FLUCHT UND VERTREIBUNG
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Einführung Die beiden Weltkriege als Ursache und Auslöser der bis dahin größten Vertreibung von Menschen aus ihrem Lebensraum hatten Entwicklungen zur Folge, die den europäischen Kontinent Mitte des 20. Jahrhunderts massiv veränderten. Sie sollten auch Stadt und Landkreis Pfaffenhofen betreffen. Der Zustrom von rund 14.000 Menschen in das Gebiet bis 1946 ließ die Bevölkerungszahl um rund ein Viertel anwachsen, ohne dass entsprechender Wohnraum zur Verfügung stand und die Versorgung der Menschen sichergestellt war. Aus ihrer Heimat und ihrer vertrauten Umgebung herausgerissene Menschen, die zudem durch Erlebnisse während der Flucht und Vertreibung traumatisiert waren, wurden in eine Region gebracht, die teilweise zerstört und von großer Versorgungsnot gekennzeichnet war. In diesem Umfeld einen Neuanfang einzuleiten, der nach zwölf Jahren NS-Diktatur auf demokratischer Grundlage erfolgen sollte, stellte eine Herausforderung dar, die für die politisch Verantwortlichen angesichts des gewaltigen Aufgabenbergs nicht leicht zu bewältigen war. Die Ausstellung zeigt aus verschiedenen Blickwinkeln die Entwicklung der Stadt Pfaffenhofen vor dem Hintergrund der
durch Flucht und Vertreibung in den Jahren 1945 und 1946 ausgelösten Ereignisse. Offizielle Quellen und Zeitzeugen berichte sowie Fotos, Pläne und amtliche Dokumente illus trieren diese Jahre der Weichenstellungen und die Schicksale der betroffenen Menschen. Der steinige Weg hin zu einer Integration der Vertriebenen nahm gut ein Jahrzehnt in Anspruch und veränderte Stadt und Landkreis. Allen Beteiligten, der Stadt Pfaffenhofen und den Mitarbeitern der Öffentlichkeitsarbeit, den Zeitzeugen und Leihgebern von Fotos und Dokumenten sei sehr herzlich für ihre große Unterstützung gedankt. Ohne ihre Hilfe wäre die Ausstellung nicht zu verwirklichen gewesen.
Blick auf eine der Baracken an der Ziegelstraße, die im Jahr 1941 für den weiblichen Reichsarbeitsdienst errichtet worden waren und nun der Unterbringung der Vertriebenen dienten. Nach deren Ankunft blieb für viele nur eine solche Notunterkunft, um zumindest ein Dach über dem Kopf zu haben (ca. 1955). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm, Repro Stefan Sauer)
Um die immense Not der Vertriebenen in den Blickpunkt zu rücken und Verständnis und Unterstützung bei der Bevölkerung zu finden, wurden Aufrufe in amtlichen Mitteilungsblättern abgedruckt. Die Appelle verhallten nicht ungehört und trotz der allgemeinen Not half die Bevölkerung nach Kräften über Geld- und Sachspenden. (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
Nachdem sich die Vertriebenen in der Stadt etabliert hatten, gründeten sie Landsmannschaften ihrer Heimatregionen, wo sie Kultur, Brauchtum und Musik pflegten. Eine große Rolle spielte die heimische Tracht, die auf einem Umzug der Mitglieder der „Eghalanda Gmoi“ anlässlich des Gründungsfestes am 3. Juli 1949 getragen wurde. (Chronik der „Eghalanda Gmoi“)
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Historischer Hintergrund und Ausgangslage Die Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg 1918 griff tief in bestehende Strukturen des Kontinents ein. Mit dem Ende des Deutschen Reichs (1871–1918) und der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie (1867–1918) kam es zu Gebietsveränderungen, die insbesondere den Bereich der damals neu gegründeten Tschechoslowakei, schlesische Gebiete und das Land Polen betrafen. Der neu geschaffene Vielvölkerstaat Tschechoslowakei und die Trennung Ostpreußens vom übrigen Reichsgebiet mit der Bildung des „polnischen Korridors“ förderten von Anfang an Minderheitenkonflikte und schufen dauerhaft Unruheherde. Die 1918 getroffenen Vereinbarungen waren die Wurzel für die Ereignisse, die noch während und nach dem Zweiten Weltkrieg als „Flucht und Vertreibung“ in die Zeitgeschichte eingingen. Die größte Umsiedlung von Menschen in der Geschichte der Menschheit, die mehr als 12 Millionen Personen betraf, sollte noch in den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 einsetzen.
