papp á la papp

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Matz

stegreif papp รก la papp ss 2011 werkbericht

265134 Peter Franz Weber


1.1 Wir dürfen nur Wellpappe verwenden. Keinen Kleber, keine Klammern, keine Stäbe, nichts, nur Pappe. Aber das macht nichts, denn mit Wellpappe kann man alles machen. Sie ist Fläche und Stab und Träger in einem, sie kann jede Form annehmen. Sie trägt und bildet Wände, je nachdem, wie man sie wendet. Sie ist stabil, solange man sie richtigherum hält, und sie ist biegsam, wenn man sie andersherum dreht.


1.2 Wellpappe ist ein sehr umweltfreundliches Material. Man kann sie recyclen, so oft man will. Alles, was aus ihr hergestellt wird, kann nach Verwendung eingestampft und zu etwas Neuem verarbeitet werden. Wahrscheinlich ist alles aus Wellpappe eigentlich sehr viel 채lter, als man glauben mag. Das Material erlaubt einen endlosen Kreislauf von Produktion, Verarbeitung, Auslieferung, Gebrauch, Entsorgung, Zerkleinerung, Wiederverwertung und erneuter Produktion. Und das alles, ohne weiter in nat체rliche Ressourcen einzugreifen und ohne seine guten Eigenschaften zu verlieren. Deswegen ist sie auch immer verf체gbar und ihre Verwendung macht kein schlechtes Gewissen, auch nicht wenn man sie wegwirft. Es gibt nur wenige Materialien, mit denen man so sorglos umgehen kann...


1.3 Dinge aus Wellpappe sind kosteng端nstig, leicht, stabil, platzsparend, benutzerfreundlich und sauber. Es sind normalerweise Dinge, die wir nur kurz besitzen und verwenden, meist ohne sie weiter zu beachten, denn meist handelt es sich um Verpackungen. Aber es gibt immer mehr Dinge aus Wellpappe, die bei richtiger Verwendung lange halten und die wir nicht mehr hergeben wollen...


1.4 Aber sie macht nicht alles mit, nicht so ohne weiteres. Sie hat eine Richtung, wie Holz, aber noch viel stärker. Sehr schnell biegt sie sich oder knickt, wo man es gerade nicht brauchen kann. Oder sie läßt sich überhaupt nicht knicken, und man muß nachhelfen. Überlegt man sich nicht gut genug, wie sich die Wellpappe an welcher Stelle verhalten soll, tut sie genau das Falsche, ganz sicher. Weiß man aber, welche Kräfte im Objekt entstehen, wie es statisch und räumlich funktioniert, ergibt sich das von selber. Das Material täuscht durch seine flächige Form darüber hinweg, daß alles, was man daraus baut ein Skelettbau ist, keine massive Kontruktion. Jedenfalls, wenn man der Wellpappe genügend zutraut und nicht mehr als unbedingt nötig verwendet. Denn sie selber ist ein sehr sparsames Material, schon wenn sie aus der Fabrik kommt: Nur die Bereiche, in denen Kräfte auftreten, in denen Stabilität sein muß, sind Pappe, alles andere ist Luft. Sie ist sparsam und leicht, wie fast alles, was aus ihr hergestellt wird.


2.1 Solange man sitzen kann ist eigentlich alles gut. Egal wo wir sind, mit wem wir zu tun haben, wie angenehm oder unangenehm die Situation sein mag, vieles ist gewonnen, wenn man nicht stehen muß. Jedem Gast bieten wir als erstes einen Sitzplatz an, das beruhigt und ist eine freundliche Geste, wir wissen: der andere nimmt auf uns Rücksicht, wir werden ordentlich miteinander umgehen, keiner muß gefasst sein, plötzlich aufzustehen oder wegzurennen. Sitzt man sich gegenüber, entsteht zwischen den Sitzenden ein neuer Ort, in einem Raum oder im Freien, nur durch das Bilden eines Kreises oder eines Gegenübers. Stehen alle herum, weiß niemand, wo und wie genau man stehen soll, alle laufen herum, lehnen sich an und suchen nach einem Sitzplatz. Das sieht nicht schön aus und macht keinen Spaß, und am Ende sitzen sowieso alle auf dem Boden. Übrigens sollte man Sitzen nicht mit Ausruhen verwechseln, dazu legt man sich besser hin.


