Denk Edition 12/2021 - Seebrunnerkreis

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Renaissance der Zukunft

Menschlichere Zukunft und die Grenzen der Freiheit. Diskurs der Vordenker.

Wiedergeburt der Ökosozialen Marktwirtschaft. Triangel der Nachhaltigkeit.

Unternehmen trotzen der Pandemie durch Investitionen. Perspektiven durch Innovationen.


„Wir müssen aus den Erfahrungen der letzten beiden Jahre die richtigen ganzheitlichen Lehren ziehen. Es gab durch die Pandemie einen Urknall, der jetzt noch nachhallt. Wer als Unternehmerin oder Unternehmer diesen Urknall nicht gehört hat, darf sich nicht wundern, wenn er oder sie ein Problem hat, Schlüsselpositionen im Unternehmen zu besetzen. Die Pandemie war lehrreich. Nutzen wir die Chancen, die aus der Krise erwachsen.“

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Prof. Mag. Harald Ronacher Kurator und Vorstandssprecher des Seebrunner Kreises


VORWORT

Lehren aus der Krise

Festzuhalten ist, dass die Regierung die richtigen Schritte gesetzt hat, indem sie proklamiert hat, dass niemand auf der Strecke bleiben soll. Was wäre gewesen, wenn statt des Füllhorns der Sparstrumpf hervorgeholt worden wäre? Wir wären vermutlich in eine Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes gestolpert. Entschlossenes Handeln ist wichtiger als das Festhalten an Dogmen, lautet das Resilienzmotto. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ihre beruflichen Lebensentwürfe hinterfragt. Wenn schon Zäsur, dann gleich richtig. Werte, die in der Vergangenheit nebensächlich geworden sind, haben jetzt wieder Bedeutung. Dazu gehört das Bedürfnis nach Sicherheit, Nähe von Arbeits- und Wohnort oder der wertschätzende Umgang miteinander. Als Resultat daraus kam es zu kleinen Völkerwanderungen aus manchen Unternehmen und Branchen. Die Lehre daraus: Die Anliegen der Menschen im Betrieb müssen wahr- und ernst genommen werden, der sozialpartnerschaftliche Umgang miteinander bei Lohnverhandlungen im Vordergrund stehen.

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Resilienz. Dieses Wort kannten vor ein paar Jahren außer den beruflichen Nachfolgern von Konrad Duden nur wenige Menschen. Die Frage nach der „Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen“ – so lautet die lexikalische Erklärung des Wortes – stellte kaum jemand. Ziemlich genau zwei Jahre nach dem Ausbruch von Corona ist das anders. Viele Menschen haben darüber nachgedacht, was es für ein gelungenes Leben braucht. Welche Ansprüche sie an den Beruf, die Freizeit, die Familie, den Freundeskreis haben.

zum Aufrechterhalten der Wirtschaftskraft jedes Jahr 80.000 Personen zuwandern müssen. Bei uns wird die Zahl der Personen, die ins Land geholt werden müssten, wohl auch bei rund einem Prozent der Bevölkerung liegen, das wären jährlich rund 9.000 Menschen. Aufgabe der Politik ist es, diesen Zuzug zu steuern. Es sollen Fachkräfte geholt werden. Das schafft die Rot-WeißRot-Karte nicht. Deshalb ist sie rasch zu reformieren. Niemand versteht im Übrigen, dass Flüchtlinge, die es auf regulären Wegen zu uns schaffen, jahrelang zum Nichtstun verurteilt werden. Warum werden sie nicht vom ersten Tag an aufgefordert, für die Allgemeinheit sinnvolle Tätigkeiten auszuführen, um sich damit ihr eigenes Geld zu verdienen? Das würde auch bei der notwendigen Integration helfen.

Kunden und Lieferanten sehen sich heute genau an, wo sie einkaufen, und in Zeiten der Lieferengpässe achten auch Zulieferer auf die Verlässlichkeit der Abnehmer und den menschlichen Umgang. Der Wunsch nach mehr Regionalität ist eine große Chance für die heimische Wirtschaft, darf aber nicht in einen neuen „Nationalprotektionismus“ ausarten, wie Stefan Haubner das im Interview bezeichnet.

Aktuell befinden wir uns in einem massiven Veränderungsprozess. Diesen zu steuern braucht es Gamechanger, die nur dann reüssieren können, wenn wir die Themen ganzheitlich sehen. In dieser Ausgabe von DENK berichten wir über Strategien gegen den Chipmangel, die Maßnahmen zur Vermeidung von Blackouts, notwendige Reformen der Gesundheitspolitik, die Notwendigkeit, genügend Eigenkapital für Startups aufzustellen, und vieles mehr. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen!

Lehren sollten wir auch auf dem Gebiet der Migration ziehen. Es erweist sich mehr und mehr als kontraproduktiv, dass in der Flüchtlingsfrage ausschließlich die Stopptafel zu sehen ist. Das macht Österreich als Arbeitsort für Fachkräfte aus dem Ausland unattraktiv. Die Botschaft, die sich einprägt, ist: „Ausländer sind unerwünscht.“ Deutschland hat errechnet, dass

Prof. Mag. Harald Ronacher Kurator und Vorstandssprecher des Seebrunner Kreises


Inhalt. WIRTSCHAFT 06

CHIP-SOUVERÄNITÄT Österreichs größte Industrie-Investition. Wie Infineon die Lieferketten aufrecht erhält.

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IMMER AUF SPANNUNG Die Umstellung auf nachhaltige Energieerzeugung bringt Herausforderungen.

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INTELLIGENTE ENERGIESYSTEME Smart Grids , Smart Homes, Smart Meter.

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KAPITAL MOBILISIEREN M&A-Markt in Österreich lahmt, Wagnis­ kapital dringend benötigt.

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GESPREIZTES WACHSTUM Die vierte Coronawelle bremst den Aufholprozess abermals.

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WISSENSCHAFT 22

AGENDA DER JUNGEN Themen, die auf der To-do-Liste von Jungunternehmern in Salzburg ganz oben stehen.

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HOMEOFFICE (ÜBER)FORDERT Viele Unternehmen haben im Lockdown ihre Arbeitsmodelle adaptiert.

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TALENTE FOLGEN KEINEN STEREOTYPEN Diversität ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Unternehmen

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DIE ZUKUNFT IST DIGITAL Estland spielt eine Vorreiterrolle bei der Einführung des „digitalen Staates“.

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POLITIK 36

DAS GEMEINSAME FINDEN Österreich erlebt aktuell eine Situation, die es so noch nie gab.

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PARTNER 40

TRIANGEL DER MARKTWIRTSCHAFT Über die Renaissance des Konzepts der öko-sozialen Marktwirtschaft.

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DIGITALER RAUM FÜR NEWS Der neue digitale Newsroom der Porsche Holding.

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LUXUSGUT GESUNDHEIT Gesundheit und Pflege gehören zu den Megathemen der kommenden Jahre.

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MUT MACHEN Über die Förderung von Diversität und mehr Frauen in Führungspositionen.

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SALZBURGS ZUGKUNFT Das Land Salzburg hält an den Ausbauplänen für die Verkehrsinfrastruktur fest.

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SCHNELLERE ENTSCHEIDUNGEN Die Energiewende braucht mehr Tempo bei Behördenverfahren

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DER GROSSE BRUDER Über die aktuelle Beziehung von Österreich zu Deutschland.

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RESSOURCEN AUSBILDUNG Palfinger investiert in erweiterte, qualitativ hochwertige Ausbildungsprogramme.

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RADIKALER MUT Trotz Pandemie: Der neue Bründl Flagshipstore KULTUR

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KUNST NEU CODIERT Neue Impulse zur Innovation in den traditionellen Kulturbetrieben. MITDENKEN

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DER LÖSUNGSBEGABTE MENSCH Zum neuesten Buch des Gentechnikers Markus Hengstschläger

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STRENGT EUCH AN Leistungsbilder in unserer Gesellschaft

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HUMANE ZUKUNFT Der Mensch muss den Wandel verstehen. Nur dann kann er Schritte in die Zukunft setzen.

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GRENZEN DER FREIHEIT Der Freiheitsbegriff spaltet aktuell die Bevölkerung. Ein wissenschaftlicher Diskurs CLUBLEBEN

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RÜCKBLICK

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IMPRESSUM


Fotos: Infineon

WIRTSCHAFT

ChipSouveränität


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Never waste a serious crisis Infineon hat in Villach um 1,6 Milliarden Euro ein neues Werk für Wafer gebaut. Die größte Investition in der Konzern- und Industrie­ geschichte Österreichs. Wir haben bei Sabine Herlitschka, CEO von Infineon Österreich, nachgefragt, was für den Standort Österreich spricht und welche Zukunftsfragen sie beschäftigen.

Was waren die Beweggründe, in Österreich zu investieren? Was spricht für den Standort Österreich? Die Investition ist ein echter Teamerfolg. Es gelang uns, im globalen Wettbewerb zu überzeugen, weil wir auf einem ausgezeichneten und langjährigen Know-how, einem starken Umsetzungswillen und unserer weltweit führenden Technologiekompetenz hier in Österreich aufbauen konnten. Man muss sich das vorstellen: Vor mittlerweile 51 Jahren haben wir in Villach mit 24 Beschäftigten in gemieteten Räumlichkeiten sogenannte Dioden – also einfache Bauelemente für die damals neuartigen Farbfernseher – händisch gefertigt. Damals war das billiges Produzieren, quasi die verlängerte Werkbank. Über die Jahre ist es unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelungen, neue Chancen zu erkennen und viele davon erfolgreich zu realisieren. Und damit das Unternehmen zu dem zu machen, was es heute ist. „Wir haben heute in Österreich über 4.600 Beschäftigte aus 70 Nationen, sind im Konzern das globale Kompetenzzentrum für Leistungselektronik und sind das forschungsstärkste Unternehmen im Land. Der Standort in Villach vereint Forschung und Entwicklung, Produktion sowie globale Geschäftsverantwortung. Das ist eine wirkungsvolle Kombination, die Innovationen voranbringt und uns auch als Arbeitgeber international attraktiv macht.“

ARBEITEN AN DEN RAHMENBEDINGUNGEN Was würde es aus Ihrer Sicht benötigen, um den Standort noch attraktiver zu machen? Anders formuliert: Gibt es bremsende Faktoren (Arbeitskräfte, Bürokratie)? Wir haben bereits im Vorfeld der Entscheidung höchst professionell und effizient mit den Behörden auf Bundes-, Landes- und Stadtebene zusammengearbeitet. Wir sichern den Standort auf Jahre und haben dafür auch 400 zusätzliche hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen. Parallel dazu treiben wir auch die Forschung & Entwicklung mit rund 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern allein in Österreich voran und schaffen auch hier weitere Arbeitsplätze. Studien belegen, dass ein Arbeitsplatz bei Infineon zu drei weiteren im Umfeld führt. Es geht also in der Region auch um die Schaffung von modernster Infrastruktur, lebenswertem Wohnraum, Schulen und Kindergärten. Wir brauchen die richtigen Rahmenbedingungen auf vielen Ebenen, die in Summe einen attraktiven Standort ausmachen. Forschungs- und innovationsfördernde Maßnahmen gehören da genauso dazu wie Investitionen in die digitale Infrastruktur, die Energieversorgung und vor allem auch die Bildung. Denn der Mangel an technischen Fachkräften hat sich in der Krise noch weiter zugespitzt. „Wir sind seit Langem aktiv, um im globalen Wettbewerb die besten Köpfe für uns zu gewinnen. Und wir engagieren uns, wenn es darum geht, das Interesse junger Menschen, vor allem auch von Mädchen und Frauen, an Technik so früh wie möglich zu fördern.“


Das Thema „Knappheit bei Mikrochips“ wird in allen Medien gespielt. Gibt es auch bei Infineon Probleme mit den Lieferketten bei Vorprodukten? Was die neue Chipfabrik anlangt, konnten wir den Betrieb sogar drei Monate früher als geplant starten. Das gelang durch eine effiziente und gute Zusammenarbeit mit allen Partnern, selbst unter den erschwerten Pandemiebedingungen. Was den Zugang zu den Vormaterialien betrifft, setzen wir auf eine Multisourcing-Strategie. Durch diese breiten und auch langfristig angelegten Lieferpartnerschaften stellen wir sicher, die wachsende Nachfrage auch mittel- bis langfristig bedienen zu können.

FAKTUM EST In Villach werden sogenannte Wafer produziert. Das sind Siliziumscheiben mit 30 Zentimeter Durchmesser, also etwa so groß wie eine Pizza. Der Wafer ist die Basis, auf deren Oberfläche die Chips im Reinraum prozessiert, bearbeitet und aufgebracht werden. Salopp formuliert wird im Reinraum der hochwertige Belag (also die Mikrochips) für unterschiedlichste Anwendungen in einem komplexen Fertigungsverfahren aufgebracht. Villach ist weltweiter Vorreiter bei der 300-Millimeter-Dünnwafer-Technologie, hier wurde diese vor rund zehn Jahren entwickelt. Die Wafer sind mit 40 Mikrometern dünner als ein menschliches Haar. Dies macht die Fertigung so komplex und gleichzeitig auch effizient. Die Nutzung dieser Technologie bringt aufgrund des größeren Scheibendurchmessers deutliche Produktivitätsvorteile und reduziert den Kapital- und Ressourceneinsatz. Der Konzern erzielt einen Umsatz von 8,6 Milliarden Euro (2020). Infineon hat weltweit 54 F&E- und 21 Fertigungsstandorte und zählt inzwischen fast 50.000 Beschäftigte.

Die begehrten Siliziumscheiben als Träger von Chips werden unter Reinraumbedingungen erzeugt.

Foto: Infineon

Technik, Naturwissenschaften sowie neue Jobs der Digitalisierung bieten hochattraktive Chancen. Die Politik ist daher gefordert, ein zukunftsorientiertes Bildungsangebot zu schaffen, das mit neuen Formaten, Praxisnähe und Vielfalt optimal auf die Arbeitswelt vorbereitet. Auch eine entsprechende Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen, beginnend bei der Elementarpädagogik, gehört dazu. Investitionen in Bildung sind Zukunftsinvestitionen genauso wie Forschung, Entwicklung und die digitale Infrastruktur. Auch der Standort steht immer im internationalen Wettbewerb, das muss die Politik im Blick haben.


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„In systemrelevanten Bereichen wie Halbleitern, Batterien, Wasserstoff oder der Pharma- und Gesundheitsbranche sollten wir zukünftig autonomer werden.“ Dr. Sabine Herlitschka, CEO Infineon Österreich

KAPAZITÄTSERWEITERUNGEN BRAUCHEN VIEL ZEIT PWC hat im September, bezogen auf die Autoindustrie (die bei Weitem nicht der größte Halbleiterabnehmer ist) und deren Zulieferer, Alarm geschlagen: Der Chipmangel bringe die Produktionspläne in Gefahr und man erwarte auch keine rasche Abhilfe, weil der Aufbau von Kapazitäten bis zu fünf Jahre dauere. Haben die negativen Propheten recht oder lässt sich das Problem rascher als befürchtet lösen? Einmal mehr zeigt sich, dass wir zur rechten Zeit in unsere wissensintensive Produktion investiert haben, während viele andere damit noch gewartet haben. Inzwischen haben manche Wettbewerber reagiert und bauen ihre Fertigungskapazitäten aus, um den Mehrbedarf zu decken. Allerdings lässt sich so eine Halbleiterproduktion unter maßgeschneiderten Reinraumbedingungen nicht so schnell hochfahren. Es ist eine der weltweit komplexesten, kapitalintensivsten und arbeitsteiligsten Industrien. Die Herstellung eines Chips selbst kann dann zwischen sechs Wochen und drei Monate dauern. Kapazitätserweiterungen brauchen also Zeit und vor allem auch Know-how. Weil wir früher loslegen konnten, haben wir zum Zeitvorsprung noch einen weiteren Vorteil: Mit der digitalen Vernetzung der neuen Chipfabrik in Villach mit jener in Dresden zu einer virtuellen Megafabrik können wir beide Fertigungsstandorte so steuern, als wären sie eine Fabrik. Damit sind wir in der Lage, die Fertigungsvolumina unterschiedlicher Produkte rasch zwischen Villach und Dresden zu verschieben und auf den Bedarf unserer Kunden zu reagieren. Der Ausbau von 5G kurbelt den Absatz bei Smartphones, Rechenzentren und Elektrofahrzeugen bei Leistungshalbleitern nochmals gehörig an. Dazu kommen wichtige Märkte für Infineon, wie die Solar- und Windenergie, die aufgrund des europäischen Green

Deals boomen. Der Halbleitermarkt lag 2020 bei 430 Milliarden Euro. Wie hoch schätzen Sie das Wachstum in den nächsten fünf Jahren ein? Infineon hat schon vor vielen Jahren auf zukunftsweisende Themen gesetzt: von Energieeffizienz über umweltgerechte Mobilität bis hin zur Datensicherheit in einer digitalen, vernetzten Welt. Für all diese Anwendungsfelder sind Halbleiter unverzichtbar. Angesichts der beschleunigten Digitalisierung erwarten wir, dass der Bedarf an energieeffizienten Technologien in den kommenden Jahren weiter zunimmt und die Innovationen in vielen Wirtschaftsbereichen antreibt. Wir sehen die klaren Signale von den Märkten und sind durch die Erweiterung unserer Kapazitäten auch gut aufgestellt. Ursula von der Leyen hat ein neues europäisches Chipgesetz zur Stärkung der Halbleiterindustrie in der EU angekündigt. Was erwarten Sie sich davon? Der Chip-Act sieht die Schaffung eines europäischen ChipÖkosystems entlang der Wertschöpfungskette – von den Forschungs-, Entwicklungs- und Testkapazitäten bis hin zur Produktion – vor. Diese Ankündigung ist zu begrüßen, denn es stärkt Europa insgesamt und festigt die Innovationskraft in vielen Bereichen. Unserer Meinung nach muss Europa einen mehrdimensionalen Ansatz verfolgen, der den Bedarf der europäischen Kunden deckt, die globale Wettbewerbsfähigkeit stärkt und erweitert sowie auch intelligente Investitionskontrollen ermöglicht. Es ist wichtig, dass es digitale Player aus Europa gibt. Wir befinden uns heute in einer Situation, in der von den weltweit 20 größten Halbleiterherstellern nur noch drei aus Europa kommen. Was es daher dringend braucht, ist die Geschwindigkeit in der Umsetzung. Denn China und die USA bleiben nicht stehen.


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Foto: Infineon

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Die Wafer-Technologie wurde vor zehn Jahren von Infineon in Villach entwickelt.

FÜR EINE STRATEGISCHE TECHNOLOGISCHE SOUVERÄNITÄT Bei der Eröffnung des neuen Standorts in Villach wurde gesagt: „Wer von Asien abhängt, der wird abgehängt.“ Die Situation hat sich über Jahre entwickelt. Lässt sie sich umkehren und wenn ja, wie? Was kann Europa tun, um eine noch stärkere Abhängigkeit der europäischen Industrie zu verhindern? Das Stichwort lautet: strategische technologische Souveränität. Das bedeutet, wir müssen in ganz zentralen Elementen die Kompetenzen in Europa halten. Bei einem Stresstest wie der Pandemie wurde sichtbar, wie abhängig wir in einigen Bereichen geworden sind. Gleichzeitig können wir uns aber auch nicht vom Weltmarkt abschotten. Wir müssen diesen Balanceakt schaffen, global zu wirtschaften und gleichzeitig die Technologiesouveränität in essenziellen Bereichen zu haben. Sie muss aber auf Stärken aufbauen, die wir auch in Europa haben und weiterentwickeln. Mit einer strategisch ausgerichteten und stark vernetzten Forschungs- und Industriepolitik und Schlüsseltechnologien wie der Mikro- und Nanoelektronik kann es gelingen. In welchen Bereichen wäre aus Ihrer Sicht eine „Repatriierung von Produktionen“ möglich und sinnvoll? Europas Industrie ist dann erfolgreich, wenn sie auf Innovation, Forschung und Technologie setzt. Voraussetzung dafür ist es, das Know-how und auch Produktion von Schlüsselbereichen in Europa zu halten.

Die vernetzte und intelligente Produktion – Stichwort Industrie 4.0 – bietet eine große Chance für die Industrie und die Wirtschaft insgesamt. Damit gelingt es auch, die Arbeitsplätze der Zukunft in einer Hochlohnregion zu halten und neue zu schaffen. Mit unserer hochautomatisierten, stark digitalisierten Fabrik tun wir genau das. „NEVER WASTE A SERIOUS CRISIS” Für die Knappheit bei Mikrochips gibt es unterschiedlichste Erklärungen. Die Unterbrechung der Lieferketten durch Corona und die zunehmende Konzentration auf wenige Anbieter, von denen die meisten in Fernost sitzen, sind die gängigsten. Eine weitere Erklärung ist, dass sich die Sanktionen der USA insbesondere gegen Huawei massiv auswirken. Welche Ursachen sehen Sie? Dass die Mikroelektronik eine ganz zentrale Schlüsseltechnologie für die fortschreitende Digitalisierung ist, hat sich schon seit Jahren abgezeichnet. Durch die Pandemie wurde der digitale Wandel beschleunigt. Das wurde für viele auch spürbar und hat die Nachfrage verstärkt. Ein Beispiel: Allein zwischen Februar und April 2020 ist der Internettraffic um 40 Prozent gestiegen. Dadurch stieg auch die Nachfrage nach Chips rasant – bei den Endgeräten wie Laptops, Spielekonsolen oder bei den Serverfarmen. Im Automobilbereich wiederum hat sich, nach einem Nachfrageknick 2019, jetzt die Transformation in Richtung Elektroantriebe beschleunigt. Hinzu kommen noch die Verwerfungen in der Lieferkette und auch die Grenzen der Just-in-time-Konzepte, vor allem bei der Autoindustrie. Die geopolitischen Verwerfungen zwischen den USA und China haben zu zusätzlichen Einschränkungen geführt. So hat sich die Situation zugespitzt. Es haben sich also viele Effekte überlagert. Es zeigt aber auch, dass Technologie und Innovation ganz strategische Faktoren im globalen Wettbewerb sind. Im Sinne der Aussage „Never waste a serious crisis“ haben wir jetzt die Chance, die neuen Rahmenbedingungen für Veränderungen auf vielen Ebenen zu nutzen – insbesondere für eine kluge Digitalisierung und den Klimaschutz.


WIRTSCHAFT

Immer auf Spannung Die Umstellung auf nachhaltige Energieerzeugung bringt Herausforderungen. „Das Zusammenspiel von Erzeugung und Netz muss perfekt funktionieren“, sagt Salzburg-AG-Vorstandsvorsitzender Dr. Leo Schitter. Die Kunst dabei ist, die Netze immer auf Spannung zu halten.

Das passiert heute in der Tat viel häufiger als noch vor einigen Jahren, weiß Schitter: Die Salzburg Netz GmbH, eine hundertprozentige Tochter der Salzburg AG, muss heute 3.000 Mal so oft kurzfristige Zu- und Abschaltungen vornehmen wie noch vor wenigen Jahren, um die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten und die Netze nicht zu überfordern. „Eine entsprechend sichere Infrastruktur ist ein integraler Bestandteil unserer digitalisierten Welt. Es benötigt Innovationen und Investitionen, um mit den Anforderungen Schritt halten zu können“, betont Leo Schitter. NEUE SPEICHERMEDIEN ERFORDERLICH Derzeit werden Schwankungen binnen Sekunden ausgeglichen, indem etwa Speicherkraftwerke wie Dießbach aktiviert werden.

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Mit seinem Thriller „Blackout – Morgen ist es zu spät“ schaffte der gebürtige Wiener Marc Elsberg einen Bestseller, der den flächendeckenden Zusammenbruch der Stromversorgung zum Thema machte. In der Tat ist es eine Herausforderung für die Energiewirtschaft, Versorgungsausfälle zu vermeiden. Die Energiewende ist dabei eine besondere Herausforderung, weiß der Chef der Salzburg AG, Dr. Leo Schitter. Wasserkraft, Wind und Sonnenenergie sind nicht immer verfügbar. Im Sommerhalbjahr wird mehr Energie erzeugt, als benötigt wird, im Winter dafür deutlich weniger. Damit das Ziel, bis zum Jahr 2030 nur noch erneuerbaren Strom zu verbrauchen, realisiert werden kann, braucht es Lösungen, um die „volatilen Stromquellen zu kanalisieren und einen Lastenausgleich herzustellen, damit die Netze nicht überfordert werden“.


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Dr. Leo Schitter, CEO der Salzburg AG.