Übersichtskarte mit den deutschsprachig besiedelten Gebieten im Osten. Rot hervorgehoben mit Nennung der Zahl der Erwachsenen sind diejenigen Orte Schlesiens und Ostpreußens, aus denen die meisten Familien in den Landkreis kamen. Die Schlesier bildeten nach den Bewohnern des Sudetengebietes die zweitstärkste Bevölkerungsgruppe im Landkreis. (Kartendienst Andreas Toscano del Banner)
Übersichtskarte mit den Herkunftsgebieten der Sudetendeutschen und den Sprachinseln im Landesinneren. Die unteren vier Karten zeigen den Zustand bis 1918 und die verschiedenen Eingriffe in das Territorium seit Ende des Ersten Weltkriegs. (BayHStA, SdA, Sammlung Kornrumpf, Karten)
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Kriegsende 1945 – Die Situation in Pfaffenhofen In Pfaffenhofen lebten bereits seit 1943 mehrere Hundert Evakuierte, die aus von alliierten Bomberangriffen betroffenen Großstädten im Westen sowie aus Berlin und München kamen. Noch vor Ankunft der ersten Flüchtlinge und Vertriebenen herrschte extremer Mangel an Wohnraum, die Versorgungslage war angespannt und fast täglicher Fliegeralarm gehörte zum Alltag. Das Kriegsende in Bayern nahte im April 1945 mit dem Einmarsch der Amerikaner, die, von Norden und Westen her kommend, am 27. April Landkreisgebiet betraten und am 28. April Pfaffenhofen erreichten. Schon nach wenigen Tagen richteten sie in den Städten und Landkreisen eigene Militärregierungen ein, die das Gemeinwesen regeln sollten. In Pfaffenhofen hatten die Amerikaner zunächst den „Pfaffl hof“ an der Hohenwarter Straße bezogen, ehe sie den Sitz ihrer Militärregierung in das Rathaus verlegten. Der Aufbau einer demokratischen Verwaltung mit unbelasteten Personen, die keiner nationalsozialistischen Organisation angehört hatten, musste vorrangig bewältigt werden. Unter Federführung der US-Militärbehörden mussten die anstehenden Probleme wie die Überwindung der Versorgungsnot und die Beseitigung des Wohnraummangels bewältigt werden. Dazu kam mit der Aufnahme und Unterbringung der ohne Hab und Gut ankommenden Flüchtlinge eine weitere Herausforderung hinzu, die die ohnehin schwierige Gesamtsituation weiter verschärfte.
Unterhaltungsprogramm im zusammenbrechenden Deutschland. Noch bis in die letzten Kriegstage hinein gab es im Landkreis Unterhaltungsfilme zu sehen. (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
Die Realität sah anders aus. Anzeigen von Gefallenen aus dem gesamten Landkreisgebiet spiegelten die grausame Wirklichkeit des Kriegs wider. (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
In den letzten Kriegstagen kam es auch zu Angriffen auf Pfaffenhofen und weitere Orte im Landkreis. Unter anderem waren Gebäude im Bereich der Löwen- und der Auenstraße betroffen, die zum Teil vollständig zerstört wurden, was mehrere Pfaffenhofener Familien obdachlos machte (1945). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
Die US-Militärregierung hatte mit Kriegsende das Sagen in Pfaffenhofen. Im Rathaus bezog sie ihr Domizil und erließ im dort eingerichteten „Office of Military Government“ zahlreiche Verordnungen, um das Alltagsleben zu regeln und die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten (1947). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
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Ankunft und Unterbringung Bereits zu Jahresbeginn 1945, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs, kamen erste Familien aus Schlesien in der Stadt an. Sie waren vor der Roten Armee, die immer weiter nach Westen vorrückte, geflüchtet. Vor allem aus dem Raum Breslau gelangten Familien unter schwierigsten Bedingungen nach Pfaffenhofen, wo sie Verwandtschaft hatten und – so glaubten sie – nur vorübergehend eine Bleibe benötigten. Viele waren der Meinung, bald wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Im Jahr 1946 erreichte die Welle der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei ihren Höhepunkt. Mehrere Millionen Menschen allein aus diesem Land mussten auf Druck der tschechischen Machthaber ihre Heimat aufgeben und auf Aufnahme in Deutschland hoffen. Die Bevölkerung im Landkreis nahm innerhalb gut eines Jahres um über 30 % zu.
