Programmheft zur Literaturreise nach Marseille 2013

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T E L L

M E

T O U R S

! ! ! ! LITERATURREISE

MARSEILLE HERBST 2013

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Konzeption | Leitung: Sabine


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INHALT

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Marseille - eine Annäherung

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Exil in Marseille

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Das Belsunce-Viertel

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Walter Benjamin in Marseille, 1926-1940. Essay 16 Die Maler Hans Bellmer, Ferdinand Springer, Max Ernst und Wols in Les Milles. Radio- Feature

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Deutsche Schriftsteller und Künstler in Sanary-sur-Mer 39 Das deutsch-französische Multimediaprojekt EXILPLAN

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Das schwarze Schloss - Zutritt verboten! Die Malorte von Paul Cézanne. Essay

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Sehenswert in Marseille Ausstellungs- und Veranstaltungstipps

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Die Reiseleiterin stellt sich vor

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MARSEILLE, EINE ANNÄHERUNG

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E s i s t vo n K ü n s t l e r n selten so viel Widersprüchliches über eine Stadt gesagt und geschrieben worden wie über Marseille. Victor Hugo bedauerte, dass die Denkmäler der Antike zerstört wurden, Blaise Cendrars feierte Marseille als die einzige Hauptstadt des Altertums, die uns nicht mit den Denkmälern ihrer Vergangenheit erdrückt. George Sand verglich den Alten Hafen mit einem Ententeich, so klein und hässlich wie die ganze Stadt, den österreichischen Emigranten Moritz Hartmann wehte bei seiner Ankunft in Marseille der Hauch der grossen Stadt, der Kosmopolitismus einer Seestadt an. Und der fünfzehnjährige Arthur Schopenhauer sprach gar von londonähnlicher Schönheit. Die Krämerseele der Hafenstädter ist, nicht zuletzt von Stendhal, der als junger Mann in Marseille selbst eine Epicerie betrieb, notorisch demontiert worden. Heinrich Heine machte das schachernde Geräusch der Grossstadt krank, Emile Zola dagegen versetzten die Stunden des Wahnsinns, in denen die Bevölkerung von einem zwingenden Bedürfnis nach Besitz erfasst wurde, in einen glückseligen Taumel. Dem Exotismus des Kolonialhafens, der Abenteurer- und Spielermentalität der Marseiller fielen die französischen Romantiker zu Füssen, Gustave Flaubert und Ernst Jünger zum Opfer - der erste verlor in Marseille seine Unschuld, der zweite sein Geld.

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Marseille ist die älteste und zugleich unfranzösischste Stadt Frankreichs. Seit 2.600 Jahren spiegelt sich in ihr das Mittelmeer, auf dem sich Europa und Afrika treffen, Handel treiben, Krieg führen und Menschenmassen mobilisieren. Das "Tor zum Orient" ist keine blosse Metapher, sondern von Christen, Moslems, Buddhisten und Juden gelebter Alltag in dieser von 110 Dörfern z u s a m m e n g e h a l t e n e n Mittelmeermetropole. Einem riesengrossen Fremdenverkehrsamt gleich empfing sie im Laufe der Jahrhunderte unzählige Emigranten, die unverzüglich in den bestehenden Meltingpot integriert und alsbald Marseiller reinsten Wassers wurden. Jeder trägt seine Heimat an der Sohle und führt an seinem Fuss die Heimat nach Marseille (Joseph Roth).

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Die Hafenmetropole ist aber nicht einfach nur anders als der Rest Frankreichs, sondern ein Anti-Paris in latenter Kampfpose gegen den Zentralstaat, von dem man sich im Süden vernachlässigt und gedemütigt fühlt. Künstler haben diese mit allerlei Negativklischees gezeichnete Stadt gesucht, um in ihr abzutauchen, mit dem eigenen Leben zu experimentieren oder in ihr vom Kontinent oder vom Leben Abschied zu nehmen. Ist es ein Zufall, dass Arthur Rimbaud 1891 zum Sterben nach Marseille kam und kurze Zeit darauf Antonin Artaud im vierten Arrondissement geboren wurde? Ich erinnere mich, dort meine Inkarnation selbst vollzogen zu haben. Und das war ein schöner Skandal, eine Winkelinkarnation, deplatziert und heimatlos (Antonin Artaud).

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Marseille hat in seiner langen Geschichte mehrmals alles gewonnen und verloren; das hat für seine Bevölkerung den Begriff von Reichtum relativiert und zur Ausbildung einer Kultur des verschwenderischen Geniessens geführt, die selbst in ihrer ärmlichsten Variante noch zu blenden vermag: Mondäner Zauber und bourgeoise Gemütlichkeit; Sport, gutes Essen und Bakkarat sind grosse Attraktionen; aber die grösste Attraktion ist das Nichtstun. Die Riviera legitimiert es, dieses Dolce-far-niente, man braucht nicht einmal krank zu sein. (Erika und Klaus Mann) Als die Geschwister Mann 1930 zu Recherchen für ihr "Buch von der Riviera" nach Marseille kamen, befand sich die Stadt auf dem Höhepunkt einer kurzen, aber intensiven Periode wirtschaftlicher Prosperität und geistiger Konzentration, die sie über ihr Image als Hafen der Pfeffersäcke hinauswachsen liess und erstmalig zu einer Kunstmetropole von europäischem Rang machte.

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Die seit 1904 über den Alten Hafen gespannte Fährbrücke, der Pont Transbordeur, zog stärker noch als der Eiffelturm Konstruktivisten und Bauhauskünstler an. László Moholy-Nagy, Germaine Krull, Eugen Batz, Man Ray sahen ihn durch das Auge der Kamera, der Philosoph Walter Benjamin aus der Perspektive des Haschischin (Blaise Cendrars' Angaben zufolge war in den dreissiger Jahren das Opium in Marseille billiger als dort, wo es herkam).

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Walter Benjamin, der die Stadt im Rausch als einer der ersten in sie verliebten Ausländer von ihren Rändern her aufgerollt, die Arbeiterviertel, das industrielle Brachland hinter den Docks durchstreift und in mehreren Essays beschrieben hatte, entdeckte den Lesern der "Literarischen Welt" 1926 die Revue "Les Cahiers du Sud" als ein Unternehmen das sich gegen die Pariser Saturiertheit angenehm abhebt und nach dem "inédit" der Namen und Gedanken Ausschau hält. Zu diesem Zeitpunkt regierten die Namen der in Paris noch auf dem Index stehenden Surrealisten das Inhaltsverzeichnis.

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"Les Cahiers du Sud" blieben 391 Nummern lang (1914-1966) ein Ereignis mit Höhen und Tiefen, das über Marseille hinaus Literaturgeschichte und in jener Zeit, als die Stadt zu einem Nadelöhr wurde, vor dem zigtausende von Emigranten auf der Flucht vor den Nazis Schlange standen, Geschichte in Zivilcourage gemacht hat. Trotz oder gerade aufgrund der dramatischen Lebensumstände waren die Jahre 1939-41 für viele Künstler-Emigranten produktiv: in Marseille erfanden die Surrealisten ihr eigenes Kartenspiel "Jeu de Marseille", malten Max Ernst, Hans Bellmer, Wols, André Masson einige ihrer wichtigsten Bilder, schrieb Anna Seghers ihren Roman "Transit".

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Ein Transitär blieb ewig auch der Fremdenlegionär, Diamentenhändler und Dichter Blaise Cendrars, der bei jedem Landgang - Marseille roch nach Nelkenpfeffer an diesem Morgen - dieselbe Route der GangsterBars einschlug.

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Die Grenze zwischen Kunst und Geld, Räuber und Gendarm ist in Marseille fliessend. So jagt der Flic Fabio Montale in den erfolgreichen Krimis von Jean-Claude Izzo als Stadtnostalgiker und Systemkritiker zwar durch die provenzalische Speisekarte, aber nicht die Köpfe der Mafia. Das Wort "Total khéops" (Titel eines Izzo-Krimis) wurde von den Rappern "IAM" erfunden und heisst soviel wie "Riesengrosses Tohuwabohu" - daraus entstehen in Marseille immer wieder neue Utopien, deren masslose Vitalität nicht nur Albert Camus zum Stottern bringen kann: Marseille. Der Marktplatz: Das Leben? Das Nichts? Illusionen? Und doch die Wahrheit. Volle Kassen. Bumm, bumm, treten Sie ein ins Nichts.

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© Sabine Günther

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Marseille - Exil-Stadt

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Marseille besitzt seit seiner Gründung durch griechische Seefahrer vor 2600 Jahren den Ruf, eine gastfreundliche, den Verkehr zwischen Menschen und Waren fördernde Hafenstadt zu sein. Als bedeutender Mittelmeerhafen zieht Marseille seit jeher Menschen an, die ihre Heimat aus politischen, wirtschaftlichen, persönlichen Gründen oder einfach aus Abenteuerlust verliessen und am südlichen Zipfel Europas in der zugleich ältesten und unfranzösischsten Stadt Frankreichs ankommen. Der Kosmopolitismus der grossen Hafenstadt, der schon den Vormärz-Emigranten Moritz Hartmann anwehte, bewegt bis heute viele Migranten dazu, ihr Glück in Marseille zu versuchen. Zahlreiche, mit Neuankömmlingen solidarische, Einwanderergemeinschaften und das milde Mittelmeerklima sorgen dafür, dass man sich in Marseille weniger fremd und einsam fühlt als anderswo und an seinen guten Stern glaubt.

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Toleranz und Weltoffenheit in Kombination mit dem unnachahmlichen südländischen Lebensstil - das zog und zieht unwiderstehlich Künstler und Intellektuelle an. So wurde Marseille in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Non plus Ultra der aus Berlin und Paris mit fliegenden Fahnen angereisten künstlerischen Avantgarde. Surrealisten, Bauhäusler, Kurt Tucholsky, Joseph Roth, Erika und Klaus Mann, Walter Benjamin und viele andere erklärten Marseille zur abenteuerlichsten und inspirierendsten Stadt Europas. Niemand ahnte damals, dass man sich hier fünfzehn Jahre später erneut in den Cafés um den Alten Hafen herum versammeln würde, um über Fluchtrouten, falsche und echte Papiere, im Exil Gestorbene, auf der Flucht vor den Nazis Überlebende und die Sehnsucht nach Übersee, zu debattieren. Was war passiert?

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Unmittelbar, nachdem Hitler im Jahre 1933 zum deutschen Reichskanzler gewählt worden war, setzte in Deutschland die Verfolgung jüdischer, antifaschistischer und kommunistischer Intellektueller, Künstler und Schriftsteller ein. Die meisten von ihnen verliessen damals ihre Heimat und liessen sich in Frankreich nieder. Paris wurde ein bedeutendes kulturelles Zentrum des deutschsprachigen Exils, aber auch Sanary-sur-Mer an der französischen Mittelmeerküste.

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Als Frankreich im September 1939 Deutschland den Krieg erklärte, wurden die deutschen Exilanten in Frankreich als "unerwünschte Ausländer" interniert. Eines dieser notdürftig für die kontrollierte Unterbringung tausender zu diesem Zeitpunkt in Südfrankreich lebender Deutscher und Österreicher war die ehemalige Ziegelei in Les Milles, bei Aix-en-Provence. Das Gefühl der Emigranten, in Frankreich nunmehr in einer Falle zu sitzen, aus der es vielleicht kein Entrinnen gab, wurde im Juni 1940 zu einer Gewissheit; das deutschfranzösische Waffenstillstandsabkommen, zu dem eine Liste der an die Nazis auszuliefernden Flüchtlinge gehörte, führte zu einer Massenflucht aus dem besetzten Norden in die sogenannte "freie Zone" im Süden.

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Marseille war ab Juni 1940 der einzige Hafen in Frankreich, aus dem Schiffe mit Flüchtlingen auslaufen konnten. Wer es nun bis Marseille geschafft hatte, war sich jedoch keinesfalls sicher, den vormarschierenden deutschen Truppen zu entrinnen und noch rechtzeitig aus Frankreich - auf welche Weise auch immer herauszukommen. Das Schicksal zehntausender Emigranten lag in den Händen der Vichy-Regierung, die nunmehr offen mit den Nazis kollaborierte und aufgrund ihrer Auslieferungsverpflichtungen aus dem Wa f f e n s t i l l s t a n d s a b k o m m e n b i s E n d e 1 9 4 0 s o w o h l d i e Internierungslager von der Gestapo durchkämmen liess, als auch den Hafen von Marseille für die Ausreise nach Übersee dicht machte. Ohne eine französische Ausreiseerlaubnis gab es bis Ende 1940 nur den illegalen Weg über die Pyrenäen zur französisch-spanischen Grenze und von dort aus weiter nach Lissabon. Um die zahlreichen in

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Marseille gestrandeten oder in Internierungslager eingesperrten Emigranten, zu denen so berühmte Künstler, Intellektuelle, Politiker und Gewerkschaftsführer wie Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Franz Werfel, Max Ernst, André Breton, Anna Seghers, Alfred Döblin, Hans Sahl, Hannah Arendt, Walter Benjamin, Marc Chagall, Siegfried Krakauer, Walther Mehring, Rudolf Breitscheid, Rudolf Hilferding, - um nur einige zu nennen - gehörten, zu retten, wurde mit ausländischer Hilfe ein Fluchthilfenetz aufgebaut.

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Im Laufe des Jahres 1940 verlegten mehrere amerikanische Hilfsorganisationen, wie die der Quäker und Unitarier, ihre Büros nach Marseille. Fritz Heine, Sekretär des Exil-Parteivorstands der SPD, richtete ganz in der Nähe des Hôtel Splendide, in dem der Amerikaner Frank Bohn vom Jewish Labor Committee Umschlag des ersten Buchs einer auf sein Lager aufgeschlagen hatte, ein 6 Bücher angelegten Reihe zu den literarischen Spaziergängen mit Beratungsbüro für Flüchtlinge ein. Sabine Günther in Marseille. Erscheint im April 2014

Als der amerikanische J o u r n a l i s t Va r i a n F r y i m August 1940 im Auftrag des American Rescue Committee in Marseille ankam, konnte er bei seiner Rettungsarbeit nicht nur auf Frank Bohn und Fritz Heine, sondern auch auf die Unterstützung des amerikanischen Vizekonsuls Bingham, vor allem jedoch des mexikanischen Konsuls Gilberto Bosques, sowie des tschechischen und chinesischen Konsulats in Marseille zählen. Allen in der Fluchthilfe engagierten Organisationen und Personen ging es darum, möglichst viele der 100.000 in Frankreich festsitzenden, zumeist mittellosen Exilanten so schnell wie möglich ausser Landes zu bringen. In den USA war ein bescheidenes Notvisa-Programm beschlossen worden, die mexikanische Regierung nahm zehntausende der in Frankreich internierten ehemaligen spanischen Interbrigadisten und zahlreiche nordeuropäische Emigranten auf. Die tschechischen und

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chinesischen Konsulate stellten falsche Pässe aus und die Marseiller Unterwelt brachte gegen eine Menge harter Dollars ebenfalls ihr Know-how bei der Herstellung gefälschter Papiere ein. Die Exilanten frequentierten die selben Cafés am Alten Hafen, wohnten zeitweise am selben Ort, wie der surrealistische Freundeskreis um André Breton, manche von ihnen arbeiteten in der von Sylvain Itkine gegründeten Kooperative Le Fruit Modroré mit. Anna Seghers begann an ihrem Roman Transit zu arbeiten, in dem von der Verzweiflung der damaligen Sans-papiers die Rede sein sollte. Andere wiederum versuchten auf eigene Faust aus der Mausefalle, in der, so Hertha Pauli, alle beisammen sassen, herauszukommen.

