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Zu Besuch bei einem Bootsbauer

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Die Meister der Axt

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bei der Arbeit

Holzboote aus der Werkstatt von Schiffszimmerleuten werden immer seltener. Einer der wenigen, der sich mit dem traditionellen Bau und der Reparatur von Llaüts und anderen Holzbooten noch auskennt, ist Sebastià Vidal Jaime in Vilafrance de Bonany.

Die kleine Werft „Barques de Fusta" ist nicht gerade dicht am Wasser gebaut. Zwanzig Kilometer von der Küste entfernt, um genau zu sein. Wer sich der Werkstatt am Rande des Ortes Vilafranca de Bonany nähert, erkennt sie schon von weitem an den Schleifgeräuschen und dem Holzgeruch, den sie verströmt. Bootsrümpfe sind in der Werkhalle und im anliegenden Garten unter Zitronenbäumen aufgebockt. Vor der Werkstatt sitzt ein junger Mann und rollt auf seinem Oberschenkel Hanffasern zu einem Strang zusammen. „Estopa“ wird das Kalfaterband hier genannt,

das zum Abdichten der Fugen zwischen den Planken dient. Jony lernt seit einem Jahr die Geheimnisse des traditionellen Holzbootbaus bei Sebastià Vidal Jaime. „Das können nur noch ganz wenige“, sagt er stolz.

In Deutschland tot, auf Mallorca gefördert Meister Sebastiá und seine Mitarbeiter verstehen sich auf die alte Kunst der „Meister der Axt“. Die war ursprünglich das wichtigste Werkzeug beim Bau von Holzbooten, und deshalb werden die Schiffszimmerleute auf Mallorca heute noch „Mestre d’aixa“ genannt. Hier gibt es sie zumindest noch. In Deutschland wurde die Ausbildung, die Schreiner für den Bootsbau hervorbrachte, im Jahre 2009 ersatzlos gestrichen. Auf Mallorca hingegen gründete vor 21 Jahren die Regionalregierung die „Escola de Mestres d’Aixa", die das maritime Erbe am Leben erhalten soll. Inzwischen fördert die Schulwerkstatt nicht nur den Nachwuchs, sondern bietet auch Workshops an für Erwachsene, die ihre eigenen Boote in Schuss halten wollen.

Ein Beruf mit Jahrtausende alter Tradition Traditioneller Holzschiffsbau ist mühevolle und langwierige Handarbeit, sie zu beherrschen dauert Jahre. Sebastià Vidal ist erst 38 Jahre alt und doch schon ein routinierter Beherrscher jener Fähigkeiten, mit denen unsere Vorfahren bereits vor Jahrtausenden ihre Gefährte seetauglich gemacht haben. Mit 16 Jahren beschloss er, sich dem Bootsbau zu widmen. Er war fasziniert von diesem Beruf, obwohl niemand aus seiner Familie je zuvor mit dieser Zunft zu tun hatte. Vor allem die Gestaltung ist der Teil des Berufes, der ihn am meisten begeistert. „Die Linien des Bootes zu finden, Intarsien hinzuzufügen – das alles fließt einfach so aus mir heraus.“ Seit 2008 betreibt Sebastià seine eigene Schiffswerkstatt in Vilafranca de Bonany. Das grundlegende Wissen und die handwerklichen Kenntnisse über Herstellung, Restaurierung und Reparatur traditioneller und anderer Boote aus Holz erlernte er bei seiner Ausbildung als Carpintero de reibera von 2000-2003 in der Escola de Mestres d’Aixa und bei Meister Jaume Cifre in Portocolom. Es gibt auf Mallorca vielleicht noch zehn Schiffszimmerleute, die Reparaturen und Instandhaltung anbieten, schätzt Sebastià. „Die Herstellung von Holzbooten beherr-

schen aber nur noch zwei oder drei Werkstätten.“ Er selbst kann die einzelnen Schiffsbauer am Design ihrer Arbeit unterscheiden. Der „Sombrero“ genannte Kopf des hölzernen Vorstevens ist mal breiter, mal schmaler, geschwungen oder gerade. Allein schon, in welchem Neigungswinkel er steht, gibt dem Kenner Auskunft über die Handschrift der Meister dieser Zunft.

Llaüts waren echte Arbeitsboote Im Gegensatz zur variierenden Form unterscheiden sich die klassisch-mallorquinischen Bootstypen in ihrer Konstruktion nicht erheblich voneinander. Trotzdem sind für den Gebrauch an der bewegten Nordküste größere Boote als in den ruhigeren Gewässern im Süden der Insel erforderlich. Von den traditionellen Llaüts, die ihr Segel wahlweise für den Antrieb als auch als Sonnendach nutzen können, gibt es im Grunde genommen drei Versionen, wie Sebastià aufzählt. Mit dem Llaüt viajero, der größten Ausführung des Modells, konnte man Waren bis aufs Festland und die anderen Inseln transportieren. Das Llaüt pescador ist das typische Fischerboot und das Llaüt costero ist für die Fahrten vor der Küste konstruiert. „Alle Llaüts waren echte Arbeitsboote.“ Ins Auge fallen in den Häfen auch ganz kleine Ruderboote, Gussi genannt, mit denen vor- und zurück navigiert werden kann, um näher an zerklüftete Felsenküsten zu gelangen. Eine Besonderheit, in seiner Form mit nahezu vertikalem Bug und Heck unverwechselbar, ist das Llantxa felanitxera, das ausschließlich in und um Portocolom zu finden ist.