Am Pfaffenhofener Bahnhof kamen ab Januar 1945 Tausende von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen an. Bis zu 1.200 Menschen transportierten die Züge in alle Regionen Bayerns. Ehe die Angekommenen in das ehemalige RAD-Lager am Stadtgraben kamen, erhielten sie, geschwächt von einer tagelangen Fahrt in engen Viehwaggons, gleich nach ihrer Ankunft zu essen und zu trinken (ca. 1937). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
1946 im Landkreis angekommene Vertriebene 9000 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 11.3.
8.4.
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Eines der großen Auffang- und Durchgangslager befand sich in Furth im Wald. Auch zahlreiche, später in den Landkreis transportierte Vertriebene kamen hier an, wurden desinfiziert und erhielten eine Stärkung. Die Blicke der Angekommenen machen das erfahrene Leid und die Verzweiflung deutlich (1946). (Stadtarchiv Furth im Wald, Bildersammlung)
Das RAD-Lager für den männlichen Arbeitsdienst am Stadtgraben wurde in den letzten Kriegsmonaten als Lazarett für verwundete Soldaten verwendet. Nach Kriegsende diente es als „Massenlager“ zur Erstaufnahme von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, die dort in armseligsten Verhältnissen in großen Räumen leben mussten. Nur durch Tücher und Vorhänge waren die einzelnen Familien voneinander getrennt (1945). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
Verteilung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen im Freistaat. Im Jahr 1950 wies der Landkreis Pfaffenhofen im Vergleich mit anderen Regionen bereits eine unterdurchschnittliche Belegung auf, da sich ein Teil der Vertriebenen an Orte mit einem besseren Arbeitsplatzangebot begab. (Kartendienst Andreas Toscano del Banner)
Große Bedeutung besaßen für die Erstversorgung der Vertriebenen wohltätige Organisationen wie die Caritas und vor allem das Bayerische Rote Kreuz (BRK). Der Aufruf zur Mitwirkung am Wiederaufbau des Kreisverbandes Pfaffenhofen vom 13. Oktober 1945 macht die Aufgaben und die Notwendigkeit weiterer Unterstützer deutlich. Auch bei der Zusammenführung getrennter Familien konnten die Angehörigen des BRK in einer Zeit ohne funktionierenden Telefon- und Postverkehr viel bewirken. (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
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Wohnen und Leben in Baracken Eine Bevölkerungszunahme von 5.000 auf 8.000 binnen weniger Monate bei gleichbleibendem Wohnungsbestand führte zu einem Ausnahmezustand in der Stadt Pfaffenhofen. Um knapp 2.000 Heimatvertriebene, die bis Mitte 1946 hierher kamen, aufnehmen zu können, mussten Wohnungen beschlagnahmt und Notunterkünfte geschaffen werden. Als Erstaufnahmelager diente das RAD-Gebäude am Stadtgraben, das 1935 für den männlichen Reichsarbeitsdienst errichtet worden war. Hier fanden mehrere Hundert Vertriebene Unterkunft. Von dort wurden sie entweder auf die Gemeinden im Landkreis auf Bauernhöfe verteilt, bei Familien in Pfaffenhofen einquartiert oder in ehemaligen Baracken der Wehrmacht im Bereich der Kellerstraße und des Ambergerweges notdürftig untergebracht.
