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CORONA
TAGEBUCH 30.04.20 bis 08.05.20
von Sepp Laner
CORONA TAGEBUCH 7
CORONA TAGEBUCH 7
ALLES
WILL LEBEN
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eit fast einer Stunde sitzt er auf der Bank vor dem Haus. Er beobachtet eine Katze, die Fliegen jagt. Manchmal schnappt sie eine, manchmal hakt sie ins Leere. Wenn sie scheitert, setzt der alte Mann ein Schmunzeln auf. Laut lachen muss er, als plötzlich die Katze zur Gejagten wird. Es ist ein Hund, der auf sie losstürmt. Aber die Katze hat den Braten gerade noch rechtzeitig gerochen und macht sich aus dem Staub. Blitzschnell. „Alles will leben“, schlussfolgert der Mann. Er sagt nicht alle, sondern alles, weil er nicht nur die Tiere meint, sondern auch die Pflanzen und die Menschen. Diese Begebenheit kommt mir in den Sinn, während ich zur Arbeit gehe. Heute ist der letzte Tag im April. Viele Menschen sind nicht unterwegs, aber immerhin deutlich mehr als zu Beginn der Corona-Zeit vor über eineinhalb Monaten. Fast alle Leute, denen ich begegne, sind mund- und nasengeschützt. Das Tragen von Masken wirkt fast schon normal. „Niemand hätte gedacht, dass wir eines Tages alle mit Masken herumrennen würden“, sagt ein Bekannter, der mit seiner Frau - ebenfalls in Maske - zum Einkaufen geht. Keine Maske ist gleich wie die andere. Dem einen reicht sie nur bis zum Kinn, dem anderen bis zur Nase und wieder einem anderen bis zu den Augen. „Wo ist deine Maske?“, fahre ich einen Freund im Scherz an. Er lacht zurück, zeigt mir sein Maskentuch, das unter dem Leibchen an der Hose hängt und sagt: „Das Gesetz sagt nur, dass eine Maske mitzunehmen ist, und nicht, dass man sie immer tragen muss.“ Der Versuchung, einander die Hand zu geben oder auch nur auf die Schulter zu klopfen, erliegt niemand. Die meisten Leute nehmen die Corona-Vorschriften ernst. Sie wollen ihre Gesundheit und die Gesundheit ihrer Mitmenschen schützen. Sie wollen leben. Sie hoffen, dass diese Pandemie bald vorbei sein wird. Die meisten sind trotz allem zuversichtlich und machen einander Mut. Der Grundtenor: Es wird bald wieder alles gut werden. Ein
besseres Niveau wünsche ich mir von bestimmten Diskussionen, die im Zusammenhang mit der Corona-Krise geführt werden. Manche sehen offensichtlich kein Problem darin, den Schutz der Gesundheit und den Einbruch der Wirtschaft gegeneinander auszuspielen. Von Aussagen wie „es sterben fast nur alte Menschen“, „in einem halben Jahr wären viele ohnehin gestorben“ oder „die Folgen der wirtschaftlichen Krise werden schwerwiegender sein als die gesundheitlichen“ bekomme ich Gänsehaut. Man kann den Wert des Lebens nicht messen. Der Wert ist für alle gleich, egal ob jemand erst geboren wurde, in der Sandkiste spielt, voll im Leben steht, am Rollstuhl TAG gefesselt ist, im Pflegebett ausharrt oder auf dem Sterbebett liegt. Auch die Zeit ist in diesem Sinn kein Maß. Jedes Jahr zählt, jeder Tag, jede Stunde, jede Minute, jede 30.04.20 Sekunde. Wenn dieser Damm bricht, hat die Menschheit versagt und das, was sie Zivilisation, Ethik und Humanismus nennt, verraten.
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Sepp Laner
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MIT MUNDSCHUTZ ZUM HERZ-JESU-FEUERN?
