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Besuch in Els Calderers

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Besuch

in der Vergangenheit

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Im Landgut Els Calderers ist die Zeit stehen geblieben. Die Familie Sentmenat hat die historische Finca ihrer Vorfahren in ein Museum umgewidmet und verschafft Besuchern die Möglichkeit, in das authentische mallorquinische Leben um 1900 einzutauchen.

Die Großmutter von Javier Marqués hat auf dem Gut Els Calderers noch ihre Sommer zugebracht, er selbst verwaltet seit 28 Jahren als Museumsdirektor die originalen Möbel und Utensilien seiner Vorfahren. „Das hier ist das authentische Mallorca. Bei uns gibt es keine feinen Rasenflächen, sondern einheimische Pflanzen und Tiere.“ Ein historisches Foto von 1956 am Eingang zeigt Herren und Bedienstete mit Pferden, Rindern und Hunden zu einem Gruppenbild aufgestellt an genau der Stelle, wo die Besucher heute das Gebäude betreten, um sich ihre Tickets zu kaufen. Zu besichtigen sind 3.000 Quadratmeter Fläche, 20 Räume, etliche Werkstätten und Ställe. „Vor fünfzig Jahren haben hier noch 30 Personen in der Landwirtschaft gearbeitet, dann begann der Tourismus aufzublühen und es entstanden lukrativere Jobs und Einnahmequellen.“ Das Landleben warf kaum noch etwas ab und die Familie Sentmenat machte sich Gedanken darüber, was mit dem Anwesen geschehen sollte. Schließlich entschied man sich dafür, Besuchern zu zeigen, wie früher auf Mallorca gelebt wurde. Der Weinkeller gleich neben der Kapelle In der Hand einen Zettel, auf dem kurze Erklärungen zu allen Räumen aufgelistet sind, können die Besucher ohne Führung durch das Gebäude flanieren und sich auf eine Zeitreise begeben, bei der sich die Realität mit der eigenen Fantasie mischt. Im Empfangsraum weht eine angenehme Brise, die aus dem begrünten Innenhof herein streicht. Der Wind rauscht in den Bäumen, die Grillen zirpen und von fern ist leise Klaviermusik zu vernehmen. Das gesamte Ambiente vermittelt das Gefühl, in einen historischen Film geraten zu sein, dessen perfekte Ausstattung die Anwesenden in vergangene Zeiten zurück versetzt. Sogar die Naturgeräusche sind die gleichen wie vor 100 Jahren. Trotz aller Romantik bleibt während des Rundgangs der Kopf frei für die kleinen Kuriositäten am Rande. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, warum der Weinkeller gleich neben der Hauskapelle liegt? Durch das Fenster über den Weinregalen schimmert die Silhouette der Jesus-Figur hindurch. Womöglich hatte die Aufteilung einfach logistische Gründe, um den Messwein griffbereit zu haben. Oder diese Ecke des Hauses ist einfach die kühlste. Praktische Architektur ist ja keine Erfindung der Moderne.

Herrenzimmer und Frauenreich Der Rundgang führt durch das Jagdzimmer, in dem nicht nur Flinten und Trophäen, sondern ebenso Kanonenkugeln und erstaunlicherweise auch ein handlicher Granatwerfer ausgestellt sind, hinein in die Pracht des „Despacho del señor“, wo traditionell am Kamin und am Schreibtisch der Herr des Hauses Geschäfte machte und Entscheidungen traf. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass der heutige Museums-Rundgang Welten miteinander verknüpft, die früher nichts miteinander zu tun hatten. Es ist anzunehmen, dass jener Flügel, der Kapelle, Weinkeller und Herrenzimmer beherbergt, an dieser Stelle mit einer fest verschlossenen Tür endete. Dass es nämlich eine direkte Verbindung von der gewichtigen Männerrunde zur Küche gab, wäre zumindest ungewöhnlich. In genau dieser befindet man sich als Besucher aber mit dem nächsten Schritt – und ist beeindruckt von der überbordenden Fülle, mit der die Schau-Küche ausgestattet ist – von den Feigen in der Schale bis hin zu den Empanadas und dem Geschirr im Spülstein. Im sich anschließenden Esszimmer mit gedeckter Tafel und offener Terrassentür stellt sich der Gedanke ein, dass man dringend mal wieder ein großes Essen für Freunde geben müsste. Die gedämpften Klavierklänge übrigens, die durch Haus schweben, kommen aus dem daneben