Teilansicht des 1941 errichteten Barackenlagers für den weiblichen Arbeitsdienst an der Ziegelstraße, wo ab 1945 Flüchtlinge und Heimatvertriebene untergebracht wurden (undatiert). (BayHStA, Sammlung Reichsarbeitsdienst 145)
Einfache Unterkünfte wie die Baracken an der Ziegelstraße, ohne Dämmung, oft ohne funktionierende Heizung und undicht, dienten der Unterbringung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Einige Familien mussten dort unter problematischen hygienischen Bedingungen mehrere Jahre verbringen (undatiert). (Fa. Altmann, Pfaffenhofen)
Belegungsstatistik einer Wohnbaracke, gegliedert nach Nationalität und Art des erlittenen Schadens bzw. Umstände der Ankunft in Pfaffenhofen. Unter „Wohnungsmangel“ fielen bombengeschädigte Pfaffenhofener, die in den letzten Kriegstagen obdachlos geworden waren. In den Baracken lebten Menschen verschiedenster Herkunft mit unterschiedlichen Erfahrungswelten nebeneinander (1948). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm Nr. 1632)
Einteilung einer der großen, knapp 300 Quadratmeter umfassenden Baracken an der Ziegelstraße mit Nutzungs- und Belegungsplan (1948). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm Nr. 1632)
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Wohnen und Leben in Baracken
In den Jahren 1948 und 1953 geriet jeweils eine von Vertriebenen be wohnte Baracke in Brand. Untragbare Verhältnisse hinsichtlich der Elektrik machten die Unterkünfte, deren nicht isolierte und genügend abgesicherte Leitungen direkt entlang der Holzwände verliefen, zu einer steten lebensbedrohenden Gefahr für die Bewohner. Die Baracke an der Einmündung Schützen-/Lohfeldstraße war in kürzester Zeit ein Raub der Flammen (1953). (Wolfgang Weber, Landshut)
Nach dem Brand standen nur noch die gemauerten Schornsteine, während die Wohnungen und alles Inventar vollständig vernichtet waren. Die geschädigten Familien mussten auf eine schnelle Unterbringung in einer anderen Wohnung hoffen (1953). (Wolfgang Weber, Landshut)
Bis zum Jahr 1958 waren Baracken im Bereich der Kellerstraße und des Ambergerweges sowie an der Ziegelstraße noch von Vertriebenen bewohnt. Auf wenig Raum lebten weiterhin viele Menschen zusammen. Ein Nikolausbesuch mit Polizeieskorte verschafft Kindern in einer der dicht belegten Baracken an der Ziegelstraße Freude (ca. 1955). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm, Repro Stefan Sauer)
Erste Fortschritte zeigten sich in den 1950er Jahren. Einzelne Baracken wurden umgebaut, bekamen eine Ummauerung oder wurden ganz durch Neubauten ersetzt (ca. 1955). (Fa. Altmann, Pfaffenhofen)
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Vertriebene und Politik in den Nachkriegsjahrzehnten Der Zustrom von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen besaß schon 1946 eine politische Komponente. Bei der Zulassung zu den ersten demokratischen Wahlen der Kreis- und Gemeindeparlamente waren viele der Neubürger ausgeschlossen, da ein sechsmonatiger Aufenthalt in der Gemeinde Voraussetzung für die Wahlberechtigung war. Aufgrund der in den Augen der Vertriebenen ungenügenden politischen Mitwirkungsmöglichkeiten gründeten sie 1948 im Landkreis mit der Wählerliste „Soziale Gerechtigkeit für Vertriebene und Heimatlose“ (SGVH) eine erste Vertretung ihrer Interessen. Ab 1950 waren sie bis Mitte der 1960er Jahre mit einer eigenen Partei, dem „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE), im Kreistag, bis 1972 im Stadtrat vertreten.