Achtzehn Monate Rekonstruktion Heute sind es aber immer weniger Fischer, die ihre Boote zur Instandsetzung in Sebastiàs Werkstatt bringen. Meist kommen Freizeitkapitäne, die den Wert traditioneller Handwerkskunst zu schätzen wissen. Bei den Aufträgen handelt es sich dann selten um schlichte Reparaturen, sondern um aufwändige Rekonstruktionen, die auch Variationen in Formen und Größen beinhalten. „Weil einem Kunden die Form nicht gefiel, haben wir beim Wiederaufbau sein Boot um 80 Zentimeter verlängert und dem Bug eine neue Linie verpasst.“ Gute Handarbeit braucht ihre Zeit. Von der Dokumentation bis zur Fertigstellung vergingen anderthalb Jahre. Wenn die letzte Planke, der „ultimo forro", eingesetzt ist, gibt es einen kleinen Festakt in der Werft. Ähnlich einem Richtfest beim Hausbau. Anwesend sind der Schiffseigner und die Handwerker, die den Bootskörper bis zu diesem Stadium über viele Stunden fertiggestellt haben. In kleiner Runde werden ein paar Häppchen gereicht und man stößt mit Mistela, dem traditionellen Likörwein, auf eine glückliche Zukunft des Bootes an.

Arbeiten für die nächste Generation Das Leben von Holzbooten ist ein langes, wenn sie gut gewartet werden. Was die alten Schiffszimmerer vor Jahrzehnten verbaut haben, braucht manchmal nur eine kleine, wenn auch mühsame Auffrischung. Jony legt auf den Deckplanken, die sich im Laufe der Jahre gelockert haben, jeden einzelnen Kupfernagel frei, versetzt ihm einen gezielten Schlag mit dem Hammer – und schon hält die Konstruktion weitere Jahrzehnte. Die Estopas, die er am Morgen gerollt hat, werden inzwischen von einem Kollegen in die Fugen eines anderen Bootes eingebracht. Mit Spachtel und Hammer zwängt Jaime Díaz das Hanfwerg in die schmalen Ritzen. „Selbst die Werkzeuge macht der Meister zum Teil selbst“, erzählt er zwischen zwei Schlägen. Er ist sichtlich stolz darauf, schon seit sechs Jahren für Sebastià zu arbeiten. Sein Favorit bei der Tätigkeit als Schiffszimmermann ist die Erhaltung der altgedienten Barques. „Jedes von ihnen hat seine eigene Geschichte. Der eine Besitzer erzählt von seinem Großvater, der Fischer war. Der nächste verrät, dass mit dem Boot in den 1930er Jahren wer weiß was geschmuggelt wurde.“ Die „Meister der Axt“ übernehmen Objekte aus den Generationen vor ihnen und erhalten sie für die kommenden. Das Kalfaterband, das Jaime Díaz heute in die Fugen einbringt, dichtet das Boot für die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre ab.

Nachhaltiges Handwerk für moderne Nutzung Sein eigenes Boot, das am Steg im Hafen von Portocolom vertäut ist, bewegt Sebastià Vidal viel zu selten, wie er findet. Die Auftragslage für seine Werkstatt ist gut, Referenzen hat er genug. Mit einer Armbewegung zeigt er auf einige der anderen Boote am Steg, die in seiner Werft gebaut oder repariert wurden. Dort liegen sie und schaukeln auf den Wellen, die Zeugnisse einer Handwerkskunst, die es Wert ist, vor dem Aussterben bewahrt zu werden. Denn aus den kleinen und großen Häfen Mallorcas sind sie nicht wegzudenken – die Llaüts, die Gussis und die sich auf klassische Formen berufenden Boote aus Holz, die mit ihrer Eleganz und Nachhaltigkeit das Handwerk von Gestern in die Welt von Heute herüber retten.

Barques de Fusta Werft/Werkstatt für Holzboote Vilafranca de Bonany Tel.: 660 967 750 http://barquesdefusta.com/deutsch

Escola de Mestres d’Aixa Auf dem Gelände des Flugplatzes Son Bonet, Marratxi Anmeldung für einen Besuch in der Werkstatt: Tel.: 630 477 347 https://seu.conselldemallorca.net/es ficha?key=46047

 Christiane Sternberg, Fotos: Marcos Gittis

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