren in Dänemark, einmal die Westküste hoch und einmal mit der Familie im Südosten, ganz gemütlich mit Kinderanhänger, Zelt und Schlafsack von Insel zu Insel. Aber auch zwei Wochen Namibia im Sattel waren ein tolles Erlebnis. Ich liebe es, mich mit dem Fahrrad durch ein fremdes Land zu bewegen. Das hat die richtige Geschwindigkeit, damit man alles um sich herum gut wahrnehmen kann. Und man kann immer wieder anhalten, um sich etwas genauer anzuschauen oder Fotos zu machen. Du arbeitest in einem Outdoor-Fachgeschäft – wie kleidest du dich selbst auf deinen Touren? Wenn ich in einem anderen Land unterwegs bin, fahre ich vorwiegend durch kleine Ortschaften, wo nicht so viele Touristen durchkommen. Dabei fühle ich mich persönlich grundsätzlich wohler, wenn ich nicht gerade wie ein grell-bunter »Expeditions-Radler« daherkomme. Entsprechend bevorzuge ich unauffälligere Outdoor-Bekleidung, mit der ich auch mal im Café sitzen kann, die aber dennoch funktional ist. Wie unterscheidet sich Funktionskleidung für Radfahrer zum Beispiel von der für Wanderer oder Trekker? Die Materialien selbst sind meist gleich oder ähnlich. Den entscheidenden Unterschied machen der Schnitt und die Anpassung an die spezifische Bewegung und Körperhaltung: Eine Jacke für Radfahrer hat eher eine körpernahe Passform, damit sie nicht im Wind flattert oder unnötig Angriffsfläche bietet, Ärmel und Rückenpartie sind verlängert, und die Kapuze ist Helm-kompatibel oder fällt ganz weg. Spezielle Hosen bieten die Möglichkeit, eine Rad-Unterhose mit Sitzpolster einzuknöpfen, und die Beinabschlüsse lassen sich enger stellen, um nicht an Kurbel und Kette zu streifen. Trikots sind oft im Brustbereich winddicht oder zumindest stark windabweisend, nach hinten dafür zum Ablüften wasserdampfdurchlässig. Gut ist auch ein Stehkragen, so lässt sich mittels Reißverschluss die Wärmeleistung einhändig regulieren – von »offenherzig« bis ganz »zugeknöpft«. Fast alle Radtextilien steigern durch

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Reflektor-Elemente die Sichtbarkeit im Verkehr. Sinnvoll, denn einerseits wird man so auf einsamen Landstraßen deutlich früher gesehen, andererseits bewegt man sich als Radler auch mit höherer Geschwindigkeit vorwärts als ein Fußgänger. Da ist gute Sichtbarkeit mitunter überlebenswichtig. Viele Radfahrer finden gerade das lange Sitzen im Sattel unbequem. Wie kann man sich gegen den gefürchteten »Wolf« schützen? Wer mehr als nur mal ein Stündchen im Sattel sitzt, sollte unbedingt eine hochwertige Radhose mit Sitzpolster tragen. Die kann man auch unter einer

RAD UND GEPÄCK – SO PACKEN SIE RICHTIG Packen am Rad: • Der Gepäckträger sollte so tief wie möglich über dem Hinterrad montiert sein, damit der Lastenschwerpunkt möglichst tief liegt. Das macht das Fahrverhalten deutlich sicherer. • Je mehr Gepäck Sie am Heck transportieren, desto nervöser werden Vorderrad und Lenkung. Ein normaler Gepäckträger sollte mit maximal 12 bis 15 Kilo, spezielle Reiseräder bis circa 20 Kilo beladen werden. • Ziehen Sie vor längeren Touren alle Schrauben an Gepäckträger und Rahmen nach. • Ein Frontträger (»Lowrider«) an der Gabel kann etwa acht Kilo aufnehmen. Durch eine ausgewogenere Lastverteilung fährt sich das Rad deutlich ruhiger. • Kamera, Portemonnaie und Handy kommen am besten in eine Lenkertasche (max. drei Kilo) mit Klickhalterung. Allerdings verdeckt eine Lenkertasche die Sicht auf die Fahrbahn direkt vor dem Vorderrad, also Vorsicht auf schlechten Straßen. • Machen Sie eine Probefahrt mit vollem Gepäck, um sich an die veränderten Fahr- und Lenkeigenschaften zu gewöhnen.