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Ab Januar 1941 lockerte die Vichy-Regierung die Ausreisebestimmungen, so dass innerhalb eines Jahres tausende von Flüchtlingen auf legalem Wege in die USA emigrieren konnten. Mit dem Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg im Dezember 1941 und der Wannseekonferenz im Januar 1943, auf der die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" beschlossen wurde, endete die geduldete Emigration aus Europa. Im November 1942 marschierten die deutschen Truppen in Marseille ein; die Zeit der Razzien, Massenevakuierungen und der Deportationen ausländischer und französischer Juden begann. Der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar, der im Oktober 1940 mit einem der begehrten amerikanischen Notvisa und der Aussicht auf einen Einjahresfilmvertrag in Hollywood zusammen mit den Exilanten Franz und Alma Werfel, Heinrich, Nelly und Golo Mann auf der Nea Hellas von Lissabon aus in See stach, schrieb an einen Freund:

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Das Erlebnis der Reise ritzt nicht die leiseste Spur in meine Seele. Ich denke an das grenzenlose Elend, das ich in den letzten Monaten gesehen habe, an die vielen, vielen, die sich

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nicht retten konnten, an die Freunde, die zugrunde gegangen sind.

! ! DAS BELSUNCE-VIERTEL !

© Sabine Günther

Zwischen Bahnhof und altem Hafen gelegen, bildet das Viertel Belsunce die erste Anlaufstelle für Migranten. Belebt wird es derzeit von etwa 8600 Einwohnern (ca. 1% der Gesamtbevölkerung Marseilles) französischer, türkischer, komorischer, chinesischer und vor allem nordafrikanischer Herkunft. Die Besonderheit Belsunces besteht in seinem einzigartigen Geschäftsleben.

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Das am Ende des 17. Jahrhunderts im Barockstil erbaute Viertel beherbergt zunächst die bürgerlichen Gesellschaftsschichten. Im 19. Jahrhundert ziehen diese in die neueren Teile der Stadt und räumen Belsunce für die ersten Einwanderer. Vor allem landflüchtige korsische, spanische und italienische Bauern lassen sich dort nieder. Die Immigration der Italiener hält bis Mitte des 20. Jahrhunderts an. Während des 1. Weltkriegs bietet das Viertel den ersten Flüchtlingen Schutz. Nach dem Krieg setzt die Anwerbung von algerischen Arbeitskräften ein. 1940-42 kommen Flüchtlinge aus Deutschland, aber auch aus den faschistischen Regimen Spaniens und Italiens. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bleibt Belsunce allerdings ein Ort der Unterhaltung und des Amüsements, mit zahlreichen Cafés, Restaurants, Kneipen, der Music-Hall Alcazar und vielen Puffs. In der Folgezeit kommt das Viertel zunehmend in Verruf. Mittellose Migranten und Arme wohnen in Hôtels meublés, stark

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sanierungsbedürftigen Pensionen mit günstigen Monatstarifen, die bis heute existieren. Während der Entkolonialisierung erreicht Marseille eine zweite Welle maghrebinischer Einwanderer. Von 1954 bis zur algerischen Unabhängigkeit 1962 kommen jährlich Hunderttausende über die Metropole nach Frankreich. Insgesamt 1,5 Millionen repatriierte Franzosen und Algerier mit französischen Pässen müssen durch den Hafen und Aufnahmeeinrichtungen geschleust werden. 120 000 bleiben mangels Alternativen im Umfeld des Hafens, leben zum Teil in Wellblechsiedlungen. Es entwickelt sich eine gut laufende Logistik: Die „Pistenwärter“ nehmen die Neuankömmlinge am Hafen in Empfang und bringen sie in den Hôtels meublés in Belsunce unter, deren Betreiber wiederum den lokalen Unternehmen oft als Beschaffer von billigen Arbeitskräften dienen. Das Viertel entwickelt dadurch eine an die Bedürfnisse der Migranten angepasste Infrastruktur und sich selbst zum obligatorischen Transitraum, zum Wohnort für viele Menschen auf der Durchreise. Für manche wird Belsunce allerdings auch zum festen Wohnsitz, vor allem für jene, die ohne Familie gekommen sind, und somit kaum Anrecht auf Sozialwohnungen am Stadtrand haben. Die "Chibanis" finden in den Foyers de travailleurs Unterkunft, und der ursprünglich als begrenzt gedachte Aufenthalt in Frankreich entwickelt sich zu einem Bleiben auf unbestimmte Zeit.

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Zu Beginn der Sanierungsmaßnahmen Anfang der neunziger Jahre bestand die Bevölkerung Belsunces hauptsächlich aus Migranten, deren Großteil alleine lebte und nur ein geringes Einkommen erzielte. Zwei große Bevölkerungsgruppen koexistieren: die Neuankömmlinge, auf der Suche nach einer Unterkunft, und die immigrierten Arbeiter in Rente, die sich definitiv in den Hôtels meublés und Foyers niedergelassen haben. Die Bevölkerung Belsunces ist größtenteils „inaktiv“: etwa 85% der Haushalte empfing 1994 stattliche

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Unterstützung oder Rentenzahlungen. 48% der Bevölkerung lebte 1998 unter der Armutsgrenze.

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Neben dem speziell auf die Bedürfnisse der Migranten abgestimmten Markt und dem Schwarzmarkt, hat sich in der Illegalität auch ein Handelsnetz entwickelt, das der Soziologe Alain Tarrius „die Globalisierung von unten“ nennt. Dieses grenzüberschreitende Netz erstreckt sich nicht nur i m g e s a m t e n M i t t e l m e e rRaum, von Marokko bis Italien, sondern schließt auch Deutschland oder die Niederlande ein, und stützt sich vor allem auf die Mobilität seiner transnationalen Händler. Marseille, und besonders Belsunce, stellt das Zentrum dieser Schattenökonomie dar.

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Im Rahmen des Projektes Centre-ville strebt die Stadtverwaltung vor allem eine Wiederaufwertung der bestehenden Bausubstanz im Stadtzentrum an. Das 1995 initiierte Projekt zielt auf eine Wiederbelebung des Zentrums durch den Handel, die Schaffung öffentlicher Räume und die Sanierung des Wohnraumes. Die Ziele der Sanierungsmaßnahmen bestehen darin, Belsunce zu „öffnen“, d.h. neue Bevölkerungsgruppen anzulocken und eine gemischte Bevölkerungsstruktur zu schaffen. Außerdem sollen Prostitution, Drogen- und Schwarzmarkt unterbunden und das Viertel wieder in das Stadtzentrum integriert werden.

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Jedoch treten bei der Umsetzung dieser Ziele einige Probleme auf. Der geringe Mietwert der Wohnungen spornt ihre Besitzer kaum zu Investitionen an und damit zur Sanierung, die wiederum nur durch eine Mieterhöhung erwirtschaftet werden könnte. Auch die eigene Armut der Eigentümer stellt ein Hindernis dar. Trotz der staatlichen Unterstützung können diese die Sanierungsarbeiten oft nicht bezahlen. Der Mangel an Informationen führte zu einer negativen Wahrnehmung des Projekts Centre-ville. Sanierung ist bei den Anwohnern das Synonym für „Säuberung“. Aufgrund mangelnder Informationsvermittlung fanden sich viele Bewohner von sanierungsbedürftigen Häusern auf der Straße wieder, ohne sich auf ihre Rechte auf Umsiedlung bzw. staatliche Unterstützung zu berufen. Dagegen wirkt nun die Initiative Un centre-ville pour tous.

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Bemängelt wird letztlich auch das Fehlen von Sozialwohnungen, dies g e r a d e a n g e s i c h t s d e r A l t e r u n g d e r E i n w o h n e r. D i e Sanierungsmaßnahmen scheinen sich in Belsunce außerhalb soziologischer Überlegungen zu den Besonderheiten des Viertels abzuspielen. Auch konnte bis jetzt das Ziel, zahlungsfähigere Bevölkerungsgruppen anzusiedeln nur mäßig verwirklicht werden. Vor allem Studenten und junge Paare aus dem Mittelstand sind nach Belsunce gezogen und die ärmeren Anwohner, die die erhöhten Mieten in den sanierten Gebäuden nicht mehr bezahlen können, abgewandert. Auch hier wirkt der Mangel an Sozialwohnungen gegen das angestrebte Ziel der gemischten Bevölkerungsstruktur.

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© Sabine Günther, auf der Grundlage der Recherchen und eines Handouts von Martina Arnold, Juni 2012

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Walter Benjamin in Marseille. Essay

! Passage de Lorette 1997 !

Du steigst im alten Viertel von Marseille tausend enge Treppen hoch, bis du endlich auf einem mit Autos vollgestopften und von ungekämmten Frauen in Morgenröcken beherrschten Platz stehst. Zu deiner Linken erstaunt dich ein Bauwerk, das du dieser Stadt niemals zugetraut hättest: La Vieille Charité. Du fragst dich ob das hier war, wo Rimbaud... Aber dann fällt dir ein, dass er doch nicht hier gestorben ist, sondern in einem anderen Spital, mehr in der Innenstadt, in der Nähe jenes Frisiersalons, in dem Artauds Geist an jedem 4. September des Jahres den Mythos der Haare zelebriert:

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Wasche, wasche die Wimpern, Uccello, wasche die Linien, wasche die bebende Spur der Haare und Falten auf den gehenkten Gesichtern der Toten, die dich anschauen wie Eier.

Du stehst immer noch auf dem Platz, zögerst, ob du das Gelände der Vieille Charité betreten und dir einen Museumsrundgang zumuten oder ob du lieber essen gehen solltest. Dein Appetit auf etwas Chinesisches lenkt deine Schritte in Richtung des Boulevard de la République, auf dem die gestrandeten Köche dieser Welt Transitäre wie dich seit Urzeiten auf den Geschmack der Morgenländer bringen. Der kürzeste Weg dorthin führt durch ein schwarzes Loch.

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Im Innern des Lochs geht es eine steile Treppe hinunter. Du bist sicher, dass du auf dem rechten Weg bist, aber die Sache ist dir trotzdem nicht geheuer, denn du bist mutterseelenallein auf einer endlos langen, dunklen und vor Dreck stinkenden Treppe. Während du dich vorsichtig am Geländer entlang hangelst und das Ende deines Abstiegs herbeisehnst, siehst du dich ausgeraubt und erstochen an der Wand liegen. Aber irgendwann wird Licht und vor dir liegt die Straße. Die Strasse aber ist nicht der Boulevard, den du suchst, sondern eine Sackgasse oder vielmehr ein langgezogener, an seiner Schmalseite zugebauter Innenhof, glasüberdacht und Fahrzeugen nur durch zwei enge Hofeinfahrten zugänglich. Du weisst im ersten Augenblick noch nicht, was diese Verbrecher-Treppe und dieses Gemisch aus Innenstrasse und Aussenhof dir sagen wollen, aber du bist dir der Aussergewöhnlichkeit des Ortes vollkommen bewusst. Dein Hunger ist verschwunden; du bist berauscht von deiner Entdeckung, die, so denkst du, nur dir allein gehört. Du holst den Fotoapparat aus der Tasche und fängst an herumzuknipsen. Dabei näherst du dich unbemerkt dem Boulevard, der am Ende einer H o fei n fahrt - vo n d i es em k urzen Einbruch des Imaginären beim Durchschreiten der Passage de Lorette nicht weiter beeindruckt - auf dich wartet.

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Fluchtpunkt Marseille

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Ähnliches muss Walter Benjamin bei einem seiner Streifzüge durch Marseille widerfahren sein, als er eines Tages über das Strassenschild Passage de Lorette stolperte. Plötzlich sah er sich in einer der ältesten und finstersten Ecken der Hafenstadt mit einem dieser seltsamen Mischgebilde von Haus und Strasse konfrontiert, das er wohl aus Paris, Berlin und anderen Grossstädten kannte, aber hier durchaus nicht vermutet hätte:

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Dem Reisenden werden die grauen Häuser des Boulevard de Longchamp, die Fenstergatter des Cours Puget und die Bäume der Allées de Meilhan nichts verraten, wenn ihn nicht ein Zufall in die Totenkammer der Stadt, den Passage de Lorette führt, den schmalen Hof, wo im schläfrigen Beisein einiger Frauen und Männer die ganze Welt zu einem einzigen Sonntagnachmittag zusammenschrumpft.

Was immer die äusseren Anlässe Umschlag des dritten Buchs einer auf 6 Bücher angelegten Reihe zu den waren, die Walter Benjamin ab 1926 literarischen Spaziergängen mit Sabine in Marseille. Erscheint im April b i s z u s e i n e m F r e i t o d a m 2 6 . Günther 2014 September 1940 im französischspanischen Grenzort Port Bou nach Marseille führten - den letzten Grund dieser Reisen können wir nur ahnen. Es ist nicht einmal sicher, ob Benjamin alle seine MarseilleAufenthalte mitgeteilt oder nicht einige verschwiegen hat, zum Beispiel die, aus denen später das geheimnisvolle Protokoll über seine Haschischexperimente hervorging. Um zu erfahren, was Benjamin einige Jahre lang nach Marseille gezogen hat, müssen wir uns zuallererst an die verschiedenen Texte über Marseille halten, die Benjamin zu Lebzeiten hier und da versprengt veröffentlicht hat: „Marseille“, „Haschisch in Marseille“ und „Myslowitz-Braunschweig-Marseille“. Sie stellen seine anfangs fast verzweifelten, mit der Zeit jedoch immer souveräner werdenden Versuche dar, der geheimnisvollen Stadt auf die Spur zu kommen, sie zu enträtseln und sich gleichzeitig in ihr zu verstecken und mit wechselnden Masken abzutauchen.

