Rauszeit 2018_01

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Preis: 3,00 €

FOTO Gwen Weisser & Patrick Allgaier

FOTO Moritz Becher

FOTO Richard Löwenherz

FOTO Olaf Meinhardt

RAUSZEIT

RAUSZEIT

Ausgabe Sommer 2018

ERLEBT

BESSERWISSER NACHGEFRAGT

Auf die extreme Tour: Mit Mountainbike und Packraft alleine durch die Wildnis Sibiriens.

Rucksackwissen kompakt: Worauf es beim Auswählen, Packen und Tragen zu achten gilt.

Mehr auf S. 8

Mehr auf S. 18

Nur nicht fliegen: Gwen Weisser und Patrick Allgaier sind auf dem Land- und Seeweg einmal um die Welt gereist. Mehr auf S. 22


RAUSZEIT Sommer 2018

LEICHTE KOST

FOTO Bergans of Norway

Lett heißt im Norwegischen leicht. Ihrem Namen entsprechend ist die Letto von Bergans eine ­ leichte, klein verpackbare 3-Lagen-Hard­ shelljacke. Sie ist ganz schön vielseitig: Die Dermizax-Membran, eine DWR-Beschichtung und getapte Nähte halten Wind und Regen ab, gleichzeitig kann Schwitzfeuchtigkeit nach außen entweichen. Unterarmreißverschlüsse und Front­ taschen aus Mesh regulieren bei größerer Anstrengung oder höheren Temperaturen die Belüftung, ganz nach Gusto. Die Armabschlüsse werden über einen Klettverschluss in der Weite angepasst. Die große Kapuze schützt, wenn es windet und schüttet; bei ruhigem, sonnigem Wetter verschwindet sie eingerollt im Kragen. Vorgeformte Ellbogen verbessern die Beweglichkeit. Am Rücken ist die Jacke etwas länger geschnitten, der Kordelzug am Saum macht bei kalter Zugluft dicht. Bergans Letto Lady Jacket Preis: 249,95 Euro

STANDPUNKT Draußen-Kur Zugegeben, es hat Vorteile, bei Regen in der gemütlichen Bude zu sitzen, bei Dunkelheit das Licht einzuschalten und zu jeder Zeit warmes Wasser zu haben. Wenn wir Hunger haben, in den Supermarkt um die Ecke zu gehen. Oder per Mausklick zu ordern, worauf auch immer wir gerade Lust verspüren. Doch unser heutiger Komfort ist teuer erkauft – mit alltäglicher Reizüberflutung, mit Stress und mit Bewegungsmangel. Unsere Vorfahren waren deutlich aktiver: jagen und sammeln, Ackerbau und Viehzucht. Sitzen bleiben hieß hungern oder frieren. Zurück in die Höhle? Muss nicht sein (es sei denn, ihr habt ein Faible für Speleologie). Heute geht es um unsere Leidenschaft, die Natur noch häufiger und intensiver zu erleben. Denn draußen aktiv sein macht nicht nur Spaß, sondern tut uns gut. Die Natur bietet in der Regel ein deutlich vielseitigeres Trainingsgelände als ein Fitnessstudio: unebene Wege mit wechselndem Untergrund, vielseitiger Fels, der ständig neue Herausforderungen bereithält, wilde Gewässer, mal langsam, mal schnell … Körper und Sinne werden ständig aufs Neue gefordert, unsere Leistungsfähigkeit gesteigert. Die Waldluft ist zudem – ähnlich wie die Luft in den Bergen – besonders staubarm. Ein Hektar Wald kann pro Jahr bis zu 60.000 Kilogramm Staub aus der Luft filtern. Und die ätherischen Duftstoffe der Bäume können mehr als nur gut riechen: Manche wirken sich positiv auf unser Immunsystem aus und führen zur Zunahme unserer »Abwehrzellen«, die Viren und Bakterien bekämpfen. Wer im Wald unterwegs ist, senkt nachweislich den Blutdruck und die Herzfrequenz, vermindert die Ausschüttung von Adrenalin und wird so deutlich entspannter. Apropos Entspannung: Die renommierten Psychologen Rachel und Stephan Kaplan haben he­ rausgefunden, dass die räumliche Distanz zum Alltag, die Weite einer Landschaft und die Faszination, die sie auf uns ausübt, unsere Erholung positiv beeinflussen. Wenn wir uns in einer interessanten Landschaft bewegen, werden unsere Sinne geschärft, ohne dass wir ermüden. Dieses einzigartige Gefühl, den »freigepusteten Kopf«, kennt wohl jeder von uns. Manchmal reicht dazu eine Tagestour auf den nächsten Gipfel, manchmal brauchen wir lange Trecks durch einsame Landschaften … Ganz egal, wo ihr euren Sommer verbringt: Geht raus, genießt die Natur und lasst es euch gut gehen! Einen tollen Reisesommer wünschen eure RAUSZEITler

ES WERDE LICHT Klassiker: den Sonnenuntergang genießen … um dann festzustellen, dass man im Stockdunklen zurückmuss. Für solche Fälle ist die Iota perfekt. Die kleine, 56 Gramm leichte Stirnlampe passt immer als Reserve ins Gepäck. Bei maximaler Power leuchtet sie mit etwa 150 Lumen durchschnittlich drei Stunden. Das reicht locker für die »letzten Meter« nach Hause oder andere zeitlich überschaubare Aktionen, wie schnelle Läufe in der Dämmerung. Per Knopfdruck wechseln die verschiedenen Modi: schwache bis starke Leuchtstufe oder Blinklicht. Der LithiumIonen-Akku ist über einen USB-Anschluss wiederaufladbar, die verbleibende Batterielebensdauer wird nach jedem Anschalten drei Sekunden lang angezeigt. Eine Sperrfunktion verhindert, dass sich die Lampe versehentlich einschaltet. Außerdem ist das Lämpchen gegen Spritzwasser geschützt. Also: ab in den Rucksack damit. Black Diamond Iota Preis: 44,95 Euro

MINIMALPRINZIP Packman heißt der Kollege, der das Gepäck auf alpinen Touren trägt. Alles, was nötig ist, aber auch nichts darüber hinaus, denn dieser Rucksack beschränkt sich aufs Wesentliche: Angesiedelt zwischen Trekking- und Kletterrucksack, bietet er mit 42 Litern ausreichend Raum für das Tages- oder Mehrtagestourengepäck, außerdem ein gut belüftetes Rückensystem, bequeme Schultergurte und einen gepolsterten Hüftgurt. Letzterer lässt sich zur Gewichtsreduktion abnehmen, ebenso wie das Deckelfach. Das Hauptfach ist in zwei separate Fächer unterteilt, sodass trockene und nasse Bekleidung getrennt voneinander verstaut werden können. Kletterhelm, Trekkingstöcke oder Eisgeräte werden außen befestigt, weitere Ausrüstung kommt im großen elastischen Frontfach unter. Ach ja, mit einem TPU-Liner ist der Packman auch noch wasserdicht – packen muss man ihn allerdings noch selber. Bach Packman 42 WP Preis: 229,95 Euro

Foto Titelseite Ins Herz geschlossen: Auf ihrer Wanderung durch das südostfranzösische Arves-Massiv erhielt Familie Meinhardt tatkräftige Unterstützung von zwei Eseldamen. »Caroline« und »Épopée« trugen das Gepäck; die Kinder dankten es ihnen mit ausgedehnten Streicheleinheiten. Die ganze Geschichte lest ihr ab S. 10. Fotografiert von Olaf Meinhardt

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KURZGEFASST

VORHANG AUF Ein Hilleberg ist ein Hilleberg ist ein Hilleberg. Einerseits ja. Schließlich steht Hilleberg für hervorragend verarbeitete und zuverlässige Zelte. Andererseits gibt es aber auch bei Hilleberg unterschiedliche Serien und Modelle. Das Nallo GT 2 gehört zur sogenannten Red Label Serie, was es als Ganzjahreszelt qualifiziert, das einen sehr guten Kompromiss zwischen Leichtigkeit und Robustheit bietet. Die »GT«-Variante ist gegenüber dem Nallo-Grundmodell mit einer längeren Apsis, das heißt auch einem zusätzlichen Gestängebogen und einem weiteren seitlichen Eingang ausgestattet. Mit seiner windstabilen Konstruktion, einem bis auf den Boden reichenden, silikonbeschichteten Außenzelt und der hoch angebrachten Frontlüftung ist es auch bei Sturm und Schnee ein vortreffliches Zuhause. Bei trockenem Wetter kommt zusätzliche Frischluft über den geöffneten seitlichen Eingang und das aufgerollte Fußende des Außenzelts ins Innere. Bei genialen Zeltplätzen empfiehlt es sich, das Außenzelt bis zum ersten Gestängebogen aufzurollen und die Aussicht zu genießen, bis die Sonne untergegangen ist. Hilleberg Nallo 2 GT Preis: 1.025,95 Euro

Lundhags ist bekannt für Trekkinghosen, die jedes Abenteuer mitmachen. Mit der Nybo Shorts haben die Schweden auch eine solide Kurzvariante für längere Reisen und Wanderungen im Sommer im Programm. Durch ihren Mix aus zwei unterschiedlichen Stoffen, dem klassischen, robusten Lundhags PolyCotton und der leichten Variante, PolyCotton Light, ist sie leicht und dennoch strapazierfähig. Bei beiden Materialien handelt es sich um eine Mischung aus Baumwolle und Polyester, die wasserdicht imprägniert werden kann, schnell trocknet und einen guten UV-Schutz bietet. Strategisch günstig platzierte Stretcheinsätze machen die Nybo Shorts flexibel und bequem. Neben zwei seitlichen Einschubtaschen gibt es zwei reißverschlussgesicherte Beintaschen, in denen zum Beispiel die Wanderkarten Platz finden. Die rechte Beintasche enthält außerdem eine separate Tasche für das Mobiltelefon. Lundhags Nybo Shorts Men / Women Preis: 89,95 Euro

IST DAS KUNST(FASER)?

FOTO Scandic

Was ihr Verhältnis von Wärme zu Gewicht angeht, übertrifft Daune Kunstfaser. Wird sie jedoch nass, fällt sie in sich zusammen und trocknet nur sehr langsam. Immer mehr Hersteller versuchen daher, die Vorteile von Kunstfaser und Daune zu vereinen und synthetische Materialien noch daunenähnlicher zu machen. Patagonia legt mit PlumaFill vor: Die Füllung ist leicht wie Daune, lässt sich klein komprimieren, ist aber gleichzeitig unempfindlich gegen Nässe. Beim Micro Puff Hoody ist sie über besonders feine Nähte abgesteppt, um der Kälte möglichst wenige Brücken zu bieten. Das Außenmaterial dieser Isolationsjacke ist zudem winddicht und wasserabweisend imprägniert, der Front-Reißverschluss über eine innenliegende, nässeableitende Windleiste geschützt. Auch die eng anliegenden, elastischen Bündchen und der elastische Saum lassen kalte Luft außen vor. Die leichte Kapuze passt unter den Kletterhelm. Wenn’s warm wird, wird die Jacke in einer ihrer Reißverschlusstaschen verstaut und über eine Schlaufe in den Karabiner eingehängt. Patagonia Men’s Micro Puff Hoody Preis: 279,95 Euro

KETTENREAKTION Feuerholz benötigt? Kein Problem, pack die Kettensäge aus! Kein Scherz – zumindest, wenn es sich um die Nordic Pocket Saw handelt. Die kompakte Handsäge ist eine Kettensäge im eigentlichen Wortsinn: eine Kette an zwei reißfesten NylonGriffen. Mit nur 132 Gramm passt sie deutlich besser ins Gepäck als ihre motorisierte Verwandte. Ihre Schneidezähne sind gegenläufig angeordnet, sodass auch beim Rückführen ein Schnitt erfolgt. Sie können mit einer 4-Milimeter-Rundfeile fachkundig nachgeschärft werden. Die 65 Zentimeter lange Kette besteht aus besonders hochwertigem, gehärtetem Stahl. So packt sie ohne großen Kraftaufwand selbst dickere Äste oder Stämmchen – wenn man sie nur geduldig rhythmisch hin und her zieht. Scandic Nordic Pocket Saw Preis: 49,95 Euro

SCHUH-TICK Über den Mojito muss eigentlich gar nicht mehr viel gesagt werden – er ist ein echter Klassiker. Schätzungsweise besitzt ihn jeder dritte von euch, oder? Warum eigentlich? Einerseits hat er sich auf leichteren Touren und Zustiegen bewährt, ist leicht und stabil und trotzdem bequem gedämpft. Die griffige Sohle ist mit einer Kletterzone an den Zehen ausgestattet, die weit nach vorne reichende Schnürung ermöglicht eine sehr gute individuelle Anpassung. Andererseits schaut er halt auch einfach lässig aus und ist deswegen genauso im Alltag beliebt. Jetzt gibt es ihn auch in Denim mit elastischen, kontrastfarbenen Schnürsenkeln. Für Mojito-Einsteiger und -Fetischisten – oder alle, die einfach einen neuen Mojito brauchen. Scarpa Mojito Denim Preis: 124,95 Euro

Allgemeine Anfragen und Anregungen bitte an redaktion@rauszeit.net IMPRESSUM Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt: Michael Bode, Andreas Hille Redaktion & Produktion: outkomm GmbH, Eichbergerstrasse 60, CH-9452 Hinterforst, www.outkomm.com, redaktion@rauszeit.net Druck: Bechtle Druck&Service GmbH & Co. KG Copyright: Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung der Herausgeber und der Redaktion unzulässig und strafbar.