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ind Sie schon einmal lachend aus dem Schlaf erwacht? So etwas kann vorkommen. Es geschieht sehr selten. Mir ist es heute passiert. Ich muss wohl etwas Schönes geträumt haben. Was es war, weiß ich nicht mehr, aber das Lachen ist mir noch immer nicht vergangen. An so einem Morgen darf auch meine beste Freundin nicht fehlen. Die Sonne. Hell und scharf wirft sie ihre Strahlen durch das Küchenfenster auf das neue Kalenderblatt. Heute ist der 1. Mai. Den April habe ich habe schon gestern in den Papierkorb geworfen. Mein Tag der Arbeit beginnt im Bad. Mit einem Kaffee auf dem Rand der Wanne und Erinnerungen. Ich sehe rote Fahnen, Banner mit Aufschriften, marschierende Menschenmengen, schreiende Gewerkschafter und Politiker hinter Rednerpulten, Musikanten, spielende Kinder und zuhörende Eltern, die an Festtischen Giggerlen essen und Bier trinken. Oder Säfte. Der Stellenwert der Arbeit muss gestärkt werden, tönt es von der Bühne. Es braucht bessere Entlohnungen und mehr soziale Gerechtigkeit. Den Familien greift die Politik noch immer viel zu wenig unter die Arme. Nach dem Tag der Arbeit ging es mehr oder weniger immer gleich weiter. Die Forderungen des 1. Mai fielen oft schon am 2. Mai um wie die Kegel bei einem Neuner. Ins laue Badewasser fällt bei mir jetzt der Rest des kalten Kaffees. Aber auch dieses Missgeschick vermag es nicht, meinen schönen Traum - ich weiß natürlich genau, was ich geträumt habe - zu verscheuchen. Im Gegenteil, ich lache dem Kaffee im Abfluss nach. Draußen ist es heute ein bisschen wie im Traum. Alles klar, ruhig und frisch. Auf der Nörderseite kleben einige Nebelschwaden an den Hängen, die westwärts schleichen. Sattes Grün sticht durch weiße, schmale Wolken. Weiter oben, wo keine Menschen mehr leben, stehen die Lärchen. Sie sind noch braun und schimmern im Neuschnee, der über Nacht gefallen ist. Glitzernd weiß erhebt sich auch die Spitze des Hasenöhrls
aus einer satten Wolke, die den Blick ins Martelltal sperrt. Noch mehr gut getan hat der Niederschlag dem Sonnenberg. Auch der Zerminiger und der Kortscher Hausberg lachen weiß ins Tal. In der Talsohle rührt sich fast nichts. Es sind die Vögel, die den Ton angeben. Und zwischendurch der Klang der Kirchenglocken und der Kirchturmuhr. Jetzt hätte ich beinahe vergessen, dass wir in der Corona-Zeit leben. Aber es ist so. Die Erinnerung an den schönen Traum verblasst. Nicht aber die Hoffnung, dass alles gut wird. Einiges vielleicht sogar besser. Nur schwer vorstellen kann ich mir, dass man am 21. Juni möglicherweise mit Mund- und Nasenschutz zum Herz-Jesu-Feuern auf die TAG Berge gehen muss.
Sepp Laner
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AUCH EIN
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AUSGEDIENTER STIEFEL
KANN NOCH GUTE DIENSTE LEISTEN. FOTO: SEPP
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DIE WETTE GILT
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ätten wir nicht die Corona-Krise, würde ich heute meinen Wahlausweis suchen. Er dürfte sich im Nachtkästchen befinden. Aber das Stöbern nach dem Ausweis erübrigt sich, weil die ursprünglich für den morgigen Sonntag angesetzten Gemeindewahlen verschoben wurden. Es soll nun irgendwann zwischen dem 1. September und 15. Dezember gewählt werden. Ganz sicher aber ist auch das nicht. Die Regionalregierung jedenfalls hat sich ein Türchen für einen weiteren, höchstens sechsmonatigen Aufschub offengelassen. Ich weiß nicht, wie sich die amtierenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeister derzeit fühlen und wie sie den Aufschub bewerten. Den meisten von jenen, die sich