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RAUSZEIT Sommer 2016

neutralen Trekking-Shorts »verstecken«. Diese eng anliegenden Radhosen trägt man übrigens ohne Unterwäsche – es geht ja darum, dass an den Kontaktflächen zum Sattel absolut nichts scheuert und reibt. Wer zudem vor dem Start eine spezielle Sitzcreme, z. B. Hirschtalg, aufträgt, kann zuverlässig jegliches Wundscheuern vermeiden. Außerdem rate ich immer, nicht gleich mit einer Alpenüberquerung zu starten, wenn man (noch) kein routinierter Langstrecken-Pedalist ist. Ein guter Einstieg wäre z. B. eine lockere Mehrtagestour am Donau- oder Elberadweg, um sich an die langen Sitz- und Tretzeiten zu gewöhnen. Es gibt ein wirklich riesiges Angebot an spezieller Radbekleidung und -zubehör. Welche cleveren »Helferlein« hältst du für unverzichtbar? Auf einer unserer Dänemark-Touren war es zwar Sommer, aber leider nur nach dem Kalender. Ich war froh um meine lange Funktionsunterwäsche. Und mit so etwas musst du als Tourenradler einfach rechnen: Es kann leicht erheblich kälter, nässer oder wärmer sein, als man sich das wünscht oder der Wetterbericht vorhergesagt hat. Helferlein: Ich habe immer ein Buff-Schlauchtuch dabei, selbst im Hochsommer. Oft kurbelt man schwitzend eine Steigung hoch – und auf der Abfahrt wird der Fahrtwind dann empfindlich kalt. Das Schlauchtuch schützt Kopf oder Hals effektiv, auch bei starker Sonneneinstrahlung. Übrigens auch eines

Packen fürs Rad: • Verwenden Sie wasserdichte Packtaschen – das (er-)spart Gewicht und feuchte Überraschungen. • Beide Taschen immer gleich schwer beladen. • Schweres gehört in der Tasche nach unten/innen, leichte Dinge nach oben/außen. • Verstauen Sie Ihr Gepäck nach Kategorie in Packsäcke oder 3-Liter-Zipperbeutel aus dem Drogeriemarkt. Das sorgt für Ordnung und Orientierung. • Breiten Sie zu Hause Ihre geplante Reiseausrüstung auf dem Boden aus. Prüfen Sie Stück für Stück die ehrliche Notwendigkeit. Weniger ist mehr, denn unterwegs spüren Sie jedes Gramm. • »Ich packe meine Taschen immer wie eine Wohnung«, rät Weltumradler Tilmann Waldthaler. »Vorne links ist die Küche, rechts die Werkstatt mit Werkzeug und Ersatzteilen. Hinten links Schlafzimmer und Bad, der Kleiderschrank rechts hinten. So weiß ich immer genau, wohin ich etwas packe und wo ich suchen muss.«

Anke Kunst ist Radreisende – sowohl in ihrer Freizeit als auch im Alltag.


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FOTO Lars Schneider / ORT LIEB

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meiner Lieblingsteile für Zeltnächte, die ja bei echten Tourenradabenteuern dazugehören. Unverzichtbar ist für mich auch eine gute Windjacke oder -weste: Die wiegen nur ein paar Gramm und lassen sich auf das Packmaß einer Orange schrumpfen – aber sie schützen sehr effektiv vor kaltem Fahrtwind. Für kühlere Abende auf dem Zeltplatz habe ich immer etwas Kuscheliges dabei, das mich warmhält, wie eine dicke Fleece- oder eine leichte Daunenjacke. Und eine gute Lampe darf natürlich niemals fehlen, sowohl am Rad wie am Kopf. Und wie schützen sich Radler am besten gegen heftige Regenfälle? Jeder, der für längere Touren in den Sattel steigt oder viel mit dem Rad zur Arbeit pendelt, sollte eine gute Regenjacke, eine lange Regenhose und wasserdichte Spezial-Gamaschen für die Füße im Gepäck haben. Wie oben schon erwähnt, ist es dabei wichtig, dass diese Ausrüstungsteile fürs Sitzen und Treten kompatibel sind. Vor allem die Länge der Ärmel, eine möglichst geringe Windangriffsfläche und eine verlängerte Rückenpartie, damit der Po trocken bleibt, sind wichtig. Eine Regenhose schützt natürlich Unterleib und Beine gegen Wind und Wasser, aber auch vor hochspritzendem Straßenschmutz. Der lässt sich davon leichter wieder abwaschen, gerade bei langen Touren ohne große Auswahl an Wechselwäsche ist das hilfreich. Die Füße stehen bei Regenfahrten immer unter Direktbeschuss des Vorderrads, deshalb sind wasserdichte Überschuhe bis zur Wade ein guter Schutz, nicht nur gegen nasse, sondern auch gegen unangenehm kalte Füße. Und: So eine Regenausstattung hilft im Notfall auch effektiv gegen Kälte oder scharfen Wind.

