TagesSatz 2009/11

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EDITO R I A L Liebe Leserinnen, Liebe Leser, Im Grunde genommen beschäftigt sich diese Ausgabe mit einem Thema in eigener Sache. „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist das Prinzip, dem sich der TagesSatz verpflichtet hat. Die Redewendung von der Hilfe zur Selbsthilfe hat sich zu einem gewissen Markenzeichen im Bereich sozialer Einrichtungen entwickelt. Was aber verbirgt sich hinter dieser Formel? – Es geht dabei ums „selber machen“, um das Bewusstsein, auf eigenen Beinen zu stehen. Doch was passiert, wenn ich den Boden unter den Füßen verliere, krank werde oder in Abhängigkeit gerate und keine Möglichkeit habe, mich aus dieser Situation zu befreien? Dann ist es gut, wenn mir jemand die Möglichkeiten bietet, dass ich mir selber helfen kann. Dass es nicht möglich ist, sich am eigenen Schopf samt Pferd aus dem Sumpf zu ziehen – wie es der Baron von Münchhausen einst getan haben soll –, liegt auf der Hand. Hilfe zur Selbsthilfe wird in den unterschiedlichsten Einrichtungen angeboten. Sei es im Bereich der Suchterkrankungen, psychischer Probleme oder körperlicher Behinderungen – um nur einige zu nennen. In unserem Leitartikel (Seite 8) stellt TagesSatz-Autor Jörg Sanders dar, wie Selbsthilfegruppen funktionieren können und erlaubt einen sehr persönlichen Einblick in das Thema Selbsthilfe. Der Beitrag des TagesSatz-Verkäufers Jörg „Yogi“ Müller schildert zudem das Thema aus der Sicht eines Betroffenen (Seite 11). In jedem Fall ist aber klar: Es geht nicht ohne eigene Anstrengungen. Es gilt hier der weit verbreitete Ausspruch, einem Hungrigen keinen Fisch zu geben, sondern ihm das Angeln beizubringen. Also: Mach was draus! In diesem Sinne: Viel Spaß bei Lesen. Ihre Redaktionsleitung

TagesSatz. Hilft sofort.

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Der TagesSatz wird von Menschen in sozialen Schwierigkeiten auf der Straße verkauft. Vom Verkaufspreis der Zeitung (2,00 Euro) behalten die VerkäuferInnen 1,00 Euro. Sie können damit ihre finanzielle Situation verbessern und sind nicht mehr auf Almosen angewiesen.

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Die Mitarbeit in Redaktion und Vertrieb des TagesSatz bietet arbeits- und wohnungslosen Menschen eine Aufgabe und die Möglichkeit, neue soziale Kontakte zu knüpfen und ermöglicht langfristig gesehen den Wiedereinstieg ins Berufsleben.

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Der TagesSatz finanziert sich ausschließlich durch Verkaufserlöse, Anzeigen und Spenden. Das Straßenmagazin erhält keine regelmäßigen Fördermittel.

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Wenn Sie den TagesSatz über den Kauf hinaus unterstützen wollen, können Sie auf folgendes Konto eine Spende überweisen:

Jascha Grewe und Malte Schiller (Göttingen)

TagesSatz e.V. Kassler Sparkasse Kto.: 1183379 Blz.: 52050353 TagesSatz e.V. Sparkasse Göttingen Kto.: 50581511 Blz.: 26050001 Bitte geben Sie Ihre Adresse im Feld Verwendungszweck an, damit wir Ihnen eine Spendenbescheinigung zusenden können.

Der TagesSatz ist Mitglied von:

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EINDRÜCKE

HOFSÄSS (INDI) *IndiPETER träumte von einem Leben auf einer, seiner Insel gemeinsam mit seinem Hund. Nach mehr als 40 Jahren auf der Straße hat er seine gute Laune und offene Art nicht verloren.

EINWEGLEBEN *Menschen auf der Straße fotografieren ihr Leben (www.einwegleben.de). Den Bildsonderband können Sie bei den TagesSatz-Verkäufern erwerben!

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IN H A LT

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MACH WAS DRAUS! 8 Dadurch, dass man anderen hilft, wird man selbst gestärkt! von JÖRG SANDERS 11 Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen von JÖRG „YOGI“ MÜLLER 12 Sanktionen motivieren keine Arbeitskräfte von TRUDI KINDL & HARALD WÖRNER 15 Merxhausen – Ort zur Behandlung süchtiger Straftäter VON STEFAN GIEBEL

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Rubriken

Göttingen 18 Ein Leben der besonderen Art von ANNA KNOKE 20 Gedanken eines TagesSatz-Verkäufers von ANDREAS PRAMANN

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Kassel 22 Zwei Seiten einer Medaille von HARALD WÖRNER 24 Selbstorganisation und Grundsicherung von CHRISTIAN RODE

Kultur 28 Wenn die Leute tanzen, hat der Song sein Recht von ANDREA TIEDEMANN 29 Der Funker von ARNO GEIGER

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Editorial In eigener Sache Der Ticker Der Stolperstein Paragraphenreiter Karikatur Straßengeflüster Winkeladvokat Die Kochnische Kultur-Empfehlungen Hinter den Kulissen Zwischen den Zeilen In der Nahaufnahme Mal ehrlich... Nächstes Mal Impressum Wohin, wenn Das Allerletzte

Bitte ausschneiden und zurücksenden an: TagesSatz e.V., Westring 69, 34127 Kassel

Fördermitglied oder ABO?

Grundsätzlich möchten wir Sie darum bitten, die Zeitung auf der Straße zu kaufen. Für diejenigen, die dazu keine Möglichkeit haben, bieten wir ein Abo für 50 € / Jahr an. Damit wird Ihnen der TagesSatz ein Jahr lang (12 Ausgaben) zugestellt. Selbstverständlich können Sie das Abo auch verschenken. Wer den TagesSatz darüber hinaus unterstützen möchte, der kann Fördermitglied werden. Eine Spendenquittung wird Ihnen am Jahresende automatisch zugesandt.

Ja, ich möchte dem TagesSatz e.V. als förderndes Mitglied beitreten.

Hiermit ermächtige ich den TagesSatz e.V. meinen Jahresbeitrag / meine jährl. Abokosten bis auf Widerruf von folgendem Konto abzubuchen: Name, Vorname:

Den Jahresbeitrag ( Mindestbeitrag von 75,- € ) in Höhe von

Straße, Hausnr.:

_____ € lasse ich jeweils vom angegebenem Konto abbuchen.

PLZ, Ort:

Der TagesSatz soll mir monatlich zugesandt werden.

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Ja, ich möchte das Straßenmagazin TagesSatz für mindestens ein Jahr abonnieren. Die Kosten von 50,- € (incl. Versand) lasse ich jeweils vom angegebenem Konto abbuchen.

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Ort, Datum

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I N E I G E N E R SACHE

Leistung lohnt sich wohl doch nicht! * KOMMENTAR VON JÖRG „YOGI“ MÜLLER

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etzt, kurz nach den Wahlen – ob Zufall oder nicht – ist ein Bescheid bei uns im TagesSatz-Büro Göttingen eingegangen. Der Überbringer dieses Bescheides ist der Landkreis Göttingen. Die Entscheidung aber – wichtig – kam vom Sozialministerium in Hannover und lautet so: Alle TagesSatz-Verkäufer können nur noch hundert Zeitungen im Monat ‚frei‘ verkaufen. Das darüber hinaus verdiente Geld durch den Zeitungsverkauf wird dann zu achtzig Prozent angerechnet. Konkret: Nachdem ich hundert Zeitungen verkauft habe und pro Zeitung einen Euro bekommen habe, werden bei jeder weiteren verkauften Zeitung achtzig Cent von meinem kargen Hartz-IV gekürzt. Dass dann kaum noch Motivation da ist, bei Wind und Wetter und auch am Wochenende meinen Kunden ein wirklich gutes und faires soziales Magazin wie den TagesSatz anzubieten, ist wohl verständlich. Eigentlich sind die ein Euro pro Zeitung eine Anerkennung und Zuwendung dafür, an Hartz-IV nicht zu zerbrechen oder den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern dafür kreativ zu sein und Eigeninitiative zu zeigen, um spüren zu können, dass sich Leistung und Arbeit doch wieder lohnen können. Wenn ich sieben Tage in der Woche viele Stunden dieses tolle Straßenmagazin anbiete, und dann mit achtzig Prozent Abzug bestraft werde, nur weil ich zwanzig bis sechzig Zeitungen mehr verkauft habe als der Freibetrag von hundert Euro es erlaubt; und wenn ich dann sehe, dass sogenannte Leistungsträger unserer Gesellschaft wie Banker und andere Manager, Aufsichtsräte und Unternehmer durch Fehler und Missmangement ein Unternehmen in die Pleite und Insolvenz treiben, dafür aber Millionen Euro Abfindung oder