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FOTO ORTLIEB Sportartikel GmbH

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ROHRKATZE Egal, ob es mit dem Bike viele Tage auf Tour oder nur zum Biwakieren auf den nächsten Gipfel geht: Die notwendige Ausrüstung muss irgendwie mit. Dafür gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Taschenoptionen. Die üblichen dreieckigen Radtaschen, die wie ein Segel zwischen Ober-, Unter- und Sattelrohr befestigt werden, passen allerdings nicht an ein vollgefedertes Mountainbike. Auch wenn noch eine Trinkflasche am Rahmen sitzt, muss eine andere Lösung her. Die schmale Frame-Pack Toptube wird lediglich am Ober- und Sattelrohr befestigt und benötigt nicht so viel Platz. Trotzdem bietet sie mit vier Litern Volumen genügend Stauraum für Ausrüstungsteile, Werkzeug oder Proviant. Obermaterial und Reißverschluss der Packtasche sind ­absolut wasserdicht; befestigt wird sie über stark haftende Klettverschlüsse. Ortlieb Frame-Pack Toptube Preis: 99,95 Euro

Outdoor-Erste-Hilfe-Sets

IM NOTFALL VORBEREITET Tourenplanung beinhaltet neben aller Sorgfalt vor allem eins: Vorfreude. Im Geiste stapfen wir schon mit vollbeladenem Rucksack durchs Hochland oder arbeiten uns Stück für Stück die Wände empor. Was alles schiefgehen könnte, möchten wir uns nicht ausmalen. Trotzdem: Wer für den Ernstfall gut gerüstet ist, ist schlussendlich sorgenfreier unterwegs. Aber was gehört auf Tour eigentlich alles in ein Erste-Hilfe-Set? Angela Matheußer von der Outdoorschule Süd e.V. in Freiburg erklärt: »Auf jeden Fall alles, was für die einfache Wundversorgung, aber auch für lebensrettende Soforthilfemaßnahmen, wie einen Druckverband, notwendig ist.« Dazu zählen Wundverband, Verbandpäckchen (besser als einfache Mullbinden, da sie eine sterile Auflage haben), Kompressen, Pflaster und Tape. Einmalhandschuhe schützen vor Infektionen bei der Versorgung blutender Wunden. Um die Notfallausrüstung zu optimieren, sollte sie auf die Zahl der Personen, den Ort und die Dauer der Tour abgestimmt sein. »Wer in einer Gruppe oder längere Zeit unterwegs ist, braucht mehr Material. Einerseits, weil eine Wunde gegebenenfalls über mehrere Tage versorgt werden muss, bis eine Siedlung oder ein Arzt erreicht wird. Andererseits, weil in einer Gruppe mit mehreren kleinen Verletzungen, wie Schnitt- oder Schürfwunden, zu rechnen ist.« Ein Basis-Set lässt sich natürlich beliebig ergänzen. Zum Beispiel mit Wundnahtstreifen, die kleinere Platzund Schnittwunden verschließen. Alkoholtupfer und Spray oder Salbe zur Desinfektion von Wunden machen ebenfalls Sinn; am besten wählt man ein Mittel, mit dem man bereits Erfahrung hat. Eine Rettungsdecke wiegt nicht viel, schützt aber vor Unterkühlung (goldene Seite

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nach außen, Person einwickeln) oder Überhitzung (silberne Seite nach außen, Person locker abdecken oder Decke wie ein Sonnensegel aufspannen). Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparates, wie ein Armoder Beinbruch, können zwar behelfsmäßig mit Ästen, Rinde oder einer aufgeschnittenen Wasserflasche geschient werden, komfortabler und flexibler sind spezielle leichte, formbare Alu-Polsterschienen. Ebenfalls sehr vielseitig einsetzbar: das gute, alte Dreieckstuch. Es befindet sich zwar in jedem Verbandskasten, nicht aber in jedem Erste-Hilfe-Set, obwohl es zum Polstern, Schienen und für viele unterschiedliche Verbände von Kopf bis Fuß eingesetzt werden kann. Auch bei der Qualität der Erste-Hilfe-Ausrüstung lohnt ein prüfender Blick: Funktioniert die Splitterpinzette, sprich, liegen ihre Spitzen aufeinander? Schneidet die Verbandsschere? Wie hochwertig ist das Tape? Hält es auch bei Bewegung oder löst es sich nach kurzer Zeit ab? Welche Wundkompressen sind enthalten? »Gerade bei den Wundkompressen wird deutlich, wie wichtig gute Materialien sind«, sagt Matheußer. Denn wer sich unterwegs eine Schnittverletzung zuzieht, sollte täglich den Verband wechseln, damit die Wunde gut abheilen kann. Herkömmliche Mullkompressen verkleben mit der Wunde, sodass die Schnittstelle bei jedem Verbandswechsel erneut aufreißt. Nicht haftende Auflagen verkleben nicht, die Verletzung heilt schneller. Simpel, aber wichtig: eine übersichtliche Aufteilung, ausklappbare oder ausrollbare Taschen, die in Stresssituationen nicht erst umständlich durchsucht oder gar ausgeschüttet werden müssen, um das Benötigte zu finden. Das beste Erste-Hilfe-Set nützt aber nichts, wenn nicht klar ist, was im Notfall zu tun ist. Erste-Hilfe-Kurse und spezielle Seminare für Outdoorsportler bieten neben der Outdoor Schule Süd unter anderem auch die Johanniter, das Rote Kreuz und der Alpenverein an.

SCHAFSKÄLTE Wolle reguliert Feuchtigkeit und Temperatur, das bedeutet, sie wärmt bei Kälte und kühlt bei Hitze. Wenn’s richtig heiß hergeht, zum Beispiel bei hochsommerlichen Bergtouren oder schweißtreibenden Kletterrouten, punktet das 150 Cool Mountain T-Shirt. Für das Oberteil, auf dem der Bianco-Grat abgebildet ist, mischt O ­ rtovox Merinowolle mit Tencel, eine aus Eukalyptusholz gewonnene Faser mit natürlich kühlenden Eigenschaften. Auch aus Gewissensgründen muss niemand ins Schwitzen geraten: Die Wolle stammt komplett aus Tasmanien, wo die Schafhaltung hohen ethischen und ökologischen Standards unter­ liegt. Nebenbei gelten die tasmanischen Wollfasern als besonders fein und reißfest. Ortovox 150 Cool ­Mountain T-Shirt Preis: 79,95 Euro

Gute Tour wünscht dein Team von SFU – SACHEN FÜR UNTERWEGS GmbH Filiale Braunschweig Neue Straße 20 38100 Braunschweig Telefon: +49 (0)531 13666 E-Mail: info@sfu.de Filiale Hannover Schmiedestr. 24 / Ecke Osterstr. 30159 Hannover Telefon: +49 (0)511 4503010 E-Mail: info-hannover@sfu.de Web: www.sfu.de


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FOTO Kirill Savenko / IStock

ÜBRIGENS … IM »STERNE-RESTAURANT« Wenn es ums Grillen geht, legen wir uns gerne voll ins Zeug – egal, ob bei einem kleinen Lagerfeuer am See oder am Mega-Profi-Grill im Garten. Ja, und beim Kochen? Sieht das ganz anders aus. Da stehen wir lieber drinnen am Herd. Wieso eigentlich? Draußen kochen, schmoren, rösten oder backen macht genauso viel Spaß und setzt der Fantasie ebenso wenig Grenzen. Vielleicht ist es der Gedanke, zu viel mit sich tragen zu müssen, vielleicht die Vorstellung, mit nur einem Topf zu sehr begrenzt zu sein. Ganz klar, auf der Mehrtageswanderung kommt nicht die halbe Küchenausstattung ins Gepäck. Glücklicherweise hat ja jemand den Trekkingkocher erfunden. Genauer gesagt, die Schweden. Der erste rußfreie Kerosinkocher wurde 1892 in einer Stockholmer Garage gebaut, seine Entwickler, Lindqvist und Svensson, nannten ihn »Primus«. Die tragbaren Kocher kamen seither auf quasi jeder Expedition zum Einsatz, so auch bei Amundsens Eroberung des Südpols oder Hillarys und Norgays Erstbesteigung des Everests. Expeditionen, Erstbesteigungen … klingen nicht nach feiner Küche? Stimmt. Nach einem richtig anstrengenden Tag freuen wir uns über die hohe Kunst der Gefriertrocknung, sprich, die Tütenmahlzeit, die

nur noch mit heißem Wasser übergossen und umgerührt werden muss. Aber auch die wird ganz schnell aufgepeppt – mit frisch gesammelten Kräutern oder Beeren, mitgebrachtem, gefriergetrocknetem Gemüse oder Obst, einem Stück Salami oder etwas Hartkäse. Die Extraportion Genuss wiegt ein paar Gramm mehr im Rucksack locker auf, zumal sie auch mit jeder Mahlzeit schwinden. Wie wär’s mit Pasta mit Chorizo oder Pancakes mit Blaubeeren? Überall dort, wo das Gewicht der Ausrüstung keine Rolle spielt, könnt ihr euch dann so richtig austoben: auf der Wiese hinter dem Haus oder im Park, im »Basis­l ager«, auf VW-Bus-Tour … An Kochstellen wie luxuriösen, mehrflammigen Gaskochern, der Feuerschale Muurikka oder dem gusseisernen Dutch Oven. In Metzterem lassen sich nicht nur Fleisch (schon mal Heubraten oder Pulled Pork ausprobiert?) und Gemüse (lieber Spinatlasagne oder gefüllte Paprikaschoten?), sondern auch Brote und leckere Kuchen backen. Warum nicht mal den oder die Liebste/n mit einem mehrgängigen Menü »auswärts« überraschen? Im »EineMillion-Sterne-Restaurant« ist garantiert immer ein Platz frei.

FEST IM GRIFF

MEISTERKOCH

Schon MacGyver wusste, was er an ihm hatte: das Schweizer Taschenmesser. Das Glanzstück von Victorinox hilft glücklicherweise nicht nur Actionhelden aus der Patsche, sondern ist auch im Alltag ganz nützlich. Seit seiner Geburtsstunde Ende des 19. Jahrhunderts wurde es mehrfach überarbeitet. Mittlerweile ist das einstige ArmeeMesser in zig Varianten erhältlich: mit Holz- oder Kunststoffschalen, mit vielen oder wenigen Werkzeugen, in altbewährter Optik oder als edle Sonder­edition. Das Modell Ranger Grip 63 ist auf das Wesentliche reduziert: eine einhändig bedienbare, feststellbare Messer­ klinge (95 mm), einen Korkenzieher, einen Zahnstocher und eine Pinzette. Damit kommt es auf ein Gewicht von 108 Gramm. Der Griff ist mit rutschfesten Kautschuk-Einlagen ausgestattet. Victorinox Ranger Grip 63 Preis 44,95 Euro

Wiegt in etwa so viel wie zwei Tafeln Schokolade und bringt einen halben Liter Wasser in zwei Minuten zum Kochen: Der ­ Glacier Camp Stove. Der kompakte, recht leistungsstarke Gaskocher kann neben schnell und zuverlässig auch gleichmäßig kochen, denn der verhältnismäßig große Brennerkopf verteilt die Hitze gut auf die Böden des Kochgeschirrs. Die Topfhalterung ist stabil genug für größere Camping-Töpfe oder -Pfannen. GSI Glacier Camp Stove Preis ab 29,95 Euro

DOPPELSPIEL Zurück in die Zukunft: Das Trangia Tundra Set III ist endlich wieder in einer Duossal-Ausführung erhältlich. Äh, und das heißt …? Duossal ist ein unter Hochdruck verwalzter Materialverbund, der die Vorteile von Aluminium und Edelstahl verbindet. So besteht die Innenseite des Kochgeschirrs aus 0,3 Millimeter dickem, rostfreiem Edelstahl, der leicht zu reinigen und sehr kratzfest ist. Auf der Außenseite befindet sich dagegen eine 0,5 Millimeter dicke Aluminiumschicht, die Wärme besonders gut leitet und auf großer Fläche verteilt. Die Böden der Kochutensilien sind für die Nutzung auf Gaskochern optimiert. Mit dabei: Ein 1,5- und ein 1,75-Liter-Topf, die sich ineinander stapeln lassen, eine Pfanne mit 20 Zentimetern Durchmesser, ein Deckel, der auf beide Töpfe passt, sowie eine Griffzange. Aber: Nur, solange der Vorrat reicht, denn nur ein einziges europäisches Walzwerk ist in der Lage, Duossal herzustellen. Die vorgegebenen Abnahmemengen sind jedoch mittlerweile für die Outdoorbranche alleine viele zu hoch. Als ein offiziell unbekannter, großindustrieller Auftraggeber kürzlich eine große Charge orderte, reagierte Trangia sofort. Wer weiß, wann es die nächste Chance gibt … Trangia Tundra Set III Duossal Preis: 59,95 Euro

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Jedediah Smith Redwoods State Park, Kalifornien, USA. FOTO Lars Schneider

Sylvensteinspeicher, Bayern, Deutschland. FOTO Gideon Heede

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FRANZ KAFKA Vogesen, Elsass, Frankreich. FOTO Paul Masukowitz

»WEGE ENTSTEHEN DADURCH, DASS MAN SIE GEHT.«

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Trout Creek, Oregon, USA. FOTO Tyler Roemer

RAUSBLICK

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KASACHSTAN

Oben: Kalter, aber wunderschöner Zeltplatz mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel des Altai-Gebirges.

