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Tomaten über den Wolken

VERTICAL FARMING

Bereits im Jahr 2050wird unsere Erde laut dem mittleren Abschätzszenario der UN von 9,6 Milliarden Menschen bevölkert sein (Klingholz 2014). Vor dem Hintergrund der aktuellen Problematik der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung stellt sich nicht nur die Frage, wie dieser Planet die Menschenmassen ernähren soll, sondern auch die, wie er im Zuge dessen selbst bestehen kann.

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Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden bereits 800 Millionen Hektar als landwirtschaftliche Nutzfläche beansprucht, was einem prozentualen Anteil von 38% der gesamten Oberfläche der Landmassen entspricht. Durch die prognostizierte Zunahme der Bevölkerung wird eine zusätzliche Fläche von 109 Hektar notwendig sein, um die Bäuche der 9,6 Milliarden Menschen zu füllen. Diese Fläche wäre größer als Brasiliens gesamte Staatsfläche (vgl. Despommier 2010). Die heutige Landwirtschaft zeichnet sich nicht nur durch ihren immensen Flächenverbrauch aus, sie gilt auch als Hauptverursacher der Wasserverschmutzung. Sie begünstigt durch ihre Monokulturen die Verbreitung von Infektionskrankheiten wie Tollwut, Malaria und Gelbfieber und führt zu unerforschten Gesundheitsrisiken durch den Einsatz von Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden. Schlechte Arbeitsbedingungen auf den Feldern der Bauern, geringe Bezahlung, die Gefahr des Angriffs von wilden Tieren und die sich stetig vergrößernde Kluft zwischen Arm und Reich sind nur einige zusätzliche Argumente dafür, dass die heutigen Landwirtschaftsmethoden dringend hinterfragt werden müssen.

Im Jahr 1999 entwickelte ein amerikanischer Professor der Columbia University in New York, Dr. Dickson Despommier, zusammen mit seinen Student_innen ein vielversprechendes, später unter dem Namen „Vertical Farming“ bekanntes, Anbaukonzept. Die Studierenden erhielten die Aufgabe, ein Szenario zu entwerfen, in dem die Bewohner_innen Manhattans durch Nutzpflanzen auf den Dächern versorgt werden sollten. Es zeigte sich, dass die verfügbare Anbaufläche nicht genügte. Die Idee, inmitten der Stadt auf den Dächern Manhattans weitere Stockwerke zu installieren und somit eine Vergrößerung der verwendbaren Fläche herbeizuführen, wurde geboren. (vgl. Ressourceneffizienzatlas 2011)

Diese sogenannten Farmscraper, ausgestattet mit modernsten Technologien, sind landwirtschaftliche Hochhäuser, die zukünftig in den

von Jana Weber

Metropolen der Welt integriert werden könnten. Unterschiedliche Stockwerke bieten eine sterile und regulierbare Umgebung für verschiedene Nutzpflanzen. Die Technologien sind simpel aufgebaut. Im Fokus stehen erdlose Anbaumethoden und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Die Pflanzen werden in so genannten Hydrokulturen angebaut. Das heißt, die Wurzeln der Pflanze befinden sich in einem wässrigen Substrat, statt im Erdboden. Abhängig von der Art der Pflanze ist hier bereits eine Flächenersparnis von mindestens 1:4 zu erzielen. Weitere Effizienzsteigerungen sind über die Reglung von Parametern wie des pH-Wertes, der Temperatur sowie der optimalen Lichtintensität zu erreichen (vgl. Cox 2009). Nährstoffüberwachungssysteme, Messapparaturen, die Aussagen über den Reifezustand der Pflanzen geben, und Frühwarnsysteme, die den Ausbruch von Krankheiten überwachen, vervollständigen die Technologie und sorgen für den bestmöglichen Ertrag pro Flächeneinheit (vgl. Ressourceneffizienzatlas 2011).

Eben genannte Einstellungen schaffen in jedem Stockwerk und auch für einzelne Pflanzen ideale Bedingungen. Durch die aufwändige Anlagentechnik scheinen auf den ersten Blick die Kosten für zum Beispiel Strom und Wasser am meisten ins Gewicht zu fallen. Hierbei kommt nun der Gedanke der Kreislaufwirtschaft ins Spiel.

