Corona Tagebuch 4

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CORONA

TAGEBUCH 08.04.20 bis 15.04.20

von Sepp Laner


CORONA-VORSORGE.

CORONA TAGEBUCH 4

ZUHAUSE BLEIBEN, RUHE BEWAHREN! Bitte befolge die Hygiene- und Verhaltensregeln und nimm diese ernst. Das schützt dich und andere. 1M

WASCHE dir häufig die Hände.

Halte mindestens einen Meter ABSTAND zu anderen.

VERMEIDE Umarmungen und Händeschütteln.

BEDECKE beim Niesen oder Husten MUND und NASE.

FASSE dir NICHT an Augen, Nase oder Mund.

Mach TELEARBEIT oder nimm dir FREI.

GEH NUR DANN INS KRANKENHAUS, wenn es sich nicht vermeiden lässt.

REINIGE OBERFLÄCHEN gründlich mit DESINFEKTIONSMITTELN auf Alkohol- oder Chlorbasis.

WICHTIGE VORSCHRIFTEN! Menschenansammlungen sind verboten. Eingeschränkte Bewegungsfreiheit: Das eigene Zuhause darf nur aus triftigen Gründen verlassen werden.

DU DENKST, DU BIST INFIZIERT?

BLEIB ZU HAUSE UND RUF DEINEN HAUSARZT AN. Für allgemeine Informationen zur Corona-Vorsorge kannst du dich an die Grüne Nummer 800 751 751 wendenn. Mehr Infos online unter provinz.bz.it/coronavirus


CORONA TAGEBUCH 4

HAT ER

DAS VIRUS?

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aum zu glauben, wie meine 3 Pflänzchen jetzt Tag für Tag wachsen. Sie schießen buchstäblich in die Höhe. Gestern war ich im „Konsortium“ und habe einen kleinen Sack Blumenerde gekauft. Auch dort hieß es Abstand halten, Hände desinfizieren, einzeln eintreten und Mundschutz tragen. Die mit Mundmaske und Handschuhen „bewaffnete“ Verkäufern, die hinter einem milchigen Schutzverschlag saß, hatte für alle ein nettes Wort übrig. Und auch sie hörte von vielen Kunden: „Bleib gesund!“. Den Pflänzchen hat die Erde wohlgetan. Mir kommt vor, dass sie über Nacht schon wieder etwas gewachsen sind. Wachsen werden sie sicher immer, aber so gut beobachtet wie derzeit wurden sie dabei noch nie. Jetzt lassen sie sich auf dem kleinen Balkon von der Morgensonne wärmen. Auch Vögel lassen sich sporadisch nieder, zwitschern irgendetwas und sind wieder weg. Es ist jetzt wohl Paarungszeit. Fliegen habe ich in diesen Tagen auch schon vereinzelt gesehen. Den Tieren macht diese ganze Corona-Geschichte nichts aus. Jedenfalls nicht den wilden. Bei Haustieren allerdings dürften sich schon einige Veränderungen einstellen. Manchen Hunden und Hündchen wird es sonderbar vorkommen, dass sie seit einigen Wochen öfter als gewohnt ins Freie geführt werden. Ich kann mir vorstellen, dass so manche Frauchen und Herrchen ihre Hunde oder Katzen jetzt öfter streicheln und noch mehr lieben. Vor allem in Einzelhaushalten können treue Vierbeiner in Zeiten wie diesen eine große Hilfe und emotionale Stütze sein. In Wohnungen und Häusern hingegen, wo es nach wochenlangem Eingesperrtsein zu zwischenmenschlichen Spannungen kommt, wird sich der Hund oder die Katze in irgendeine Ecke verziehen, bis der „Sturm“ vorüber ist. Dass es weiterhin möglich ist, Tierfutter zu kaufen, ist nicht nur für die Tiere lebensnotwendig, sondern indirekt auch für die Tierhalter. Vielleicht trägt die Corona-Krise auch dazu bei, die Achtung und Wertschätzung den Tieren gegenüber zu steigern. Abrupt zu Ende bringt meinen „tierischen“ Gedanken-

ausflug ein kleiner Junge vor dem Gebäude, in dem ich arbeite. Bisher haben wir uns immer nur gegrüßt, doch heute reicht er mir spitzbübisch zum ersten Mal die Hand. Er weiß genau, dass man das derzeit nicht darf, und ich halte meine Hand mit einem Lächeln zurück. Zu seiner Mutter meint der Spitzbub: „Hat er das Virus?“