OUTDOOR

Was der Rucksack bei Trekkern ist, sind die Packtaschen bei Touren-Pedalisten. Worauf sollte man bei der Taschenwahl achten? Oberstes Gebot ist meiner Meinung nach die zuverlässige Wasserdichtigkeit. Wenn man einen ganzen Tag bei Regen und Gegenwind durch die Weltgeschichte gestrampelt ist, gibt es nichts Schlimmeres, als abends festzustellen, dass die »trockene« Ersatzkleidung nass geworden ist. Gleich danach folgt ein sicheres und unkompliziertes Befestigungssystem. Bewährt haben sich Schnellklickverschlüsse mit zusätzlichen Bügelhalterungen. Die Größe und Verteilung der Taschen sollte so gewählt sein, dass man die Last gut und sicher auf das Rad verteilen kann (siehe auch Infokasten). Eine Vollausstattung kann ganz schön ins Geld gehen. Kann man sich auch mit eingeschränkterem Budget auf einen Radurlaub vorbereiten? Ich rate grundsätzlich zu einer Ausrüstungspackliste. Oft schicke ich die Kunden zunächst wieder nach Hause mit der Aufgabe: Mach eine Liste, was du alles mitnehmen möchtest. Dann schau in deinen Kleiderschrank, was du davon schon hast oder was du dafür verwenden kannst. Für das Wesentliche, wie Radhose, Regenschutz und so weiter, was ich unbedingt brauche, gibt es meist auch eine günstigere Alternative. Viele Leute schleppen auch viel zu viel Gepäck mit auf ihre Radtouren. Dabei liegt doch auch im Verzicht und in der Konzentration auf das Wesentliche ein großer Reiz bei Outdoor-Touren. Es ist immer wieder erstaunlich, mit wie wenigen Dingen man unterwegs problemlos auskommt. Du hast doch aber sicher auch ein oder zwei Teile, ohne die du nie wegfährst. Mit was geht denn Anke am liebsten on the road? Stimmt, da gibt es meine Thermotasse. Die ist mittlerweile schön zerbeult und zerschrabbelt, aber ich liebe es, abends im Zelt daraus meinen heißen Tee zu trinken. Und vielleicht noch mein Langarm-Shirt aus Merinowolle. Das ist kuschelig warm, ich kann es zum Schlafen anziehen oder tagsüber, wenn‘s mal kühler ist, als Unterhemd tragen. Die Merinowolle kratzt und muffelt nicht, auch wenn man das Teil mal nicht jeden Tag waschen kann. Mit solchen »Weggefährten« sammelt man ja auch immer herrliche Erfahrungen – und jedes Mal, wenn man sie überstreift oder da­ raus trinkt, werden Erinnerungen wach an unvergessliche Radmomente. Interview: Jochen Donner

Neu Letto Jacket Keine Tour ohne wasserdichte Kleidung im Gepäck! Unsere schöne Regenjacke Letto überzeugt durch geringes Gewicht und Packvolumen. Modell mit im Kragen verstaubarer Kapuze und 2-Wege-Frontreißverschluss. Aus wasserdichtem, winddichtem und atmungsaktivem 3-Lagen Dermizax®.

LIFESTYLE

CECILIE SKOG SIGNATURE LINE

Bjerke Lady Coat

Cecilie Fleece

Die Jacke Bjerke ist aus winddichtem, wasserdichtem und atmungsaktivem 2-Lagen Bergans Element® gefertigt. Bjerke gehört zu Bergans’ Lifestyle-Sortiment – einer Serie mit praktischen Kleidungsstücken für den Alltag, deren Funktionalität wir von der technischen Bekleidung übertragen haben.

Leichte Fleecejacke mit körpernaher Schnittführung. Die Jacke ist Teil einer Produktserie, die in enger Zusammenarbeit mit der Abenteurerin und Bergsteigerin Cecilie Skog entwickelt wurde, und das Nonplusultra für aktive Frauen, die höchste Ansprüche an technische Qualität, Funktion und Design stellen.

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RAUSZEIT Sommer 2016

EINBLICK: Firmenporträt Osprey

LUST STATT LAST Selbermacher und Bessermacher: Weil er die Rucksäcke auf dem Markt für ungeeignet hält, setzt sich der junge Mike Pfotenhauer in den Hippie-Zeiten an eine Nähmaschine. Und hört einfach nicht auf zu tüfteln – bis seine Firma Osprey vier Jahrzehnte später der Inbegriff für innovative Lastenträger geworden ist.

Die Verdienste von Herrn Pfotenhauer senior um die Rücken von Tausenden Outdoorsportlern sind immens – obwohl sein Beitrag nur darin bestand, einen einzelnen Rücken zu zerschinden. Denn als die Jugend anderswo in den USA den Rock, die Rebellion und die freie Liebe entdeckte, schleifte er seine Söhne durch die Berge Oregons. Auf den Schultern von Sohn Mike saß dabei: ein Rucksack mit starrem Rahmen und unmöglicher Passform, der drückte und scheuerte und die Touren so zu Torturen werden ließ. So sehr, dass sich der 16-jährige Mike im Woodstock-Jahr 1969 von Muttern zeigen ließ, wie man die Nähmaschine bedient. Mit Rucksäcken verbindet Naturliebhaber eine Hassliebe: Weil man zum Weltentdecken das eine oder andere mitnehmen muss, machen sie die große Freiheit erst möglich, sind so fast schon Metapher für ein Lebensgefühl. Andererseits kennt jeder den verlockenden Gedanken, das schwere Bündel an der nächsten Ecke einfach abzustellen und dem Ziel entgegenzufliegen. Rucksäcke sind ganz im Wortsinne eine Last. Fünf Jahre nach den ersten Versuchen unter Mutters Anleitung entscheidet sich Mike Pfotenhauer, die Parameter ein wenig mehr von »Hass« in Richtung »Liebe« zu verschieben. Rund 1000 Kilometer südlich seines Leidensortes in Oregon eröffnet er in Santa Cruz, Kalifornien, eine kleine Werkstatt. Dort ist er zunächst genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort: In Santa Cruz wabert der Geist der Hippie-Bewegung, »DIY« wird großgeschrieben, nicht nur, wenn man das Kürzel für das beliebte Motto verwendet: »Do it yourself – mach es selbst!«, der Gedanke ist unter den jungen Leuten weit verbreitet. So wundert sich niemand, als der 21-jährige Pfotenhauer in seinem Häuschen eine Nähmaschine aufstellt und anfängt, mit Stoffen, Gurten und Schnallen zu hantieren.