In Zukunft muss es dazu noch Großbatteriespeicher geben, zum Beispiel in Wasserstoff, der erzeugt wird und später wieder in Strom umgewandelt werden kann. In Salzburg, so Leo Schitter, seien zwei Standorte in Überlegung, an denen Wasserstoff erzeugt werden soll. Im Übrigen sieht er für den Individualverkehr Wasserstoff aktuell nicht als Alternative. Die Salzburg AG setzt auf E-Mobilität und arbeitet deshalb massiv an der Verdichtung der Ladesäulen, von denen es jetzt schon 220 im ganzen Land gibt. Pro Schnellladestation, die von 50 bis 350 kW Ladeleistung bringen, kostet eine derartige Säule 80.000 bis 200.000 Euro, rechnet Leo Schitter vor. AUSBAU DER NETZINFRASTRUKTUR Auf dem Weg zur „Greentech-Company“ braucht es auch eine Ertüchtigung der bestehenden Netze. In den nächsten Jahren wird von der Salzburg Netz GmbH mehr als eine halbe Milliarde Euro in den Auf- und Ausbau der Netze investiert. Der Ringschluss der 380-kV-Leitung war eine Grundvoraussetzung dafür, den Strom aus erneuerbaren Energiequellen zum Kunden zu bringen. Außerdem können in Summe rund 200 Kilometer an 220- und 110-kV-Leitungen und fast 700 Masten abgebaut werden. Geld wird auch in den Ausbau der Flusskraftwerke gesteckt. Derzeit betreibt die Salzburg AG 30 Wasserkraftwerke und mehrere Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. Zwei bis drei größere Neubauprojekte an der Salzach sind noch geplant. Vor allem aber wird das Thema Photovoltaik massiv forciert:

400 Millionen Euro werden hier eingesetzt, um das Ziel zu erreichen, 2027 zu den fünf wichtigsten Anbietern in Österreich zu gehören. Dazu ist es auch notwendig, private Energiegemeinschaften zu bilden, die untereinander Strom austauschen und die Abrechnung über eine Software, die die Salzburg AG bereitstellt, vornehmen. Aufgrund der schwierigen Suche nach geeigneten Standorten für Windkraftwerke geht Schitter nicht davon aus, dass diese grüne Energieerzeugung hierzulande eine massiv bedeutende Rolle spielen wird. BREITBANDAUSBAU Versorgungssicherheit bedeutet für das Technologieunternehmen Salzburg AG auch, dass das Breitbandnetz weiter ausgebaut wird. Deshalb hat das Unternehmen auch vor zwei Jahren 5G-Lizenzen erworben, damit auch dort, wo Lichtwellenleiter wirtschaftlich nicht verlegt werden können, eine Up- und Downloadrate von 1 GBit Daten pro Sekunde möglich sein wird. Mit 250 Millionen Euro nimmt die Salzburg AG hier ordentlich Geld in die Hand, um Internetdienstleistungen flächendeckend in höchster Datenqualität anbieten zu können. Das umfasst zum Beispiel das Thema autonomes Fahren. Das ist nur möglich, wenn immer gewährleistet ist, dass Informationen permanent in Echtzeit verfügbar sind. Höchstleistungsinternet brauchen auch Industriebetriebe, Dienstleister und Infrastrukturunternehmen, sagt der Salzburg-AG-Chef. „Dafür bauen wir sogenannte 5G-Campusse auf, etwa am Salzburgring oder beim Messezentrum Salzburg.“


WIRTSCHAFT

Intelligente Energie­ systeme Smart Grids, Smart Homes, Smart Meter. Diese drei Begriffe spielen für den Salzburger FH-Professor Dominik Engel eine wichtige Rolle. Er beschäftigt sich mit sicherer Energieinformatik. Einem Themengebiet, das unter den Aspekten der Energiewende ganz auf Wachstum ge-

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trimmt ist.


Intelligente Energiesysteme Dieses Wachstum lässt sich in Zahlen fassen: Als Dominik Engel 2012/13 den ersten Forschungsauftrag in dem Themengebiet bekam, bestand das Forscherteam an der FH Salzburg aus drei Wissenschaftlern, heute sind es 20. „Intelligente Energiesysteme sind ein spannendes Feld“, erzählt er im Gespräch mit DENK.

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LOKALE ERZEUGERGEMEINSCHAFTEN Bei den „Smart Grids“, also den intelligenten Stromnetzen, geht es darum, innerhalb des Netzes den Informationsaustausch sicherzustellen, damit die Stromerzeugung, der Verbrauch und die Speicherung optimiert werden können. In diesem Feld treibt Dominik Engel derzeit das Thema lokale Energieerzeugergesellschaften um. Die Digitalisierung hat bei der Produktion von Strom deutlich früher eingesetzt als bei der Verteilung. Wenn jetzt immer häufiger einzelne Erzeuger insbesondere von Solarstrom sich zusammenschließen, um die Energie optimal auszutauschen und zu nutzen, braucht es standardisierte Schnittstellen und Abrechnungsprogramme. Dabei spielen Aspekte der Cyber-Sicherheit eine große Rolle.

ENERGIEVERBRAUCH OPTIMIEREN Das Thema „Smart Homes“ befasst sich mit technischen Verfahren und Systemen in Wohnungen, in deren Mittelpunkt eine Erhöhung von Wohn- und Lebensqualität, Sicherheit und effizienter Energienutzung auf Basis vernetzter und fernsteuerbarer Geräte und Installationen sowie automatisierbarer Abläufe steht. Dazu gehören die Optimierung des Energieverbrauchs und natürlich auch das Thema Cyber-Sicherheit. Medien schreiben gerne über die Gefahr, dass sich jemand von außen in das System einhackt und etwa den Backofen einschaltet. Viel wichtiger ist aber die Optimierung der Energienutzung. Aktuell wird intensiv darüber gesprochen, wie es gelingen kann, die volatile Stromaufbringung so zu steuern, dass die Netze nicht überfordert werden und der einzelne Verbraucher Strom vermehrt dann nutzt, wenn er gerade kostengünstig ist. DATEN ÜBER ENERGIEVERBRAUCH An der Stelle kommen die "Smart Meter" ins Spiel. Sie messen den individuellen Stromverbrauch. Leider hatten sie einen sehr schlechten Start. Bei den ersten Testgeräten wurde noch weitgehend auf das Thema Cyber-Security verzichtet. Eine Münsteraner Forschungsgruppe hat sich daraufhin prompt eingehackt und damit deutliche Sicherheitsprobleme sichtbar gemacht. Etwa, dass bei sekündlicher Datenabfrage Rückschlüsse auf das Konsumentenverhalten gezogen werden können. Unter diesen Geburtsschmerzen leiden die Smart Meter noch heute, dabei wurde bei den Ausschreibungen der Geräte besonders auf die Sicherheit Wert gelegt. Die Messintervalle wurden deutlich verlängert, sodass ein Rückschluss auf Verbraucherverhalten kaum noch möglich ist. „Das Problem ist, dass die Nachteile bekannt wurden, ehe noch über den Nutzen gesprochen werden konnte“, moniert Dominik Engel.


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Prof. Dr. Dominik Engel vom Zentrum für sichere Energieinformatik an der FH Salzburg.

Aktuell findet hier gerade ein Paradigmenwechsel statt. Die Daten über den Energieverbrauch dienen etwa dazu, den Stromverbrauch „auf den letzten Metern zum Konsumenten“ sinnvoll zu lenken. Etwa dadurch, dass es Angebote gibt, die Benützung bestimmter Geräte oder das Laden von Elektroautos in ein Zeitfenster zu verlegen, in dem der Strom günstig zu bekommen ist. „Intelligente Verbrauchsplanung“ nennt Engel das, die keine geringe Bedeutung hat. In den Niederlanden etwa hat man ausgerechnet, dass das gleichzeitige Laden aller bereits vorhandenen E-Fahrzeuge so viel Strom verbraucht, wie ein halbes Atomkraftwerk erzeugen kann. Deshalb ist es sinnvoll, den Ladevorgang zeitlich intelligent zu steuern. Wobei der Wissenschaftler gleich hinzufügt, dass die

Letztentscheidung über die Nutzung dieser Zeitfenster beim Verbraucher liegen muss. Die Erfahrung zeige freilich auch, dass es oft schon genügt, das Steuergerät – in diesem Fall eine Handy-App – bereitzustellen, mit dem die Endabnehmer selbst eingreifen können. Letztlich – das haben Feldversuche gezeigt – tun sie das dann selten. Aber die Sicherheit, dass man könnte, wenn man wollte, stellt offenbar einen sehr hohen Wert dar.

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WIRTSCHAFT

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Kapital mobilisieren


Mehr Venture Capital, bitte In Salzburg hat die Übernahme der Radstädter Firma has-to-be durch einen US-Konzern große Aufmerksamkeit bekommen. Vor allem auch deshalb, weil es in Österreich um Mergers & Acquisitions in den letzten Jahren ruhig geworden ist. Wir haben den Fondsmanager Stefan Haubner gefragt, warum dieser Markt hierzulande schwächelt. „Weltweit geht der M&A-Markt gerade durch die Decke. In Österreich ist von diesem Boom wenig zu spüren“, schreibt Eva-Maria Berchtold in einer aktuellen Studie von EY. Die Anzahl der Transaktionen stieg in Österreich im ersten Halbjahr 2021 von 133 auf 147, was ungefähr dem Niveau vor der Coronakrise entspricht. Das Gesamtvolumen der Übernahmen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sank jedoch von 8,2 Milliarden auf 4,0 Milliarden Euro ab, also ungefähr auf das Niveau von 2019. Weltweit haben die Mergers & Acquisitions allein im ersten Halbjahr 2021 mit 2,22 Billionen Euro einen neuen Rekordwert erreicht.

Startup-Bereich brachten Deals hohe Millionenbeträge für die Gründer: Bitpanda – ein Fintech – oder GoStudent (bietet österreichweit Nachhilfe für Schüler an) gehören dazu. Ebenfalls Highflyer war in der jüngeren Vergangenheit Runtastic mit ihren Lauf- und Trainings-Apps, die jetzt unter dem Dach von adidas weiterentwickelt werden. Die Wettplattform bwin hatte ebenso österreichische Wurzeln wie eben has-to-be des Seebrunner-Kreis-Mitglieds Martin Klässner.

Die Statistik über den heimischen M&A-Markt trüge insofern, als die aktivsten Investoren Stiftungen und Family-Offices sind, die zusammen ein Kapital von 60 bis 70 Milliarden Euro verwalten, weiß Haubner. Diese Investoren sind zumeist extrem zurückhaltend mit der Weitergabe von Informationen über abgeschlossene Deals. Das Gleiche gilt auch für den Bereich Wagniskapital: „In der Statistik von Invest Europe befindet sich Österreich weit hinten. Das liege aber unter anderem daran, dass drei Viertel der öffentlich bekannten Transaktionen erst gar nicht eingemeldet werden“, berichtet Haubner.

SEIT DER FINANZKRISE GEHT’S BERGAB Für ihn hat sich das vielschichtige Problem seit der Finanzkrise 2008/09 aufgebaut. Diskutiert wird darüber auch in der AVCO (Austrian Private Equity and Venture Capital Organisation), deren Vizepräsident er ist, und auch in der kontinentalen Dachorganisation Invest Europe, in deren Board Haubner sitzt: „Rund um die Jahrtausendwende hat es in Österreich viele Fonds gegeben, die viel in Osteuropa und sogar in Lateinamerika investiert haben. In der Finanzkrise haben ausländische Investoren dann ihr Kapital abgezogen und die österreichische Fondslandschaft ist in den Winterschlaf übergegangen. Parallel dazu haben andere Nationen erkannt, dass Osteuropa für Anleger durchaus interessant ist.“

Österreich hätte eigentlich viel zu bieten, ist Fondsmanager Stefan Haubner überzeugt. Besonders gefragt sind die Branchen Life Science, Biotechnologie oder Pharmazie. So wurde etwa Themis Biotech weitgehend unbemerkt um 1,2 Milliarden Euro an den DAX-Konzern Merck verkauft. „Im

Eine der Hürden für neue Fondsmanager in Österreich ist, dass das Aufsetzen eines Fonds im europäischen Vergleich relativ zeitaufwendig ist. „Die Invest-Europe-Mitglieder haben schon in ganz Europa Fonds aufgesetzt und nirgendwo dauert es so lange wie hierzulande“, sagt Haubner.


„Investoren für Fonds zu finden ist in Österreich schwer. Wenn sich das ändern ließe, würde das natürlich auch den M&A-Markt befeuern. Am fehlenden Kapital liegt es jedenfalls nicht. 300 Milliarden Euro haben die die Österreicherinnen und Österreicher auf Konten und Sparbüchern liegen, 260 Milliarden Euro sind bei institutionellen Investoren (z. B. Pensionsfonds) und Banken geparkt. Nur ein winziger Bruchteil davon ist im heimischen PrivateEquity-Markt investiert.“ Stefan Haubner

Während etwa im benachbarten Liechtenstein ein neuer Fonds in vier bis sechs Wochen registriert ist, dauert es hierzulande aktuell vier bis sechs Monate. Die AVCO arbeitet gemeinsam mit der FMA daran, das zu ändern. Dringend geändert gehöre auch die Kapitalmarktkultur der heimischen Anleger. Gerade einmal vier Prozent besitzen Aktien, noch weniger sind es, die eigenständig in einem Fonds investiert sind (nicht gerechnet sind jene Gelder, die über Pensionsfonds oder Versicherungen am Kapitalmarkt investiert sind). Abgeebbt ist jedenfalls der einstige Boom österreichischer Investitionen in Osteuropa. Zwar sei dieser Markt noch immer sehr wichtig für die heimischen Banken, aber Venture Capital bzw. Private-Equity-Finanzierungen gebe es kaum noch. Das liege auch daran, dass die EU dort über den European Investment Fund EIF strategisch eine lokale Fondsstruktur aufgebaut hat. Umgekehrt fließt auch das ausländische Kapital nicht mehr so üppig nach Österreich wie noch vor Jahren. In den beiden zurückliegenden Jahrzehnten haben sich besonders Chinesen in österreichische Firmen eingekauft – bekanntestes Beispiel ist FACC. Jetzt zeigen sich Investoren aus dem arabischen Raum interessiert. Hindernisse sieht Stefan Haubner dabei in den Mentalitätsunterschieden und der Kleinteiligkeit

der heimischen Wirtschaft. KMU, die um 20 bis 30 Millionen Euro zu haben wären, fliegen definitiv unter dem Radar der Ölländer im Nahen Osten. Die möchten lieber in Großkonzerne investieren. ERWARTUNGEN AN DIE POLITIK „In Österreich geben wir uns immer wieder als Lokalprotektionisten. Unternehmen sollen in österreichischer Hand bleiben, aber finanzieren wollen wir sie nicht mit unserem Kapital“, ärgert sich der Fondsmanager, der rund um unser Land herum sieht, wie sich Fondsgesellschaften in Stellung bringen, die genau das tun. So hat sich der liechtensteinische Finanzminister schon drei Mal vor österreichischen Fondsmanagern präsentiert, um sie einzuladen, im Fürstentum tätig zu werden. Für Haubner ist es unerklärlich, dass wir in Österreich die Chance verstreichen lassen, die digitalen Leitbetriebe von morgen mit Wagniskapital auszustatten: „Die wirklich guten Unternehmen haben kein Problem, auf den internationalen Kapitalmärkten Eigenkapital aufzutreiben. Der heimische Markt schaut mit durch die Finger, weil u. a. nur Fremdkapital geboten wird. Wenn wir hier nicht bald Mittel bereitstellen, werden die neuen Hidden Champions ins Ausland abwandern.“


Foto: Haubner

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Stefan Haubner schlägt einen Dachfond für Wagniskapital vor.

Was hier schnell helfen könnte, wäre ein österreichischer Dachfonds. Dazu würde es genügen, wenn aus dem 260 Milliarden umfassenden Kapitalvermögen von institutionellen Investoren eine halbe Milliarde dort eingebracht würde. Auch Banken könnten Kapital in diesen Dachfonds einbringen und damit nicht mehr nur Fremdkapital für Unternehmen bereitstellen. Der Staat würde dabei eine kleine, aber wichtige Rolle spielen, indem er eine Garantie für den Dachfonds abgibt, um diesen attraktiver für Anleger zu gestalten. Die Gretchenfrage, die sich dabei stellt, ist, ob es einen Gestaltungswillen des Staates gibt, formuliert Stefan Haubner: „Es braucht am Anfang diese Geburtshilfe des Gesetzgebers, langfristig muss das der Markt dann natürlich allein schaffen.“

ÜBER STEFAN HAUBNER Der gebürtige Salzburger und frühere Berufsoffizier machte sich nach dem Militär als Unternehmensberater selbstständig, engagierte sich als Business Angel und hob schließlich 2015 den ersten Fonds für die Frühphasenfinanzierung von Startups aus der Taufe. Jetzt gibt es bereits drei solcher Fonds mit einem Kapital von rund 55 Millionen Euro, das von FamilyOffices, wohlhabenden Einzelpersonen und deutschen Pensionskassen kommt.


WIRTSCHAFT

Gespreiztes Wachstum Die vierte Coronawelle bremst den Aufholprozess in bestimmten Dienstleistungsbranchen abermals. Der Konjunkturaufschwung verläuft 2021/22 gesamtwirtschaftlich dennoch kräftig, prognostiziert WIFO-Konjunkturexperte Dr. Stefan Schiman. DENK hat mit ihm über die Aussichten für 2022 gesprochen. „Der Konjunkturaufschwung ist zwar äußerst kräftig, es zeigen sich jedoch deutliche sektorale Unterschiede. Während er im produzierenden Bereich zu Materialengpässen führt, sind viele Kinosäle und Hotels noch fast leer. Die vierte Covid19-Welle verschärft diese Spreizung zusätzlich“, so der Autor der aktuellen WIFO-Prognose. Im Detail: Für 2021 berechnen die Konjunkturforscher das reale Wachstum heuer 4,1 %, 2022 sollen es sogar 4,8 Prozent sein. Erstaunlich hohe Werte, wenn man die jüngste Prognose des scheidenden deutschen Wirtschaftsministers Peter Altmaier in Betracht zieht. Selbiger hat jüngst die Vorschau für dieses Jahr von 3,5 auf 2,7 % heruntergeschraubt. Schuld sind Rohstoffknappheit und gestiegene Energiepreise. Für 2022 rechnet der scheidende Ressortchef mit 4,1 % Wachstum. Die Zahlen für ganz Europa: dieses Jahr plus 4,8 %, nächstes Jahr ein Zuwachs des BIP um 4,4 %. Dass Deutschland dagegen relativ „schlecht“ aussieht, müsse man unter dem Aspekt sehen, dass Länder wie Österreich mit einem hohen Dienstleistungsanteil vor allem 2020 einen viel stärkeren Konjunktureinbruch erlebten als Deutschland, erläutert WIFO-Prognostiker Schiman. Österreich musste letztes Jahr einen Absturz des Bruttoinlandsprodukts um real 6,7 % hinnehmen, die gesamte EU um 4,8 %, Deutschland „nur“ um 4,6 %. PEITSCHENEFFEKT FÜR DEUTSCHLAND Die Wachstumskorrektur für dieses Jahr erklärt Dr. Schiman so: Deutschland ist sehr stark in der Automobilindustrie und ist dort vor allem in der Endfertigung führend, steht also am Ende der Lieferketten: „Hier wird deshalb der ‚Peitscheneffekt‘

am stärksten wirksam.“ Trivial formuliert: Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo bei einem Zulieferer ein Problem auftritt, wird umso größer, je mehr Schritte auf dem Weg zum Fertigprodukt gesetzt werden müssen. KRÄFTIGER REBOUND Zurück zur WIFO-Prognose für Österreich: Die neuerliche Covid-19-Welle werde den Aufholprozess in bestimmten Dienstleistungsbranchen im vierten Quartal 2021 abermals dämpfen, erwartet das WIFO. Auch der Arbeitsmarkt, der sich zügig erholt hat, werde durch die vierte COVID 19-Welle vorübergehend erneut einen Rückschlag erleiden. „Zugleich wird sich der Preisauftrieb weiter beschleunigen, während die Geldpolitik – der neuen Strategie der EZB entsprechend – expansiv bleibt“, heißt es in der aktuellen Konjunkturprognose. Wie schon nach der ersten Covid-19-Welle im Frühjahr 2020 kam es in Österreich auch im Mai 2021 zu einem kräftigen Rebound der Wirtschaftsleistung, als die Lockdown-Maßnahmen aufgehoben waren. Dieser Effekt rasanten Aufholens, der von den krisengeschüttelten Branchen getragen wurde, dürfte gemäß vorläufigen Daten der Konjunkturforscher etwas kräftiger ausgefallen sein als erwartet. Zugleich war die heimische Wirtschaft zu Jahresbeginn 2021 weniger stark eingebrochen als befürchtet. Das WIFO revidierte daher seine Prognose für 2021 nach oben. CORONA DÄMPFT KONJUNKTUR Allerdings schwächt sich das Wirtschaftswachstum mit der erneuten Zunahme des Infektionsgeschehens seit Mitte Au-


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„Während er im produzierenden Bereich zu Materialengpässen führt, sind viele Kinosäle und Hotels noch fast leer. Die vierte COVID19-Welle verschärft diese Spreizung zusätzlich. Im Tourismus gehen wir von einem Rückgang der Nächtigungen gegenüber 2019 von 12 Prozent aus." Stefan Schiman, Autor der Foto: WIFO

aktuellen WIFO-Prognose Stefan Schiman, Autor der aktuellen WIFO-Prognose

WIFO-Konjunkturexperte Stefan Schiman WIRTSCHAFTSPROGNOSE OKTOBER 2021 Veränderung gegen das Vorjahr in % gust 2021 wieder ab, vor allem in der Gastronomie und Hotellerie. Aufgrund des schleppenden Impffortschritts wird die Covid-19-Pandemie auch im kommenden Winterhalbjahr die Konjunktur dämpfen. Ab dem Frühjahr 2022 dürfte sich das Wachstum dann wieder beschleunigen, weshalb die BIP-Prognose für 2022 nur leicht auf plus 4,8 % gesenkt wurde. 12 % NÄCHTIGUNGSMINUS ZU ERWARTEN Neben der zukünftigen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik stellen mögliche weitere preistreibende Angebotsschocks auf den Weltmärkten und der künftige Verlauf der COVID 19-Pandemie wichtige Prognoserisiken dar. Wie die letzten Wochen zeigten, kann das Infektionsgeschehen rasch zu-, aber auch jäh abnehmen. Dementsprechend sei derzeit nur schwer absehbar, wie sich etwa der Wintertourismus entwickeln wird. „Die aktuellen Prognosen gehen davon aus, dass die Nächtigungen im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2018/19 um 12 % geringer ausfallen werden“, erläutert Schiman im Gespräch mit DENK.