Sepp Laner

TAG

20 08.04.20


CORONA TAGEBUCH 4

IM RHYTHMUS BLEIBEN

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r hat in den vergangenen 4 Wochen mächtig Federn gelassen und ist für viele schon lange nicht mehr das bestimmende Element des Alltags: der Stress. Wo ist er nur hin? Es mag etwas paradox klingen, aber irgendwie fehlt einem die gewohnte Hektik doch. Mir jedenfalls ist es vor allem zu Beginn der Corona-Zeit so ergangen. Das Virus hat uns alle übermannt. Es wirbelte uns bei der Arbeit durcheinander, im privaten Bereich und vor allem im Gemeinschaftsleben. Kein Kinoabend mehr, kein Ausgehen mit Freunden, kein Theater, kein Gottesdienst, keine Chor- oder Musikprobe, kein gemeinsames Grillen, keine Wanderungen, kein Leben auf den Straßen und Plätzen, kein, kein, kein. Zu Beginn wirkte der „Einschlag“ wie ein Alptraum: das kann doch nicht wahr sein! Aber es ist wahr. Ich muss mir das jeden Tag neu einreden. Auch nach nunmehr 4 Wochen habe ich manchmal noch immer das Gefühl, nur zu träumen. Während der ersten Phase geriet mein gewohnter Tagesrhythmus ordentlich ins Wanken. Die Nacht wurde teilweise zum Tag und umgekehrt. Manchmal wachte ich um 3 Uhr in der Früh auf, trank Kaffee, suchte im Internet nach den neusten Corona-Nachrichten und war dann gegen 8 Uhr, als der Tag eigentlich beginnen sollte, wieder schlaff und müde. Erst mit der Zeit ist es mir irgendwie gelungen, einen neuen Rhythmus zu finden und (teilweise) auch einzuhalten. Geholfen hat mir dabei ein Gespräch, das ich vor etlicher Zeit mit einem älteren Mann geführt habe, noch vor Corona. Der Mann ist im Ruhestand und lebt allein. Ich fragte ihn, wie er die „langen“ Tage zubringt. „Ich habe meinen Rhythmus und den halte ich ein“, antwortete er. Sein Rhythmus besteht in der Abfolge vieler kleiner Dinge, die zwar banal oder gar langweilig anmuten mögen, für ihn aber die wichtigsten Sachen und Aufgaben im Alltag sind. Nach dem Aufstehen geht es zuerst ins Bad. Abwaschen und Zähneputzen. Er steht nie vor 7 Uhr auf, auch wenn er - was meistens passiert - schon Stunden vorher wach ist. Die Schlaflosigkeit sei zwar nicht

angenehm, mache ihm aber keine besonderen Sorgen: „Dann liege ich halt wach im Bett, raste, denke an jemanden oder an etwas und warte, bis es 7 Uhr wird.“ Zu den ersten Handlungen gehört das Frühstücken, für das er sich viel Zeit nimmt. Dann räumt er alles weg, nimmt Hut, Jacke und Stock und geht ins Freie: Schauen, was draußen los ist. Lässt es das Wetter zu, geht er zum Friedhof. Manchmal kauft er auch eine Kleinigkeit im Laden ein, lässt sich vom Gemeindearzt die „Pillen“ verschreiben und holt diese dann in der Apotheke ab. Das regelmäßige Einnehmen der „Pillen“ ist für ihn zu einer der wichtigsten Beschäftigungen geworden. „Heilig“ sind ihm auch das „Rasterle“ nach dem Mittagessen TAG und die Nachrichten am Abend. Und spätestens um 21.30 Uhr geht er ins Bett, mag im Fernsehen laufen, was will. Es ist dieser Rhythmus, den der Mann eisern und pflichtbewusst einhält und 09.04.20 der ihm Halt und Orientierung gibt. Ich für meinen Teil habe daraus gelernt, dass auch kleine Dinge, die einem sonst oft als nutz- und belanglos vorkommen, wichtig sein können. Ich verrichte sogenannte kleine Dinge jetzt zum Teil viel bewusster. Auch wenn es nur das Reinigen zweier Teller ist, das Putzen einer Fensterscheibe oder das Hinausschauen aus dem Fenster - ohne hierbei darauf zu achten, ob wohl niemand „illegal“ unterwegs ist.

