EKL Wien

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EKL Wien 2009 In einem Modellversuch ist es ab sofort auf ausgewählten Kleingartenflächen Wiens erlaubt, dauerhaft zu wohnen. Eine geeignete Gebäudetypologie, irgendwo zwischen Einfamilienhaus, Datscha und Schrebergartenlaube, existiert allerdings noch nicht. Auch wer hier, etwas abseits der Innenstadt, wohnen möchte, unter welchen Umständen und mit welcher sozialen Dimension von Nachbarschaft, Wohngemeinschaft oder Familie ist ungeklärt. Die neue Gesetzeslage erfordert eine neue Gebäudetypologie, dazu ein passendes Modell des Zusammenlebens und der Raumaneignung. Bekannte Konzepte sollen dabei unvoreingenommen untersucht werden: Adaptionen, selektiv oder als Ganzes, sind nicht auszuschließen, denn vielleicht macht hier ja auch das ganz Gewöhnliche am meisten Sinn.



Kontext An der alten Donau in Kaisermühlen, einem durch die Stromregulierung abgeschnittenen Seitenarm, hat sich seit 1900 nicht viel verändert, so scheint es jedenfalls. Seit der Naturheilkundler und Lebensreformer Florian Berndl, auf dem Höhepunkt der Belle Époque, deren Glanz er verachtete, das Gänsehäufel für seine Sekte von Veganern und Nudisten pachtete, ist es zum hauseigenen Badestrand der Wiener geworden, heute auch mit Badebekleidung. Jeden Sommer wird die sandige Insel zum Paradies der Daheimgebliebenen, zu einem Ort, den man sich weiter entfernt von der Stadt und noch etwas sonniger vorstellt, als eigentlich der Fall ist. Statt dem Ferienhaus an der Côte d‘Azur mietet sich der echte Wiener ein Abteil in den motelartigen Betonbauten, mehr Umkleidekabine als Bungalow, und verbringt hier als stolzer Kabanenbesitzer seine Ferien, mehr vor dem Gebäude auf dem Plastikstuhl als darin, bewundert von denen, die hier nur zum Baden hergeradelt kommen. Die Lagerwiese direkt gegenüber ist die Erweiterung der Insel, schwimmend erreichbar vom Gänsehäufel und mit direktem Anschluß an das pünktliche Wiener Straßenbahnnetz - die Anlaufstelle für all jene, die den Eintritt auf der Insel nicht zahlen wollen. Das Gelände direkt am Wasser, neben konventionellen Wohngebieten mit Einfamilienhäusern, war bislang mehr eine Hunde- als eine Liegewiese und ist nun freigegeben für das Experiment EKL (Einfamilienhäuser im Kleingarten).





Regelwerk Das Wiener Kleingartengesetz regelt detailliert und für jeden Heimwerker verständlich die Bebauung auf den EKL-Gebieten. Baulasten, Abstandsflächen, Kubaturen und Materialität der verkleinerten Version eines Einfamilienhausgebietes sind genau erfasst. Hinter den vielen Einschränkungen ist das Motiv erkennbar, das tradierte Bild eines Kleingartengebietes - in leicht modernisierter Form - zu bewahren, besonders dann, wenn jegliche Geschlossenheit oder Reihung ausgeschlossen wird oder die Verwendung leichter, reversibler Bauweisen für Nebengebäude, fliegende Bauten, zur Norm gemacht wird. Zugleich eröffnet das Handbuch, überraschenderweise, ziemlich brauchbare Wege, genau diesem Bild nicht zu entsprechen - oder ihm in umgedeuteter, verfremdeter Form zu entsprechen. Innerhalb der gesetzten Abstände und Kubaturen, mit den verlangten „natürlichen und traditionellen“ Materialien Holz, Ziegel, Beton und Naturstein, kann man sich bei Beachtung aller Vorgaben von dem anvisierten Schema eines vorstädtischen Kleingartenvereins recht weit entfernen. Es zu verneinen, die Vorteile und Qualitäten, die darin stecken, soll aber nicht das Ziel sein. Vielmehr es geht um eine Neuinterpretation und Erweiterung des Freizeit- und Selbstversorger-Konzepts der Zeit um 1900, angepasst an die Bedürfnisse heutiger Bewohner einer Großstadt. Es gilt die Grenzen des Gesetzes auszuloten, durch geschickte Einfügung in die erlaubten Abmessungen, durch Anwendung der Materialität auf unerwartete Weise - und durch ein Wohnkonzept, das die Norm vehement ausreizt.