2020

2021

2022

Bruttoinlandsprodukt, real

-6,7

+4,4

+4,8

Private Konsumausgaben, real

-8,5

+4,5

+6,0

Dauerhafte Konsumgüter

-2,6

+12,5

+3,0

Bruttoanlageinvestitionen, real

-5,2

+8,2

+4,1

Exporte, real

-10,8

+8,6

+8,9

Importe, real

-9,4

+9,9

+8,2

Bruttoinlandsprodukt, nominell

-4,6

+6,6

+7,4

Mrd. € Leistungsbilanzsaldo in % des BIP Verbraucherpreise

379,32 404,50 434,58 1,9

-0,1

-0,0

+1,4

+2,8

+3,0

Finanzierungssaldo des Staates laut Maastricht-Definition

-8,3

-6,3

-1,9

Unselbständig aktiv Beschäftigte

-2,0

+2,3

+1,9

9,9

8,2

7,4

Arbeitslosenquote in % der unselbständigen Erwerbspersonen

Quelle: WIFO


WIRTSCHAFT

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Agenda der Jungen


22 23

Enkelfähige Zukunft Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Arbeitsmarkt, qualifizierte Zuwanderung, Digitalisierung. Das sind die Themen, die auf der To-do-Liste von Jungunternehmern in Salzburg ganz oben stehen. Wir haben darüber mit den Vorsitzenden der Jungen Wirtschaft und der Jungen Industrie, Martin Kaswurm und Clemens Usner, gesprochen. Die Babyboomer der Fünfziger- und beginnenden Sechzigerjahre gehen jetzt zahlreich in Pension. Damit entsteht einerseits eine Lücke an Arbeitskräften, andererseits wird der Zuschuss für die Renten immer größer. „Hier braucht es Generationengerechtigkeit“, sagt Martin Kaswurm. „Wir Jungen müssen das auffangen können.“ Dazu brauche es eine Reihe von Reformen. „Erhöhung des Pensionsantrittsalters und Erleichterung der Zuverdienstmöglichkeiten neben der Pension sind zwei als vordringlich gesehene Punkte, die abgearbeitet gehören“, meint Martin Kaswurm. Er ist sich dabei mit Clemens Usner völlig einig: „Wir müssen eine enkelfähige Zukunft schaffen.“ Ein mittelbar damit zusammenhängendes Thema ist die Reform des Arbeitsmarktes. „Es ist zu attraktiv, arbeitslos zu sein, deshalb bleiben der Wirtschaft wichtige Fachkräfte vorenthalten“, sagt der CEO von Chaka2, Martin Kaswurm. Es brauche eine Binnenmigration innerhalb Österreichs vom Osten mit höherer Arbeitslosenquote in den Westen mit Vollbeschäftigung und eine qualifizierte Migration aus dem Ausland: „Nur mit Österreicherinnen und Österreichern lässt sich die Nachfrage nicht stillen.“ Außerdem gehöre die qualifizierte Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland reformiert. Die Rot-Weiß-Rot-Karte sei längst nicht mehr zeitgemäß bzw. ist sie einfach zu kompliziert, kritisiert Martin Kaswurm. Er nennt zwei Beispiele, die Wohnungsfrage und die Bearbeitungszeit: Mögliche neue Mitarbeiter oder Bewerber müssen zuerst eine Wohnung haben, bevor sie die Rot-WeißRot-Karte beantragen können. Da beißt sich ja die Katze in den Schwanz. Außerdem wartet kein internationaler Spitzenbewerber drei bis fünf Monate auf die Abwicklung durch die Bürokratie. Der Arbeitsmarkt Österreich verliert vor allem bei

unseren Startups und international agierenden heimischen Unternehmen an Attraktivität im europäischen Vergleich. BOCK AUF ARBEIT MACHEN Das Thema, wie dem Fachkräftemangel beizukommen ist, treibt auch Clemens Usner um. Er denkt schon länger darüber nach, wie die Menschen verstärkt „Bock auf Arbeit“ bekommen. Junge Mütter, die arbeiten möchten, überlegen sich das aus zwei Gründen: Ein Halbtagsjob zahlt sich finanziell nicht aus. Aktuell hängen Vorhandensein und Qualität von elementaren Bildungseinrichtungen vom Wohnort ab, und diese sind in der Regel auch noch zeitlich sehr unflexibel. Dadurch gehen Frauen oft für viele Jahre für den Arbeitsmarkt verloren. Ein großes Thema ist für Usner deshalb die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im eigenen Unternehmen hat er jetzt für den Außendienst die Vier-Tage-Woche eingeführt. „Wir haben vereinbart, dass vier Tage Vollgas gegeben wird, damit dann an drei Tagen die Work-Life-Balance gefunden werden kann“, sagt er. „Als Junge Industrie bieten wir unseren Mitgliedern ein Mentoring-Programm, bei dem erfahrene CEOs der Generation angehender Führungskräfte mit Rat und Tat zur Seite stehen. Der regelmäßige Austausch soll deren Arbeitsleistung kontinuierlich verbessern und deren persönliche Entwicklung fördern. Die beste Version von sich selbst zu werden – darum geht es doch.“ Clemens Usner


16.52

Work-Life-Balance wird für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wichtiger. Foto: iStock.com

AWARENESS FÜR DIE UMWELT Das Thema Nachhaltigkeit ist bei den Unternehmern längst angekommen. „Wir haben schon sehr viel in den Betrieben getan und kein Unternehmer hierzulande verneint die Notwendigkeit, Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen im Blick zu haben“, ist Kaswurm überzeugt. „Allerdings zeigen das viel zu wenige Unternehmen auch her.“ Es gelte, das Thema weiter in der Gesellschaft zu verankern. Die politischen Vorgaben seien hier das eine, die konkrete Umsetzung das andere. Gerade wir Europäer sollten mit Optimismus, aber auch realitätsnahe innerhalb der Leitplanken, die die Politik vorgibt, an das zentrale Zukunftsthema herangehen. Klimapolitik sei nicht mit Verboten zu machen, vielmehr gelte es, Anreize zu schaffen und technische Alternativen zu entwickeln. FRÜHZEITIG NÄHE ZUR WIRTSCHAFT UND TECHNIK SCHAFFEN Um junge Leute für die Wirtschaft und Technik zu gewinnen, werde bereits sehr viel getan. Von den Spürnasenecken, die schon die Kindergartenkinder spielerisch an Themen der Technik, Physik und Chemie heranführen, über den Talentecheck bis hin zum Ausbau der Studien im Bereich der MINT-Fächer oder der Digitalisierung wurden viele Schritte gesetzt. Ein Wunsch der Jungen Wirtschaft und der Jungen Industrie ist es, dass die Berufs- und Einkommenschancen einer Lehre besser kommuniziert werden. Außerdem sollte in den berufs-

und allgemeinbildenden höheren Schulen mehr praktischer Unterricht im Bereich Betriebswirtschaft als Vorbereitung auf eine spätere Tätigkeit in Unternehmer- oder Managementfunktionen gegeben werden. „Junge, aufstrebende Unternehmer wollen ihre Ideen rasch umsetzen und die PS schnell auf die Straße bringen. Dem steht hierzulande oftmals die Bürokratie im Wege, deren Mühlen nach wie vor sehr langsam mahlen. Als Junge Wirtschaft möchten wir diesen Neugründern eine Plattform bzw. ein Netzwerk bieten, in dem sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können, um Shortcuts und Unterstützung in dieser Entwicklungsphase zu finden.“ Martin Kaswurm JEDER BETRIEB MUSS ÜBER DIGITALE GESCHÄFTS­ MODELLE NACHDENKEN Covid habe der Digitalisierung einen enormen Push gegeben, der weiter anhalten wird. „Wenn wir am Markt bestehen wollen, müssen wir am Puls der Zeit bleiben. Das bedeutet, dass die Betriebe eine digitale Marktstrategie entwickeln müssen“, formuliert Clemens Usner. Niemand dürfe sich in Sicherheit


Foto: Andreas Kolarik

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Martin Kaswurm, Landesvorsitzender der Jungen Wirtschaft, und Clemens Usner, Vorsitzender der Jungen Industrie (von links).

wiegen, dass es seine Branche oder den eigenen Betrieb nicht treffen werde. Die Digitalisierung werde vor niemandem Halt machen. Junge Wirtschaft und Junge Industrie bieten gemeinsam mit den Dachorganisationen Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sowie der ITG viele Weiterbildungsmöglichkeiten, Webinare und Beratungen an. Es gäbe auch eine hohe Awareness, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, sich permanent weiterzuentwickeln und sich digitale Skills anzueignen. Dieses Bewusstsein müsse sich auch beim Staat breit machen, der durch die Digitalisierung ebenfalls schneller und schlanker würde. Sorge bereiten beiden Unternehmern die zunehmenden Hackerangriffe. 60 % der Industriebetriebe, rechnet Usner vor, hatten schon üble Erfahrungen mit Cybercrime. STANDORT SALZBURG: VIEL RICHTIG GEMACHT Lob gibt es von den beiden Jungunternehmern für den Standort Salzburg. „Da wurde schon sehr viel richtig gemacht, nicht zuletzt auch durch den Breitbandausbau.“ Auch wenn der Wohnungsmarkt sehr eng ist: Die Lebensqualität ist hervorragend, Landschaft und Natur ohnedies. Bei allen Problemen mit der Fachkräftemangel, machen es diese Faktoren doch verglichen mit anderen Regionen noch etwas leichter, Menschen anzuziehen. Schulen, Fachhochschulen und Universitäten haben in den letzten Jahren viele wirtschafts- und technik-

nahe Curricula neu aufgenommen. Es gibt zudem viele Weltmarktführer, die überregional eine hohe Reputation genießen und in deren Umfeld innovative junge Betriebe entstehen. Um Salzburg im Wettbewerb der Regionen an guter Stelle zu positionieren, braucht es noch mehr Leuchttürme der Innovation. ÜBER CLEMENS USNER UND MARTIN KASWURM Der 40-jährige Mag. Clemens Usner ist 2016 in den väterlichen Betrieb eingestiegen und hat diesen 2017 nach dem Tod seines Vaters übernommen. Die 1949 gegründete Usner GmbH mit Sitz in Hallein produziert Hilfsmittel für Gießereien und handelt mit Spezialchemie für die Kunststoffbranche. 2019 wurde er Vorsitzender der Jungen Industrie. Der 35-jährige Ing. Martin Kaswurm MA, BSc hat an der Privatuniversität Schloss Seeburg sowie der Harvard Business School studiert und 2010 die Live-Marketing-Agentur Chaka2 mit aktuell 15 Mitarbeitern an den Standorten Wien und Salzburg gegründet. Bedingt durch die Pandemie hat er sein Unternehmen in den letzten beiden Jahren einem digitalen Transformationsprozess unterzogen. Streaming-Services, Videoproduktionen und Social-Media-Leistungen wurden ausgebaut. Seit 2020 ist er Landesvorsitzender der Jungen Wirtschaft.


WIRTSCHAFT

Foto: Christian W. Franz

Homeoffice (über)fordert


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Führen auf Distanz Viele Unternehmen haben im Lockdown ihre Arbeitsmodelle adaptiert. Führungskräfte erhalten eine neue, aktive Rolle und scheitern dabei häufiger, als zugegeben wird. Warum das so ist, haben wir den Salzburger Wirtschaftspsychologen Dr. Rainer Buchner gefragt. „New Work“ hat in vielen Unternehmen Einzug gehalten und wird aufgrund ihrer Vorteile für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer gleichermaßen über die Pandemie hinaus Bestand haben. Führungskräfte stehen plötzlich in der Bringschuld, was die Kulturveränderung des Unternehmens, die Organisationsentwicklung und die Stärkung der Arbeitgebermarke betrifft. Rainer Buchner hat sich als Wirtschaftspsychologe die Frage gestellt, warum Führungskräfte dabei oft scheitern. Rund um das Thema „Remote Working“ wurden in den letzten Monaten viele Thesen aufgestellt, die leider am Prüfstand oft nicht standhalten, weiß Buchner aus einer Reihe von Beratungsmandaten. GRUNDLEGENDE KONTAKTBEDÜRFNISSE Die naheliegendste dieser Thesen ist, dass sich Menschen, die die Möglichkeit haben, ein bis zwei Tage die Woche zu Hause zu arbeiten, Stress ersparen. Für Unternehmer ist das die Möglichkeit, sich als Work-Life-Balance-orientierter Arbeitgeber zu positionieren. Trotzdem kehrten viele Menschen nach den Lockdowns wieder täglich ins Büro zurück. „Das liegt nicht nur an den lieben Kolleginnen und Kollegen oder den beengten Wohnverhältnissen. Dahinter stehen grundlegende soziale Kontaktbedürfnisse, aber auch subkutane Ängste: ‚‚Wer nicht da ist, wird als weniger fleißig wahrgenommen‘ und ‚‚Wen die Führungskraft nicht sieht, lobt sie nicht und sie übersieht die Betroffenen auch bei Karriereschritten‘ sind nur zwei von vielen Befürchtungen.“ Allein die Klärung, wer aus dem Team

Präsenz und wer Distanz wolle, sei eine schwer lösbare Aufgabe. Dazu komme dann noch die schwer lösbare Aufgabe der organisatorischen Installierung. LEGENDE DER SELBSTORGANISATION Eine weitere – personalpolitisch sehr weitreichende – These ist, dass Selbstorganisation und weitestgehende Freiräume das Heilmittel des neuen Worklife seien. Diese These sei zu absolut gefasst, ist sich Buchner sicher: „Das mag für IT-Beraterfirmen so gelten, für viele Bereiche sind klassische Arbeitsabläufe durchaus notwendig. Und je weniger Führung und Gruppendynamik die sozialen Bindemittel darstellen, umso stärker werden die Fliehkräfte gegen die Zugehörigkeit.“ Das sei gerade in Zeiten des Fachkräftemangels eine große Gefahr. Die Frage müsse geklärt werden, wie man den Spagat schaffen könne. SCHWIERIGE SYSTEMÄNDERUNG Die dritte These postuliert, dass sich Führungskräfte an die neue Situation anpassen müssen. Aber können sie das und wenn ja, tun sie es auch? Skepsis sei angebracht. Dr. Buchner wählt dazu einen Vergleich aus dem Sport: „Wenn Fußballprofis schon an der Umstellung vom 4:4:3-System auf ein 3:4:2:1-System scheitern, warum sollen dann Manager von heute auf morgen den Schalter umlegen können?“ Es sei bei Weitem nicht so einfach, einen erlernten Führungsstil plötzlich auf Verständnis, Konsens und Dialogorientierung umzustellen. Gleichzeitig dürfe man auch nicht der ideologischen Übertreibung des Mainstreams von Achtsamkeit, Mindfulness und Wertschätzung erliegen. Wie also funktioniert Führung psychologisch und hirnphysiologisch am besten? Im klassischen Büroverbund treffe man sich mal zu Meetings, mal zur kurzen Nachfrage, was los ist. Beim Socializing entsteht ein Wir-Gefühl, das auf Distanz nur durch intelligente Kommunikation erzeugt werden kann. Auf die Ferne müssen Ziele definiert werden, klar formulierte Aufgaben vergeben und innerhalb eines definierten Zeithorizonts auch eingefordert werden. Wie installiert man bei „distant leading“ eine agile, höchst effiziente Kommunikations- und Führungskultur? „Das ist eine andere Hausnummer als die frühere ‚‚Befehlsausgabe‘. Die Teams wiederum müssen die Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Ergebnisorientierung auch leben, um gewonnene Freiräume und Autarkie zu rechtfertigen“, erklärt Rainer Buchner. Dazu braucht es entsprechende Einsichten und Werkzeuge. Erkenntnisse aus Wirtschaftspsychologie, Hirnforschung, Organisationsentwicklung und Kommunikationswissenschaft seien dabei die wichtigsten Schlüssel, sagt der erfahrene Unternehmensentwickler.


WISSENSCHAFT

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Vielfalt als Erfolgsfaktor


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Talente folgen keinen Stereotypen Diversität ist ein weites (Forschungs-)Feld, das die Wiener Universitätsprofessorin Dr. Regine Bendl seit dem Jahr 2002 beackert. Im Interview hegt sie Zweifel daran, dass der Prozess irreversibel angestoßen wäre: „Man muss nach wie vor ein Auge darauf haben, sonst kehren sich die Verhältnisse wieder um.“ Dem Wortsinn nach bedeutet der Begriff Diversität Vielfalt. Dabei wird oft darauf vergessen, auch das Gemeinsame in den Blick zu nehmen. „Damit ich in der Vielfalt arbeiten kann, brauche ich eine Vertrauensbasis, die auf Gemeinsamkeiten beruht“, sagt Regine Bendl. Für die Diversitätsdimensionen Geschlecht, Ethnizität, Religion, sexuelle Orientierung und Alter sowie Behinderung besteht ein ausdrücklicher Diskriminierungsschutz. In der Praxis, weiß die Wissenschaftlerin, fokussieren sich Unternehmen bei Projekten auf diese sechs Bereiche, wobei die meiste Energie in das Thema Gender fließt. Augenmerk richten die Unternehmen aber auch auf Behinderung, Ethnizität, sexuelle Orientierung und Alter. Bei Religion geht es in Organisationen hauptsächlich darum, welche religiösen Feiertage eingehalten werden müssen und welches Essen in der Kantine angeboten werden sollte. „Eine grundsätzlichere Diskussion über die zugrunde liegenden weltanschaulichen bzw. religiösen Begründungen für wirtschaftliches Handeln findet in den Organisationen nicht statt“, weiß die Forscherin. Andere Diversitätsthemen wie Status in der Organisation, Seniorität oder konfliktträchtige Themen wie früher das Rauchen und neuerdings das Thema „Geimpft oder nicht“ werden weniger strategisch aufgearbeitet.

ähnlichen Problemen konfrontiert sind wie die Unternehmerinnen aus den 1990er- und 2000er-Jahren, deren Probleme in Studien analysiert wurden. Bei allem Selbstbewusstsein, das vielerorts von jungen Universitätsabsolventinnen und weiblichen Nachwuchsführungskräften an den Tag gelegt werde, traut die Professorin den organisationalen Prozessen und Strukturen noch nicht so ganz: „Würde es sonst Veranstaltungen wie ‚‚Karrieren von Frauen in Startups‘ überhaupt noch geben müssen?“

OHNE QUOTEN EIN LANGER WEG In Bezug auf Frauen in Führungspositionen habe sich in den letzten Dekaden sehr viel verändert, doch „das Ende der Fahnenstange in Bezug auf Frauen im Top-Management ist noch nicht erreicht“, weiß Bendl. Sie erachtet Quoten aus der Erfahrung heraus als wichtig. Ohne Quoten wäre der Weg zur Gleichstellung in diesem Bereich zeitlich noch länger. Auch das Thema ‚„Frauen als Unternehmerinnen“ sei noch nicht gelöst. Mittlerweile zeige sich, dass junge Frauen in den Startups mit

Die Wiener Universitätsprofessorin hat im Laufe ihrer wissenschaftlichen Laufbahn eine Reihe von Auslandsengagements unter anderem an den Universitäten Oxford und Stanford, der Freien Universität Amsterdam und der Technischen Universität Auckland (Neuseeland) gehabt und dabei ein enges Netz an internationalen Kooperationsbeziehungen geflochten. Dadurch wurde sie auch zur Mitwirkung am „Oxford Handbook of Diversity in Organizations“ eingeladen. Darin finden sich einige Kernbotschaften und praktische Tipps:

SPRACHE ERZEUGT BILDER Zur inzwischen sehr kontrovers geführten Diskussion über das Gendern gibt Regine Bendl zu bedenken, dass die Sprache Dinge durch Benennen sichtbar macht, indem sie Bilder erzeugt, die dann eingeprägt werden. Deshalb sei eine geschlechtergerechte Sprache wichtig, denn sie vermittelt viel über Rollenverständnisse und Einstellungen. Sie beobachte, dass in letzter Zeit immer häufiger das Thema ins Lächerliche gezogen werde, um die Bemühungen, Gleichstellung herzustellen, abzuwerten: „Wir haben nur die Sprache, um Bilder im Kopf zu erzeugen, und die dürfen nicht nur von Stereotypen heterosexueller, männlicher, weißer Normen geprägt sein.“


1. Die theoretisch-konzeptionelle Beschäftigung mit Diversität schadet nicht: Theorien schaffen ein besseres Verständnis dafür, was gerade in der Organisation passiert. Reine erfahrungsbasierende Erkenntnisse verleiten oftmals dazu, falsche Entscheidungen zu treffen: „Wem nicht bewusst ist, dass in einem Unternehmen diskriminiert wird, kann auch nichts dagegen tun.“ 2. Kontextbezogene Betrachtung: Diversitätsfragen müssen immer im konkreten Zusammenhang gesehen werden. „Man kann nicht eine Lösung erarbeiten und dann auf alle Herausforderungen anwenden.“

3. Abgehen von der Schwarz-Weiß-Malerei: Bei der Beschäftigung mit Vielfalt gibt es viele Grautöne, die beleuchtet werden sollten. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, wie vielfältig die Positionen und damit verbunden die Erfahrungen von Menschen und ihre Handlungsmuster wirklich sind. 4. Alle Diversitätsdimensionen sind wichtig, es muss aber eine Entscheidung getroffen werden, mit welcher zu arbeiten begonnen wird. Alle Dimensionen zugleich in den Blick nehmen überfordert jede Organisation.

„Die besten Talente sind nicht unbedingt weiß, männlich, im mittleren Alter, deutschsprechend und heterosexuell. Insofern ist die Vielfalt zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für das Überleben von Organisationen und

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Unternehmen geworden.“ Universitätsprofessorin Dr. Regine Bendl


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Universitätsprofessorin Dr. Regine Bendl

„Die Thematik der Gleichstellung von Frauen ist nicht erledigt, man muss nach wie vor ein Auge darauf haben, sonst kehren sich die Verhältnisse wieder um. In den Unternehmen ist die strategische Ausrichtung auf Gleichstellung und Diversität wichtig, weil die soziokulturelle Entwicklung fortschreitet.“ NEUE THEMEN WERDEN AUFPOPPEN Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass das Vereinbarkeitsthema noch nicht gelöst ist, aber Bendl glaubt, dass sich aufgrund von coronainduzierten Veränderungen in Organisationen ‚„alte neue“ Themen dazugesellen werden. Stichworte dafür sind die Doppelbelastung durch Job und Kinderbetreuung im Homeoffice und die damit verbundene Unsichtbarkeit von Frauen in Unternehmen. Weil Frauen zukünftig vielleicht wieder öfter von der Möglichkeit Gebrauch machen, von zu Hause aus zu , als Männer, könnten sie wieder öfter „übersehen“ werden, wenn es um Lob und Anerkennung und damit auch um Karriereschritte geht. Siehe dazu auch den Artikel „Homeoffice (über)fordert“. FRAUEN IN TOPPOSITIONEN STEIGERN DEN ERFOLG VON UNTERNEHMEN Ein Thema, mit dem sich die Wissenschaft befasst, ist die Korrelation von Frauen in Toppositionen und dem betriebswirtschaftlichen Erfolg der jeweiligen Unternehmen. Dieser

Zusammenhang, so Bendl, sei schon seit vielen Jahren durch Studien belegt. Eine erste Langzeitstudie dazu gab es für den Zeitraum von 1992 bis 1998. Damals wurden die 500 umsatzstärksten US-Unternehmen untersucht, die zwei Drittel zum Bruttoinlandsprodukt der USA beisteuerten. Das Ergebnis: Firmen mit einer höheren Anzahl an weiblichen Führungskräften lagen bezüglich verschiedener Erfolgsfaktoren (weit) über dem Durchschnitt der jeweiligen Branche. Seit damals werden immer wieder Studien mit ähnlichen Ergebnissen durchgeführt. Auf die Frage, ob Frauen integrer handeln würden als Männer, wenn sie in Führungspositionen sind, meint Regine Bendl, „dass das schon möglich“ sei. Sie würde jedenfalls nicht behaupten wollen, dass alle männlichen Führungskräfte gesetzesunkonform handeln würden. Gesetzeskonformes Handeln hänge in großem Maße zunächst von der generellen Integrität der jeweiligen Person ab, aber auch davon, ob er/sie eine rationale Chancen-Risiko-Abwägung mache, unter welchem persönlichen Erfolgsdruck er/sie stehe und nicht zuletzt welchen Druck der Markt, Stakeholder bzw. das gesamte Umfeld ausübten. Empfehlen würde sie gesetzwidriges Handeln jedenfalls nicht. Bei allen positiven Erkenntnissen, Fortschritten und Errungenschaften sieht die Wiener Universitätsprofessorin nach wie vor eine umfängliche Agenda, die abzuarbeiten ist. Der Genderfokus ist in den Organisationen angekommen, „aber das ist nur Gender-Diversität und nicht Diversität. Im Besonderen bei Mittelbetrieben müsse der Fokus vermehrt auf andere Themen wie Ethnizität, Alter, sexuelle Orientierung, Religion und Behinderung gerichtet werden. Vor allem aber gehe es darum, die (positive) Außendarstellung mit den (realen) Taten in Einklang zu bringen, wenn man die besten Talente rekrutieren möchte.


WISSENSCHAFT

Die Zukunft ist digital

Estland gehört zu den kleinsten Staaten der EU, spielt aber eine Vorreiterrolle bei der Einführung des „digitalen Staates“. DENK hat mit dem Politologen und Buchautor Florian Hartleb darüber gesprochen, was

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Österreich von den Balten lernen kann.