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Marseille sollte, anders als Paris, zu Benjamins entscheidendem Fluchtpunkt werden, in dem in verschiedenen Lebensphasen seine Drogenerfahrungen, Flucht-Gedanken und Hoffnungen auf Rettung zusammenliefen. Marseille hatte ihm mehrmals ein anderes Leben, einen grundlegenden Aufbruch zu neuen Ufern versprochen, aber machte am Ende keinen der Träume, an denen Benjamin hing, deren Verwirklichung er aber gleichzeitig boykottierte (zum Beispiel die geplante Übersiedlung nach Palästina im Jahre 1930 ), wahr. Die dramatische Rolle, die die Stadt in Benjamins Leben gespielt hat, verband sich bei ihm jedoch von Anfang an mit der Ahnung, das aus dieser Erfahrung Entscheidendes für das eigene Werk, die Ausarbeitung einer neuen Geschichtsphilosophie, herauszuholen sein würde. Und darin hat sich Benjamin nicht getäuscht. Seine Marseilleaufenthalte und die danach entstandenen epischen Texte spielten für ihn in seiner Loslösung vom Surrealismus, der Überwindung dessen, was er das „Verharren im Traumbereich“ nannte, eine ebenso grosse Rolle wie für die Bestimmung des eigenen theoretischen Standorts im „Passagen-Werk“, Benjamins grosser Fragment gebliebener Hinterlassenschaft.

! ! Die „Cahiers du Sud“ !

Zum ersten Mal war Walter Benjamin von Agay aus, einem Urlaubsort an der Côte d‘Azur, am 15. September 1926 nach Marseille gefahren, um sich dort mit Jean Ballard, dem Herausgeber der Cahiers du Sud zu treffen und ihm seine Mitarbeit anzubieten. Die Eindrücke, die dieses erste und ein zweites Treffen, zu dem Benjamin kurz darauf nochmals nach Marseille gefahren war, bei ihm hinterlassen hatten, wurden kurz darauf in der Literarischen Welt

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veröffentlicht, für die er als Korrespondent aus Frankreich berichtete:

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Im Jahre 1914, als sie (die Zeitschrift, S.G.) anfing zu erscheinen, hiess sie „Fortunio“ und heut wie damals ist Jean Ballard, der mit der Zeitschrift selber gross geworden ist, ihr Herausgeber. Er sagt: ‚Wir sind jetzt auf dem Wege zur grossen Revue. Wir arbeiten nicht gegen Paris, sondern im Einvernehmen mit den Kameraden dort, doch unabhängig von dem modischen Betrieb der Hauptstadt.(..) Marseille ist eine höchst europäische Stadt. Europa wird an seinem Geistesbilde mitarbeiten, wie es das seit Jahrhunderten an seinem topographischen getan hat.‘ Und nun schlägt er die Hefte auf, in denen deutsche und englische, italienische und spanische Namen häufig den Ehrenplatz an erster Stelle haben. Nicht immer allbekannte Namen - denn ein Unternehmungsgeist, der gegen die Pariser Saturiertheit angenehm sich abhebt, hält nach dem ‚inédit‘ der Namen und Gedanken Ausschau.

Benjamin, nachdem sich seine Hoffnungen auf eine Universitätskarriere in Deutschland zerschlagen hatten, seit März 1926 in Paris auf der Suche nach Interessenten an seiner Arbeit, war in der Hauptstadt schnell zu einem niederschmetternden Befund gekommen:

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Leute soviel man will, um eine viertel Stunde sich angenehm zu unterhalten, niemand der sehr darauf brennt, Näheres mit einem zu tun zu haben.

In dieser Situation, die sich auch in den kommenden Jahren nicht grundlegend ändern sollte, erschien die Kontaktaufnahme mit Jean Ballard in Marseille als eine unvorhergesehene Chance, sich in Frankreich von der Peripherie aus als Autor bekanntmachen zu können. Diese Begegnung erschien umso attraktiver, als Marseille in den zwanziger und dreissiger Jahren kulturell DAS Gegenstück zu Paris

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darstellte und vor allem der Kreis um die Cahiers seit kurzem den Mittelpunkt dieser anderen Kultur bildeten. Als Benjamin auf die Zeitschrift aufmerksam wurde, war sie gerade in einem radikalen Umbruch begriffen: Jean Ballard, von Beruf péseurjuré, Gewichteprüfer auf dem städtischen Grossmarkt, und alles andere als ein Spezialist der neuen literarischen Szene, hatte sich unlängst mit einem jungen Mann namens André Gaillard zusammengetan. Als Werbechef der grossen Schifffahrtsgesellschaft „Paquet“, war er Ballard von unschätzbarem Wert, weil die Revue durch Werbeanzeigen finanziert werden musste und Gaillard aufgrund seiner Stellung nicht nur die entscheidenden Geldquellen kannte, sondern auch verstand, sie zum Fliessen zu bringen. Kurz nach dem Eintritt Gaillards in die Cahiers du Sud war die Zeitschrift mit We r b e a n z e i g e n d e r g r ö s s t e n i n Marseille ansässigen Unternehmen und über zehn Schiffahrtsgesellschaften gepflastert. Freiexemplare lagen in den Empfangshallen und Bibliotheken der Luxushotels an der Riviera, in den Wa r t e s ä l e n d e r B a h n h ö f e i m südwestlichen Teil Frankreichs und in den Salons vieler Schifffahrtsgesellschaften aus. Das Blatt wurde somit schnell weit über Marseille hinaus bekannt und machte aufgrund der aussergewöhnlichen Gewagtheit seiner Beiträge bald von sich reden. Denn hinter dem Werbechef Gaillard stand der heute leider vergessene Dichter Gaillard, ein Kenner allerneuster künstlerischer Tendenzen, mit Antonin Artaud, Henri Michaux und Paul Eluard befreundet. Zu einem Zeitpunkt, als die Surrealisten in Paris noch auf dem Index standen und die „Nouvelle Revue Française“ unter Jean Paulhan sich an ihnen die Finger nicht verbrennen wollte, lud Gaillard einen nach dem anderen offiziell zur Mitarbeit in den Cahiers du Sud ein und veröffentlichte trotz der grossen Risiken, dadurch einen Teil der gerade erst neu geworbenen Abonnenten wieder zu verlieren,

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unter anderen Paul Eluard, Roger Vitrac, Benjamin Péret, René Crevel und Antonin Artaud. Auf den Umschlägen der zur gleichen Zeit gegründeten Buchreihen zeichneten Max Ernst, André Masson, Giorgio de Chirico und Man Ray. Hinter Gaillard standen in den Cahiers du Sud mehrere „Graue Eminenzen“, die das inhaltliche Gleichgewicht der Zeitschrift auszupendeln versuchten, indem sie André Gide, Paul Valéry und Armand Salacrou ins Spiel brachten und sich vor allem um Beiträge interessanter Autoren aus dem Ausland bemühten. Benjamin gewann im Redaktionskollegium die Aufmerksamkeit von Marcel Brion, einem Kosmopoliten und hervorragenden Kenner der deutschen, englischen und amerikanischen Literatur, der mit Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal, Rilke und Hesse korrespondierte und ihre Bücher für die Cahiers rezensierte. Brion lobte Benjamin im Dezemberheft 1926 für seine Übertragungen der „Tableaux parisiens“ von Baudelaire und empfahl Jean Ballard, zukünftig regelmässig Texte von Benjamin zu veröffentlichen. Das erste Angebot, ein Aufsatz über Marcel Proust, war von Benjamin bei seinem Besuch im Herbst 1926 selbst gekommen. Ballard hatte zugesagt, aber der Essay konnte nie erscheinen, da Benjamin später keinen geeigneten Übersetzer für seinen deutschen Text fand. Bis es zu einem ersten Beitrag in den Cahiers kommen konnte, mussten fast zehn Jahre vergehen: „Haschisch in Marseille“ erschien im Januar 1935, und ein zweiter Text, der „Wahlverwandschaften“Aufsatz, 1937 in einer Sondernummer zur deutschen Romantik. Marcel Brion, den Benjamins Persönlichkeit faszinierte und der nur allzu gern weitere Texte von ihm in der Revue veröffentlicht gesehen hätte, konnte nicht mehr für ihn tun - oder doch: dank seiner Pariser Kontakte verschaffte er Benjamin eine Leser-Karte für die Bibliothèque Nationale.

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Marseiller Topographie

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Ich fuhr früh morgens mit dem Auto durch Marseille zur Bahn, und wie mir unterwegs bekannte Stellen, dann neue, unbekannte oder andere, die ich nur ungenau erinnern konnte, aufstiessen, wurde die Stadt ein Buch in meinen Händen, in das ich schnell noch ein paar Blicke warf, bevor es in der Kiste auf dem Speicher mir auf wer weiss wie lange aus den Augen kommen sollte.

Wollte Walter Benjamin Marseille, dieser sperrigen Materie, entkommen? Hugo von Hofmannsthal gestand er in einem Brief, dass es schwerer sei, dieser Stadt „einen Satz abzuringen, als aus Rom ein ganzes Buch herauszuholen“. Wie soll man auch eine Stadt beschreiben, deren Geschichte nicht sichtbar und greifbar in Stein gehauen ist, sondern unter dem Strassenpflaster kleingehauen begraben liegt? Was kann aus einem Haufen Schiffsmasten an einem Ort, an dem alles - Gerüche, Farben und Geräusche - übertrieben, masslos, fremd und beunruhigend wirkt, an Lesbarkeit herausgeholt werden? Marseille wurde ein Buch in meinen Händen ?- Nein, das wurde es vorerst nicht. Die Stadt sollte sich eher als ein Buch mit sieben Siegeln erweisen, die nicht so leicht zu lösen waren. Benjamin entschied sich auch in diesem Falle für die zuvor schon des öfteren erprobte Methode der Stadt-Umzingelung. Er begann Marseille von seinen Rändern her aufzurollen und erkundete dabei seine Topographie - die Lage der Strassen, den Verlauf der Tramlinien, die Verteilung der Cafés, das Verhältnis von Zentrum und Weichbild. Aus den ersten, vom Zufall bestimmten Promenaden eines einsamen und unermüdlichen Spaziergängers entstanden Momentaufnahmen, nach dem Vorbild des „Aphorismenbuchs“ „Einbahnstrasse“ kaleidoskopartig aufgebaut und kurz „Marseille“ genannt:

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MARSEILLE KATHEDRALE. Auf dem menschenleersten, sonnigsten Platz steht die Kathedrale. Hier ist es ausgestorben,

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trotzdem im Süden, zu ihren Füssen, La Joliette, der Hafen, im Norden ein Proletarierviertel dicht anstösst. Als Umschlagplatz für u n g r e i f b a r e , undurchschaubare Ware steht da das öde Bauwerk zwischen Mole und Speicher. An vierzig Jahre hat man darangesetzt. Doch als dann 1893 alles fertig war, hatten Ort und Zeit an diesem Monument sich gegen Architekten und Bauherrn siegreich verschworen und aus den reichen Mitteln des Klerus war ein Riesenbahnhof entstanden, der niemals dem Verkehr konnte übergeben werden.(...) Auszüge aus der Eisenbahnverkehrsordnung hängen als Hirtenbriefe an den Wänden, Tarife für den Ablass auf die Sonderfahrten im Luxuszug des Satan werden eingesehen und Kabinette, wo der Weitgereiste diskret sich reinwaschen kann, als Beichtstühle in Bereitschaft gehalten. Das ist der Religionsbahnhof zu Marseille. Schlafwagenzüge in die Ewigkeit werden hier abgefertigt.

Was sich bei Benjamin wie eine Erfindung liest, ist die wahrheitsgetreue Schilderung des Schicksals der grössten Architekturruine von Marseille: „La Cathédrale Sainte-Marie-Majeure“ wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in einem pseudo-romanischbyzantinischen Stil direkt gegenüber den Quais und Docks des Hafens La Joliette errichtet, um fortan vom immensen Reichtum der Stadt zu zeugen. Für den Bau der neuen Kathedrale opferte man eine der ältesten und schönsten romanischen Kirchen der Stadt, die sich, nachdem später der grobe Verstoss gegen die Regeln des „Patrimoine“ eingesehen worden war, bis heute im Dauerzustand der Restaurierung befindet, während die Neue Kathedrale zwar durchgehend geöffnet ist, aber glücklos dahinwittert und schon lange keinen armen Sünder mehr anzieht.

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Der Pont Transbordeur

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Die ersten Kurztexte über Marseille waren Fingerübungen, Annäherungsversuche und notwendige Vorstufen für die späteren Marseille-Stücke „Haschisch in Marseille“ und „MyslowitzBraunschweig-Marseille“. In ihnen wurde offensichtlich, dass der Sprung ins städtische Labyrinth und die daraus gezogenen Erkenntnisse über Raum und Zeit, Traum und Erwachen, topographische Vision und allegorische Bedeutung konkreten, sehr persönlichen, intimen Erfahrungen entsprach. Benjamin spielte als Haschischesser und Flaneur in wechselnder Verkleidung in Marseille jene Schwellen-Zustände durch, die später zu der wichtigen, gegen den Surrealismus gewendeten, theoretischen Erkenntnis führen sollten, dass...

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...die wahre, schöpferische Überwindung religiöser Erleuchtung aber nun wahrhaftig nicht bei den Rauschgiften (liegt). Sie liegt in einer profanen Erleuchtung, einer materialistischen, anthropologischen Inspiration, zu der Haschisch und Opium und was immer sonst die Vorschule abgeben können.

Alle Marseille-Texte von Walter Benjamin beziehen sich aufeinander, werden im Laufe der Jahre neu montiert und zunehmend verfeinert. Während „Haschisch in Marseille“ nur ein - wenn auch aufschlussreiches - Protokoll eines Haschischrauschs darstellt, dem Benjamin ein „höchst bedeutsames Buch über das Haschisch“ folgen lassen wollte, ist der letzte aus Marseille stammende Text „MyslowitzBraunschweig-Marseille“ eine Erzählung, eine episch raffiniert aufgebaute Parabel, mit der die einmal von Ernst Bloch im Freundeskreis aufgestellte Behauptung, dass „es niemanden gäbe, der nicht schon einmal im Leben ums Haar ein Millionär geworden wäre“ bewiesen werden soll. Benjamin spielt in der Erzählung nur den Nacherzähler einer Begebenheit, die in Wirklichkeit einem Maler namens Eduard Scherlinger in Marseille zugestossen sein soll:

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Als ich nach dem Tode meines Vaters, begann er, ein nicht ganz kleines Vermögen in die Hände bekommen hatte, überstürzte ich meine Abreise nach Frankreich.Vor allem war ich glücklich, noch vor Ende der Zwanziger Marseille, die Heimatstadt Monticellis, dem ich alles in meiner Kunst zu verdanken habe, kennenzulernen; von anderm, wofür Marseille mir damals stand, zu schweigen.

