CORONA
TAGEBUCH 20.03.20 bis 25.03.20
von Sepp Laner
CORONA-VORSORGE.
CORONA TAGEBUCH
ZUHAUSE BLEIBEN, RUHE BEWAHREN! Bitte befolge die Hygiene- und Verhaltensregeln und nimm diese ernst. Das schützt dich und andere. 1M
WASCHE dir häufig die Hände.
Halte mindestens einen Meter ABSTAND zu anderen.
VERMEIDE Umarmungen und Händeschütteln.
BEDECKE beim Niesen oder Husten MUND und NASE.
FASSE dir NICHT an Augen, Nase oder Mund.
Mach TELEARBEIT oder nimm dir FREI.
GEH NUR DANN INS KRANKENHAUS, wenn es sich nicht vermeiden lässt.
REINIGE OBERFLÄCHEN gründlich mit DESINFEKTIONSMITTELN auf Alkohol- oder Chlorbasis.
WICHTIGE VORSCHRIFTEN! Menschenansammlungen sind verboten. Eingeschränkte Bewegungsfreiheit: Das eigene Zuhause darf nur aus triftigen Gründen verlassen werden.
DU DENKST, DU BIST INFIZIERT?
BLEIB ZU HAUSE UND RUF DEINEN HAUSARZT AN. Für allgemeine Informationen zur Corona-Vorsorge kannst du dich an die Grüne Nummer 800 751 751 wendenn. Mehr Infos online unter provinz.bz.it/coronavirus
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WIE LANGE
LÄUFT DAS JETZT SCHON?
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ir kommt vor, als wäre jeden Tag Sonntag. Auch heute. Aber heute ist Freitag, der 20. März. Und gestern war Josefi. Was da so alles zusammenkam, wenn man auch nur ein paar Mal über den HandyBildschirm wischte und die Facebook-Einträge vorüberflimmern ließ. Alles dicht beieinander. Ärzte und Pfleger mit Masken, Tiroler Fahnen, die Nationalhymne Italiens, die auf Balkonen gesungen wird, Sänger, Künstler und Sportler, die zuhause sind und zum Daheimbleiben auffordern, Politiker, die in regelmäßigen Abständen informieren, immer neue Zahlen vorlegen, an den Zusammenhalt appellieren, allen das Daheimbleiben dringendst ans Herz legen und vor Fake News warnen. Keine Unwahrheit waren die Bilder des Militärkonvois, der am Tag vor Josefi Särge mit Dutzenden von Toten zur Einäscherung in andere Städte brachte, weil die Krematorien in Bergamo überlastet waren. Diese Bilder haben mächtig beeindruckt. Weltweit. Gibt es eigentlich einen Schutzpatron für die ganze Welt? Das Coronavirus hat uns ganz schön flachgelegt. Alle. Fieberhaft wird versucht, der Ausbreitung Einhalt zu gebieten, Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln. Obwohl der ganze „Zauber“ fast den gesamten Erdball in Atem hält und alle nach Zusammenhalt schreien, ist es um diesen nicht immer gut bestellt. So gibt es neben vielen Heldinnen und Helden auch in diesen Zeiten Egoisten. Es sind Urinstinkte, die ausbrechen. Bei einzelnen Menschen ebenso wie bei Staaten, Nationen, ja ganzen Kontinenten. Alle wollen zunächst sich selbst schützen und absichern, a la „ich zuerst“. Das gehört wohl zur Natur der Zweibeiner. Zeiten diese holen den Menschen aber auch vom Thron. Sie zeigen ihm, wie klein er im Grunde ist. Wir werden jetzt alle etwas demütiger. Und sehen Dinge, die immer da waren, die wir aber nicht bemerkten. Vielleicht irre ich mich, aber mir kommt vor, dass man die Vögel in letzter Zeit viel besser hört, vor allem in der Früh und am Abend, wenn die Dämmerung beginnt. Auch auf die Katze, die in der Sonne döst, bin ich etwas neidisch. Sie