Landnahme Das Verhältnis von bebauter und unbebauter Fläche ergibt sich gleichermaßen aus den Vorgaben des EKL-Regelwerks und durch Orientierung an der Bebauungsdichte in der Umgebung. Freistehende Einzelbauten auf separaten Parzellen, wie im Gesetz vorgegeben, können in massiver Bauweise ausgeführt werden - unter Ausnutzung der maximal zulässigen Kubatur. Ihre Größe ist eingeschränkt, viel kleiner als ein durchschnittliches Einfamilienhaus, jedoch durch die zulässige massive Bauweise ebenso zum dauerhaften Bewohnen geeignet. Gemeinschaftliche Bauten, die nicht zum Wohnen sondern der allgemeinen Nutzung dienen, dürfen nur in leichter, reversibler Bauweise aus Holzwerkstoffen und Wellplastik etc. errichtet werden, können aber deutlich größere Ausmaße annehmen und Funktionen aufnehmen, die in den Parzellenbauten keinen Platz finden. Mit dieser Trennung in zwei Gebäudekategorien werden die meisten Beschränkungen des EKL-Gesetzes umgangen. Verbunden ist damit allerdings eine Abweichung von der üblichen Anordnung alltäglicher Funktionen des Wohnens, die in dieser untypischen Disposition je nach Zielgruppe unkomfortabel und konfliktträchtig sein kann. Zentraler Gedanke ist die Auslagerung von Wohnfunktionen aus dem privaten Einzelgebäude der Parzelle in gemeinschaftliche Bauten - die Neuzuweisung von Raum und Funktion in den Maßstäben des Hauses, aber auch des Geländes. Nur so sind im beschränkten Volumens des eigentlichen Wohngebäudes großzügige Raumqualitäten erreichbar, die sich weit von der „praktischen Enge“ von Kleingartenbauten oder Wochenendhäuschen entfernen. Für die Nutzergruppe müssen daher folgende Bedingungen zutreffen: Ein möglichst hoher erzielbarer Nutzen aus den gegebenen baulichen Richtlinien und deren Interpretation, ein hoher Bedarf an bezahlbarem Wohnraum in der Stadt (aber nicht unbedingt im direkten Zentrum) und die Akzeptanz wenig erprobter Formen des Miteinander-Wohnens in neuen räumlichen Zusammenhängen - vielleicht sogar das Interesse, sich an einem solchen soziologisch-architektonischen Versuchsaufbau zu beteiligen.



Kolonie? Kommune? - Siedlung! Für die Studierenden der Wiener Hochschulen entsteht dringend benötigter Wohnraum im Stadtgebiet, mit dem Gänsehäufel in direkter Nachbarschaft und einem eigenen Badeufer auf dem Gelände als besonderem Freizeitwert. Wohngruppen von vier Bewohnern beziehen jeweils eines der identischen Häuser auf den gleichgroßen Parzellen. Zur Senkung der Lebenshaltungskosten und als besondere Freizeitaktivität wird der Gedanke des SelbstversorgerGartens aus den Arbeiter- und Zechensiedlungen bis in die 60er Jahre wiederbelebt, der auch zum ursprünglichen Gedanken des Kleingartenwesens gehörte. Der vorgeschriebene Freiraum auf jeder Parzelle läßt neben dem völlig kompakten, kubischen Wohngebäude genügend Fläche für einen selber bewirtschafteten Obst- und Gemüsegarten, aus dem die Gruppe einen Großteil der benötigten Lebensmittel bezieht. Die restlichen Flächen sind weiterhin öffentlich zugänglich und dienen als Liegewiesen und Sportflächen.


gruppeneigene Fl채chen zur Selbstversorgung; zentrale Verarbeitung und Lagerung

private Wohnbereiche: Gruppenhaus und Selbstversorgerparzelle


Selbstverwaltung und Infrastruktur

Wegeführung Fußgänger und Radfahrer

Die aus dem direkten Wohnbereich ausgelagerten Funktionen wie Kochen, Essen, Waschen und Trocken der Kleidung, Verarbeitung und Lagerung der Gartenprodukte, sowie Sport und geselliges Miteinander im größeren Rahmen finden in den gemeinschaftlich genutzten Gebäuden statt. Sie geben der Siedlung eine übergreifende Infrastruktur, die den Zusammenhalt über die eigene Wohngruppe hinaus herstellt. Reihum ist jede Gruppe für die Zubereitung gemeinsamer Mahlzeiten in einer selbstbetriebenen Mensa zuständig, andere Gruppen übernehmen arbeitsteilig die Verarbeitung und Einlagerung der produzierten Güter. Zwei Waschsalons stehen den Gruppen für die Wäsche der Kleidung zur Verfügung, auch hier ist, beim Warten auf die Wäsche, der Aufenthalt und das Zusammensein mit anderen Bewohnern möglich. Die zur Gartenarbeit notwendigen Geräte und Materialien sowie Abfallbehälter stehen in mehreren Schuppen am Rande des Grundstücks bereit. Der Transport von schweren Gegenständen und Gütern wird auf dem autofreien Gelände erleichtert durch ein übergreifendes System von schienengeführten Loren. Eine gewählte Selbstverwaltung trifft im Sinne der ganze Bewohnerschaft die notwendigen Entscheidungen und organisiert die zu erledigenden Arbeiten.


soziales Zentrum und funktionale Subzentren

zentrale Versorgungseinrichtungen: Mensa, Lagerr채ume und Waschstationen

Freizeit- und Sportbereiche


In den Wohnkuben verbleiben nur die unmittelbaren Wohnräume, private Abteile für jeden der vier Bewohner, Dusche und WC, und ein großer, universeller Wohnraum, der wegen der konsequenten funktionalen Reduktion des kleinen Hauses äußerst großzügig und frei bespielbar ist. Außer eine Teeküche gibt es hier kein feststehendes Mobiliar. Rollbare Boxen unter den Abteilen bieten viel Stauraum für die persönlichen Gegenstände der Bewohner, Dinge des täglichen Bedarfs können in den Abteilen selber untergebracht werden. Die Wiederholung gleichartiger Gebäude auf identisch geschnittenen Parzellen, die sich aus dem baurechtlichen Rahmen und der möglichst effizienten Ausnutzung des Geländes ergibt, ist ein weiterer, zwingender Anlass zu der bis zum Äußersten getriebenen formalen Reduktion und Vereinfachung des standardisierten Gruppenhauses.

















EKL Wien Wohnen im Kleingartengebiet Wintersemester 2008/2009 Lehrstuhl und Institut f체r Wohnbau und Grundlagen des Entwerfens Prof. Wim van den Bergh RWTH Aachen Fakult채t f체r Architektur




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