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Vorbild Estland Das Land, welches halb so groß ist wie Österreich, ist dünn besiedelt, hat kaum Industrie, eine extrem geringe Staatsverschuldung, gehört aber dennoch zu den ärmeren Ländern der EU. Dafür steht es in zwei Bereichen ganz oben in Europa: bei der Bildung und der Digitalisierung. Estland hat mit die besten Schulen Europas. Estnische Schülerinnen und Schüler sind Europas PISA-Sieger; in Mathematik, Lesefähigkeit und Naturwissenschaften stehen sie auf Platz 1. Mit einem Bildungsbudget, das deutlich unter dem OECD-Schnitt liegt. Seit Jahren lässt der Kleinstaat am Finnischen Meerbusen das „alte Europa“ – wie es der aus Passau stammende Politikwissenschaftler Florian Hartleb nennt – in Sachen digitale Services für die Bürgerinnen und Bürger des Landes tatsächlich ganz alt aussehen. Während es in Zentraleuropa Diskussionen über den Datenschutz gibt, gab es am östlichen Rand der EU immer eine „Chancendiskussion“, weiß Florian Hartleb. Aus Niederbayern der Liebe wegen nach Tallinn gekommen, erlebte er von der ersten Minute an einen Paradigmenwechsel: „In Estland durchlief ich als Bürger und dann auch als Forscher einen Lern- und Verwunderungsprozess.“ Obwohl es im Jahr 2007 einen Hackerangriff vermutlich aus dem großen Nachbarland Russland gab, wich der baltische Staat nicht von seiner Linie ab. Vielmehr wurden die Bürger sensibilisiert für das Thema Cyber-Security. Die „digitale Datenstraße“ der Regierung ist eine OpenSource-Plattform mit dezentralen Einheiten. Auf dieser Straße stehen Hunderte E-Services für Bürger, Beamte und Unternehmer zur Verfügung. Völlig transparent ist, wer auf die Daten zugreift, soweit nicht Datenschutz oder medizinrechtliche Bestimmungen dagegensprechen. Wer schaut mein Profil an, welche Firmenbeteiligungen hat eine Person, wer verbreitet illegal Informationen? All das kann einfach nachvollzogen werden. So wurde etwa ein Polizist aufgedeckt, der nachgesehen hat, was sein Nebenbuhler macht, oder ein Arzt verurteilt, der die Krankheit eines Spitzenpolitikers an Medien weiterspielte. BABY WIRD SOFORT DIGITALER STAATSBÜRGER Der Sohn Hartlebs wurde 2017 in Estland geboren – und hat zwei Staatsbürgerschaften. Die analoge deutsche sowie die

digitale estnische. Schon während der Schwangerschaft erhielt der Ungeborene seine Bürgernummer, die ein ganzes Leben gleich bleibt und digital Türen öffnet. Das Krankenhaus hatte schon bei der Entbindung alle Daten des Neugeborenen zur Verfügung. Der elektronische Ausweis ermöglicht unbürokratisch alle Behördengänge, speichert Rezepte und dient zur Erledigung, ohne dass man vor Ort sein müsste. Einzige Ausnahme sind Hochzeiten, Scheidungen und Notartermine. Selbstverständlich wird auch die Steuererklärung in Estland digital erstellt, wobei der zu zahlende Betrag durch einen Algorithmus errechnet wird. Binnen drei Wochen sind Guthaben oder Steuerzahlungen erledigt. 98 % der Staatsbürger nutzen das. Was im Jahr 2001 der deutsche Kanzler Gerhard Schröder als (nur schleppend umgesetzte Parole) ausgab, ist für die Estinnen und Esten Realität: „Die Daten sollen laufen, nicht die Bürger!“ FREIWILLIGE INFORMATION AN DATENKRAKEN Die zwei Prozent analoger Steuerzahler zeigen, dass es auch in Estland Skeptiker und Verschwörungstheoretiker gibt. 15 Prozent der Bevölkerung zählt Hartleb zu dieser Gruppe. Debatten gibt es beim E-Voting, also der elektronischen Stimmabgabe bei Wahlen. Natürlich gebe es auch Diskussionen über mögliche Sicherheitslücken oder das Social-CreditÜberwachungssystem à la China. Aber die Vorteile, welche die digitalen Services des Staates bringen, liegen so klar auf der Hand, dass die Nachteile weit in den Hintergrund rücken. Das gilt auch für Coronaimpfungen und Kontrollen des Impf- bzw. Teststatus, die digital erfolgen. Amüsiert und verwundert zeigt Hartleb sich immer, wenn er in Deutschland zu Besuch ist und dort jeden Tag mehrmals einen Kontaktzettel zum Tracking von Coronafällen ausfüllen muss, die kein Mensch kontrolliert und mit denen deshalb auch vielfach falsche Identitätsangaben abgeheftet werden. Im Namen des Datenschutzes werden hier aus seiner Sicht absurde Wege beschritten. Die Skepsis sei umso erstaunlicher, als es die Bürger selbst sind, die weltweit bereitwillig Informationen über alles und jedes an die digitalen Datenkraken liefern, zeigt sich Hartleb verwundert. Gemeint sind damit Suchmaschinen, Social-Media-Kanäle, alle möglichen Apps und Streamingdienste bis hin zu Vorteilskarten der Handelsunternehmen.


WISSENSCHAFT

„Digitalisierung ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. In einem digitalen Staat entstehen auch neue Geschäftsmodelle in der Wirtschaft. Das ist besonders für ein kleines Land wie Estland mit keiner großen Industrie von unschätzbarem Wert.“

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Dr. Florian Hartleb, Politologe und Digitalisierungsexperte

BÜRGEREINBINDUNG UND KOMMUNIKATION Während überbordende Überwachung und Hacking im Auftrag des Staates meist in autoritären Systemen geschähe, sei es umso erstaunlicher, dass das Vorzeigemodell des digitalen Staates in der EU in einer liberalen Demokratie eingeführt wurde, und zwar von der Regierung forciert. Allerdings gab es auch eine starke Bürgereinbindung und vor allem Kommunikation, um die Vorteile zu erklären. Kaum jemand bezweifle, dass es ungeheure Vorteile hat, wenn der Krankenwagen kommt und Ärzte und Sanitäter bereits wissen, mit wem sie es zu tun haben und welche Behandlung notwendig ist. Überzeugungsarbeit sei nötig, um Vertrauen zum Umgang mit Daten durch den Staat herzustellen und die neuen Möglichkeiten zu erklären. Die Errichtung eines eigenen Digitalisierungsministeriums 2017 in Österreich sei dazu der richtige Weg. Ein Manko sieht Hartleb in der Kompetenzsplittung zwischen Bund und Ländern. Auch die EU-Zusammenarbeit lasse zu wünschen übrig. Während Estland mit Finnland eine gemeinsame Plattform betreibt, gibt es innerhalb der Gemeinschaft noch immer Grenzbalken für den Datenaustausch. Absurd

werde es, wenn sich ein Terrorist in Deutschland unerkannt mehrere Identitäten zulegen kann, wenn er nur einreist und dann in der Bundesrepublik die Ländergrenzen überschreitet. MODERNISIERUNGSTIPPS Was es jetzt brauche, sei ein massiver Modernisierungsschub im Bereich der Bildung und des Gesundheitswesens, die staatliche Organisation selbst müsse dringend modernisiert werden. Gefordert ist Österreich nach Auffassung des Politikwissenschaftlers bei der Vermittlung von Digital- und Medienkompetenzen, beim Umgang mit Fake News und der Sensibilität gegenüber Social-Media-Konzernen. Die Pandemie habe klargemacht, dass auch der ländliche Raum lückenlos mit schnellem Internet ausgestattet werden müsse. Das schaffe neue Chancen, die es bei konsequenter Umsetzung einer einheitlichen Digitalisierungsstrategie gäbe: „In Estland sind durch die Vorreiterrolle des Staates viele Innovationen entstanden. Der digitale Staat hat den Unternehmergeist geweckt und disruptive Geschäftsmodelle entstehen lassen.“


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In seinem eben erschienenen Buch hat Florian Hartleb 10 Gebote zu einer erfolgreichen staatlichen Digitalisierung formuliert, die alle mit einem V beginnen: Verwunderung: Es gibt keinen rationalen Grund, warum sich Staaten mit Digitalisierung so schwertun. Ein Wettbewerbsnachteil leitet sich davon bereits ab, zumal die Datenmengen exponentiell größer werden. Verbesserung: Es gilt dringend, die bestehenden systemischen Mängel abzustellen. Zu viele Projekte wurden in der Vergangenheit in den Sand gesetzt. Vertrauen: Gerade im Verhältnis zwischen Staat und Bürger muss eine neue Vertrauenskultur entstehen. Digitalisierung muss zur staatlichen Kernkompetenz gehören. Veränderungsbereitschaft: Moderne Technologien beherrschen nicht nur die Kommunikation, sondern dringen fast alternativlos in alle Lebensbereiche ein. Gerade deshalb braucht es eine Veränderungsbereitschaft, gerade auch im Hinblick auf den Datenschutz als Totschlagargument. Verantwortung: Der Staat steht nicht nur in der Verantwortung, sondern hat eine solche. Er muss für Transparenz und Sicherheit im Umgang mit persönlichen Daten sorgen. Die Bürgerinnen und Bürger sind auch deshalb skeptisch, da in der Vergangenheit private Konzerne mit Daten Schindluder getrieben haben bzw. immer noch treiben. Verunsicherung: Eine solche entsteht durch einen Mangel an Strategie, Vision und Kompetenz. Die Bürgerinnen und Bürger sind generell verunsichert, was die Adaption eines rasanten Modernisierungsschubs angeht. Der Staat muss hier Vorsorge und Fürsorge betreiben. Vehemenz: Überzeugungskraft hat derjenige, der für seine Sache „brennt“, mit Nachdruck wirbt. Gerade dieser Antrieb hat in der Vergangenheit gefehlt. Verzögerung: Ein weiteres Vertagen kann und darf es nicht mehr geben. Ein großer Wurf fällt nicht vom Himmel. Projekte gilt es ab sofort einzuleiten. Verzettelung: Das kleinteilige wie kleinkarierte Verzetteln in Kompetenzen und Zuständigkeiten muss aufhören. Vogelperspektive: Ein Blick über die Grenzen hilft, neue Impulse zu geben, neue Wege zu gehen und von guten Beispielen Kraft und Motivation zu schöpfen.

Dr. Florian Hartleb hält in seinem eben erschienenen Buch ein „Plädoyer für den digitalen Staat“.

ÜBER DR. FLORIAN HARTLEB: Der gebürtige Niederbayer hat in Passau und den USA Politikwissenschaft studiert und beschäftigte sich danach zunächst mit den Themen Populismus, Extremismus und Radikalisierung. Seit 2014 befasst er sich schwerpunktmäßig mit der Digitalisierung. Mit seiner Familie lebt er heute in Estland. Der kleine Staat im Baltikum ist führend in Europa, was digitale Bürgerservices betrifft. Mit seinem gerade erschienenen „Plädoyer für den digitalen Staat“ hat er im Verlag Frankfurter Allgemeine Buch aufgezeigt, was es im „alten Europa“ an Gestaltung statt Verwaltung braucht.


POLITIK

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Das Gemeinsame finden


Sorgen ernst nehmen Österreich erlebt aktuell eine Situation, die es so noch nie gab. Es werden einerseits volkswirtschaftliche Erfolge erzielt, andererseits schockieren die in Rekordhöhe anwachsenden Coronainfektionen. Wir haben Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer um eine Einschätzung der Lage der Nation gebeten.

Die letzten Wochen waren bundespolitisch sehr turbulent. Sie haben wiederholt Ihre Enttäuschung über die Vorgänge geäußert. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und was sind die Lehren, die daraus gezogen werden sollten? Eine Regierungskrise bzw. der Rücktritt eines Bundeskanzlers bringt immer politische Turbulenzen mit sich. Erschreckend dabei ist die hasserfüllte Kampfrhetorik, vor allem der Opposition, welche stark an die dunkelsten Zeiten der Ersten Repu­ blik erinnert und die ich zutiefst ablehne. Die damit verbundene zunehmende Polarisierung sowie Spaltung der Gesellschaft ist dabei eine der schlimmsten Long-Covid-Folgen für uns als Gesellschaft. Daher ist es gerade in diesen Zeiten von entscheidender Bedeutung, bewusst aufeinander zuzugehen, die Sorgen aller Menschen ernst zu nehmen und trotz aller Schwierigkeiten das Gemeinsame und nicht das Trennende zu betonen. Das würde unserer Gesellschaft und unserem demokratischen System sehr guttun. Wie beurteilen Sie den Neustart der Bundesregierung unter Alexander Schallenberg? Ich denke, dass beide Koalitionspartner eine sehr hohe Bereitschaft zur gemeinsamen Weiterarbeit an den Tag legen und diese grundsätzlich sehr gut funktioniert. Sowohl Bundeskanzler Alexander Schallenberg als auch Vizekanzler Werner Kogler betonen den politischen Willen, dass diese Regierungszusammenarbeit bis zum Ende der Legislaturperiode halten soll.

Ich kenne Alexander Schallenberg schon sehr lange und schätze seine verbindende Art und Weise im Umgang mit schwierigen Situationen. Als äußerst erfahrener Diplomat und Politiker sucht Alexander Schallenberg stets das Gemeinsame und bindet möglichst alle Beteiligten in Lösungsprozesse mit ein. Insofern ist Bundeskanzler Schallenberg gerade in dieser turbulenten Zeit eine hervorragende Besetzung. Abseits von den Scharmützeln hat die Koalition eine Reihe von wichtigen Themen aufgegleist. Welche Themen, die im Kapitel Wirtschaft des Regierungsprogramms stehen, sollten in nächster Zeit dringend angegangen werden? Gerade in Hinblick auf das alles beherrschende Thema der Covidkrise ist es wirklich erstaunlich, welche großen Projekte bisher umgesetzt wurden. Von der ökosozialen Steuerreform über das 1-2-3-Ticket für den öffentlichen Personenverkehr bis hin zur Harmonisierung des Sozialsystems und der Weiterentwicklung des Familienbonus reicht die Liste. Die österreichische Wirtschaft hat sich erstaunlich rasch erholt und legt ein rasantes Wachstumstempo an den Tag. Ich bin davon überzeugt, dass unsere heimische Wirtschaft vor allem aufgrund der umfassenden und breit gefächerten Wirtschaftshilfen der Bundesregierung diese schwierige Zeit gut überstanden hat. Eine der mit Sicherheit besten Maßnahmen waren die Kurzarbeitsmodelle, durch die eine Massenarbeitslosigkeit verhindert werden konnte.


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Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer

Hauptaufgabe ist und bleibt das Pandemiemanagement. Darüber hinaus haben wir mit Sicherheit in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung noch große Anstrengungen zu unternehmen. „Die Spaltung der Gesellschaft ist eine der schlimmsten Long-Covid-Folgen für uns als Gesellschaft. Es ist von entscheidender Bedeutung, bewusst aufeinander zuzugehen, die Sorgen aller Menschen ernst zu nehmen und trotz aller Schwierigkeiten das Gemeinsame und nicht das Trennende zu betonen.“ In Deutschland hat die Bundestagswahl gravierende Veränderungen in der politischen Landschaft gebracht. Im Dezember wird erstmals eine „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und Grünen in Berlin regieren. Was erwarten Sie sich von der neuen Bundesregierung? Die Zusammensetzung der deutschen Bundesregierung hat weniger Einfluss auf die Beziehungen zwischen Salzburg und Bayern, sondern vielmehr europapolitische Auswirkungen. Die Frage wird daher sein, wie die neue Bundesregierung die künftige deutsche Wirtschaftspolitik ausrichten wird. Nach 16 Jahren ist die Ära Merkel zu Ende gegangen. Sie war viele Jahre gern gesehener Gast bei den Salzburger Festspielen. Was bleibt als politisches Vermächtnis übrig? Angela Merkel hat mit Sicherheit eine politische Epoche ge-

schrieben bzw. gestaltet. Nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern vor allem auf europäischer und internationaler Ebene. Ich kenne Angela Merkel und habe sie als äußerst besonnene Politikerin kennengelernt, die Argumente genau abwägt. Bei unseren Treffen ging es überwiegend vor allem um nachbarschaftliche Beziehungen sowie wirtschaftspolitische Themen. Welche vordringlichen Themen (Straßen- und Eisenbahnverkehr, Flughafen, grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Wirtschaft und Forschung, Umweltschutz, Digitalisierung) stehen in den kommenden bilateralen Gesprächen an? Aktuell beschäftigten uns die verlängerten Grenzkontrollen auf bayerischer Seite, welche sich nicht nur auf die Anrainergemeinden Grödig und Wals-Siezenheim äußerst negativ auswirken, sondern den gesamten grenznahen Wirtschaftsraum belasten. Daher werden wir intensive Gespräche führen, um für für beide Seiten gute Lösungen zu finden. Einseitige und unabgesprochene Belastungsmaßnahmen von deutscher Seite können jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Salzburg steht vor enormen Herausforderungen. Gerade rollt die vierte Coronawelle über unser Land. Was erwarten Sie sich für den kommenden Winter? Die aktuelle Entwicklung in Österreich betreffend die Neuinfektionen ist mit Sicherheit sehr besorgniserregend. Bereits vergangenes Jahr zeigte die Tourismus- und Seilbahnwirtschaft, dass ein sicherer Betrieb und eine gute Saison möglich sind. Daher wurden bereits im Herbst in enger Zusammen-


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„Hauptaufgabe ist und bleibt das Pandemiemanagement. Darüber hinaus haben wir mit Sicherheit in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung noch große Anstrengungen zu unternehmen.“ Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer

arbeit mit den Touristikern und Vertretern der Seilbahnwirtschaft angepasste Rahmenbedingungen erarbeitet bzw. festgelegt, um auch heuer eine gute und sichere Wintersaison gewährleisten zu können. In der kürzlich abgehaltenen Tourismusreferentenkonferenz in Leogang haben wir uns intensiv mit verschärfenden Anpassungen für die bevorstehende Wintersaison auseinandergesetzt. Die Buchungslage für den Winter ist sehr zufriedenstellend und die Branche ist gut vorbereitet. Beim Empfang des Seebrunner Kreises auf Schloss Leopoldskron haben Sie die Themen Nachhaltigkeit, Gesundheit und Pflege, Digitalisierung und Bildung als die Megathemen der Zukunft angesprochen. Welche Pläne gibt es seitens des Landes Salzburg, die Chancen, die hier gegeben sind, zu nutzen? All diese Themen finden sich natürlich in unserem Regierungsprogramm „Salzburg bewegen“ wieder. Im Bereich Gesundheit haben wir mit der „Plattform Pflege“ bereits einen erfolgreichen programmatischen Schwerpunkt gesetzt, welcher mit der „Plattform Pflege II“ seine Fortsetzung findet. Im Bereich der Digitalisierung setzen wir unseren erfolgreichen Weg weiter fort. Die Salzburg AG investiert in den kommenden Jahren nahezu 250 Millionen Euro in den weiteren Ausbau der Breitbandversorgung. Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz verstehen wir in Salzburg als Chancen, wobei unsere fortschreitenden technischen Weiterentwicklungen Teil der Lösung sind und unsere Regionen noch stärker betont werden.

Der Fachkräftemangel und die Unterbrechung von Lieferketten bremsen die Wirtschaft massiv ein. Unser wichtigster Handelspartner Deutschland hat soeben die Vorhersagen für dieses Jahr weit nach unten revidiert und den Aufschwung in das Jahr 2022 verlegt. Wie sehr trifft die Situation unser Land? Derzeit befindet sich unsere Wirtschaft deutlich im Aufwind, die Beschäftigungszahlen sind sehr erfreulich und die Pro­ gnosen für das Wachstum gut. Zudem haben wir mittlerweile mehr Menschen in Beschäftigung als noch vor der Covidkrise. Trotzdem haben auch wir in sämtlichen Wirtschaftsbereichen mit spürbarem Personalmangel zu kämpfen. Es fehlen mittlerweile nicht nur qualifizierte Fachkräfte, sondern zunehmend auch Hilfskräfte. Sie haben in Leopoldskron auch angekündigt, dass Sie sich mit wichtigen Playern der heimischen Wirtschaft – Palfinger, Porsche Holding, Sparkasse, Raiffeisen und Jacoby Pharma – Standortstrategien überlegen wollen. Was erwarten Sie sich von einer engen Kooperation mit den „Big Playern“ aus der Wirtschaft? Der rege und intensive Austausch hat den Zweck, tagtägliche Erfahrungen aus der Praxis miteinfließen zu lassen und daraus wichtige Rückschlüsse ziehen zu können. Salzburg ist ein hervorragender Wirtschaftsstandort und ist bestrebt, diese Anziehungskraft für internationale Unternehmen weiterhin zu stärken. Ich bin daher zuversichtlich, dass im engen Austausch zwischen Wirtschaft und Politik gute und zukunftsorientierte Standortkonzepte entstehen.


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Triangel der Marktwirtschaft


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Ökosozial wieder genial Vor 30 Jahren hat der ehemalige Vizekanzler Dr. Josef Riegler das Ökosoziale Forum gegründet. Nach den Tiefen des Turbokapitalismus unter Margaret Thatcher und Ronald Reagan in Großbritannien und den USA erlebt das Konzept der Ökosozialen Marktwirtschaft jetzt gerade eine Renaissance. „Ökosozial ist plötzlich wieder in aller Munde. Nach Durststrecken, Gegenwind und Blockaden“, freut sich Josef Riegler über die Renaissance seiner Idee von der „Triangel von Ökonomie, Ökologie und sozialem Ausgleich“. Die Gründe für die Rückbesinnung sieht der einstige ÖVP-Bundesparteiobmann in der Klimakatastrophe: „Wir haben durch die exzessive Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas in den letzten zwei Jahrzehnten weit über 500 Milliarden Tonnen CO in die Atmo² sphäre geblasen und damit das über 800.000 Jahre bestehende natürliche Gleichgewicht gestört.“ Die Naturkatastrophen der letzten Jahre haben auch hartnäckige Leugner des Klimawandels zum Umdenken gebracht. Ein weiteres Ereignis, das zum Nachdenken angeregt hat: Mit dem Jahr 2008 wurde das „Konzept der ungezügelten Märkte” demaskiert. „Hier ist ein Kartenhaus aus Spekulation, Lug und Betrug zusammengefallen“, resümiert Riegler, der am 1. November seinen 83. Geburtstag feierte und sich sehr darüber freut, dass sich nun die Jugend für ihre Zukunft starkmacht. DIE „PRO-REVOLTE“ DER JUGEND Das Bemerkenswerte an „Fridays for Future“ sei, dass nicht gegen, sondern für etwas auf die Straße gegangen wird. Greta Thunberg halte er für ein „Geschenk des Himmels“, weil sie dem ökologischen Drama eine Stimme gebe. In ihrer Art, Botschaften zuzuspitzen, hat sie deutlich gemacht, dass hier etwas passiert, was der nächsten Generation die Lebens-

chancen nimmt. Legendär war ihre Brandrede vor den versammelten Staats- und Regierungschefs auf dem Klimagipfel der UNO im Jahr 2019, denen sie Versäumnisse vorhielt und mehrmals den Satz wiederholte: „How dare you?“ Was so viel heißt wie: „Wie könnt ihr es wagen, angesichts kollabierender Ökosysteme, leidender Menschen und aussterbender Tierrassen nichts zu tun?“ Nicht nur die Medien schrieben damals, dass diese drei Wörter Geschichte schreiben würden. Davon ist auch Josef Riegler überzeugt. ZÄSUR DURCH FALL DES EISERNEN VORHANGS Die Geschichte der Ökosozialen Marktwirtschaft in Österreich und Europa war keinesfalls eine lineare. Alois Mock initiierte als Präsident der Europäischen Demokratischen Union 1991 den Beschluss, dass es Aufgabe der EDU sei, „der Sozialen Marktwirtschaft eine weitere Dimension zu verleihen: Ökologische Zielsetzungen. Sie sollen die Soziale Marktwirtschaft in eine Ökosoziale Marktwirtschaft verwandeln.“ Noch im Jahr 1994/95 wurden Grundsatzbeschlüsse von der ÖVP und der CDU gefasst, die das Konzept der Ökosozialen Marktwirtschaft in den Parteiprogrammen verankerten. Danach schwang das Pendel freilich in eine ganz andere Richtung aus. Die tiefgreifende Zäsur brachte der Fall des Eisernen Vorhangs mit sich, erinnert sich Riegler. Der Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus habe Schleusen geöffnet für das „Diktat des freien Waren- und Dienstleistungsmarktes. Die grenzen-