Wofür wird Marseille dem Maler Ende der zwanziger Jahre gestanden haben? Die Antwort könnte lauten: für alles, was aus dieser Stadt zurecht einen Insidertip in den Kreisen der europäischen Intelligentia gemacht hat. Zur Attraktivität der Hafenstadt trug nicht nur ihre Lage am südlichen Ende Frankreichs bei, die sie eher orientalischen und afrikanischen als zentralfranzösischen Einflüssen aussetzte, sondern natürlich auch ihr Glanz und das unbeschwerte Leben seiner Bewohner. Das in den Kolonien seit Ende des 19.Jahrhunderts so rasant schnell und leicht verdiente Geld wussten sie mit grosser Geste und Angeberei zu verjubeln. Beschreibungen der trostlosen proletarischen Vorstädte, des Elends im Hafenviertel, die Benjamin veröffentlichte, waren selten. In der Regel überschlugen sich die Elogen auf die Hafenstadt mit ihrer prachtvollen Canebière, den schönen Cafés, den Music-Halls, den Austernständen und... dem Pont Transbordeur. Die 1904 in Betrieb g e n o m m e n e Fahrbrücke am Alten Hafen war schnell zu einem Symbol für die Ultra-Modernität Marseilles geworden. Sie zog die BauhausKünstler László Moholy-Nagy und H e r b e r t B a y e r, Germaine Krull und Man Ray ebenso in ihren Bann wie die Schriftsteller Stefan Zweig,

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Joseph Roth, Kurt Tucholsky und Erika und Klaus Mann. Sie alle hielten sich ab Mitte der zwanziger Jahre immer wieder für einige Zeit in Marseille auf und liessen sich von der Stadt im allgemeinen und von diesem Bauwerk im besonderen inspirieren. Das Umschlagfoto von Siegfried Giedeons 1928 erschienenem Buch “Bauen in Frankreich. Eisen. Eisenbeton“ zeigt die Silhouette des „Pont Transbordeur“ dessen Funktion der Autor in seiner Einleitung erklärte:

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Über dem Wasser schwebende Fähre, die mit Seilen an dem hochgelegenen Steg beweglich aufgehängt, den Verkehr der beiden Hafenseiten vermittelt. Dieser Bau ist nicht als „Maschine“ zu werten. Er kann nicht aus dem Stadtbild fortgeleugnet werden, dessen phantastische Krönung er bedeutet. Aber sein Zusammenwirken mit der Stadt ist weder „räumlich“ noch „plastisch“ fassbar. Es entstehen s c h w e b e n d e Beziehungen und Durchdringungen, Die Grenzen der Architektur verwischen sich.

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Hat Benjamin, der Giedeons Buch kannte und schätzte, dem Pont Transbordeur in seinen MarseilleTexten eine ähnlich grosse Bedeutung als modernes konstruktivistisches Bauwerk eingeräumt? - Durchaus nicht. Er scheint ihn kaum wahrgenommen zu haben, was praktisch unmöglich war, denn die Silhouette der Schwebebrücke beherrschte den Alten Hafen, auf den Benjamin oft genug vom Restaurant „Basso“ aus hinuntergeschaut hat. Der Pont Transbordeur hätte dem Maler Scherlinger als ein - neben der Passage de Lorette - hervorragendes Beispiel für das widersprüchliche InErscheinung-Treten der modernen

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Bauweise auffallen können. Dort die Verkleidung von Eisen und Glas als plüschiges Interieur, hier das nackte, schmucklose Prinzip des neuen Bauens mit Eisen und Beton in Gestalt der Docks und der Fährbrücke, einem Pendant zum Tour Eiffel. Aber im Gegensatz zur Passage de Lorette, die als Benjamins Entdeckung gelten kann, war der Pont Transbordeur mit seinem Fahrstuhl und dem Restaurant im luftigen Obergeschoss eine Tourismusattraktion. Vielleicht erschien es Benjamin lächerlich, in den Chor der Enthusiasten mit einzufallen. Seine Hommagen sparte er sich für besonders exklusive Partien im Passagen-Werk auf, wo es dann plötzlich heisst:

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In den luftumspülten Stiegen des Eiffelturms, besser noch in den Stahlschenkeln eines Pont Transbordeur, stösst man auf das ästhetische Grunderlebnis des heutigen Bauens: Durch das dünne Eisennetz, das in dem Luftraum gespannt bleibt, strömen die Dinge, Schiffe, Meer, Häuser, Maste, Landschaft, Hafen. Verlieren ihre abgegrenzte Gestalt: kreisen im Abwärtsschreiten ineinander, vermischen sich simultan.“ Siegfried Giedeon: Bauen in Frankreich Lpz Berlin p7 So hat auch der Historiker heute nur ein schmales, aber tragfähiges Gerüst - ein philosophisches - zu errichten, um die aktuellsten Aspekte der Vergangenheit in sein Netz zu ziehen.

! ! Die letzte Reise !

Benjamins philosophisches Ziel hiess: Auflösung der Mythologie im Geschichtsraum. Bevor er den (surrealistischen) Traumbereich jedoch verliess, ging er als Berauschter in Marseille durch ihn hindurch. Er wurde gleichzeitig zum Praktiker einer mimetischen Erfahrung, die durch Drogen in Gang gesetzt werden musste, und zum Erfinder einer metaphorischen und allegorischen Sprache, die den Leser in der Stadt mit den sieben Siegeln mit auf die Reise in die entschwundene Zeit nahm:

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Man müsste, um den Rätseln des Rauschglücks näher zu kommen, über den Ariadne-Faden nachdenken. Welche Lust, in dem blossen Akt, einen Knäuel abzurollen. Und diese Lust ganz tief verwandt mit der Rauschlust wie mit der Schaffenslust. Wir gehen vorwärts; wir entdecken aber dabei nicht nur die Windungen der Höhle, in die wir uns vorwagen, sondern geniessen dieses Entdeckerglück nur auf dem Grunde jener anderen rhythmischen Seligkeit, die da im Abspulen eines Knäuels besteht. Eine solche Gewissheit vom kunstreich gewundenen Knäuel, das wir abspulen - ist das nicht das Glück jeder, zumindest prosaförmigen, Produktivität?

Walter Benjamins Beziehung zu Marseille ist die Geschichte von Extremlagen, von Ausnahmezuständen, die sein Leben und wahrscheinlich auch seinen Denken beschleunigt und - als hätte in Marseille eine Zeitbombe getickt verfrüht seinem tragischen Ende entgegengetrieben haben.

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Von dem, was Benjamin in den letzten Augusttagen des Jahres 1940 in Marseille tat - wen er traf, ob er schrieb-, wissen wir kaum etwas. Der Arzt Fritz Fränkel, der Benjamins frühe Berliner Haschischseancen protokolliert hatte, war dabei, als Benjamin, von Panik ergriffen, im Matrosenanzug auf ein Schiff stieg, um als blinder Passagier den vorrückenden deutschen Truppen ins Ausland zu entkommen - War es Marseille, das ihm diese letzte verrückte Idee eingegeben hatte, bevor er sich, zum Weiterleben zu müde, in Port Bou umbrachte?

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© Sabine Günther, Basler Magazin, 1997

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ZIEGELMÄNNER. DIE MALER VON LES MILLES Ein Radio-Feature von Sabine Günther (Deutschlandradio, 1997)

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Wieder der Krieg. Max Ernst malte Un peu de calme. Doch bald wurde er als „Staatsangehöriger des Deutschen Reiches“ interniert, zunächst für sechs Wochen im Gefängnis Largentière, dann in Les Milles bei Aix-en-Provence, wo er mit Hans Bellmer ein enges Zimmer teilte. Das Lager Les Milles war eine ehemalige Ziegelfabrik; überall fand man Ziegelreste und Ziegelstaub, sogar in der kargen Verpflegung. Dieser rötliche Staub setzte sich auch in den Poren der Haut fest, so daß man den Eindruck hatte, selbst zu Ziegel zu werden. Hans Bellmer und Max Ernst zeichneten die ganze Zeit, um ihren Zorn und ihren Hunger zu bändigen. Dort malte Bellmer das Porträt von Max Ernst, dessen Gesicht eine Ziegelmauer ist.

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September 1939 - der 2. Weltkrieg beginnt. Max Ernst wird in einem Dorf in der Ardèche von einer Anordnung der französischen Regierung überrascht, derzufolge sich jeder „Abkömmling eines Feindlandes“ umgehend in einem der in ganz Frankreich verteilten sogenannten „Internierunglager“ zwecks Überprüfung seiner Situation zu melden habe. Für das südfranzösische Departement „Bouches-du-Rhône“ ist die ehemalige Ziegelei in Les Milles beschlagnahmt worden und wird ab

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A n f a n g S e p t e m b e r i n k ü r z e s t e r Ze i t m i t h o c h k a r ä t i g e r Emigrantenprominenz gefüllt. Im November `39 sind 1800 Maler, Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler aus 30 verschiedenen Ländern, in der Hauptsache aber Deutsche und Österreicher, in der Fabrik versammelt, die weder mit Toiletten noch mit Waschbecken oder Betten ausgestattet ist. Max Ernst richtet sich mit Hans Bellmer sein Refugium in einem der großen Ziegelöfen, von den Internierten „Katakomben“ genannt, ein. Dort schläft und malt er. Wie lange, weiß er nicht.

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Die Historikerin Doris Obschernitzki: Die erste Phase der Internierung schien im April 1940 zu Ende zu gehen, als die deutschen Truppen über die Niederlande und Belgien nach Frankreich kamen und dann die Internierung wieder neu anfing. Das Lager war zunächt, von 1939 an, unter Militärverwaltung. Das blieb so bis zum Dezember 1940. Und dann übernahm das Innenministerium das Lager mit Zivilinternierten. Damit änderte sich ab Anfang 1940 die Bestimmung des Lagers in Les Milles. Es wurde, bedingt durch seine Nähe zum Hafen in Marseille, das einzige Transitlager Frankreichs. Hier wurden all die interniert, die bereits im Besitz von Vorladungen für Konsulate, eines Einreisevisums waren und also Aussicht hatten, ausreisen zu können (...) Diese Phase des Lagers änderte sich im Sommer 1942, nach den deutschfranzösischen Verhandlungen, als nämlich die Vichy-Regierung, ihre Zusammenarbeit, ihre Kollaboration mit den deutschen Besatzern zu ihrem Höhepunkt trieb und sich bereit erklärte, aktiv an an den Deportationen mit dem Ziel der Ermordung der in Frankreich festgehaltenen deutschen Juden mitzuarbeiten. Und so wurde im Juli/August 1942 Les Milles eines der Zentren der Deportationen aus Südfrankreich, denn von hier aus gingen 5 Transportzüge über Drancy nach Auschwitz.

Viele der Künstler und Intellektuellen, die von den Nazis 1933 zu „Feinden des Reichs“ erklärt worden waren oder die aus Gründen ihrer antifaschistischen Gesinnung oder ihrer jüdischen Herkunft

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Deutschland schon Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre verlassen hatten, lebten in kleinen Fischerorten an der Côte-d‘ Azur oder im bergigen Hinterland des Var im Exil. Die „Hauptstadt der deutschen Literatur“ hieß bald nicht mehr Berlin, sondern Sanary-sur-Mer, und wenn Verleger und Journalisten in den dreißiger Jahren Heinrich Mann, Arnold Zweig, Ernst Toller, Lion Feuchtwanger oder Bertolt Brecht treffen wollten, fuhren sie an die französische Riviera. Unter den Künstlern befanden sich auch eine Reihe junger Maler: der aus Berlin stammende Ferdinand Springer, der seit 1928 in Frankreich lebte und sich 1938 in Grasse niedergelassen hatte, Leo Marschütz, der auf den Spuren Cézannes nach Aix-en-Provence gekommen und nach 1929 in Frankreich geblieben war. Er lebte mit den Malern Werner Laves und Frédéric Nathanson im „Château Noir“. Die Maler Hans Bellmer, Robert Liebknecht und Wols lebten in Paris, a b e r ve r b ra c h t e n i m a l l g e m e i n e n d i e S o m m e r m o n a t e i n Südfrankreich, wo sie im Herbst 1939 als Emigranten zu den ersten Opfern des Kriegs werden sollten und auf zum Teil abenteuerlichen Wegen ins Lager Les Milles gebracht wurden.

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Ferdinand Springer erinnert sich, wen er dort bei seiner Ankunft wiedertraf: Ja, Max Ernst zum Beispiel. Wir waren beide im „Atelier 17“ von Bill Hayter. Da haben wir beide gearbeitet, und daher kannten wir uns. Bellmer habe ich nicht gesehen, aber wir hatten einen gemeinsamen Händler in New York. Das war Julian Levy. Da kannten wir uns durch die Arbeit. Wir haben uns dann sehr angeschlossen, 5 nebeneinander gezeichnet. Jeder hatte seine Zeichnungen, und wir haben uns gegenseitig inspiziert.

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Ferdinand Springer, Sohn des Berliner Wissenschaftsverlegers Springer, feiert in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag. Er ist der letzte noch lebende Maler aus Les Milles. Mit zwanzig Jahren war er aus Deutschland fortgegangen, um zuerst in Mailand bei Carlo Carra und später in Paris Malerei zu studieren. In den dreißiger Jahren ging er in Paris bei dem englischen Kupferstecher Stanley William Hayter in die Lehre, der u.a. für Giacommetti, Miró und Raoul Ubac arbeitete. Als Springer nach Les Milles kam, hatte er noch keinen eigenen Malstil entwickelt. Die Kopien, die er von italienischen Meistern im Louvre angefertigt hatte, dienten ihm auch im Lager als Vorlage für seine Sepiazeichnungen. Und so gerieten selbst die rohsten Kerle, wie zum Beispiel der schwäbische L a t r i n e n e r e i n i g e r, „ S c h e i ß k ü b e l “ genannt, zu Göttergestalten. Ferdinand Springers Zeichnungen von damals gaukeln eine befremdlich wirkende Traumwelt von göttlicher Anmut und Harmonie vor. War das seine Art, ins Vergessen zu flüchten?

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Die neben Ferdinand Springer in Les Milles internierten Maler Hans Bellmer, Max Ernst, Robert Liebknecht, Max Lingner, Peter LipmanWulf, Leo Marschütz, Franz Meyer und Wols erfanden im Lager keinen neuen und schon gar nicht so etwas wie einen gemeinsamen Lager-Stil. Die meisten zogen sich sogar von den anderen zurück und arbeiteten mit den begrenzten Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, an Themen, die sie schon vor dem Krieg interessiert hatten, weiter. Zeichnen und Malen wurden zu Überlebens-Mitteln angesichts der täglichen Misere und der für alle ungewissen Zukuft.

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Während Springer Männer im Bade und Holzfäller mit Tinte und Tusche zu Herkulessen und Apollons stilisierte, fertigte Robert Liebknecht mit Kohlestiften naturgetreue Skizzen vom Lager und seinen Insassen an, die man oft in kleinen Gruppen ratlos beisammensitzen sah. Hans Bellmer malte den Kopf seines Freundes Ferdinand Springer, als sei er aus Granit gehauen. Die Zeichnung „Frauenkopf auf einem Turm“ zeigt ein aus Ziegeln geformtes Gesicht, das einem steinernen Turm aufsitzt. Das von Max Ernst schon genannte Ölporträt wurde von Bellmer erst 1942 nach Studien aus Les Milles vollendet. Kannte er das berühmte „portrait imaginaire“ von de Sade, den Man Ray 1938 in einen Ziegelkoloss verwandelt hatte? Max Enst malte „heimatlose“ Feilen und Vögel die sich begegnen und auf spitzen Schnäbeln zu laufen versuchen. Er fühlte sich in diesen Monaten wie der kleine Bruder von „Joseph K.“

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Der allgemeine Zustand im Lager war anzusiedeln zwischen Polen, das heißt dem Niemandsland von „Père Ubu“, und den dumpfen kafkaesken Räumen.