erneut der Wahl stellen, dürfte der Aufschub nicht ungelegen kommen. Andere wiederum, die aus freien Stücken aussteigen wollen bzw. wegen der Mandatsbeschränkung nicht mehr antreten dürfen, müssen nolens volens „nachsitzen“. In den Kram passen dürfte dies nicht allen. Mit derselben bzw. ähnlichen Situation sehen sich auch die Mitglieder der Ausschüsse konfrontiert und auch die Ratsmitglieder. Der Reigen der Gemeinderatssitzungen ist zwar wieder angelaufen, aber die Sitzungen stehen notgedrungen und verständlicherweise ganz im Zeichen von Corona. Bestimmte Beschlüsse, die sich nur schwer aufschieben lassen, werden dennoch gefasst. Vorerst gänzlich zum Erliegen gebracht hat das Coronavirus den Wahlkampf. Dieser steuerte vor dem Virusausbruch bereits ein bisschen auf den Höhepunkt zu, doch jetzt ist mehr oder weniger alles eingeschlafen. Die Parteien, Bürgerlisten und Bewegungen sind auf Tauchstation gegangen. Es wird auf den günstigen Moment des Auftauchens gewartet. Dass diesen Zeitpunkt derzeit noch niemand genau weiß, kann einerseits nützlich, andererseits aber auch schädlich sein. Außergewöhnlich und irgendwie sonderbar werden die nächsten Gemeindewahlen auf jeden Fall, und zwar unabhän-
gig vom Termin des „Zahltages“. Größere Wahlversammlungen, Diskussionsrunden mit viel Publikum oder öffentliche Abschlusskundgebungen dürften ausbleiben. Wir werden wohl einen „maskierten“ Wahlkampf erleben. Die Corona-Krise rüttelt auch am gewohnten politischen und demokratischen Geschehen. Die Fixpunkte sind in vielen Bereichen rar geworden. Worauf man sich noch immer fest verlassen kann, sind unter anderem die Feuerwehrsirenen. Jene in Schlanders hat soeben geheult. Ich weiß jetzt, dass Samstag ist und dass die Zeit für die Knödel gekommen ist. Bevor ich das Büro verlasse, werfe ich den Blick auf einen Zettel an der Pinnwand. BeTAG reits im Februar haben wir redaktionsintern gewettet, wie die neuen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Partschins bis Graun ab dem 4. Mai heißen würden. Die Wette ist 02.05.20 nicht annulliert, sondern nur aufgeschoben. Sie läuft weiter, genauso wie die Corona-Krise.
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Sepp Laner
AUCH IN DER LUFT
GIBT ES WIEDER ETWAS BEWEGUNG. FOTO: SEPP
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KUSS
AM VORMITTAG
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in sanfter Oberwind streicht heute durch das Tal. Er kämmt die grünen Bäume und die Haare der wenigen Sonntags-Spaziergänger, sofern er sie im Umkreis der Mund- und Nasenschutzmasken zu fassen kriegt. Auf den Plätzen und in den Straßen kehrt der Wind die Blüten der Rosskastanien, Linden und Zierkirschen in die Ecken und vor die Haustüren. Den Spatzen bläst er die Brotsamen unter den schnellen Schnäbeln fort, die ihnen mein Nachbar auch am heutigen Vormittag auf die Straße geworfen hat. Am Ende der Gasse verschwinden einige Radfahrer aus meinem Blickfeld. Trotz etwas Wind ist heute ein schöner Tag zum Radeln. In der anderen Richtung der Gasse sehe ich etwas, was mir schon lange nicht mehr vor die Augen kam: einen Kuss. In Wahrheit ist es nur ein Küsschen, aber immerhin. Die Frau steht auf dem Gehsteig, der Mann auf der Straße. Sie sind somit auf gleicher Höhe. Nach ein paar Sekunden gehört die Gasse aber wieder ganz dem Wind. In die Häuser und Wohnungen kann er nicht eindringen. Kein Problem hat damit das Coronavirus. Physisch ist es zwar nun in wenigen „Nestern“ von Menschen präsent, aber im übertragenen Sinn ist es derzeit überall zu Hause. Äußerlich bemerkt man es an desinfizierten Türklinken, blitzblank gereinigten Böden und Möbeln, weißen