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„Wir wollen für die Zukunft wirtschaften und nicht auf ihre Kosten. Unser Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft sehen wir als ordnungspolitisch richtige Antwort auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Herausforderungen. Anreize im Sinn einer innovativen Ökosozialen Marktwirtschaft ermöglichen die notwendige Balance zwischen leistungsfähiger Wirtschaft, gesellschaftlicher Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit. Das ist die Grundlage für breiten Wohlstand, soziale Sicherheit und eine lebenswerte Umwelt.“ ÖVP-Grundsatzprogramm 2015

lose Freizügigkeit der Finanztransaktionen wurde zur globalen Doktrin erklärt.“ Der Ansatz des Ausgleichs der Ansprüche, der damals über die christlich-demokratischen Parteien in Europa auf europäische Ebene gehoben wurde, wurde buchstäblich überrannt. Immer mehr „Weltkonzerne“ wurden konstruiert, die die Machtverhältnisse weg von der Politik hin zu den Giganten verschoben haben, die vermeintlich „too big to fail“ waren. Dass diese Doktrin der zügellosen Märkte nicht die Lösung, sondern das Problem war, kritisierte nach 2008 auch der Internationale Währungsfonds. VON DER GIGANTOMANIE ZUR NACHHALTIGKEIT Seither ist wieder eine Art von Besinnung eingetreten, die in der Global Marshall Plan Initiative des früheren amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore gipfelte. Sie versteht sich als integrative Plattform für eine Welt in Balance mit fünf Kernforderungen für eine gerechtere Globalisierung. Ziel ist die Etablierung eines mit Nachhaltigkeit kompatiblen Ordnungsrahmens für die Weltwirtschaft. Alles eitel Wonne also? „Nein“, sagt Josef Riegler. Zwar gebe es markante Impulse, aber auch bedrohliche Rückschläge. Weltpolitisch wachsen die Gefahrenpotenziale dramatisch. Dafür entstehen Initiativen in der Wirtschaft, die Nachhaltigkeit auf den Weg bringen. Riegler nennt hier die Autoindustrie, die das Ende der Verbrennungsmotoren vorantreibt, oder ein finnisches Startup,

das CO aus der Luft filtert und zu einer Eiweißgrundlage ² verarbeitet. Auch in der Landwirtschaft gebe es eine Ökologisierung, aber halt auch Massentierhaltung und heftigen Pestizideinsatz. Die Bepreisung des CO -Ausstoßes sei der richtige Weg, ² den er von Anfang an für vernünftig gehalten habe: „Höhere Kosten stimulieren den Forschergeist.“ Zu kritisieren sei der mangelnde politische Konsens über die Besteuerung der Multis. „Es kann doch nicht sein, dass die größten globalen Konzerne kaum Steuern zahlen und sich auch noch über die sozialrechtlichen Bedingungen hinwegsetzen“, ärgert sich der Ex-Politiker. Auch wenn es jüngst zumindest eine Einigung auf eine Mindestbesteuerung der Erträge der Multis gegeben habe, bleibe noch viel zu tun, um das Dreieck der Ökosozialen Marktwirtschaft weltweit ins Gleichgewicht zu bringen, weiß Dr. Josef Riegler. Das funktioniere aber nur, wenn auch die großen Staaten mitwirken. EIN MODELL FÜR EUROPA Das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft hat sich in den 80er-Jahren entwickelt. An der Wiege standen unter anderem der Club of Rome, der damals die „Grenzen des Wachstums“ aufzeigte. Eine wichtige Rolle spielte auch Dr. Franz Josef Radermacher. Der in Ulm lehrende Universitätsprofessor ist Informatiker und hat eine Reihe von Publikationen zum Thema


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„Von Raumplanung und Flächenmanagement über Bauwirtschaft und die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe bis zur Sammlung und Verwertung von Wertstoffen: Zahlreiche Gemeinden und Regionen arbeiten bereits seit Jahrzehnten für eine ökosoziale und kreislauforientierte Zukunft. Diese Projekte dienen als Impuls zum Mit- und Weitermachen.“

verfasst. Auch der spätere WIFO-Chef Karl Aiginger spielte eine Rolle bei der Ausformulierung des von Josef Riegler politisch auf den Weg gebrachten Konzepts. Die Ökosoziale Marktwirtschaft ist eine wirtschafts-, umweltund gesellschaftspolitische Zielvorstellung, die ein nachhaltiges Wirtschaften und den Umweltschutz als politische Kate-

gorien in die Soziale Marktwirtschaft miteinbezieht. Sie sieht sich als eine Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft und soll einen Ausgleich zwischen ökonomischen und ökologischen Zielsetzungen bringen, indem sie Umweltschutz mit marktwirtschaftlichen Mitteln durchzusetzen versucht statt ausschließlich mit Verboten und Geboten.

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Stephan Pernkopf, Präsident des Ökosozialen Forums Österreich & Europa


„Wir können Umweltschutz weder durch behördliche Befehle noch durch gutes Zureden erreichen. Wir müssen Wege finden, damit sich Umweltschutz auch betriebswirtschaftlich rechnet!“ Dipl.-Ing. Dr. h.c. Josef Riegler

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ÜBER JOSEF RIEGLER Der im steiermärkischen Judenburg gebürtige Bergbauernsohn studierte an der Universität für Bodenkultur in Wien. Nach dem Studium wurde er Lehrer und später Direktor an landwirtschaftlichen Fachschulen. Seine bundespolitische Laufbahn begann mit der Wahl in den Nationalrat 1975. 1985 wurde er erster Umwelt-Landesrat in seinem Heimatbundesland; bereits zwei Jahre später wurde er zum Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft.

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Mit der Regierungsumbildung 1990 (Bundesregierung Vranitzky III) wurde Riegler für zwei Jahre Vizekanzler und Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform. Danach verblieb er noch zwei weitere Jahre im Nationalrat. 1992 gründete er gemeinsam mit Ernst Scheiber das Ökosoziale Forum, dessen Präsident er bis 2005 war. Um das Jahr 1986 prägte er den Begriff der Ökosozialen Marktwirtschaft, die den Umweltschutz als politische Kategorie in die Soziale Marktwirtschaft einbezieht. Diese Konzeption verfolgt er weiterhin in der Global Marshall Plan Initiative, deren österreichischer Koordinator er ist.


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Luxusgut Gesundheit


Ressourcen besser einsetzen Gesundheit und Pflege gehören zu den Megathemen der kommenden Jahre. Unsere Gesellschaft wird immer älter, die Kosten steigen. Wir haben mit Landeshauptmann-Stv. Dr. Christian Stöckl über Perspektiven, Reformnotwendigkeiten und den Mythos Zweiklassenmedizin gesprochen.

Der Gentechniker Markus Hengstschläger hat in seinem jüngsten Buch über die Lösungsbegabung geschrieben, dass wir mit offenen Augen und Ohren die Probleme der Zukunft bewältigen werden. Was sind die großen Zukunftssorgen des Gesundheitssystems? Wir brauchen zuallererst ausreichend Nachwuchs. Das reicht von Ärztinnen und Ärzten über Pflegekräfte, technisch-administrative Experten bis hin zu Reinigungspersonal. Die wissenschaftlichen Fortschritte in der Medizin sind riesig, wir müssen sehen, dass diese Erkenntnisse rasch bei den Patienten ankommen, was unter den Vorzeichen des Personalmangels immer schwieriger wird. Und schließlich wollen wir die Regionen bestmöglich versorgen. Das bedeutet, dass die zentralen Spitäler auch Verantwortung für die kleineren Spitäler übernehmen müssen. Bei den Arztpraxen sehe ich die Teamarbeit im Vordergrund, wir brauchen mehr Gruppenpraxen und PVEs (Primärversorgungseinheiten). Die Pandemie hat wie jede Krise zwei Seiten, die sich auch im entsprechenden chinesischen Schriftzeichen wiederfinden: Sie ist Herausforderung und Chance. In den letzten fast zwei Jahren wurde sehr viel über die Herausforderungen gesprochen. Wo liegen die Chancen? Die Chancen liegen darin, dass wir Lehren aus den schmerzlichen Erfahrungen ziehen. Was gleich zu Beginn klar geworden ist, war das Problem, dass bei medizinischen Produkten, Rohstoffen und Medikamenten die Unterbrechung der Lieferketten fatal war. Schmerzlich haben wir sehen müssen, dass wir in Europa zu wenige Firmen haben, die in Europa die Versorgung sicherstellen könnten. Das begann schon bei so „einfachen“ Produkten wie Masken oder Desinfektionsmitteln.

exerum aribusam es re pa nim destiust quae eaque veribus, in ni is aut autemol uptaquam qui berepre rundus eiusandis aut porum demque quae consequias qui rehenditatur sinctur aliam re, ut haritis estio temque sam voluptassit quaes corios Im derre Zeit wurde es etwas besser, aditLaufe mi, ium volendita cuptatemo vent, aber sit iur,wir utmüssen est, siti daran weiterarbeiten. Dabei werdennon wirpra auch staatlich interniscienti ut lanti isci adis atiuscium peliasperum qui venieren müssen. dolo vendae voluptatur, ut aut eum verae. Nam dem que poribus, ateceat. Eine große Chance Veränderung der Strukturen im doPoriat esci in re voloistetdie perchil igenit occupta turehentiasi Spitalsbereich. Wirblabore haben eine Vernetzung geschaffen und luptas doluptaqui pudaes assum que nem et quatae die dendolorer einzelnen Standorten aufgeteilt. mo Lasten expeleszwischen equatur aut fersper fernatur, sinctur reIn Zukunft wollen wir hier auch noch verstärkt den Kurund hendu cilitat inveliq uosanto eatati utatios earupiciae eicidusRehabereich, abersum auch die Apotheken einbinden. Auch die dae laccatio tem hictat laudae debistis et atios simusam Zusammenarbeit mittestis dem niedergelassenen wurde que quiaesequi offic antiatem quatis reBereich destio. Nequi intensiviert. omnimolorume nobitiat auda doles et moditia sites que ea dernam laut asperit, sed magnis platis evel ium eserat aut In der Präambel zum Salzburger Gesundheitsplan steht: harum „… es odioreped utet maio officit, a dolorep erorupt iandam musste ein System aufgebaut werden, das über die rernate kurzfristig mporeperu. Grenzen von Abteilungen und Kliniken, ja sogar von Eigentümerstrukturen hinweg funktioniert. “ War es nichtquaepudit schon längst Zeit, Ecaectae ruptur aboriat ein paar Zäune und Dornenhecken rund umcomnit bestehende Gesundvenimai oraecabor a ni heits-Schrebergärten wegzuräumen? qua. coreprovite nonsequos min perIn der Tat hatnatatur, es hier schon starke Veränderungen gegeben. abor adit voluptius coas dusci Heute ist dasbea Kirchturmdenken weniger ausgeprägt als früpernatur alia qui undam. her. Im Krankenhausbereich funktioniert die Zusammenarbeit schon sehr gut. Wir haben die Krankenhäuser Hallein und Tamsweg gemeinsam an die SALK angebunden und durch den Zusammenschluss der Spitäler in Zell am See und Mittersill zum Tauernklinikum wurde eine leistungsfähige Einheit geschaffen. Damit steigen auch die Fallzahlen und wir können Leistungen vor Ort anbieten, die ohne diese Kooperation nicht möglich wären. Sehr viel zu dieser Entwicklung hat das Covidboard beigetragen, das über alle Häuser gelegt wurde. Dort wird entschieden, wo der Patient am besten aufgehoben ist.


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„Bei der Vergabe von staatlichen Aufträgen plädiere ich für einen Regionalbonus, damit wir den Kostennachteil gegenüber Asien ausgleichen können. Das bedeutet aber auch, dass wir bereit sein müssen, für die Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Produkten mehr zu bezahlen.“ Landeshauptmann-Stv. Dr. Christian Stöckl

Wir müssen uns aber auch überlegen, wie wir zu zusätzlichen Mitteln kommen, weil wir eine Explosion der Kosten erleben. Seltene Erkrankungen werden immer öfter behandelbar. Was für die betroffenen Menschen ein Segen ist, ist eine finanzielle Herausforderung für die Spitalsträger. Die Medikamente kosten für einen Patienten oft zwei bis drei Millionen Euro. Wir haben hier in Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und den Sozialversicherungen einen Fonds geschaffen, der die Finanzierung bundesweit übernimmt. So wird verhindert, dass einzelne Expertise-Zentren finanziell überfordert werden.

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WIR VERBRENNEN SEHR VIEL GELD Wir werden als Gesellschaft immer älter, wodurch die Nachfrage nach medizinischen und pflegerischen Leistungen steigt. Damit wird auch die Finanzierung immer schwieriger. Wie kann die Waage zwischen Patientenwohl und dem Diktat der leeren Kassen gehalten werden? Wir müssen unsere Ressourcen besser einsetzen. Das beginnt bei der Umsetzung von ELGA (Elektronische Gesundheitsakte) und setzt sich fort bei der besseren Nutzung vorhandener, teurer Geräte. Dazu ein Beispiel: Wenn Magnetresonanztomographen (MRI) im Mehrschichtbetrieb genutzt werden, können hohe Anschaffungskosten gespart werden.


Wir werden aber auch neue Einnahmen benötigen. Die Digitalsteuer etwa, die die großen internationalen Konzerne zahlen, sollte für die Gesundheit zweckgebunden werden. Ich plädiere auch für einen Aufschlag auf Massenmedikamente über die Rezeptgebühr. Damit wäre auch gleich die soziale Komponente gegeben, weil Menschen mit geringem Einkommen keine Rezeptgebühr bezahlen müssen.

„Wir verbrennen im Gesundheitsbereich sehr viel Geld. Wir könnten einiges einsparen, wenn ELGA lückenlos funktionieren würde. Doppelgleisigkeiten würden wegfallen, wenn der Abruf von Informationen verschiedener Gesundheitsanbieter machbar wäre.“ Dr. Christian Stöckl

Wo besteht Rationalisierungsbedarf auf der Ebene der ambulanten und der stationären Gesundheitsversorgung? Der besteht immer und überall. Viele Eingriffe können heutzutage innerhalb weniger Stunden gemacht werden, wo früher ein mehrtägiger Spitalsaufenthalt notwendig war. Die Entfernung der Gallenblase ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn wir die Tageskliniken und Ambulatorien ausbauen und weitere Gruppenpraxen von niedergelassenen Ärzten schaffen, bekommen wir mehr Effizienz und sparen Kosten, was den Patienten zugutekommt. Für mich ist die Tagesklinik Tamsweg ein Erfolgsmodell. Dort haben wir eine Auslastung, die über 100 % liegt. Das heißt, dass einige Betten am Vormittag von einem, am Nachmittag

von einem anderen Patienten genutzt werden können. Ziel ist es, bis 2025 eine langfristig stabile Versorgungsstruktur zu gestalten, heißt es im Vorwort zum Gesundheitsplan. Wie soll Stabilität in Zukunft aussehen? Wir haben uns vorgenommen, die modernste und wissenschaftlich auf dem neuesten Stand befindliche medizinische Versorgung zu sichern. Dazu gehört, dass ein Wissenstransfer zwischen den Kliniken erfolgt. Erfreulicherweise erleben wir, dass immer mehr Ärzte bereit sind, auch einmal zwischen den Standorten zu wechseln. Dadurch entsteht ein Know-howTransfer. Wir schaffen darüber hinaus auch Rationalisierungsschritte, indem wir in den kleineren Häusern Oberärzte mit der Leitung von Abteilungen betrauen, die Letztverantwortung aber bei einem Primar in der SALK liegt. Auf diese Weise können wir in Hallein etwa die Chirurgie, die Gynäkologie und die Ortho-Trauma-Abteilung aufrechterhalten. Das Leuchtturmprojekt der nächsten Jahre wird die Integration des UKH in die SALK und der Masterplan 2025 für die Krankenhäuser Innergebirg sein. Wie geht es hier voran und was werden die nächsten Infrastrukturprojekte sein? Der Masterplan für die Krankenhäuser Innergebirg ist auf Schiene und wird Zug um Zug umgesetzt. Bei der Integration des Unfallkrankenhauses (UKH) in die SALK geht es um eine professionelle unfallchirurgische Versorgung. Wir führen mit dem Neubau auf dem Gelände der Landeskliniken alle medizinischen Leistungen, die mit Knochen zu tun haben, zusammen. Die Zusammenführung des UKH mit der SALK hat aber auch den Grund darin, dass der Träger des Unfallkrankenhauses – die AUVA (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) – ja eigentlich für Arbeitsunfälle zuständig ist, inzwischen am Salzburger UKH jedoch nur 12 % der behandelten Fälle tatsächlich Arbeitsunfälle sind, der Rest sind Verkehrs- und Freizeitunfälle. In der politischen Diskussion wird oft die „Zweiklassenmedizin“ beklagt. Ist das nicht scheinheilig angesichts der Tatsache, dass die Sonderklassepatienten einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung des Gesundheitssystems beitragen? Das Thema ist in der Tat ein sehr emotionales. Eine Zweiklassenmedizin gibt es bei uns aber nicht. Jeder Patient, jede Patientin bekommt die Behandlung, die notwendig ist. Sonderklassepatienten haben lediglich die Möglichkeit, sich den behandelnden Arzt auszusuchen, und genießen einen entsprechenden Hotelservice.


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„Das Gesundheitsministerium hat das Projekt des Neubaus der Ortho-Trauma-Versorgung durch die AUVA auf dem SALK-Gelände bereits genehmigt, jetzt werden die Leistungen für die Planung und des

Es muss aber schon auch gesehen werden, dass die Sonderklassepatienten mit ihren privaten Versicherungsbeiträgen viele Millionen Euro in das Gesundheitssystem einzahlen, mit denen medizinische Geräte angeschafft werden, die allen Patienten zur Verfügung stehen. Wer im niedergelassenen Bereich einen Wahlarzt aufsucht, bezahlt dafür auch einen Beitrag. Ich würde mir aber wünschen, dass Wahlärzte stärker in den öffentlichen Gesundheitsauftrag eingebunden würden.

Müssen sich die Menschen Sorgen machen, dass sie eines Tages aus Geldnot oder anderen Gründen nicht mehr die bestmögliche Versorgung erhalten werden? Diese Sorge braucht man nicht zu haben, weil die gesetzlichen Vorschriften das verhindern. Die Ärztinnen und Ärzte und deren Standesvertretung sind sehr darauf bedacht, dass das auch so bleibt, und das ist gut so.

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Generalunter­nehmers ausgeschrieben.“


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Salzburgs Zugkunft

Das Land Salzburg kämpft budgetär mit den Folgen von Corona. Dennoch wird an den Ausbauplänen für die Verkehrsinfrastruktur festgehalten. Wir haben mit Landesrat

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Stefan Schnöll über die Schwerpunkte im Personenund Güterverkehr auf der Schiene gesprochen.


Was hat sich seit der letzten Ausgabe von DENK in Sachen Verlängerung der Lokalbahn getan? Wir haben inzwischen mit einer umfassenden Kommunikation gestartet und dem Projekt ein neues Erscheinungsbild verliehen. Der Name S-LINK steht für die künftige Schienenverbindung der Stadt Salzburg mit dem Flach- und Tennengau. Im November fand die erste Anrainer-Veranstaltung statt, wo über die laufenden Schritte informiert wurde. Im Hintergrund wird derzeit natürlich intensiv an den Einreichplanungen gearbeitet. Hält der zeitliche Fahrplan? Wir haben uns das ambitionierte Ziel gesetzt, bereits im Jahr 2023 mit dem Bau bis zum Mirabellplatz zu beginnen. Bis Anfang nächsten Jahres möchten wir das Projekt eingereicht haben. Wir unterziehen uns außerdem bereits für den Bau des ersten Abschnittes einer freiwilligen Umweltverträglichkeitsprüfung, um vor allem die verschiedenen Stakeholder eng in den Prozess miteinzubinden. Das gilt auch für die Trassenführung bis Hallein, wo wir die Bedürfnisse der Gemeinden bestmöglich berücksichtigen werden. „Unser Ziel ist nach wie vor, dass wir im Jahr 2025/2026 den ersten Zug bis zum Mirabellplatz schicken können. Bis zum Baustart im Jahr 2023 soll außerdem die weiterführende Trasse bis Hallein feststehen.“ Wie ist die Förderung der Anschlussbahnen in Salzburg angelaufen? Salzburg ist das einzige Bundesland, welches Unternehmen mit einer Anschlussbahn durch eine eigene Förderung unterstützt. Derzeit sind im Land Salzburg 30 Anschlussbahnen in Verwendung. 24 von 28 Betreibern haben bereits um eine Einzelwagenförderung angesucht und das Land steuerte insgesamt 490.000 Euro für 15.657 Waggons bei. Salzburg unterstützt aber auch die Reaktivierung und Modernisierung von Anschlussbahnen. Im vergangenen Jahr konnten 410.000 Euro an Förderung ausbezahlt werden. Insgesamt haben wir durch diese Maßnahme 12.700 Tonnen CO eingespart. Ich bin ² froh, dass auch andere Bundesländer sich bereits über unser Fördersystem erkundigt haben und an eine ähnliche Unterstützung denken. Die Einzelwagenförderung ist nicht die einzige Unterstützung des Landes für die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene. Mit der Instandsetzungs-Förderung wird die Reaktivierung bereits bestehender, aber derzeit ungenutzter Anschlussbahnen unterstützt. Insgesamt gibt es in Salzburg derzeit 43, davon sind 28 in Betrieb. Für beide Initiativen sind Deckelungen festgesetzt: Die Einzelwagenförderung ist mit 25.000 Euro oder

125 Waggons pro Firma und Jahr und die Reaktivierung mit 50.000 Euro je Firma und Anschlussbahn limitiert. DIREKTVERBINDUNGEN NACH PARIS UND PRAG Die ÖBB sind überaus erfolgreich und aktiv bei den Nachtverbindungen in Europa. Auch Salzburg ist in dieses Netz eingebunden. Was bringen solche Expresszüge für den Tourismus im Land? Gemeinsam mit den ÖBB und der Verkehrsministerin ist es gelungen, dass zukünftig die Nachtverbindung von Wien nach Paris über Salzburg führt. Das ist ein großer Meilenstein für uns und macht Salzburg als Standort insgesamt noch attraktiver. Wir sind generell im guten Austausch mit internationalen Partnern und sehen solche Verbindungen als große Chance für unser Bundesland. Zuletzt hatte ich einen guten Austausch mit dem tschechischen Vize-Verkehrsminister. Auch Tschechien investiert massiv in den Ausbau solcher länderübergreifender Verbindungen und so haben wir über eine mögliche Direktverbindung zwischen Prag und Salzburg gesprochen. Wir werden weiterhin im Austausch bleiben und Salzburg im Schienenverkehr noch besser vernetzen. Sie möchten auch die Tauernstrecke und die Tauern-Pyhrn-Schober-Achse aufgewertet sehen, weil dadurch Geld der EU für Investitionen fließen würde. Wie stehen hier die Chancen? Eine Aufnahme der Tauern-Pyhrn-Schober-Achse in das Kernnetz der EU würde uns vor allem eine bessere Finanzierung durch die Europäische Union garantieren. Wir arbeiten daher weiter intensiv daran, dass die Tauernstrecke möglichst schnell in dieses prioritäre Netz aufgenommen wird. Gespräche dazu gibt es immer wieder und uns ist dabei ganz besonders der lawinensichere Ausbau der Tunnelkette Pass Lueg ein Anliegen, um diese wichtige Schienenverbindung zukunftsfit zu gestalten. VERDICHTUNG DES S-BAHN-NETZES IM FLACHGAU Ab Dezember gibt es zwei Züge mehr, die in Neumarkt, Straßwalchen und Seekirchen stehen bleiben. Ein Abkommen mit der Westbahn macht es möglich. In den Ausbau des Schienenverkehrs im nördlichen Flachgau wird massiv investiert. Es ist uns gelungen, dass seit Juli pro Stunde in Seekirchen von Montag bis Freitag drei Verbindungen pro Richtung verkehren. Damit geht es in elf Minuten von Seekirchen zum Salzburger Hauptbahnhof. Für Neumarkt, Straßwalchen und Seekirchen gibt es außerdem eine Kooperation mit der Westbahn. Zwei Halte in der Morgenspitze werden in diesen drei Gemeinden damit zusätzlich möglich. Außerdem sind alle Salzburger Öffi-Jahreskarten wieder in der Westbahn gültig. Das ist ein zusätzlicher Vorteil für viele Pendlerinnen und Pendler.


POLITIK

„Laut ÖBB soll der bisher angestrebte Zeitplan mit einer Inbetriebnahme im Jahr 2040 trotz der noch offenen Frage der Deponie halten. Für mich ist aber auch klar, dass der Bau dieser Hochleistungsstrecke mit hohen Belastungen für die Gemeinde Köstendorf verbunden ist. Darum ist es jetzt umso wichtiger, dass von den

Foto: Stürzenbaum

ÖBB ein gut geeigneter Standort für die Lagerung des Aushubs gefunden wird.“ Landesrat Mag. Stefan Schnöll

Einfach QR-Code scannen.