Max Ernst war im Dezember 1939 aus Les Milles entlassen worden, um im Mai 1940 erneut interniert zu werden. In den Wochen seine Abwesenheit hatte das Lagerleben seinen Lauf genommen und zu einer Reihe von künstlerischen Aktivitäten der Internierten geführt, mit denen sie sich ihren tristen Alltag zerstreuten. In der Hausbar „Die Katakombe“ fanden regelmäßig Konzerte, Kabarett- und Theateraufführungen statt:

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Ferdinand Springer: "Ich sollte mal Akkordeon spielen, aber mein Akkordeon spielte nur in C-Dur. Sonst war ich Zuschauer und Proben hab ich miterlebt. Im November 1940 erhielt Les Milles den einzigartigen Status eines Transitlagers, das allen „Ausreisewilligen“ bis Sommer 1942 die Möglichkeit gab, das Lager ungehindert zu verlassen, um sich bei der Präfektur und den Konsulaten in Marseille die nötigen Papiere für die Emigration zu beschaffen. Der Journalist Hans Fraenkel berichtete über diese Zeit:

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Interniert, ja das sind wir immer noch; aber hier in Les Milles ist die Internierung erträglich, da uns erlaubt ist, in Marseille die Emigration vorzubereiten. Wir sind nämlich in einem Transitlager, dem einzigen in ganz Frankreich. Daher das ständige Hin und Her, wobei sich aber nichts geändert hat. Wir bleiben ständig auf Transit, wir sind sozusagen ewig Reisende, die ewigen Juden der Internierung... Damals, es war im Juni, schlug unser Kamerad Karl Wilczynski vor, unser Lager (...) in ein Arbeitslager zu verwandeln. Er hatte mehrere Ziele vor Augen: den Trübsinn, dem wir alle ausgesetzt sind, durch Vorträge zu bekämpfen; die Intellektuellen zu wissenschaftlichen Arbeiten aufzufordern, die Künstler ihren Beschäftigungen nachgehen zu lassen und last but not least, die Jugend vor der Verwahrlosung zu retten. Doris Obschernitzki: In Les Milles war Arbeitslager für die Internierten selbst eher ein positver Begriff, denn sie versuchten, aus ihrer Situation das Beste zu machen, nicht in Lethargie und Resignation zu verfallen. Sie richteten Arbeitsgruppen, Werkstätten ein, um unter anderem auch die Jugendlichen, die ja im Lager waren, auszubilden, ihnen die Möglichkeit zu geben, Sprachen zu lernen (...) Und es gab, das war ja das Berühmteste, ein Künstleratelier. Das heißt, es gab einen Raum, der von der Lagerverwaltung zur Verfügung gestellt worden war, in dem Maler arbeiten konnten. Und das Besondere an diesem Raum war, daß selbst die Wände ausgeschmückt waren (...) Und man

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sieht dort, Hauptthema: Essen, das Grundbedürfnis aller, die in diesem Lager waren und die schlecht ernährt wurden. Ihre Phantasien: einmal wieder richtig satt essen. Überdimensionierte Würste, Käse, die gerollt werden, Weintrauben in Fülle. Gut, das war nun etwas, was noch vorhanden war, denn Wein in dieser Gegend ist ja durchaus zu haben.(...) Gut, das sind also die Wandmalereien, für die wir die Autorenschaft nicht endgültig festlegen können. Das einzige, was man inzwischen mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist, nachdem wir die Geschichte des Lagers sehr genau erforscht haben, daß diese Wandmalereien frühstens im April 1941, wahrscheinlich bis in den Sommer 1941 hinein entstanden sind.

Nach Kriegsende wurde die Ziegelei in Les Milles wieder in Betrieb genommen, und über das ehemalige Internierungslager wuchs j a h r ze h n t e l a n g d a s G ra s d e s Ve r g e s s e n s . D i e a n o ny m e n Wandmalereien, einzigartige Zeugnisse vom Alltag, den Hoffnungen und Träumen tausender Emigranten in dieser Ziegelei, verblaßten. 1993, als des 50. Jahrestages der Deportationen aus Les Milles gedacht wurde, durch die 2208 jüdische Männer, Frauen und Kinder in Auschwitz umgekommen waren, brachte man außerhalb des Lagergeländes eine Gedenktafel für die Opfer an. Die ehemaligen Lagerräume und das Refektorium blieben jedoch weiterhin für die Öffentlichkeit geschlossen. Glücklicherweise nahm die Geschichte in den darauffolgenden Jahren einen anderen Verlauf, wie der französische Historiker Jacques Grandjonc Journalisten im Frühjahr 1997 vor den restaurierten Fresken aus Les Milles berichtete: Diese Malereien bedecken die Wand in einem kleinen Gebäude, was, im Verhältnis zur Gesamtgröße der Ziegelfabrik, nur ein winziger Ausschnit ist. Der Raum ist jedoch als Museum eingerichtet worden und kann

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einmal wöchentlich besichtigt werden. Es gibt aber noch einen anderen, vielleicht sogar interessanteren Aspekt: der neue Direktor der Ziegelei stand vor zwei, drei Jahren vor der Entscheidung, eine neue Fabrikhalle zu bauen, was bedeutet hätte, die alten Gebäude niederzureißen. Er traf aber die Wahl, die ehemalige Fabrik zu erhalten und daraus ein „Ziegel- und Backsteinmuseum“ zu machen, was nun auch ermöglicht, die Räume des Lagers und die in ihnen befindlichen Wandmalereien, die wir bei einer Reinigung noch außerdem gefunden haben, zu erhalten. Das ist also noch da, und sogar mit ebenso viel Staub bedeckt wie damals.

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Was wurde aus den Malern von Les Milles nach 1940? Hans Bellmer wurde nach seiner Prestatärszeit in Forcalquier demobilisiert und lebte, wie auch Robert Liebknecht, bis zum Ende des Kriegs in Frankreich versteckt und unter falschem Namen. Max Ernst verdankte, wie viele andere deutsche Emigranten, seine Rettung dem „American Rescue Committee“ unter Varian Fry in Marseille. Nachdem er einige Zeit in Gesellschaft von André Breton, Max Hérold und André Masson in der „Villa Air Bel“, dem ironischerweise sogenannten „Château-espère-visa“, verbracht hatte, wurde er 1941 auf illgalem Wege über die spanische Grenze nach Portugal und schließlich in die USA geschleust. Leo Marschütz kehrte in den Wald von Château noir zurück und versteckte sich dort fünf Jahre lang vor französischen Gendarmen und der deutschen Gestapo. Dank einiger selbstgezüchteter Hühner und Kaninchen überlebte er. Ferdinand Springer entschloss sich im Herbst 1942 gemeinsam mit seiner jüdischen Frau in die Schweiz zu flüchten. Mit falschen Pässen ging die Springers am 3. Oktober 1942 über die Grenze.

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Wols, der jüngste von allen, hatte, bevor er nach Les Milles kam, bereits vier verschiedene Lager durchlaufen, in denen er Zeuge von Selbstmorden einiger seiner Bekannten geworden war. In Les Milles arbeitete er nachts an seinen farbigen Aquarellen, die den Zyklus „Wols Circus“ fortsetzten und heute zum Schönsten und Eigentümlichsten, was in Les Milles gemalt wurde, gehören. Wols versuchte ebenfalls, über das Hilfskomittee von Varian Fry in die USA auszureisen - erfolglos. Bis Kriegsende hielt auch er sich irgendwo in Frankreich versteckt, um am Leben zu bleiben. Ein Foto von 1944 zeigt ihn undurchdringlich und resigniert, mit einem Fragezeichen auf der Stirn.

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Seit September 2012 befindet sich auf dem Gelände und in den Hallen der ehemaligen Ziegelei ein Memorial, mit einer ständigen und wechselnden Ausstellungen zur Geschichte des Internierungs- und Deportationslagers Les Milles. Die Erinnerungsstätte versteht sich als Ort des Nachdenkens über die historischen Gründe von Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung Andersdenkender und Juden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Reflexion über die Ursachen des Holocaust wird mit eindringlichen Bildern und Filmen über Genozide im späten 20. Jahrhundert in die Gegenwart verlängert, und erreicht damit auf eindrückliche Weise auch ein junges Publikum. >>> www.exilplan.com

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SANARY-SUR-MER Hauptstadt der deutschen Literatur im Exil

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Zwischen 1930 und 1941 wohnten in dem kleinen Hafenstädtchen an der Côte d‘Azur so berühmte Schriftsteller und Intellektuelle wie Lion Feuchtwanger, die Familie Mann, Franz Werfel und AlmaMahler-Werfel, René Schickele, Franz Hessel, Friedrich Wolf u.v.a. Zahlreiche Historiker und Literaturwissenschaftler haben sich mit dem „Weimar im Exil“, wie man damals Sanary-surMer auch nannte, aueisandergesetzt und darüber geschrieben. Die Stadtverwaltung des Hafenstädtchens an der Côte d‘Azur trug Anfang der 90er Jahre zur Erinnerung an diese Zeit mit einem Gedenkpfad, Text-Foto-Tafeln an den Häusern, die von berühmten Exilanten bewohnt waren, einer Ausstellung, Symposien und einer Begleitbroschüre bei. Im Januar 2011 wurde die erste Gedenktafel am To u r i s m u s b ü r o d u r c h e i n e z w e i t e , vervollständigte Plaquette ersetzt.

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Um diese spannende Geschichte noch einmal neu aufzurollen und besonders einem jungen Publikum nahe zu bringen, entwickelte der Verein Passage & Co. im Sommer 2009 einen EXIL-PARCOURS IN 10 ETAPPEN, bei dem es, wie bei einer klassischen Schnitzeljagd, darum geht, die Orte der Exil-Schriftsteller zu finden und anhand von Textauszügen, die vor laufender Kamera in Szene gesetzt werden, die Atmosphäre der Exilzeit wieder lebendig zu machen. >>> www.exilplan.com

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EXILPLAN - ein deutschfranzösisches Multimediaprojekt

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Der Verein Passage & Co. - Deutschfranzösischer Kulturaustausch in Europa Marseille/Berlin trat 2007 mit dem deutschfranzösischen Erinnerungsprojekt EXILPLAN an die Öffentlichkeit und lud junge Leute und KünstlerInnen aus Deutschland und Frankreich zu Kreativworkshops nach Marseille ein. Daraus gingen Texte, Filme, Fotoserien, imaginäre Stadtkarten, Strassenaktionen und ein Theatertext hervor. Au f d e r z w e i s p ra c h i g e n We b s e i t e www.exilplan.com werden die Ergebnisse der Workshops, die Zusammenarbeit mit zahlreichen KünstlerInnen und die europäischen Fortbildungsseminare zur künstlerischen Bearbeitung des Exilthemas als eBook präsentiert.

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DAS SCHWARZE SCHLOSS - ZUTRITT VERBOTEN! PAULS CÉZANNES MALORTE IN AIX-EN-PROVENCE

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Kennen Sie Aix-en-Provence, diese südfranzösische Stadt mit ihrem riesigen Brunnen in der Mitte, ihren sündhaft teuren Boutiquen, ihrer schattigen Platanenallee, auf der im Sommer Halb-Japan lustwandelt, und ihren zahllosen goldglänzenden Pflastersteinen, deren Inschrift sich einem bei jedem Schritt ins Gedächtnis hämmert: Cézanne, Cézanne, Cézanne....? Die Medaillons sind keine Antiquitäten, sondern jüngste Zeichen eines pünktlich zum 150. Geburtstag von Paul Cézanne erwachten Interesses der Stadt Aix an ihrem - malgré elle - berühmt gewordenen Sohn. Stolz wird alles hergezeigt, was heute noch vom Vater der modernen Malerei zeugen kann: sein Geburtshaus, die Schule, die väterliche Bank, die Kirche seiner Taufe, die Kirche seiner Heirat, die Kirche seiner letzten Gebete, das Haus, in dem er bis zu seinem Tod wohnte und das Café, in dem er regelmässig verkehrte.

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Sind sie bedient? Dann wieder rein in den Bus und ab nach Arles, Avignon oder Saint Tropez. Sollte Ihnen später einfallen, dass Paul Cézanne Maler war und die Wände im Kunstmuseum von Aix-enProvence wahrscheinlich mit „Saintes-Victoires“, „Äpfeln“ und „Nackten Badenden“ behängt sind und Sie das Eigentliche nun wohl verpasst haben, können wir Sie beruhigen: Aix hat Ihnen alles gezeigt, was es noch von Cézanne hat: Fassaden und Attrappen. Der Berg vor der Stadt - auch ein gebranntes Kind (siehe unten) schweigt zu dieser Schande.

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„Aix ist in kleines mittelalterliches Städtchen

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....mit engen Strassen und hohen Häusern um seine Kathedrale gelagert. Die Neustadt durchqueren breite Platanenalleen mit plätschernden Brunnen; in ihren lichten Laubgewölben wird die Nähe der Riviera fühlbar. Ringsum steigen sanfte Hügel; von d e n h e l l e n We g e n , d i e s i c h z w i s c h e n S t e i n m a u e r n emporwinden, fällt der Blick von Zeit zu Zeit durch offene Tore in ein wunderbares Land. Die Seealpen umgürten in der Ferne die Stadt und ihre Gipfel tauchen in eine Atmosphäre von wahrhaft elysischem Glanz. Die Winde der Provence scheinen hier nichts Trübes zu dulden. Alle Töne strahlen in ungebrochenem Licht. Und es ist jene selige Klarheit und süsse Schwermut über das Land gegossen, die ein besonderes Zeichen der Bilder des Meisters von Aix geworden sind. Aber nicht nur in den Farben hat er die Seele des Landes begriffen; wohin man schaut, tauchen die aus seinen Werken bekannten Bergkurven auf. Die ganze Landschaft ist wie ein Panorama, aus seinen Bildern aufgebaut.

Diese Beschreibung von Aix-en-Provence und seinem Umland stammt nicht aus Baedeckers „Handbuch für Reisende aus dem Jahre 1900“, sondern von Karl Ernst Osthaus nach seinem Besuch bei Paul Cézanne am 13. April 1906. Der Kunstsammler und -historiker Osthaus, Gründer des ersten Folkwang-Museums in Hagen (Westfalen), war einer der wenigen frühen Bewunderer Cézannes, die das Glück hatten, ihn noch kurz vor seinem Tod persönlich kennenzulernen. Denn obwohl Cézanne alle seine Besucher, wenn sie einmal da waren, freundlich behandelt haben soll, achtete er schon darauf, dass es nicht zu viele wurden. Er pflegte sein in Pariser Kreisen verbreitetes Image als „verlotterter alter Bär“ und „halluzinierender Grobian“, der keine Zuschauer duldete: „Sie glauben, dass ich einen Trick habe, und wollen ihn mir

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schnappen. Aber ich habe allen die Tür gewiesen. Keiner, kein einziger wird mich drankriegen.“ Karl Ernst Osthaus, als Deutscher nicht auf dem Laufenden, fuhr eines schönen Frühlingstags mit Gattin von Marseille aus mit der Eisenbahn nach Aix und - siehe da! - sah sich von Cézanne auf das herzlichste empfangen, im Atelier herumgeführt und sich vom Meister über seine wesentlichen Standpunkte zur Malerei unterrichtet. Der Kunstfreund lobte, kaufte sodann zwei Bilder von Cézanne und fuhr noch am selben Abend mit dem Zug nach Marseille zurück, um von dort nach Tunis in See zu stechen.