Händen und Gesichtern, die vor lauter Abwaschen verbleicht sind, und an offenen Fenstern, denn gelüftet wird derzeit viel und lange. Im Vergleich zu dem, was das Virus auf der Ebene der Gefühle, Beziehungen, Emotionen und Gewohnheiten vieler Menschen bewirkt hat und immer noch bewirkt, sind das aber alles nur Äußerlichkeiten. Menschen, die allein leben, fühlten sich während der vergangenen Wochen zum Teil noch einsamer und verlassener. Kinder, die wochenlang auf die Freunde, den Kindergarten- oder Schulhof und auf den Spielplatz verzichten müssen, werden zunehmend unruhiger und nervöser. Viele Jugendliche, die aus dem Rhythmus
geraten, hängen fast dauernd im Netz und schicken ihre Schulaufgaben zum Teil über Nacht oder in den frühen Morgenstunden an ihre Lehrpersonen zurück. Viele Eltern sind überfordert. Das ist nicht verwunderlich, denn sie wurden über Nacht zu „Lehrern“ befördert. Auf „fruchtbaren Boden“ - wenn ich das so sagen darf - ist das Virus auch in so manchen Paarbeziehungen gestoßen. Beziehungen, die bereits vor der Krise von Offenheit, Vertrauen, gegenseitigem Respekt und Verständnis geprägt waren, vermag das Virus wenig anzuhaben. Im Gegenteil, es wird diese Beziehungen sogar noch stärken. Aber es gibt auch Beziehungen, in denen das Virus unverdaute TAG und totgeglaubte Konflikte zu Tage befördert hat. Wenn man gezwungen ist, auf seine ganz persönlichen Eigenheiten und Gewohnheiten, die man außer Haus pflegt, zu verzichten und 03.05.20 wenn man wochenlang Tag und Nacht aufeinander „picken“ muss, kann so einiges losbrechen. Auch explosionsartig. Es kann vorkommen, dass man plötzlich entdeckt, einander gar nicht zu kennen, dass man sich auf engstem Raum noch mehr in sich selbst einigelt und dass man sich plötzlich mit Fragen und Situationen konfrontiert sieht, die man bisher für unmöglich gehalten hat. Dass die Zahl der Scheidungen in China nach der Quarantäne sprunghaft anstieg, ist keine Erfindung, sondern durch Zahlen belegt. Vor allem Frauen gingen in den ersten Tagen der wiedererlangten Freiheit zum Scheidungsanwalt. Ob wir auch diese „Entwicklung“ aus China importieren werden, bleibt abzuwarten. Ich hoffe nicht und denke an den Kuss zurück, den ich heute am Vormittag gesehen habe.
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Sepp Laner
EINE GUTE NACHRICHT:CORONA TAGEBUCH 7
DEM TSCHOSCH-HEINER GEHT ES GUT. SEIT DEM 6. MÄRZ DARF AUCH ER DAS BÜRGERHEIM IN SCHLANDERS NICHT VERLASSEN. WIE KAUM EIN ANDERER LIEBT ES DER SCHWABL-HEINER, TAG UND NACHT DURCH DAS DORF ZU ZIEHEN UND MENSCHEN UM „TSCHOSCH“ ANZUHAUEN. WAS ER NOCH MAG, SIND „TSCHIGG“. GLEICH ZWEI PACKUNGEN DAVON BRACHTE IHM DER FREIZEITGESTALTER ANDREAS WIESLER (IM BILD) AM 30. APRIL INS BÜRGERHEIM. FOTO: SEPP
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DER WEIBLICHE BLICK
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ch mag das Corona-Tagebuch meines lieben Kollegen Sepp Laner. Ich find mich so oft wieder in seinen Gedanken, die mit angenehmer Leichtigkeit daherkommen und dabei doch mit bewundernswerter Ehrlichkeit sehr tiefgehend sind. Aber so ähnlich sich die Gedanken oft sind, so unterschiedlich die Lebenswirklichkeit. Da hat der Sepp doch glatt einen Wecker! Brauch ich nicht. Das erledigen meine Kinder, 4 und 6 Jahre alt. Beim Frühstück beinahe täglich die Frage, wann es wieder losgeht im Kindergarten. Meine Kinder leiden unter der sozialen Isolation, vor allem meine Tochter. Wenigstens sind sie zu zweit, ich stelle mir vor, dass es Einzelkinder grad härter trifft. Wie sich diese Zeit der sozialen Isolation auf die Kinder und die ganze Gesellschaft auswirkt, wird man in