Depesche aus Ems

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Depesche aus Ems Reisebericht, Juli 2009 Beitrag zur Fachschaftszeitschrift ReiffLive RWTH Aachen, Fakult채t f체r Architektur




#1 Depesche aus Ems

Von Orten, die man gern hat, zu berichten ist gefährlich. Unversehens wird man dort nicht mehr alleine oder und den falschen Leute begegnen. So schreibt man besser gleich über Entferntes und unpraktisch Gelegenes. Wer es dennoch unternimmt, die Verbindung nach Bad Ems in Erfahrung zu bringen - so viele werden es nicht sein, so schlimm wird es nicht werden. Ja, natürlich kommt man mit dem Zug hierher. Man hat kein Auto. Und wenn man ein Auto hat, so wird man damit nicht in diesem Ort herumfahren können. Fast niemand hat ein Auto, mit dem man das machen kann. Zuviele tun es dennoch, sodaß an manchen Tagen die Ruhe an der Promenade und auch sonst entlang der stillen Lahn gestört ist. Was aber tut man nun in Ems? Nichts tut man hier. Jedenfalls habe ich es immer als das Passendste empfunden, hier überhaupt gar nichts zu tun. Es gibt hier keine interessanten Veranstaltungen, Sanatorien und Casino haben wir bei uns in der Stadt. Man geht ein wenig herum, man schaut. Man nimmt einen Kaffee, vielleicht noch eine Zigarette, mehr nicht. Das reicht auch. Man fühlt sich ausreichend beschäftigt, und läßt auch Kamera und Skizzenbuch gern Zuhause. Denn zu sehen gibt es eigentlich auch nichts aufregendes. Nach einer Viertelstunde ist man überall gewesen und hat doch am Ende einen Mittag, einen Tag verbracht.


Von den wichtigen Städten der Welt gelingt es allein dieser hier, uns das Gefühl zu ersparen, nicht alles, nicht genug, das Schönste gerade nicht mitzubekommen. Unbekümmert schlendern wir herum, brauchen nicht Reiseführer, Stadtplan oder Billets zu besorgen, müssen nirgends anstehen, nicht überlegen, was zuerst und was danach. Der Himmel über dem engen Tal ist leer, es weht kein Wind, es ist heiß. (Kalt wäre auch in Ordnung. Alles andere nicht.) Im Kaffeehaus am Staatsbad, neben der offenen Wandelhalle, wird der Kaffee noch mit der Karlsbader Kanne bereitet, einem altmodischen und vergessenen Verfahren, bei dem ein feines Sieb aus glasiertem Porzellan eine Rolle spielt. Die Zubereitung findet am Tisch statt, mit dem sonderbaren keramischen Gerät aus zwei aufeinander gestellten Gefäßen. Mehr - in dem Apparat wohlverborgener - Aufwand läßt sich in dieser Sache nicht treiben. Und es ist nicht der vorzügliche Kaffee, der mich beglückt, sondern: daß es noch immer, unverändert und ohne den Gedanken daran, zu ändern und anzupassen, den Platz gibt, an dem das Unnötige und Übertriebene nicht bloß getan wird, sondern, ganz im Stillen, gefeiert. Nicht daß darauf irgendwie besonders hingewiesen würde, das nicht. Das Wagnis, dem immer bloß Richtigen und Genügenden zu entkommen, hält seine Prüfung so lange zurück, bis es gilt, das Erreichte ohne Bewunderung und Würdigung hinzunehmen - als etwas, das uns zusteht. Zu dieser Haltung habe ich also noch nicht gefunden. Zu selten komme ich hierher, nur alle paar Jahre, in der Annahme, es dürfe nicht zur Gewohnheit verkommen. Und so hat es immer den getriebenen Beigeschmack des Feierlichen. Beiläufig schaue ich mich auf der Terrasse um. Dabei ist die Sonnenbrille hilfreich. Andere kommen öfter hierher. Ich bin recht nah daran, auch mit jemandem telefonieren zu wollen oder auch noch etwas zu bestellen oder auch eine entspanntere Position in dem beinahe zum Liegen geeigneten Korbsessel einzunehmen oder noch eine zu rauchen, und schließlich tue ich das alles. Die längere Abwesenheit von gewissen Orten bringt es mit sich, daß sich Manches in der Vorstellung recht weit entfernt von dem, was man bei erneuter Besichtigung vorfindet. Entfernungen, Ausdehnungen, Einzelheiten der Gestaltung, auch die Lagen verschiedener Stellen zueinander ergeben nie gesehende Bilder, nicht immer überhöhen sie das Gesehene. Gerade das Unwichtige, das


am wenigsten Verehrte jedoch finden wir unverändert wieder, ohne daß wir es jemals beachtet hätten. Es ist nämlich nicht das Unvermögen, eine Vorstellung in ihren Formen und Farben und Schattierungen über längere Zeit unverändert zu halten. Vielmehr handelt es sich um das innere Erlebnis, das, was wir lange angesehen haben, was wir uns einprägen wollten, andere Formen annehmen zu lassen. Das beginnt, indem wir uns davon abwenden und findet Ernüchterung, Auffrischung und Erneuerung, sobald wir zurückgekehrt sind. Diesmal war es der feine Kies auf der Promenade, auf den Terrassen und in dem Park zwischen dem Casino, dem Russischen Hof und dem Haus Zu den vier Türmen, den ich mir weißer und in einem stärkerem Licht ausgemalt hatte. Dabei ist er ziemlich grau und nicht ganz frei von Verunreinigung. Auch wird hier irgendwo musiziert, und zwar recht laut und nicht das Passende. Diese und manch andere Entstellungen berichtigen sich im Vorübergehen. Auch der runde Pavillon mit dem eisenhaltigen heißen Brunnen ist weiter als erwartet von dem Bäderhotel entfernt, eigentlich steht er fast an der Stelle, wo der lärmende und sich immer stauende Verkehr von der Brücke herab und gerade noch an der Stadt vorbei geleitet wird, aber noch in Sichtweite des eigentlichen Standorts. Die Luft aber ist reiner, das Licht ist schöner und glänzender, das Publikum angenehmer als in der Erinnerung, ein satteres und dunkleres Grün haben die bewaldeten Hänge, die zu allen Seiten, gleich hinter den Häusern, steil aufragen; Gerade sehe ich die beiden erstaunlich roten Wagen der Standseilbahn genau in der Mitte der Strecke sauber und ohne Geräusch einander ausweichen, den unteren aber direkt auf die Häuser der Esplanade zufahren und wundersamerweise darin verschwinden. Wieder freut es mich, getäuscht worden zu sein. Vor allem der Makel und Unstimmigkeiten, der Andeutungen und Fehlstellen bedarf ein Ort, um über die Besichtigung hinaus zu wirken, gerade dann erzeugt er die lebhaftesten Eindrücke. Was ich dieses Mal sehe, wie ich es sehen will - ein Besuch im nächsten Jahr oder später wird es mir zeigen. Jetzt aber will ich davon nichts wissen. Die Orte, mit denen uns das geschieht, sind immer Orte, die wir sehr lieben. Aus den offenen Türen des Kaffeehauses dringt Musik auf die Terrasse, Les Contes d´Hoffmann, das Passendste überhaupt. Nicht, daß es mich vertrieben hätte. Trotzdem war es an der Zeit, zu gehen, denn mehr gab es hier nicht zu sehen.





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