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Sepp Laner


CORONA TAGEBUCH 4

OSTERN 2020

FOTO: SEPP


CORONA TAGEBUCH 4

STILLER FREITAG

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lage, Kummer, Trauer. Das sind Synonyme für das althochdeutsche „Kara“, von dem das Wort Karfreitag abgeleitet wird. Heute ist Karfreitag. Ein besonderer Freitag. Man nennt den Karfreitag auch „stiller Freitag“. Heuer trifft diese Bezeichnung im wahrsten Sinne des Wortes zu. Obwohl die Kirchenglocken und Orgeln auch bei „normalen“ Osterfeierlichkeiten ab dem Gottesdienst am Gründonnerstag bis zum Auferstehungsfest in der Osternacht schweigen, ist Ostern heuer anders. Wir wissen alle, warum. Viele Gläubige feiern Ostern im Fernsehen mit, im Radio, am PC oder Handy. Der Pfarrer kommt virtuell in die Stuben. Wie schon beim Tele-Unterricht in der Schule oder zum Teil auch bei der Tele-Arbeit in den eigenen vier Wänden, kann diese Art der Teilnahme an religiösen Feiern die bisher gewohnten Rituale nicht wirklich ersetzen. Außerdem sind nicht alle Menschen - vor allem nicht ältere - mit der nötigen Technik ausgestattet, um den Glauben „virtuell“ zu leben und erleben. Es fehlt die Gemeinschaft, auch die physische. Abgesehen von der religiösen „Hungerkur“ dürsten viele Menschen nach über einmonatiger Gefangenschaft vermehrt auch nach etwas weltlicher Freiheit. Nicht um Urlaub zu machen oder auszuspannen, sondern um zu arbeiten, draußen zu sein, andere Leute zu treffen und einfach wieder Mensch zu sein. Schon mehrmals habe ich in der Fußgängerzone beobachtet, wie sich ein Kaufmann etwas verstohlen in sein Geschäft schlich. Er schaute wohl nach, ob das, was er nicht verkaufen kann - jedenfalls nicht jetzt - noch da ist. Und um nicht gar nichts zu tun, kam er mit dem Besen heraus, fegte rasch den Eingang sauber und riss das Grünzeug aus, das in der Ecke wischen Mauer und Straße hochgewachsen war. Nach getaner „Arbeit“ machte er sich wieder rasch nach Hause. Ich wage zu wetten, dass wir in den Geschäften und Gastbetrieben nach der Corona-Zeit auf außergewöhnlich freundliche Verkäufer*innen und Gastwirte*innen stoßen werden. Aber bis dahin müssen wir

uns noch in Geduld üben, durchhalten und hoffen. Dafür braucht es Kopf und Herz gleichermaßen. Hausverstand, Feingefühl und Augenmaß sind besonders in der jetzigen Phase auch seitens der Ordnungskräfte gefragt. Natürlich sind alle Regeln und Vorgaben von allen einzuhalten. Bestimmte Vorschriften scheinen aber doch etwas engmaschig zu sein. So etwa die Vorgabe, dass bei Trauerfeiern höchstens 10 Personen (inklusive Dienstleister vor Ort) anwesend sein dürfen. In einem Friedhof im Burggrafenamt fand am heutigen Karfreitag die Verabschiedungsfeier für eine Frau statt, die am Dienstag gestorben ist. Sie hatte 14 Kinder, die alle noch leben.