Stimmenanteil 1948 CSU SPD BP BHE sonstige
Stimmenanteil 1956
CSU SPD BP BHE
Wahl 1946 1948 1952 1956 1960 1966
CSU 30/65,4 % 17/35,9 % 14/30,2 % 19/43,2 % 24/52,7 % 25/53,9 %
SPD 10/23,3 % 7/15,0 % 7/16,3 % 9/19,9 % 8/18,6 % 10/21,6 %
BP 4/8,8 % 11/25,2 % 14/30,7 % 10/20,7 % --- / ----- / ---
Kreistagsergebnisse nach Sitzen und Stimmenanteilen
BHE --- / --10/22,0 % 10/21,5 % 7/16,2 % 5/11,7 % 2/5,6 %
FWG --- / ----- / ----- / ----- / --8/16,9 % 6/14,2 %
KPD FDP 2,5 % 1,5 % 1,3 %
NPD
Stimmenanteil 1966 CSU
1/2,4 % 1/2,3 %
SPD FWG BHE sonstige
Entwicklung der mit dem Rückgang des Anteils des B Entwicklung der Stimmenanteile Stimmenanteileim imKreistag Kreistag1948/1956/1966 1948/1956/1966 mit dem Rückgang des Anteils des BHE
Erste Seite eines Flugblatts aus dem Jahr 1948, das zu Flüchtlingsdemonstrationen in Pfaffenhofen vor dem Landratsamt und in Wolnzach führen sollte. Die darin anklingende Regelung des Vertriebenenproblems rief bei den Betroffenen einen Sturm der Entrüstung hervor. Durch die Demonstrationen versuchten sie, eine bessere politische Vertretung zu bekommen, die Bildung einer eigenen Liste sollte ihren Anliegen mehr Gewicht verschaffen. (Staatsarchiv München, LRA 136951)
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Wohnungsnot und Siedlungsbau Die Verwendung von Wirtssälen, Hallen und dem RAD-Lager sowie von Holzbaracken und Privatwohnungen war ein Anfang, um notdürftig Unterkünfte für Vertriebene zu gewinnen. Diese provisorischen Maßnahmen konnten mit dem Beginn von staatlich gefördertem Siedlungsbau schrittweise überwunden werden. Sowohl in Pfaffenhofen wie in verschiedenen Gemeinden im Landkreis gelang es, Wohnraum zu schaffen und die herrschenden Probleme abzubauen. Der Prozess sollte sich über rund zehn Jahre erstrecken, ehe 1958 die letzten Baracken abgebrochen und durch „Schlichthäuser“ in Einfachbauweise abgelöst wurden.
Der durch den Zweiten Weltkrieg (1939–1945) unterbrochene Siedlungsbau sollte nach 1948 das Wohnungsproblem lösen. In einigen Gemeinden wie im damals noch zum Landkreis Ingolstadt gehörigen Markt Manching entstanden Siedlungen mit meist zwei unterschiedlichen Haustypen, die prägend für die Epoche der Nachkriegsjahre waren. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MArb Landesflüchtlingsverwaltung 1589)
„Schafft Wohnraum“ war eine Aktion des Landratsamts Pfaffenhofen. Durch den Verkauf von Ansichtskarten, die der Maler Michael P. Weingartner (1917–1996) von verschiedenen Motiven des Landkreises gestaltete, wurden zusätzliche Mittel für genossenschaftlichen Wohnungsbau gewonnen. (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
1950 durch die Kreiswohnungshilfe an der Kohnlestraße errichtete Mehrfamilienhäuser standen am Anfang der beginnenden Bautätigkeit in Pfaffenhofen, die schrittweise die Wohnungsnot in der Stadt linderte (2016). (Andreas Sauer)
Die an einem der Gebäude noch erhaltene, von Michael P. Weingartner verfasste Darstellung des St. Martin mit Inschrift an einem der Gebäude nimmt Bezug auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund: „In den Jahren 1948/50 erbaute der Kreis, aus staatl. & eigenen Mitteln, zur Linderung der Wohnungsnot, diese Siedlung. MPW 1950.“ (2016) (Andreas Sauer)
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Wohnungsnot und Siedlungsbau
Blick auf die Stadt Pfaffenhofen von Süden. Im Vordergrund rechts sind Behelfswohnungen der Isar-Amperwerke zu erkennen, wo Heimatvertriebene, die bei dem Stromversorgungsunternehmen Arbeit fanden, wohnen konnten (ca. 1953).