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Boni bekommen, da kommt dann das Gefühl von Ärger und Unverständnis hoch. Mein Bedürfnis nach Fairness und Gerechtigkeit ist nicht erfüllt. Vor circa einem halben Jahr wurde mir ja schon acht Monate lang der Verkauf angerechnet. Der bürokratische Aufwand war sehr groß und unverhältnismäßig; da ja die Zuwendung vom Verkauf im Monat unregelmäßig ist, musste mir jeden Monat einer neuer Hartz-IV-Bescheid errechnet und zugeschickt werden. Ich wünsche mir von euch lieben Menschen im Sozialministerium in Hannover und hier im Landkreis und Stadt Göttingen: Zeigt doch mal wahre Größe und “lasst mal fünfe gerade sein!” Ein außergewöhnlicher Status für ein außergewöhnliches Projekt. Wenn es so lukrativ und einfach wäre, als TagesSatz-Verkäufer Geld zu machen, warum suchen wir noch Verkäufer und warum werden wir nicht überrannt? Es ist halt nicht einfach, da jeden Tag in der Öffentlichkeit zu stehen und manchmal auch Pöbeleien ausgesetzt zu sein. Nur weil man bemüht ist auf eine legale und korrekte Art und Weise wieder Fuß in dieser Gesellschaft zu fassen, sollten uns nicht noch mehr Steine in den Weg gelegt werden. Also liebe Menschen vom Sozialministerium und von der Stadt und vom Landkreis, ich wünsche mir von Euch weniger sture Hartz-IV-Gesetzanwendung. Dafür mehr praktisches, an der sozialen Wirklichkeit orientiertes und gerechtes Handeln. Danke. Ihr TagesSatz-Verkäufer Yogi M. TagesSatz

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DER TI C K E R Bedrohung demokratischer Grundlagen?

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Malte Schiller

Göttingen – Mit Erstaunen berichtet die Göttinger Stadtinfo Goest auf ihrer Internetseite, dass sich der Staatsschutz mit ihnen beschäftige – und das wegen einer BeleidigungsAnzeige gegen das Online-Magazin. Alles begann mit einem Bericht von Goest über Konflikte im BlümchenViertel zwischen deutschen Anwohnern und den dort lebenden Roma. Das Online-Magazin hatte berichtet, der Beschwerdebrief einer Anwohnerin sei „rassistisch aufgeladen“, woraufhin der presserechtlich Verantwortliche eine Beleidigungsanzeige erhielt. Wegen der Anzeige zeigt sich das unabhängige Stadtmagazin nicht empört, wohl aber darüber, dass sich der Staatsschutz einschaltete. Denn dieser beschäftige sich eigentlich mit Straftaten, die einen politischen Hintergrund haben und die „demokratischen Grundlagen des Gemeinwesens“ bedrohen. Die Redaktion fühlt sich als Staatsgegner diffamiert und kritisiert die Willkür, mit der ein Bericht, der sich kritisch mit Fremdenfeindlichkeit in Göttingen auseinandersetze, als politische Straftat eingeordnet werde. Angaben dazu, worüber und wie genau der Staatsschutz in diesem Fall ermittelt, wurden und konnten vielleicht nicht gemacht werden.

genen Jahren habe die Zahl der Rentner mit Mini-Jobs im Kreis Göttingen um rund 25 Prozent zugenommen. Die Zahlen stammen nach ver. di und NGG von der Bundesagentur für Arbeit. Oft sei es Not, die Rentner dazu zwinge, neben der Rente einen Job auszuüben. Die Gewerkschaften befürchten, dass die Zahl dieser Rentner in Zukunft zunehmen könnte. Denn wer heute schon wenig verdiene, könne keine existenzsichernde Rente aufbauen und sich keine private Altersvorsorge leisten. Deshalb sei ein Mindestlohn dringend notwendig. Ver.di und NGG fordern Beschäftigte mit einem Stundenlohn von unter sechs Euro auf, dies zu melden – per Internet unter: www.dumpinglohn.de.

Weitere Infos unter www.goest.de

Un-Ruhestand Göttingen – Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sprechen von einer „alarmierenden Entwicklung“: In den vergan-

Stadt und Kreis droht neues Millionenloch Berlin/Kassel – Ein Beschluss der Bundesregierung könnte künftig dafür sorgen, dass den Etats der Stadt und des Landkreises Kassel neue Einnah-

meausfälle drohen. Denn der Bund kürzt seine Beteiligung an den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose und deren Familien ab dem kommenden Jahr von 25,4 auf 23 Prozent. Für die Stadt Kassel bedeutet dies ein Minus von schätzungsweise eineinhalb Millionen Euro. Für das Jahr 2010 rechnet die Stadt mit Unterkunftskosten in Höhe von 57,5 Millionen Euro. Wenn nun der Kabinettsbeschluss greift, bekommt Kassel statt 14,6 nur 13,2 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt, rechnet Stadtkämmerer Barthel vor. Nicht ganz so hoch wird der Ausfall im Landkreis Kassel sein. Nach Angaben des Sprechers Harald Kühlborn sind insgesamt 22 Millionen Euro für das Jahr 2010 veranschlagt. Aus dem Bundeshaushalt sollten ursprünglich 5,5 Millionen Euro kommen. Nun dürften es wohl nur fünf Millionen werden. „Das können und wollen wir so nicht hinnehmen“, sagte Kassels Stadtkämmerer Barthel. Die Stadt will nun über kommunale Spitzenverbände, wie den Deutschen Städtetag, Druck machen: „Das muss korrigiert werden.“ Barthel empört sich auch deswegen über den Beschluss, weil die Bundesregierung den Kommunen bei den Unterkunftskosten ursprünglich eine Entlastung von 2,5 Milliarden in Aussicht gestellt habe. Auch vom Landkreis kam Kritik. Vor einiger Zeit habe Landrat Uwe Schmidt vorgeschlagen, dass die Bundesregierung Unterkunfts- und Heizungskosten übernehmen solle. Im Gegenzug würden sich die Kommunen um die Arbeitsförderung kümmern. „Das können wir besser steuern als die Arbeitsagentur“, so Kühlborn. ANZEIGE

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Jörg „Yogi“ Müller

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Dadurch, dass man anderen hilft, wird man selbst gestärkt! Spina Bifada, Huntington, Fibromyalgie, Myasthenia Gravis – das alles sind Krankheiten, von denen die meisten Menschen sicherlich nie zuvor gehört haben. Was aber tun, wenn man plötzlich selbst von Krankheit, Sucht oder einem psychischen Problem betroffen ist? Professionelle Hilfe durch Ärzte und Therapeuten ist anfangs gegeben, dennoch fühlt sich der Betroffene eventuell allein mit seinem Problem auf weiter Flur. Das muss aber nicht sein!

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erbst 1986, mitten in der Nacht, schätzungsweise 2.00 Uhr. Ich liege friedlich schlafend in meinem Bett, es ist dunkel. Irgendetwas stört die friedliche Stille – ein Weinen?! Ungewöhnlich. Ich schalte das Licht ein, richte mich auf, lausche, da ist es wieder, das Jammern und Weinen. Mir wird sofort unwohl zumute – natürlich, ich bin acht. Ich will dem Geräusch nach-

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* JÖRG SANDERS gehen, stehe auf, gehe zur Tür, öffne sie. Im langen Flur ist das Licht eingeschaltet. Ich blicke den Flur hinunter und versuche, die Geräuschquelle ausfindig zu machen. Das Unwohlsein steigt, Angst habe ich aber nicht. Das Zimmer meiner Eltern ist ebenfalls geöffnet, auch dort ist das Licht eingeschaltet. Also gehe ich langsam auf das Zimmer zu, erblicke zuerst meine Schwester, die recht hilflos wirkend inTagesSatz