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10.04.20



CORONA TAGEBUCH 4

PFERDE STATT GÄSTE

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ird alles gut? Ja, es wird alles gut. Die Frage ist nur, wann. Eine genaue Antwort weiß noch niemand. Die Hoffnung und der Glaube aber, dass wieder alles gut wird, ist unübersehbar. Die Botschaft hängt an Balkonen von Häusern und Wohnungen, am Haus der Lebenshilfe, beim Bürgerheim und an vielen anderen Stellen. Neben der Aussage, dass alles gut wird, stechen auch die Farben der Plakate ins Auge. Es sind bunte und frohe Farben, die Hoffnung vermitteln. Stille liegt in der Luft, Ruhe. Das passt eigentlich gut zum heutigen Karsamstag, dem Tag der Grabesruhe. Erst wenn es rundherum ruhig wird, hören und sehen wir Dinge, die sonst fast immer unbemerkt bleiben. Auf der Wiese vor dem Landhotel, die ich vom Balkon aus sehe, hat es in der Vergangenheit zu Ostern immer nur so gewimmelt von spielenden Ferienkindern. Jetzt sind es die Pferde des Bio-Reiterhofs, die dort grasen und mit ihren Schweifen die Fliegen verjagen. Wie wird es jetzt wohl am Gardasee sein? Normalerweise hetzen um diese Zeit tausende Urlauber zum See. Auch viele Südtiroler. Heuer ist damit nichts. Auch das internationale Dreiländerrennen auf Schöneben, das normalerweise immer am Ostermontag stattfindet, hat das Corona-Virus verschluckt, das Haflinger-Galopprennen in Meran und unzählige weitere Veranstaltungs-Fixpunkte. Über das gesellschaftliche, sportliche, kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Leben hat sich ein Schleier gelegt, der alles bedeckt. Fix ist fast nichts mehr. Alles fließt, sagte seinerzeit Heraklit (πάντα ῥεῖ). Was heuer und möglicherweise auch darüber hinaus noch alles „fließen“ wird, kann derzeit niemand sagen. Auch wenn das Virus unsichtbar ist und wir noch keinen wirklichen Schutzschild dagegen haben, wird es der Mensch besiegen. Schon viel zu lange Zeit frisst sich das Corona-Virus durch die Völker auf der ganzen Welt. Es trifft die Gemeinschaften und es trifft jede einzelne Person. Den Ärmsten verwehrt es sogar das tägliche Brot oder ein Bett im Krankenhaus. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die

materiellen und seelischen Wunden, die das Virus weltweit aufreißt, vernarben werden. Die Hoffnung, dass wir eine bessere Welt bekommen werden, gebe ich aber dennoch nicht auf. Die Chance dafür haben wir. „Alles wird gut“ ruft mir auch Pater Max vom obersten Stockwerk des Bürgerheims zu. Er hält 4 Finger in die Höhe und will damit sagen: „Seit 4 Wochen sind wir hier ‚eingesperrt’“. Niemand darf hinein, niemand hinaus. Sicher ist, dass diese Zeit ein Ende finden wird. In diesem Sinn ist jeder Tag, den wir jetzt diszipliniert und „brav“ hinter uns lassen, ein kleiner Erfolg. Der Countdown läuft.