Oben links: Mehr Schnee als erwartet. Oben rechts: Der Fluss Hamsara. Unten: Selfie auf dem Packraft. Wenige Tage zuvor galt es noch mit der gesamten Ausrüstung über Bäume zu klettern.

ERLEBT: Mit Rad und Packraft durch Sibirien

MIT DEM HERZ EINES LÖWEN Auf Basis sowjetischer Militärkarten durch die Wildnis Sibiriens, mit einem Packraft und einem Mountainbike vom mongolischen Basar. Den 37-jährigen Berliner Richard Löwenherz fasziniert es, selbst zum Entdecker zu werden. Die weißen Flecken auf der persönlichen Landkarte zu schließen. Eindrücke seiner Reise zwischen Baikalsee und Altai-Gebirge. Jetzt bin ich mitten in der Wildnis, von nun an führt kein Weg zurück. Die gesamte Ausrüstung ist in wasserdichten Packsäcken verstaut, das Fahrrad mit Riemen auf dem Packraft festgezurrt. Als ich das Boot ins glasklare Wasser des Izig-Sug ziehe, dringt die Kälte durch den Trockenanzug bis auf die Haut. Die letzten beiden Tage waren hart: Ich musste das Rad mit der rund 50 Kilogramm schweren Ausrüstung – dem Packraft, den Packtaschen mit Ausrüstung und Proviant, dazu den Rucksack auf dem Rücken – mehr tragen als schieben. Über umgestürzte Bäume wuchten. Aus knietiefen Schlammlöchern zerren. Um dann noch irgendwie auf den 1930 Meter hohen Pass Choigan-Daban zu gelangen. Nie hätte ich gedacht, dass der Pfad durch die Taiga so quälend sein würde. Ein schöner Wanderweg, sicher. Aber mit dem Fahrrad einfach nur eine Tortur. Es ist der Morgen des fünften September. Vor 16 Tagen bin ich in der sibirischen Metropole Irktutsk am Baikalsee gestartet. Mein Ziel: den Sajan, das Tannu-olaGebirge und den Altai auf möglichst direktem Weg zu durchqueren. Mehr als 2100 Kilometer, davon rund 300 im Packraft, 1800 mit dem Rad. Richtig, es ist nur ein altes, etwas klappriges, das ich vor acht Jahren für umgerechnet 68 Euro auf einem mongolischen Basar erstanden habe. Doch es tut seinen Dienst. Der Choigan-Daban trennt die russischen Republiken Burjatien und Tuwa. Er trennt auch das kleine Abenteuer vom großen. Vor mir liegen die beiden Flüsse Izig-Sug und Hamsara, die ich mit meinem »Boot aus dem Rucksack« befahren möchte. Zwei Wochen wird es dauern

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– wenn alles gut läuft. Die starke Strömung fordert mich sofort heraus. Gemächlich dahinschippern? Fehlanzeige. Der Fluss verlangt meine volle Aufmerksamkeit. Schon auf den ersten Kilometern wird der Trockenanzug mehr als einmal auf die Probe gestellt. Doch der Fluss überrascht mich auch auf andere Weise: Plötzlich, hinter einer Biegung, stehen elf Männer am Ufer – Russen auf Jagd- und Angelausflug, mit Wodka aus dem Fünfliterkanister. Sie begrüßen mich begeistert, stellen mir die üblichen Fragen: woher ich komme, wohin ich will, ob ich Familie habe. Ruhiger geht es bei Sergej zu, der in seiner kleinen Hütte auf den Winter wartet, um vier Monate jagen zu können. Und Viktor und Valera, zwei Angler aus Krasnojarsk, winken mir zu und laden mich zu frisch gefangenem Fisch, Oliven aus der Dose und, wie könnte es anders sein, einigen Gläschen Wodka ein. Die Wildnis ist nicht überall so einsam, wie ich dachte.

Noch mal gut gegangen Einige Tage später. Nebel hat sich über dem Fluss ausgebreitet, man erkennt kaum die Hand vor Augen. Ich paddele langsam, lausche aufmerksam ins Grau, um Stromschnellen an ihrem Gurgeln zu erkennen. Jetzt kommen die Geräusche von rechts. Ich atme tief ein, schlage das Paddel mehrmals kräftig ins Wasser … ausatmen, vorbei. So geht es ein ums andere Mal, bis das Tosen immer lauter, die Strömung immer stärker wird. »Der Wasserfall!«, rast es durch meinen Kopf. Mit aller Kraft paddele ich zur Seite, dort, wo das Ufer sein muss.

Ein sanftes Schleifen – angelandet. Ich ziehe die Ausrüstung an Land. Sechs Meter stürzt sich hier das Wasser in die Tiefe. Glück gehabt! Eine Pause ist fällig. Der Nebel lichtet sich langsam und ich beschließe, mein Nachtlager einzurichten. Am Abend stehen nicht nur die Sterne am Himmel, auch der Mond zeigt sich voll und rund. Ohne isolierende Wolken am Himmel fallen die Temperaturen auf vier Grad minus, ich wärme mich am Lagerfeuer. Als ich schließlich in den Schlafsack krieche, begleitet mich das Donnern des Wasserfalls in den Schlaf. Auf dem Hamsara beginnt es zu schneien. Schneeflocken so groß wie Toastbrote klatschen auf das Boot. Im Trockenanzug lässt es sich gerade noch so aushalten. Als eine kleine Siedlung am Ufer auftaucht, ist die Entscheidung schnell getroffen: raus aus dem Boot, aufwärmen. Chasylar ist komplett von der Außenwelt abgeschnitten, einen Laden gibt es nicht. Dafür schenken mir die herzlichen Bewohner selbst gebackenes Brot. Es schmeckt wundervoll! In der Wildnis werden die kleinsten Dinge zum größten Luxus: etwas zu essen, ein Lagerfeuer, ein guter Platz fürs Zelt. Diese Einfachheit und Unverfälschtheit sind es, wonach ich mich immer wieder sehne. Deswegen ziehen mich die Weite und die Einsamkeit Sibiriens wie magisch an. Aber auch, weil ich, studierter Geograf und Meteorologe, hier noch selber zum »Entdecker« werden kann. Die Routen recherchiere ich im Internet. Oft finde ich nicht viel mehr als ein paar dürftige Einträge in Foren, meistens auf Russisch. Den genaueren Verlauf plane ich mithilfe alter sowjetischer Militärkarten und Google Earth. So auch dieses Mal.


Genieße die Jahreszeiten: Nimm ein Hilleberg Zelt!

Lars Petter Jonassen/eksponertmedia.no

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S I B I R I E N START

BURJATIEN

ZIEL

TUWA

ALTAI

BLACK LABEL

Zelte für alle Witterungen und jede Jahreszeit.

MONGOLEI

Oben rechts: Das Mountainbike gab es für umgerechnet 68 Euro auf dem Basar. Unten rechts: Vom Baikal bis in den Altai. Die Skizze zeigt den unglaublichen ­Verlauf der Reiseroute.

Tag 35, Kilometer 1236. Mein Flussabenteuer liegt schon mehr als eine Woche zurück, ich bin wieder im Sattel. Heute erreiche ich Kyzyl, die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tuwa und den geografischen Mittelpunkt Asiens. Gut 100.000 Menschen leben hier mitten in der Steppe an der Grenze zur Mongolei. Der Grund für meinen »Kurztrip« in die Zivilisation: Ich brauche eine neue Aufenthaltsgenehmigung für diese Region. Darüber hinaus hält mich nichts in der Stadt, es zieht mich weiter in Richtung Südwesten. Am Horizont erheben sich die schneebedeckten Gipfel des Tannu-ola-Gebirges, darunter leuchten die herbstlich-verfärbten Lärchen in sattem Gelb. Es ist kalt. Nachts, wenn ich im Zelt liege, höre ich die Wölfe heulen. Zu sehen bekomme ich die scheuen Tiere nicht. Tag 48, Kilometer 1754. Mondschein taucht die vom Frost erstarrte Landschaft in märchenhaftes Licht. Vor mir liegt der winterliche Altai mit seinen mächtigen Viertausendern. Ein mehr als vager Pistenverlauf, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und beständiger Schneefall. Abbrechen? Kommt nicht infrage. Am Tag darauf ist die Stimmung dahin. Ich komme kaum voran, verpasse sogar einmal den Abzweig. Zudem ist seit der letzten Flussdurchquerung die Hinterradnabe festgefroren, das Radeln unmöglich. Wieder einmal schiebe ich mein vollbeladenes Gefährt – bis ans Ufer des 2380 Meter hoch gelegenen Sees Khindiktig, wo ich mein Zelt aufschlage. An Schlaf ist nicht zu denken, der Wind dröhnt um die Wände meiner Behausung, als würde ein mongolischer Chor seine rauen Kehlkopfgesänge anstimmen. »Eigentlich ist es Wahnsinn, weiterzugehen«, notiere ich in mein Tagebuch. »Ein Wettlauf gegen die Zeit, gegen jeden Zentimeter Schnee, der täglich hinzukommt.« Zum ersten Mal auf der Reise mache ich mir ernsthafte Sorgen. Jenseits des Sees liegt zum Glück weniger Schnee, ich komme besser voran. Trotzdem bin ich weiter zu Fuß unterwegs. Ich trage zwei Paar Socken, durch Gefriertüten getrennt, damit die Schuhe nicht durchs Schwitzen vereisen. Die Kälte ist ein ausdauernder Gegner, lässt keinen Raum für Erholung. Nachts bläst der Wind erneut bei minus 20 Grad durchs Zelt.

Will Copestake/willcopestakemedia.com

Eisige Herausforderung

RED LABEL

Für jede Jahreszeit und jeden Einsatz.

Dann, am nächsten Morgen, fährt plötzlich ein Geländewagen vorbei. Jetzt brauche ich nur noch seinen Fahrspuren zu folgen! Meine Zuversicht ist zurückgekehrt. Vom Pass Buguzun, dem mit 2600 Metern höchsten Punkt meiner Reise, geht es zwar endlich wieder bergab, doch tiefe Furchen im Schnee machen das Vorwärtskommen erneut mühsam. Die vielen Furten sind leider nur teilweise gefroren. Dort heißt es: auf die Zähne beißen, Schuhe aus und durch. Oft breche ich barfuß durchs dünne Eis. Doch die Schuhe müssen unbedingt trocken bleiben … Tag 53, Kilometer 1884. Wieder rüttelt der Wind am Zelt. Doch vor mir im Tal sehe ich die Lichter von Kosh-Agach. Ich habe es geschafft! Erleichterung, Erschöpfung, Erfüllung … die Gefühle überwältigen mich. Zwei Monate lang trieb mich der Wunsch an, es hierher zu schaffen. Jetzt zieht es mich nur noch nach Hause. Text & Fotos: Richard Löwenherz

Petra Hilleberg

Glücksgefühle

YELLOW LABEL

Sehr leichte Zelte für die schneefreie Zeit im Jahr.

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HILLEBERG.COM

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ERLEBT: Eseltrekking Südostfrankreich

MIT KIND UND ESEL Was tun, wenn die letzte Trekkingtour schon viel zu lange zurückliegt, das Tragen des nötigen Gepäcks aber für die g ­ anze Familie zu schwer ist? Richtig – man sucht sich ebenso geduldige wie sympathische »Gepäckträger«. Wie die beiden langohrigen Grautiere Épopée und Caroline. Olaf, Anne, Anton und Gustav haben mit den Eseldamen das Arves-Massiv erkundet – und dabei allerhand Schönes und Aufregendes erlebt.

Das ist die Lösung! Ich lege die Zeitschrift beiseite, in der ich soeben gelesen habe. Seit einiger Zeit schon grüble ich, wie wir als Familie eine mehrtägige Bergtour unternehmen könnten. Viel zu lange schon bin ich keine steilen Wege mehr gekraxelt, viel zu lange schon sehne ich mich nach frischer Bergluft! Weder meine Frau Anne noch meine beiden Söhne Anton, sechs, und Gustav, acht, sind in der Lage, schwere Rucksäcke mit Zelt und Proviant zu tragen. Zugegeben, auch für mich sind die Zeiten vorbei, in denen ich noch mit leichter Hand das 30-Kilo-Gepäck schulterte … Auf überfüllte Berghütten haben wir wenig Lust. Doch jetzt weiß ich, wie wir es anstellen können: Ein Esel wird uns als Lasttier dienen, genauso wie der Familie in der Geschichte des Magazins. In den folgenden Tagen recherchiere ich im Internet. Schließlich finde ich, wonach ich suche: einen Eselhof im französischen Saint Jean d’Arves. Die kleine Gemeinde liegt in der Region Auvergne-Rhône-Alpes,

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rund 40 Kilometer östlich von Grenoble. Die Gegend ist vielversprechend: schneebedeckte Gipfel, Gletscherseen, ausgedehnte Bergwiesen, vereinzelte Nadelwälder … Es gibt viel Natur, in der wir campen können. Wenig später haben wir zwei Eselinnen für unseren Urlaub reserviert. Voller Vorfreude beginne ich mit den Vorbereitungen für unsere Reise.