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TITELTH E M A mitten des Elternschlafzimmers steht. Den Kopf weiter um die Ecke gereckt erkenne ich, dass es mein Vater ist, der so fürchterlich jammert. Er sitzt auf der Bettkante, mit dem Rücken zur Tür. Neben ihm sitzt meine Mutter, auch sie weint, umarmt meinen Vater, denn er weint wie ein kleines Kind. Dieses Bild verstört mich, verunsichert mich, nicht nur weil ich den Grund ihrer Verzweifelung nicht kenne. Die Situation ist neu. Auch ich fange zu weinen an, ich weiß nicht warum. Das Weinen meines Vaters jedenfalls habe ich nicht erkannt, da es das erste Mal ist, dass ich ihn weinen höre und sehe. Er wiederholt des Öfteren einen kurzen Satz, den ich vor lauter Schluchzen nicht verstehen kann. Ich gehe langsam um das breite Ehebett herum, an meiner Schwester vorbei. Bei meinen Eltern angekommen, höre ich nun, welch fatale und zugleich höchst wichtige Erkenntnis er schluchzt: Ich bin Alkoholiker! Die ersten acht Jahre meines Lebens hatte ich einen Alkoholiker zum Vater. Diese Erfahrungen sind nun 23 Jahre her, nur noch wenige Erinnerungen habe ich behalten, und vermutlich ist das auch besser so. Einige unschöne Bilder haben sich dennoch unauslöschlich in meinen Kopf eingebrannt. Mein Vater jedenfalls begann noch in der oben genannten Nacht den stationären Entzug und ist seither trocken. Das hat er seinem guten Arzt zu verdanken, aber auch dem Kreuzbund. Dabei handelt es sich um Selbsthilfeorganisation für Suchtkranke und deren Angehörige, in der sich rund 30.000 Menschen in 1.600 Selbsthilfegruppen allwöchentlich treffen und dessen Geschichte bis in das Jahr 1896 zurückzuführen ist. Eine erfahrene „Delegation“ besuchte uns anfangs zu einem Gespräch und sprach meinem Vater Mut zu. Mut, dem Alkohol für immer zu entsagen, Mut, sich dem Kreuzbund anzuschließen, was er auch tat und bis heute jeden Freitag tut. Die Kreuzbundgruppe meiner Eltern unterteilt sich in mehrere kleinere Gruppen. Unter ihnen sind Maurer, Rechtsanwälte, Facharbeiter. Sie reden

über ihre Sucht, aber auch über den normalen Alltag. Die Atmosphäre ist entspannt, sogar familiär. Es handelt sich um eine Gemeinschaft mit einem immensen Zusammengehörigkeitsgefühl und Zusammenhalt. Neben den wöchentlichen Gruppentreffen werden zahlreiche weitere sportliche und gesellschaftliche Aktivitäten veranstaltet, was eher ungewöhnlich für eine Selbsthilfegruppe ist. Auf diese Weise wird nicht nur den direkt Betroffenen in vielfältiger Form geholfen, auch Familienangehörige und Freunde werden einbezogen und Teil dieser Gemeinschaft. Erleidet ein Gruppenmitglied einen Rückfall und trinkt – oftmals aufgrund eines Schicksalsschlages – werden die erfahrenen und engagierten Mitglieder sofort aktiv: Zu jeder Tages- und Nachtzeit rücken sie wie eine Notfallambulanz zu dem Gruppenmitglied aus, um die Wogen zu glätten. Nur ohne Blaulicht und Martinshorn. Meine Eltern gehörten bereits

brauche“, so mein Vater, während meine Mutter es ebenso sieht: „Es sind meine Freunde, die meinen Mann und mich genau kennen und jede Veränderung von uns wahrnehmen. Dort kann ich mich auch nach zwanzig Jahren fallen lassen.“ Demzufolge muss ein Betroffener mithilfe einer vertrauten SHG keine Angst davor haben, allein dazustehen. Betroffene gewinnen Vorbilder und werden selbst im Laufe der Zeit zu welchen, erlangen neues Selbstbewusstsein und übertragen dieses bewusst oder unbewusst auf andere Betroffene. „In den ersten Jahren habe ich viel Hilfe gebraucht und angenommen. Inzwischen kann ich durch meine Erfahrung anderen helfen. Dies macht mich wiederum stark, abstinent zu bleiben“, erklärt mein Vater. Das sind Aspekte, die Krankenhäuser, psychosoziale Beratungsstellen und eventuell sogar Familien und Freunde nicht leisten können. All diese persönlichen Erfahrungen am konkreten Beispiel umschreiben das generelle Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe sicherlich sehr gut, wenngleich auf einer unsachlichen Ebene. Formale Prinzipien sind jedoch nicht weniger wichtig für den Erfolg einer SHG:

Schnelle Eingreiftruppe, nur ohne Blaulicht und Martinshorn

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mehrfach zu dieser „schnellen Eingreiftruppe“. Früher wurde ihnen geholfen, heute helfen sie anderen, denn „dadurch, dass man anderen helfen kann, wird man selbst gestärkt“, erklärt meine Mutter. Das ist auch ein Grund, warum die Selbsthilfegruppe (SHG) professioneller Hilfe auf lange Sicht vorgezogen wurde. „Dort sind Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, wovon ich rede, keine Theoretiker“, so mein Vater. Diese Meinung vertritt auch meine Mutter: „Die Menschen dort haben die harte Praxis gelebt!“ Vertrauen, ein starkes Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt sind nichtformale Kriterien, die für den Erfolg einer jeden SHG ausschlaggebend sein können. Für meine Eltern sind die anderen Mitglieder ihrer SHG nicht irgendwelche Menschen. „Dort sind meine Freunde, die mich in- und auswendig kennen und die rund um die Uhr für mich da sind, wenn ich sie

Es ist unerlässlich, dass sich die betroffenen Personen helfen lassen wollen. Das Prinzip der Eigeninitiative ist unabdingbar. Unerlässlich ist ebenfalls, dass jeder Teilnehmer einer SHG selbst betroffen ist – direkt oder als Angehöriger. So können den Verlust eines Kindes sicher nur diejenigen verstehen, die ebenfalls ein Kind verloren haben. SHG verzichten des Weiteren auf einen (nicht betroffenen) Leiter. Ferner entscheiden sie selbst, welche Arbeitsweisen angewandt und Ziele angestrebt werden. Sollte es dabei zu Schwierigkeiten innerhalb einer Gruppe kommen, kann eine externe Person zur Supervision oder Mediation hinzugezogen werden. In Göttingen wäre 9


T I T E LT H E M A das gegebenenfalls Barbara Meskemper, die die Kontakt-, Informationsund Beratungsstelle im Selbsthilfebereich (KIBIS) Göttingen leitet. Des Weiteren ist jedes Mitglied gleichberechtigt. Neben der Selbstverantwortung der Gruppe entscheidet jedes Gruppenmitglied überdies für sich selbst, über sein Handeln und inwieweit es sich in die Gruppe einbringen möchte. Auch werden SHG in der Regel nicht von Experten geleitet; vielmehr „ist jedes Gruppenmitglied selbst Experte, der sein Wissen weitergibt, das ist ganz wertvoll und manchmal nicht vergleichbar mit angelerntem Wissen“, so Meskemper. Eine vertraute Basis ermöglicht den Austausch von Erfahrungen, daraus können neue Erkenntnisse gewonnen werden. Das schließt natürlich nicht aus, dass im Rahmen eines Vortragsabends ein Experte hinzugezogen werden kann. Und selbstredend wird in der Regel die Vereinbarung getroffen, dass Inhalte aus Gesprächen den Kreis der SHG nicht verlassen.

kemper berichtet, und wenn man bedenkt, dass „Selbsthilfegruppen sogar Ergebnisse erzielen können, die vergleichbar sind mit denen einer Gruppenpsychotherapie.“ Laut der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle (NAKOS) haben bis zu drei Viertel der SHG ihren Schwerpunkt in den Bereichen Erkrankung und Behinderung. Dazu zählt das gesamte Spektrum körperlicher Erkrankungen und Behinderungen sowie der Sucht und Abhängigkeit, psychischen Erkrankungen. Meskemper verzeichnet dabei in den letzten Jahren eine stetig zunehmende Nachfrage gerade im Bereich der seelischen Gesundheit – beispielshalber Ängste und Depressionen, aber auch Arbeitsplatzverlust und familiäre Zusammenbrüche. Zurückzuführen ist dies wohl auf die sich rasch ändernde Gesellschaft mit stetig wachsendem Druck, aber das ist nur eine Mutmaßung.