Die „Herion-Siedlung“ entsteht! Ab dem Jahr 1953 wurden entlang der heutigen Wittelsbacherstraße durch den Firmeninhaber Ernst Herion, der mit seinem Unternehmen den Stammsitz in Berlin wegen der Kriegsgefahr hatte verlassen müssen, zahlreiche Zweifamilienhäuser errichtet. Betriebsangehörige konnten sie zunächst auf Erbpacht, später zu vollständigem Eigentum erwerben. In jedes der Gebäude musste eine Vertriebenenfamilie aufgenommen werden (1953). (Manfred Habl)
Rechtsanwalt Hans Demmelmeier (CSU), kurzzeitig Bürgermeister und mehrere Jahre Bundestagsabgeordneter, ging im Bereich Wohn raumbeschaffung mit einer Privatinitiative voran. Er stellte aus seinem Besitz in Angkofen Grund und finanzielle Mittel zur Verfügung, um einer Vertriebenenfamilie die Ansiedlung zu ermöglichen (1941).
Die ersten Häuser der Siedlung konnten 1954 bezogen werden. (Manfred Habl)
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Wirtschaft und ArbeiT Ein wichtiges Aufgabenfeld neben der Überwindung der Wohnungsnot war die Sicherung des wirtschaftlichen Überlebens der Vertriebenen. Einige von ihnen eröffneten 1946 erfolgreich Unternehmen mit bis zu 80 Mitarbeitern, die meist aus dem Kreis der Neubürger kamen. Sie verschafften diesen somit Arbeit und entspannten die prekäre Beschäftigungslage. Andere setzten auf „Ein-Mann“- oder „Eine-Frau“-Unternehmen und hielten sich damit über Wasser. Dennoch hatten viele Vertriebene keine andere Möglichkeit, als berufsfremd in der Landwirtschaft oder auf dem Bau zu arbeiten. Hohe Aufwendungen an Soforthilfe- und Fürsorgeleistungen waren Zeichen der anhaltenden Arbeitslosigkeit und der Strukturprobleme in einer landwirtschaftlich dominierten Region, die kaum Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des Agrarbereichs bot. Bis weit in die 1950er Jahre hinein lebte manche Vertriebenenfamilie am Existenzminimum.
Die Übersicht der bayerischen Arbeitsamtsbezirke macht das bestehende Missverhältnis zwischen dem Arbeitskräftebedarf in Großstädten und dem vorhandenen Überschuss an Arbeitern auf dem Land deutlich. Großstädte wie München und Nürnberg, die Arbeit in großer Menge zu bieten hatten, bekamen aufgrund zahlreicher zerstörter Wohnungen keine MitarbeiterInnen. Dagegen lebten auf dem Land, ohne verkehrstechnische Anbindung, zahlreiche arbeitsfähige Menschen, die wiederum dort keine Beschäftigung fanden. (Bayerischer Staatsanzeiger Nr. 21 vom 19. Oktober 1946)
Eine in Bayern einmalige Initiative auf Landkreisebene war die Organisation der Werbeschau „Flüchtlingshände arbeiten“. Sie sollte zum einen die Fähigkeiten der Flüchtlinge und Vertriebenen deutlich machen und zum anderen deren Bereitschaft zur Mitgestaltung der Zukunft ihres neuen Lebensraums signalisieren. Vertriebene hatten zu diesem Zeitpunkt im Landkreis in ihren Unternehmen mehrere Hundert Arbeitsplätze geschaffen. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, SdA, NL Mika 12)
Prof. Bruno Ernst Mika (1896– 1971) hatte bis zur Vertreibung aus seiner Heimat ein großes Textilunternehmen geleitet. Nach 1945 baute er es in verschiedenen Landkreisen wieder auf und wurde bis zum Jahr 1948 zum größten Arbeitgeber für Heimatvertriebene im Landkreis. (Bayerisches Hauptstaats archiv, SdA, NL Mika 1)
Lebenslauf und Werdegang der Heimatvertriebenen Anna Thanhäuser, die als Faktorin beim Textilunternehmen Mika in der Filiale Geisenfeld arbeitete, machen das Schicksal vieler Frauen deutlich, die von Flucht und Vertreibung besonders betroffen waren. Häufig trugen sie die Verantwortung für Kinder, Eltern oder Schwiegereltern während der Vertreibung, wenn der Mann in Gefangenschaft oder sogar gefallen war. Die Frauen organisierten Kleidung und Nahrungsmittel und kümmerten sich um Behördengänge am Ort ihrer Ankunft. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, SdA, NL Mika 12)
