Corona Tagebuch 3

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CORONA

TAGEBUCH 01.04.20 bis 07.04.20

von Sepp Laner


WIR für Schlanders! CORONA TAGEBUCH 3

In diesen schwierigen Zeiten halten WIR zusammen. Darum: ...verschieben WIR Einkäufe, die nicht unbedingt gebraucht werden. ...kaufen WIR diese Dinge ein, sobald unsere Geschäfte vor Ort wieder geöffnet sind. ...bestellen WIR dringendes telefonisch oder online bei unseren Unternehmen vor Ort. So unterstützen WIR unsere Unternehmen, stärken die Wirtschaft und sichern die Arbeitsplätze vor Ort. Kaufen wir regional! Erhalten WIR uns GEMEINSAM lebendige & lebenswerte Orte!


CORONA TAGEBUCH 3

WAS IST JETZT PLÖTZLICH

MIT DEN GROSSEN LOS?

Z

u gerne hätte ich heute jemanden in den April geschickt: Hast du schon gehört, dass die Corona-Zeit vorbei ist? Getan habe ich es aber doch nicht. Erstens, weil ich niemanden traf, dem ich den „Aprilscherz“ hätte erzählen können und zweitens, weil mir keiner geglaubt hätte. Auch nicht ein Kind. Apropos Kinder: was geht derzeit in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen vor? In den meisten Fällen werden die Eltern den Kleinen auf einfache Art erklären, was es mit dem Coronavirus auf sich hat und wie gefährlich es für die Gesundheit ist. Dennoch bleiben sicher viele Fragen offen. Die Kinder wundern sich, dass die Welt derzeit anders ist als sonst immer: Was ist jetzt plötzlich mit den Großen los? Warum gehen sie nicht mehr zur Arbeit? Warum dürfen wir nicht mehr in den Kindergarten, auf den Spielplatz und in die Schule? Dank der digitalen Techniken können viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwar mit Hilfe des Fernunterrichts die Schulbank sozusagen zu Hause drücken, aber dasselbe ist das natürlich nicht. Es fehlen die Klassengemeinschaft, der direkte Kontakt mit den Lehrpersonen, die gemeinsamen Späße nach dem Unterricht und vieles mehr. Außerdem müssen viele Eltern plötzlich zusätzlich „Lehrer“ spielen. So manchen wird wohl erst in diesen Wochen bewusst, was die Kinder in der Schule so alles lernen müssen. Wie vieles andere wird auch das heurige Schuljahr als ein besonderes in die Geschichte eingehen. Noch ist vieles offen, man denke nur an die Maturaprüfungen. Sicher ist, dass die CoronaZeiten Lernzeiten für alle sind. Eine Art Lebensschule, nicht nur für Kinder und junge Menschen. Wenn man zum Beispiel einen heute 14-Jährigen in 30 Jahren fragen wird, wie seine Schulzeit war, wird er sich sicher an das Corona-Jahr erinnern. Nicht der erlernte Unterrichtsstoff wird ihm in den Sinn kommen, sondern die Schließung der Schule, der Unterricht zu Hause und wie sich alles nur mehr um dieses eine Thema drehte. Wenn ich an meine Grundschulzeit zurückdenke,

fällt mir zuerst jenes Jahr ein, in dem wir eine ganze Woche lang schulfrei hatten. Nicht wegen eines Virus, sondern weil es derart ergiebig geschneit hatte, dass für einige Zeit niemand man mehr aus dem Haus kam. Schlimm war das keineswegs. Im Gegenteil. Wie man auf das, was wir heute erleben, in Zukunft zurückschauen wird, bleibt natürlich abzuwarten. Noch können wir das Ganze nicht richtig einordnen. Wir sind noch immer in einer Art Schockstarre. Wir sind mittendrin und versuchen Atem zu holen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Sepp Laner