Zu guter Letzt muss erwähnt werden, dass Hilfe zur Selbsthilfe keinen Arzt und keine professionelle Therapie ersetzen kann. Und so „ist die Hilfe zur Selbsthilfe nicht für jeden Menschen die richtige Problembewältigungsstrategie“, so Meskemper, „daher vermittle ich circa fünfzig Prozent der Personen, die mich aufsuchen, in die professionelle Hilfe.“ Darunter fallen uunter anderem Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen oder Essstörungen. Hier kann die Hilfe zur Selbsthilfe die professionelle lediglich ergänzen. Mein Vater jedenfalls hat sein Leben dank der SHG wieder in den Griff bekommen. Getrunken hat er seither keinen Tropfen, auch meine Mutter nicht, obgleich sie selbst nie ein Alkoholproblem hatte. Ob sich ihre Situation heute ebenso darstellte, wenn mein Vater die Hilfe des Kreuzbunds nicht gehabt hätte, ist mehr als fraglich. Meine Mutter muss nicht lange überlegen: „Ich wäre schon lange von meinem Mann getrennt, weil ich nicht mit hätte anschauen können, wie er sich zu Tode trinkt!“ Mein Vater unterstreicht diese Aussage und meint dazu lakonisch: „Ohne die Selbsthilfegruppe läge ich schon lange lange Zeit auf dem Friedhof!“ Ich bin stolz, dass er es nicht tut!

Ich bin stolz, dass er es nicht tut!

Diese formalen und informalen Prinzipien haben dazu beigetragen, dass sich die Hilfe zur Selbsthilfe als eine in Deutschland traditionelle Bewältigungsform bewährt hat und weit verbreitet ist. Allein in Stadt und Kreis Göttingen sind rund 250 Selbsthilfegruppen aktiv, in Kassel sind es noch mal mehr als 200. Mit deutschlandweit 70.000 bis 100.000 Selbsthilfegruppen ist „die Selbsthilfe als vierte Säule im Gesundheits- und Sozialsystem anzusehen und heute nicht mehr wegzudenken“, so Meskemper. Sie nimmt damit im europäischen Vergleich eine Spitzenposition ein und dient als wichtiges Standbein zur Gesunderhaltung und Problembewältigung. Der hohe Stellenwert macht sich auch insofern bemerkbar, dass Länder, Kommunen und Krankenkassen die Selbsthilfe zunehmend fördern, „wenngleich sie längst nicht ausreichend gefördert wird, erst recht nicht in Anbetracht der Kosten, die dadurch im Gesundheits- und Sozialbereich eingespart werden“, wie Mes10

Umso mehr verwundert es, dass Hilfe zur Selbsthilfe weitaus weniger im sozialen Bereich organisiert ist, die die Themen Familie, Partnerschaft, Arbeitslosigkeit, Alter, Migration und zahlreiche weitere Bereiche zum Schwerpunkt haben. In diesem Bereich agiert der TagesSatz, der Menschen in sozialer Not hilft, sich selbst zu helfen (siehe Seite 11). Wer letztendlich Hilfe zur Selbsthilfe in Anspruch nimmt, lässt sich nicht generell beantworten. Meskemper verweist jedoch darauf, dass es zu zwei Dritteln Frauen sind. Ferner sind es überwiegend Menschen zwischen 35 und 80 Jahren aus mittleren und höheren Schichten und weniger die, die benachteiligt sind. Überdies sind Menschen aus anderen Kulturkreisen seltener in Selbsthilfegruppen eingebunden. „Sie haben keine Kommen-Mentalität, wir müssen sie abholen, da sie eine andere Art und Weise haben, mit Problemen umzugehen“, so Meskemper. Hierfür gebe es eine Kooperation mit dem Nachbarschaftszentrum in Grone.

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MEHR ZUM THEMA: Nationale Kontakt- und Informationsstelle (NAKOS) www.nakos.de Kontakt-, Informationsund Beratungsstelle im Selbsthilfebereich (KIBIS) www.selbsthilfe-goettingen.de Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (KISS) www.selbsthilfe-kassel.de Kreuzbund e.V. – Bundesgeschäftsstelle www.kreuzbund.de

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Jörg „Yogi“ Müller

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Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Der TagesSatz präsentiert tagtäglich ein wahres Selbsthilfeprogramm. Seit einem Jahr versuche ich nun mich in die deutsche Hochleistungsgesellschaft wieder einzugliedern und „Fuß zu fassen“; nach fast 29 Jahren „on the Road“.

* JÖRG „YOGI“ MÜLLER

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hne große Verantwortung habe ich das Leben von Freiheit und Abenteuer voll ausgelebt. Davon war Indien mit kurzen Unterbrechungen die letzten 17 Jahre mein Aufenthaltsort. Ein von Deutschland, gesellschaftlich und kulturell völlig anderes Land! So, dass ich hier in Deutschland und in meiner Heimatstadt Göttingen nicht mehr klar komme und überall anecke und dadurch manchmal schier verzweifele und mich isoliert und einsam fühle. Dass ich mich nicht noch mehr zurückgezogen habe und langsam sogar das Gefühl habe, zu verstehen wie diese Gesellschaft hier tickt, habe ich meiner Aktivität beim TagesSatz zu verdanken. Einmal bin ich gezwungen mein karges Hartz-IV-Geld aufzubessern, und somit fast jeden Tag raus zu gehen. Meinem Tag Struktur zu geben. Dadurch, dass ich mit mehr als der Hälfte meiner TagesSatz-Kunden ins Gespräch komme, lerne ich wie man kommuniziert. Aber vor allem durch das positive Feedback meiner Kunden, die Anerkennung, dass ich hier gute und sinnvolle Arbeit leiste, indem ich immer mit einem freundlichen Gesicht und sehr höflich aber auch sehr dezent und rücksichtsvoll den TagesSatz anbiete; eine Ermunterung wie „Kopf hoch“, gute Wünsche oder die Bemerkung „Sie tun wenig-

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stens etwas“ geben mir Halt und bauen mich auf, geben mir Mut, um nicht in diesem tristen Hartz-IV-Alltag völlig unterzugehen. Seit ungefähr zehn Monaten mache ich Fotos und schreibe für den TagesSatz. Auch dadurch bekomme ich gesellschaftliche Anerkennung. Ich fühle mich dadurch nicht mehr so ausgegrenzt. In den wöchentlichen Redaktionssitzungen lerne ich zu diskutieren und mich auf Teamarbeit einzulassen. Auch der kleine Zuverdienst durch den Verkauf gibt mir Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, das man als Hartz-IV Empfänger sehr schnell verlieren kann. Zurzeit mache ich eine Qualifikation bei der Dekra Akademie als Lager-Logistiker. Ich hoffe, dass sich damit meine Bewerbungserfolge auf dem ersten Arbeitsmarkt erhöhen. Hier noch ein Gedicht, das ich 1989 empfangen habe, und das ich als Hilfe zur Selbsthilfe durch meine Vipassana Meditation verstehe:

DER WEG Gehst Du durchs Leben Ohne Ruh und Rast Gefangen von des Alltags Hast Kehr ein in absolute Stille Erfahre dadurch Gottes Wille der Dich dann erfülle mit den richtigen Ideen lässt Du es dann durch Dich geschehen wirst Du sehr bald schon sehen wie mit neuer Kraft Einzigartiges Du hast geschafft Schon in der kleinsten Handlung spürst Du eine große Wandlung Besinn dich gleich und nicht zu spät dann bist Du auf den richtigen Weg Vergesse Zweifel, Not und Sorgen denn in Dir ist der größte Schatz verborgen Beginne im Innern mit der Suche gleich dann bist Du morgen froh und reich Die Belohnung ist ganz sicher Dein kehrst Du sogleich in die Stille ein Was in dieser Zeit geschieht wenn man sich der äußeren Welt entzieht ist mit den Verstand nicht zu erfassen Du beginnst zu lieben statt zu hassen Zuvor war im Leben noch nie jemals soviel Harmonie Kannst Du aus tiefsten Herzen lieben Wirst Du alle Feinde besiegen und im Mittelpunkt der Welt steht nicht mehr Macht und Geld sondern aus Deiner eigenen Mitte werden gelenkt all Deine Schritte Täglich sollst Du immer üben alles grenzenlos zu lieben So nimmt Deine Entwicklung einen guten Lauf und Du steigst in neuen Höhen auf Doch keine Bange Du gehst nie allein Dein innerer Führer wird stets bei Dir sein Du musst nur voll Vertrauen stets nach innen schauen Möchtest Du jetzt diesen Weg beginnen werde einfach still und schau nach innen Ganz sanft wird am Anfang Deine Führung sein drum höre ständig und aufmerksam in Dich hinein 11


Jörg „Yogi“ Müller

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Sanktionen motivieren keine Arbeitskräfte

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Nach der Budestagswahl wird auch über eine Neuordnung des ALG II diskutiert. Union und FDP wollen ein sogenanntes Bürgergeld einführen. Über Hartz-IV und ein bedingungsloses Grundeinkommen sprachen wir mit einem Betroffenen.