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Wirtschaft und ArbeiT
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Der aus Schlesien stammende Mechaniker Werner Strempel eröffnete noch 1946 ein erstes Unternehmen und erweiterte es im November 1947 zu einer Zylinderschleiferei. In einer der Baracken an der Ziegelstraße etablierte er erfolgreich seinen Betrieb, der bis heute unter dem Namen Altmann fortbesteht (undatiert). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
Ansicht einer Drehbank im ersten Firmensitz an der Ziegelstraße (undatiert). (Fa. Altmann, Pfaffenhofen)
Auch in den Landgemeinden und Dörfern der Umgebung von Pfaffenhofen, die Vertriebene aufzunehmen hatten, kam es zu interessanten Unternehmensgründungen. Grete Techert und Franz Michelfelder etablierten 1945 in einem landwirtschaftlichen Anwesen in Eutenhofen das Werbeatelier „Pips“. Sie stellten Wer beprospekte, Flyer, Visitenkarten und Klischees her und bedienten neben dem hopfenverarbeitenden Sektor der Region Firmen und Unternehmen in ganz Süddeutschland. Bis 1953 bestand das Unternehmen in Eutenhofen, ehe die beiden Inhaber nach Stuttgart zogen (1949). (Stadtarchiv Pfaffenhofen a. d. Ilm)
Werner Strempel nahm im Jahr 1952 eine Anstellung in Johannesburg/Südafrika an und verließ Pfaffenhofen. Seinen Betrieb übergab er dem bei ihm arbeitenden Konrad Altmann (Foto), der als Heimatvertriebener aus Leitmeritz das Schicksal der Vertreibung erlitten hatte. Altmann übernahm das Unternehmen und baute es später am neuen Standort an der Luitpoldstraße aus (undatiert). (Fa. Altmann, Pfaffenhofen)
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Wirtschaft und Arbeit
Eröffnung der Gewerbeausstellung 1949. Vordere Reihe von links: Kreisflüchtlingsbeauftragter Dr. Oskar Dinkel, Kurt Diehl vom Neubürgerbund, Resident Officer Mehner von der US-Militärregierung und Ministerialdirigent Dr. Adam. (Donaukurier vom 6. Dezember 1949)
Nach dem großen Erfolg der Werbemesse von 1947 und dem Einschnitt der Währungsreform, die einerseits die ersehnte D-Mark als neue stabile Währung brachte, jedoch andererseits mit der Abwertung von Sparguthaben manchen Unternehmer in den Ruin trieb, initiierte der Neubürgerbund in Zusammenarbeit mit Stadt und Landkreis eine zweite Gewerbeschau, die die Angebotspalette speziell von Unternehmen Heimatvertriebener präsentierte. Der Maler und Grafiker Eduard Luckhaus (1910–1975) gestaltete die Anzeige zur „Flüchtlingsmesse“, die zwei Wochen lang im Dezember 1949 die Besucher in ihren Bann zog. (Donaukurier vom 3. Dezember 1949)
Anzeige der erfolgreichen Keramikfabrikation der Gebrüder Luckhaus (1949) (Donaukurier vom 3. Dezember 1949)
Auswahl von einigen im „Stegerbräukeller“ an der Kellerstraße gebrannten und bemalten Produkten aus der Fertigung der Gebrüder Luckhaus (2016). (Andreas Sauer)
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Erinnerung und Gedenken Der Verlust der Heimat stellte insbesondere für diejenigen Heimatvertriebenen, die als Jugendliche oder Erwachsene ihre vertraute Umgebung hatten verlassen müssen, eine große Belastung dar. Über die 1949 einsetzende Gründung von Landsmannschaften bestand jedoch die Möglichkeit, sich auch im neuen Umfeld an die verlorene Heimat zu erinnern und gemeinsam die vertraute Kultur und Musik zu pflegen und damit quasi „mitzunehmen“. Zugleich dienten diese Zusammenschlüsse der Bildung von Netzwerken und boten den Vertriebenen die Möglichkeit der Unterstützung in wichtigen Angelegenheiten.