einigen Jahren sehen. Mein Mann entschwindet zur Arbeit, ich bin ein bisschen neidisch. Ich arbeite von zu Hause aus. Oder treffender: ich versuche von zu Hause aus zu arbeiten. Homeoffice klingt so schön, nach Vereinbarkeit, nach moderner Lösung und Segen für die Arbeitswelt. Ich bin nach diesem Monat Homeoffice geheilt von all diesen Vorstellungen. Ermöglicht mir das Homeoffice auf der einen Seite überhaupt erst meiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, so bringt es mich doch auch gleichzeitig an meine organisatorischen und mütterlichen Grenzen, das schlechte Gewissen gibt es gratis dazu. Um Arbeitsfähigkeit herzustellen, gilt es zuerst Sohn und Tochter zu beschäftigen. Gerne würde ich jetzt was anderes schreiben, aber die Wahrheit ist: ungestört arbeiten kann ich nur, wenn die Kinder am Bildschirm hängen. Babysitter YouTube (Rabenmutter!). Zum Glück ist die ADSL-Leitung gut. Arbeiten am PC kann ich dann gut erledigen, Mails, mal ein kurzes Telefonat… Videokonferenzen aber sind eine schweißtreibende Herausforderung. Ganz wichtig: die Kinder dürfen‘s auf keinen Fall mitkriegen! Sonst bin ich geliefert, denn meine Kinder sind begeis-
terte Videokonferenzler. Beinahe alle meine Arbeitskontakte kennen die beiden nun. Während mein Stresslevel steigt, hat mein Gegenüber dann meist Schwierigkeiten sich auf den Inhalt zu konzentrieren, während im Hintergrund kleine Köpfe Zungen rausstrecken oder Kunststücke vorturnen. Liebe Kollegen, das müsst ihr nun einfach aushalten. Ich muss es auch. Anderer Fall: die Videokonferenz zieht sich in die Länge und naht zeitlich einer Hauptmahlzeit. He, wenn sie schon den halben Tag vor YouTube hängen, sollen sie doch wenigstens eine warme Mahlzeit haben. Dann flunkere ich meist, die Internetverbindung sei schlecht, ich müsse das Bild abschalten. TAG Und koche dann heimlich nebenbei. Aber die Vorstellung in der Küchenschürze die anstehenden Projekte zu besprechen, halt ich nicht aus. Ich ertrage das Frauenbild, das 04.05.20 ich momentan krisenbedingt genötigt werde zu leben sowieso kaum. Gleichberechtigung – nicht etwa, dass diese als Zustand vor der Corona erreicht war- ist in Krisenzeiten nicht mal mehr ein Lippenbekenntnis. Oder warum sitzt eigentlich im technisch-wissenschaftlichen Komitee, bestehend aus 20 Mitgliedern, das die Regierung Conte in ihren Entscheidungen maßgeblich berät keine einzige Frau? In der Taskforce für die „fase 2“, sind es wenigsten 4 Frauen bei 19 Mitgliedern. Heute, wenige Tage vor der Öffnung gibt es auf Staatsebene noch keine Lösung für die Kinderbetreuung. Das Thema taucht in Pressekonferenzen und Interviews auch kaum auf, obwohl Journalisten ständig Fragen in diese Richtung aufwerfen, die dann kaum aufgegriffen werden, oder mit der Standartantwort abgeblockt, man werde dies in der nächsten Zeit regeln. Ich frage mich: Ist Kinderbetreuung ein „privates“ Problem der Familien oder ein gesellschaftlicher Auftrag? Na wenigstens haben wir einen
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Garten. Das war in dieser Krise ein Luxus, der sich anfühlte, als besäße man eine eigene Südseeinsel. Dort verbringen wir unsere Nachmittage und genießen die Zeit, die uns plötzlich geschenkt ist. Und trotzdem zähle ich die Tage rückwärts, bis wir wieder zur Oma dürfen, zu Ausflugszielen und zu den Verwandten. Wir warten auch hart auf den Tag, an dem unsere Kinder wieder mit Freunden zusammenkommen. Weil sie das alles so vermissen und als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft auch ein Recht darauf haben. Und ich? Als erstes trenne ich dann wieder Arbeit und Privatleben. Darauf freu ich mich am meisten!