* TRUDI KINDL UND HARALD WÖRNER

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unächst besteht ja von Seiten der Arbeitsagentur die Vorgabe, dass der Vermittler und der Arbeitssuchende in einem Klärungsgespräch auf gleicher Augenhöhe die individuellen Bedingungen der Integrationsvereinbarung absprechen, damit so die passgenaue Integration in den Arbeitsprozess erfolgen kann. In dieser Eingliederungsvereinbarung ist zum Beispiel festgelegt, wie viel Eigenbemühungen um eine Beschäftigung der Hartz-IV-Bezieher monatlich nachweisen muss. Die Bandbreite kann sich von einigen wenigen Nachweisen bis hin zu mehr als zehn bis fünfzehn monatlich erstrecken. Das liegt überwiegend im Ermessen des Sachbearbeiters. Auch dem Laien dürfte hier sehr schnell klar sein, dass bei Wahrung dieser Fristen, ein Bewerbungsverfahren auf dem üblichen Postweg von vornherein eigentlich ausscheiden muss. Denn gerade kleine und auch noch mittelständische Firmen haben einfach nicht die personellen Kapazitäten, um entsprechend zeitnah antworten zu können. Es muss nämlich ein Begleitbogen ausgefüllt werden, auf dem Personalchefs oder Filialleiter den Eingang der Bewerbung quittieren. Bei Nichtanstellung müssen sie in besagtem Bogen auch per Stempel und Unterschrift bestätigen, aus welchem Grund sie den Bewerber nicht einstellen können. Dafür gewährt die Agentur für Arbeit meist einen Monat Zeit. Dies macht es oft nötig, dass man die betreffende Firma persönlich aufsuchen muss.

Manchmal scheitert man dabei schon beim Pförtner. Diese Eingliederungsvereinbarung, die von Hartz-IV-Betroffenen unterzeichnet werden muss, dient auch als Handhabe für Sanktionen. Wie oben erwähnt, wird festgelegt, wie viele Bewerbungen in einem bestimmten Zeitraum erstellt werden müssen. Parallel dazu müssen auch Ein-Euro-Jobs oder andere Eingliederungs-Maßnahmen des Arbeitsamtes angenommen werden. Wenn man nun zum Beispiel einen Ein-Euro-Job hat, aber zusätzlich noch Eigenbemühungen um eine dauerhafte Stelle nachweisen muss, wird es zeitlich sehr eng. Mann kann die Eigenbemühungen eigentlich nur nach Arbeitsende wahrnehmen, denn man muss ja die absagenden Arbeitgeber aufsuchen, um die benötigten Unterschriften und Stempel zu erhalten. Oft klappt auch die Zusammen-

bene Sanktionsquote, die, teilweise unabhängig vom Verhalten des Leistungsempfängers angewendet wird. Bei den Sanktionen handelt es sich zunächst um eine Kürzung von dreißig Prozent des ALG II. Bei wiederholtem Fehlverhalten kann die Kürzung auch bis hin zu sechzig Prozent der Höhe des ALG II ausgesprochen werden. Und ab hier erfolgt dann auch eine anteilige Kürzung der Miete, die ja die ARGE normalerweise in voller Höhe übernimmt. Diese Kürzung der Miete kann der Betroffene dann im Regelfall nicht mehr von den verbliebenen ALG II-Bezügen (circa hundert bis zweihundert Euro im Monat je nach Sanktionsstufe) ausgleichen, da er hiervon ja noch seinen restlichen Lebensunterhalt bestreiten soll. Ersatzweise kann ihm die ARGE dann in Härtefällen durchaus auch Gutscheine für Nahrungsmittel und anderes (Bekleidung oder auch Möbelstücke) ausstellen. Doch diese Sanktionen verstoßen gegen die Bürgerrechte. Deshalb wurde auch von der internationalen Arbeitsorganisation der Uno (ILO) ein Maßnahmenkatalog zu Zwangs- und Pflichtarbeit vorgelegt. Inzwischen hat sich ein breites Bündnis gebildet, das die Aussetzung des die Sanktionen regelnden §31 SGB II, fordert. Stattdessen sollen nun auf parlamentarischer Ebene Alternativen hierzu überlegt werden. Denn im Jahr 2008 waren insgesamt 789.000 Erwerbslose von Sanktionen betroffen, mit denen ihr Existenzminimum gekürzt oder sogar

Die Sanktionspraxis belastet Betroffene

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arbeit von den Firmen, die für die Abwicklung der Ein-Euro-Jobs zuständig sind, mit der Arbeitsagentur nicht immer zeitnah, denn diese schlägt sie nur für die Maßnamen vor. Daher haben auch die Sanktionen bei HartzIV zugenommen, wie einer der Autoren schon selbst erfahren musste. Zusätzlich entstehende Kosten (Fahrkarte, Arbeitskleidung) müssen meistens vom Betroffenen übernommen werden. Wehrt man sich nicht dagegen, so bekommt man seine Auslagen nicht erstattet. Die Mitarbeiter beim Arbeitsamt haben auch eine vorgege-

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T I T E LT H E M A gestrichen wurde. In vielen Fällen war dies auch willkürlich und rechtswidrig. Die Initiatoren und Initiatorinnen des Aufrufes halten angesichts der hohen Zahl erfolgreicher Widersprüche (41,7 Prozent) und Klagen (65,3 Prozent) einen sofortigen Stopp der gegenwärtigen Sanktionspraxis und ein Überdenken der Sanktionsregelungen für dringend notwendig. Der Zustand, dass Tausenden das zum Leben Notwendigste gestrichen wird, ist so nicht hinnehmbar. Das hat die Beteiligten im Bündnis zusammengeführt – allen politischen Unterschieden zum Trotz. Im Folgenden fassen wir die Stimmen einiger Bündnismitglieder, die sich für ein Sanktionsmoratorium einsetzen, zusammen: Nach Markus Kurth von den Grünen sind Sanktionen nach dem SGB II derzeit nicht zielführend, sondern werden von den Betroffenen als Schikane erlebt. Deshalb fordert er ihre Aussetzung. Katja Kipping (Die Linke) sieht ein sofortiges Sanktionsmoratorium als einen ersten Schritt in die Richtung einer grundrechtskonformen Ausgestaltung sozialer Sicherungssysteme. Dies wurde bislang nicht hinreichend berücksichtigt. Franz Segbers, Theologe und Pfarrer, erörterte: „Aus ethischer Sicht geht das Recht des Menschen auf Leben jeder Pflicht zu einer Gegenleistung voraus. Leistungskürzungen, durch die eine Grundsicherung unter die Schwelle des Existenzminimums gedrückt wird, verstoßen gegen die Menschenwürde.“ Der Soziologe Stephan Lessenich stellte fest: „Ein Sanktionsmoratorium wäre ein erster Schritt hin zu einem Sozialstaat, der seinen Namen verdienen würde, indem er seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht mit Misstrauen und Zwang, sondern vielmehr mit Vertrauen und Unterstützung begegnet.“

deren Beteiligten, die in ihrer täglichen Arbeit mit diesen Problemen konfrontiert sind. Warum man sie im Vorfeld nicht zu Rate gezogen hat, bleibt auch im Nachhinein schleierhaft. Mann kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier auf dem Rücken von Betroffenen, die sowieso nicht über das nötige Selbstbewusstsein oder die notwendigen Mittel (Schreibmaschine, Computer) für einen Widerspruch oder eine Beschwerde verfügen, Leistungen eingespart werden sollen. Eine weitere Maßnahme, die im Zusammenhang mit dem Sanktionsmoratorium greifen soll, ist die Petition für ein bedingungsloses, ausreichendes Grundeinkommen, die die Befürworter im Bundestag einreichen wollen. Sie wurde bisher von 50.000 Personen unterzeichnet. Würde die Petition im Bundestag angenommen, dann würden auch die Auflagen und somit die Sanktionen wegfallen. Große Teile der Grünen und auch der Linken setzen sich dafür ein, dass das bedingungslose Grundeinkommen im Bun-