Wichtig als Zeichen der Identifikation der landsmannschaftlichen Vertriebenenverbände im Landkreis war das Tragen der regionaltypischen Tracht. Zugleich waren die Landsmannschaften über ihre Öffentlichkeitsarbeit schnell etabliert und ins Vereinsleben der Stadt integriert. Schon ab 1949 nahmen Egerländer und Schlesier an Trachtenumzügen wie dem Trachtenfest der „Ilmtaler“ im Jahr 1952 teil. (Chronik der „Eghalanda Gmoi“)
Gründungsfoto der „Eghalanda Gmoi“ vom Januar 1949. Vorne in dunkler Kleidung Josef Kroha mit Frau und Heinrich Fischer, die als Initiatoren der „Gmoi“ in Pfaffenhofen fungierten. Mittlere Reihe außen: Josef Ambrosch; vordere Reihe ab 4. von rechts: Alfred Lang, Sofie Ambrosch, Gertraud Schnur, Anna Ambrosch; Hintere Reihe Mitte (nach links blickend): Alois Janka. (Chronik der „Eghalanda Gmoi“)
Die Schlesier, die wie die Egerländer ebenfalls 1949 einen Verband im Landkreis gegründet hatten, trafen sich regelmäßig in ihrem Stammlokal „Zur Lüftn“ in der Hohenwarter Straße. Johann und Elisabeth Altaner, die aus dem schlesischen Annaberg nach Pfaffenhofen gekommen waren, hatten bereits in ihrer Heimat einen Gasthof gepachtet und schufen für ihre Landsleute in Pfaffenhofen einen beliebten Ort zur Zusammenkunft (ca. 1986). (Stefan Sauer)
Die Pflege des heimischen Brauchtums, der Kultur und der Musik bildete einen wichtigen Bestandteil der Vereinsarbeit. Zweimal kam die „Egerländer Nachtigall“ Mimi Herold nach Pfaffenhofen und begeisterte und rührte zugleich die Zuhörer mit den Liedern aus der verlorenen Heimat (1963). (Chronik der „Eghalanda Gmoi“)
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Erinnerung und Gedenken Wichtig war für die Vertriebenen auch die Erinnerung an die Opfer der Vertreibung und an die im Krieg Gefallenen. Würdevolle Gedenkstätten entstanden auf dem Friedhof in Altenstadt und am Münchener Vormarkt. Fernab der Heimat erhielten die Vertriebenen eine Möglichkeit, ihrer Verwandten zu gedenken.
Die von Eduard Luckhaus entworfene und von Steinmetzmeister Walter Schuster, selbst Heimatvertriebener, ausgeführte Gedenkstätte der Vertriebenen am Friedhof in Altenstadt wurde am 11. Oktober 1959 eingeweiht. Sie trägt die Inschrift „Den Opfern der Vertreibung – den Toten in der Heimat – den Gefallenen und Vermißten“, erinnert mit den drei durchbrochenen Kreuzen an die Toten der Heimat und ist nach Osten angelegt, um symbolisch Richtung Heimat zu blicken (1959).
Das Gedenken an die Gefallenen des Krieges und die Spätheimkehrer, die zum Teil erst mehr als zehn Jahre nach Kriegsende zurückkehrten, war auch ein wichtiges Anliegen der Heimatvertriebenen. Spätheimkehrer aus ihrem Kreis konnten sich nicht mehr in ihre eigentliche Heimat begeben, sondern mussten nach langem Leid in Krieg und Gefangenschaft in fremder Umgebung einen Neuanfang versuchen. Im Juli 1957 wurde zum Gedenken an ihr schmerzhaftes Schicksal am Münchener Vormarkt ein von Steinmetzmeister Franz Gary nach Entwürfen von Sigi Braun geschaffenes Denkmal mit dem Schriftzug „Wir mahnen“ eingeweiht, das an die Schrecken des Krieges und das Schicksal der Heimkehrer erinnert (1957).
Leo Schurius während einer Ansprache anlässlich des „Tages der Heimat“ zum Gedenken an die Opfer des 4. März 1919 bei der Gedenkstätte in Altenstadt (2000).