EL AVISO | 09/2021
ESSEN & TRINKEN FREIZEIT
Besuch in der Vergangenheit
Im Landgut Els Calderers ist die Zeit stehen geblieben. Die Familie Sentmenat hat die historische Finca ihrer Vorfahren in ein Museum umgewidmet und verschafft Besuchern die Möglichkeit, in das authentische mallorquinische Leben um 1900 einzutauchen. Die Großmutter von Javier Marqués hat auf dem Gut Els Calderers noch ihre Sommer zugebracht, er selbst verwaltet seit 28 Jahren als Museumsdirektor die originalen Möbel und Utensilien seiner Vorfahren. „Das hier ist das authentische Mallorca. Bei uns gibt es keine feinen Rasenflächen, sondern einheimische Pflanzen und Tiere.“ Ein historisches Foto von 1956 am Eingang zeigt Herren und Bedienstete mit Pferden, Rindern und Hunden zu einem Gruppenbild aufgestellt an genau der Stelle, wo die Besucher heute das Gebäude betreten, um sich ihre Tickets zu kaufen. Zu besichtigen sind 3.000 Quadratmeter Fläche, 20 Räume, etliche Werkstätten und Ställe. „Vor fünfzig Jahren haben hier noch 30 Personen in der Landwirtschaft gearbeitet, dann begann der Tourismus aufzublühen und es entstanden lukrativere Jobs und Einnahmequellen.“ Das Landleben warf kaum noch etwas ab und die Familie Sentmenat machte sich Gedanken darüber, was mit dem Anwesen geschehen sollte. Schließlich entschied man sich dafür, Besuchern zu zeigen, wie früher auf Mallorca gelebt wurde.
Der Weinkeller gleich neben der Kapelle In der Hand einen Zettel, auf dem kurze Erklärungen zu allen Räumen aufgelistet sind, können die Besucher ohne Führung durch das Gebäude flanieren und sich auf eine Zeitreise begeben, bei der sich die Realität mit der eigenen Fantasie mischt. Im Empfangsraum weht eine angenehme Brise, die aus dem begrünten Innenhof herein streicht. Der Wind rauscht in den Bäumen, die Grillen zirpen und von fern ist leise Klaviermusik zu vernehmen. Das gesamte Ambiente vermittelt das Gefühl, in einen historischen Film geraten zu sein, dessen perfekte Ausstattung die Anwesenden in vergangene Zeiten zurück versetzt. Sogar die Naturgeräusche sind die gleichen wie vor 100 Jahren. Trotz aller Romantik bleibt während des Rundgangs der Kopf frei für die kleinen Kuriositäten am Rande. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, warum der Weinkeller gleich neben der Hauskapelle liegt? Durch das Fenster über den Weinregalen schimmert die Silhouette der Jesus-Figur hindurch. Womöglich hatte die Aufteilung einfach logistische Gründe, um den Messwein griffbereit zu haben. Oder diese Ecke des Hauses ist einfach die kühlste. Praktische Architektur ist ja keine Erfindung der Moderne. Herrenzimmer und Frauenreich Der Rundgang führt durch das Jagdzimmer, in dem nicht nur Flinten und
22
Trophäen, sondern ebenso Kanonenkugeln und erstaunlicherweise auch ein handlicher Granatwerfer ausgestellt sind, hinein in die Pracht des „Despacho del señor“, wo traditionell am Kamin und am Schreibtisch der Herr des Hauses Geschäfte machte und Entscheidungen traf. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass der heutige Museums-Rundgang Welten miteinander verknüpft, die früher nichts miteinander zu tun hatten. Es ist anzunehmen, dass jener Flügel, der Kapelle, Weinkeller und Herrenzimmer beherbergt, an dieser Stelle mit einer fest verschlossenen Tür endete. Dass es nämlich eine direkte Verbindung von der gewichtigen Männerrunde zur Küche gab, wäre zumindest ungewöhnlich. In genau dieser befindet man sich als Besucher aber mit dem nächsten Schritt – und ist beeindruckt von der überbordenden Fülle, mit der die Schau-Küche ausgestattet ist – von den Feigen in der Schale bis hin zu den Empanadas und dem Geschirr im Spülstein. Im sich anschließenden Esszimmer mit gedeckter Tafel und offener Terrassentür stellt sich der Gedanke ein, dass man dringend mal wieder ein großes Essen für Freunde geben müsste. Die gedämpften Klavierklänge übrigens, die durch Haus schweben, kommen aus dem daneben