Foto: Visualisierung Architekten dunkelschwarz ZT OG

S-LINK Haltestelle Mirabellplatz

2040 SOLL HOCHLEISTUNGSSTRECKE PLANMÄSSIG FERTIG SEIN Die grundsätzliche Frage des massiven Ausbaus des PNV im Flachgau bleibt aber offen: Ohne den Bau des Tunnels von Henndorf nach Salzburg wird es noch viele Jahre nur einen lückenhaften S-Bahn-Verkehr geben. Wie sehen Sie Situation? Wann wird das Projekt endlich gebaut werden können? Die ÖBB führten in diesem Jahr vertiefte Erhebungen im Bereich der geplanten Hochleistungsstrecke Köstendorf-Salzburg durch. Neben dem Vorkommen des Schwarzen Grubenlaufkäfers im Bereich der geplanten Deponie breiten sich daneben die geschützten Greifvögel Rot- und Schwarzmilan aus. Daher müssen die ÖBB nun die Baulogistik samt der Materiallagerung neu bewerten. Für uns ist dieses Projekt ganz besonders für die weitere Taktverdichtung im Nahverkehr wichtig. PINZGAUER LOKALBAHN BEKOMMT HOCHWASSERSCHUTZ Die Pinzgauer Lokalbahn ist in kürzester Zeit zwei Mal schwer beschädigt worden durch Muren und Überschwemmungen. Was kann getan werden, um die Bahn einerseits längerfristig zu erhalten und andererseits vor Naturkatastrophen zu schützen? Wir haben uns ganz klar für einen Wiederaufbau der Pinzgauer Lokalbahn ausgesprochen und sind gerade in intensiver Abstimmung mit dem Hochwasserschutz, um die Trasse hochwassersicher auszubauen. Die Schäden sind vor allem in den Überlaufbereichen groß, da hier teilweise der Damm durch das überströmende Wasser unterspült wurde. Die Trasse ist in diesen Bereichen stark beschädigt, weshalb wir hier nun die Überstromstrecken fest verbauen wollen. Außerdem soll an einigen Stellen der Damm erhöht werden, womit ein Überlau-

fen der Salzach verhindert werden kann. Ich bin zuversichtlich, dass wir damit bei solchen Extremereignissen die Schäden in Zukunft auf ein Minimum reduzieren können. MEHR GELD FÜR SANIERUNG DER LANDESSTRASSEN Wie hoch ist der Budgetansatz für das Landesstraßennetz? Ist das ausreichend, um den Status quo erhalten zu können? Wir konnten im Jahr 2020 so viel wie nie zuvor sanieren. Insgesamt wurden im gesamten Bundesland 65 Projekte umgesetzt. Damit konnten wir 42 Straßenkilometer sanieren und den Zustand unserer Straßen verbessern. Heuer wurde das Budget für Straßensanierungen erneut erhöht. Mit 18 Millionen Euro konnte das Budget damit im Vergleich zum Jahr 2018 mehr als verdoppelt werden. Wir bekommen auch viele positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung, dass nun merkbar mehr Straßen saniert werden. Die Entlastungsstraße in Zell am See ist das größte Neubauprojekt im Straßenbau in unserem Bundesland. Unsere Abteilung arbeitet hier mit der TU Wien zusammen, um den Straßenbau auf diesem schwierigen Untergrund mit einer innovativen Lösung zu meistern. Der aufgeschüttete Damm besteht aus sogenanntem Glasschaumgranulat, ein superleichtes Material, das ungefähr nur ein Sechstel des Gewichtes von üblichem Schüttmaterial hat. Würden wir hier mit normalem Material bauen, wäre die Rampe schlicht und einfach versunken. Das Bauprojekt dauert aufgrund der Komplexität insgesamt mehr als zwei Jahre und wir freuen uns schon, wenn im nächsten Jahr diese neue wichtige Verbindungsstraße eröffnet werden kann und damit für eine wesentliche Entlastung des Zentralraumes Zell am See sorgt.


POLITIK

Der große Bruder

Die Beziehung von Österreich zu Deutschland im Allgemeinen und Salzburg zu Bayern im Besonderen litten zuletzt unter leichten Spannungen. Was nichts an der exorbitant wichtigen Rolle des „großen Bruders“ für unsere Wirtschaft ändert. Wir haben über die Foto: iStock.com

Einschätzung der Beziehungen mit den Außenwirtschaftsexperten Mag. Thomas Albrecht und Dr. Michael Scherz gesprochen.


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Die Pandemie hat Schranken heruntergehen lassen, die noch vor zwei Jahren für alle Zeiten abgebaut erschienen. Aus Sicht der Salzburger Wirtschaft rekapituliert Mag. Thomas Albrecht, Leiter der Abteilung Handelspolitik und Außenwirtschaft in der Wirtschaftskammer Salzburg, die kurze Geschichte von Irrungen und Wirrungen hie wie da. Reisewarnungen setzten der Tourismuswirtschaft schwer zu, der Totalausfall des vergangenen Winters war bitter für viele Regionen innergebirg. Die De-facto-Grenzschließungen führten zu massiven Unterbrechungen der Lieferketten. Salzburg wurde aufgrund seiner verkehrstechnischen Lage dadurch besonders hart getroffen. „Die vergangenen Monate waren sicherlich nicht einfach, wobei berufliche Reisen mit Auflagen, aber doch möglich waren. Die Hauptschwierigkeit lag sicherlich darin, dass Einreisevorschriften oft kurzfristig geändert wurden und mit der sprichwörtlichen heißen Nadel gestrickt waren. Der Extraaufwand hierfür lässt sich schwer in absoluten Zahlen beziffern, aber die Unternehmen auf beiden Seiten der Grenze wünschen sich definitiv keine Neuauflage dieser Situation“, weiß Mag. Albrecht aus unzähligen Gesprächen mit Unternehmern. Der Wirtschaftsdelegierte der Wirtschaftskammer Österreich in Berlin, Dr. Michael Scherz, glaubt daran, dass die Lektionen auf beiden Seiten gelernt wurden: „Wir sind zu eng verwoben, um neuerlich Grenzen aufzuziehen“, sagt er im DENK-Interview. „Die Grenze zwischen Oberndorf und Laufen ist lediglich eine Brücke, und diese Brücke war jahrzehntelang nur eine Wegstrecke, aber keine Grenze. Insofern war die Coronapandemie eine in jeder Hinsicht schmerzhafte Einschränkung, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional. Mittlerweile ist diese Brücke wieder nur mehr eine Wegstrecke. Und so soll das auch bleiben.“ Thomas Albrecht REDUZIERUNG VON ABHÄNGIGKEITEN DURCH „GLOKALISIERUNG“ Der Welthandel erholte sich noch vor dem Sommer 2020 rasch, allerdings gab es massive Engpässe bei den Frachtkapazitäten und damit Lieferverzögerungen. Seither steht die Unterbrechung von Lieferketten ständig auf der Agenda. „Corona hat unter anderem gezeigt, dass grenznahes Zusammenarbeiten und die ‚Glokalisierung‘, also die Lokalisierung der Zulieferketten und die Reduzierung der Abhängigkeit von global gesehen fernen Zulieferern,immer wichtiger werden“, unterstreicht Thomas Albrecht.

Aktuell staunen selbst die Wirtschaftsforscher über die hervorragenden Wirtschaftsdaten und die Rekordbeschäftigung in Österreich, wenngleich die vierte Welle dunkle Wolken über Hotellerie und Gastronomie, Seilbahnwirtschaft und körpernahe Dienstleister aufziehen lässt. Bremsspuren hinterlässt auch die notwendige Reduktion der Produktion in den Leitbetrieben der deutschen Industrie insbesondere im Automobil- und Maschinenbau. Noch glauben die Konjunkturforscher nicht daran, dass der Schnupfen des großen Bruders zur Grippe der österreichischen Wirtschaft wird. Aufgrund der engen Verwobenheit der beiden Volkswirtschaften sind Korrekturen nach unten diesseits und jenseits der Staatsgrenzen freilich nicht auszuschließen. ENGE HANDELSBEZIEHUNGEN Wie eng die Verbindung mit Deutschland sind, zeigt Thomas Albrecht anhand der Exportzahlen: 43,4 Milliarden € – rund ein Drittel der gesamten österreichischen Warenausfuhren nahm das Nachbarland ab, die österreichischen Importe aus Deutschland machten sogar 50,4 Mrd. aus – das sind 35 %. Während die Exporte aus Salzburg 2020 lediglich um 3,6 % sanken, verringerten sich unsere Importe um 8,5 %. Mag. Albrecht analysiert die Daten für Salzburg: Rund 700 Unternehmen lieferten Waren im Wert von 3,1 Milliarden € (minus 1,0 % gegenüber 2019), die Warenimporte nahmen um 8,9 % auf 5,3 Milliarden € ab. Weit vorne stehen deutsche Gäste in der Übernachtungsstatistik. Im jäh unterbrochenen Winter 2019/20 entfielen von 13,7 Millionen Übernachtungen 5,2 Millionen auf deutsche Urlauber, im Sommer waren es 4,7 von 9,6 Millionen. Für die heurige Wintersaison hängt jetzt alles von der Entwicklung der Inzidenzen in Österreich ab. Eine länger andauernde Einstufung Österreichs als Corona-Risikogebiet wäre letal. Ein weiterer Indikator der engen wirtschaftlichen Verknüpfung der beiden Länder lässt sich aus den Direktinvestitionen ablesen: Rund 9.000 deutsche Unternehmen unterhalten in Österreich Niederlassungen und Produktionsstätten. Umgekehrt gibt es rund 3.000 österreichische Betriebsstätten in Deutschland. „Wichtig ist, Deutschland und Österreich und die Regionen als einen eng verflochtenen gemeinsamen Lebensraum zu sehen, in dem Menschen auf verschiedenste Weise zusammenleben und arbeiten. Von der neuen deutschen Bundesregierung erwarten wir die Fortsetzung der erfolgreichen Wirtschaftspartnerschaft.“ Thomas Albrecht


POLITIK

Rang Exportland

Export 2020 (in Euro)

Export 2019 (in Euro)

1 Deutschland

3 056 010 555

3 025 412 150

2 Vereinigte Staaten

VÄ in % -1,0

1 352 884 607

1 374 974 829

1,6

3 Tschechische Republik

659 939 094

636 196 086

-3,6

4 Italien

533 422 759

509 938 880

-4,4

5 Ungarn

398 262 019

383 903 017

-3,6

6 Schweiz

344 850 414

361 868 219

4,9

7 Frankreich

334 017 936

330 480 284

-1,1

8 Polen

303 935 680

306 803 478

0,9

9 Slowenien

320 508 132

272 694 545

-14,9

10 Vereinigtes Königreich

278 591 839

255 091 539

-8,4

11 Rumänien

252 799 246

251 213 968

-0,6

12 Niederlande

211 433 565

211 251 149

-0,1

13 Slowakei

237 937 675

201 039 888

-15,5

14 Russische Föderation

177 191 989

155 402 568

-12,3

15 Belgien

134 446 726

136 643 398

1,6

16 China

132 356 696

123 978 657

-6,3

17 Schweden

115 433 095

117 426 691

1,7

18 Spanien

119 704 592

111 225 673

-7,1

19 Kanada

121 757 949

107 557 208

-11,7

20 Bulgarien

107 288 820

85 507 020

-20,3

21 Kroatien

79 469 562

81 184 600

2,2

22 Türkei

79 743 858

80 076 883

0,4

23 Australien

89 096 408

77 802 923

-12,7

24 Brasilien

80 837 343

68 858 924

-14,8

25 Dänemark

58 816 973

62 153 755

5,7

Die obenstehende Tabelle zeigt, wie sich der Außenhandel Salzburgs in die Top-25Abnehmerländer Salzburgs entwickelte. Quelle: Statistik Austria

DIE ERWARTUNGEN AN DIE NEUE AMPELKOALITION Die Ära Merkel geht in diesen Tagen nach 16 Jahren zu Ende. Auf die Frage, was sich ändern wird, meint Thomas Albrecht: „Deutschland und Österreich verbinden viele Jahre und Jahrzehnte hervorragender Wirtschaftsbeziehungen, unabhängig von den jeweiligen politischen Konstellationen auf der einen oder der anderen Seite. Insofern erwarten wir uns eine Fortsetzung dieser erfolgreichen Partnerschaft.“ An massive Veränderungen in den bilateralen Beziehungen glaubt auch Dr. Scherz nicht. Er rechnet damit, dass der Pragmatismus sich durchsetzen werde. Auch die neue Regierung werde es sich nicht leisten können, Politik gegen die eigenen wirtschaftlichen Grundlagen zu machen. Und damit die Industrie abzuschießen. Er sieht vielmehr zahlreiche neue Chancen. Wenn die Ampelkoalition, in der die Grünen die zweistärkste Fraktion stellen, Themen wie Nachhaltigkeit oder Klima stär-

ker fokussiere, eröffne das für unsere Unternehmen große Chancen: „Österreich hat gerade in diesen Bereichen sehr viel Know-how zu bieten.“ Hoffnungen gibt es Richtung Bonner Politik, was die Fortsetzung der Politik einer vernünftigen Schuldenpolitik innerhalb der EU betrifft. Es wäre fatal, wenn Deutschland aus der Gruppe der „frugalen Länder“ – das heißt der finanzpolitisch zurückhaltenden, bescheidenen – ausscheren würde. Dann blieben neben Österreich nur noch die Niederlande, Dänemark, Schweden und Finnland im Club der Gegner einer „Schuldenunion“, was massive Auswirkungen auf die volkswirtschaftlichen Faktoren bis hin zur Aufweichung der Stärke des Euro hätte, fürchtet Scherz. Wünschenswert wäre der beiderseitige Ausbau der Infrastruktur. Aufholbedarf habe Deutschland bei der Digitalisierung.


Fotos: Kolarik

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Der freie Personen-, Güter-, Dienstleistungs- und Kapital­ verkehr sind Grundprinzipien der EU, Binnengrenzen schienen bis Corona kein Thema mehr.

Mag. Thomas Albrecht, Leiter der Abteilung Handelspolitik und Außenwirtschaft, Dr. Michael Scherz, Wirtschaftsdelegierter der Wirtschaftskammer Österreich in Berlin.

„Hier“, so der Wirtschaftsdelegierte, „hat Deutschland in den letzten Jahren das Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft.“ Er habe den Eindruck, dass viel zu sehr auf Themen wie den Datenschutz oder andere negative Aspekte geschaut werde und dabei ganz übersehen werde, welche Chancen in der Digitalisierung liegen.

80.000 Österreicherinnen und Österreicher in Bayern, davon allein 20.000 in München.

Verkehrspolitisch gäbe es auch einiges zu tun, sagt Thomas Albrecht. Positiv ist, dass Salzburg auch Freilassing in das 365-Euro-Klimaticket eingebunden hat und damit Grenzregionen noch enger verbindet. Es gebe aber jede Menge zu tun, um die Infrastruktur zu verbessern: Die wichtige Bahnstrecke von Paris nach Wien gehöre dringend viergleisig von Oberösterreich nach München ausgebaut. Gemeinsame Wege sollten auch beim Flughafen gegangen werden. Ohne gute Flugverbindungen insbesondere zu dem großen Hub hätten alle Unternehmen im Einzugsgebiet ein Problem. Er hoffe, dass bald wieder Tagesrandverbindungen nach Zürich angeboten werden können. Dadurch könnten ähnlich viele Standorte wie über Wien erreicht werden. GEMEINSAM DIE ZUKUNFT GESTALTEN Aus der Pandemie könne als Lehre gezogen werden, dass der gemeinsame Wirtschaftsraum eine noch engere Zusammenarbeit benötige, ist Mag. Thomas Albrecht überzeugt. Dabei denkt er an regelmäßige Abstimmungen vor politischen Entscheidungen, die Auswirkungen auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in der Grenzregion haben. Wobei die Grenzregion nicht so eng gezogen werden sollte, leben doch

Gefordert seien beide Seiten in der Frage der Pandemiebekämpfung. Die Inzidenz in Österreich und speziell in Salzburg müsse rasch gesenkt werden, wenn es nicht zu länger andauernden Einstufungen als Risikogebiet kommen soll. So heftig wie 2020/21 könne es aber nicht kommen, ist Dr. Scherz überzeugt: Die 2G-Regel besagt, dass gesunde oder genesene Wintersportler ohne Probleme über die Grenze kommen. Das gelte auch für alle Geschäftsreisenden. Hier zu Lösungen zu kommen werde eine Aufgabe der neuen Regierung in Berlin. Unterstützung erhofft sich die Wirtschaftskammer bei der Stärkung der Innovationszusammenarbeit. Hier gibt es zwischen dem Netzwerkinkubator Startup Salzburg und den entsprechenden Einrichtungen in Passau, München, Rosenheim und dem Berchtesgadener Land gemeinsame Startup Camps. Im Projekt KMU 4.0 wird mit den Hochschulen in Rosenheim und Landshut kooperiert. Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft wurden im Projekt „Innovative Lösungen durch Bionik im transnationalen Zusammenspiel von Wirtschaft und Wissenschaft“ gemeinsam mit der Technischen Hochschule Deggendorf entwickelt. Die Liste grenzüberschreitender Zusammenarbeit in vielen weiteren Bereichen ließe sich beliebig fortsetzen. Einen Rückfall in mittelalterliche Kleinstaaterei kann sich jedenfalls keiner der Beteiligten leisten.


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Zum Newsroom

Fotocredit: Porsche Holding

Digitaler Raum für News


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Drehscheibe für Autofans Ein neues digitales Angebot hat die Porsche Holding Salzburg vor wenigen Wochen online gestellt: Im Newsroom finden österreichische Journalistinnen und Journalisten, Blogger und Fans der zahlreichen Marken des Autohandelskonzerns aktuelle Medieninfos, Storys, Videos und Social-Media-News. Mit dem Media Center geht die Porsche Holding Salzburg zukunftsorientiert neue Wege in ihrer Kommunikationsstrategie, erklärt Kommunikationsprofi Gregor Waidacher im Gespräch mit DENK. Ausgehend vom in der PR-Branche gängigen PESO-Modell, das die Distributionswege von Informationen in die Bereiche PAID (Anzeigen), EARNED (Presse/Medien), SHARED (Social Media) und OWNED (Websites/Blogs) unterteilt, gab es in der Vergangenheit bei der Informationsweitergabe insbesondere an Journalisten und Fans keinen digitalen „One-Stop-Shop“. Das hat sich jetzt grundlegend geändert: Der Newsroom als Content Hub – wie das in der Fachsprache genannt wird – ermöglicht unter www.porscheholding-newsroom.at die Darstellung, Suche und den Download von Inhalten. „Der Newsroom ist multimedial, intuitiv bedienbar und bietet insgesamt ein hohes Servicelevel“, zeigt sich Waidacher stolz über die aufwändig programmierte und gestaltete Plattform. „Wir haben bei der Entwicklung unseres Mehr-Marken-Newsrooms wie ein modernes Verlagshaus gedacht. Das verfügt auch über eine zentrale Drehscheibe, über die die verschiedenen Kanäle mit Inhalten bedient werden.“ Eine Story wird dort

passend für Print, Web, Blogs, Social Media, Newsletter bis hin zu Rundfunkbeiträgen aufbereitet. Als Lieferant von Informationen und Content hat sich das PR-Team der Porsche Holding an den Bedürfnissen von Medienschaffenden orientiert. RECHERCHEHILFE UND INFOS ZU ALLEN MARKEN Das erklärte Ziel der neuen Informationsplattform ist es, Journalisten und Medienvertreter bestmöglich bei der Recherche und ihrer redaktionellen Arbeit zu unterstützen. Darüber hinaus ist der Newsroom auch ein Angebot an digitale Medien, an Fans der Marken und an die Online-Community im Allgemeinen. Die Nutzer finden hier alle Neuigkeiten zu den Marken VW, Audi, SEAT, ŠKODA, Bentley, Bugatti, Lamborghini, Porsche, CUPRA, Ducati, VW Nutzfahrzeuge sowie zur Volkswagen AG, der Porsche Holding, der Porsche Bank, MOON sowie weiteren Gesellschaften und Marken – immer topaktuell, mit Österreich-Bezug und auf allen Endgeräten dargestellt. Die Informationen sind ohne Log-in-Funktion zugänglich. Auch das ist neu gegenüber dem bisherigen Medienservice. Ausgewiesene Journalistinnen und Journalisten haben zusätzlich die Möglichkeit, über das „E-Mail-Presse-Service“ Pressemeldungen zu ausgewählten Marken und bestimmten Themengebieten zu abonnieren. ANFANG EINER REISE Module wie ein Newsticker, Livestream-Verlinkungen, Specials mit Themenschwerpunkten oder ein Social-Media-Bereich mit den relevantesten Postings aus der Markenwelt des Konzerns runden das Angebot ab. Gregor Waidacher, der im Kommunikationsteam der Porsche Holding Salzburg für Innovationen und Zukunftsthemen (wie auch MOON) zuständig ist, hat sich gemeinsam mit seiner Kollegin Angelika Golser, die maßgeblich am Projekt beteiligt war, noch einiges vorgenommen: „Wir befinden uns erst am Anfang einer kommunikativen Reise, auch wenn wir jetzt schon in unserer Branche in Österreich eine Vorreiterrolle einnehmen. Künftig soll der Newsroom unter anderem durch Podcasts und weitere digitale Formate angereichert werden.“ „Der Content, den wir im Newsroom veröffentlichen, muss relevant und aktuell sein. Wir bieten mit diesem neuen digitalen Angebot einen multimedialen Zugang zu Top-Themen und öffnen den Journalistinnen und Journalisten wie der gesamten Online-Community ein Tor zur gesamten Markenwelt des Konzerns.“ Gregor Waidacher


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Mut machen Anna Doblhofer-Bachleitner ist Mitglied der Geschäftsleitung des Raiffeisenverbands Salzburg. Im Gespräch mit DENK verrät sie, was sie tut, um die Diversität zu fördern und mehr Frauen in Führungs­positionen zu bringen.

Foto: iStock.com

Der Raiffeisenverband Salzburg gehört mit 1.762 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den größten Unternehmen des Landes. Dazu kommen weitere 1.328 in den Raiffeisenbanken. Davon sind mehr als 50 % weiblich, aber nur 15 % in Führungspositionen. Die Gründe für dieses Ungleichgewicht liegen für Anna Doblhofer-Bachleitner auf der Hand: Mit der Familiengründung scheiden die Mütter aus dem Karrierepfad aus, arbeiten dann oft nur noch Teilzeit. Außerdem gebe es noch immer ein klassisches Führungsverständnis, das die eine oder andere flexible Lösung verhindert. FRAUEN ADÄQUATE KARRIERE ERÖFFNEN In letzter Zeit ändere sich hier definitiv etwas. Studien belegen, dass gemischte Teams besser performen als einseitig besetzte. Frauen sind hochgebildet, sie erwerben mehr als die Hälfte der Abschlüsse an Fachhochschulen und Universitäten. „Volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich ist es unser aller Auftrag, dass wir diese hochgebildeten Frauen für eine

adäquate Karriere abholen, ermutigen und entsprechend fördern“, sagt die Raiffeisen-Managerin. Sie selbst hat schon mit 23 ihr Studium in drei Fächern abgeschlossen: Geschichte, Archäologie und Rechtswissenschaften. Nach dem Gerichtsjahr hat sie vier Jahre an der Universität gearbeitet, dabei ihre Dissertation über das Kapitalmarktrecht geschrieben und zwei Kinder bekommen. Nach der Uni wechselte sie als Kapitalmarktjuristin zum Raiffeisenverband und wurde innerhalb kurzer Zeit in die Generaldirektion als Assistenz geholt. Hier hatte sie die große Chance, das Unternehmen sehr gut kennenzulernen. Der nächste Schritt führte sie dann direkt in die Geschäftsleitung. Anfänglich saß sie nur Männern gegenüber, heute hat sich das geändert, womit sie als teamorientierte Führungskraft auch nie ein Problem hatte. Im Gegenteil: Ihre eigene Karriere haben Männer gefördert, an erster Stelle nennt sie hier Raiffeisen-Obmann Sebastian Schönbuchner.