liegenden Musikzimmer, wo die Damen früher die Gesellschaft nach dem Essen beim Kaffee unterhielten. Es sind diese liebevollen Details, mit denen das Museum dafür sorgt, dass die Fantasie der Besucher sich so mühelos in die alten Zeiten versetzen kann. Und die es ermöglichen, sich die strikten Geschlechterrollen vor Augen zu führen, die damals herrschten. Die angeordneten

Requisiten in den Ankleidezimmern der Herrschaft lassen vermuten, dass der Mann vor dem Zubettgehen noch ein Buch las, Schach spielte oder gar malte. Die Dame hingegen beschäftigte sich mit einer Handarbeit, betrachtete sich im Spiegel oder sortierte ihre Hüte. Immerhin bestiegen sie anschließend das gemeinsame Ehebett, welches allerdings unter strenger Bewachung einer Heiligenfigur steht.

So geht Selbstversorger Dass die Szenerie in allen Räumen so lebendig wirkt, ist zu großem Teil auch dem Reinigungspersonal zu danken. Nicht eine Gardinenfalte ist verstaubt, nicht ein Kerzenleuchter angelaufen, nicht ein Möbelstück mit Spinnweben überzogen. Geputzt wird jeden Tag, und wenn man hinten fertig ist, fängt man vorn wieder von neuem an. Silber und Messing müssen auch poliert werden, wenn sie nicht in Gebrauch sind. Die modernen Mitarbeiter von Els Calderers haben also ganz ähnliche Haushaltspflichten wie die Dienstboten in Schlössern, die in Filmen wie „Downton Abbey“ dargestellt werden. Moderne Romantiker, die heutzutage von einem Leben als Selbstversorger träumen, sollten sich die Kornkammer unter dem Dach genau anschauen. Denn so muss es aussehen, wenn selbst geerntete und hergestellte Grundnahrungsmittel aufbewahrt werden, um die Familie, die Angestellten und die Gäste des Hauses zu verköstigen. In riesigen Schütten lagern Getreide, Hülsenfrüchte, Johannisbrot und Mandeln. Tomaten- und Knoblauchzöpfe hängen an den Wänden, Eingemachtes steht auf dem Bord. Der Backtrog, die Käserei, die Waagen und Gewichte zeugen davon, dass die Früchte der Landwirtschaft alle in eigenen Verfahren verarbeitet wurden.

Zurück in die Gegenwart Ganz erfüllt von den Eindrücken der kleinen Zeitreise durch das authentische Leben einer mallorquinischen Familie sitzen die Besucher draußen im Schatten unter Bäumen. Die Ruhe und Besinnlichkeit lassen allen modernen Wohlstandsstress von einem abfallen. Kein Handy klingelt, keine Hektik nirgendwo. Noch ein wenig mit den schwarzen Schweinen schäkern, die Ziegen mit Blättern vom Maulbeerbaum füttern, mit den Gänsen schnattern und den Hühnern gackern – dann ist der Rundgang beendet. So schnell vergehen zwei Stunden! Und wenn man anschließend zum Parkplatz zurück geht, wundert man sich, dass dort Autos stehen – und keine Kutschen.

Els Calderers bei Sant Joan, ausgeschildert an der Hauptstraße Palma-Manacor www.elscalderers.com Mo-Sa 10-17 Uhr Eintritt 9 €, ermäßigt 4 € (deutschsprachige Informationen)

Historischer Überblick Im Jahr 1285 wird der Landsitz unter dem Namen der Besitzerfamilie Calderers erstmals urkundlich erwähnt. Das heutige Hauptgebäude ist ab 1750 errichtet worden und wurde bis ins frühe 19. Jahrhundert erweitert. Restaurierungsmaßnahmen erfolgten Mitte des 20. Jahrhunderts durch den damaligen Besitzer D. Francisco Juan de Sentmenat. Das Wappen der Familie Sentmenat trägt den Wahlspruch „Wollen ist Siegen“.

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