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Am 14. April 1906 ...war ganz Marseille auf den Beinen, denn es feierte mit grossem Pomp die Eröffnung der ersten Französischen Kolonialausstellung. In den darauffolgenden Monaten kamen tausende von Besuchern, darunter auch viele junge Maler Cézannescher Prägung: die Kubisten Alain Derain und Georges Braque, seine letzten Schüler und Freunde Maurice Denis und Emile Bernard. Als die Ausstellung im November 1906 mit phänomenalem Erfolg schloss, war Paul Cézanne gerade in Aix-en-Provence gestorben. die Kolonialshow, war, wie manches andere Spektakuläre, spurlos an ihm vorübergegangen.

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Die Hälfte seines Lebens ...hatte sich fern vom Trubel der Grosstädte im Bannkreis einiger Kilometer um Aix-en-Provence herum abgespielt; in einer Landschaft paradiesischem Zuschnitts, die von einem Berg, la Sainte-Victoire, genannt, beherrscht wird:

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Die Sainte-Victoire ist nicht die höchste Erhebung der Provence, aber, wie man sagt, die jäheste. Sie besteht nicht aus einem einzigen Gipfel, sondern aus einer langen Kette, deren Kamm in der fast gleichmässigen Höhe von tausend Metern über dem Meer annähernd eine Gerade beschreibt (...) Diese von Norden sanft ansteigende und nach Süden fast senkrecht in eine Hochebene abfallende Kette ist eine mächtige Kalkschollenauffaltung, und der Grat ist deren obere Längsachse. Zusätzlich dramatisch wirkt die westliche Ansicht des Dreispitzes, weil sie gleichsam einen Querschnitt des gesamten Massivs mit seinen verschiedenen Faltenschichten darstellt, so dass auch jemand, der nichts von diesem Berg weiss, unwillkürlich eine Ahnung von dessen Entstehung kriegt und ihn als etwas Besonderes sieht. Cézanne war von diesem Berg seit seiner Jugend besessen gewesen. Auf zahlreichen Ausflügen mit Schulfreund Emile Zola hatte er das Terrain zwischen dem Steinbruch Bibémus, dem von Zolas Vater gebauten Staudamm vor Vauvenargues und der Strasse nach Tholonet erkundet. Nach seinen Pariser Studienjahren und der Zeit in L‘ Estaque, wo er sich während des preussisch-franzöischen Kriegs 1870 versteckt hielt, kehrte er an die Orte seiner Jugend zurück und erklärte den Berg für die restlichen zwanzig Jahre seines Lebens zum „Hauptmotiv seiner Meditationen mit dem Pinsel in der Hand“. Er passte dem Wetter, dem wechselnden Licht und den Jahreszeiten seinen Tagesablauf und Arbeitsrhythmus an.

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Cézanne erkundete Materialstützpunkte und Wetterhütten ...in der näheren Umgebung der Sainte-Victoire, von denen er, sobald ihn sein Kutscher Monsieur Emery vor Ort abgesetzt hatte, den Berg mühelos erreichen konnte.

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Nahe des Steinbruchs Bibémus und der Strasse nach Le Tholonet lag das Château noir, dessen Besitzer 1887 an Cézanne ein Zimmer im Erdgeschoss der Bastide, die ohnehin fast das ganze Jahr über leer stand, vermietete. Cézanne war begeistert und hegte wahrscheinlich von Anfang an die geheime Hoffnung, die Bastide eines Tages kaufen zu können, denn als ihm 1902 gekündigt wurde, bekam er einen solchen Wutanfall, dass er auf der Stelle ein Feuer machte und fast alle seiner im Schwarzen Schloss gemalten Bilder vor den Augen der Besitzer verbrannte. Im nahegelegenen Steinbruch von Bibémus besaß Cézanne ab 1895 einen zweiten Stützpunkt, ein kleines Cabanon, in dem er notfalls auch übernachten konnte, wenn er zu lange gearbeitet hatte oder das Wetter umschlug und der Mistral zu blasen anfing. Häufig lud Cézanne Freunde und Besucher in das nahegelegene Dorf Le Tholonet zum Mittagessen oder zu Kutschfahrten ein, bei denen er ihnen seine herrlichen Ausblicke vorführte. So berichtete der Maler und Kunstkritiker Emile Bernard (1868-1941), ein Freund der von Cézanne wenig geschätzten Kollegen van Gogh und Gauguin, 1904 von einem Ausflug zum Château noir:

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Er holte uns an einem sonnigen Nachmittag mit einem Wagen ab. Wir fuhren alle fröhlich ab und und folgten einer Landstraße, die immer prächtiger wurde. Nach längerer Zeit sahen wir Tannenwäldchen vor uns. Ich mußte aussteigen, um die Örtlichkeit, die wir zusammen erforschen wollten, besser zu betrachten. Trotz seinem Alter zeigte Cézanne eine ausserordentliche Gewandtheit im Herumsteigen in den Felsen. Ich gab acht, dass ich ihm bei nichts half. Wenn er in einer schwierigen Situation war, liess er sich auf alle viere nieder und bewegte sich so vorwärts, wobei er sich ständig mit mir unterhielt.

Emile Bernard, im Februar 1904 aus Ägypten zurückgekommen, war in der Absicht von Marseille nach Aix-en-Provence gereist, „alles über ihn (Cézanne S.G.) zu erfahren (...), um ihn ganz zu durchdringen

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und den kommenden Generationen die von ihm geschaffene Methode zu überliefern.“ Mit einem Cézanne-Porträt von Camille Pissarro in der Hand, fragte er Passanten in Aix-en-Provence nach dem Weg zum Hause des Malers. Ohne Erfolg.

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Niemand kannte diesen Mann ...weder als Maler noch als Bankierssohn. Der Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard machte ab 1896 bei seinen Plünderungsfeldzügen durch die S p e i c h e r v o n A i x- e n - P r o v e n c e ähnliche Erfahrungen: Die Besitzer von Cézanne-Gemälden schämten sich ihrer. Manche warfen Vollard „Cézannes“, die er beim Entrümpeln übersehen hatte, aus dem Fenster hinterher, die anderen argwöhnten, dass er die Bilder dieses „armen Mannes“ nur haben wolle, damit man sich in Paris ein weiteres Mal über die Leute aus Aix lustig machen könne. Cézanne hatte recht, als er prophezeite, dass er für die Generation nach ihm male. Wie kann man es den Kleinstädtern also verübeln, dass sie, ebensowenig wie übrigens auch das grosse Publikum und die Mehrzahl der Kunstsachverständigen in Paris, die sich gegenüber der Provinz schon immer für kompetenter hielten, die Zukunft im Jahre 1906, als Cézanne starb, nicht voraussahen? Die Aixer hatten ihren Maler jedenfalls bald vergessen und die Geschichte nahm ihren bekannten Lauf: Bild um Bild wanderte ins Ausland ab und verschwand in Privatsammlungen. Erste grosse Cézanne-Werkschauen in München, London und Berlin machten in den zwanziger Jahren Künstler und Kunsttheoretikern aus Deutschland, Österreich, aus Italien und der Schweiz auf das „Phänomen Cézanne“ aufmerksam und bestimmten sie dazu, zu den ersten und auf lange

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Sicht einzigen Botschaftern und Verteidigern der Cézannschen Malerei in Frankreich zu werden. Was wurde aus Cézannes Immobilien?

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- der Hütte am Steinbruch, dem Zimmer im Schwarzen Schloß, dem Atelier auf dem Chemin des Lauves? Was wurde aus dem herrschaftlichen Landsitz der Bankiers-Familie Cézanne im Osten von Aix-en-Provence, dem Jas de Bouffan? Die Bastide war zwar 1899 nach dem Tod der Eltern verkauft worden, aber Cézanne hatte in ihr immerhin vierzig Jahre gelebt und gearbeitet und als 20-Jähriger die Wände der Eingangshalle bemalt. Wurden auf Initiative der Stadt oder des Staates Gedenktafeln angebracht, Museen eingerichtet, Ausstellungen organisiert? - Nichts von alledem. Familie Tessier vermietete das Cézanne-Zimmer im Château noir an Maler andere Maler weiter. Das Atelier erbte Cézannes Sohn Paul, der es leerräumte und zusperrte. Das Haus dämmerte 15 Jahre lang vor sich hin und war dabei zu verwittern, als sich 1921 der Heimatdichter Marcel Provence, *seiner annahm und es dadurch vor dem Zusammenfallen rettete, indem er es kaufte und mit einigen Objekten von Cézanne eine Art Kultstätte daraus machte.

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Den im Jas de Bouffan verbliebenen Gemälden und Wandmalereien von Cézanne war ein besonders trauriges Schicksal bestimmt: nach dem Verkauf des Hauses 1899 bot der neue Besitzer die frühen Bilder von Cézanne dem Musée du Luxembourg in Paris an. Man lehnte ab, da der Konservator die Bilder für „ungeschickt, ja geradezu kindlich“ hielt. Daraufhin gingen "Die vier Jahreszeiten" an private Sammler und kamen erst auf Umwegen viele Jahre später in die staatliche Sammlung des "Musée du Petit Palais" nach Paris zurück. In den fünfziger und sechziger Jahren wurden weitere Teile der Wandmalereien abgenommen und quadratmeterweise an private Sammler verscherbelt.

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Die Wände des Jas de Bouffan ...sind heute unwiederbringlich leer, aber die Immobilie allein wäre schon goldwert, könnte die Stadt sie nur bezahlen. Das Haus, von der Familie Dr. Corsy bewohnt, kostet jedoch inzwischen etwa neun Millionen Franken, die die Stadt nicht allein aufbringen kann. 1994 sicherte sie sich zunächst nur das Vorkaufsrecht und wartet nun, dass ein Wunder geschieht, damit der Jas de Bouffan eines Tages nach dem Vorbild des Hauses von Monet in Giverny zu einer Pilgerstätte für Cézanne-Liebhaber werden kann. Zuviel Geld kosten inzwischen auch die Bilder von Cézanne, von denen man in Aix heutzutage - wenn man könnte - einige aus der Ermitage in Sankt Petersburg oder der Sammlung Barnes in den U.S.A. zurückholen würde. Als Ersatz kamen 1984 acht kleine Formate leihweise aus Paris ins städtische Musée Granet - ein bescheidener Trost für die Besuchermassen, die jährlich auf den Spuren von Cézanne nach Aixen-Provence reisen. Die in der Vergangenheit angehäuften Versäumnisse bei der Pflege des Cézanne-Erbes werden heute umso schmerzlicher bewußt, da selbst mit allem Reichtum der Welt nicht bezahlt werden könnte, was in der direkten Umgebung der Cézanne-Orte städtischer Urbanismus und Raubbau an der Natur an Verwüstungen angerichtet haben:

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Der Jas de Bouffan sitzt wie ein goldener Käfer im dichten Spinnennetz von Autobahn und Schnellstrassen, das von Neubausiedlungen aus den sechziger und siebziger Jahren eingerahmt wird. Der gleiche Anblick erschlägt den Besucher, wenn er aus dem Ateliersgarten am Chemin des Lauves auf die Strasse tritt: rundum nur renovierungsbedürftige Betonsiedlungen. Auch die Landschaft um den Steinbruch von Bibémus oder um die Sainte Victoire herum ist nicht mehr die gleiche wie zu Cézannes Zeit. Während die kantigen Blöcke des stillgelegten Steinbruchs unter Gräsern, Büschen und Bäumen verschwanden, wurde der einstmals bewaldete und landwirtschaftlich genutzte Südabhang der Sainte Victoire im Sommer 1989 von einem Waldbrand dramatischen Ausmaßes kahl gefegt und auf lange Sicht entstellt.

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Das Schicksal des Cézanne-Ateliers ... stand nach dem Tod von Marcel Provence im Jahre 1951 erneut auf dem Spiel. Da die Stadt sich zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht für das Denkmal interessierte, wäre es heute sicher eine Ruine, hätten Andere nicht die notwendigen Massnahmen zu seiner Rettung ergriffen. In diesem Falle war es der deutsch-amerikanische Kunsthistoriker John Rewald (1912-1994),· der sich seit den dreissiger Jahren in Aixen-Provence aufgehalten und Cézannes Malorte photographisch recherchiert hatte. Er bildete in den USA mit Hilfe reicher Freunde, zu denen auch Erich Maria Remarque gehörte, das "Cézanne Mémorial Committee", kaufte das Atelier 1954 und stellte es unter Obhut der Universität von Aix-en-Provence, die es der Öffentlichkeit zugänglich machte. Obwohl das Atelier 1969 von der Stadt als Museum übernommen und unter Denkmalschutz gestellt worden war, fehlte es in den sechziger und siebziger Jahren nicht an Versuchen, das Haus am Rande einer

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Strasse, die man gern erweitern wollte, in die Stadtbauplanung als ein zum Abriss bestimmtes Gebäude einzubeziehen. Hätten John Rewald und der „Kreis der Cézanne-Freunde“ in diesen Jahren das Erbe des Malers nicht kämpferisch genug gegenüber städtischer Ignoranz verteidigt, gäbe es heute wahrscheinlich kein Atelier und auch kein Cabanon Jourdan am Steinbruch mehr. Auf den Jas de Bouffan liefe womöglich nicht mehr die jahrhundertealte Kastanienallee, sondern eine Autoschneise zu. Der einzige Ort, der erfolgreich vor Immobilienspekulanten und Strassenbauern gerettet und darüberhinaus seit Ende der zwanziger Jahre zu einem Cézanne-Zentrum ganz eigener Art wurde, ist das Château noir auf der Straße nach Tholonet.

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Die aussergewöhnliche Geschichte des Château noir ...begann im Jahre 1928 mit der Ankunft des deutschen Malers Leo Marschütz (1903-1976). Er hatte die Malerei von Paul Cézanne 1919 in München und in Berlin bei Paul Cassirer entdeckt und sich die Worte eines Kunstkritikers zu Herzen genommen: „Man muss Cézanne im Licht von Aix sehen; einmal in seinem Leben muss man diese Bilder dort sehen können, wo sie gemalt wurden.“ Er sollte auf seiner ersten Reise in die Provence im Sommer 1928 nicht enttäuscht werden - schon am Eingang zum Château noir taten sich sämtliche Cézanne-Motive vor ihm auf. Marschütz entschied sich daraufhin, Deutschland zu verlassen und ab 1931 als „Cézannes Gewissen“ im Schwarzen Schloss weiterzuleben. Gäste und Kollegen liessen nicht auf sich warten. Cézanne-Forscher aus Europa und den USA gaben sich bei Familie Marschütz bald die Klinke in die Hand: Lionello Venturi aus Italien, Fritz Novotny aus Wien, Adrien Chappuis aus Basel, der Fotograf Robert Ratclifte und...

