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Axel Cäsar Springer von Ralph D. Wienrich

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Dein Carlo

Teil 1

Carlo Schmid Günter Gaus

Die Vorwarnung hatte mich gerade noch rechtzeitig erreicht, bevor das Gewitter pünktlich um 10.30 Uhr über mich hereinbrach. Die messerscharfe Stimme meines Chefredakteurs Günter Gaus, vielen auch bekannt als späterer Leiter der Ständigen Vertretung in Ostberlin, wütete in meinem linken Ohr und kündigte mir hysterisch, aber in geschli ener Diktion das nahe Ende meiner Karriere im Bonner Spiegel-Büro an! Mein Vergehen war eine hämisch formulierte Personalie über den Verleger Axel Cäsar Springer (u.a. Bild-Zeitung und Die Welt), über die sich das ganze Bonner Büro diebisch amüsiert hatte. Eine israelische Journalistin und der Bonner Korrespondent einer holländischen Zeitung hatten mir bei einer Sitzung des Deutschen Bundestages in Berlin über eine schrullige Gewohnheit des Hamburger Verlegers berichtet, die ich mir nicht entgehen lassen konnte. Der Großverleger, so erfuhr ich, hatte in einigen seiner Domizilen ganz speziell eingerichtete mystische Räume, in denen er meditieren und für die Wiedervereinigung Deutschlands beten würde.Und da sich der holländische Kollege für die Richtigkeit dieser Information verbürgte, war für mich in ausreichender Weise Glaubwürdigkeit hergestellt. Nicht aber für meinen peniblen Chefredakteur!

Wenn der Chef poltert... Er ignorierte jegliches Protokoll und wütete auf mich ein: „Der Mentor des deutschen Journalismus bereitete mir eine ungeheuerliche Peinlichkeit“, polterte es durch die Leitung. „Fritz Sänger (Anmerk.: Journalist und Politiker, u.a. erster Geschäftsführer der Nachrichtenagentur DPA) bemühte sich persönlich, um mich ungehalten auf die von Ihnen formulierte verleumderische Personalie über Herrn Springer anzusprechen. Er beanstandete Stil und Inhalt. Wissen Sie wie ich mich als Chefredakteur des Spiegel gefühlt habe? Wie erniedrigend das für mich war, als er mir, nicht ohne Hohn, sein Mitgefühl für die erste Falschmeldung aussprach, die er je im Spiegel gelesen und die ich in der nächsten Spiegel-Ausgabe zu berichtigen habe. Die erwarte auch der Springer Verlag. Eine Falschmeldung in meiner Verantwortung!” Gaus legte eine bedrohlich wirkende Pause ein, um dann, Sekunden später, das Fallbeil herunter sausen zu lassen: “Die daraus erwachsenden Konsequenzen werden noch über Sie kommen“!

Noch nicht gefeuert Dann krachte es nicht minder unangenehm in der Leitung und es herrschte wieder Stille. Der Mann mit dem nervenden scharfen „S“ hatte sich ausgetobt. „Und“, fragte Peter Koch (Anmerk.: später u.a. Chefredakteur des „Stern“), der mit einem unsensiblen Grinsen in meiner Tür stand, “gefeuert?“ „Nein, noch nicht“, erwiderte ich leicht konsterniert, und bemühte mich die aufkommende Existenz-Angst zu kaschieren. „Na, das kommt schon noch“, sagte er immer noch grinsend und über die Etage verkündete er laut und sehr vergnügt: “Der Wieni gibt bald seinen Abschied!” Im Nachklang dieser Gaus‘schen Eruption empfand ich dann doch eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Hermann Schreiber, der mich eine Stunde zuvor gewarnt und mir geraten hatte, das Donnerwetter widerspruchslos über mich ergehen zu lassen. Mich aber machte diese Demütigung, der wahrscheinlich noch die Kündigung folgen würde sowie der beabsichtigte Kotau meines Chefredakteurs in Form einer Berichtigung im nächsten Spiegel wütend. Schließlich konnte ein Journalist keine größere Niederlage einfahren als eine peinliche Berichtigung! Um die Mittagszeit erschien Erich Böhme (Anmerk.: späterer Spiegel-Chefredakteur und SAT.1-Moderator Talk im Turm) in meinem Arbeitszimmer mit der lebenswichtigen Frage, ob ich denn mit zum Chinesen käme. Ich vermochte nur mit dem Kopf zu schütteln. „Wird schon wieder“, sagte er in seinem sympathischen Hessisch und informierte die wartenden Kollegen: “Nein, Wieni kostet seine Appetitlosigkeit aus“ und schloss die Tür hinter sich.

Carlo Schmid erwartet mich In zwei kurzen Telefonaten setzte ich meine beiden Informanten über mein Desaster in Kenntnis, nicht ohne beiläufi g auch mein nahendes Ende als Bonner Spiegel Korrespondent angedeutet zu haben. Wir drei waren uns in der Empörung einig, die Wahrheit mittels einer Berichtigung ins Absurde verfälschen zu wollen, und dies ohne triftigen Grund! Als mein Telefon schnarrte dachte ich entsetzt: nicht schon wieder Hamburg! Aber eine sehr freundliche Frauen-Stimme fragte: “Herr Wienrich?” „Ja“, sagte ich nur. „Vorzimmer Bundestagsvizepräsident Professor Carlo Schmid (Anmerk.: 1959 SPD-Kandidat als Bundespräsident). Der Herr Vizepräsident erwartet Sie. Könnten Sie in den nächsten zehn Minuten im Bundestag sein?“ Als Grund für diesen Termin deutete sie das Gespräch zwischen einer israelischen Journalistin und ihrem Chef an. Ich wusste sofort Bescheid und machte mich auf den Weg.

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