13 TAG

01.04.20


CORONA TAGEBUCH 3

BANKLHUCKN „Wann macht ihr das Gasthaus wieder auf?“ Mit der Zeitung unter dem Arm und einem Halstuch um Mund und Nase antwortet mir der Gastwirt aus ein paar Metern Entfernung: „Wahrscheinlich erst im Mai. Wie es derzeit aussieht, bringt es nichts, vorher zu öffnen. Es ist alles drunter und drüber. Mach’s gut und bleib gesund.“ Nach ein paar Worten ist das Gespräch vorbei. Wir wissen beide, warum. Jeder kehrt derzeit nach kurzen, notwendigen Ausgängen in seine eigenen vier Wände zurück, obwohl es dort für immer mehr Menschen immer enger wird. „Vielen Leuten schlägt das Ganze so langsam aufs Gemüt“, hatte mir der Gastwirt noch nachgerufen. Ich weiß nicht warum, aber in den letzten Tagen denke ich immer öfter an das Banklhuckn. Man sitzt auf einer Bank im Freien zusammen und redet miteinander. Über das Wetter natürlich, die Neuigkeiten aus dem Dorf, die Politik, über Menschen, die jetzt im Altersheim wohnen, über Bekannte, die gestorben sind, über den Milchpreis, den Absatz der Äpfel, über Gott und die Welt. Es kommt oft weniger auf die Inhalte der Gespräche an, sondern auf das „Ratschen“ selbst. Einige Eremiten und einsame „Steppenwölfe“ gibt es zwar immer, aber in der Regel ist der Mensch ein soziales Wesen. Er braucht mehr als nur sich selbst. Er braucht die Familie, die Freunde, den Verein, die Gemeinschaft, in welcher Forma auch immer. Brechen soziale Kontakte ab oder werden diese beschnitten, wie es derzeit aufgrund der Corona-Krise leider sein muss, geht es vielen Menschen an die psychische Substanz. In diesem Sinn kann die Corona-Zeit auch als Anlass genutzt werden, darüber nachzudenken, was Gemeinschaft eigentlich ist. Keine Politiker und Entscheidungsträger kommen beim Corona-Thema ohne Worte wie Zusammenhalt, Gemeinschaft oder Zusammenstehen aus. Anstelle von individualistischen, materialistischen und konsumistischen Lebensanschauungen und Einstellungen, wie sie sich in den Jahren vor der Corona-Zeit immer stärker ausgebreitet haben, reden jetzt alle von Solidarität und globaler Verantwortung. Oft bleibt es aber nur bei leeren Phrasen. Wenn bestimmte Dinge auf der Welt knapp werden, wie es derzeit etwa bei Atmungsgeräten, Masken

oder Schutzanzügen der Fall ist, wird gelinde gesagt gerauft. Dass die „stärksten“ Staaten eher zu diesen Dingen kommen, liegt auf der Hand. Ich wage mir erst gar nicht vorzustellen, was passiert, wenn dieses verdammte Virus in sogenannten armen Ländern in vollem Ausmaß einschlägt, wie etwa in Indien, weiten Teilen Südamerikas oder in Afrika. Auf der Ebene der kleinen Gemeinschaften funktioniert Solidarität viel besser. Es ist erstaunlich, wie schnell und wie stark Solidarität von unten wachsen kann: freiwillige Hilfe von Menschen für Menschen. Auch im Vinschgau gibt es diesbezüglich viele schöne Beispiele. Genau das ist gelebte Gemeinschaft. Die Zeit, darüber und über viele andere Dinge auf einer Bank reden zu können - nebeneinander, ohne Maske und mit Blickkontakt - wird (hoffentlich) bald wieder kommen. Bis dahin werde ich weiterhin TAG dem Computer gut zureden und das Handy „streicheln“.