Sepp Laner

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11.04.20


© IDM Südtirol/Kirsten-J. Sörries

BLEIBT GESUND! CORONA TAGEBUCH 4

#ichbleibezuhause

Der nächste

der Vinschger erscheint am: 22. APRIL 2020

AKTUELLE NEWS: www.dervinschger.it


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DIE FREIHEIT ENDET DORT, …

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s ist zwar hell und klar, aber so ungetrübt wie in den vergangenen 2 Wochen - es können auch 3 gewesen sein - ist der Himmel heute nicht. Es liegen ein paar Schleierwolken über St. Martin im Kofel, dem Hasenöhrl, über Tappein und dem Zerminiger. Die Wolken kommen von Osten. In Richtung Westen ist der Himmel stahlblau. Kein Flugzeug weit und breit. Der Verkehr in der Luft liegt flach. Die Vinschger Bahn verkehrt noch. In reduzierter Form. Wenn man die Ohren gut spitzt, hört man sie in der Ferne über die Gleise fegen. Auch heute. Am Ostersonntag. Es ist der 12. April. Was am 12. April vor 10 Jahren in der Latschander geschah, bleibt unvergessen. 9 Menschen haben beim Zugunglück das Leben verloren. 28 wurden verletzt, einige davon schwer. Die ursprünglich für heute geplante Gedenkveranstaltung wurde wegen Corona verschoben. Das Coronavirus bringt alles durcheinander. Seit Wochen leert es Straßen, Plätze und Kirchen. Als ich gestern am Nachmittag durch die Fußgängerzone ging, habe ich nur eine einzige Person getroffen. Einen Mann mit Mundmaske und einem zweirädrigen Handwagen. Auf dem Wagen befanden sich zwei kleine Kühlbehälter. Es war der Eismann, der das bestellte Eis von Wohnung zu Wohnung brachte. Heute am Vormittag treffe ich in der Zone niemanden. Der Brunnen auf dem Hauptplatz wartet noch auf den Frühjahrsputz. Wasser rinnt noch keines. Im leeren Becken sind noch Konfetti aus der Faschingszeit zu sehen. Bunte Papierschnipsel, die mich an den Umzug erinnern. Tausende haben am 22. Februar in der Zone gefeiert und gelacht, auch über das Coronavirus. Nun hält uns dieses Virus alle gefangen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dass unter dem Hauptplatz der Mühlbach in Richtung Mühlgasse vorbeirauscht, fällt unter „normalen“ Umständen kaum jemandem auf. Heute ist der Bach gut zu hören. Neben dem Gezwitscher der Vögel ist es das einzige Geräusch, das ich im Herzen des Dorfes höre. Von weit her, aus der Richtung von Göflan, vernehme ich Schafschellen und das ferne

Rauschen der Etsch. Am höchsten Kirchturm des Landes wehen zwei gelb-weiße Kirchenfahnen still im milden Osterwind. An der Anschlagtafel der Gemeinde hängt das Protokoll der letzten Ausschusssitzung (31. März 2020) und die Bettelei-Verordnung aus dem Jahr 2014. Alles andere verläuft wohl digital, virtuell oder wie man die neue Art der Kommunikation auch nennen mag. In einem der schmalen Schaufenster hängen Schlüssel und liegen Brillen, bereit zum Abholen im derzeit geschlossenen Fundamt. Gegenüber der geschlossenen Kirchentür stoße ich auf einen Karton mit gesegneten Palmzeigen zum Mitnehmen. Im Friedhof ist es noch stiller als sonst. Nur sehr wenige Leute gießen die Blumen oder TAG zünden eine Kerze an. Je älter man wird, umso größer wird die Zahl jener Menschen, die man gekannt hat und die jetzt im Friedhof ruhen. Man erinnert sich daran, wie die Verstorbenen 12.04.20 aussahen, wer sie waren, was sie machten, wie sie lebten, wie sie lachten und wie sie weinten. Und man erinnert sich vor allem an das, was man gemeinsam gemacht hat. Beim Denkmal zu Ehren der Gefallenen und Vermissten der zwei Weltkriege fällt mir wieder das Coronavirus ein: Nein, mit derartigen Ereignissen lässt sich die Corona-Krise nicht vergleichen. - Unten in der Göflanerstraße ist auch alles still. Am Busparkplatz steht ein Bus mit geöffneter Tür. Niemand steigt ein oder aus. Gestern habe ich mehrmals gehört, dass sich immer mehr Menschen über die Einschränkungen aufregen, besonders über die Einschnitte der Bewegungsfreiheit. Natürlich ist die Bewegungsfreiheit ein Grundrecht. Aber auch diese Freiheit endet dort, wo das Recht der anderen, in diesem Fall das Recht von uns allen, beginnt: das Recht auf Gesundheit.