kann ungestört durch die leeren Gassen streifen. Anzeichen dafür, dass die Natur wieder mehr Platz bekommt, gibt es derzeit viele. Die Natur kehrt in dem Maß zurück, in welchem wir sie verlassen. Am Himmel sind derzeit nur mehr wenige Kondensstreifen von Flugzeugen zu sehen. So manchem wird jetzt auch bewusst, wie schön der Frühling ist oder wie wertvoll ein Gruß sein kann, auch wenn er über zusammengepresste Lippen aus der Distanz kommt. Auch ein kurzes Nicken aus einigen Metern Entfernung kann gut tun. Zu den erfreulichen Nachrichten des Josefi-Tages gehörte jene, dass aus China zum ersten Mal seit dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus keine lokalen Neuinfektionen mehr TAG gemeldet wurden. Das gibt Hoffnung, obwohl am selben Tag auch berichtet wurde, dass es in Italien mittlerweile mehr Todesfälle gibt als in China. Aber nun zurück in unser kleines 20.03.20 Land, zurück ins Internet. Wie sieht es heute mit der Zahl der Infizierten und Isolierten aus? Ist wohl nicht auch mein Dorf betroffen? Jetzt gibt es schon in fast allen Gemeinden Infizierte bzw. isolierte Menschen. Auch meine ist dabei. Da werde ich mir heute wohl den Schal um Mund und Nase binden, wenn ich einkaufen gehe. Und natürlich Abstand halten. Besser mehr als nur einen Meter. Ich weiß ja nicht, ob ich infiziert bin. Und von den anderen weiß ich es auch nicht. Also Abstand halten und einander etwas ausweichen. So wie es bei der Schrägbahn in Laas geschieht, wenn sich die gegenläufig fahrenden Wagen in der Mitte kreuzen und einander ausweichen. Dann geht es wieder gerade weiter. Am Tag vor Josefi hat uns übrigens der Schriftsteller, Maler und Prader Ehrenbürger Georg Paulmichl verlassen. Er schrieb den Satz: „Ich habe Glück gehabt, dass es mich gibt.“ Wir haben Glück gehabt, dass es ihn gab.
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Sepp Laner
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VERGLEICHE BRINGEN NICHTS
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s ist schon sonderbar. Jetzt, wo man keinen Wecker einzustellen braucht und bis zu Mittag schlafen könnte, erwacht man früher als normal. Wer das Glück hat, etwas Schönes geträumt zu haben, hängt während der ersten Sekunden des Halbwachseins noch seinem Traum nach. Dann aber überkommt uns sofort unser neuer gemeinsamer „Traum“: das Coronavirus. Ein Alptraum. Ist das Ganze überhaupt wahr? Ja, das ist es. Bevor ich mich heute darüber informiere, wo und wie stark die Zahlen der Infizierten, Toten und Isolierten über Nacht gewachsen sind, gehe ich zum Tabakladen und hole mir ein kostenloses Halstuch. Die Leute, die vor dem Laden stehen und in geordnetem Abstand auf ihren Zutritt warten, sehen irgendwie müde aus. Und etwas verängstigt. Keiner lacht, keiner lächelt. Und alle haben plötzlich viel Zeit, sehr viel Zeit. Wir erleben tatsächlich alle einen Alptraum und sind daraus noch nicht erwacht, zumindest nicht voll. Selbst bei kühlstem Kopf ist es nicht mehr leicht, die Dinge irgendwie einzuordnen. Wir besinnen uns auf das Westliche: Bin ich beschützt? Ist meine Familie in Sicherheit? Haben wir genug zum Essen im Haus? Und was ist, wenn ich nachts Fieber bekomme? Gleichzeitig machen wir uns Mut: Das wird schon wieder aufhören. Wir können uns auf unser Ärzte, Pfleger, Rettungshelfer und alle, die sozusagen an vorderster Front im Einsatz stehen, verlassen. Auch die Politik ist derzeit in besonderem Maß gefordert. Wenn immer mehr Regierungen weltweit auf Maßnahmen setzen, wie sie in China getroffen wurden, und wenn Italien europaweit das erste Land war, das dem Beispiel Chinas zu folgen versuchte, steckt in Wahrheit ein ganz simpler Gedanke dahinter: solange wir nicht imstande sind, das „Ding“ mit Medikamenten oder Impfstoffen in den Griff zu kriegen, bleibt uns nur eines übrig: die Ausbreitung des Virus zu unterbrechen. Und dazu gehören vor allem Ausgangssperren. Dass hierbei jeder Einzelne Opfer bringen muss, ist unvermeidbar. Was passieren kann, wenn man das „Ding“ frei laufen lässt, sehen wir