Sepp Laner

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02.04.20


CORONA TAGEBUCH 3

GUT BESCHÜTZT: DAS ÄGIDIUSKIRCHLEIN IN KORTSCH HINTER EINEM BLÜHENDEN PALABIRNBAUM. FOTO: DANIEL TRAFOIER


CORONA TAGEBUCH 3

GROSSARTIG, GRAUSAM,

UNERBITTLICH

G

estern Abend wurde ich zum wiederholten Mal „Gefangener“ des CoronaFernsehens. Wie fast jeden Abend. Die Journalisten in- und ausländischer Fernsehsender haben inzwischen so gut wie das gesamte Aufgebot, was es an Wissenschaftlern und Experten gibt, aus den Forschungsstätten und Labors hervorgeholt. Man will endlich handfest und aus sicherer Quelle erfahren, was es nun genau ist, dieses Coronavirus. Einhellig, übereinstimmend und wirklich erschöpfend sind die Antworten der Wissenschaftler bisher nicht. Das hat wohl einen ganz simplen Grund: die Wissenschaft hat das Coronavirus noch nicht zur Gänze erforscht. Das Einzige, was man derzeit tun kann, ist es, die Ausbreitung zu verhindern. Heute in der Früh hörte ich, dass mittlerweile rund die Hälfte der Menschheit isoliert ist. Die Zahl der Infizierten beläuft sich weltweit auf über eine Million. Damit die Erkrankten versorgt werden können und die „eingesperrten“ Menschenmassen zum Lebensnotwendigsten kommen, sind bestimmte Arbeiten und Dienste unerlässlich. Man spricht von „Systemrelevanz“. Auf dem Hin- und Rückweg zur Arbeit habe ich heute einige Personen, die „systemrelevante“ Arbeiten und Dienste verrichten, gesehen: eine Krankenpflegerin, einen Arzt, einen Briefträger, einen Bankangestellten, Inhaber und Mitarbeiter von Lebensmittelgeschäften und Tabaktrafiken, Mitarbeiter der Sozialdienste, einen Apotheker. Vollständig ist diese Liste natürlich nicht. So fehlen etwa die Carabinieri, Finanzbeamten, Gemeindepolizisten und Förster. Wenn derzeit im Dorf Fahrzeuge verkehren, sind es zumeist Autos von Ordnungskräften oder Lieferwägen mit Waren, die online bestellt wurden. Irgendwie muss das System weiterlaufen. Um dem Virus endgültig Einhalt zu gebieten, ist ein geeigneter Impfstoff wohl unerlässlich. Die ganze Menschheit wartet derzeit auf ein Wundermittel. Sigmund Freud sieht in seinem Werk „Die Zukunft einer Illusion“ (1927) die wichtigste Aufgabe der Kulturarbeit darin, „uns gegen die Natur zu vertei-

digen, gegen die Elemente, die Krankheiten und das quälende Rätsel des Todes.“ Und weiter: „Mit diesen Gewalten steht die Natur wider uns auf, großartig, grausam, unerbittlich, rückt uns wieder unsere Schwäche und Hilflosigkeit vor Augen, der wir uns durch die Kulturarbeit zu entziehen gedachten.“ Man kann zu Freuds Thesen stehen wie man will. Vom Coronavirus konnte er nichts wissen, aber seine drei Adjektive treffen auf unseren neuen, unsichtbaren und gemeinsamen Feind mit Sicherheit zu: großartig, grausam, unerbittlich. - Ein Wort des Jahres brauchen wir heuer nicht zu suchen. Ein Unwort auch nicht.