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Sepp Laner


CORONA TAGEBUCH 4

ZU VIEL SCHAUM AUS DER DOSE

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enn ich den ganzen Tag nichts tue, fällt mir auch das bisschen, was eigentlich getan werden müsste, schwer. Jede Kleinigkeit wird mir lästig und zu viel. Zum Beispiel das Rasieren. Warum auch? Soll er doch wachsen, der blöde Bart. Immer weißer wird er auch noch. Auf das Klo gehe ich nur, weil es sein muss. Mehr schaffe ich heute nicht. Höchstens noch einen Kaffee werde ich machen. Und zu Mittag wärme ich das Kraut auf, das ich gestern Abend übrigließ. Eine Wurst ist auch noch da. Das reicht vollkommen für den heutigen Ostermontag. Vielleicht verzichte ich heute sogar auf die 200-Meter-Runde im Freien. Und der neue „Pass“, sprich die Eigenerklärung, kann mir gestohlen bleiben. Da fällt mir gerade ein, wie ich die Runde legal strecken könnte: hält man mich auf, sage ich, dass ich zur Bank muss. Diese liegt Gott sei Dank in der anderen Richtung des Lebensmittelgeschäftes. So bringt mir schon allein der Gang zur Bank einige hundert Meter ein. Und dann kommt noch der Weg zum Einkaufen dazu. Hin und zurück machen in etwa 700 Meter. Ach ja, Zigaretten brauche ich auch noch. Da schaut am Ende sage und schreibe über ein Kilometer heraus. Und zwar ganz legal und alles an einem einzigen Tag. Ich weiß nicht warum (natürlich weiß ich es), aber heute bin ich ganz schön grantig. Von Corona-Kurven, Zahlen, Trends, Entwicklungen und Tendenzen will ich momentan nichts wissen. Weder hören noch sehen will ich auch gescheite Meinungen selbsternannter Experten, Propheten, Facebook-Prediger, Verschwörer und Gurus. Wie sich diese Leute doch alle selbst gefallen. Die Begrüßung ist fast immer dieselbe: Hallo ihr Lieben da draußen. Mich reißt das schon längst nicht mehr vom Stuhl, Sofa oder Klodeckel. Dasselbe gilt auch für vermeintliche Aufdeckungsgeschichten mancher Schreibtischschreiber. Sie bringen das Ganze oft mit Fragezeichen und im Konjunktiv. Für den Fall, dass die Dinge nicht stimmen. Und auch, um sich vor der irdischen Justiz zu schützen. Für manche Oppositionspolitiker kommen solche Ge-

schichten natürlich wie gerufen: Endlich kann ich wieder ordentlich auf den Putz hauen und zeigen, dass es mich noch gibt. Jetzt muss es Rücktritte geben und einen Untersuchungsausschuss. Sofort. - Dass Prominente und weniger Prominente mit allen möglichen und unmöglichen Privatvideos die sozialen Medien stürmen, ist klar. Es hängt ja fast die ganze Menschheit am Netz und die Hälfte davon ist derzeit noch dazu eingesperrt. Für Betrüger, Kriminelle, unlautere Geschäftemacher und dergleichen ist die Corona-Krise ein Eldorado. Auch die Religionen sind im Netz derzeit stark präsent. Handy und Tablet statt Kirchenbänke. Die Kirchen sind leer. Die Priester stehen irgendwo in der Mitte TAG und feiern Gottesdienste. Live dabei ist nur ein Team von Technikern, das alles in den Äther sendet. Die „weltliche Werbung“ im Netz wächst ebenfalls von Tag zu Tag. Alle bieten irgendet13.04.20 was an und wollen irgendetwas verkaufen. Waren oder Dienste. Jetzt aber genug mit meiner Kritisiererei. Ich werde nun doch rasieren. Den Rasierschaum habe ich erst am Samstag gekauft. Ich öffne die Dose, drücke auf die Stelle, auf die ich immer drücke und muss feststellen, dass der Schaum nicht nur aus der schmalen Öffnung quillt, sondern aus dem gesamten unteren Umkreis des Dosenaufsatzes. So ein Mist! Ich werde gleich morgen in der Früh den Rücktritt des gesamten Nivea-Vorstandes fordern und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Europäischen Parlament.