fall eines Betroffenen auswirken können. – Bei ihm hat sich schon in der Schule abgezeichnet, dass er mit dem Lernen Probleme hat. Nach einigen Jahren bekam er eine Einladung zu einem neuropsychologischen Test. Er schloss die Schule mit der mittleren Reife ab. Als er keine Ausbildungsstelle fand, half ihm das damalige Arbeitsamt seiner Meinung nach nur halbherzig, indem es ihn in Qualifikations-Maßnahmen steckte. So kam er beispielsweise in einen Kurs für Schulabgänger, so dass er erst einmal aus der Statistik verschwand. Der Fairness halber ist aber zu erwähnen, dass er hier Fahrtkosten- sowie Papiergeld-Zuschüsse erhielt. Durch seine gesundheitlichen und psychischen Beeinträchtigungen bedingt, machte er dann eine Ausbildung einem geschützten Rahmen. Er schaffte es sogar, vorübergehend in verschiedenen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen angestellt zu werden. Leider wurden diese aber immer wieder von Zeiten unterbrochen, in denen es ihm gesundheitlich schlechter ging, so dass seine Erwerbsbiografie heute insgesamt von Brüchen durchzogen ist. Auch die Möglichkeit einer selbstständigen Berufstätigkeit zog er in Erwägung; doch leider schlug auch dies aus Krankheitsgründen fehl. So kam er in den Hartz-IV-Bezug, wo er bald wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung in Schwierigkeiten geriet. Dabei musste er auch Kürzungen des Arbeitslosengeldes hinnehmen. Mit der Zeit stauten sich Frust, aber auch Angst bei ihm auf. „Wenn ich zum Briefkasten gehe, habe ich schon ein ungutes Gefühl, weil ich nie weiß, was mich da erwartet.“

Ein Gefühl des Ausgeliefertseins

Zu den Unterstützern gehören weiterhin Tacheles e.V., eine Wuppertaler Erwerbsloseninitiative, Dr. Helga Spindler, Prof. für Öffentliches Recht, der Soziologe Claus Offe und andere mehr. Dies sind also die Stellungnahmen von Vertretern der freien Wohlfahrtspflege, Politikern oder auch an14

destag verhandelt wird. Diese Petition kann auch heute noch unterschrieben werden. „Wenn du sparsam wohnst, wirst du dafür bestraft“, so der Einwurf unseres Gesprächspartners: In Kassel wurde schon vor Hartz-IV vom Sozialdezernenten Dr. Bartel eine Pauschale für die Mietkosten festgelegt. Wohnt man zwanzig Prozent billiger als die Pauschale beträgt, so wird das Geld entsprechend abgezogen. Sind die Mietkosten höher, wird jedoch die Pauschale nicht angehoben. Daher kämpft die Kasseler Linke für die Abschaffung der Pauschale. Hierzu hat im Übrigen das Kasseler Sozialgericht vor kurzem entschieden, dass die Kürzungen der Pauschale rechtswidrig seien. Letztendlich möchten wir gern unseren Interviewpartner noch zu Wort kommen lassen. Anhand seines Beispiels können sich die Leser vielleicht besser vorstellen, wie sich die Repressionen der Arbeitsagentur im Einzel-

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MEHR ZUM THEMA: Den vollständigen Aufruf, die Liste der Erstunterzeichner/Erstunterzeichnerinnen und Stellungnahmen der einzelnen Bündnismitglieder sowie Kontaktmöglichkeiten finden sie unter: www.sanktionsmoratorium.de

TagesSatz

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TITELTH E M A

Merxhausen –

Ort zur Behandlung süchtiger Straftäter Wer Straffälligkeit verhindern und die Sicherheit für den Bürger erhöhen will, muss die vorhandenen Sanktionen und Maßnahmen so nutzen, dass die Ursachen für Straffälligkeit wirksam bekämpft werden. Der deutsche Rechtsstaat sieht bei jedem Straftäter nämlich die Möglichkeit vor, ihn wieder in die Freiheit entlassen zu können. Der Maßregelvollzug für süchtige Straftäter (§64 StGB) stellt eine Behandlung für die Ursachen von Straffälligkeit dar.

* STEFAN GIEBEL Clemens Eulig

drogen- und alkoholabhängig, sowie strafrechtlich aufgefallen.

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eit 2007 gibt es neben der Klinik in Hadamar in dem Bad Emstaler Ortsteil Merxhausen, circa eine halbe Stunde von Kassel entfernt, den Maßregelvollzug für Suchtkranke. Die Behandlung ist im Vergleich zum regulären Strafvollzug dreimal so teuer. Die erheblichen Kosten im Maßregelvollzug führen zwangsläufig zur Frage der Wirksamkeit der Behandlung. Das Maßregelrecht wurde im Strafgesetzbuch als „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ am 24. November 1933 eingeführt und von den Nationalsozialisten missbraucht. Die Idee der Reform des Gewohnheitsverbrechergesetzes und damit einer differenzierteren Behandlung von Straftätern stammt noch aus der Zeit der Weimarer Republik. In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Maßregelrecht im Zuge der 2. Strafrechtsreform von 1975 unter die Überschrift „Besserung und Si-

TagesSatz

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cherung“ reformiert. Die eigentliche Idee der Reform hat zur Zweiteilung der Sanktionsmaßnahmen bei Straftätern geführt: 1. in den regulären Strafvollzug und 2. den Maßregelvollzug. Dadurch hat der Staat die Möglichkeit, psychisch kranke und suchtabhängige Straftäter zum Zwecke ihrer Besserung zu behandeln. Ein Straftäter, der völlig oder zum Teil schuldunfähig ist oder dessen Taten mit seiner psychischen/physischen Erkrankung zu begründen sind, kann nicht als normaler Straftäter gesehen werden. Die für eine Bestrafung wesentliche Voraussetzung, das Unrecht der Tat einzusehen und gar nach dieser Einsicht zu handeln, ist nicht gegeben. Anhand einer Stichprobe aus den Entlassungsjahrgängen des Maßregelvollzugs Hadamar bis 2003 (117 Fälle) ergibt sich Folgendes: Die Sucht der Patienten beginnt in der Jugend. Ihre Vorgeschichte ist durch Perspektivlosigkeit geprägt. Die Eltern häufig

Die zu behandelnde Sucht hängt oft zusätzlich mit einer psychischen Erkrankung zusammen. Die Mehrheit der Straftäter ist wegen ihrer Alkoholsucht straffällig geworden, gefolgt von Heroin und Cannabismissbrauch. Zwei Drittel sind von verschiedenen Drogen abhängig. Mehrheitlich handelt es sich bei den Straftaten, die dann zur Einweisung geführt haben, um Diebstahl und Einbruch (61,5 Prozent). Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz liegt bei 18,8 Prozent der Patienten vor, Gewaltdelikte bei 35,9 Prozent und Sexualdelinquenz bei 6 Prozent. Mehr als die Hälfte der aus dem Maßregelvollzug Entlassenen wurde rückfällig (51,3 Prozent). Ungefähr ein Drittel aller Patienten wurde erneut zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (29,9 Prozenz). Trotz der Überbelegung des Maßregelvollzugs Hadamar und der relativ schwierigen Klientel liegt der Maßregelvollzug Hadamar mit der Rückfallquote unter den Werten für den regulären Erwachsenenstrafvollzug. Der Maßregelvollzug stellt somit einen Ansatz dar, straffällig gewordenen Suchtkranken wieder eine echte Chance zu geben. Nur Wegsperren ist auf die Dauer teurer, rechtlich unmöglich und löst das Problem langfristig weder für den Suchtkranken noch für die Opfer von Straftaten.

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Clemens Eulig

D E R S T O L P ERSTEIN

Lesson One – Repeat

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as hatte sich Guido Westerwelle nur dabei gedacht, die Antwort auf eine Frage eines BBC Reporters bei seiner ersten Pressekonferenz kurz nach den Bundestagswahlen so einfach zu verweigern? Dieser geradezu törichte Akt katapultierte unseren verkappten Außenminister vor kurzem auf Platz eins der Nachrichten und das nicht nur in der trauten Heimat. Besonders die englische Presse berichtete ausführlich über Westerwelles Faux pas. Wie muss sich der Journalist James Coomarasamy nur gefühlt haben, als ihm der Bundesvorsitzende der FDP doch unmissverständlich klarmachte, dass er seine Frage in englischer Spra-

che nicht beantworten werde? Auch eine deutsche Beantwortung schloss er zunächst aus. Denn es ist ja schließlich Deutschland hier, nicht wahr? Da spricht man eben kein Englisch. Das hätte Coomarasamy sich aber auch denken können. Immerhin gab es eine Einladung zu einer privaten Teestunde mit dem linksliberalen Sprachmacho. Das ist ja auch schon mal etwas. Niemand muss perfekt Englisch sprechen können. Einem Politiker aber, dessen Biographie durch Abitur, Studium und schließlich sogar Promotion gezeichnet ist und der dazu auch noch Außenminister werden möchte, hätte man ein bisschen Vorausschau schon zugetraut. Denn bei genauerer Betrachtung dürfte jedem klar sein, dass es einem Außenminister die Arbeit erheblich erleichtern dürfte, wenn er sich in einer international anerkannten Sprache verständigen könnte. Wenn die Presse die Landessprache von Westerwelle schon im Inland nicht beherrscht, wie soll das dann