Andrea Perger
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RAUF
AUFS GAS
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chon wieder hat es mich heute in der Früh erwischt. Dabei hatte ich mir erst gestern fest vorgenommen, das Handy nur mehr anzurühren, wenn es „schreit“ oder sonst einen Ton von sich gibt. Aber nein. Ich bin der Versuchung erneut erlegen: Facebook, Online-Zeitungen, Trauerhilfe usw. Über eine Stunde lang. Der Kopf ist schon wieder schwer. Voll beladen mit zumeist schlechten Nachrichten, Hetzparolen, Angriffen, Selbstinszenierungen, Verschwörungstheorien, Petitionen für oder gegen etwas. In der Früh habe ich keinen Bock, auf irgendwelchen Schwachsinn zu antworten oder zu reagieren. Ganz anders ist das manchmal am Abend. Wenn ich zwischen der einen Corona-Fernsehsendung und der anderen kurz ins Facebook schaue und sehe oder lese, was da so auftaucht, packt mich ab und zu der Zorn. Dann kann es schon vorkommen, dass ich ganz schön böse werde und nicht gerade mit schönen Worten reagiere. Das fällt mir relativ leicht, denn ich habe meine „Adressaten“ ja nicht direkt vor mir und kann mich dadurch schützen. Manchmal habe ich auch Lust, bewusst zu provozieren. Vom anonymen Diwan aus ist auch das nicht schwer. Feige aber ist es. In Bausch und Bogen verdammen will ich die sozialen Netzwerke keineswegs. Im Gegenteil. Sie haben mir während der unendlichen Corona-Wochen sehr geholfen. Wenn einem die soziale Distanz per Gesetz verordnet wird und wenn bei der Verletzung der Verordnungen Strafen blühen, ist es ganz logisch, dass das virtuelle Netz enger wird und die digitale Nähe wächst. Man kann es aber drehen und wenden wie man will: ein Handschlag, ein nettes Wort, eine Umarmung oder auch nur ein aufmunternder Blick werden niemals von irgendetwas Digitalem oder Virtuellen ersetzt werden können. Deutlich gespürt habe ich das gestern, als ich zum ersten Mal nach fast zwei Monaten dorthin fuhr, wo ich geboren bin. Auch in einem gewissen Abstand und mit irgendwelchen
Masken oder Tüchern um Mund und Nase kann man einander nah sein. Da hat alles noch so ausgeklügelte Virtuelle nichts Ebenbürtiges dagegen zu halten. In zwischenmenschlichen Beziehungen ist mit „to-go“ oder „take-away“ nicht wirklich ein Staat zu machen. Anders ist das beim Macchiato. Ich bekam ihn bei der Hin- und bei der Rückfahrt an Tankstellen zwar nur im „take-away“-Modus in einem Becher, aber er war jedes Mal super. Überlaufen sind die Tankstellen zwar noch nicht, aber auf der MeBo und auch auf der Vinschger Staatsstraße ist seit kurzem wieder deutlich mehr Verkehr zu beobachten. Es zieht wieder vieles so langsam an. Das Tempo wächst. Sogar TAG einen ersten Drängler hatte ich gestern erstmals wieder im Rückspiegel. Mit Aufblendlicht versuchte er mich daran zu erinnern, dass ich aufwachen soll. Aufwachen aus dem 05.05.20 Corona-Schlaf: Rauf aufs Gas, der Alptraum ist vorbei.