Sepp Laner

15 TAG

03.04.20



CORONA TAGEBUCH 3

HOLZHACKEN WÄRE MIR LIEBER

N

och einmal die Hände waschen, den Schlauchschal überziehen und endlich raus. Nicht in die Redaktion, sondern zu einem Interview-Termin auf einer Wiese im Freien. Mein Gesprächspartner ist Bauer. Ich bin sicher nicht der einzige, der schon seit Wochen jene beneidet, die in der Natur arbeiten können oder die im Garten, im Keller, im Dachgeschoss oder im Hobbyraum eine Beschäftigung finden. In Zeiten wie diesen ist das ein Glück. Immer öfter sehne ich mich jetzt nach einer „richtigen“ Arbeit. Ich meine eine Arbeit mit den Händen. Holzhacken zum Beispiel. Ich würde es vorziehen, am Abend mit Schwielen an den Händen nach Hause zu kommen und hundsmüde ins Bett zu fallen, als Tag für Tag nur mehr am Computer oder über Telefon zu arbeiten. Da stumpft man als Schreiber irgendwie ab. Man ist nicht mehr direkt dabei. Es fehlt die Würze in der Suppe. Fotos werden vielfach nur mehr aus dem Archiv herausgesucht. Im Vergleich zu anderen Berufen bzw. Arbeiten haben es die meisten Medienleute derzeit aber dennoch irgendwie gut. Sie können in den Redaktionen oder zu Hause arbeiten und werden bezahlt. Da geht es vielen anderen viel schlechter, nicht nur vielen Arbeitnehmern, sondern auch vielen Betrieben in vielen Bereichen, vor allem den kleinen und kleinsten. Die oben genannte Sehnsucht kann andererseits auch wieder ziemlich rasch schwinden, wenn man zum Beispiel daran denkt, dass Viehbauern das ganze Jahr über im Stall „gefangen“ sind, Bauarbeiter oft bei Minusgraden im Zugluft Mauern verputzen oder Apfelbauern bei der ärgsten Kälte Bäume schneiden. Es hat eben alles zwei Seiten. Auf das Coronavirus scheint das nicht zuzutreffen. Es kennt keine geografischen Grenzen und es unterscheidet nicht zwischen arm und reich, weiß und schwarz, männlich und weiblich. Es ist in diesem Sinne höchst demokratisch. Und es produziert - abgesehen von allen schwerwiegenden, weitreichenden und sicher lange andauernden Folgen im wirtschaftlichen und sozialen Gefüge der Staaten und Kontinente – auch viele andere

Nebenwirkungen, die auf den ersten Blick gar nicht so auffallen, weil das Virus viele „normale“ Dinge einfach in den Schatten stellt oder sie mit seinem gewaltigen Sog nach unten zieht. Erst heute habe ich bemerkt, dass ich schon seit Wochen keine Anrufe mehr von irgendwelchen Telefon-, Energie- oder Gasgesellschaften bekomme. Geändert haben sich auch die Inhalte der Werbeblöcke im Fernsehen. Es wird zwar sporadisch dieses oder jenes neue Auto angepriesen, aber der Schwerpunkt der Werbung hat sich auf das verlagert, was man in Corona-Zeiten noch kaufen kann. Das sind vor allem Lebensmittel, Drogerieartikel und allerhand Wohlfühlsachen. Mehrfach gefragt habe ich mich in letzter Zeit auch, wie sich TAG das Virus auf die nationalen und internationalen Verbrecherorganisationen auswirkt. Es wird wohl auch in diesen „Bereichen“ Einbrüche geben. Sicher ist aber, dass findige Bosse schon seit 04.04.20 langem damit begonnen haben, aus der Corona-Krise zu lernen und neue „Geschäftsfelder“ zu erschließen. Ich wage zu bezweifeln, dass alle öffentlichen Geldmittel, die jetzt vom Staat und der EU für die Ankurbelung der Wirtschaft ins Getriebe gepumpt werden, bei den richtigen Stellen ankommen. „Erfinderisch“ sind in diesem Sinn aber nicht ausschließlich Verbrecherorganisationen, sondern auch gewiefte Geschäftsleute. Hand in Hand mit Krisen, Kriegen und Katastrophen werden immer auch neue „Gewinner“ geboren.