täglich in steigender Dramatik. Diskussionen über das Grundrecht der Bewegungsfreiheit halte ich in der derzeitigen Situation für fehl am Platz. In „normalen“ Zeiten werden mir als Einzelperson in einem demokratischen Staat keine Rechte beschnitten. In Situationen aber, in denen die mir auferlegten Einschränkungen unabdingbar sind, um die gesamte Gemeinschaft zu schützen, ist es meine Pflicht, diesen Beitrag zu leisten. Diese Pflicht erwächst aus dem, was der Mensch trotz der zahllosen Rückfälle seines Tuns auf der Erde wohl als eine seiner größten Errungenschaften betrachten darf: der Schutz der Gesundheit und Würde aller Menschen, egal ob alt, jung, weiß, krank, schwarz, gesund, körperlich oder geistig TAG eingeschränkt. Wenn dieser Damm bricht, werden wir wieder zu Barbaren: nur der Starke überlebt. Da fällt mir gerade ein, dass viele US-Amerikaner derzeit nicht nur Klo21.03.20 papier und Nudel hamstern, sondern auch Waffen und Munition. Es geht offensichtlich die Angst um, dass dem Staat die Zügel aus den Händen gleiten könnten. Vergleiche der Corona-Pandemie mit anderen Grippen, Seuchen oder weltweiten Missständen bringen uns nicht weiter. „Natürlich“ sterben weiterhin stündlich Tausende von Menschen an Hunger und Durst. Noch mehr Hungernde und Durstende wird es aber geben, wenn wir das „Ding“ nicht möglichst rasch in den Griff kriegen. Das „Ding“ hat offensichtlich schon jetzt das Potential entwickelt, die Zeit irgendwie neu berechnen zu müssen: die Zeit vor dem Virus und die Zeit danach. Nun aber genug für heute. Weg vom Computer, Händewaschen und hinaus in die „große weite Welt“: zuerst in das Bad, dann in die Küche und anschließend auf den Diwan. Und das Programm für morgen steht auch schon fest.
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Sepp Laner
BLEIBT GESUND! CORONA TAGEBUCH
#ichbleibezuhause
AKTUELLE NEWS:
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22.03.20
www.dervinschger.it
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WIE GEHT ES EUCH IN LONDON, PARIS, BRASILIEN UND DEN USA?
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ndlich Sonntag. Endlich kein Stress. Endlich Ruhe. Zu viel Ruhe. Abwechslung tut bitter not. Ich werde daher heute nicht zuerst in das Bad, in die Küche und dann in Stube gehen, sondern die Reihenfolge auf den Kopf stellen. Also zuerst in die Stube und ein bisschen schauen, wie es anderen Menschen auf der Welt so geht. Ziemlich verzweifelt zeigt sich ein Freund, der seit vielen Jahren in London lebt und arbeitet. Er ist seit 3 Tagen im Zwangsurlaub, hat einen Großeinkauf getätigt und sich dann in seiner Kleinwohnung in irgendeinem Hochhaus verschanzt. Fast in Streit geriet er auf dem Rückweg vom Supermarkt mit einem Touristen, der nach dem Namen einer Straße fragte und ihm dabei ziemlich nahe kam. „Er wollte einfach nicht einsehen, dass wir derzeit Abstand halten müssen.“ In London hätten viele Menschen von sich aus begonnen, Vorbeuge-Regeln gegen die Verbreitung des Coronavirus einzuhalten: „Die Regierung reagierte viel zu spät, knickte vor der Wirtschaft ein und tut auch heute noch viel zu wenig, um für diese Katastrophe einigermaßen gerüstet zu sein.“ Als Beispiel nennt er die fehlende Schließung von Schulen: „Vorgestern (20. März, Anm.d.R.) schaute ich vom Fenster aus auf den Schulhof, wo sich Dutzende Kinder tummelten. Nicht vorzustellen, was passiert, wenn einige Kinder infiziert sind und das Virus zu den Eltern oder Großeltern
