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Wie weiter?
Moral in der Klimadebatte...
Trotz oder wegen des technischen Fortschritts ist der Klimawandel eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Zugleich ist er hochkomplex. Der Mensch sieht sich mit einem Phänomen konfrontiert, das der Philosoph Günther Anders als „prometheische[s] Gefälle“ (Anders 1961: 16) bezeichnete: Die Kluft zwischen dem, was der Mensch herstellen und tun kann, und zwischen dem, was er sich vorstellen und verantworten kann. Wir sind heute mit einer überbordenden Kontingenz der Welt konfrontiert und können zeitgleich auf Hochtechnologie zurückgreifen, über deren Folgen wir uns nur teilweise bewusst sind. Dazu ist der Klimawandel ein globales Problem: Wie kann man weltweiten Konsens zu Entscheidungen finden, welche die Auswirkungen der Erderwärmung vorbeugen sollen? Angesichts dieser Ungewissheit und des zeitgleich dringenden Entscheidungsbedarfs wird nicht selten moralisch argumentiert. Laut sind die Forderungen nach einer neuen Umweltethik. Kann die Moral also richtungsweisender Impulsgeber für die politische, persönliche u.a. Entscheidungsfindung sein? Oftmals dient der moralische Maßstab als Gegenentwurf zum ökonomischen Primat. Zu prüfen ist, ob er auf der Suche nach einer Richtung des Fortschrittsbegriffs – zwischen Nachhaltigkeit und Wachstum gerade im Klimawandel – zielführend ist.
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Bei Moral handelt es sich um einen sehr ambivalenten Wirkmechanismus. Darauf wies bereits Niklas Luhmann hin (vgl. Luhmann 2008: 102). Kommuniziert man moralisch, werden Streit und Kampf wahrscheinlicher. Denn: Moral ist mit Achtungszuweisung und -entzug gekoppelt. Sie betrifft außerdem die ganze Person („Können wir diese Person noch zum Essen einladen?“).
von Katrin Klubert
Moralische Kommunikation funktioniert mit den Kategorien gut und böse; sie integriert die Guten, zu denen sich der Sprecher meist selbst zählt, und pathologisiert nahezu das andersartige Böse. Dabei ist die Kategorienbildung höchst subjektiv, denn es gibt keine letzte, höchste Instanz, die über alle richtet und ein globales Moralverständnis inklusive näherer Handlungsanweisungen geben kann. Was für den einen gut ist, ist für den anderen böse. Besteht jedoch moral common sense, erbringt Moral eine beachtliche Integrationsleistung und gewährleistet Stabilität. Sie kann außerdem Motor für Reformprozesse sein, wenn der Veränderungswille hinreichend groß ist und gesellschaftliche Lernerfahrungen dauerhaft sichern (vgl. Schrape nach Gouldner 1960: 176). Dabei hat die Moral eine außerordentliche Reichweite in die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssysteme hinein, kann aber selbst keine Lösung produzieren, sondern ist auf die Programme unserer ausdifferenzierten Gesellschaft angewiesen – beispielsweise auf die Wissenschaft oder auf die Wirtschaft (Zivilklausel oder Sozialhilfe).
Sie integriert und exkludiert, sie stabilisiert und verändert, sie generalisiert und individualisiert (vgl. Luhmann 2008, Schrape 1988). Dieses dem Umfang des Artikels geschuldeten lückenhaftes Mosaik der Argumentationen für und wider Moral offenbart zumindest, dass ebenjene nicht eindimensional als angemessenes Mittel zur Debattenführung zu bewerten ist. Schon an der RWTH Aachen University herrscht großes Potenzial zur Diskussion über die Schwerpunkte, die wir zum Maßstab des Fortschrittes nehmen sollen: Ökologische Nachhaltigkeit und/ oder ökonomisches Wachstum? Wir bewegen uns hier, was den moralischen Konsens angeht, auf unbekanntem Terrain. Global ist es diesbezüglich noch unsicherer. Warten wir darauf, dass sich ein Wandel der (globalen) Moralvorstellungen hin zur Einmütigkeit einstellt? Angesichts der Dringlichkeit und des Handlungsbedarfs bezüglich des Klimawandels droht Zeitknappheit. Anstatt durch moralische In- und Exklusion in Debatten, die letztendlich zum unproduktiven Streit führen, wäre es womöglich an der Zeit über Alternativen nachzudenken: Welche Lernprozesse könnten Moral reformerisch verändern? Welche Formate für moralische Diskurse wären sinnvoll, um Kommunikation über moralische Vorstellungen ohne Achtungszuweisung und Achtungsentzug möglich zu machen? Und in Anbetracht des Klimawandels: Welcher Handlungsantrieb böte, ließe man moralische Argumentationen aufgrund der zu großen Divergenzen außen vor, eine ähnlich einigende und starke Motivationsleistung und wären im gleichen Maße anschlussfähig?
Davon zu unterscheiden ist freilich das Nachdenken über Moral unter Berücksichtigung der Begrenztheit der eigenen Perspektive und ebenso der lebensweltliche moralische Konsens, der stabilisiert und ordnet. Um jedoch eine Lösung oder einen Ansatz für Veränderung zu finden, bedarf es mehr als die „Ökoromantikerin“ oder den „Finanzhai“. Es braucht eine differenzierte und respektvolle Auseinandersetzung.
Anders, Günther (1956): Die Antiquiertheit des Menschen. Band I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: C. H. Beck.
Gouldner, Alvin W. (1960): The Norm of Reciprocity: A Preleminary Statement. In: American Sociological Review, 25. Jhg., Nr.2, S.161-178.
Luhmann, Niklas (2008): Die Moral der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Schrape, Klaus (1978): Theorien normativer Strukturen und ihres Wandels, Teil II: Zur Rekonstruktion und Kritik der Theorie von Talcott Parson, Ralf Dahrendorf und Niklas Luhmann. In: Paul Trappe (Hg.), Social Strategies. Monographien zur Soziologie und Gesellschaftspolitik, Bd. 9. Basel: Peter Lang.