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„Wenn wir die klassischen Rollenbilder auch im Berufsleben ändern wollen, ist es wichtig, ebenso an die Väter in neuen Arbeitsmodellen zu denken. Gleichberechtigte Bedingungen beim Einstellen in einer neuen Aufgabe zu schaffen sowie die Möglichkeit der gemeinsamen Erziehung UND Karriere zu leben. Ich habe das Gefühl und die Hoffnung, dass hier bereits viel in Bewegung ist und sich noch viel ändern wird.“

VORBILDWIRKUNG UND SELBSTVERTRAUEN Aus ihrer eigenen Erfahrung kann Anna Doblhofer-Bachleitner einige Tipps für Frauen geben: „Das Wichtigste ist, den Mut zu haben, Ja zu sagen, wenn man eine Chance bekommt. Wenn einem eine Stelle angeboten wird, sollte frau stolz und überzeugt sein, dass sie die richtige Person ist.“ Als Zweites braucht es die Vorbildwirkung und schließlich die bewusste Entscheidung, dass man etwas verändern möchte. So ein Anstoß war, dass es eine 30-Prozent-Quote in den Aufsichtsräten von Unternehmen ab einer gewissen Größenordnung geben muss. „Damals haben wir im Raiffeisenverband nur eine Frau in dieser Funktion gehabt, jetzt haben wir 5 und erfüllen die Quote. Der Druck durch den Gesetzgeber hat diese Besetzung positiv vorangetrieben. So einfach ist es allerdings nicht, Frauen, die sich diese Position auch zutrauen, aus dem Hut zu zaubern. Da wurde und ist schon einige Überzeugungsarbeit geleistet worden und noch zu leisten.“ Ein sehr schöner Nebeneffekt dieser Aktion: „Wir starten jetzt so richtig los, ein Frauennetzwerk zu etablieren.“ Die erste Veranstaltung hat bereits stattgefunden, Funktionärinnen, junge Mitarbeiterinnen, die Potenzial haben, in Richtung Führung zu kommen, Geschäftsleiterinnen von Raiffeisenbanken, von denen es inzwischen zumindest schon drei gibt, treffen sich hier. FÜHRUNG IN TEILZEIT Ein Thema, das Anna Doblhofer-Bachleitner forciert, ist Führung in Teilzeit. Sie hat in ihrem unmittelbaren Umfeld zwei Frauen mit einer Gruppen- und Abteilungsleitung betraut, die

Foto: Waltraud Dorn/RVS

MMMag. Dr. Anna Doblhofer-Bachleitner

MMMag. Dr. Anna Doblhofer-Bachleitner (Mitte) mit ihren Mitarbeiterinnen Gudrun Egger, Bakk. und Mag. (FH) Dr. Barbara Fahrner, die in Teilzeit eine Abteilung bzw. Gruppe leiten.

kurz nach der Karenz wieder eingestiegen sind. Damit das funktioniert, brauche es ein Commitment von beiden Seiten. Das Team muss Vertrauen haben und die Führungskraft Flexibilität zeigen. Das heißt, dass auch außerhalb der Präsenzzeiten Erreichbarkeit gegeben ist: „Das ist nur eine Organisationsfrage.“


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Schnellere Entscheidungen „Wir werden die Energiewende nicht schaffen, wenn wir nicht mehr Tempo in die nötigen Behördenverfahren bringen“, ist der Chef der Salzburger Sparkasse, Christoph Paulweber, überzeugt. Im Gespräch mit DENK fordert er Mut zu Entscheidungen von

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Behörden und Politik.

Bei jedem Projekt, das im Zusammenhang mit der Energiewende umgesetzt werden soll, gibt es naturgemäß immer auch Betroffene, die gegen Windräder, Solarpaneele, den Ausbau von Eisenbahnstrecken oder das Aufstellen von Strommasten sind. Es gilt das Prinzip NIMBY, was abgekürzt für „Not in my backyard“ steht. Also: nicht in meinem Hinterhof. Selbstverständlich bringen sich auch die Landesumweltanwaltschaft oder NGOs ein, die den Arten-, Natur- und Landschaftsschutz im Auge haben. „Das alles ist berechtigt und ich möchte auf keinen Fall, dass der Rechtsstaat beschnitten wird. Es gibt die Instrumente der Parteistellung und die Möglichkeit, Entscheidungen vor Ge-

richt zu bringen, und das ist gut so“, sagt Christoph Paulweber. „Aber es muss auch einen Punkt geben, an dem es eine Interessenabwägung der Behörde und in letzter Instanz auch der Politik geben muss. Dabei braucht es Konsequenz.“ POSITIVBEISPIEL WINDENERGIE Im benachbarten Bezirk Braunau wurde von der Energiewerkstatt und der Gemeinde Munderfing ein Windpark errichtet. Das Projekt wurde in der Gemeindevertretung diskutiert und politisch außer Streit gestellt. Die Gemeindemandatare fassten einstimmig den Beschluss, das Projekt umzusetzen


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In den zahlreichen Rückblicken auf die Ära von Angela Merkel hat der neue WIFO-Chef Gabriel Felbermayr in einem Interview gemeint, dass Deutschland der alte Mann Europas sei. Dazu Christoph Paulweber: „Wenn Deutschland der alte Mann ist, ist Österreich in Sachen Energiewende ein Urgroßvater. Wir haben unseren CO�-Fußabdruck nicht wirklich verbessert. In Deutschland wurde der Kohleund Atomausstieg beschlossen, alternative Energien wurFoto: Stefan Zauner

den teilweise sogar überfördert. Dadurch ist eine deutliche Dynamik entstanden, die es in Österreich bei Weitem noch nicht gibt, obwohl wir von einem besseren Niveau aus gestartet sind, was alternative Energien betrifft.“ Der Vorstandsvorsitzende der Salzburger Sparkasse, Christoph Paulweber, will schnellere Behördenverfahren.

– zeigten also „klare Kante“, wie das in Deutschland gerne genannt wird –, und ließen sich auch durch die eine oder andere kritische Stimme nicht beirren. Entsprechend konsequent wurde der Windpark dann in die Realität umgesetzt. „Diese Konsequenz vermisse ich bei vielen Projekten“, kritisiert der Sparkassen-Chef. NEGATIVBEISPIEL HOCHLEISTUNGSBAHN IM FLACHGAU Ein Beispiel, wie es nicht funktionieren kann, ist der Ausbau der Hochleistungsstrecke der Eisenbahn durch den Flachgau. Es ist unbestritten, dass mit einem leistungsfähigen Bahnangebot der Individualverkehr reduziert werden kann. Auch das ist Teil der Energiewende. Die bei diesem Projekt gerade mit allen Mitteln zu verhindern versucht wird. „Aufgabe der Behörde und der Politik wäre es, eine klare Interessenabwägung vorzunehmen. Ja, es gibt einen gefährdeten Grubenkäfer und eine seltene Vogelart, die hier nistet und auf einen anderen Baum in der Nähe übersiedeln müsste, aber auf der anderen Seite gibt es das Projekt des Neubaus einer Bahnstrecke, die durch die Blockaden gefährdet ist.“ Wenn die Politik hinter dem Projekt steht, müsse sie das auch klar sagen und nicht zulassen, dass durch partielle Interessen Jahre verloren gehen. EINIGUNG AUF ZIELE UND INTERESSENSABWÄGUNG Noch vor zwei Jahrzehnten wurden Behördenbescheide viel

rascher ausgestellt, heute dauere das viel zu lange, viele Verfahren werden von vornherein über Sachverständige ausgefochten. „Das kostet viel Geld und verhindert im privaten Bereich zahllose Projekte, weil es sich kaum ein Unternehmen antun und leisten will, ein Vermögen in Gutachten zu investieren, die in ferner Zukunft ein ungewisses Ergebnis bringen.“ Christoph Paulwebers Forderung lautet: „Wir brauchen die Rückendeckung für die Behörden, dass sie rasch einen Bescheid ausstellen. Es gibt auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene genügend ausgewiesene Experten, die das können. Was sie brauchen, ist eine Entscheidungsgrundlage, die auf der Basis klarer politischer Ziele erstellt wird. So, wie das im Beispiel Windpark Munderfing der Fall war. “ ANREIZE FÜR DIE WIRTSCHAFT Eine weitere Forderung von Sparkassen-Generaldirektor Paulweber ist es, Unternehmen Anreize zu nachhaltigen Investitionen zu geben, etwa durch Sonderabschreibungen. Es könne nicht der richtige Weg sein, wenn die EU-Kommission Banken und Versicherungen seit 1. Juli dieses Jahres dazu verpflichtet, bei Investitionsfinanzierungen immer auch die Nachhaltigkeit zu prüfen: „Wenn das der Weg sein soll, dann ist das ein Armutszeugnis. Zur Energiewende braucht es schon sehr viel mehr Engagement seitens der öffentlichen Hände. Sie müssen Flagge zeigen.“


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Ressource Ausbildung Wissen und Können sind essenzielle Ressourcen. In Zeiten der digitalen Transformation steigt ihre Bedeutung. Palfinger investiert in erweiterte,

Fotos: Palfinger

qualitativ hochwertige Ausbildungsprogramme.


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„Wir sind in einer Phase, in der die Digitalisierung und die damit verbundenen neuen Technologien nach qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlangen. Smart Technologies brauchen Smart People.“ CEO Andreas Klauser

„Es läuft. Und es läuft gut. Weltweit schwenkt die Wirtschaft in eine Phase der Hochkonjunktur ein und die Folgen der Pandemie sind, wenigstens aus ökonomischer Sicht, beherrschbar. Der Unterschied“, so Palfinger-CEO Andreas Klauser, „besteht darin, dass wir heute viele Entwicklungen noch klarer sehen als vor Covid-19.“ Zum Beispiel den Fachkräftemangel. Den kritisieren Vertreter von Industrie und Wirtschaft seit Jahren. Jetzt könnte er sich als dämpfender Faktor erweisen. Und das nicht nur für kurze Zeit. „Smart Technologies brauchen Smart People“, erklärt Klauser. Daran aber mangelt es nach wie vor. Nicht nur in Österreich. Das Problem ist in Europa ebenso bekannt wie in Nordamerika und anderen führenden Industrienationen. „Als global tätiges innovatives Technologieunternehmen spielt die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Palfinger eine zentrale Rolle bei allen unseren Investitionsentscheidungen“, so Klauser. Zuzuwarten sei keine Alternative, vielmehr gelte es aus unternehmerischer Sicht initiativ zu werden und die Entwicklung proaktiv zu gestalten. INVESTITION IN AUSBILDUNGSZENTRUM Im laufenden Jahr setzt das börsennotierte Unternehmen ein historisch hohes Investitionspaket in die Tat um. Zum Beispiel im oberösterreichischen Lengau, wo mit einer Investition von 3,7 Millionen Euro ein hochmodernes Ausbildungszentrum geschaffen wird.

Nach seiner Fertigstellung bietet der Campus die besten Voraussetzungen, Lehrlinge auf die anspruchsvollen Anforderungen der Digitalisierung im Maschinenbau, der Softwareentwicklung und der Industrie 4.0 vorzubereiten. Ausbildungsleiter Bernhard Eicher: „Wir bilden derzeit in Österreich rund 80 Lehrlinge aus, bis Ende 2021 werden es 115 junge Menschen sein, die einen von 17 Ausbildungswegen absolvieren.“ Mit Fertigstellung des Campus können 200 Lehrlinge bei Palfinger zu Facharbeitern ausgebildet werden. „Wir bereiten unsere jungen Kolleginnen und Kollegen bestmöglich auf unsere Arbeitswelten vor und bieten ihnen die Möglichkeit weltweiter Vernetzung.“ Ihnen macht Andreas Klauser ein Angebot: „Gestalten wir gemeinsam die Zukunft!“

„Die Arbeitswelt durchlebt wegen der Digitalisierung gerade einen rasanten Wandel. Entsprechend passen wir unsere Ausbildungsprogramme regelmäßig so an, dass sie höchsten Ansprüchen genügen.“ Ausbildungsleiter Bernhard Eicher


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Radikaler Mut

Wer sich vornimmt, alles ständig zu hinterfragen und radikal zu erneuern, ist mutig. Wer mitten in der Pandemie in einer gebeutelten Branche einen neuen Flagshipstore baut, ist radikal mutig. Wir haben mit dem Chef von Bründl Sports, Christoph Bründl, und Sparkassen-Generaldirektor

Foto: Bründl Sports

Christoph Paulweber über das Projekt gesprochen.


Foto: Bründl Sports/nikolaus faistauer photography

Christoph Bründl zeigt radikalen Mut.

Baubeginn für den im Oktober eröffneten Flagshipstore war akkurat zu Beginn des ersten Lockdowns. Dennoch war es für Christoph Bründl zu keiner Zeit ein Thema, zuzuwarten, sagt der Pinzgauer Unternehmer im Gespräch mit DENK. Auch für die mitfinanzierende Salzburger Sparkasse gab es nie eine Überlegung, bei einer Investitionssumme von 16 Millionen Euro zur Vorsicht zu mahnen, unterstreicht Sparkassen-Chef Christoph Paulweber. Das Ergebnis lässt sich sehen: Entstanden ist ein architektonisch außergewöhnliches, 5.600 Quadratmeter großes Gebäude. Die Kunden erwartet hier ein außergewöhnliches Einkaufserlebnis: Zum Beispiel eine große gläserne Ski-Service-Werkstatt, ein eigenes Skischuh-Fitting-Labor, das Weitblick – ein Bistro mit Dachterrasse – oder der Bründl Skywalk in 20 Metern Höhe. Weitere Highlights sind eine 15 Meter lange Laufbahn mit Laufanalyse, eine Kids-Boulderwand sowie eine etagenübergreifende Rutsche. Ein 85-köpfiges Team aus leidenschaftlichen Sportlern kümmert sich um die Kunden. Sie bekommen den Spirit zu spüren, der für Bründl Sports charakteristisch ist. Christoph Bründl hat sich und seinem Unternehmen einen exzellenten Ruf als Arbeitgeber erarbeitet: „Herzlichkeit, Beratungskompetenz und Servicebesessenheit sind uns wichtig. Aus der Kombination von Architektur, innovativen Angeboten und Servicebesessenheit resultiert ein Gesamtkunstwerk.“ Vermittelt und trainiert werden diese Werte und Kompetenzen in der hauseigenen Bründl Sports Akademie. Rund 40 verschiedene Seminare und Workshops werden jährlich zur Aus- und Weiterbildung angeboten. Neben Fachwissen wird

vor allem auch großer Wert auf Persönlichkeitsentwicklung, körperliche und mentale Fitness gelegt. „Wir sind überzeugt, dass es mutige Schritte braucht, um auch in Zukunft Kunden und Mitarbeiter zu begeistern und um Erfolg zu haben. Unser neuer Flagshipstore spiegelt diese Philosophie in einer noch nie da gewesenen Form wider.“ Christoph Bründl STATIONÄRER HANDEL NEU GEDACHT „Wir glauben mehr denn je an die Zukunft des stationären Einzelhandels. Er erfährt gerade jetzt eine besondere Wertschätzung und Wiederbelebung. Menschen wollen beim Sportartikelkauf persönliche, positive Begegnungen erleben. Sie möchten professionell und individuell beraten werden“, zeigt sich Bründl – der im Übrigen auch Mitglied des Seebrunner Kreises ist – überzeugt von der Zukunftsfähigkeit eines erlebnisorientierten Shoppingerlebnisses. Das mit neuen Konzeptideen umgesetzte Gebäude sieht er als essenziell für die Weiterentwicklung und Strahlkraft der Marke Bründl an. Seit 1967 wurde der Bründl-Hauptsitz bereits neun Mal umgebaut oder vergrößert. Bei der architektonischen Neugestaltung im Jahr 2021 setzte Bründl Sports auf blocher partners. Die Stuttgarter Architekten haben schon 2008 das Sportgeschäft in Form eines Monolithen neu gestaltet. Dafür gab es damals die Auszeichnung mit dem Euroshop Retail Design Award.


KULTUR

Kunst neu codiert Österreich hat einen exzellenten Ruf als aus, Innovationen in den traditionellen Betrieb zu bringen. Wir haben mit dem gebürtigen Salzburger Kulturmanager Christopher Widauer über seine Projekte gesprochen.

Fotos: Christopher Widauer, iStock.com

Kulturhochburg. Nun gehen von hier Impulse


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Digitale Kulturwelt Nach einem Studium und vier Jahren Assistenz am sehr analytisch orientierten Institut für Philosophie in Salzburg zog es Christopher Widauer in das Kulturmanagement. Anfangs arbeitete er für Friedrich Gulda und die styriarte in Graz mit Nikolaus Harnoncourt. Hier entwickelte er gemeinsam mit einem Programmiererteam ein Ticketing-System, das nach seiner erfolgreichen Implementierung beim Grazer Festival bis heute in vielen prominenten Häusern läuft. Damit begann sein Einstieg in die digitale Kulturwelt, die ihn fortan nicht mehr loslassen sollte. STAATSOPER ALS UNABHÄNGIGER PRODUZENT VON AUFFÜHRUNGEN Im Jahr 2010 ging Christopher Widauer zum damaligen Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, um ihm die Idee näherzubringen, dass zu einer Kulturhochburg wie Wien auch ein entsprechender digitaler Auftritt gehöre. Dieser gab umgehend den Auftrag an die Boston Consulting Group, in einem Pro-bono-Projekt 80 führende Kulturinstitutionen zu untersuchen und ein Raster zu erstellen, was Digitalisierung kann.

hischen rösterreic Die Niede Bühne in er auf der Tonkünstl ch den spielen na Grafenegg Tablet. Noten am

„Die Herangehensweise der Unternehmensberater war für mich sehr bereichernd“, erinnert sich Widauer. Nachdem diese Arbeit abgeschlossen war, wurde das Ergebnis mit den Kultureinrichtungen besprochen. Einer seiner ersten Wege führte ihn zum damaligen Direktor der Staatsoper, Dominique Meyer. Der ihn sofort engagierte, um sein Haus in die digitale Welt als unabhängiger Produzent von digitalen Inhalten zu bringen. Ein Schritt, der später in der Pandemie enorm hilfreich sein sollte. Von März bis Juli 2020, als die Staatsoper wegen Corona geschlossen hatte, haben 350.000 registrierte Zuseherinnen und Zuseher mehr als 3,5 Millionen Streams von Opernproduktionen abgerufen. Dem Beispiel Wiens folgten unter anderem die Lindenoper in Berlin, demnächst die Scala in Mailand. TABLETS FÜR MUSIKER UND BESUCHER Als nächsten Schritt in die digitale Welt wurden an der Staatsoper an allen Sitz- und Stehplätzen Tablet-Computer installiert, auf denen Untertitel in acht Sprachen mitgelesen, Bestellungen für die Pause aufgegeben und Newsletter abonniert werden können. Personalisierte Messages, Videos und interaktive Informationen machen diese „Smart Seats“ zu einem mächtigen Marketing-Instrument und erfolgreichen digitalen Touchpoint, helfen bei der Auslastung weniger gefragter Vorstellungen und bringen signifikante Umsatzsteigerungen. Aber nicht nur die Besucher bekamen ihre Tablets, auch die Musiker und Repetitoren wurden damit ausgestattet. Dazu muss man wissen, dass die Wiener Staatsoper pro Saison 1,5 Millionen Seiten an Noten auf Papier verwendet.


Christo

pher W idauer in Stravin skys „H istoire du Sold at“

Die I nspi zien Wien ten d er St er aats der B oper ühne auf . mit allen Die Part i tur An auf d em S merkun gen chirm .

„Ich bin sehr stolz darauf, viele Kulturinstitutionen in die digitale Welt begleiten zu dürfen, die dafür auch Anerkennung durch internationale Innovationspreise erhalten haben. Gerade die Zeit der Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, Kultur auch bei geschlossenen Theatern und Opernhäusern verfügbar zu haben. Ich habe noch viele Ideen, die auf Umsetzung warten.“ Christopher Widauer


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and r City of Art ouse in de H , ra e p te O airo t Ägyp ns Das New C Hauptstad n e u e . n o n ir e igen Ka der künftig t vom jetz rn e Culture in tf n e r te 60 Kilome

Seit 2020 gibt es jetzt die digitale Notenbibliothek, die enorme Arbeitserleichterungen bringt und Kosten spart. Und das nicht nur für Opern- und Konzerthäuser, Orchester und Musikerinnen, sondern auch für die Musikverlage eröffnen sich gänzliche neue Wege und Businessmodelle. Wenn man bedenkt, dass bei geschützten Werken bis zu 14 % der Einnahmen als Tantiemen anfallen, erkennt man schnell die Dimension: „Rechnet man diese Summe für die Opern- und Konzerthäuser der Welt hoch, kommt man auf einen Milliardenbetrag.“ Die eingesetzte Software hat die Firma Newzik entwickelt, an der Widauer heute beteiligt ist und die von allen wesentlichen Verlegern von Notenmaterial unterstützt wird. CITY OF ART AND CULTURE IN KAIRO Ein aktuelles Projekt von Christopher Widauer ist ein echtes Highlight: das New Cairo Opera House in der City of Art and Culture. Hier, in der „New Capital City“ – zwischen Kairo und Sues gelegen –, werden mit 2.000 Bauarbeitern pro Tag und 1.600 in der Nacht Oper, Schauspielhaus, Museum der ägyptischen Hauptstädte und Stadtbibliothek neu gebaut. Aufgabe ist es, dass jede Ägypterin und jeder Ägypter die Möglichkeit bekommen soll, alle Vorstellungen miterleben zu können. Um das zu ermöglichen, werden jetzt gerade vier Audio- und zwei Video-Studios eingebaut und die Smart Seats installiert. Eine Geschichte wie aus 1001 Nacht, wobei das Kairoer Projekt von Wien lernt und dabei gleich auf dem Level 2021 startet. Österreich ist übrigens nicht nur innovativ und digital beteiligt: Der verantwortliche künstlerische Projektleiter hat vor Kurzem hier 83 Flügel und Klaviere gekauft.

Foto: Christopher Widauer, iStock.com

In diese Notenblätter werden vom Dirigenten über den Beleuchter bis hin zu den Videotechnikern Anmerkungen eingetragen. Ein großes Team an Mitarbeitenden der Staatsoper ist damit befasst, alle diese Eintragungen mit Bleistift zu synchronisieren und später dann - viele dieser Noten sind Leihmaterial – mittels elektrischen Radierers (!) wieder zu entfernen. Heute gibt es dafür eine Lösung mit einem digitalen Masterfile, in dem alle Eintragungen in Echtzeit eingesehen werden können, die in immer mehr Abteilungen eingesetzt wird.


MITDENKER

Lösungsbegabt! Wir haben Potenzial. Das müssen wir aber am Blühen erhalten, mahnt der Gentechniker Markus Hengstschläger in seinem neuesten Buch: „Die Lösungsbegabung“. Nur so vermögen wir die vorhersehbaren und auch unvorhersehbaren Probleme der Zukunft zu bewältigen.

Foto: Verlag Ecowin/Udo Titz

„Ob im Großen oder im Kleinen, ob im Privat- oder im Berufsleben, in unserer so schnelllebigen Zeit hat jede und jeder von uns täglich immer mehr vorhersehbare, aber auch immer mehr unvorhersehbare Probleme und Fragestellungen zu lösen. Klimawandel, Terrorismus, Rassismus, Populismus, die Flüchtlingskrise und letztendlich auch die Covid-19-Pandemie zeigen: Die Fähigkeit, Probleme lösen zu können, ist wichtiger denn je“, beschreibt der Wissenschaftler die Lage unseres Gemeinwesens. Zur Problemlösung braucht es das auch genetisch mitbestimmte Potenzial der Lösungsbegabung, bei dessen Entwicklung und Umsetzung der Mensch viel selbst in der Hand hat. „Wer nicht mit offenen Augen und offenen Ohren in Bewegung bleibt, kann nicht finden, was er sucht, und vergibt auch die größte Chance des Lebens – nämlich tolle Dinge zu finden, die man gar nicht gesucht hat.“ Lösungsbegabung müsse von klein auf gefördert werden. Um sie laufend aktiv zu halten, bedürfe es neuer Ansätze im Talentemanagement, in der Bildung, im Leadership, in der Politik und in unserer Gesellschaft. DIE ENTFALTUNG DER LÖSUNGSBEGABUNG FUSST LAUT HENGSTSCHLÄGER AUF 5 FUNDAMENTEN: 1. Mut, sich auf das Unbekannte vorzubereiten 2. Wechselwirkung von bewährtem Handeln und neuen Lösungen 3. Stimulieren von Schnittstellen verschiedener Disziplinen und Kulturen

Uni.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger studierte Genetik, forschte auch an der Yale University in den USA und ist heute Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler leitet den Think Tank Academia Superior und ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission. Zuletzt hat er das sehr empfehlenswerte Buch „Die Lösungsbegabung“ publiziert, das 2020 im Verlag Ecowin in Salzburg erschienen ist.