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Sepp Laner


© IDM Südtirol/Kirsten-J. Sörries

BLEIBT GESUND! CORONA TAGEBUCH 3

#ichbleibezuhause

Der nächste

der Vinschger erscheint am: 22. APRIL 2020

AKTUELLE NEWS: www.dervinschger.it


CORONA TAGEBUCH 3

DIE

ERDÄPFELKÄFER „Geweiht sind sie nicht, aber du kannst gerne zwei Zweige mitnehmen und sie morgen weihen lassen“, sagte mir gestern eine Mitarbeiterin des Obst- und Gemüsegeschäftes in der Fußgängerzone in Schlanders. Vor dem Laden lag ein Bündel von Olivenzweigen. Heute ist Palmsonntag. Aus der Weihe in der Kirche wird nichts. Die Tür ist zu. Der Gottesdienst kann im Internet mitverfolgt werden. Es ist irgendwie komisch, wenn man sich vorstellt, dass ältere Menschen in der Küche oder Stube sitzen und am Computer, Notebook, Laptop oder gar auf dem Handy mit ihrem Pfarrer Gottesdienst feiern. Live-Streaming nennt sich das Ganze. Zu Ostern wird es dasselbe sein. Kurz nach Mittag komme ich doch noch zu einem geweihten Ölzweig. Er wird mir von einer Frau geschenkt, die mit dem Fahrrad heimfährt. Sie war im Vinzenzheim, wo Altdekan Josef Mair eine kurze Palmsegnung vornahm. - Manche Menschen suchen auch in der Corona-Zeit Kirchen und Kapellen auf, sofern diese geöffnet sind. Für ein kurzes, einsames Gebet. Oder für eine Bitte, wie sie zum Beispiel im Besucher-Buch in der Kirche Maria Lourdes in Laas zu lesen ist: „Bitte o Jungfrau, mach dass diese Zeit schnell vorübergeht. Danke“. Dieser Eintrag drückt aus, was wir uns seit Wochen alle wünschen: ein baldiges Ende dieser Katastrophe, dieser Pandemie und aller damit verbundenen Leiden, Nöte, Probleme und Schwierigkeiten. Das Coronavirus weckt auch das Interesse an Epidemien und Pandemien der Vergangenheit. So soll etwa die „Spanische“ Grippe, die zum Ende des Ersten Weltkriegs begann, weltweit bis zu 50 Millionen Menschen dahingerafft haben. Die Opferzahl von HIV (Immunschwäche AIDS) wird auf Wikipedia (freie Enzyklopädie) seit dem Auftreten 1980 bis jetzt mit 36 Millionen weltweit angegeben. - Die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben mich schon mehrfach an die Zeit erinnert, als wir vor etlichen Jahrzehnten als Kinder bei der Bekämpfung der Erdäpfelkäfer-Plage mithalfen. In der Zeit, als auf dem Acker noch keine Spritzmittel eingesetzt wurden, gingen

wir tagelang die Reihen auf und ab, schauten unter jedes Blatt der Erdäpfelstauden, sammelten die Käfer ein und erdrückten sie. Unser Vater kontrollierte regelmäßig, ob es noch Käfer an den Stauden gab. Weil er fasst immer noch auf den einen oder andern Käfer stieß, blieben wir Kinder im Einsatz. Am Ende aber haben wir den Kampf gewonnen. Die Freude beim Erdäpfel-Aufklauben war dann entsprechend groß. Und um bei der Ernte nicht zu fehlen, wurden manchmal sogar einige Schultage geschwänzt.