tragen.“ Großen Sorgen macht sich mein Londoner Freund auch darüber, dass Großbritannien jetzt aus der Europäischen Union ausgeschieden ist: „Ich habe gehört, dass die EU bereit ist, Italien zu helfen, auch finanziell. Italien soll bekommen, was es braucht. Wir in Großbritannien sind jetzt allein. Wer hilft uns, wenn es wirklich ernst wird?“ Auch mit Hilfen aus dem EU-Rettungsschirm könne Großbritannien nicht mehr rechnen. Dass seit einigen Tagen keine Pubs mehr geöffnet sind und soziale Kontakte fast nur noch virtuell bzw. telefonisch erfolgen, bedauert er zwar sehr, „aber ich bin gerne bereit, dieses Opfer zu bringen. TAG Ich will niemanden anstecken und möchte auch nicht angesteckt werden.“ Auch für Freunde aus Paris, die am 14. März noch relativ unbesorgt an den Kommunalwahlen teilnahmen, 22.03.20 wobei alle ihren eigenen Bleistift mitnehmen mussten, hat sich das Blatt schlagartig gewendet: „Die Stichwahlen wurden am Tag nach dem ersten Urnengang auf unbestimmte Zeit verschoben. Jetzt sind auch wir hier alle eingesperrt. Die Bilder, die aus Italien erreichen, machen uns große Angst.“ Supermärkte und Apotheken seien zwar noch offen, aber sonst liege fast alles lahm. Supermärkte und andere wichtige Verkaufsstellen sind zwar auch in
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Brasilien offen, doch wie ich aus Brasilien höre, ist das Problem dort etwas anders gelagert: „Offene Supermärkte helfen wenig, wenn die Menschen kein Geld zum Einkaufen haben.“ Millionen von Menschen leben von der Hand in den Mund: „Wenn auch nur 2 oder 3 Tage kein Geld hereinkommt, fehlt vielen Familien das Essen auf dem Tisch.“ Erschwerend hinzu komme die unzureichende Ausstattung der Spitäler mit Personal und ärztlichen Geräten. Die größte Zeche werde wieder einmal das „povo“ zahlen müssen, sprich das Volk. Wenn man vom „povo“ spricht, sind nur die Reichen ausgenommen. Die Bewohner der vielen Armenviertel gehören hingegen dazu. Alles eher als beruhigend ist die Lage derzeit auch in den USA. Am 17. März fragte ein in New York lebender Herausgeber einer Webseite bei unserer Zeitung an, ob er Text und Fotos des Beitrages „Ausnahmezustand“ („Der Vinschger“ Nr. 10/11 2020) verwenden kann. Er hatte den Beitrag online gelesen. Zur Corona-Situation in den USA meinte er vor 3 Tagen, „dass wir hier in den USA Anzeichen großer Ungleichheit und Verletzlichkeit sehen. Die enorme Schwäche der Regierung ist offensichtlicher denn je.“ In seiner Nachbarschaft in New York achten die Bewohner sehr auf die Bedürfnisse älterer Menschen in der Nähe. „Natürlich haben ärmere Stadtteile ernstere Probleme, da die steigende Arbeitslosigkeit bereits erkennbar ist.“ – Oh mein Gott, jetzt ist schon Mittag. Die Glocken läuten auch heute wieder länger als gewöhnlich. In „früheren“ Zeiten ging mir das Geläute manchmal auf den Wecker. Auch wenn es nicht lange dauerte. Jetzt höre ich nicht ungern hin. Der Zweck des Geläutes hat sich während der Corona-Zeit radikal geändert. Die Glocken rufen die Gläubigen nicht zur Kirche, sondern laden sie ein, daheim zu bleiben.