Caroline und Épopée Dann beginnen die Sommerferien, endlich können wir los! Der Caddy ist vollgepackt, die Jungs sind furchtbar aufgeregt und wir ehrlich gesagt auch. Nach zwei Tagen Fahrt erreichen wir den Eselhof »Ânes en montagne« in Saint Jean d’Arves. Die Sonne strahlt vom Himmel und Marie Dauphin, die Hofeigentümerin, begrüßt uns herzlich. Kurz darauf trägt sie die Ausrüstung für die Tour zusammen: Halfter, Führstricke, Satteltaschen, Eselmedizin und Pflöcke für die Nacht. Mit Futter werden

sich die Tiere unterwegs selbst versorgen. Bis zu 40 Kilogramm Gepäck kann ein Esel tragen, wir können also großzügig packen. Schließlich holt Marie unsere Eselinnen von der Weide. Ehrfürchtig begrüßen wir die beiden starken Damen: die dunkle, selbstbewusste C ­ aroline und die weiße, etwas schüchterne Épopée. »Ein Spitzenteam, die zwei«, sagt Marie. Caroline ist die Chefin, zäh und cool. Sie soll mutig vorangehen, während ihr die ängstlichere Épopée nicht von ihrer Seite weichen wird. Ein Vorteil für uns, denn so brauchen wir eigentlich nur auf eine Eselin aufzupassen. Die Rechnung geht auf: Am nächsten Morgen führe ich Caroline vom Hof und Épopée trottet wie versprochen brav hinterher. Sie scheint sich ihres Namens, der im Deutschen »Heldentaten« bedeutet, nicht bewusst zu sein. Uns soll es recht sein – uns genügt es völlig, den Strick immer so straff zu halten, dass die Eselinnen nicht jeden Grashalm am Wegesrand abknabbern. Stetig, aber gemütlich geht es b ­ ergan.


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Links: Oft haben wir die wundervolle Gebirgslandschaft für uns alleine. Blick in ein wildschönes Seitental – irgendwo da unten werden wir später unser Oben: Verdiente Ruhepause für Füße und Hufe. Nachtlager aufschlagen. Unten: Mittag. Während sich die Tiere aufs Gras stürzen, kochen wir unsere Mahlzeit.

Etwa drei bis vier Kilometer laufen die Tiere im Durchschnitt pro Stunde. Gegen Mittag machen wir Pause an einem glitzernden Bach. Sofort stecken die Tiere ihre Mäuler ins kühle Wasser und beginnen zu trinken. Wir befreien sie vom Gepäck und pflocken sie an, für die verdienten Streicheleinheiten sorgen u ­ nsere Kinder. Während sich die Eselinnen auf das Gras stürzen (im Übrigen scheinen ihnen nur die großen Kletten am Wegesrand noch besser zu schmecken), stärken wir uns mit Müsliriegeln. Fehlt eigentlich nur noch ein Kaffee. Gedacht, getan. Schnell krame ich unseren neuen Gasbrenner heraus – und erlebe eine Enttäuschung. Eine undichte Stelle an der Zuleitung des Kochers entzündet sich immer wieder von selbst und macht so gar keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Schlagartig sinkt meine Stimmung, schließlich muss unser Proviant größtenteils gekocht werden! Etwas missmutig reiße ich einen Stoffstreifen vom Geschirrhandtuch, umwickele das Leck und beträufle es in regelmäßigen Abständen mit Wasser. Es funktioniert. Doch beim Aufbruch zeigt sich auch schon das nächste Problem: Antons gebrauchte Wanderschuhe gehen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Leim,

die komplette Sohle löst sich vom Schuh! Ich Esel … habe zwar Reparatur­ kleber dabei, doch der reicht nicht für zwei komplette Schuhsohlen. Zum Glück sind noch ein Paar, wenn auch ­ suboptimale Turn­ schuhe im Gepäck.

wenn die Eselinnenin über nasse Stellen springt oder über Steine klettert. Danach ist Anton an der Reihe. Er hält es etwas länger aus als sein Bruder, ist aber ebenso froh, als er wieder auf zwei Beinen stehen kann. Auf weitere Reitversuche verzichten die beiden großzügig.

Reitversuche Am Nachmittag erreichen wir unseren ersten Schlafplatz an einem kleinen See unweit des Col de la Croix de Fer. Der rund 2000 Meter hohe Pass, dessen Höhe ein eisernes Kreuz ziert, ist bei Rennradlern und Tagesausflüglern beliebt. Doch mit dem Sinken der Sonne sind die letzten Gäste verschwunden und wir haben die beeindruckende Alpenlandschaft für uns allein. Erschöpft, aber glücklich krabbeln wir in unser Zelt. »Hoffentlich halten die Pflöcke, an denen wir die Eselinnen angebunden haben«, sage ich im Einschlafen zu Anne. Entsprechend gilt beim Aufwachen der erste Blick den Tieren. Puh! Sie sind noch da. »Ich will reiten!«, ruft da schon Gustav. Wenn er unbedingt möchte … Gleich nach dem Frühstück wagt er sich auf Carolines Rücken, Anne führt das Tier am Strick. Es schaukelt mächtig, vor allem,

FRANKREICH

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Oben: Der erste Blick in der Früh gilt den Eselinnen. Sind sie noch da? Unten: Ein Zeltplatz ganz nach unserem Geschmack – einsam und wunderschön.

Hinter einer Biegung des breiten Wegs erblicken wir die ersten Schneefelder – und die müden Beine unserer Jungs sind Schnee von gestern! Erst nach einer ordentlichen Schneeballschlacht geht es weiter. Es ist Wochenende, entsprechend viele Wanderer sind unterwegs. Die vollgepackten Eselinnen sind eine kleine Sensation. Stolz wie Dompteure in einem Zirkus posieren unsere Kinder neben den Tieren und geben die erfahrenen Führer. Am Abend lassen wir eine Berghütte links liegen und ziehen in Richtung des nahen Bergsees – für unseren Geschmack ganz klar die romantischere Wahl für die Nacht.

Neue Herausforderungen Auch am nächsten Morgen strahlt die Sonne vom Himmel. Doch ich fühle mich alles andere als gut: Ich habe mir eine Sommergrippe eingefangen! Glücklicherweise hatten wir für heute nur einen Tagesausflug zum Gletscherrand des Glacier de Sorlin geplant. Also werde ich kurzerhand zum Esel- und Lagerhüter ernannt, während Anne und die Jungs alleine zum Eis am Fuße des gut 3400 Meter hohen Pic de l ́ Étendard aufbrechen. Nach einem ganzen Tag Ruhe und mit

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Unterstützung aus unserer Reiseapotheke bin ich in der Lage, weiterzuziehen. Gleich hinter dem charmanten Talkessel, der uns als »Basecamp« diente, wartet eine weniger schöne Skilandschaft. Zwischen Liftanlagen, metallisch glänzenden Schneekanonen und riesigen Fangnetzen inmitten einer abgewetzten Steinwüste kommen wir uns vor wie in einem apokalyptischen Science-Fiction-Film. Zum Glück haben wir zwei Stunden später dieses Negativbeispiel für den Alpentourismus hinter uns gelassen. Wir verbringen unsere Mittagspause auf einem großen Felsen. Der Kocher leckt noch immer, doch das wird angesichts der beeindruckenden Aussicht schnell zur Neben­ sache: Wir blicken in ein wunderschönes Seitental, und irgendwo da unten soll laut der Karte, die Marie uns mitgegeben hat, unser nächstes Nachtlager sein. Der steile, steinige Weg bergab ist eine Herausforderung. Nicht nur Anton, der ja in seinen Turnschuhen läuft, hat Probleme – auch ich kämpfe. Caroline legt ein gehöriges Tempo an den Tag und ich verspüre erstmals Angst, unter ihre behaarten »Räder« zu kommen. Ich fasse den Strick kürzer und lehne mich mit meinem Gewicht nach hinten, aber von dort »schiebt« Épopée und bald bin ich völlig außer Atem. Erst nach einer Weile

Oben: Was sich wohl hinter der nächsten Biegung verbirgt? Unten: Ab und zu queren wir kleine Bäche.

habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, an welchen Stellen ich abbremsen muss und wann es besser ist, die Tiere am langen Seil vor mir zu haben. Wir nächtigen am Ufer eines Bergbachs im hohen Gras. Am Morgen Frühstück zu machen, das Zelt abzubauen, die Sachen zu packen und auf die Eselinnen zu laden, ist inzwischen schon Routine. Zudem hat sich mittlerweile eine vertrauensvolle Beziehung zwischen uns und den sanftmütigen Tieren aufgebaut. Wir schauen, dass sie gutes Gras bekommen, sprühen Anti-Insektenmittel auf ihr Fell, verarzten kleinere Wunden – und sie tragen im Gegenzug ohne zu murren unser Gepäck. Der anfängliche Respekt der Kinder ist verflogen, ausgiebiges Kuscheln mit den Langohren ist zum täglichen Ritual geworden. Die heutige Tagesetappe ist kürzer als sonst. An einer Hütte am Wegesrand gönnen wir uns ein Eis am Stiel, später lassen wir den Abend gemütlich am Lagerfeuer ausklingen.

Überraschender Wagemut Mäßig beherzt schleichen wir uns am nächsten Tag durch eine hörnertragende Rinderherde. Ein


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Rechts: Wahre Freundschaft: Schon nach kurzer Zeit haben die Kinder ihre anfängliche Scheu abgelegt. Von nun an nutzen sie jede Gelegenheit, um sich bei den Eseldamen mit ausgiebigen Streicheleinheiten zu bedanken.

gewaltiges Donnergrollen ertönt aus dem Nachbartal und lenkt unsere Sorgen auf das W ­ etter. Glücklicherweise bleibt das Gewitter aus, lediglich den nachmittäglichen Regen müssen wir überstehen – was unter dem breiten, mit unserem Tarp erweiterten Vordach einer verschlossenen Hütte leicht gelingt. Später reißen die Wolken auf und am Abend funkeln erneut die Sterne am Himmel. Ich genieße gerade ihren Anblick, als ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, wie Épopée ihren Pflock aus der Erde zieht. »Nicht …!« Doch weg ist sie! Im Nu bin ich auf den Beinen und laufe hinter ihr her in die Dunkelheit. Nach einer Weile habe ich sie entdeckt. Doch als sie mich sieht, nimmt sie erneut Reißaus. Die schüchterne Eselin hat sich anscheinend ein Herz gefasst … Ich wende all meine Überzeugungskunst an, locke sie mit frischem Gras und rede ihr gut zu. Erfolglos. Immer, wenn ich nach ihrem Halfter greifen will, weicht sie mir aus. Schließlich gebe ich auf. Soll sie doch ihre Heldentaten haben! Ich kontrolliere Carolines Pflock noch einmal und vertraue auf die Verbundenheit der Tiere. Und tatsächlich: Am Morgen ist Épopée wieder da. Gustav fängt das Grautier ohne Mühe – das viele Kuscheln macht sich offensichtlich bezahlt. Beim Frühstück beginnt es zu tröpfeln und bald darauf hat es sich so richtig eingeregnet. Wir halten Rat. Schweren Herzens beschließen wir, den kürzesten Weg zurück zur Eselstation zu nehmen. »Schade«, seufzt Anton. Sein Bruder pflichtet ihm bei. Und auch Anne und ich sind ein wenig wehmütig. Gerne wären wir noch länger mit unseren neuen vierbeinigen Freundinnen in dieser traumhaft schönen Alpenlandschaft unterwegs gewesen. Da hilft nur Wiederkommen … Text & Fotos: Olaf Meinhardt

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ERLEBT: Weitwandern in Neuseeland

DER LANGE PFAD Von einsamen Stränden zu schroffen Vulkanen, durch wilde Wälder in pulsierende Städte: Auf dem 3000 K ­ ilometer langen Fernwanderweg »Te Araroa« lässt sich die sagenhafte Landschaft Neuseelands in ihrer ganzen Vielfalt ­erleben. Vorausgesetzt, man hat Zeit … Das lose Geröll knirscht und bröckelt unter meinen Schuhen. Einen Schritt vorwärts, einen halben zurück. Die letzten Meter bis auf den Bergsattel lege ich in Zeitlupentempo zurück. Doch dann ist es geschafft: Völlig außer Puste stehe ich auf dem 1925 Meter hohen »Stag Saddle«, dem höchsten Punkt des Fernwanderwegs »Te Araroa«. Durchschnaufen? Fehlanzeige. Die unfassbare Pracht der neuseeländischen Alpen raubt mir sofort aufs Neue den Atem: Vor mir erheben sich gigantische Bergmassive, ­d arunter ein eisblauer See, darüber bizarre Wolkenformationen. 2379 Kilometer habe ich zurück­ gelegt, um hier oben zu stehen, 621 liegen noch vor mir bis zum Ziel.