Sepp Laner

17 TAG

05.04.20


CORONA TAGEBUCH 3

SO VIELE „FREUNDE“ HATTE ICH NOCH NIE

„Wenn ich dich noch einmal beim Spazierengehen erwische, zeige ich dich an.“ Der Mann, der mit das vor ca. zwei Wochen zurief, wollte nur einen Scherz machen. Er suchte nach einer Gelegenheit, mit jemandem ein paar Worte zu wechseln. Heute in der Früh habe ich ihn erneut getroffen. Vor dem Zeitungsund Tabakladen. Er trägt einen Schlauchschal und bildet zusammen mit mir und 3 weiteren Kunden die „Abstands-Schlange“ vor dem Geschäft. Es darf immer nur eine Person hinein. Alle warten geduldig, bis sie an die Reihe kommen. Eilig hat es keiner. Die Lust für ein kurzes Gespräch ist zwar bei allen groß, doch man hält sich bewusst zurück. Abgesehen vom Abstand sind auch die Masken und Schals um Mund und Nase für einen „Ratscher“ nicht gerade förderlich, auch nicht für einen kurzen. So bleibt es meistens bei einem kurzen Gruß, einem Nicken oder einem aufmunternden Wort: Es wird schon wieder besser werden. Als ich in der Redaktion ankomme, zeigt mir das Smartphone an, wie viele Schritte ich ab Mitternacht bis jetzt (9.30 Uhr) gemacht habe: 2.177. Stimmen diese Angaben? Wie kommen sie nur dazu, meine Schritte zu zählen? Wissen sie auch, wohin ich gehe? Oder gar, was ich tue? Sicher ist, dass sie mehr wissen, als mir lieb ist. Es wurde mir schon etwas mulmig und bange, als ich vor wenigen Tagen las, dass der Google-Konzern vielen Regierungen anonyme Bewegungsdaten zur Verfügung gestellt hat. Dies deshalb, damit die Behörden während der Corona-Krise Informationen über die Verhaltenstrends der Bevölkerung erhalten und daraus Rückschlüsse ziehen bzw. Einschränkungsmaßnahmen setzen können. Mit Hilfe dieser Daten kann zum Beispiel aufgezeigt werden, wo und zu welcher Zeit am meisten Menschen unterwegs sind. Dass es sich um anonymisierte Daten handelt, beruhigt mich nicht wirklich. Denn die Daten sind erfasst und niemand kann garantieren, dass sie irgendwann nicht auch für andere Zwecke gebraucht bzw. missbraucht werden. Abgesehen vom Aspekt des Datenschutzes und des Rechtes auf Privatsphäre ist die virtuelle Welt

derzeit im Aufwind wie noch nie. Wenn zig Millionen von Menschen „einsperrt“ sind und direkte soziale Kontakte untersagt bleiben, verlagern sich die Kontakte und die Kommunikation auf die digitale, virtuelle Ebene. Das hat bekanntlich viele Vorteile, aber auch Nachteile. Noch nie habe ich dermaßen viele Freundschaftsanfragen auf Facebook bekommen wie in den vergangenen 4 Wochen. Ich habe plötzlich hunderte neue Freunde. Bei manchen habe ich die Anfrage nicht deshalb bestätigt, weil ich sie persönlich kenne, sondern weil sie bereits Freunde von einigen meiner Freunde sind. Obwohl die virtuellen Freundeskreise weltweit wachsen, heißt das noch lange nicht, dass im gleichen Ausmaß auch wirkTAG liche Freundschaften entstehen. Immer noch wahr ist, dass man wirkliche Freunde am Ende an einer Hand abzählen kann, auch wenn ein oder gar mehrere Finger fehlen.

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06.04.20

Sepp Laner


DIE „EISZEIT“ HÄLT AN, CORONA TAGEBUCH 3 NICHT NUR AUF DEN APFELWIESEN. SO GESEHEN AM 2. APRIL 2020 BEI ST. SISINIUS IN LAAS. FOTO: SEPP