* GLOSSE VON MELANIE SWIATLOCH erst im Ausland werden? Zum Glück gibt es Volkshochschulen und andere Kursanbieter, um einer fremden Sprache mächtig zu werden. Und wenn für einen Sprachkurs keine Zeit war, dann hätte man sich auch per Mausklick einen schicken Audio-Sprachkurs direkt nach Hause bestellen können. Diesen kann man sich dann bequem auf der Fahrt in den Bundestag anhören und das gleich mehrmals. Vorteil hier: Die CD oder Kassette kann auch ins Ausland mitgenommen werden! Wie der Spiegel berichtete, ist Westerwelle aber nicht der einzige deutsche Politiker, der sich im englischen Redefluss noch nicht so ganz sicher wähnt. Auch unserem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder erging es auf einer Pressekonferenz in Prag ähnlich. So wie Westerwelle wollte er eine in Englisch gestellte Frage eines britischen Journalisten nicht beantworten. Begründung: In Tschechien spreche man tschechisch, kein Englisch. Dumm gelaufen für Schröder. Denn der Frager konnte die Frage in der Tat auf tschechisch wiederholen, Schröder sie jedoch nur auf Deutsch beantworten. In diesem Sinne: Machen Sie was draus Herr Westerwelle!

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TagesSatz

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misterQM (photocase.com)

PARAGRAPHENR E I T E R

Zu den Urteilen der Sozialgerichte Welche Veränderungen bringt die neue schwarzgelbe Bundesregierung mit sich? Wie verändern sich die sozialen Sicherungssysteme? Fragen, die in den nächsten Wochen beantwortet werden. Die Koalitionsverhandlungen werden die Wahrheit auf den Tisch bringen. Wir werden die Entwicklung mit Spannung beobachten. Den Sozialgerichten im Land wird es da sicherlich nicht anders gehen. Wird die Sozialgesetzgebung verändert? Welche rechtlichen Fragen werden dadurch aufgeworfen? Fragen über Fragen. Antworten gibt es bereits. In zahlreichen Urteilen deuten die Richter der Sozialgerichte den Weg der Sozialgesetzgebung. Wir haben für Sie hingeschaut und einige Urteile herausgesucht.

* HANS PETER PUNG Meldepflicht Empfänger von ALG II Leistungen müssen sich, sofern dies möglich ist, auch dann beim Leistungsträger melden wenn sie arbeitsunfähig krank geschrieben sind. Dies hat das Landessozialgericht Rheinland Pfalz entschieden. Nach Ansicht der Richter, reiche es nicht aus, dass ein Leistungsempfänger krankgeschrieben ist, wenn er einen Termin nicht wahrnimmt. Wichtig sei, dass er tatsächlich körperlich nicht in der Lage ist den Meldetermin wahrzunehmen. Der zuständige Leistungsträger kann hierüber eine Bescheinigung verlangen, die über die normale Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (Krankmeldung) hinausgeht. Zugleich legten die Richter fest, dass ein Arzttermin nur dann ein wichtiger Termin zur Versäumung eines Meldetermins ist, wenn es sich hierbei um ei-

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nen notfallmäßigen oder aus sonstigen Gründen unaufschiebbaren Termin handelt. LSG Rheinland Pfalz Urteil vom 23.07.2009 / L 5 AS 131/08

Keine Sperrzeit Kündigt ein Arbeitnehmer wegen objektiver Überforderung durch die Arbeitsbedingungen selbst sein Arbeitsverhältnis, stellt dieses Verhalten einen wichtigen Grund dar. Das Landessozalgericht Hessen hatte über eine Klage eines Busfahrers zu entscheiden, der seinen Job nach Monaten wieder gekündigt hatte. Als Begründung nannte er die unzumutbaren Arbeitsbedingungen, unter anderem habe er immer erst spät abends erfahren, wann er am nächsten Tag arbeiten müsse. Zudem habe er mehrere Fahrtenschreiberkarten benutzen

müssen, um die Lenkzeitüberschreitungen zu vertuschen. Am Ende sei auch sein Gehalt nicht pünktlich ausgezahlt worden. Bei der Beantragung von Arbeitslosengeld bei der Bundesagentur für Arbeit verhängte diese wegen Eigenkündigung eine Sperrzeit von zwölf Wochen. Zu Unrecht, wie das LSG Hessen feststellte. Dem Eintritt der Sperrzeit stehe ein wichtiger Grund entgegen. Die mangelhafte Arbeitsorganisation sei für den Kläger schlichtweg unerträglich. Sie behindere die umsichtige Vorbereitung und Durchführung der Busfahrten und schränke seine Freizeitgestaltung massiv ein. Durch diese Überforderung leide die Konzentrationsfähigkeit des Klägers. Diese Überforderung wirke sich negativ auf die Verkehrssicherheit der häufig mit Kindern und Jugendlichen besetzten Busse aus. LSG Hessen Urteil vom 18.06.2009 / L9 AL 129/08

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Clemens Eulig

GÖTTINGEN

Ein Leben der besonderen Art

Das Leben auf der Straße ist hart, vor allem wenn man Kinder hat, die man versorgen muss. Der 40-jährige Michael Helmbrecht hat zwanzig Jahre ein solches Leben geführt, überwiegend obdachlos, zum Teil bei seiner Lebensgefährtin und zuletzt im Hagenweg, dessen Haus Nummer 20 im Volksmund auch als „Schlüpferburg“ bezeichnet wird. Am 28. Mai ist Michael Helmbrecht gestorben.

* ANNA KNOKE

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ielleicht erinnern Sie sich noch an den sogenannten „BettelSkandal“? Vor einigen Monaten ging die Stadt Göttingen bundesweit durch die Medien, und das nicht etwa, weil es etwas Positives zu berichten gab. Vielmehr wurde Göttingen als unsoziale Stadt beschimpft und moralisch verurteilt. Denn ein Sachbearbeiter des Jobcenters hat Michael Helmbrecht beobachtet, wie er vor einem Supermarkt in der Innenstadt Almosen empfing. Zweimal hat der Sachbearbeiter das Geld gezählt: einmal waren es 1,40 Euro, das an18

dere Mal sechs Euro. Diese Spenden meinte das Amt für Soziales in Göttingen als zusätzlichen Verdienst definieren zu können und zog dem Mann aufgrund einer merkwürdigen Hochrechnung 120 Euro seiner Grundsicherung ab. „Das es eher ein Zufall war, dass da mal ein bisschen mehr Geld im Hut war, an anderen Tagen aber kaum was gegeben wurde, haben die nicht berücksichtigt,“ erklärt seine Lebensgefährtin Manuela Jotzko. Der Sachbearbeiter habe nach Ansichten des Amtes nach dieser „Zufallsbegegnung“ jedoch pflichtgemäß gehanTagesSatz

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GÖTTI N G E N delt – auf die Idee einfach mal wegzuschauen, ist er scheinbar nicht gekommen. Selbst im § 84 Abs. 2 SGB XII (2) steht zu lesen: „Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sollen als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde.“ Diese Handlungsspielräume hat die Stadt Göttingen jedoch ignoriert. Durch die Unterstützung der Einrichtung „Kontak in Krisen e.V.“ hat der 40-jährige damals Einspruch erhoben. Statt der 120 Euro wurden ihm nur noch fünfzig Euro abgezogen. Generell hat Michael Helmbrecht in dieser Anlaufstelle für sozial Benachteiligte viel Unterstützung erhalten. „Insgesamt betreuen wir mehrere Hundert Menschen, am Tag kommen so vierzig bis fünfzig, wir helfen dann bei Behördengängen, aber auch im alltäglichen Leben“, erzählt der Sozialbetreuer Bernd Ziegeldorf. So hatte Michael Helmbrecht durch die Einrichtung die Möglichkeit, gegen das „Urteil“ des Amtes vorzugehen, auch wandte sich damals der „Kontakt in Krisen e.V.“ an die breite Öffentlichkeit.