Aufbruch ins Ungewisse Dreieinhalb Monate zuvor: Erschöpft vom Flug und den ersten Tagen im geschäftigen Auckland stehe ich Ende Oktober am Cape Reinga. Hier, am nördlichsten Zipfel Neuseelands, wo die Tasmanische

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See und der Pazifik aufeinandertreffen, startet der »Te A ­ raroa«, was aus dem Maorischen übersetzt der »lange Pfad« bedeutet. Über beide Inseln Neuseelands soll er mich führen, bis zur Südspitze des Landes, nach Bluff. In meinem Kopf schwirren viele Fragen: dreitausend Kilometer zu Fuß, vier bis fünf Monate aus dem Rucksack leben – schaffe ich das? Und wie wird mich der Trail verändern? Um auf Reisen zu gehen, bin ich aus meinem »normalen« Leben ausgebrochen, habe meinen Job gekündigt. Und mich gründlich vorbereitet: Karten ausgedruckt, GPS-­ Daten heruntergeladen, Ausrüstung zusammengestellt, Foren, Bücher und Blogs durchforstet … Dennoch: So richtig weiß ich nicht, worauf ich mich hier einlasse. Schritt für Schritt, Tag für Tag, Etappe für Etappe will ich mich dem Abenteuer stellen. Vom Cape Reinga aus beschreite ich den ersten Abschnitt des Trails, den »Te Oneroa A Tohe«, auch Ninety-Mile-Beach genannt. Vier Tage wandere ich an einem schier endlos langen breiten weißen Sandstrand entlang gen Süden, die Weite des Ozeans auf

der einen, sanfte Dünen auf der anderen Seite. Ein Anblick wie von einer Fototapete. Doch schon nach kurzer Zeit wird die Aussicht zur Nebensache, der Strand mehr und mehr zu meiner ersten Herausforderung: Die immer gleiche Landschaft bietet dem Auge kaum einen Fixpunkt, Windböen treiben mich in Richtung Meer, der umherwirbelnde Sand setzt sich in jede Ritze, brennt in den Augen und knirscht zwischen den Zähnen. Trotzdem kommt es mir vor, als atme ich mit jedem Schritt leichter. Ich bin überglücklich, endlich unterwegs zu sein. Genieße die Bewegung, die Natur und meine neu gewonnene Freiheit. Alles, was ich brauche, trage ich in meinem Rucksack.

Die Bewährungsprobe Wie die meisten Wanderer laufe ich den Te Araroa »SoBo«, »southbound«, also von Norden nach Süden. Lasse die einsamen Strände der Westküste hinter mir und bewege mich landeinwärts, in die legendären »Northland Forests« Herekino, Raetea, Puketi und


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Ganz links: Die Überquerung des Vulkans Tongariro bietet fantastische Ausblicke auf die Emerald Lakes. Oben: Lohnender Abstecher zu den Traumstränden des Abel Tasman Nationalparks. Unten: Geschafft! Am Stag Saddle, dem höchsten Punkt des »Te Araroa«.

Omahuta. »Wusstest du, dass der SAS, eine Spezial­ einheit des neuseeländischen Militärs, in diesen Wäldern trainiert?«, fragt mich einer der anderen Wanderer, mit denen ich am Vorabend der zweiten Etappe zusammensitze. Einige hier sind echte Fernwander-Veteranen, die schon mehrere Tausend Meilen in den Beinen haben. Erstaunt inspiziere ich ihre minimalistische Ausrüstung – mancher Tagesausflügler schleppt einen größeren Rucksack mit sich als sie. Sie erzählen mir, dass die bevorstehende Strecke als eine Art Feuertaufe gilt. Wer sie meistert, so heißt es, der schafft es bis nach Bluff. Gemeinsam mit den Mexikanern Eduardo und Hassam stelle ich mich der Herausforderung. Früh ­ am nächsten Morgen wagen wir uns in die Wälder: ­Urwaldgleich und dicht sind sie, Bäume und Lianen scheinen uns von allen Seiten einzuschließen, immer wieder versperren uns undurchdringliche grüne Wände den Weg. Wir steigen über Wurzeln und stapfen durch kniehohen Schlamm. Mal geht es steil bergauf, dann wieder rutschbahnartig bergab. Ich fühle mich wie auf

Willkommene Abkühlung am Wegesrand: ein Wasserfall im Nelson Lake Nationalpark.

einem gigantischen, äußerst matschigen Abenteuerspielplatz. Die Tui, eine ausschließlich in Neuseeland vorkommende Vogelart, kommentieren jeden meiner Ausrutscher mit exotischen Rufen. Doch dann, am fünften Tag, schlittere ich erschöpft, schlammbesudelt und glücklich aus dem letzten der vier Wälder. Geschafft! Von nun an geht es deutlich entspannter Richtung Ostküste. Über Strände und Farmland schlängelt sich der Weg bis nach Auckland. Je näher ich der Insel­ metropole komme, desto offenkundiger wird, dass der »Te Araroa« noch in den Kinderschuhen steckt. Ende 2011 eröffnet, ist er der jüngste unter den zehn längsten Fernwanderwegen der Welt. An vielen Stellen mangelt es an einer durchgehenden Markierung, und die einzelnen Trailabschnitte sind oftmals durch Straßen, Forst- und Farmwege verbunden. Etwa 80 Kilometer führen sogar an Highways entlang. Ich beschließe, sie per Anhalter zurückzulegen. Dadurch spare ich mir nicht nur ödes Asphalttreten, sondern komme außerdem mit den Einheimischen in Kontakt. Ihre Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft sind überwältigend.

Sie reicht vom Interesse an dem, was ich mache, über eine Einladung zu Tee und frisch gebackenem Kuchen bis hin zu dem Angebot, im Vorgarten zu zelten. Dennoch fehlt mir die Natur. Ich bin froh, als der Trail mich wieder in abgeschiedenes Gelände führt: an einem rauschenden Fluss entlang, über weite saftig grüne Wiesen, durch Gestrüpp und Dornen, sodass ich am Abend mit Kratzern übersät bin. Und dann endlich in alpineres Terrain mit gewaltigen Felsformationen und kargen, unwirtlichen Steinwüsten, die Mondlandschaften gleichen. Tag 46, die Überquerung des Vulkans Tongariro steht an. Eine Szenerie, die den Fans der Verfilmung von »Herr der Ringe« als düsteres Reich Mordor bekannt ist. Glücklicherweise muss ich mich nicht wie Hobbit Frodo, dem Helden der Geschichte, mit Orks und anderen Dienern böser Mächte herumschlagen. Trotzdem muss ich noch öfters an das Fantasy-Epos denken. Zum Beispiel, als ich mit meinen »Gefährten«, fünf anderen Wanderern, 150 Kilometer auf dem Whanganui-River paddelnd zurücklege. Wir haben

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Oben: Über den Weiten der Canterbury-Region thronen die Berge. Der schneebedeckte Mount Cook überragt sie alle.

RAUSZEIT-TIPPS • Viele nützliche Infos zum Trail unter www.teararoa.org.nz • Zur Orientierung die App »Guthook« nutzen (das »Te Araroa-Bundle« kostet derzeit rund 60 NZD); als Backup das passende Kartenmaterial mitnehmen (als pdf auf der »Te Araroa«Homepage verfügbar) • Weniger ist mehr: Mit einem Rucksack-Basisgewicht (ohne Essen und Wasser) von maximal acht Kilo kommen durchschnittlich Trainierte gut zurecht • Mit dem DOC Backcountry Hut Pass (derzeit 92 NZD), kann ein Netz von über 950 Hütten genutzt werden • Wer den Trail im Oktober / November startet, sollte von Nord nach Süd laufen; ab Dezember / Januar empfiehlt sich die entgegengesetzte Richtung • Wer nicht so viel Zeit hat, sollte nur die Südinsel erwandern oder hier einzelne Etappen auswählen

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Unten: Über 200 Mal gilt es alleine auf der Südinsel Flüsse zu durchqueren. Ganz rechts: Traumhafte Zeltplätze gibt es alle Nase lang. Darunter: Frisch gezapft – das Wasser aus den Bergbächen ist in der Regel gut trinkbar.

uns Kajaks geliehen und sind froh, dass die Beine endlich ein wenig entspannen können. Danach sind es nur noch gut 300 Kilometer bis nach Wellington, der Hauptstadt Neuseelands und dem Ende der Nordinsel. Nur noch? Sie haben es in sich. Oft habe ich von den plötzlichen Wetterumschwüngen in Neuseeland gehört. In den wilden Tararua Ranges lerne ich sie kennen: Von einem Tag auf den anderen, beim Anstieg auf 1000 Höhenmeter, fällt die Temperatur von hochsommerlichen 30 Grad auf den Gefrierpunkt. Ein kräftiger, eiskalter Wind treibt mir Hagelkörner ins Gesicht und lässt mich auf dem schmalen Bergkamm zittern und schwanken. Doch schon am nächsten Tag ist der Sommer zurück. Verblüfft frage ich mich, ob ich das Winterintermezzo nur geträumt habe.

Wasser, Wasser und wieder Wasser Tag 71, Richmond Ranges: Es rauscht, es tost, es prasselt. Nur ein dünnes Wellblechdach schützt vor dem Regen, der aus dem bleigrauen Himmel niedergeht. Es ist die dritte Nacht in der MidWairoa-Hütte, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, der in Steinwurfweite die schmale Schlucht

hinunterbraust. Mit dreizehn anderen Wanderern sitze ich in der für sechs Personen ausgelegten Hütte fest. Wir müssen abwarten, können weder vor noch zurück – der Weg ist in beide Richtungen durch Wassermassen abgeschnitten. Egal, ich habe es nicht eilig. Kein Autolärm, kein Telefon, das klingelt, kein Internet, keine Nachrichten aus aller Welt stören die erzwungene Pause. Ich blicke auf meine mitgenommenen Schuhe, die am Ofen trocknen, und denke zurück: Schon vor zehn Tagen bin ich mit dem Schiff auf die Südinsel übergesetzt und habe mich in die Wildnis und Abgeschiedenheit der neuseeländischen Alpen begeben. Im Gegensatz zur Nordinsel befinde ich mich hier fast immer fernab jeglicher Zivilisation. Und: je weiter südlich es geht, desto rauer und anspruchsvoller wird der Weg. Selten ist er als überhaupt noch als solcher erkennbar, g ­ roße Metallstecken bilden die einzigen Markierungen. Sie ­s tehen mitten im »Nichts«, führen durch Flüsse oder stehen mal links, mal rechts ihrer Ufer. Noch nie habe ich auf einer Wanderung so häufig Gewässer durchqueren müssen wie hier: Über zweihundert Mal gilt es auf der Südinsel durch Flüsse zu waten, viele davon durch hohe Pegel und starke Strömung


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knifflig. Brücken sind Mangelware und wenn, handelt es sich lediglich um eine schwingende Konstruktion aus drei Stahlseilen. Sprich: Trockene Füße sind ­Luxus, Kenntnisse im Furten ein Muss. Tag 104. Wenn ich nicht gerade durch Wasser wate, kraxele ich über Steinblöcke, wandere über ausgesetzte Bergkämme, steige steile Hänge empor und klettere auf der anderen Seite – teils auf Händen und Füßen – wieder hinunter. Das Höhenprofil mancher Etappe gleicht dem EKG eines Patienten mit Herzrhythmusstörungen. Die Entschädigung für alle Anstrengungen: schneeüberzuckerte Gipfel, tosende Wasserfälle, glasklare Seen, verwunschene Wälder, endlose Täler und 360-Grad-­ Panoramen, bei denen mir die Kinnlade herunterfällt. Wie hier, auf dem Stag ­S addle, wo ich einfach nur staune. Auch über mich selbst. Meine anfängliche Sorge, ob ich den »Te Araroa« meistern START werde, ist mit jedem zurückgelegten Kilometer kleiner geworden. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob ich auch das letzte noch vor mir liegende Fünftel schaffen werde, ich kann mir NEUSEELAND gar nichts anderes mehr vorstellen. Ich fühle mich fitter und ausgeglichener als jemals zuvor. Sicher, nicht alles lässt sich planen. Aber der »lange Pfad« lehrt mich immer wieder aufs Neue, beharrlich, gelassen und flexibel zu bleiben – und belohnt mich dafür mit seiner schier unfassbaren Schönheit.

ext: Ute von Figura T Fotos: Ute von Figura & Eduardo Aguirre

ZIEL

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BESSERWISSER: Rucksäcke

TRAUMTRIP­TRANSPORTER Ich packe meinen Rucksack … Schon beim Bestücken des Gepäcks beginnt die Reise, die Vorfreude wächst. Kaum ein Ausrüstungsgegenstand in der Outdoor-Garderobe steht so sehr für den Aufbruch in neue Abenteuer. Doch der Grat zwischen Lust und Last ist schmal. RAUSZEIT gibt (ge)wichtige Rucksack-Tipps.