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Sepp Laner


WEISS-BLAUE PRACHT IM OBERLAND.

FOTO: SEPP

CORONA TAGEBUCH 4


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HURRA,

DIE KEHRMASCHINE IST WIEDER DA!

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n der Vergangenheit habe ich mich oft geärgert, als sie schon kurz nach 7 Uhr in der Früh durch die noch schlafende Fußgängerzone „ratterte“. Heute am Morgen habe ich mich zum ersten Mal über unsere etwas laute Kehrmaschine gefreut. Hurra, endlich wieder ein Stück Normalität. Und wenn man schon putzt und reinigt, muss auch sonst wieder ein bisschen Leben zurückkehren. Zumindest ein Hauch davon. Ich raffe schnell die leeren Flaschen zusammen - heute ist nach längerer Zeit wieder der Wertstoffhof geöffnet -, werfe einen Blick aus dem nicht ganz sauberen Küchenfenster, durch das mich die scharfe und klare Morgensonne anblinzelt und hechte auf die Straße. Tatsächlich: die Buch- und Papierhandlung ist wieder offen. Ein Lieferant bringt neue Klopapier-Ladungen zum Zeitungs- und Tabakladen. Die Leute, die vor dem Geschäft warten, sind heute etwas gesprächiger. Man versucht, einander etwas Mut zuzusprechen, durch Mundschutzmasken oder hochgezogene Schals. Erst jetzt bemerke ich, dass ich meinen Schlauchschal zu Hause vergessen habe. Das ist mir seit über einem Monat noch nie passiert. Also noch einmal rasch zurück und erneut auf die Straße. Ein Kaufmann, der in Zone normalerweise Schuhe verkauft, räumt soeben ein Nest weg, das Vögel unter der Markise seines Geschäftes gebaut haben. In 5 Wochen tut sich eben so einiges. Ebenfalls keinen Grund zur Freude sieht eine junge Gastwirtin: „Wir werden wohl die letzten sein, die wieder öffnen dürfen. Wer weiß, wann das sein wird.“ Auf dem Weg zum Wertstoffhof komme ich an einem geöffneten Drogerie-Geschäft vorbei, einer Metzgerei, einer Bäckerei, einem Geschäft, das auch Blumen- und Pflanzensamen verkauft, einem Geschäft für Kinderund Babykleidung, an einer Apotheke. Irgendwie überkommt mich das Gefühl, dass die neue Woche etwas lebendiger und lebhafter begonnen hat, auch wenn heute nicht Montag, sondern Dienstag ist. Ich bin irgendwie froh, dass die Feiertage vorüber sind. Und sogar der Lärm des Lastkraftwa-

gens in der Grüblstraße ist mir heute nicht unsympathisch. Er hievt soeben ein Baustellenschild von der Ladefläche: Glasfaserverkabelung und Verlegung von weiteren Infrastrukturen in der Zone „Grübl“. Es tut sich also wieder etwas. In einiger Entfernung ist an einer Baustelle ein Presslufthammer zu hören. Heute werde ich mich am späten Nachmittag nach wochenlanger Pause auch endlich wieder einmal auf die Sonnenpromenade wagen. Allein und mit Mundschutz, versteht sich. Mal schauen, ob der „Keschtnwool“ schon Wasser führt.

Sepp Laner

TAG

26 14.04.20


CORONA TAGEBUCH 4

ARBEITEN IN CORONA-ZEITEN; SO GESEHEN IN DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN HAUPTGENOSSENSCHAFT IN SCHLANDERS. FOTO: SEPP