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Weil Mike das besser kann als die anderen Blumenkinder, die Rucksäcke brauchen, um nach Indien zu trampen oder einfach nur zum Surfen an den nächsten Strand, kommen bald die ersten Kunden. Und weil seine Rucksäcke bequemer zu tragen sind als andere, kommen mehr und mehr Interessierte. »Niemand, der damals Ausrüstung baute, hat darauf geachtet, dass sie dem menschlichen Körper und seinen Formen auch irgendwie angepasst ist«, erinnert sich Pfotenhauer. Die Schnittmuster waren so gerade wie Bügelfalten in den Paradeuniformen der VietnamVeteranen, anatomisches Design ein Fremdwort. »Ich hingegen war zu dieser Zeit sehr an menschlichen Formen interessiert – als Kunststudent habe ich zu der Zeit unzählige Akte gemalt.« Pfotenhauers Aversion gegen schlecht sitzende Einheitsware geht so weit, dass seine neugegründete Firma Osprey so fertigt, wie man es eher von den Nobelschneidern der Londoner Savile Row kennt: Jeder Rucksack wird seinem Träger individuell auf den Rücken geschneidert. Bald stapeln sich die Aufträge vor Pfotenhauers Nähmaschine, auf ihren Maß-Rucksack müssen die Kunden oft warten. Auch mit den ersten Angestellten geht es nicht immer schneller: »Wenn die Hippie-Band Grateful Dead in der Stadt war oder die Wellen am Surfstrand gut standen, ist keiner zur Arbeit gekommen«, erinnert sich Mikes Frau und Mitgründerin Diane Wren. Wenn Pfotenhauers Firma, die nach der vom Aussterben bedrohten Art des Fischadlers benannt wurde, überleben wollte, war es vielleicht an der richtigen Zeit, einen neuen »besseren« Ort zu suchen. Den entdecken Pfotenhauer und Wren im Landesinneren: eine Fabrikhalle, aus der just am Tage zuvor die Firma Gore ausgezogen war. Stoffe, Schneideutensilien,

Maschinen – alles noch da. Gut geschulte Näherinnen und Näher – die meisten von ihnen Najavo-Indianer, die sich über Arbeit freuen – ebenfalls in großer Zahl startbereit. Osprey verlegt seinen Sitz aus dem hippen Surfer-Städtchen in das 800-Seelen-Nest Dolores in Colorado. Ländlicher, beschaulicher und ruhiger geht es kaum.

Ständige Innovationen als Kernkompetenz Die unaufgeregte Umgebung tut Osprey jedoch gut. Mike muss nicht mehr nähen, sondern kann sich voll auf das Ent- und wieder Verwerfen konzentrieren. Auf langes, aber lustvolles Tüfteln an den großen Formen und den kleinen Details. Innovationen wie die ersten atmungsaktiven, mit Netz bespannten Rückenteile, die dafür sorgten, dass die T-Shirts der Träger nicht mehr schweißnass am Rucksack kleben, hatte Pfotenhauer schon in Santa Cruz präsentiert. In Dolores gelingt es jedoch, den stetigen Wandel und das ständige Neuerfinden zu Ospreys Kernkompetenz werden zu lassen: Es folgen die ersten Rucksäcke, die speziell an die weibliche Anatomie angepasst sind. Das Straightjacket (»Zwangsjacken«)-System, durch das halbvolle Rucksäcke komprimiert werden können. Dünne, aber strapazierfähige Werkstoffe, mit denen das Leergewicht fast halbiert werden kann. Das ErgoPullSystem, das die Konstruktions- und Funktionsweise von Hüftgurten für immer grundlegend verändert ... Die Liste ist lang und wird länger. Viele der Innovationen kennen mittlerweile auch Nicht-Osprey-Kunden – weil andere Hersteller stillschweigend eingestehen mussten, dass die Osprey-Lösung die beste ist und Pfotenhauer mal wieder einen Standard geschaffen hatte.