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John Rewald. Der Sohn deutsch-russischer Juden lebte seit 1932 in Paris, wo er an der Sorbonne Kunstgeschichte studierte. Auf Einladung seines ultralinken Studienfreunds Paul-Albert Krantz, alias Ernst Erich Noth, der 1933 nach Frankreich emigriert war, fuhr Rewald im Frühjahr 1933 erstmalig nach Aix-en-Provence, wo er mit den Bewohnern des Château noir in Verbindung trat und sich schnell mit Leo Marschütz anfreundete. Dieser bot ihm an, mit ihm gemeinsam wie einst Cézanne - „zum Motiv“ zu gehen:

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Marschütz hatte selbst schon einige Malorte identifiziert, vor allem jene am Château und seiner näheren Umgebung. Er bat mich, sie zu mit meiner Leica, die ich gerade erstanden hatte, zu fotografieren. Ich mietete mich bald darauf im Château noir ein und wir begannen mit unserer systematischen Jagd auf alle Cézanneschen Malorte in der Gegend - in Aix, l‘Estaque, in Gardanne. (...) Es kam vor, dass wir vor Sonnenaufgang aufstanden und ich, während Marschütz Wache hielt und mir Anordnungen gab, auf Bäume im Wald von Château noir kletterte, um einige Äste abzuhauen, die die Sicht auf die Malorte verstellten...

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Rewald schrieb 1935/36 gemeinsam mit seinem Freund drei Aufsätze über Cézanne und widmete ihm seine 1936 an der Sorbonne verteidigte Doktorarbeit über Cézanne und Zola. Marschütz stellte in diesen Jahren wichtiger Cézanne-Recherchen vor Ort seine eigene Malerei zurück. Er gab, aus Ehrfurcht vor seinem Meister, die Farbe auf und malte nur noch mit Kohlestiften. Picasso wurde zwanzig Jahre später, als er 1957 das Schloss in Vauvenargues auf der Nordseite der Sainte-Victoire kaufte und somit Nachbar des Château noir wurde, vom gleichen Cézanne-Syndrom befallen - er malte nicht ein einziges Bild von der Sainte Victoire.

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Am 4. September 1939 ...standen Gendarmen vor dem Schwarzen Schloss und forderten seine, in der Mehrzahl deutschen, Bewohner auf, sich am 7. September im 15 Kilometer entfernten Internierungslager von Les

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Milles einzufinden, denn mit Ausbruch des 2. Weltkriegs galten alle zu diesem Zeitpunkt in Frankreich lebenden Deutschen und Österreicher als „feindliche Ausländer“. Zwischen Nazis, die geschäftlich in Frankreich zu tun hatten und Künstlern und Intellektuellen, die aus Deutschland aus politischen oder ethnischen Gründen fliehen mussten, wurde nicht unterschieden. Leo Marschütz und Ernst Erich Noth gehörten zu den ersten Internierten in der stillgelegten Ziegelei von Les Milles. Sie trafen dort unter anderem auf Hans Bellmer, Ferdinand Springer, Lion Feuchtwanger, Walter Hasenclever und Max Ernst und wurden zeitweilig als Prestatäre der französischen Armee eingesetzt. Leo Marschütz blieb über ein Jahr im Lager. Nach seiner Entlassung kehrte er in den Wald von Château noir zurück, wo er sich bis zum Ende des Kriegs vor der Gestapo versteckte und dank einiger selbstgezüchteter Hühner und Kaninchen überlebte. Ernst Erich Noth wurde vorübergehend von Jean Ballard im Büro seiner berühmten literarischen Revue „Les Cahiers du Sud“ in Marseille versteckt und konnte schliesslich, wie auch John Rewald, 1941 in die USA fliehen.

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In den Nachkriegsjahren ...erweiterte sich der Freundeskreis um Leo Marschütz im Château noir, zu dem nun auch der Aixer Galerist Tony Spinazola, der Architekt Fernand Pouillon und der 1945 aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrte surrealistische Maler André Masson gehörten. 1962 schrieb John Rewald aus den USA einen denkwürdigen Brief an Spinozola, um ihn zu einer Marschütz-Ausstellung in Aix-en-Provence zu ermutigen:

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Es braucht Mut, um in der Nähe von Aix an einem Ort zu wohnen, der durch Cézanne berühmt wurde, im Schatten der Sainte Victoire, ohne sich dem Meister zu ergeben, dessen grösster Bewunderer und profunder Kenner Marschütz ist. Diesen Mut, mein Freund, bringt er nun schon seit mehr als dreissig Jahren auf, denn er hat niemals versucht, sein Idol zu

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imitieren. Sein Cézanne-Kult hat ihm von Anfang an gelehrt, dass sich die Verehrung nicht in kleinen Bildchen, sondern darin ausdrückt, woran der Meister selbst erinnert hat: in der Entwicklung unserer Fähigkeiten im Kontakt mit der Natur. Der Hühnerstall, der Marschütz im Krieg als Versteck gedient hatte, wurde in eine Lithographiewerkstatt umgewandelt, in der sich der Maler als Drucker für André Masson, Tal Coat, und den Dichter Pierre Jean Jouve einen Namen machte. 1956, zum 50. Todestag von Paul Cézanne, setzte Leo Marschütz die erste (!) Cézanne-Ausstellung in Aix-en-Provence durch. Sie wurde mit 66 We r ke n z u e i n e r d e r b e d e u t e n d s t e n Hommagen an den von seiner Geburtsstadt ignorierten Meister.

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Die Hütte am Steinbruch Bibémus

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...blieb dank eines amerikanischen Kunstfreunds erhalten und kann, gemäss einer testamentarischen Verfügung seines kürzlich verstorbenen Besitzers, demnächst in vorbildlich restauriertem Zustand von der Stadtverwaltung übernommen werden. Das Château noir, heute noch immer von amerikanischen Malern, Dichtern und Lehrern bewohnt, wird von seinem Besitzer, einem französischen Original namens Pussycat, wenn es sein muss auch mit dem Stock gegen fremde Schaulustige verteidigt und auf diese Weise hoffentlich noch lange vor geld- und prestigegierigem Zugriff bewahrt.

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Marschütz‘ Mäzen Fernand Pouillon ... baute ihm in den sechziger Jahren unweit des Schwarzen Schlosses gegenüber seiner provenzalischen „Villa Medici“ ein Atelierhaus. Erst in dieser neuen lichtdurchfluteten und von allem Einfluss freien

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Atmosphäre kehrte Leo Marschütz in den letzten zehn Jahren seines Lebens zur grossflächigen farbigen Malerei zurück. Er starb 1976. Fünf Jahre vor seinem Tod hatte er gemeinsam mit amerikanischen Freunden und Mäzenen im neuen Atelier an der heute so genannten „Route de Cézanne“ eine Malschule gegründet, die an das „Institute for American Universities“ in Aix-en-Provence angegliedert wurde. Es gibt sie bis heute. Das Atelier und der aus dem Château noir herbeigeschaffte Hühnerstall dienen amerikanischen Kunststudenten als Arbeitsräume, deren Geschichte ihre Lehrer, ehemalige Freunde und Schüler von Leo Marschütz, mit unterrichten. John Rewald starb 1994 in den USA. Seine Schüler veröffentlichten im Frühjahr 1997 Rewalds unvollendet gebliebenes Lebenswerk: den Kritischen Gesamtkatalog der Cézanne-Werke. Seine Asche kam postmortem nach Frankreich an den Platz zurück, der ihm gebührt: an die Seite von Paul Cézanne auf dem Friedhof von Aix-en-Provence.

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© Sabine Günther, Basler Magazin (1997)

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AKTUELLE AUSSTELLUNGEN IN MARSEILLE - November 2013

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J1 - LE CORBUSIER ET LA QUESTION DU BRUTALISME

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Esplanade de la Joliette Tgl von 12 - 18 Uhr geöffnet, ausser Montags
 Letzter Einlass: 17Uhr30.
 Tarif: 10 €

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Le Corbusier und die Frage des Brutalismus Von Kathrin Hondl, 13.10.2013 - Deutschlandfunk

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Unter den mehr als 250 Werken in der Ausstellung in Marseille sind nicht nur beeindruckend schöne, aus Holz gebaute Architekturmodelle. Auch viele Gemälde, Zeichnungen und Plastiken werden gezeigt. In seinem Spätwerk wird Le Corbusier zum Künstler-Architekten.

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"Le Corbusier revient à Marseille", steht auf den Ausstellungsplakaten: "Le Corbusier kehrt nach Marseille zurück". Aber es müsste wohl eher heißen: Marseille kehrt zurück zu Le Corbusier und würdigt nun mit einer großen Ausstellung den Architekten, den die Marseiller früher schlicht "le fada" nannten: den Bekloppten. Und "la maison du fada", das "Haus des Bekloppten" so nannten sie in Marseille Le Corbusiers berühmte "Cité Radieuse" oder "Unité d'Habitation" - die "Wohneinheit", erbaut in den Jahren 1947 bis 52: ein imposantes achtstöckiges Beton-Gebäude auf gewaltigen

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Pfeilern mit mehr als 300 komfortablen, meist zweistöckigen Wohnungen aber auch einem Hotel, einer Schule, einer Turnhalle, Geschäftsstraßen und Restaurants. Ein Wohnblock als vertikales Stadtviertel, das war die Grundidee. Auf der Dachterrasse von Le Corbusiers beeindruckender Wohnmaschine gibt es seit diesem Sommer das Kunstzentrum MAMO, eine Initiative des Designers Ora Ito. Das Meisterwerk von Le Corbusier, sagt er, wurde in Marseille viel zu lange vernachlässigt.

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"Sie hätten sehen müssen, in welch erbärmlichem Zustand diese Dachterrasse war, als ich sie gekauft habe. Das war eine Ruine! Wir mussten auch Mauern zerstören, die später hinzugefügt wurden. Im Grunde mussten wir in Zusammenarbeit mit der Fondation Le Corbusier und dem Denkmalschutz alles nach den Originalplänen wieder neu aufbauen."

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In der restaurierten ehemaligen Turnhalle auf dem Dach des Corbusier-Baus sind nun die Arbeiten zeitgenössischer Künstler zu sehen. Und auch sonst strahlt die Dachterrasse der "Cité Radieuse" wieder in ihrer alten avantgardistischen Pracht und mit einer atemberaubenden Aussicht auf das Mittelmeer. Der Wohnblock im Süden von Marseille ist gewissermaßen auch der Ausgangspunkt der Ausstellung, die ein paar Kilometer weiter im Hafen-Hangar zu sehen ist: "Le Corbusier und die Frage des Brutalismus". Denn Le Corbusiers vertikale Betonstadt wurde in den 50er Jahren von Architekturkritikern zum Paradebeispiel für den neuen Architekturstil der Nachkriegszeit erklärt, den "Brutalismus", für den unter anderem roher Beton - "béton brut" - als sichtbares Baumaterial charakteristisch ist.

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"Viele Historiker, sagt Ausstellungskurator Jacques Sbriglio, meinen, dass die brutalistische Ästhetik mit den Traumata des

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Zweiten Weltkriegs und den Bedrohungen des Kalten Krieges zu tun hat. Auch die Betonbunker, die die deutschen Truppen an den französischen Küsten errichteten gelten als Vorbilder. Als ob die neue Beton-Architektur die Bevölkerung schützen müsste und also das Trauma der Geschichte seinen Ausdruck in der brutalistischen Architektur fände."

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Le Corbusier selbst hat sich allerdings nicht als "brutalistischen Architekten" verstanden. Die Ausstellung von Jacques Sbriglio präsentiert jetzt das Spätwerk der Jahre 1945 bis 65 als "romantischen Brutalismus":

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"In dieser Zeit entwickelt Le Corbusier ein kulturelles Gesamtkonzept für die Architektur - eine Synthese der Künste, wo er in und um die Architektur andere Kunstformen wie Malerei oder Skulptur integrieren will. Das unterscheidet ihn von anderen Großmeistern der modernen Architektur wie Frank Lloyd Wright oder Mies van der Rohe. Er positioniert sich als Künstler-Architekt, der stetig daran erinnert, dass Architektur in erster Linie für Menschen gemacht ist und vor allem, dass Architektur eine Kunst ist, in der moderne Technik nur eine dienende Rolle hat."

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Und so sind unter den mehr als 250 in der Ausstellung gezeigten Werken nicht nur beeindruckend schöne, aus Holz gebaute Architekturmodelle - wie das des Parlamentspalastes in der indischen Planstadt Chandigarh - , sondern auch viele Gemälde, Zeichnungen und Plastiken. Aktstudien sind darunter und Bilder, denen man ansieht, dass sich Le Corbusier besonders von der Malerei Picassos inspirieren ließ. Picasso wiederum, das dokumentiert ein Foto in der Ausstellung, besuchte 1949 die Baustelle der Cité Radieuse in Marseille. Le Corbusier, der sich in den 20er- und 30er-Jahren vor allem, als bis heute auch umstrittener Theoretiker der modernen

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Architektur hervorgetan hatte, Le Corbusier kehrt mit dieser reich bestückten Spätwerk-Ausstellung in Marseille als Künstler zurück ins kollektive Bewusstsein. Ob nun Brutalist oder nicht: Nach dem Zweiten Weltkrieg, so Kurator Jacques Sbriglio, wurde der Theoretiker ein Poet.

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CITÉ RADIEUSE Le Corbusier dans Le Corbusier à la Cité Radieuse 
 Fotografien von Christophe Guery Hall et 3°- 4° rue de l'Unité d'Habitation Le Corbusier, 280 Av. Michelet Entrée libre 9h - 18h

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Le MaMo - Ausstellungszentrum auf dem Dach des Corbusier-Wohnhauses Preisträger des Audi-Awards in den Kategorien Design und zeitgenössische Kunst Geöffnet: Mittwoch - Sonntag, 11-18 Uhr / 3 € Bus 21 von Centre Bourse. Halt: Le Corbusier Métro 2 , am rond point du Prado (Richtung: st Marguerite) aussteigen

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WEITERHIN SEHENSWERT IN MARSEILLE

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MuCEM - Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée

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Das Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers ist ein Museumskomplex, der 2013 eingeweiht wurde, und zu dem neben dem MuCEM von Rudi Ricciotti, das Fort Saint Jean und das Archiv im Stadtteil Belle-de-Mai gehören. Das neue Museum, das auf der ehemaligen Hafenmole J4 erbaut wurde, ist ein Ort, der dem Entdecken der wichtigsten Etappen der Mittelmeerzivilisationen gewidmet ist.