CORONA TAGEBUCH 4

„AUSFLUG“ INS OBERLAND

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o gerne wie heute kroch ich schon lange nicht mehr aus den Federn. Das hat seinen guten Grund. Heute verlasse ich die Gemeindegrenze und fahre ins Oberland. Als Schreiberling darf ich das. Dass sich die Corona-Zange seit gestern ein bisschen gelockert hat, ist auch auf der Straße zu spüren. „Viel Verkehr gibt es noch nicht, aber seit gestern sind doch etwas mehr Fahrzeuge unterwegs“, höre ich bei der Tankstelle in Eyrs. Bei der HOPPE, bei Telser Türen und anderen Betrieben werde wieder gearbeitet. Gearbeitet wird auch längs der Staatsstraße. Auf der Laaser Höhe und auf der Laaser Geraden wird asphaltiert. Lange Staus gibt es nicht. Nur einige Lastkraftwagen müssen kurz anhalten, Lieferwagen von Handwerkern und Traktoren mit jungen, noch zu pflanzenden Apfelbäumen auf den Anhängern. Die Arbeit der Bauern wurde Gott sei Dank nie unterbrochen. Gastbetriebe, Direktvermarkter, Metzger, Geschäfte und andere Betriebe haben kurzfristig umgestellt und liefern Produkte und Waren zu den Leuten nach Hause. Auch der Perfler Karl - mein Blick schweift soeben zur Tschenglsburg - hat am Ostermontag „Schlossbrot“ gebacken und auf Wunsch ausgeliefert. Es ist schon erstaunlich, was sich Vereine, Betriebe und Privatpersonen talauf und talab einfallen lassen, um durch die Corona-Zeit zu kommen und einander zu helfen. Die Solidarität und Nachbarschaftshilfe treiben vielerorts schöne Blüten, wobei das Engagement weit über das Nähen von Gesichtsmasken hinausgeht. In Zeiten wie diesen halten die Menschen besonders stark zusammen. Sicher auch im Dorf Stilfs, das zu meiner Linken auftaucht und aus der Ferne ein bisschen wie ein großes „Vogelnest“ aussieht. Schon seit geraumer Zeit eingerüstet ist das Hotel Post-Hirsch in Spondinig. Wann wird es wieder öffnen? Vorerst geschlossen sind das Vintschger Museum und die Churburg, die zur Rechten auftaucht. Da wird der Graf wohl keine Freude haben. Aber er ist nicht allein. Auch alle Gastbetriebe und Bars sind geschlossen. Vor Tartsch stehen zwischen den Reihen einer Kirschanlage

noch ausgebrannte Frost-Kerzen. Auch hier gab es heuer wieder etliche Frostnächte. Wäre jetzt nicht Corona-Zeit, würde man in Mals derzeit auf große Hinweisschilder mit der Ankündigung des Georgimarktes stoßen, der immer am 23. April stattfindet. Heuer ist damit nichts. Fällt auch der St. Veit Markt am 15. Juni auf dem Tartscher Bühel aus? Bei Mals und Laatsch laufen die Beregner. Vor lauter Corona fällt einem gar nicht mehr auf, dass es derzeit ziemlich trocken ist. Die Bauern wissen es. Auf der oberen Malser Haider und weiter in Richtung St. Valentin und Graun ist es schon recht grün. Die beste Zeit für das Ausbringen von Mist und Gülle. Normalerweise tummeln sich im Oberland um diese Zeit noch TAG viele Gäste. Heuer ist alles anders. Nur vor Lebensmittelgeschäften, Bäckereien und Metzgereien sind ein paar Leute zu sehen. Der Stausee liegt still und blau im Land. Kein Fotoap15.04.20 parat „stiehlt“ den Turm im See. Auch „af Grenz dr’nied“ ist tote Hose. Ich halte kurz vor der Kontrolle. Auf Fiebermessen habe ich keinen Bock. Große Lust hingegen hätte ich auf einen Kaffee. Es ist dies das erste Mal überhaupt, dass ich auf der Fahrt ins Oberland nirgends zu einem Macchiato komme. „Seien wir froh, dass wir hier leben und nicht in einer Stadt“, tröstet mich ein 84-jähriger Bauer. Er sitzt auf einer drehbaren, windgeschützten Holzbank am Haidersee, blickt auf die Enten im Wasser und den weißen Ortler in der Ferne.

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Sepp Laner


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DAS PASSIERT, WENN MAN

ZU VIEL DES GUTEN EINKAUFT

UND DIE TASCHE BEIM RASTEN ÃœBERQUILLT. FOTO: SEPP


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