RAUSZEIT Sommer 2016

Umzug von der Westk Familie vor dem neuenüsFitermeinsngLandesinnere: die Ospreyebäude in Dolores, Colorado

a l e Model e t te s te r e u a h e Pfoten Der junge Mprieky auf Herz und Nieren Firma Os

Bald ist die Fabrikhalle in Dolores voll ausgelastet, schließlich zu klein. Im nahen Cortez baut Osprey einen zweiten Standort auf, doch so sehr das Unternehmen auch wächst: Der leitende Entwickler ist und bleibt Mike Pfotenhauer persönlich. Anstatt sich in ein Vorstandsbüro zurückzuziehen und sich an wachsenden Zahlen zu erfreuen, anstatt über Expansionen in das Bekleidungs-, Schuh- und Zelt-Business nachzudenken, überlässt er den Posten des CEOs lieber jemand anderem. Und widmet sich einzig und allein der nie enden wollenden Jagd nach dem perfekten Rucksack: »Wenn ich einen Stift in der Hand habe und am Schreibtisch Entwürfe zeichne, dann bin ich an dem bestmöglichen Ort, an dem ich nur sein kann«, meint Pfotenhauer. »Irgendwann schrecke ich hoch, blicke auf die Uhr. Es ist drei Stunden später und ich denke mir: Huch, wo ist denn nur die Zeit geblieben?«

Umzug nach Vietnam – mit Pfotenhauer Auch weil das Europa-Geschäft immer besser läuft, sehen sich Mike Pfotenhauer und Diane Wren gezwungen, wieder darüber nachzudenken, ob sie in Dolores und Cortez noch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. »Wir haben alles getan, um die Produktion in Colorado zu halten«, meint Mike, »doch die Lage wurde prekär.« Die Konkurrenz hatte ihre Produktion längst ins billigere Asien verlegt, »wir waren die Einzigen, die noch im Land geblieben waren.« Schließlich sieht sich im Jahr 2000 auch Osprey gezwungen, nachzuziehen. Möglichst

seiner neuen

viele der Näher in Cortez sollten an Bord bleiben, etwa im Reparatur-Service, denn eine Osprey-Garantie gilt mittlerweile lebenslang. Den Schritt nach Asien tut Pfotenhauer auf seine Art: Anstatt einfach Muster an Subunternehmer zu schicken und darauf zu hoffen, dass man die dort irgendwie zusammennäht, packt er Frau und Kinder ein und zieht aus dem 800-Seelen-Nest Dolores in die Acht-Millionen-Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt. »Früher habe ich gegen den Vietnam-Krieg demonstriert – dass ich einmal hier wohne und Business mache, hätte ich mir nie vorstellen können«, erzählt er lachend. In einem Haus am Ufer des Saigon-Flusses baut er ein Design-Studio auf, in dem die lokalen Mitarbeiter die Prototypen aus den USA zur Serienreife adaptieren. In Fußmarschweite zu den Fabriken, in denen genäht wird, eine Stunde Fahrzeit von den Lieferanten der Stoffe und Einzelteile entfernt, durch ein Konferenz-System stets verbunden mit dem Hauptquartier in Colorado und einem zweiten neuen Design-Studio, das Pfotenhauer in Kalifornien eröffnet. Mike steckt die Arbeiter und Designer in Vietnam mit seinem Enthusiasmus an, obwohl die mit »Outdoor« und »Campen« nach eigener Aussage selbst oft nur wenig anfangen können. Gleichzeitig wird in den USA an der Zukunft getüftelt. In der Folge hagelt es regelmäßig auf Fachmessen und bei Leserabstimmungen von Magazinen Preise und Auszeichnungen. Das Modell Atmos, das Flaggschiff der aktuellen Kollektion, hat kürzlich mal eben die Welt der Tragesysteme bei

Trekking-Rucksäcken aufgerollt. Der Clou: Ein gänzlich mit Netz­­stoff bespannter Rücken – inklusive Schulter- und Hüftgurte – vermittelt ein nie dagewesenes luftiges Tragefühl. Dafür wurde der Atmos 2014 auf der Leitmesse OutDoor in Friedrichshafen mit dem »OutDoor Industry Gold Award« ausgezeichnet. Ein Jahr später wurden dort nicht nur Mikes »Babys«, sondern auch er selbst geehrt: Pfotenhauer bekam den »OutDoor-Celebrity of the Year 2015«-Award für sein Lebenswerk, so etwas wie den Oscar für Ausrüster. Pläne, sich zur Ruhe zu setzen, hat der heute 62-Jährige in seiner Dankesrede glücklicherweise nicht verkündet. Falls der Mann, dessen Mission mit einem kaputten Rücken in den Bergen von Oregon ihren Anfang nahm, je so etwas äußern sollte, bleiben eigentlich nur zwei englische Worte, die man einem Rucksack-Pionier wie ihm zurufen kann: »Carry on!« Text: Moritz Baumstieger Fotos: Osprey

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NACHGEFRAGT: Erhard Jübermann