4. Verknüpfung bestehender Ansätze mit neuen Zusammenhängen in einem Kreativitätsprozess 5. Lebenslange kontinuierliche Bereitschaft, dazuzulernen und auszuprobieren Sein Appell: „Machen wir doch uns und den nächsten Generationen das Angebot, Ermöglicher zu werden, durch die Förderung des Einsatzes des wichtigsten Potenzials des Menschen – der Lösungsbegabung“ – liest sich so, als wäre er für den Seebrunner Kreis der Vordenker geschrieben. „Um herauszufinden, für welche Projekte man sich einbringen könnte, sind nicht selten andere hilfreich und notwendig. Je größer das Netzwerk ist, das sich darüber Gedanken macht, desto höher die Trefferquoten. Ermöglicher zu werden ist eine Sache, nachhaltig Ermöglicher zu bleiben ist eine andere. Wir müssen uns in Bewegung setzen und bleiben.“ Markus Hengstschläger


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Strengt euch an! Es sei höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie Leistung Gesellschaft zu definieren ist. „Jedenfalls wird sie nicht mehr das sein, was wir uns in unseren Komfortzonen vorstellen“, ist Wolf Lotter überzeugt. Wir haben mit ihm über neue Leistungsbilder gesprochen. Helmut Qualtinger hat einst in „Der Halbwilde“ über das Moderne, den Zwang, sich zu motorisieren, und seine „Maschin“ gesungen: „I hob zwoar ka Ohnung wo i hinfoahr. Aber dafür bin i gschwinder duat“. Wolf Lotter formuliert das unter Verwendung eines Zitates von Bert Brecht aus der unmittelbaren Nachkriegszeit (Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns liegen die Mühen der Ebene) so: Die Mühen der Ebene sind perfide. In der endlosen Weite kann man überall hin – aber man muss seine Ziele auch kennen und definieren, sonst kommt man nirgendwo an, weil man die Orientierung verliert. Heute haben wir uns in Komfortzonen eingerichtet, aus denen heraus wir es „schwer schaffen, Ziele zu setzen und Zukunft zu denken“. Genau das, so Wolf Lotter, müssen wir aber tun: „Die Transformation unserer Tage verlangt von uns die Neuorientierung in nahezu allem, was uns bisher normal und gewohnt scheint.“ WELCHE AUFGABEN BLEIBEN DEN MENSCHEN? Wie er das häufig auch in seinen Essays für brand eins tut, spricht er ein paar unbequeme Themen an: „Mag es einst um Quantität gegangen sein, darum, wie viel man hat und wie viel man noch bekommen kann, muss sich heute und künftig alles um Qualität drehen. Und das bedeutet, bessere Lösungen zu finden und sie umzusetzen. Das ist ein Aufruf, Leistung neu zu verstehen und zu leben.“ Leistung bedeutete bei den Eltern und Großeltern noch etwas ganz anderes als das, was heute von uns verlangt wird. Die Digitalisierung tut ihren Teil, weil sie Routinetätigkeiten automatisiert.

Der Mitbegründer des Magazins brand eins – wo er die Leitessays schreibt – wurde in Mürzzuschlag geboren und lebt heute nahe Stuttgart. Als Keynote-Speaker und Berater befasst er sich mit dem Thema „Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft“. Im Ecowin-Verlag ist eben das Buch „Strengt euch an!“ erschienen. Darin erklärt er, warum sich Leistung wieder lohnen muss.

Es stellt sich die Frage: „Welche Aufgaben bleiben dem Menschen?“ Lotters Antwort: „Das Denken im Sinne einer Verbesserung der Verhältnisse für jeden Einzelnen.“ ZU VIEL KÜMMERN ERZEUGT VERKÜMMERTE Angesichts der großen Ansprüche und Vorhaben unserer Zeit und Menschen wäre es also angebracht, sich nicht politisch oder organisatorisch „bedienen“ zu lassen, sondern die Eigeninitiative und Selbstverantwortung als Kern bürgerlicher Tugenden zu betonen. Zu viel Kümmern erzeugt eine Menge Verkümmerter. „Strengt euch an!“, ist ein Plädoyer für eine neue, selbstverantwortliche Leistungsgesellschaft, die „ins Gelingen verliebt“ ist, wie das Ernst Bloch im Prinzip Hoffnung formulierte. John F. Kennedy hat einst das Apollo-Programm damit begründet, dass die USA nicht zum Mond fliegen wollen, „weil es leicht ist, sondern schwer“. Die Ziele, die wir uns heute setzen sollten, sind solche, die man nie vollständig erreicht: „Immer ein bisschen überfordert bleiben, weil uns das weitersuchen lässt, weil das Leben eben nicht fertig ist, sondern die Reise noch Sinn bringt. Sich anstrengen bedeutet, zu sich selbst zu finden und weiterzumachen.“ Diesen Satz stellt Wolf Lotter an das Ende seines Buches und fügt hinzu: „Das ist der Lauf der Welt, und aller Mühe wert.“ Der Lohn der Anstrengung ist Selbstverwirklichung, das Wissen darum, was und für wen man etwas tut. „Der Wohlstand hat uns in einen Zustand von intellektueller Faulheit und Feigheit gebracht. Faulheit, weil man die wirklichen Probleme der Transformation mangels Bemühung nicht löst, Feigheit, weil man diesen Umstand auch noch vertuscht.“ Wolf Lotter

Foto: Katharina Lotter

in einer postindustriellen


MITDENKER

Humane Zukunft Wer verändern will, muss die Gegenwart einordnen können. Der Mensch muss den Wandel verstehen. Nur dann kann er Schritte in die Zukunft setzen. Je komplexer die Situation ist, desto schwieriger wird es, beschreibt die Soziologin und Zukunftsforscherin Christiane Varga ihre Landkarte für eine menschlichere Zukunft.

Foto: Julian Mullan

Der gebürtigen Ulmerin, die seit einem Jahrzehnt in Wien lebt, schwebt eine menschlichere Zukunft vor. „Bevor ich mich aber dahin aufmache, muss mir bewusst sein, dass ich das nie zu 100 % erreichen werde.“ Je komplexer und globaler die Situation, desto weniger könne man planen. Trotzdem gebe es Denkmodelle, mit denen man die Gegenwart einordnen kann. Von da aus kann ich mir dann die Schritte in die Zukunft überlegen. „Nur wer weiss, wo er herkommt, weiss, wo es hingeht“, hat der frühere deutsche Bundespräsident Theodor Heuss einst formuliert. Das Industriezeitalter, sagt Christiane Varga, hat sich Fortschritt, Steigerungslogik und höhere Stückzahlen zum Gebot des Handelns gemacht. Dabei habe man vergessen, dass es auch die humane Seite gibt: „Überall, wo Menschen zusammenkommen, gibt es einen emotionalen Teil. Den haben wir in den letzten Jahren vergessen. Das ändert sich jetzt, weil wir durch die Pandemie einen Dämpfer erhalten haben.“ Es schade nicht, sich für die Zukunft ein Idealbild zu malen,


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werkartiger. Wie die Natur brauchen auch wir Zeiten der Rekreation, wo man neue Dinge aufbaut. Das Gehirn und Unternehmen brauchen auch Ruhepausen. Ein­ dimensional nur vorwärts ist in vielen Bereichen kontraproduktiv.“ Christiane Varga

bei dem der Mensch im Zentrum steht, der Wirtschaft, Umwelt und Soziales in Einklang zu bringen versucht. Das ist ein ganz anderer Ansatz als die gelernte „Entweder-oder-Logik.“ Die Ökosoziale Marktwirtschaft sei ihrer Zeit weit voraus gewesen, ist also „nichts Neues, sondern macht einfach Sinn“. „Die Zeit des Umbruchs ist da und lässt sich nicht aufhalten. Vergesst es. Nichts wird je wieder so sein, wie es einmal war.“ Botschaft von Christiane Varga an die Beharrenden Der Mensch hat, was Veränderungen betrifft, gemischte Gefühle. Einerseits beschäftige er sich ständig mit Zukunftsfragen: „Was koche ich heute, welche Investitionen tätige ich, wie verändere ich mein Geschäftsmodell, damit es auch in Zukunft noch funktioniert?“ Andererseits ist das Gehirn darauf getrimmt, möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Das tut es im Alltag bei eingelernten Vorgängen. Christiane Varga erklärt die Problematik anhand der massiven Veränderungen, die Corona mit sich gebracht hat: „Ich kann mir vornehmen, mich nicht zu verändern, aber um mich herum ändert sich permanent etwas. Dann müssen sich auch die beharrlichsten Verweigerer ändern, weil nichts anderes übrigbleibt.“ LEHREN FÜR DIE POLITIK Die Politik muss sich mehr öffnen, ist Varga – die in München Germanistik, Mediävistik und Soziologie studiert und dann zunächst im Wiener Zukunftsinstitut gearbeitet hat – überzeugt. Systemveränderungen sollten netzwerkartig und nicht silohaft gedacht werden. Viele Gesetze seien für eine Gesellschaft gemacht worden, die es so einfach nicht mehr gibt. Sie müssten an neue Lebensformen, steigendes Alter, Mobilität und Vernetzung der Menschen untereinander angepasst werden, damit die Realität und der gesellschaftliche Rechtsrahmen wieder kongruent werden. Besonders drastisch sieht sie das Hinterherhinken der politischen Gestaltung hinter der Realverfassung einer digitalen Welt. Auf dieser Landkarte mit hellen und vielen dunklen Flecken fänden sich die Menschen nicht mehr zurecht. „Die Machtmonopole der Datenkraken nehmen inzwischen Formen an, die hanebüchen sind. Digitalisierung muss endlich als sozialer Prozess besprochen werden und nicht nur als technologischer.“

Fotocredit: Julian Mullan

„Die Gesellschaft wird netz-


CONTRAPUNKT

Grenzen der Freiheit Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit der anderen beginnt. Der Freiheitsbegriff spaltet aktuell die Bevölkerung. Wir haben zwei Universitätsprofessoren zu Ursachen und Lösungen befragt: den in Salzburg an der Katholisch-Theologischen Fakultät lehrenden Philosophen Dr. Emmanuel J. Bauer und den in Wien an der Fakultät für Psychologie lehrenden Neuropsychologen Mag. Dr. Claus Lamm.

Fotos: Alexander Munteanu, Kolarik, iStock.com

Universitätsprofessor Mag. Dr. Claus Lamm (Universität Wien, Fakultät für Psychologie)

Immanuel Kant hat formuliert, dass die Freiheit des Einzelnen ihre Grenzen dort hat, wo die Freiheit der anderen beginnt. Über die Grenzziehung gibt es jetzt heftige Auseinandersetzungen. Warum? Lamm: Es gibt in jeder Gesellschaft Grundthemen, die subkutan vorhanden sind. Es gibt nicht nur das Eine oder das Andere. Es gibt nicht Vogelfreiheit versus Kontrolle. Spezielle Situationen wie eine Pandemie bringen die Widersprüche ans

Universitätsprofessor Dr. Emmanuel J. Bauer (Universität Salzburg)

Licht. Impfen hatte schon immer eine selbstbezogene und eine gemeinwohlbezogene Komponente. Das gilt für Vakzine gegen Masern, Röteln oder Polio genauso wie für Covid. Bauer: Kant sagt in diesem Zusammenhang, dass der Satz in der Theorie richtig sein mag, aber in der Praxis nicht taugt. Denn jeder Mensch sucht nach Glückseligkeit und niemand darf ihn zwingen, sie auf einem ganz bestimmten Weg zu suchen. Daher braucht es eine Rechtsordnung, welche die in-


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dividuellen Freiheitsinteressen quasi zähmt. Die Spannung ist immer da, gerade heute in einer Zeit, die nachhaltig von einer narzisstischen Mentalität geprägt ist. Die Menschen haben verlernt, auf ihr Gewissen zu hören und das Wohl der Gesellschaft im Auge zu haben. Die soziale Dimension verlangt aber den Blick auf das Ganze, das Ich, Du, Wir und die Natur. Was bedeutet für Sie als Psychologe/Philosoph der Begriff Freiheit? Lamm: Ich beschäftige mich in meinen Forschungen und der Lehre vordergründig mit Themen wie Gemeinwohl und Empathie. Grundsätzlich könnte man sagen: Meine Freiheit endet dort, wo ich jemand anderem Schaden zufüge. Es gibt natürlich Freiräume, die sich jeder schaffen kann. Wenn er anderen nicht schadet, ist alles im Rahmen. Aber wie definiert man „Schaden“? Das ist eine Verhandlungssache in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess. Hier ist sehr viel Interpretationsspielraum drinnen. Man kann es sich als Gesellschaft nicht ersparen, in einen profunden Dialog einzusteigen. Bauer: Freiheit ist ein umstrittener Begriff. Es gab in den 90erJahren eine Diskussion darüber, ob es Freiheit überhaupt gibt. Unsere Freiheit ist in vielen Punkten bedingt, durch neuronale Struktur, durch gesellschaftliche Einbindung. Freiheit ist so etwas wie ein Freiheitsspielraum, in dem ich nach Gründen oder Ursachen entscheide. Dieser Spielraum macht den Unterschied aus, ob etwas determiniert oder bloß bedingt ist.

Was müsste getan werden, um die in Impffragen anscheinend unversöhnlichen Gruppierungen auf einen Verständigungspfad zurückzubekommen? Lamm: Die extremen Verweigerer werden wir nicht mehr vom Sinn der Impfung überzeugen können. Auf einer rationalen Ebene ist diese Gruppe nicht mehr erreichbar, weil sie keinen Argumenten zugänglich ist. Vielleicht könnte es da und dort Änderungen geben, wenn jemand in der unmittelbaren Umgebung schwer erkrankt oder stirbt. Aber selbst da bin ich mir nicht sicher, wie die Beispiele des amerikanischen Expräsidenten Donald Trump und des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro zeigen, die sich beide mit dem Virus ansteckten. Investments in Überzeugungskampagnen lohnen sich eher bei Zauderern, wenig Informierten, Menschen, die keine Möglichkeit haben, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen. Impfen ist inzwischen auch längst ein Stellvertreterkampf geworden, wo es nicht mehr um das Impfen geht, sondern um das Gesellschaftsmodell, das die jeweilige Seite haben möchte. Bauer: Es wäre wichtig, eine Entmoralisierung zu schaffen. Die Nichtgeimpften fühlen sich stigmatisiert und narzisstisch gekränkt. Das ist der Nährboden für eine kämpferische Positionierung. Sachliche Aufklärung und gleichzeitig eine Entideologisierung würden helfen. Es gibt Gründe, warum man sich impfen lassen soll, aber auch für das Gegenteil. In einem Diskurs darf die eigene Meinung nicht absolut gesetzt werden. Gerade das aber geschieht in den sozialen Medien. Helfen können da nur klare und sachliche Botschaften.


Wo war Ihrer Meinung nach der Punkt, an dem der Egozentrismus über den Altruismus triumphierte? Lamm: Ich sehe das nicht so. Weder der Egozentrismus noch der Altruismus hat reüssiert. Wir sollten uns von einem Schwarz-Weiß-Denken lösen. Der Großteil der Menschen ist nicht genuin oder universell altruistisch, da ja jeder Mensch von seinen Handlungen auch einen Eigennutzen hat, gleichzeitig aber auch einen Sinn darin sieht, sich trotz eigener Kosten in die Gemeinschaft einzubringen. Bauer: Die postmoderne Gesellschaftsstruktur huldigt spätestens seit den 60er-Jahren des 20. Jh. dem Individualismus. Traditionen brechen weg, ich muss mich selbst finden. Das Individuum wird stärker herausgehoben, auf der anderen Seite geht es in den globalen und regionalen System-Strukturen unter. Wenn etwas nicht klappt, fühlt sich der Einzelne schuldig. Er muss sich also behaupten und versuchen, durch Leistung, Besitz oder Macht von sich reden zu machen. Das Image, nicht das Sein, steht im Fokus. Wie müsste eine Intervention der Politik oder Gesellschaft aussehen? Lamm: Ich halte mich zwar grundsätzlich mit Tipps zurück. Aber zwei Themen können durchaus angeführt werden: Die Bundesregierung hat es verabsäumt, über den Sommer eine ordentliche Impfkampagne für den Herbst auszuarbeiten. Die jetzige ist fast schon zu spät, weil wir ja schon mitten in der vierten Welle sind. Das zweite Thema ist, dass das Vertrauen in die Politik hierzulande nicht sehr ausgeprägt ist. Das ist ganz anders als in Skandinavien, wo die Menschen den Politikerinnen und Politikern mehr Vertrauen entgegenbringen. Das populistische Argumentieren merken sich die Leute und wenden sich ab, wenn es darauf ankommt: ‚Warum soll ich dem glauben, was gesagt wird, wenn es um einen Eingriff in meine persönliche Freiheit geht?‘ Die Lösung wäre, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, indem sich die Politik anders verhält. Das wird aber nicht getan. Das, was in den letzten Monaten in Österreich auf der politischen Bühne abgelaufen ist, Stichwort „Chats“ und die dahinterliegenden machtorientierten Vorgangsweisen, war für die Vertrauensbildung nicht förderlich.

Bauer: Die Politik müsste durch ihr Agieren zeigen, dass es um einen Dienst am Gemeinwohl geht und nicht um die Vergrößerung der eigenen Macht und nicht um Wählerstimmen. Politikern fehlt der Mut, sachlich geforderte Maßnahmen zu setzen, wenn sie fürchten, Stimmen zu verlieren. Man müsste mutig, sachlich, am Gemeinwohl orientiert arbeiten. Auch wenn manche protestieren würden: Auf lange Sicht würde es sich bezahlt machen. In der Impffrage braucht es Kompromisslösungen, damit relativ viele Menschen den Entscheidungen auch folgen können. Der in Zürich lehrende Soziologe Dirk Helbing meint, dass sich langfristig die Altruisten durchsetzen werden. Was spricht aus Ihrer Sicht für diese These? Lamm: Es gibt in jeder Gesellschaft Gruppierungen, die mehr dem Altruismus, und solche, die dem Egoismus zuneigen. Diese Mischung braucht es aus gesamtgesellschaftlicher Sicht, weil eine Gesellschaft nur aus reinen Altruisten oder Egoisten wohl nicht nachhaltig funktionieren würde. Es gibt keine optimale Aufteilung, beides ist Teil unserer Gesellschaft. Das Entscheidende ist, wie man in der jeweiligen Situation damit umgeht. Der einzelne Mensch sollte sich aber bewusst sein, in welchen Fällen er sich wie verhält. Es gibt auch Regulative durch Rückmeldungen aus dem Umfeld. Der Egoist, der immer nur an sich denkt, wird in der Regel negatives Feedback bekommen. Umgibt sich der Egoist aber ausschließlich mit Egoisten, werden seine Verhaltensweisen zum akzeptierten Standard. Deswegen ist es auch so wichtig, einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs inklusive direkten persönlichen Kontakts aufrechtzuerhalten. Sonst bleiben wir alle in unseren „Filterblasen“ hängen. Bauer: Aus der Glücksforschung weiß man, dass das soziale Moment, eine gute Beziehung zu haben, immer an oberster Stelle steht. Das spricht dafür, dass der Mensch ein zoon politikon, ein soziales Wesen im Sinne von Aristoteles, ist. Der Mensch kann sich nur entfalten, wenn er im Beziehungsaustausch mit anderen steht. Immanuel Kant hat in seiner Altersschrift „Zum ewigen Frieden“ die These aufgestellt, dass der Mensch von Natur aus einen paradiesischen Zustand anstrebt. Das kann mit modernen Erkenntnissen der Glücksforschung und neurobiologischen Untersuchungen untermauert werden.


RÜCKBLICK

Clubleben Im Herbst 2021 startete der Seebrunner Kreis wieder in den gewohnten Modus der Präsenzveranstaltungen. Den Auftakt machte der Empfang von Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer auf Schloss Leopoldskron, es folgten eine Betriebsbesichtigung der Axess AG, ein Blick in die Zukunft durch die Zukunftsforscherin Christiane Varga in Wagrain und eine Würdigung von Bankier Heinrich Spängler. Den Abschluss machte ein Afterwork im neuen Gehmacher Outdoor & Café in der Judengasse.

Empfang des Landeshauptmanns

Fotos: Doris Wild/wildbild

Mehr Stories, Fotos und Videos finden unsere Freunde online auf unserer Website und auf Facebook.

Beim traditionellen Empfang des Seebrunner Kreises zog Kurator Prof. Mag. Harald Ronacher eine positive Bilanz über die Entwicklung des Clubs. Die Mitgliederstruktur habe sich in den letzten Jahren gewandelt. „Wir sind jünger, diverser, regionaler und bunter geworden.“ Ein Drittel der Mitglieder sind Jungunternehmer. Er freue sich sehr, meinte Harald Ronacher, dass etwa das Projekt "Frauen in Führungspositionen" in Unternehmen hineingetragen werden konnte.


Afterwork im Oktober

Umgeben von edlem Interieur Design war der Seebrunner Kreis zu Gast bei unserem Mitglied Julia Gehmacher in ihrem OUTDOOR & CAFÉ in der Judengasse in Salzburg. Sie gewährte Einblicke in die Historie des Familienunternehmens und ihre Visionen und Ideen für das neue, innovative Shop-Konzept.

Fotos: Eva von Schilgen

Menschlichere Zukunft Wie leben wir in Zukunft und wie geht’s der heimischen Wirtschaft? Darüber haben sich Unternehmer aus dem Pongau bei einem Diskussionsabend auf Einladung von Vorstandsmitglied des Seebrunner Kreises Dr. Peter Gasperlmair mit Zukunftsforscherin Mag. Christiane Varga in Wagrain ausgetauscht. Siehe dazu auch das ausführliche Interview in dieser Ausgabe von DENK!

Fotos: Sabine Ranalter


Jüngst war der Seebrunner Kreis, auf Einladung von Ing. Oliver Suter (Vorstand und CSO), bei der Axess AG zu Gast. Die Veranstaltung wurde vom Seebrunner Kreis Tennengau organisiert. Die Axess AG ist einer der weltweiten Marktführer im Bereich der Zutrittssysteme. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekamen einen spannenden Einblick in die neuesten Produkte und Innovationen des Unternehmens. Die Axess AG steht für intelligente Ticketing- und Zutrittsmanagementlösungen und entwickelt und produziert all ihre Hard- und Software selbst. Auch Systemlösungen für die gesamte Customer-Journey gehören zum Produkt-Portfolio.

Access bei der Axess AG

Fotos: Manuel Horn

Bankhaus Spängler

Es gibt in Salzburg Familien, die die Geschicke von Stadt und Land prägen. Eine davon ist die Familie Spängler. Ihre Geschichte als Bankiers reicht mehrere Jahrhunderte und sieben Generationen zurück. Der Seebrunner Kreis hat dem Bankier und Festspielförderer Heinrich Spängler, der viele Jahre auch Präsident der Freunde der Salzburger Festspiele war, die Ehre erwiesen und mit ihm über sein Lebenswerk gesprochen. Die Freunde steuern jedes Jahr 3 Millionen Euro zum Festival der klassischen Musik bei. So viel wie drei Großsponsoren zusammen, wie die scheidende Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler lobend anmerkte. Fotos: Manuel Horn


Impressum VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT Verein zur Förderung des wirtschaftspolitischen Wissens Seebrunner Kreis Merianstraße 13 5020 Salzburg +43 (0)662/869815 office@seebrunnerkreis.at

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MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG VON


Wenn Sie das Gefühl haben, genug über der Welten Lauf nachgedacht zu haben, können Sie jetzt den Blickwinkel ändern: Denken Sie voraus! Der Seebrunner Kreis spricht ganz bewusst Menschen an, die etwas bewegen wollen und auch können. Wenn Sie ein besonderes Interesse daran haben, den Standort Salzburg weiterzubringen, sind Sie bei uns genau an der richtigen Adresse. Wir machen uns abseits vom politischen Alltag Gedanken über die Entwicklung der Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft und deren Rahmenbedingungen. Wir sind in den letzten Jahren deutlich jünger, diverser, regionaler und bunter geworden und wollen diesen Weg auch weiter fortsetzen. Ein Drittel der Mitglieder sind Jungunternehmer, im Vorstand entscheiden vier Frauen über die Strategie mit. Sie möchten mit uns gemeinsam hochfliegende Pläne schmieden? Schreiben Sie uns einfach ein Mail an office@seebrunnerkreis.at. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören!

Fotocredit: Manuel Horn, Doris Wild / wildbild, Foto Neumayr / Leo Neumayr, Foto Kolarik

Vom Nachzum Vordenker!



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