Sepp Laner
TROTZ ALLEM: DIE MARILLENBÄUME BLÜHEN. FOTO: SEPP
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HEIMLICHES
KREUZZEICHEN
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ir ist es egal, welches Datum wir heute schreiben. Wichtig ist nur, dass die Sonne wieder aufgegangen ist. Wie schön wäre es jetzt, nach draußen zu gehen und im Freien einen Kaffee zu trinken. Von der Temperatur her müsste es passen. Aber es geht eben nicht. Also koche ich den Kaffee wieder zu Hause und schalte das Radio ein. Der Corona-Block ist schon vorbei. Jetzt kommt der Verkehrsfunk: nirgends staut es, Ruhe auf allen Straßen. Auch auf der Autobahn. Die Wettervorhersage ist nicht schlecht. Zumindest eine gute Nachricht. Viel nützt mir das jetzt aber auch nicht. Hatte ich es nach den ersten Corona-Einschränkungen noch gewagt, täglich am späten Nachmittag die Sonnenpromenade in Schlanders entlang zu spazieren, ist es seit drei Tagen auch damit vorbei. Das ist aber bei Gott das Kleinste aller Übel und überhaupt nicht der Rede wert. Bewusst wurde mir das, als ich beim letzten Spaziergang von der Promenade aus auf das Krankenhaus hinunterschaute. Von außen alles ruhig, neu, fast gespenstisch weiß. Was derzeit aber hinter den Glasscheiben und Fassaden abläuft, wage ich mir erst gar nicht vorzustellen. Ich „sehe“ Menschen, die an Atmungsgeräten angeschlossen sind, Ärztinnen und Ärzte in Schutzanzügen, Pflegerinnen und Pfleger, die sich über die Patienten beugen, Mitarbeiter des Weißen Kreuzes, die Patienten zum Pre-Triage-Zelt begleiten, in dem kontrolliert wird, ob sie Fieber haben. Ich stelle mir vor, wie die Reinigungskräfte die Böden schrubben und desinfizieren. Und ganz nebenbei gibt es auch noch die „normalen“ Patienten, die ebenfalls zu versorgen sind. Die „normalen“ Krankheiten und Leiden machen ja keine Pause. Die Liste der vielen „kleinen“, für die Betroffenen aber sehr großen Tragödien ist ellenlang. Man stelle sich nur vor, wie es ist, wenn man seine Lieben im Krankenhaus nicht besuchen kann. Nicht wissen möchte ich auch, was so manchen Mitarbeitern, die im Krankenhaus arbeiten (in welcher Funktion auch immer), durch den Kopf geht, wenn sie übermüdet zu ihren Familien nach Hause kommen, um sich für den nächsten
Turnus etwas auszuruhen. Dasselbe gilt auch für die Ärzte und das Pflegepersonal, die in den Gemeinden im Einsatz sind, sowie für die Rettungshelfer des Weißen Kreuzes, die rund um die Uhr gerufen werden. Nicht richtig ausmalen kann man sich als nicht direkt Betroffener auch die Angst- und Schuldgefühle jener Menschen, die in Quarantäne leben mussten bzw. noch immer müssen. Nur die Betroffenen wissen, wie ewig lang diese Tage und Nächte sein können. Bevor mir noch weitere Gedanken dieser Art zu Kopf steigen und viele andere Corona-Folgen - Stichwort Wirtschaft, Stichwort Arbeitsplätze, Stichwort Zukunft überhaupt -, wende ich den Blick vom Krankenhaus ab. Auf der Bank neben dem größten TAG Kastanienbaum, dem man entlang der Sonnenpromenade begegnet, liegt ein zusammengefalteter Zettel, angeschwert mit einem kleinen, ovalen Stein. Ich stupse den Stein mit dem 23.03.20 Fuß weg und entfalte den Zettel mit zwei Fingerspitzen. Es ist eine Eigenerklärung. Eine von jenen, die man während der ersten Phase der Corona-Krise mitnehmen musste. Als Begründung steht geschrieben: kurzer Spaziergang. Den Mut, den Kastanienbaum zu umarmen, hatte ich bei meinem Spaziergang nicht. Es könnte ja sein, dass kurz vorher jemand anderes den Baum berührt hat. Ich frage mich, ob ich nun so langsam wirklich hysterisch werde … Es sind dann drei Schafe, die ungestört und ungetrübt auf der Priel-Wiese weiden und die mich wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurückbringen und etwas Zuversicht aufkommen lassen: mein Gott, habt ihr es gut! Etwas weiter unten steht ein Mann vor einem Marienbildstock. Er zieht den Hut, hält kurz inne und bekreuzigt sich, irgendwie schnell und heimlich. Als auch ich zum Bildstock gelange, mache ich es ihm nach … schnell und heimlich ... obwohl mich keiner sieht.