DER WASSERMANN

Auf dem vor der NordWneg zum inneren Frieden _ orwegischen K üste Mittagspauze

Seine Karten kennt jeder Kanute in Deutschland, den Macher selbst nur die allerwenigsten. Schade, denn Erhard Jübermann ist ein echter Abenteurer alter Schule. Einer, der loszieht um des Erlebens willen, und nicht für Ruhm und Geld. Es klingelt, dann öffnet sich die Tür des typisch niedersächsischen Fachwerkhauses. Ein warmes Lächeln strahlt durch den Rahmen. Es gehört einem Mann, dessen Produkte die Kanu-Gemeinde Deutschlands bestens kennt: die Jübermann Wassersportkarten. Die Flüsse, Seen und Meere der gesamten Republik finden sich in seinen zahllosen Kartenblättern und Tourenatlanten wieder. Den Menschen dahinter kennen nur die wenigsten. Das »Hallo Herr Jübermann« wird schon an der Tür abgeschmettert: »Wenn auf einem Kajak Jübermann draufsteht, sitzt Erhard drin – bitte.« Mit der Geschmeidigkeit eines Jungspunds huscht der 62-jährige Erhard die Treppe nach oben in sein Reich: der Jübermann Verlag. Ein bisschen Chaos und ganz viel Leidenschaft liegen in der Luft.

Uelzen, ein beschauliches Städtchen irgendwo zwischen Hamburg und Hannover, ist sein Geburts- und lebenslanger Heimatort. Sein Elternhaus steht nur 50 Meter entfernt. Bei seinem Großvater, einem Flussfischer, lernte er bereits als Kind, auf dessen Stehboot das Gleichgewicht wie ein Gondoliere zu halten. Früh steigt er in den Wassersport ein. All sein Taschengeld wird ins erste eigene Polyester-Boot von Klepper investiert – ein Novum auf dem Kanumarkt. Mit dem gehen die richtigen Touren los: Ilmenau, Elbe, Stör, Wilsterau, Schwentine, Nord-Ostsee-Kanal, Plöner See. Viel Zeit auf dem Wasser, viel Zeit im Zelt, viel Zeit mit guten Freunden. »Das war ein herrliches Robinson-Leben«, schwärmt Erhard. Auf der Elbinsel Pagensand kommt es schließlich zur ganz großen »Infektion«: In einem Paddler-Camp werden abends am Lagerfeuer Kanuten-Latein und andere Heldentaten zum Besten gegeben. »Da war der Bazillus dann voll da – was die an Geschichten erzählt haben, das wollten wir auch erleben.«

Tirol, Kärnten und Norditalien, wo sie sich in Wassermassen der Schwierigkeitsstufen I bis IV wagen – ohne jegliche Erfahrung, nur mit der Eskimorolle im Repertoire, selbst beigebracht natürlich, aus einem KanuLehrbuch von Herbert Rittlinger. Nach dem Abitur und zwei Jahren beim Bundesgrenzschutz folgt der Ernst des Lebens: Studium, höheres Lehramt für Geografie und Sport. Im Examensstress geht erst die Verlobung in die Brüche, dann lässt das anstehende Referendariat wegen Platzmangel ein Jahr auf sich warten. Die Steilvorlage für die Tour seines Lebens, denkt sich Erhard, und steigt im März in Uelzen in sein Seekajak »Jonathan«. Ziel: ans Nordkap. Den Kopf freibekommen und seinen eigenen Weg gehen, will er. Die Route führt ihn solo über die dänische Ostseeküste und durch das Skagerrak, von wo er per »Segelboot-Anhalter« an die norwegische Küste übersetzt. Als er südlich von Stavanger in einen Sturm mit Windstärke 7 gerät, gelangt er an seine körperlichen und psychischen Grenzen. Weit und breit keine Inseln, kein Sandstrand, nur Felsbrandung – mit Rückenwind. Keine Chance auch nur halbwegs sicher anzulanden, ohne dabei Leib, Leben und Materialtotalverlust zu riskieren. Also: Flucht nach vorne, in fünf Meter hoher Dünung, teilweise überschlagend. Tempowechsel von 7 auf 35 Stundenkilometer innerhalb weniger Sekunden. Fünf Stunden dauert das mörderische »Spiel« mit den Elementen. »Das war eine weiße Hölle«, sagt Erhard rückblickend. Nach drei Monaten und Millionen von Paddelschlägen erreicht er das Nordkap. Und nun? Erst kommt eine große Leere im Kopf, dann spürt Erhard die Ruhe – in der Natur und in sich selbst. »Ich hatte meinen inneren Frieden gefunden.« Über die norwegisch-finnischen Grenzflüsse und die Ostsee tritt er die Rückreise an, bis er im September im »Heimathafen« Uelzen wieder aus seinem »Jonathan« steigt.