Das Wasser durchfließt in einem Kreislauf verschiedene Stockwerke und befriedigt dort unterschiedliche Bedürfnisse der Pflanzen und Tiere. Stockwerke mit Fischzucht bedürfen Frischwasser und produzieren nährstoffreiches Abwasser durch die Ausscheidung der Fische von Ammonium als Endprodukt. Der Kreislauf schließt sich durch ein die einzelnen Stockwerke verbindendes Leitungssystem. Hier eine Veranschaulichung des Prinzips: Das Wasser aus einem Zuchtbecken für Forellen wird in einem anderen Stockwerk Tomatenpflanzen zugeführt und deren transpiriertes Wasser kann als Frischwasser zurück ins Forellenbecken geleitet werden.

Der Stromkreislauf einer vertikalen Landwirtschaft funktioniert ganz ähnlich. Die für die Beleuchtung und den Betrieb der Geräte erforderliche Energie lässt sich intern durch die Vergasung anfallender Pflanzenreste gewinnen. Reicht der im Kreislauf fließende Strom nicht aus, kann eine zusätzliche Einspeisung von außen durch regenerative Energien (Installation von Windrädern, Solarzellen, Wasserkraftwerken) erfolgen.

Schließlich bleibt die Frage offen, ob die auf diese Weise produzierte Nahrung den Gelüsten der heutigen Gesellschaft genügt und auch geschmacklich überzeugen kann. Mithilfe der gerätetechnischen Installationen kann nicht nur Einfluss auf den Ertrag genommen werden, sondern es ist beispielsweise auch eine Steuerung der Flavonoidkonzentration möglich. Diese ist für die Süße der einzelnen Pflanzen zuständig und damit bei vielen Arten hauptverantwortlich für den Geschmack (vgl. Cox 2009). Auch sorgen kurze Transportwege und die Vermeidung von langen Kühlungs- und Lagerzeiten für die Frische der Lebensmittel - ein weiteres Qualitätskriterium ist erfüllt.

Vertical Farming besitzt also ein bedeutendes Potenzial, die städtische Bevölkerung von Metropolenregionen nachhaltig zu ernähren. Gleichzeitig wird durch den Wegfall benötigten Ackerlandes eine Rückführung großflächiger Landschaften in den ursprünglichen Zustand ermöglicht. Der großflächige Einsatz von Pestiziden und Herbiziden wird durch die sterile Umgebung und eingebaute Überwachungssysteme überflüssig. Auch die Abhängigkeit fossiler Rohstoffe ist geringer, da landwirtschaftliche Fahrzeuge im Rahmen des Vertical Farming nicht von Nöten sind.

Das Konzept des Vertical Farmings scheint hinsichtlich eines nachhaltigen Wachstums perfekt auf die Bedürfnisse der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts abgestimmt zu sein; dennoch bleiben einige Fragen bis heute offen. Wie ist der finanzielle und ökologische Aufwand bei dem Bau der Hochhäuser zu bewerten? Noch sind keine offiziellen Vergleiche mit der heutigen Landwirtschaft möglich. Auch der Mehraufwand für Beleuchtung und Bewässerung in großen Höhen ist nicht geklärt und kann zusätzliche technische Probleme hervorrufen. Ferner gilt es, Fragen der Ethik zu stellen. Inwiefern ist Tierhaltung in Farmscrapern umzusetzen und zu verantworten? Letztendlich trägt die Bevölkerung die entscheidende Rolle dazu bei, ob die Nahrung aus dem Wolkenkratzer akzeptiert wird und in den Supermärkten von morgen zu finden ist.

Cox, J. (2009): What is Vertical Farming? In: On earth. 06.11.2009 Online verfügbar unter: http://archive.onearth.org/blog/ what-is-vertical-farming [Zugriff am 20.04.2016]

Despommier, D. (2010): The Vertical Essay. Abstract. In: The Vertical Farm. Feeding the World in the 21st Century. Online verfügbar unter: http://www. verticalfarm.com/?page_id=36 [Zugriff am 20.04.2016]

Klingholz, R. (2014): Absage an den Untergang. Warum noch in diesem Jahrhundert die Weltbevölkerung zu schrumpfen beginnt – auf die Hälfte von heute. Ein Szenario. In: Zeit Online. 06.02.2014. Ausgabe 07. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/2014/07/ szenario-schrumpfende-weltbevoelkerung [Zugriff am 19.04.2016]

Ressourceneffizienzatlas (Hg.) (2011): Vertical Farming. In: Ressourceneffizienzatlas. Online verfügbar unter: http://www. ressourceneffizienzatlas.de/beispiele/ detail/article/vertical-farming.html [Zugriff am 20.04.2016]

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