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Sepp Laner
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ZEIT(EN)
UMSTELLUNG
I
st der Blick nach vorne trüb und unklar, entsinnt man sich der Vergangenheit. Mann oh Mann, wie schön doch unsere Kindheit war. Den ganzen Tag im Wald, auf den Feldern, bei den Tieren. Zu Mittag und am Abend brachten wir ein paar Abschürfungen mit nach Hause. Und einen riesen Hunger. Vor dem Einschlafen heckten wir schon die Abenteuer von morgen aus. Die Corona-Zeiten lassen uns nach alten Fotos stöbern, längst vergessene Alben abstauben oder verschollen geglaubte Liebesbriefe ausgraben. Ja, du selbst warst es, der diese Zeilen einst geschrieben hat. In der Zwischenzeit kann sich vieles geändert haben. Bei manchen brennt das „Ich liebe dich“ noch immer oder sogar noch stärker, bei anderen ist es erloschen und bei wieder anderen landeten die alten Briefe nach der Scheidung im Ofen. – Wie jung wir damals waren, wie ungestüm, wie frei von Sorgen, wie neugierig und wie versessen auf die Zukunft: es kann kommen was will, wir werden alles schaffen. Heute blickt dem einen im Spiegel eine Glatze entgegen, wenn er der Kopf ausreichend nach vorne beugt, und der anderen die eine oder andere neue Falte, wenn sie sich die Brille aufsetzt. Nun aber genug mit der Schwelgerei und ab in den Laden. Es ist kurz vor Mittag und der Andrang dürfte sich in Grenzen halten. Es stehen tatsächlich nur 5 Leute vor dem Geschäft. Einige mit Halstüchern um Mund und Nase. Man wechselt nur ein paar wenige Worte und hält Abstand. „Jetzt hat es uns alle ganz schön erwischt,“ sagt ein junge Frau. Ein wohl über 80-jähriger Mann nickt und setzt ein sonderbares Lächeln auf. Es ist nicht Schadenfreude. Es ist auch kein Grinsen und kein Spott. Ich kann dieses Lächeln nur schwer in Worte fassen. Irgendwie wollte der alte Mann wohl zum Ausdruck bringen, dass man nicht vergessen darf, wie es früher war und was die Menschen damals durchmachen mussten. Vielleicht wollte er mit dem Lächeln auch sagen, dass es an der Zeit war, dass die Menschen einen ordentlichen „Rüttler“ bekommen, weil nicht immer alles so weitergehen kann und darf
wie bisher. – Wie wird es weitergehen? Niemand weiß es genau. Sicher scheint vorerst zu sein, dass am 29. März die Uhren umgestellt werden. Es beginnt die Sommerzeit. Zeit zum Überlegen, ob die Zeiger nun nach vorne oder zurückgestellt werden müssen, haben wir derzeit genug. Erinnern Sie sich noch an die europaweiten Diskussionen und Debatten rund um den Sinn oder Unsinn der Zeitumstellung? Das „Ding“ hat nun dazu geführt, nicht über die Umstellung der Uhrzeit nachzudenken, sondern über eine Umstellung der Zeiten überhaupt.