Was haben Sir Edmund Hillary, Mike Horn und du gemeinsam? Ihr – und Millionen andere abenteuerund frischluftaffine Zeitgenossen – tragt eure Träume, eure Ziele und eure Ausrüstung auf dem Buckel. Für uns Zweibeiner ist das überall dort, wo sperrige Hilfstransportvehikel nichts verloren haben, seit langer Zeit die praktikabelste Option, unsere sieben oder 17 Sachen mitzuführen. Bereits der Mann vom Tisenjoch, besser bekannt unter seinem Künstlernamen »Ötzi« (nein, nicht der DJ), nutzte die Kraft seiner Schultern ungefähr 3300 v. Chr., also in der Jungsteinzeit, um mit seiner Kraxe aus Hasel- und Lärchenholz Proviant & Co. von Tirol in Richtung I­talien zu schleppen. Aus dieser und ähnlichen Ur-Kraxen entwickelten sich über einen erdgeschichtlich recht kurzen Zeitraum unterschiedliche Tragehilfen: »Nur« gut 5000 Jahre später, Anfang des 20. Jahrhunderts, kam der Rucksack dem, was wir heute als solchen bezeichnen, schon erstaunlich nahe. Um die Modelle von Deuter und Bergans, den beiden großen Pionier-Marken jener Zeit, kamen viele AbenteuerAspiranten jahrzehntelang nicht herum: Der »Tauern« zierte und quälte die Rücken seiner Besitzer bei zahllosen alpinistischen Heldentaten ebenso wie es der »Bergans Meis og Rygsaek« mit Patent Nr. 20547 tat. Erst Ende der 60er- / Anfang der 70er-Jahre nahmen sich barmherzige und geniale RucksackVisionäre wie Greg Lowe (Gründer von Lowe Alpine) oder Mike Pfotenhauer (Gründer von Osprey) unseren anatomischen Bedürfnissen und damit dem Tragekomfort an. Der Wechsel vom Außen- zum Innentragegestell war sicher einer der größten Meilensteine

in der Rucksack-Evolution. Und mit der Erfindung des ersten belüfteten Netzrückensystems stand dem Wandel von der Traglast zur Traglust fast nichts mehr im Wege.

Was will ich, was soll er können? Aus einem recht übersichtlichen Portfolio hat sich in den vergangenen 30 Jahren die Qual der Auswahl entwickelt. Für nahezu jede Aktivitäten-Nische gibt es einen ebenso spezifischen Lastenträger – vom ultraleichten 8-Liter-Trailrunning-Rucksack über schlanke, aber robuste Alpin-Modelle bis hin zum vollausgestatteten 75-Liter-Trekking-Raumwunder, in dem quasi nur noch die integrierte Espressomaschine fehlt. Häufige Varianten sind Tagesrucksäcke (auch »Daypacks« genannt) mit 15 bis 30 Liter Stauvolumen und Tourenrucksäcke mit 30 bis 45 Liter Volumen. Letztere haben einen sehr breiten Einsatzbereich. Klar, für die mehrtägige oder -wöchige

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Lappland-Tour wirst du kaum um ein Dickschiff à 70 Liter herumkommen. Doch bei der Transportplanung gilt eine Weisheit, die dich beim Packen zur Weißglut treibt, aber beim Tragen glücklich machen wird: Nimm lieber das kleinere Modell, denn dein Rucksack wird immer voll sein. Und anders als beim geräumigen VW-Bus musst du jedes zusätzliche Gramm buckeln. Allerdings kann auch am falschen Ende Gewicht gespart werden: Wiegt das kleinere Ultraleicht-Modell vielleicht gerade mal 900 Gramm, wird es dich und deine 15-Kilogramm-Ausrüstung vermutlich in die Knie zwingen. Und schon wird aus der Traumtour ein Albtraum-Erlebnis. Unsere Empfehlung: Lass dich von Menschen mit viel Erfahrung beraten.

Lust oder Last – die richtige ­Gewichtsverteilung Die Funktionalität eines Lastenträgers setzt sich zusammen aus der Ausstattung und dem Tragekomfort. Damit Letzterer positiv ausfällt, müssen Lastverteilung, Passform und Belüftung stimmen. Dabei ist das reine Gewicht weniger problematisch als die permanente Verschiebung des Gesamtschwerpunktes, der sich aus dem Schwerpunkt der Last und dem eigenen Körperschwerpunkt zusammensetzt. Je enger sie zusammenliegen und je näher der Lastenschwerpunkt an der Körperlängsachse liegt, desto energiesparender, ermüdungsärmer und stabiler sind wir unterwegs. Gerade auf Trekkingtouren bietet sich leider häufig ein eher bemitleidenswertes Bild: Menschen mit (zu) schweren Rucksäcken versuchen meist unbewusst, den Schwerpunkt zu zentrieren, indem sie ihren Oberkörper nach vorne beugen. Auf langen Etappen ist diese Haltung allerdings ermüdend und belastet Becken, Hals- und Lendenwirbelsäule übermäßig. Es gilt: Neben der möglichst zentralen bzw. ausgeglichenen Lastverteilung (siehe Infokasten »Richtig packen«) spielt die Gewichtsübertragung auf den menschlichen Körper die entscheidende Rolle. Die Stunde des Hüftgurts! In puncto Kraft, Stabilität und Druckempfindlichkeit sind Becken und Hüfte unseren Schultern haushoch überlegen; sie können dementsprechend eine größere Last über längere Distanzen (ver)tragen. Wichtig: 1. Der Hüftgurt sollte mit dem oberen Drittel auf dem Beckenkamm

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Hier ein Überblick über die wichtigsten Ausstattungsmerkmale von Touren- und Trekking-Rucksäcken:

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(01) Deckeltasche

(05) Hauptfach

(09) Stockhalterung

(02) Schultergurte

(06) Hüftgurt

(10) Trinkblasen-System

(03) Lastkontrollriemen

(07) Rückenplatte/-system

(11) Seitentaschen

(04) Brustgurt

(08) Spannriemen

(12) Bodenfach


FOTO Dan Milner

FOTO Dan Milner

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Oben links: Sitz und Gewichtsverteilung sind essenziell. Unten: Einzelne Rucksackmodelle sind wasserdicht, viele dagegen mit einer abnehmbaren Regenhülle ausgestattet.

aufliegen. 2. Beim Festzurren nicht schüchtern sein – ein rutschender, scheuernder Hüftgurt kostet Nerven, Kraft und Haut. 3. Zwischen 70 und 90 Prozent des Rucksackgewichts können auf den Becken­ knochen geparkt werden. Allerdings brauchen auch die stärksten Hüften mal eine Pause. Deshalb solltest du nach längerer Gehzeit die Gewichtsverteilung zwischen Hüft- und Schultergurt kontinuierlich ändern. Das schont deinen Körper und verlangsamt die Ermüdung. 4. Alles, was du unter dem Hüftgurt trägst, entscheidet ebenfalls über den Komfort. Kräftige Gürtel, Reißverschlüsse und Schnallen können hier ebenso stören wie scheuernde Stoffe oder Nähte. Seit einigen Jahren machen manche Hersteller Hüft- und teilweise auch Schultergurte an ihren Aufhängepunkten beweglicher, was die natürliche Biomechanik des Menschen unterstützen soll. Wie komfortabel sich das anfühlt, ist aber auch individuelle Geschmackssache. Apropos individuell: Ähnlich wie schlecht sitzende Schuhe kann dir ein falscher oder falsch eingestellter Rucksack die gesamte Tour vermasseln. Rückentyp, Rückenlänge, Passform, Hüftgurt, Ausstattung … es gibt tatsächlich viele Parameter, die über Hass oder Liebe entscheiden. Welcher Lastesel dein Abenteuergefährte sein soll, wählst du letztendlich selbst, aber eine profunde Entscheidungshilfe, die bekommst du im Outdoor-Laden. Damit aus deinen Träumen nicht nur Ziele, sondern auch schöne Erinnerungen und Erzählungen werden. ext: Moritz Becher T Fotos: ZVG

Oben rechts: State of the Art vor rund hundert Jahren: der »Meis« von Bergans. Unten Mitte: Verstellbare Rückenlängen ermöglichen eine bessere Anpassung an die Anatomie des Trägers. Unten rechts: Packsäcke halten Ordnung im Rucksack und erleichtern das Ein- und Auspacken.

RICHTIG EINSTELLEN • Rückenlänge ­bestimmen und einstellen: ­Gute Trekking-Rucksäcke haben eine Längenverstellung oder sind in verschiedenen Rückenlängen erhältlich. Die Länge des Torsos wird vom siebten Halswirbel bis zum Beckenkamm gemessen. • Schultergurte: sollten rückseitig 5 – 10 cm aufliegen. Bei angeschwollenen Händen oder leichtem Taubheitsgefühl in den Armen unbedingt Position bzw. Gewichtsverteilung anpassen. • Lastkontrollriemen: Je straffer, umso körpernaher die Last und desto besser die Lastenkontrolle (v. a. im anspruchsvollen Terrain); je mehr Spielraum, desto mehr Belüftung und Beweglichkeit (z. B. in leichterem Gelände). Die Riemen nie so fest anziehen, dass die Schultergurte rückseitig nicht mehr aufliegen. • Brustgurt: angenehme Distanz der Schulter­ gurte, straff, aber ohne die Atmung einzuschränken. Verlauf auf mittlerer Brusthöhe, bei Damen etwas höher. • Hüftgurt: etwa ein Drittel des Hüftgurtes oberhalb des Beckenkamms platzieren; so festziehen, dass er satt sitzt, ohne einzuengen.

RICHTIG PACKEN • Sämtliches Transportgut thematisch aufteilen und in ultraleichte Packsäcke verstauen. Das erleichtert die Logistik auf Tour. • Schwere Gegenstände so nah wie möglich am Rücken positionieren. In einfachem Gelände etwa auf zwei Drittel der Rucksackhöhe. Je alpiner das Terrain, desto tiefer, um den Schwerpunkt niedrig zu halten. • Großvolumige, leichtere Ausrüstung (wie der Schlafsack) gehört ins Bodenfach. • Schwere Dinge zu den Seiten und nach hinten mit leichteren Gepäckstücken fixieren. Wenn nötig mit seitlichen Spannriemen komprimieren. • Kleinere Gegenstände griffbereit in den Deckel-, Seiten- und Hüftgurttaschen verstauen. • Feuchtigkeitsempfindliche Ausrüstung wie Schlafsack und Bekleidung in wasserdichten Drybags transportieren. • Möglichst das gesamte Gepäck im oder fest am Rucksack unterbringen. Schwingende Gegen­ stände kosten zusätzliche Energie und bleiben gerne an Ästen hängen.

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EINBLICK: Schutz der letzten Wildflüsse Europas

HERZSTRÖME Das Hinterland des Balkans ist eine vergessene Region. Jahrzehntelange politische Instabilität hat eine i­ndustrielle Entwicklung im großen Stil verhindert. Dadurch blieb ein gigantisches Flusssystem weitgehend unberührt – eine Wildnis, die in Europa einzigartig ist. Doch anstatt dieses Juwel zu bewahren, sollen 3000 Wasserkraftwerke gebaut werden. Die Initiative »Rettet das blaue Herz Europas« will das verhindern.

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Male dir eine Märchenlandschaft aus. Wie würde sie aussehen? Vielleicht so: wilde Berge, geheimnisvolle Wälder, grüne Wiesen und klare, blaugrün leuchtende Flüsse, die sich durch schroffe Schluchten und weite Täler schlängeln. Weiße Kiesbänke, das Wasser und die Ufer voller Leben. Diese Landschaft gibt es wirklich, mitten in Europa. Noch. Geprägt von jahrzehntelanger politischer und wirtschaftlicher Instabilität, hat der Balkan unbewusst einen Schatz bewahrt: die letzten echten Wildflusslandschaften Europas. Mit einem Artenreichtum, der seinesgleichen sucht. Ein potenzielles E ­ ldorado für Paddler, Wanderer, Kletterer und Fliegenfischer. Und jetzt stelle dir vor, diese Märchenlandschaft würde zerstört, komplett, für immer. Um Wasserkraftwerke zu bauen. Nicht 20, sondern knapp 3000. »Jedes einzelne Fließgewässer, und möge es noch so klein sein, ist in irgendeiner Form für ­Wasserkraftwerke verplant«, sagt Ulrich Eichelmann von der Umweltschutzorganisation RiverWatch und Mitbegründer der Initiative »Rettet das blaue Herz Europas«. Moment, Wasserkraft ist doch nachhaltig, oder? Tatsächlich ist die Energie- und Umweltbilanz von Wasserkraftwerken jedoch mehr als ernüchternd. Werfen wir einen Blick auf Deutschland: Aktuell sind bei uns etwa 7700 Wasserkraftwerke in Betrieb. Fast alle, circa 7300, sind sogenannte Kleinwasserkraftanlagen, die nur sehr wenig Energie erzeugen. Fast 90 Prozent des Stroms aus Wasserkraft werden aus den 400 größten Anlagen gewonnen. 2016 betrug der Anteil der Wasserkraft am gesamten Energie-Mix der Bundesrepublik gerade einmal 0,7 Prozent, der Anteil der vielen Kleinanlagen nur

0,07 Prozent. Deshalb mache ihr Bau wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn, sagt Ulrich Eichelmann. Mehr noch, ökologisch betrachtet sei er eine absolute Katastrophe. Doch 91 Prozent der aktuell in den Balkanländern geplanten Projekte sind Kleinkraftwerke. Anders als in Deutschland gibt es dort zudem nur wenig Infrastruktur. »Da musst du erst tausend Mal Straßen und Stromtrassen bauen, Wasser ableiten, Dörfer beeinflussen«, ergänzt der studierte Landschaftsökologe.