2.2 Dabei ist es egal, um welche Art von Sitz es sich handelt, erstmal jedenfalls. Sich hinzusetzen ist ein so starkes Bedürfnis, daß es kein Sessel sein muß. Ein Holzbrett, über zwei Steine gelegt, ein Baumstamm, oder einfach der Boden reichen aus. Ein Sitz muß nicht weich sein, um bequem zu sein. Viel wichtiger als der Komfort, wie man sitzt, ist es, ob man sitzt. Wenn alle anderen sitzen, außer man selbst, ist das vor allem unangenehm, nicht bloß ungemütlich, denn man fühlt sich beobachtet und ausgesetzt, und nicht dazugehörig. Jeder, der in dieser Situation ist, sucht sofort nach einer Sitzmöglichkeit, auch wenn diese viel unbequemer ist, als weiter zu stehen.


3.1 Kaum ein Material läßt sich so gut ohne Hilfe anderer Materialien verwenden wie Wellpappe. Nicht nur die Bauteile selber entstehen aus ihr, sondern auch die Verbindungen lassen sich daraus herstellen. Schnell merkt man, daß Bauteile und Verbindungsteile sogar ein und dasselbe sind, aus einem Teil bestehen und nicht vonneinander zu trennen sind. Jedes Bauteil bringt selbst seine Verbindungsteile mit und bietet anderen Bauteilen geeignete Stellen zur Verbindung. Infrage kommen Stecken, Überschneiden, blockierbare Laschen, Klemmen, und sogar Einrasten funktioniert mit Wellpappe. Lösbare, unlösbare, schwer lösbare und leicht lösbare Verbindungen lassen sich damit herstellen, je nachdem wie man sie schneidet und falzt. Die Elastizität und die plastische Verformbarkeit, die das Material gleichermaßen besitzt erlaubt unzählige Formen der Verbindung beweglicher oder unbeweglicher Teile. Aber Vorsicht: Einmal zur Verbindung gebrauchtes Material ist weg und hinterlässt in der Fläche ein Loch. Aber vielleicht ist das ja ganz schön so...


3.2 Falzen, Knicken und Biegen ist bei Wellpappe nicht ganz so einfach, wie bei normaler Pappe oder anderen flachen Materialien. Die Wellen verlaufen in eine Richtung, sodaß es zunächst einfach ist, die Pappe parallel dazu zu knicken. Schwieriger, oft unmöglich geht es quer zu den Wellen. Aber parallel zu den Wellen kann nicht genau gearbeitet werden, ständig verläuft der Knick etwas neben der vorgesehenenn Linie, da jede Welle sich als Sollbruchstelle anbietet und sich die Pappe nicht entscheiden kann, wo sie ihre Falte haben will. Dann muß man anritzen, nur die eine Oberschicht oder tiefer in die Wellen hinein, je nachdem wie stabil es nachher sein soll oder wie haltbar. Schwieriger, aber genauer geht es tatsächlich quer zu den Wellen, dann aber nur mit sorgfältgem anritzen oder perforieren. Dabei nicht vergessen: Jede Ritzung oder Perforation zum Falzen schwächt das Material, besser nur leicht ritzen und vorsichtig über eine scharfe Kante abknicken!


4.1 Das alles weiß man erst, wenn man selber mit der Pappe experimentiert hat und anfängt zu bauen. Man kann mit diesem Material nicht alles planen, vieles geht nur durch probieren. Was auf dem Papier möglich erscheint, stellt sich als zu eng, zu steif, zu locker, zu dünn, zu dick oder zu unbeweglich heraus. Auch die nötige Dicke der Pappe läßt sich vorher kaum abschätzen. Oft ergibt sich durch unbeachtete Faktoren wie Reibung oder Verformbarkeit eine Möglichkeit, etwas stabil zu verbinden oder auszusteifen. Materialgerechtes Entwerfen mit Wellpappe ist nur möglich, wenn man das Material in Hände hält und etwas damit anstellt. Erst dann merkt man, wie stabil es ist, sonst überschätzt man es. Meistens aber unterschätzt man das Material, und ist erstaunt, wie dünn und mit wie wenig Material sich die nötige Stabilität und Dauerhaftigkeit erreichen läßt. Erst beim Herumprobieren stellte sich heraus, daß fast immer eine Schicht, geschickt gefaltet und verbunden ausreicht, um einen Menschen zu tragen. Massivität ist beim Bauen mit Wellpappe nicht nötig.