Sepp Laner
5 TAG
24.03.20
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ZU EINEM
SPÄTEREN ZEITPUNKT
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er Seelenrosenkranz wird zu Hause gebetet. Die Beisetzung findet im engsten Familienkreis statt. Der Sterbegottesdienst wird gefeiert, sobald es die Umstände erlauben. Der Termin für die Trauerfeier wird später bekannt gegeben. Auf fast allen Partezetteln und auch in Todesanzeigen sind derzeit solche oder ähnliche Sätze zu lesen. Auch heute habe ich mich dabei ertappt, wie ich im Internet nachschaute, wer gestorben ist. Bei älteren Verstorbenen frage ich mich, ob sie möglicherweise infiziert waren. Das Coronavirus hat so ziemlich alles auf den Kopf gestellt. Auch das Sterben und die dazugehörigen Rituale. Es zerreißt einem das Herz, wenn man sich vorstellt, dass Sterbende allein aus dieser Welt scheiden müssen. Ohne ein Wort, ohne eine berührende Hand, ohne einen letzten Blick. - Gestern hat der Sanitätsbetrieb gemeldet, dass die Zahl der infizierten Menschen in Südtirol auf 789 gestiegen ist. Die Zahl der Verstorbenen wuchs auf 44, jene der Personen, die in verordneter Quarantäne leben müssen, auf 2.365, und die Zahl der intensiv Betreuten auf 48. In wenigen Stunden, kurz vor Mittag, werden wir die neuen Zahlen hören. Ich will sie aber nicht hören. Nicht schon am Vormittag. Am Abend ist es auch noch früh genug. Hoffentlich flacht diese verdammte Kurve endlich ab. Es wird schon wieder werden. Es muss wieder werden. Meinen drei Pflänzchen geht es indessen wunderbar. Ich rede ihnen gut zu und gieße sie mehrmals am Tag. Zu viel Wasser ist aber auch nicht gut. Da fällt mir gerade ein, dass wir immer und überall genug und gutes Wasser haben. Aus Indien, Brasilien und anderen Ländern wurde gestern berichtet, dass es zum Teil große Wasserknappheit gibt. Wie soll man sich da die Hände waschen? Hinzu kommt, dass Millionen von Menschen kein Geld haben, Lebensmittel zu kaufen, geschweige denn Desinfektionsmittel oder Masken, wenn es solche denn überhaupt gibt. - Bevor ich die Wohnung für einen Einkauf verlasse, fallen mir die neuen Einschränkungen ein. Mal
schauen, wie viele Schritte es bis zum Geschäft sind und wie weit ich mit 200 großen Schritten komme. Wer die Einschränkungen nicht beachtet, muss jetzt mit Strafen von 400 bis 3.000 Euro rechnen. Bis zu 5 Jahre Haft könnten jenen blühen, die in verordneter Quarantäne sind und sich vorsätzlich nicht an die damit verbundenen Auflagen halten und die Wohnung verlassen. - Im Stiegenhaus werfe ich einen Blick aus dem Fenster. Kein Mensch auf der Straße. Da schrillt plötzlich das Handy. Ich sehe eine Nummer, die ich nicht kenne. Gott sei Dank ist es nur eine Frau von der Gewerkschaft, die Termine für das Abfassen der Steuererklärung vereinbart. Ich habe die Wahl: irgendwann im Juli oder im August. Dass ich TAG sofort den Juli wähle, hängt wohl damit zusammen, dass ich mich brennend nach einer baldmöglichsten Rückkehr zur Normalität sehne. Wie derzeit wohl alle. Sicher auch der Mann, 25.03.20 der an der Ecke der Straße mit seinem Hund auftaucht. Wir beginnen beide schon von weitem, eine Art Halbkreis zu ziehen, um einander nicht zu nah zu kommen. Geredet wird so gut wie nichts. Die Blicke sagen alles. Sogar das Hündchen wirkt etwas verdutzt. Warum streichelt mich keiner mehr? - Jetzt habe ich doch glatt vergessen, die Schritte zu zählen. Aber ich hole das auf dem Rückweg nach und gebe Ihnen morgen Bescheid.
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Sepp Laner
OBEN SCHNEE, UNTEN EIS. SO GESEHEN AM SPÄTEN VORMITTAG DES 24. MÄRZ IN SCHLANDERS. FOTO: SEPP
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Durchgehend geĂśffnet in Prad & Schlanders.
Wir sind fĂźr Sie da! Aufgrund der aktuellen Situation und vor allem zum Wohle unserer Kunden und der Allgemeinheit gelten in unseren Filialen folgende Regeln:
1m
ABSTAND HALTEN
BEGRENZTE ANZAHL AN KUNDEN
Unser Team leistet gewaltiges in diesen Tagen! La nostra squadra fa un lavoro eccezionale! #danke #grazie
Rungg Thomas nes n a H g g n u R d un