So frei fließt die Vjosa in Albanien möglicherweise nicht mehr lange: Auch hier sind Wasserkraftwerke geplant.

Unten: Die ursprüngliche Natur der Balkanländer fällt Oben: Für die Landbevölkerung bilden die Balkan­ dem Staudammbau zum Opfer. flüsse die Existenzgrundlage.

Zerbrechliche Schönheit Aufgewachsen an einem kleinen Fluss, hat die Gewässerliebe Ulrich Eichelmanns Leben geprägt. Bereits als 14-Jähriger legte er sich öffentlichkeitswirksam mit Naturzerstörern an. »Die Wildheit, Vielfalt und Schönheit der Balkanflüsse ist beispiellos in Europa, vielleicht sogar weltweit«, schwärmt er und fügt hinzu: »In Bosnien, Montenegro oder Albanien können wir quasi sehen, wie vielfältig unsere Flüsse früher waren, bevor wir sie zerstört haben«. Die Sachlage pro Artenschutz ist eindeutig: 69 Fischarten kommen ausschließlich in den Balkangewässern vor – und es werden immer noch neue, bis dato unbekannte entdeckt. 28 Prozent aller bedrohten Süßwasserfischarten Europas sind hier heimisch. Ähnlich fällt die Bilanz bei Insekten, Süßwassermuscheln und -schnecken aus. »Über 20.000 intakte Wildflusskilometer stehen vor der unwiderruflichen Zerstörung«, sagt der Umweltschützer. Aktuell konzentriert sich die Kampagne auf vier besonders wertvolle Schwerpunktgebiete: die Vjosa in Albanien,

den Mavrovo Nationalpark in Mazedonien, die Save auf ihrer gesamten Fließstrecke durch vier Balkanstaaten sowie die Flüsse in Bosnien und Herzegowina. Seriöse wissenschaftliche Studien, die den ökologisch katastrophalen Einfluss der geplanten Wasserkraftanlagen belegen, gibt es zuhauf. Ihre Ergebnisse sind erschreckend: 75 Prozent aller Fischarten und 70 Prozent der Muschel- und Schneckenarten würden durch den veränderten Lebensraum entweder aussterben oder drastisch in ihrem Bestand zurückgehen. Denn: Bei Kleinkraftwerken wird das Wasser über in den Fels gesprengte Pipelines nahezu komplett abgeleitet, wodurch der Unterlauf der Fließgewässer trockenfällt. Das hat nicht nur für Tiere und Pflanzen dramatische Folgen, auch der Landbevölkerung, die gerade in den heißen Sommermonaten von diesem Wasser abhängig ist, wird ihre Existenzgrundlage entzogen. Die Politik interessiert dies nicht wirklich: Korruption und mafiöse Strukturen machen eine objektive Diskussion in den Balkanstaaten fast unmöglich. »Der Wahnsinn ist ja nicht nur die Menge an geplanten Wasserkraftwerken, sondern dass Schutzmechanismen, wie Nationalparks und Naturschutzgebiete, völlig igno­riert werden«, sagt Ulrich Eichelmann. Von den beabsichtigten Anlagen liegen 1031 Projekte in hochrangigen Naturschutz­ gebieten, 118 in Nationalparks, 547 in Natura-2000-­ Gebieten, einem zusammenhängenden Netzwerk aus Schutzgebieten innerhalb der EU. Und: Anders als Slowenien und Kroatien sind Bosnien und Herzegowina, Serbien und Albanien noch keine EU-Mitglieder, unterliegen somit auch nicht ihrer Kontrolle.


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INITIATIVE »RETTET DAS BLAUE HERZ EUROPAS«

MOJITO HIKE GTX WMN

Die Umweltschutzorganisationen RiverWatch (www.riverwatch.eu) und die in Deutschland ansässige NGO EuroNatur (www.euronatur.org) organisieren und koordinieren die Kampagne. Ihr Ziel ist die Rettung der letzten echten W ­ ildflüsse Europas. Hauptgeldgeber sind die Schweizer Umweltstiftung Mava und die Manfred-Hermsen-Stiftung. Vor Ort arbeiten Ulrich Eichelmann und seine Kollegen mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. Patagonia unterstützt die Kampagne mit Spenden, Fachkräften und umfangreicher Öffentlichkeitsarbeit. Weitere Informationen: www.balkanrivers.net

UMWELTSCHUTZ-ENGAGEMENT VON PATAGONIA Seit 1985 unterstützt Patagonia jährlich mit einem Prozent des Unternehmensumsatzes Umweltschutzprojekte und -organisationen weltweit. 2002 schlossen sich weitere internationale Unternehmen der Idee an (www.onepercentfortheplanet. org). 2017 förderte Patagonia insgesamt 900 Umweltschutzgruppen und -­projekte. »Rettet das blaue Herz Europas« wird bereits seit 2016 unterstützt und 2018 als wichtigste Umweltinitiative behandelt. Ab Mai 2018 wird der Dokumentarfilm »Blue Heart« weltweit gezeigt. Weitere Informationen: eu.patagonia.com/de/de/environmental-grants-and-support.html

Wie kann eine Lösung aussehen? Im Grunde ist es vermessen, dass ausgerechnet die Länder den Schutz dieser Landschaft vorantreiben wollen, die bis in die 80er-Jahre nichts Besseres zu tun hatten, als ihre Flusssysteme nahezu komplett der Industrialisierung zu unterwerfen, sie zu kanalisieren und einzustauen. Allerdings reichen die Erkenntnisse – sowohl hinsichtlich der Effizienz von Wasserkraftwerken als auch der Bedeutung von Biodiversität – heute bedeutend weiter. »Müssen wir wirklich alles zerstören? Sind wir als Europäer mittlerweile nicht schlauer?«, fragt Mihela Hladin Wolfe, Environmental and Social Initiatives Managerin bei Patagonia. Die Outdoor-Marke setzt sich seit Jahrzehnten intensiv für Umweltschutzprojekte ein und ist seit 2016 Partner der Initiative »Rettet das blaue Herz Europas«. In diesem Jahr hat Patagonia das Projekt zum Thema einer großen Kommunikationskampagne gemacht. Dass die Balkanländer Anrecht auf die Verbesserung ihrer Lebensumstände haben, steht außer Frage. »Aber es gibt auch für diese Länder Lösungen zur Energieerzeugung, bei denen nicht einer der letzten Hotspots der Biodiversität in Europa zerstört werden muss«, erklärt Mihela Hladin Wolfe. »Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe, über diese Missstände zu informieren und unsere Community zu ermutigen, sich gegen diese Umweltzerstörung und kurzfristige Profitdenke einzusetzen.« Ende April dieses Jahres wird die Initiative einen ökologischen Flächennutzungsplan vorstellen. Eine Karte, in der Sperrzonen definiert sind, also besonders schützenswerte Flussabschnitte, die keinesfalls der Wasserkraft geopfert werden sollten. Ab Mai wird Patagonia den Dokumentarfilm »Blue Heart« weltweit präsentieren. Und im nächsten Schritt wollen RiverWatch und Patagonia alle großen internationalen Finanzinstitute – z. B. die Weltbank, die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) – dazu bewegen, keine Kraftwerksprojekte in den Sperrzonen zu finanzieren. Gleichzeitig soll die EU Druck auf diejenigen Balkanstaaten ausüben, die eine EU-Mitgliedschaft anstreben, damit sie sich an die ökologische Raumplanung halten. Außerdem gilt es, Aufklärungsund Überzeugungsarbeit zu leisten, denn oft gäbe es wirtschaftlichere Optionen. Albanien bezieht beispielsweise fast 100 Prozent seiner Stromversorgung aus Wasserkraft – dabei hat das Land bis zu 300 Sonnentage im Jahr. Auch der Öko-Tourismus als Einnahmequelle, die konträr zu einer Verbauung der Flüsse steht, muss potenziellen Investoren und Politikern verdeutlicht werden.

Was können wir tun?

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»Den Bau aller 3000 Kraftwerke abzuwenden, ist unmöglich. Aber wir versuchen mit all unseren Partnern, so viele Flüsse wie möglich zu retten«, sagt Ulrich E ­ ichelmann. »Ich bin sicher, dass wir eine Menge Kraftwerke verhindern werden. Wie viele, wird sich zeigen.« Wie können wir die Initiative unterstützen? »Spenden zum Beispiel, denn je mehr Ressourcen wir haben, desto mehr können wir bewegen«, erklärt er. Aber heutzutage könne auch jeder seinen Unmut öffentlich äußern und andere zum Mitmachen bewegen. Etwa über Social-Media-Kanäle, Unterschriftenaktionen oder Protestschreiben an die Regierungen der Balkanstaaten, die EU-Kommission und die Banken. Außerdem sei jedem geraten, sich selbst ein Bild vor Ort zu machen – solange es diese Märchenlandschaft noch gibt. Text: Moritz Becher Fotos: Andrew Burr / Patagonia, Ulrich Eichelmann, Goran Safarek

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NACHGEFRAGT: Gwen Weisser und Patrick Allgaier

EIN MAL UM DIE WELT Gwen Weisser und Patrick Allgaier reisen von Freiburg aus durch Osteuropa und Asien über Nord- und Mittelamerika bis zurück in die Heimat. Ohne in ein Flugzeug zu steigen. Dabei lernen sie: Egal, wie unterschiedlich die Lebensumstände auch sind, in den Bedürfnissen nach Frieden, Familie und Freundschaft sind sich die Menschen viel ähnlicher, als mancher denkt.

»In Pakistan haben uns Menschen spontan die Hände geschüttelt und sich bei uns bedankt. Dafür, dass wir uns ein Bild davon machen, wie ihr Land auch sein kann, abseits von dem, was einem die Medien vermitteln«, sagt P ­ atrick. »Nicht nur terroristisch, gewalttätig und gefährlich, sondern sehr gastfreundlich.« Gemeinsam machen sich ­Patrick Allgaier, 29, und Gwen Weisser, 20, im März 2013 von Freiburg aus auf den Weg, die Welt zu umrunden. Dreieinhalb Jahre und 97.000 Kilometer später kehren sie zu dritt aus dem Westen wieder nach Hause zurück – in Mexiko kommt Sohn Bruno auf die Welt. Ihre Reise haben sie in einem Film aufgearbeitet. Ursprünglich nur für Freunde und die Familie geplant, wurde die Verfilmung zum Überraschungserfolg: Im Jahr 2017 ist sie die meistgesehene Dokumentation in den deutschen Kinos (Tourplan unter weitumdiewelt.de). Vermutlich seien es solche Erlebnisse wie die in Pakistan, die den Film so reizvoll machten, meint Patrick. »Dass wir mit den vielen guten Erfahrungen, die wir sammeln durften, einen positiven Gegenpol zu den Negativschlagzeilen aus der ganzen Welt präsentieren.« Patrick arbeitet als freiberuflicher Kameramann für verschiedene Produktionsfirmen und Fernsehsender, als er Gwen in einer Jugend-Filmgruppe kennenlernt. Sie geht zu diesem Zeitpunkt noch zur Schule. »Für mich war immer klar, dass ich nach dem Abitur erst einmal reisen werde«, sagt sie. »Ich habe eigentlich nur noch auf den Tag gewartet, an dem ich endlich los kann.« Auch Patrick hat den Wunsch, auf unbestimmte Zeit unterwegs zu sein, nicht immer nach Hause zu müssen, wenn man gerade erst richtig angekommen ist. Schon wenige Wochen nach ihrem Kennenlernen schmieden sie gemeinsame Pläne, ein Jahr später sind sie auf dem Weg. »Im Gegensatz zu Gwen hätte ich mich das alleine nicht getraut«, sagt Patrick. Die einzige Vorgabe: ohne Flugzeug reisen. Dadurch habe sich alles so schön langsam gewandelt. Das Klima,

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die Vegetation, die Gesichter der Menschen, ihre Kleidung … alles verändere sich in Nuancen. »Aus Deutschland ist quasi über mehrere Monate hinweg Indien geworden«, sagt Gwen. Und aus der Reise ein Lebensabschnitt, ein Alltag, in dem man mit der gleichen Selbstverständlichkeit nach dem Wetter schaut, frühstückt, das Zelt abbaut und in der Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit an der Straße steht, wie andere aufstehen, um zur Arbeit zu gehen.