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Aktuelle Ausstellungen im MuCEM

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Le Noir et le Bleu. Un rêve méditerranéen Chronologische Darstellung in 12 Etappen der Mittelmeerzivilisationen seit dem 18. Jahrhundert bis heute. "Schwarz", die Farbe, die auch beim Ricciotti-Bau sofort ins Auge sticht, steht symbolisch für Gewalt (Mafia), Traumata und die problematische Verschlossenheit der am Mittelmeer lebenden Völker. Ricciottis kastenartiger und wie in ein Fischernetz eingewickelter Museumsbau soll bewusst widersprüchliche Gefühle

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hervorrufen und provozieren. Die Originalität der Ausstellung besteht im Blickwechsel des Betrachters - die Mittelmeergeschichte wird nicht von den Eroberern, sondern aus der Sicht der Kolonialisierten erzählt.

Au Bazar du Genre. Féminin-Masculin en Méditerranée

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Ort: Esplanade, J4 - ehemaliges Hafengelände La Joliette
 Tgl. geöffnet, ausser Dienstag, von 11 bis 18 Uhr (Kasse schliesst 17.15Uhr) Freitags bis 22 Uhr geöffnet 5€ à 8€ Busse: 82, 60, 49 / Tram: République/Dames oder Joliette / Métro2: Joliette

! Musée Regards de Provence !

2013 wurde das Musée Regards de Provence in der ehemaligen Sanitärstation eröffnet, die 1948 von den Architekten Champollion, Fernand Pouillon und René Egger erbaut wurde. Vollständig saniert und neu konzipiert, bietet die neben der Kathedrale La Grand Major gelegene Station auf 2.300m² mehrere Ausstellungen an: Sammlung der Stiftung Fondation de Provence, wechselnde Kunstausstellungen, und eine Ausstellung zur Geschichte der Station.

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Aktuelle Ausstellungen:

Femmes en Provence et en Méditerranée La Provence, terre de rencontres

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Ort: J4 - neben dem MuCEM Tgl. von 11 bis 18 Uhr geöffnet, Freitags bis 21 Uhr 6 € / Regards Café, Panoramblick, tgl. von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

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! VILLA MEDITERRANÉE, La Joliette Regionales Kulturzentrum, neben dem MUCEM. 12-22 Uhr, Sa,So. 10-19Uhr

Di-Do, 12-19Uhr, Fr

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VENDREDI 22 NOVEMBRE À 19 H L’Âme du Panier De Olivier Poli & Sofiane Mammeri Cycle “regards sur ville”. Freier Eintritt.

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DIMANCHE 24 NOVEMBRE À 17 H Marseille-Alger : destins croisés, destins chargés De & par : Laurent Petit. Durée 80 min avec entracte

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Centre de la Vieille Charité, Panier-Viertel Das ehemalige Armen-Krankenhaus beherbergt das Museum für MittelmeerArchäologie und das Museum für afrikanische, ozeanische und indianische Kunst.

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Di-So von 10 bis 17 geöffnet

CHAPELLE DE LA VIEILLE CHARITÉ Instemps, regards de six artistes photographes sur le patrimoine

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Antoine d'Agata : l'altération / José Ramon Bas : la transmission Matthias Olmeta : l'investigation / Alfons Alt : le passage Lucie et Simon : le temps suspendu / Lisa Ross : l'apparence

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Musée Cantini Das im bürgerlichen 6. Arrondissement gelegene Museum Musée Cantini gründet auf das Vermächtnis des Marmorhändlers und Kunstsammlers Jules Cantini. Im Museum finden kontinuierlich Wechselausstellungen zur zeitgenössischen Kunst statt.

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Aktuelle Ausstellung:

César à Marseille Der aus Marseille stammende Künstler César wird mit einer grossen Personalausstellung gewürdigt.

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! ! Château Borély !

19, Rue Grignan
 Dienstag-Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Montags geschlossen. Sonntags bis 13 Uhr freier Eintritt. 5€

Der 17 Hektar große Parc Borély stammt aus dem 19. Jahrhundert. Er gehört zu dem gleichnamigen Schloss, das im 18. Jahrhundert von den Ka u f l e u t e n B o r é l y e r b a u t wurde, die zahlreiche Gebäude in Marseille besaßen. Damals war ein Landhaus noch bedeutend angesehener als eine Stadtresidenz und so erfüllte sich Louis Borély 1766 einen Traum und erbaute eines der schönsten Schlösser der Umgebung. Teils ist der Park nach

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englischem Vorbild, teils nach dem streng geometrischen französischen Vorbild gestaltet Im Juni 2013 wurde das Museum Borély nach Renovierung wiedereröffnet. Mit seiner Ausstellung im beeindruckenden Château Borély aus dem 18. Jahrhundert ist es eine außergewöhnliche Kombination von Altem und Neuem. Einst das archäologische Museum von Marseille, beherbergt es jetzt

Musée de la Faïence sowie das Museum Dekorativer Kunst und Mode. die erstklassigen Keramiken des

134, avenue Clot-Bey Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18 Uhr Freier Eintritt Sonntags bis 13 Uhr Métro 2, Rond Point du Prado, Busse: 19, 44, 83 5 € / Kommentierte Führungen: Di, Do, So um 15 Uhr. Sa um 10.30 und 15Uhr

! ! Historisches Museum !

Das Musée d'Histoire in Marseille ist architektonisch zwar bei weitem nicht so glanzvoll wie das Museum der Kulturen Europas und des Mittelmeers, mit dem sich Marseille ein komplett neues Gesicht verpasst hat. Aber obwohl sich das Geschichtsmuseum in einem Einkaufszentrum versteckt, ist es auf 15.500 m2 vorbildlich in die Stadtlandschaft integriert. Die Lage des Museums ist außergewöhnlich. Es ist das einzige Museum in Frankreich oder vielleicht in ganz Europa, das in einem Einkaufszentrum untergebracht ist .

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Zu Füßen des Einkaufskomplexes Centre Bourse sind auf einem begrünten Gelände die Ausgrabungen zu besichtigen, die von der ersten Ansiedlung künden: Vor rund 2600 Jahren ankerten phönizische Seefahrer in dieser schmalen Mittelmeer-Bucht und gründeten die Stadt Massaglia. 
 Die Ausstellung in den auf den Archäologie-Park ausgerichteten Sälen ist insgesamt stark anekdotisch ausgerichtet und bewusst leicht zugänglich gehalten, mit vielen audiovisuellen Elementen.

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Aktuelle Ausstellung:

Les Monuments Historiques dans tous leurs états

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2, Henri Barbusse Dienstag bis Sonntag: 10 - 18 Uhr Freier Eintritt Sonntags bis 13 Uhr

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Friche de la Belle de Mai - Kunst- und Kreativzentrum

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Die Friche, eine ausgediente Tabakfabrik, liegt im ehemaligen Arbeiterviertel Belle de Mai und ist eine große Ansammlung von Kunstausstellungen, Theatern, Konzertsälen, Kinos, Radio ... Mehrere Hauskünstler und ganzjährige Wechselausstellungen stehen für die kulturelle Avantgarde des 21. Jahrhunderts. Erst dieses Jahr wurde der Panoramaturm eingeweiht. Er ist Teil von 2.400 Quadratmetern Ausstellungsfläche.

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Tour Panorama, Friche La Belle de Mai Niveaux 2 et 3, Studio, Petit théâtre, Salle Seita

50 ans d’arts vidéo [1963-2003] 64


30 installations, 14 pays, 17 artistes Freier Eintritt

New Orders - Atelier van Lieshout No Fear, no shame, no confusion Geöffnet: Dienstag - Sonntag, 11 - 19 Uhr. Freitags bis 22 Uhr geöffnet Bus: 45, 52 Restaurant Les Grandes Tables, 9-22Uhr

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FRAC - ULYSSES Mi - Sa, 10 - 18 Uhr, Sonntags von 14 - 18 Uhr , am 22.11. bis 21 Uhr 5€ 20 boulevard de Dunkerque Métro, Tram: Joliette Bus 35, 49 et 82 : Joliette

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Mehrere Einzelausstellungen zum Thema ULYSSES Constellations. Franck Pourcel Jean-Christophe Norman Les Douceurs du péché. Stéphane Lemercier Sea of Tranquillity. Hans Op De Beeck

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! AIX-EN-PROVENCE !

Tisser des Liens - A fleur de peau Cette exposition collective s’articule autour de la présence du corps, voilé/dévoilé, celle de l’identité et de l’intime. Ghada Amer Valérie Belin Ymane Fakhir Aïcha Hamu Julie Legrand Sophie Menuet Chiharu Shiota Michèle Sylvander

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Pavillon de Vendôme 13, rue de la Molle Geöffnet: tgl, ausser Dienstag, von 13.30 - 17 Uhr

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Regards Croisés Méditerranée - 28 Ausstellungen Photoausstellungen

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Musée des Tapisseries Place des Martyrs de la Résistance Geöffnet: tgl, ausser Dienstag, 10 - 12.30 - 13.30 - 18.30 Uhr

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Ausstellung ALBERT CAMUS, Cité du Livre

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Sabine Günther - Konzeption und Leitung der Literaturreise

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PASSAGE & CO. - www.passage-co.com Die seit über 20 Jahren zwischen Berlin und Marseille lebende Autorin, Übersetzerin und Kulturmanagerin Sabine Günther ist Projektverantwortliche des in M a r s e i l l e a n s ä s s i g e n Ve r e i n s f ü r d e u t s c h französischen Kulturaustausch Passage & Co. Im Namen des Vereins initiiert und leitet sie seit 1996 Künstlerprojekte (Nord-Süd-Passage, Exilplan), deutsch-französische Kreativwerkstätten, europäische Weiterbildungsseminare, Kulturreisen und literarische Rundgänge. Sie betreut die 3 Webseiten von Passage & Co. und gibt die zweisprachige Online-Poesierevue Nord-SüdPassage heraus : www.nord-sud-passage.com

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TELL ME TOURS - www.tell-metours.com 2013 kehrt die Autorin zu ihrer eigentlichen Beschäftigung zurück: dem Schreiben. Nachdem sie fast 30 Jahre lang als freiberufliche Feature-Autorin und Literaturkritikerin tätig war, schreibt sie zur Zeit die Literaturrundgänge auf, die sie seit 10 Jahren in Marseille durchführt. Daraus wird eine sechsteilige Buchreihe, die im April 2014 auf deutsch und in französischer Übersetzung erscheint.

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TELL ME TOURS - LAUFENDES ERZÄHLEN IN MARSEILLE UND BERLIN Unter diesem Titel führt Sabine Günther Literaturrundgänge in Marseille durch und organisiert Studien- und Literaturreiseprogramme in Marseille und Berlin.

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info@tell-me-tours.com

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TELL ME TOURS MARSEILLE 6 BÜCHER FÜR DEN ARMCHAIR TRAVELLER

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Im Frühjahr 2014 erscheinen in der Edition Passage & Co. die Bücher zu den 6 thematischen Rundgängen, die die Berliner Autorin und Literaturkritikerin Sabine Günther seit mehreren Jahren in Marseille anbietet.

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Folgen Sie der Autorin auf ihren literarischen Streifzügen durch Marseille, der, so Erika und Klaus Mann, abenteuerlichsten Stadt Europas. Entdecken Sie die südfranzösische Hafenmetropole mit den Augen der Künstler und Intellektuellen, die durch sie hindurchgingen, sich an ihr abarbeiteten und ihr oft genug verfielen.

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Diese unfranzösischste aller Städte Frankreichs - antikonformistisch, vorlaut und schwer entzifferbar - wird jetzt ein Buch in Ihren Händen. Die Bücher können einzeln oder als Kollektion im 6er Pack erworben werden. An eine e-book-Version der Bücher ist ebenfalls gedacht.

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Ihre Spende ist uns willkommen, um sowohl die e-Book-Version der Buchreihe, als auch deren Übersetzung ins Französische zu finanzieren! Für eine Spende ab 90 € bekommen Sie im Frühjahr 2014 die 6 Bücher in einer für Sie gestalteten Tell-me-Tours-Box gratis nach Hause geschickt.

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Vorbestellungen per e-Mail, im Internet oder per Bestellcoupon info@tell-me-tours.com | www.tell-me-tours.com

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! ! BESTELLCOUPON !

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Schicken Sie uns bis zum 31. Dezember 2013 Ihre Vorbestellung und erhalten dafür 10 % Rabatt !

Einzelband zur Subskription: 13 € (Endpreis: 15 €) zzgl. Versandkosten Gesamtausgabe I-VI: 53 € (Endpreis: 59 €), zzgl. Versandkosten Den Coupon bitte unten abtrennen und an folgende Adresse schicken: Passage & Co./ Sabine Günther, 109 Chemin de la Porte rouge, F - 13530 Trets.

Die Buchreihe erscheint im Frühjahr 2014. Wir informieren Sie einen Monat im Voraus über das genaue Erscheinungsdatum, mit detaillierten Angaben zur Publikation, und werden Sie spätestens Anfang März 2014 per Rechnung darum bitten, Ihre Vorbestellung zu bezahlen.

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SUBSKRIPTION Ich möchte folgende Bücher aus der Reihe TELL ME TOURS - LITERARISCHE SPAZIERGÄNGE IN MARSEILLE vorbestellen:

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☐ Exil in Marseille | Exemplare: ☐ Walter Benjamin | Exemplare: ☐ Antonin Artaud | Exemplare: ☐ Romantiker | Exemplare: ☐ Deutsche Reisende | Exemplare: ☐ Berühmte Frauen | Exemplare:

SPENDE Ich möchte die französische Übersetzung der Buchreihe TELL ME TOURS - LITERARISCHE SPAZIERGÄNGE IN MARSEILLE und die Vorbereitung des e-Books mit einer Spende in Höhe von ................. € unterstützen. (Sie erhalten per e-Mail eine Rechnung mit den Überweisungsangaben von uns)

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Ihre Vorbestellung geht auf den Namen: Adresse: e-Mail:

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TELL ME TOURS - Literaturrundgänge in Marseille

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Alle Themen & Termine hier: www.tell-me-tours.com

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Exil

Walter Benjamin

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Antonin Artaud

! Berühmte Frauen Deutsche Reisende und

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! Romantiker

PREISE: Normaltarif für einen programmgemässen literarischen Rundgang in französischer Sprache, ab 10 Personen: 10 € (Marseille), 13 € (Sanary-sur-Mer) /// Kleingruppe (6 - 9 Personen): 15 €/pro Person (Marseille), 20 €/pro Person (Sanary-sur-Mer) /// Individualtarif, Pauschale (1-5 Personen): 90 € (Marseille), 120 € (Sanary-sur-Mer) Bitte richten Sie Ihre Buchungsanfragen für Literaturrundgänge in deutscher Sprache, grosse Gruppen (ab 15 Personen) bzw. zu einem Termin Ihrer Wahl per e-Mail an Sabine Günther: info@tell-me-tours.com

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