Trennung mit Folgen

Er setzt alles auf eine Karte

Mit selbst gebauten Polyester-Booten folgt die nächste Steigerung: Wildwasser. 1971 geht es in die Alpen, nach

Nach gut 7000 Kilometern Selbstfindungstrip tut sich Erhard zunächst schwer, in der deutschen Ell­ bogen-

Ein echter Wassermann

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gesellschaft wieder klarzukommen. »Ich war einfach ein anderer Mensch als der, der sechs Monate zuvor Uelzen verlassen hatte.« Das Referendariat zieht er noch durch, aber mit der Gewissheit: »Schuldienst? Dafür bist du nicht gemacht – oder besser: nicht mehr.« Er beschließt, das Hobby aus dem Studium – das Zeichnen von Wassersportkarten – zu seinem Beruf zu machen. Der Bedarf ist da, Vereinsfreunde aus dem Kanuclub reißen ihm seine Erstversuche quasi aus den Händen. Zunächst arbeitet er mit Tusche, bald mit Gravurfolien. So entstehen nach und nach die Karten für die Paddelrepublik Deutschland, eingeteilt in zunächst fünf, nach der Grenzöffnung sieben Regionen, letztere bereits am PC. Das Wissen in Kartografie bringt er sich autodidaktisch selbst bei. Neben dem Paddeln schlägt das Herz für zwei weitere Sportarten: Tourenradfahren und Orientierungslauf. Wenn möglich verbindet Erhard beides, nicht selten in extremer Ausprägung. So radelt er von Uelzen nach Ehrwald, um »kurz« am Zugspitzlauf teilzunehmen und anschließend über Fernpass, Silvretta-Hochalpenstraße, Bodensee und Schwarzwald wieder Richtung Heimat zu strampeln – alles in knackigen zwei Wochen. Die Kennzahlen seines im wahrsten Sinne bewegten Lebens beeindrucken: circa 60.000 Kilometer im Boot – jedes Jahr kommen gut 2000 hinzu, plus etliche Tausend Lauf- und Radkilometer. War ihm diese Freiheit rückblickend immer wichtiger als Geld und Karriere? »Auf jeden Fall!« Wenn er eines nicht verstehen kann, dann ist es die Gier nach Geld und materiellem Übermaß. »Das Leben steht auf zwei Beinen: Lebensstandard und Lebensqualität. Bei einigen wird der Standard so großgeschrieben, dass aus der Lebensqualität eine Krücke geworden ist. Dann humpelt man automatisch.« Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: »Viel wichtiger ist doch ein positiver Zusammenhalt zwischen den Menschen – und ein Leben im Einklang mit der Natur.« Es fühlt sich irgendwie gut an, mit Erhard Jübermann über sein Leben zu sprechen – vielleicht sollten Langzeittouren verpflichtend eingeführt werden. ext: Moritz Becher T Fotos: Erhard Jübermann, Moritz Becher


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wischenstopp in Lu Z . at m ei H r de r vo "Kurz" . ten Winkel der Ostsee

lea im nördlichs-

Kartenrecherche auf der Elbe in Meißen _ es gibt schlimmere Arbeitstage . . 10 Fragen an Erhard Jübermann: Glaubst du an Schicksal und wenn ja, warum? Eigentlich nicht. Man muss es nehmen, wie’s kommt. Ich glaube auch nicht an einen aktiv handelnden Gott. Ich entscheide lieber selbst (lacht). Bitte vervollständige folgenden Satz: Ein Abenteuer ist … ... wenn ich etwas Neues wage und der sichere Ausgang nicht gewährleistet ist. Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdest du unterwegs nicht verzichten? Auf meinen Fotoapparat – denn er ist später der Schlüssel zu meinen Erinnerungen. Was hat dir im Leben schon mal richtig Angst gemacht? Gefahren, die man kennt, reduzieren diese um die Hälfte. D. h., Angst habe ich vor Gefahren, um die ich vorher nicht weiß. Wer war der beeindruckendste Mensch, den du je kennengelernt hast, und warum? Richard von Weizsäcker. Er war ein sehr wortgewandter, charismatischer Mensch. Er konnte Dinge sagen, die andere nicht aussprechen durften. Was hast du im Leben wirklich Relevantes gelernt? Enttäuschungen hinter sich zu lassen, abzuschließen und nach vorne zu denken. Was ist Glück für dich? Zum einen zu sehen, was aus meiner Tochter geworden ist. Zum anderen ohne Zeitdruck die Natur zu genießen. Eine andere Form von Glück empfinde ich, wenn ich Menschen richtig glücklich machen konnte, z. B., wenn ich jemandem erfolgreich die Eskimorolle beibringen konnte.

ospreyeurope.de

Was für einen Kindheitstraum hast du dir erfüllt? Ich war als kleiner Junge sehr viel draußen aktiv. Und heute ist das Draußensein Teil meines Berufs. Ich darf also immer noch Kind sein. Welche Dinge werden heutzutage oft überschätzt? Geld und Lebensstandard – nicht zu verwechseln mit Lebensqualität.   Wie würde der Titel deiner Autobiografie lauten? Es kam alles anders als geplant – zum Glück.