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CORONA TAGEBUCH 3

ZUM WOHL

H

eute muss ich gestehen, dass ich mich gestern Abend etwas übernommen habe. Ziemlich viel Dosenbier und dann auch noch Wein. Etwas zu viel. Und alles vor dem Fernseher. Was habe ich eigentlich geschaut? Ach ja, Corona. In allen möglichen Sendern: Rai, ZDF, Schweizer Fernsehen, ORF, Italia 1, Rai Südtirol, ARD usw. Hätte ich nicht an das Fernsehschauen gedacht, wäre mir jetzt tatsächlich entgangen, dass wir in der Corona-Zeit leben. Aber es ist so. Dieses verdammte Virus nimmt alles in Beschlag. Auch die normale Zeitrechnung. Dass Frühling ist, spürt, hört und fühlt man. Um sich aber über andere Dinge Gewissheit zu verschaffen, muss man auf das Handy schauen, auf die Uhr oder auf den Kalender. Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, wie ich auf dem Kalender überprüfte, ob wir tatsächlich das Jahr 2020 schreiben. Ja, es ist so. Heute ist Dienstag. Wir sind in der Osterwoche. Ob heuer auch der Osterbrauch des „Ratschens“ ausfällt? Ich weiß es nicht. Mit dem Suchen der Osterhasen dürften sich viele Kinder nicht schwer tun, denn das „Revier“, innerhalb dem sie versteckt werden dürfen, ist eingeschränkt. Wie es die Menschen heuer mit dem Fasten halten, weiß ich auch nicht. In einem Getränkegeschäft sagte mir kürzlich eine Angestellte, dass der Wein das erste Getränk sein dürfte, das vermutlich ausgeht, und zwar zuerst in Spanien und dann in Italien. Ob das stimmt oder nicht, bleibe dahingestellt. Dass nicht wenige Menschen derzeit zu Hause mehr Alkohol trinken als in normalen Zeiten, wage ich schon zu vermuten. Als Beispiel nehme ich mich selbst. Apropos Alkohol: 3 Tage nach dem Beginn der Ausgangssperre stieß ich bei einem (kurzen) Spaziergang auf einen Mann, der alkoholabhängig ist, zumindest während bestimmter Zeiträume. Obwohl wir einander sonst immer grüßen und uns das eine oder andere Wort zuwerfen, fiel an diesem Tag kein einziges Wort. Der Mann war kreidebleich, lehnte an einem Geländer und starrte ins Leere. Es muss für ihn die Hölle sein, kein „Glasl“ mehr zu bekommen, nicht einen Euro in der Hosentasche zu haben, um in einem Geschäft Wein zu kaufen, und keine Menschen mehr auf der Straße zu treffen, die ihm

etwas Kleingeld geben könnten. Kälter kann ich mir einen Entzug nicht vorstellen. Das ist nur eine von unzähligen kleinen, für die Betroffenen aber großen Tragödien, die uns das Coronavirus beschert. Da geht es jenen, die jeden Abend virtuell miteinander anstoßen können, noch gut. Auch wenn man das Glas nicht direkt bis zum Glas seines Gegenübers reichen kann, sondern nur zur Bildfläche des senkrecht „aufgebockten“ Handys: Zum Wohl.

Sepp Laner

19 TAG

07.04.20


CORONA TAGEBUCH 3

IN NORMALEN ZEITEN WÜRDE MAN IN DER FUSSGÄNGERZONE IN SCHLANDERS SICHER NICHT AUF SO SCHÖNE

KINDERMALEREIEN

STOSSEN.

FOTO: SEPP


CORONA-VORSORGE. ZUHAUSE BLEIBEN, RUHE BEWAHREN! Bitte befolge die Hygiene- und Verhaltensregeln und nimm diese ernst. Das schützt dich und andere. 1M

WASCHE dir häufig die Hände.

Halte mindestens einen Meter ABSTAND zu anderen.

VERMEIDE Umarmungen und Händeschütteln.

BEDECKE beim Niesen oder Husten MUND und NASE.

FASSE dir NICHT an Augen, Nase oder Mund.

Mach TELEARBEIT oder nimm dir FREI.

GEH NUR DANN INS KRANKENHAUS, wenn es sich nicht vermeiden lässt.

REINIGE OBERFLÄCHEN gründlich mit DESINFEKTIONSMITTELN auf Alkohol- oder Chlorbasis.

WICHTIGE VORSCHRIFTEN! Menschenansammlungen sind verboten. Eingeschränkte Bewegungsfreiheit: Das eigene Zuhause darf nur aus triftigen Gründen verlassen werden.

DU DENKST, DU BIST INFIZIERT?

BLEIB ZU HAUSE UND RUF DEINEN HAUSARZT AN. Für allgemeine Informationen zur Corona-Vorsorge kannst du dich an die Grüne Nummer 800 751 751 wendenn. Mehr Infos online unter provinz.bz.it/coronavirus


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