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Sepp Laner
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DIE NATUR BLÜHT SCHON SEIT MONATEN,
JETZT ZIEHT AUCH DER MENSCH SO LANGSAM NACH, NATÜRLICH AUF SEINE ART. FOTO: SEPP
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DER MÖGE
DIE HAND ERHEBEN
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o, wie es vor dem Ausbruch der Corona-Krise war, ist das „Wetter“ noch lange nicht. Es zeigt sich noch ziemlich verhalten. Dennoch aber sprießt das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben nach dem Corona-Tiefschlaf immer spürbarer aus dem Boden. Nicht nur einige Gastbetriebe sind seit kurzem wieder in beschränktem Modus geöffnet (to-go bzw. take-away), sondern auch etliche Geschäfte, die ihre Tore unlängst wieder unter der Einhaltung strenger Sicherheitsvorgaben öffnen durften, sorgen für etwas mehr Leben im Dorf. In etlichen weiteren Geschäften wird geputzt, hergerichtet und vorbereitet. Die Hoffnung, dass es Hand in Hand mit dem Inkrafttreten des Landesgesetzes zur Phase 2 zu weiteren schrittweisen Lockerungen kommt, ist den Gesichtern vieler Menschen buchstäblich anzusehen. Lange auf die Probe gestellt wurden bzw. werden auch die Friseurinnen und Friseure. Nicht weniger trifft das allerdings auch auf ihre Kunden zu. Ich stoße immer wieder auf Menschen, die mir eigentlich bekannt sind, bei denen ich jetzt aber zwei Mal hinschauen muss, um sie zu erkennen. Und das nicht nur wegen des Mund- und Nasenschutzes, sondern auch deswegen, weil sie zum Teil mit Bärten und ungewohnt langen Haaren daherkommen, die nicht selten mit weißen Strähnen durchsetzt sind. Besonders aufgefallen ist mir heute ein älterer Mann. Die Art seines Ganges, sein etwas scheues Umherschauen und eben seine neue Frisur erweckten den Eindruck, als sei er nach ziemlich
langer Zeit aus einer Höhle gekrochen und müsse sich im öffentlichen Raum erst wieder zurechtfinden. Er wird es schaffen. Dass ihn jemand anspricht, freut ihn außerordentlich. Auch das Treiben an privaten und öffentlichen Baustellen, das er genau beobachtet, verleiht ihm irgendwie das Gefühl, dass das Leben wieder so langsam zu seinem gewohnten Rhythmus zurückfindet. Die Lust und die Motivation vieler Menschen, endlich wieder arbeiten zu dürfen, ist überall zu spüren und zu sehen. Eines dürfen wir aber trotz allen Eifers und aufgestauten Dranges nicht übersehen oder gar vergessen. Es ist das die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen. Denn wenn wir TAG uns jetzt sozusagen gehen lassen, katapultiert uns das Coronavirus dorthin zurück, wo wir vor 2 Monaten waren. Wer das will, möge die Hand erheben.
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Sepp Laner
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AUCH DIE SEELE BRAUCHT LUFT
„Fast alles ist teurer geworden“, hörte ich gestern eine Hausfrau klagen, die mit einer nicht allzu dicken Einkaufstasche heimwärts strebte. „Und statt zu arbeiten, dürfen wir weiterhin nur spazieren gehen“, hakt sie nach. Es sei an der Zeit, dass sich die Situation so langsam bessere. Etwas anders gelagert sieht das Problem mit dem Geld ein Familienvater, dessen 4 Söhne nach dem Ausbruch der Krise der Reihe nach in den Lohnausgleich geschickt wurden: „Sie bekommen seither zwar weniger Geld, konnten dieses aber nicht ausgeben, weil Bars, Gasthäuser und Diskotheken geschlossen waren.