Kestrel & Kyte Wald, Hügel oder Berg. Innovation

Quality

Packs

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FOTO Lars Schneider / ORLTIEB

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LIEBESERKLÄRUNG »MIR IST ES EINGEFALLEN, WÄHREND ICH FAHRRAD FUHR.« (ALBERT EINSTEIN ÜBER DIE RELATIVITÄTSTHEORIE) Vom Verliebtsein zur Liebe, das ist ein Prozess. Während Ersteres meist eine emotionale Berg- und Talfahrt verursacht und genauso schnell wieder verschwinden kann, wie das Gefühl aufkam, so ist Liebe oft von langfristiger und beständiger Natur. Zu der enormen Zuneigung gesellen sich Vertrauen, Verlässlichkeit, gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen – und dadurch eine enge, »belastbare« Verbundenheit. Ohne die geht es nicht! Und wenn wirklich alles gut geht, dann ist nach vielen Jahren Liebe auch immer noch das Gefühl des Verliebtseins da. Die Rede ist von meiner Lebensgefährtin, oder vielmehr Reisegefährtin, mit der ich nun seit 30 Jahren glücklich liiert bin. 1986 lernten wir uns kennen, durch dick und dünn sind wir geradelt, durch den Alltag wie über viele Alpenpässe. Und die Verbundenheit ist beharrlich da, emotional wie physisch. Seit so langer Zeit begleitet sie mich, meine »Bike-Packer«-Radtasche von Ortlieb, hängt zuverlässig an meinem Gepäckträger – und wird mich wahrscheinlich überleben. Die Spuren unserer langen Beziehung trägt sie unübersehbar. Ihre Patina macht sie für mich nur noch schöner ... Was für eine geniale Idee war das von Hartmut Ortlieb, Lkw-Plane zum Bau von Radtaschen zu verwenden. Endlich nicht alles in Plastiktüten verpacken zu müssen, die Taschen selbst bei »Schnürlregen« auch

vor dem Zelt stehen lassen zu können. Und selbst wenn die Reifen mal die Bodenhaftung verlieren, bringt das meine Ortlieb-Tasche nicht aus der Ruhe. Sie ist der Fels in der Fahrradbrandung, der Partner, auf den ich mich verlassen kann. Die gute Nachricht ist: Diese Liebe kann jeder – im wahrsten Sinne – erfahren. Ortlieb hat getüftelt, und heute gibt es eine große Nachkommenschaft zu meiner »Bike-Packer«. Geändert hat sich einiges. Eine neue Familie namens »Back-Roller« ist entstanden, auch die Zutaten und die Konstruktion wurden kontinuierlich verbessert. Aber alles dem einen Ziel untergeordnet: Radreisende mit Zuverlässigkeit zu überschütten. Ob in Patagonien, am Nordkap, in Namibia, über die Alpenpässe oder im Großstadt-Dschungel – Tausende sind dem Charme und der Verlässlichkeit der BackRoller erlegen. Zu Recht! Deshalb bin auch ich vor Kurzem »schwach« geworden und heute Besitzer einer zweiten Ortlieb-Radtasche. Doch das tut der alten Liebe keinen Abbruch, denn die rostet bekanntlich nicht. Michael Bode

1991: im Schatten einer in den spanischen PyAutreowerkstatt näen 24

2015: in den österreichischen Alpen

in de 1995: am Sustenpass

n Schweizer Alpen

PRODUKTINFORMATION: ORTLIEB BACK-ROLLER CLASSIC In der Ausführung »Classic« fährt der Back-Roller seit Jahrzehnten durch die (Rad-)Weltgeschichte. Sein Erfolgsgeheimnis: die schnörkellose und unkomplizierte Art, absolut zuverlässig und sicher seinen Inhalt zu transportieren. Kernelement ist das extrem robuste PVC-beschichtete Polyestergewebe, das in dreidimensionaler Gestalt verschweißt wird – natürlich in Deutschland, genauer bei Ortlieb im mittelfränkischen Heilsbronn. In Verbindung mit dem Rolltop-Verschluss erhält der Back-Roller das Prädikat »IP64« – staub- und wasserdicht. Das Material selbst würde sogar eine 100 Meter hohe Wassersäule aussperren. Die Aufhängung ist wirklich ausgeklügelt: selbstschließende Haken, die sich ohne Werkzeug und mit Standard-Einsätzen an nahezu jeden Gepäckträger spielend leicht an- und abmontieren lassen. Ins Innere, wo eine RV-Netztasche Platz für Kleinkram bereithält, passen pro Tasche (BackRoller werden immer paarweise ausgeliefert) 20 Liter Stauvolumen. 950 Gramm Leergewicht warten somit an jeder Gepäckträgerseite sehnsüchtig darauf, für Reise oder Alltag befüllt zu werden. Und für die Wege zwischen Rad und Rast oder Einkauf dient die Verschlussschlaufe praktisch als Umhängegurt. Dass ein jeder Radler diese Tasche braucht, diese Frage stellt sich nicht – höchstens, in welcher Farbe ... Preis: 124,95 Euro


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