Was ist nötig, was nicht? Ihren ursprünglichen Plan, nicht mehr als fünf Euro pro Person und Tag auszugeben, lassen sie unterwegs ­w ieder fallen. Obwohl sie bis Tokio sogar deutlich weniger brauchen. Da sie per Anhalter reisen und meistens im Zelt übernachten, müssen sie nur Essen und Dinge für die tägliche Hygiene kaufen. Obendrein arbeiten sie unterwegs immer wieder in Freiwilligenprojekten, wo sie Kost und Logis erhalten. Doch: »Die Leute hatten immer das Gefühl, sie müssten uns helfen, wenn wir ihnen die Geschichte mit den fünf Euro erzählten. Das hat uns zu viel Raum eingenommen«, meint Patrick. Wie viel sie täglich ausgeben, notieren sie dennoch, um den Überblick zu behalten. Und bewusst zu konsumieren, immer wieder zu entscheiden, was notwendig ist und was nicht. Und was ist tatsächlich notwendig, um die Welt zu umrunden? Ein gutes Paar Wanderschuhe hat sich jeder von ihnen vor der Reise besorgt. Eine lohnende Investition – die Stiefel halten durch bis zum Schluss. Ebenso wie das Zelt, das sie flexibel macht: Wann immer ihnen ein Ort gefällt, bleiben sie. Mit Campingkocher und Proviant sind sie für einige Tage unabhängig. Andere ­Dinge erweisen sich als überflüssig, wie zum Beispiel die Trekkinghandtücher, die sie nach vier Wochen irgendwo vergessen und durch Handtücher vom Markt

ersetzen. Oder das schwere Fotostativ, das nur selten zum Einsatz kommt und unterwegs verschenkt wird. Die Filmausrüstung – Kameras und ein kleiner Laptop – ist ihr einziger »­Luxus«. Doch ohne Kamera zu reisen, das hätten sich beide nicht vorstellen können. »Das Filmen war eine wichtige Aufgabe für mich«, sagt Patrick. Dabei scheint die Kamera weit mehr für ihn zu sein als ein Arbeits­gerät. Sie hilft, das Erlebte zu verarbeiten und zu transportieren. Beziehungen zwischen Menschen herzustellen. In jedem Land filmen Patrick und Gwen einen Tag im Leben einer Person. Unkommentiert, als stiller Beobachter. »Wenn wir jemanden porträtieren wollten, haben wir ihm meist erst einmal die Filme aus den anderen Ländern gezeigt, um das Eis zu brechen. Das war für die Menschen extrem spannend und zugleich verbindend.«

Tiefe Verbindungen Aus manchen Begegnungen werden Freundschaften. Wie bei Amir, der die beiden über »Couchsurfing Iran« zu sich einlädt. Doch als Gwen und Patrick bei ihm eintreffen, geht es Amir nicht gut. Er würde gerne in Deutschland studieren, hat bereits ein Stipendium, doch sein Antrag auf ein Visum wurde abgelehnt. Spontan beschließt er, die beiden ein Stück durch den Iran zu begleiten. Es ist das erste Mal, dass er sein Heimatland bereist. »Ihr habt mein Leben verändert«, sagt er, als sie sich verabschieden. Vier Jahre später wird Amir, der ein Visum für Italien erhält, in Freiburg auf der Couch schlafen. An der Grenze zu Pakistan sind Gwen und Patrick sich unsicher: Sollen sie wirklich eines der gefährlichsten Länder der Welt durchqueren? Dort sogar trampen? Ihre Neugier siegt – und sie bereuen es nicht. In Indien beschließen sie, eine Weile ohne den jeweils anderen zu reisen. Um nicht immer nur als »Einheit« unterwegs zu


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10 Fragen an Patrick und Gwen:

Glaubt ihr an Schicksal und wenn ja, warum? Wir glauben, dass alles seinen Sinn hat. Auch aus scheinbar Negativem lässt sich etwas Positives gewinnen. Bitte vervollständigt folgenden Satz: Ein Abenteuer ist … ein bewusster Moment, in dem man die Normalität des Alltags verlässt, dadurch sensibler und aufmerksamer wird und die Chance hat, Neues zu entdecken. Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdet ihr unterwegs nicht verzichten? Unser Zelt. Es war unser kleines Zuhause, unser Rückzugsort und hat uns unabhängig gemacht. Was hat euch im Leben schon mal richtig Angst g ­ emacht? Auf der Reise hatten wir Respekt vor Pakistan. Aber je mehr unsere Vorstellung zur eigenen Erfahrung wurde, desto klarer wurde, dass wir keine Angst haben mussten. Wer war der beeindruckendste Mensch, den ihr je kennengelernt habt und w ­ arum? Es gab viele beeindruckende Leute wie unsere Gast­geber auf dem ­Pamir. Ihr Leben erschien uns extrem, für sie war es normal. Ihre positive Ausstrahlung und ihre Gelassenheit haben uns sehr beeindruckt. Was habt ihr im Leben Relevantes gelernt? Dass man nicht unbedingt auf der Haupt­ straße fahren muss, sich auch mal auf eine Seitenstraße begeben kann, auf der sich wieder etwas Neues auftut. Träume und Ziele sollten immer genügend Flexibilität lassen. Was bedeutet Glück für euch? Glück ist eine innere Ruhe, ein Zustand des In-sich-Ruhens. Welchen Kindheitstraum habt ihr euch erfüllt? Die Reise um die Welt. Gwen träumte während der Schulzeit davon und auch Patrick hat sich schon im Erdkundeunterricht die Karten angeschaut und überlegt, ob es möglich wäre, über Land nach Indien zu reisen. Aber er dachte auch, da liegt zu viel dazwischen. Als wir nach Indien gekommen sind, hatten wir ein richtiges Gänsehautgefühl – das, was irgendwann unvorstellbar war, ist Realität geworden. Welche Dinge werden heutzutage oft überschätzt? Viele. Andersherum gesagt: Vieles, was man hat, braucht man eigentlich nicht. Und viele Dinge vermisst man auch nicht, wenn sie nicht da sind. Wie würde der Titel eurer Autobiografie lauten? Darüber haben wir noch nie nachgedacht …

sein. Doch als sie sich nach fünf Tagen auf einem Festival über den Weg laufen, geben sie die Idee wieder auf. Gemeinsam ist es eben doch besser. »Die Reise hat uns noch mehr zusammengeschweißt«, sagt Patrick. »Natürlich gibt es auch die Momente, wo der andere Ventil ist – wenn es stressig wird, wenn man erschöpft ist, Hunger hat, es zu kalt oder zu warm ist. Doch das sind alles bloß Außenfaktoren.« Überhaupt ergänzen sie sich sehr gut: Patrick ist der Pragmatische, der sich ums Planen und Organisieren kümmert, Gwen die Spontane, die sich gerne treiben lässt. »Sie trägt ein Urvertrauen in sich, das ich wahnsinnig gut finde«, gesteht ihr Freund bewundernd. »Ihre Offenheit, ihre Neugier und ihre Begeisterung sind ansteckend.« In Sibirien die Überraschung: Gwen ist schwanger. Wie soll es weitergehen? Abzubrechen ist für beide keine Option. Doch anstatt wie ursprünglich geplant nach Wladiwostok und von dort nach Kanada zu reisen, buchen sie die Überfahrt an Bord eines Frachtschiffs nach Mexiko. Dort nehmen sich eine Auszeit vom Reisen, mieten ein kleines Häuschen und suchen sich eine Hebamme. Bruno kommt im Mai zur Welt, alles geht gut. Im Nachhinein fühlt es sich für Gwen und Patrick an, »als hätte die Reise Sommerferien gemacht.« Danach verändern sich Art und Tempo des Reisens: Gwen und Patrick haben einen alten VW-Bus gekauft und umgebaut. »Das war natürlich nicht ganz günstig«, sagt ­Patrick. »Aber die Ansprüche hatten sich geändert. Wir waren nun nicht mehr nur für uns selbst, sondern nun auch für jemand anderen verantwortlich.« Ein Jahr lang rollen sie durch Mexiko und Mittelamerika, bevor sie mit dem Schiff zurück nach Europa übersetzen. Die »letzten 1200 Kilometer« legen sie zu Fuß zurück – in dreieinhalb Monaten geht es von Spanien über Frankreich und die Schweiz bis nach Deutschland. Dort leben sie derzeit bei Patricks Schwester, wenn sie nicht gerade auf Vortragstournee sind. Und träumen von einem alternativen Wohn- und Kulturprojekt. »Man muss nicht konventionell sein, um glücklich zu sein. Wir durften auf unserer Reise so viele Lebensmodelle kennenlernen. Wenn man seinen Weg geht, dann gibt es immer Möglichkeiten.« Text: Mirjam Milad

Fotos: Gwen Weisser & Patrick Allgaier


FOTO Erik Olsson / Lundhags

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LIE ESERKLÄRUNG EINE MAKKE FÜRS LEBEN Ich gebe zu, anfangs habe ich gezögert. Befürchtete, mir zu viele Hoffnungen zu machen. Möglicherweise zu viel zu investieren. Das tut mir leid. Ich hätte dir gleich vertrauen sollen. Denn du hast mich nie enttäuscht. Was für ein seltsamer Name, dachte ich, als wir uns kennenlernten. Makke. Doch als ich herausfand, dass er sich von einem Berg im schwedischen Jämtland ableitet, war er mir sehr sympathisch. Kurz nachdem wir uns gefunden hatten, sind wir gemeinsam auf Tour gegangen und die 285 Kilometer des Westwegs im Schwarzwald gewandert. Schon damals hat mich deine unglaubliche Flexibilität beeindruckt. Nie hast du mich eingeschränkt. Du wusstest deine Stärken aber auch geschickt zu platzieren: Anpassungsfähigkeit an der einen, Robustheit an der anderen, richtigen Stelle. Damit bist du eine der vielseitigsten Trekkinghosen überhaupt. Meine Lundhags Makke Pants. Mittlerweile haben wir unzählige großartige Abenteuer zusammen erlebt. Du bist mit mir viele Tage durchs Fjäll gelaufen, mit dem Hundeschlitten durch die kanadische Winterweite gejagt, steile Granitwände emporgeklettert und auf etlichen Skitouren durch den Schnee gestapft. Es gab wirklich nichts, was du nicht mitgemacht hättest. Gut, von dem verregneten Sommer in Norwegen einmal abgesehen. Ich weiß ja, dir macht ein kurzer Schauer wenig aus, aber Dauerregen ist nicht so deins. Immerhin, als es dann aufgehört hat, warst du in kürzester Zeit wieder gut drauf. Und wenn die Sonne vom Himmel brannte, hast du mich beschützt. Nicht zuletzt haben wir gemeinsam den Alltag

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bestritten. Auch hier hast du mich nie ins Schwitzen gebracht. Denn im Gegensatz zu allen anderen Trekkinghosen hast du diese wirklich nützlichen, langen Belüftungsreißverschlüsse auf der Beininnenseite. Ja, ich weiß, deine Liebe ist nicht exklusiv. Du passt quasi zu jedem, zu den Dicken und Dünnen, den Langen und Kurzen. Schließlich gibt es dich in siebenunddreißig Größenvarianten. Ich bin bei Weitem nicht der Einzige, der seine Makke fürs Leben gefunden hat. Aber du zauberst mir immer wieder dieses zufriedene Lächeln ins Gesicht. Das hat noch keine vor dir geschafft. Also werde ich dich tragen, solange du es mit mir aushältst. Schließlich bin ich auch nicht der Einfachste …

Text: Uwe Mössner

PRODUKT­INFORMATION: LUNDHAGS MAKKE PANT Die Makke ist eine funktionale, sehr flexible Trekkinghose. Trotz ihres schmalen, an den Oberschenkeln eher eng anliegenden Schnitts ist sie nicht nur schlanken Frauen und Männern vorbehalten: Die Hose ist in vielen Größen (Frauen: XS bis XXL, ­Männer: XS bis 3XL) und innerhalb der meisten Größen jeweils als reguläre, lange und kurze Variante erhältlich. Mit elastischen Einsätzen aus Schoeller Dryskin am Gesäß, im Schritt und an den Knien macht sie jede Bewegung mit. Ansonsten besteht die Hose aus Lundhags Polycotton Eco, einem robusten Mix aus Polyester und Öko-Baumwolle, welcher Wind und leichten Regen abweist, schnell trocknet und einen hohen UV-Schutz bietet. Ein besonders reiß- und abriebfestes Gewebe mit hohem Kevlar-Anteil verstärkt die Beine zusätzlich an den Innenseiten. Die Knie sind vorgeformt. Der Bund lässt sich über Klettverschlüsse anpassen. Karten und kleinere Ausrüstungsgegenstände finden in den vier reißverschlussgesicherten Taschen an den Seiten und den Oberschenkeln Platz. Die seitlichen Taschen belüften bei Bedarf, zusätzlich befinden sich große Belüftungsöffnungen mit Reißverschluss an den inneren Oberschenkeln und den unteren Hosenbeinen. Der Beinabschluss ist verstellbar und kann über einen abnehmbaren Metallhaken in die Schnürung der Schuhe eingehängt werden, ähnlich wie bei einer Gamasche. Preis: 219,95 Euro


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