“ So hätten sie sich am Ende etwas erspart, denn in normalen Zeiten reichte der volle Lohn nicht immer bis zum Monatsende. Wenn ich die Corona-Wochen Revue passieren lasse, sind es zwei Dinge, die immer und überall im Mittelpunkt standen und noch immer stehen. Mir schießen zum einen die Bilder von Patienten in Intensivstationen in den Kopf, von schwitzenden Ärzten und Pflegern in Schutzanzügen, von Särgen und Friedhöfen, von trauernden Angehörigen und von Ordnungskräften mit der roten Kelle. Zum anderen sind es die Wirtschaft und das Geld, die in aller Munde waren und sind. Millionen-, Milliarden-, ja sogar Billionen-Pakete wurde geschnürt und von Politikern weltweit auf Pressekonferenzen und in Talkshows „verkauft“. Viele mögen sich vielleicht etwas erleichtert gefühlt haben, als zum Beispiel die Regierung Conte ankündigte, dass niemand zurückgelassen werde, dass man die Arbeitsplätze schützen werde und, und, und. Gezielt, rasch und unbürokratisch sollte geholfen werden. Tatsächlich geschehen ist das nur zum Teil. Die versprochenen Geldmittel sind teilweise bis jetzt nicht geflossen, die Ansuchen sind fast alle nur online möglich, es braucht Dokumente, Nachweise und Eigenerklärungen. Kurzum: die Bürokratie erlebt eine neue Sternstunde. Außerdem besteht ein Gutteil der Hilfen in Stundungen, Kreditaufschüben und Verzögerungen von Zahlun-
gen. „Es hilft mit wenig, wenn man mir die Pacht für die Bar für drei Monate stundet. Dann wird halt nach drei Monaten das Dreifache fällig“, ärgert sich ein Barist, den ich unterwegs treffe. Den Umsatz, der ihm seit über 2 Monaten fehlt, ersetze ihm niemand. Dass große Bankinstitute wegen der Corona-Krise besonders „leiden“, wage ich zu bezweifeln. Sie geben sich zwar manchmal wie die barmherzigen Samariter, wissen aber bestens, wie die Rechnungen in ihrem Sinn zu machen sind. Und wenn es wirklich brennen sollte, sind immer noch die Staaten bzw. Regierungen zur Stelle, die schon in der Vergangenheit mehrfach bewiesen haben, wie man Großbanken über Nacht rettet. TAG Mit Steuergeld. Aber lassen wir das Geld beiseite und rücken ein drittes Ding in das Blickfeld, das im Vergleich zu den zwei genannten zu oft im Schatten steht und in den Medien nur 07.05.20 im Hintergrund mitschwingt. Es sind dies die seelischen „Lungenschäden“, die das Coronavirus manchen Menschen zugefügt hat. Kindern gleichermaßen wie Jugendlichen, Erwachsenen, älteren Mitbürgern und besonders auch sozial schwachen Menschen. An diesen Schäden werden manche vielleicht länger zu „knabbern“ haben als an gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Solchen Schäden ist mit Krediten, Stundungen usw. nicht beizukommen. Da braucht es ganz andere Maßnahmen. Die Politik ist in diesem Sinn ebenso gefordert wie die ganze Gesellschaft.
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Sepp Laner
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SIND GENUG
N
ach 49 Eintragungen schließen wir unser Corona-Tagebuch mit dem heutigen 50. Beitrag ab. Nachdem heute das Landesgesetz zur „Phase 2“ in Kraft getreten ist, wird auch in der „CoronaGeschichte“ ein neues Kapitel aufgeschlagen. Es ist mir ein Anliegen, allen Leserinnen und Lesern für das Interesse am Tagebuch zu danken. Für mich war es auch ein bisschen wie eine Therapie. Ich konnte meiner Feder freien Lauf lassen, wie es bei der normalen „Schreiberei“ nicht üblich ist. Die Ruhe und Stille während der CoronaWochen haben mich gelehrt, besser hinzuschauen und hinzuhören. Auf die Menschen, die Natur, die Tiere und die Pflanzen. Auch der Blick in mein Inneres wurde schärfer. Dankbar bin ich zudem dafür, dass mir diese Zeit geholfen hat, die Augen für das zu öffnen, was im Leben
wirklich zählt. Wenn es im Tagebuch so etwas wie einen roten Faden gab, so lässt sich dieser mit Hoffnung umschreiben, mit Optimismus und mit der Überzeugung, dass alles wieder gut, vielleicht sogar besser wird. Nun aber genug mit der Schwelgerei, her mit TAG dem Putzlappen und weg mit den vertrockneten Kaffeetropfen und Tränen auf der Tastatur meines Computers. Jetzt geht es wieder zurück zur Normalität. Hoffentlich nicht 08.05.20 zur „normalen“, sondern zu einer anderen, neuen, vielleicht sogar besseren.
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Texte: Sepp Laner und Andrea Perger Grafik: Manuel Platzgummer
EIN BISSCHEN VERGILBT,
ABER DIE BOTSCHAFT GILT.
FOTO: SEPP
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