5.1 Stühle und andere Sitzgelegenheiten hat jeder zuhause, nur meistens zuviele oder zuwenig, Niemand hat ein Lager für Stühle oder Hocker, um auf einmal viele Gäste zu empfangen. Entweder hat man dann zuwenige Sitzgelegenheiten oder man lebt in einer Wohnung, die im Alltag vollgestellt ist mit Möbeln, die man selten braucht. Man weiß nicht, wohin mit den ganzen Stühlen, wenn man alleine ist, und sobald man feiert oder zum Essen einlädt hat man gerade nicht genügend Sitzgelegenheiten für alle Freunde. Ähniche Probleme gibt es auf Kongressen, Meetings, Workshops, Gruppenreisen, Zeltlagern und anderen Orten mit vielen Menschen, Immer mangelt es an Möbeln oder sie müssen ständig herumgetragen werden. Jedenfalls gibt es kaum ein geeignetes Sitzmöbel, das sich wirklich platzsparend verstauen läßt, selbst einige Klappstühle nehmen noch viel Platz weg und sind sperrig. Diese lassen sich außedem nur mit großer Anstrengung mit sich herumtragen wenn man unterwegs ist oder den Raum wechseln möchte oder sich zu einer anderen Gruppe setzten. Wer einmal umgezogen ist, wird wissen, wie platzsparend Wellpappe ist. Ein ganzer Stapel Umzugskartons nimmt nur einen kleinen Bruchteil, etwa 1/50 des Raumes der aufgebauten Kartons ein. Man kann sie leicht im Keller, auf einem Schrank oder unter dem Bett verstauen und wenn man sie braucht, faltet man sie auseinander, steckt ein paar Laschen in die vorgesehenen Schlitze und sie sind bereit. Aber warum hat niemand einen Stapel Sitzgelegenheiten zuhause?


5.2 Der sparsame Materialverbrauch von Wellpappe macht auch das möglich. Eigentlich muß ein Sitz aus Wellpappe bloß ein besonders stabiler Karton sein, eben einer, in den nichts eingefüllt wird, sondern auf den etwas abgesetzt wird. Also kein Behälter, wie man ihn gewöhnlich aus Wellpappe herstellt, sondern ein Podest, das Kräfte nach unten ableiten kann und genügend ausgesteift ist.


5.3 Als Sitzfläche reicht eine Lage waagerechte Wellpappe aus, diese aber muß von unten gestützt werden von Pappen, die senkrecht stehen, also in Richtung der auftretenden Belastungen.


5.4 Die Verbindung flächiger, raumbildender, aber instabiler und stabiler, aber linearer, flächenloser Elemente ist das Entwurfsprinzip meines Hockers, aber eigentlich auch jedes gewÜhnlichen Umzugskartons.


5.5 Die MÜglichkeit des platzsparenden zusammenfaltens ergibt zugleich die notwendige Aussteifung des MÜbels. Durch Knicken werden Teile kleiner und platzsparend zusammenlegbar, aber auch tragfähig.







6.1 Das Ergebnis ist ein Matz, ein Sitz, der gleichzeitig eine Mappe ist, in die du deine Unterlagen, deine Zeitung, oder deine Flugtickets oder was auch immer stecken kannst! Das sind Sachen, die man meistens dabeihat, wenn man zugleich gerne sitzen würde: auf einer Tagung, einem Workshop, am Bahnhof oder in der überfüllten Wartehalle am Flughafen. Oder an einem schönen sonnigen Ort, an dem leider (oder zum Glück...) noch keiner eine Bank aufgestellt hat. Also einfach auseinanerklappen, hinsetzen, zu anderen dazusetzen, miteinander reden, etwas zusammen planen, auf den Bus warten, lesen oder einfach bloß ausruhen...











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