schlagenen Fensterscheiben würden nicht mehr repariert. Die Menschen, die hier wohnen, sind ganz unten angekommen. Ob diese miese Wohnsituation letztlich zu seinem frühen Tod beigetragen hat, lässt sich nur vermuten. „Er war sehr krank, er konnte gar nicht mehr arbeiten,“ sagt Jotzko. So hat er die letzten Jahre auch nur noch von der Grundsicherung gelebt, nachdem er sich einer Untersuchung durch das Gesundheitsamt unterziehen musste,“ erzählt der Sachbearbeiter. Jobangebote hätte er insofern nicht mehr bekommen. „Zu schade war er sich aber nie, er hat viele Jobs gemacht, aber wenige durch die Vermittlung des Jobcenters,“ sagt seine Lebensgefährtin.

nachteiligt, auch im Krankenhaus ist er anders behandelt worden und musste hier viel länger warten als andere“, erklärt Manuela Jotzko weiter. Seine Tochter erzählt von einer Episode im Juweliergeschäft. „Als ich mir meine Ohrlöcher stechen lassen wollte, haben die im Laden nicht geglaubt, dass er mein Vater ist.“ Ob er überhaupt erziehungsberechtigt sei, hätten die Verkäuferinnen gefragt. Die 12-jährige Neele kann gut damit umgehen. Auch die zahlreichen Mobbing- Versuche ihrer Mitschüler sieht sie eher locker. „Ich habe nur gute Erinnerungen an ihn.“ So habe der 40-jährige Michael Helmbrecht ihr bei den Hausaufgaben geholfen und sie und ihren Zwillingsbruder viel zum Lachen gebracht.

Gestorben ist der 40-jährige letztlich an seiner Alkoholkrankheit. „Er hat Probleme gehabt, die keiner einfach wegstecken könnte“, meint Jotzko. Insofern konnte sie seine mißliche Lage zumindest nachvollziehen und macht ihm auch jetzt nach seinem Tod keine Vorwürfe. Die Vorwürfe richten sich vielmehr gegen seine Eltern, die ihn im Stich gelassen haben und sie selbst ebenfalls abgelehnt hätten. Auf Anlass seiner Eltern ist er weit weg von Göttingen anonym beerdigt worden. „Und das obwohl diese reich gewesen sind und genug Geld für eine angemessene Beerdigung gehabt hätten“, erklärt Manuela Jotzko verständnislos. Für sie und die Kinder ist das Grab so nur schwer erreichbar. Die Anonymität der Beerdigung ist für die Familie nicht begreifbar. Man solle ihn doch nicht vergessen, ihn der so früh gestorben ist und ein Leben eben der ganz besonderen Art geführt hat.

Fast zehn Jahre hat Michael Helmbrecht jedoch von der Kindheit seiner Zwillinge verpasst. In dieser Zeit hat er in Frankreich gelebt, mit dem Betteln konnte er sich auch hier durch-

Am 28. Mai 2009 ist Michael Helmbrecht gestorben und lässt zwei Kinder und seine Lebensgefährtin Manuela Jotzko zurück. „Er selber hat sich nie gewehrt, sich nie aufgeregt,“ erzählt Manuela Jotzko. Ohnehin sei er entgegen vieler Behauptungen ein friedlicher Mensch gewesen. Ihm sei es eigentlich egal gewesen, ob er das Geld vom Amt bekam oder es erbetteln musste, nur hätte das Geld vom Betteln höchstens für ihn allein zum Überleben gereicht. Aber er hatte zwei Kinder, denen er etwas bieten wollte und einen Hund, der versorgt werden mußte. „Ich konnte manchmal mit ihm ins Kino gehen und zwischendurch hat er mir Geld geschenkt,“ kann seine 12-jährige Tochter insofern berichten. Der ganze öffentliche Wirbel sei ihm eher unangenehm gewesen. Die zahlreichen Diskriminierungen im Alltag haben ihn einigermaßen kalt gelassen. „Er wurde immer beTagesSatz

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schlagen. Zurückgekommen ist er damals, weil er Probleme mit den Papieren gehabt hätte, geblieben sei er, um für seine Kinder ein guter Vater zu sein. „Wenn wir in die Stadt gegangen sind, hat er sich immer schick gemacht,“ erzählt Neele. Vielleicht hat er auch dazu beigetragen, dass seine Tochter mittlerweile auf die IGS in Bovenden geht und dort voraussichtlich ihren Realschulabschluss machen wird. Zusammengelebt hat die kleine Familie jedoch nicht. „Das ging wegen seiner Sucht nicht, er hat massiv getrunken,“ berichtet seine Lebensgefährtin. Stattdessen hat Michael Helmbrecht die letzten Monate seines Lebens im Hagenweg 20 gewohnt, einer „Drogenruine“ in Göttingen. „Diese Mietskaserne hat bundesweit Schlagzeilen gemacht, es ist das heruntergekommenste Haus in Deutschland,“ meint Bernd Ziegeldorf. Das Haus bietet keinen Strom und auch warmes Wasser sei eine Seltenheit. Hier würde keiner mehr auch nur einen Cent investieren, selbst die zer-

Privat

„Ich habe nur gute Erinnerungen an ihn.“

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GÖTTINGEN

Gedanken eines TagesSatz-Verkäufers * ANDREAS PRAMANN

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ie neue Bundesregierung plant einige Änderungen beim Arbeitslosengeld II (ALG II, Hartz-IV), wie man zur Zeit der Presse entnehmen kann. So sollen die Zuverdienstmöglichkeiten verbessert werden. Bisher dürfen hundert Euro abzugsfrei dazuverdient werden. Darüber hinaus werden bis zu einem Einkommen von achthundert Euro achtzig Prozent auf das ALG II angerechnet. Details der Neuregelung wird der neue Bundesarbeitsminister demnächst vorlegen. Die Änderungen sind besonders für den TagesSatz von Bedeutung. Großzügigere Zuverdienstmöglichkeiten nützen in erster Linie den Verkäufern. Aber sie helfen auch dem TagesSatz lang-

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fristig zu überleben, wenn Verkäufer dadurch motiviert werden, mehr Hefte zu verkaufen. Des Weiteren soll das Schonvermögen von Langzeitarbeitslosen verdreifacht werden, also der Teil des Vermögens, der nicht auf das ALG II angerechnet wird. Die Maßnahme ist für die aktuell Langzeitarbeitslosen irrelevant. Wer zur Zeit von Hartz-IV leben muss, hat einfach kein Vermögen mehr. In den Genuss der Neuregelung kommen erst neue Hartz-IV-Bezieher. Die geplanten Maßnahmen sind Verbesserungen, was auch Wohlfahrtsverbände anerkennen. Aber dabei dürfe die Regierung nicht stehenbleiben.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Diakonie fordern vor allem, endlich den Regelsatz für Kinder an den tatsächlichen Bedarf anzupassen, das heißt um bis zu dreißig Prozent zu erhöhen. Der Regelsatz in der jetzigen Höhe schütze nicht mehr vor Armut. Meine persönliche Situation als TagesSatz-Verkäufer wird sich durch die neuen Zuverdienstmöglichkeiten zunächst kaum verbessern. Ich lag mit meinem Verkauf bisher im erlaubten Bereich. Allerdings würde ein 400-Euro-Job, wenn ich denn einen fände, in Zukunft attraktiver. Vermögen, das es zu schonen gelte, habe ich schon lange nicht mehr. Da ist nichts mehr zu schonen.

TagesSatz

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Clemens Eulig

GÖTTI N G E N

Straßengeflüster Freigelassen – In Bochum, Dortmund und Umgebung macht seit Anfang Oktober das Straßenmagazin bodo mit einer Bücheraktion auf sich aufmerksam. Wer dort im Supermarkt einkauft, in einem Café sitzt oder über eine Brücke flaniert, dem kann es passieren, dass ihm plötzlich ein Buch in einer Plastiktüte in den Blick fällt. „Nimm mich mit, lies mich und lass mich wieder frei“ sagt eine beiliegende Postkarte. An über dreihundert Orten haben die bodo-Mitarbeiter Bücher freigelassen. Wer ein Buch findet, darf es behalten. Auch zum Mitmachen fordert das Magazin seine Leser und die Finder auf. Eine Liste mit den Orten der freigelassenen Bücher findet man auf der Internetseite des Magazins unter www.bodo.de. Gekickt – In der Fußballmetropole Mailand (Italien) fand vom 6. bis 13. September zum 7. Mal der Homeless World Cup statt. Diese internationale Fußballmeisterschaft speziell für sozial benachteiligte Menschen soll auf weltweite Obdachlosigkeit aufmerksam machen. Es gibt heute über eine Milliarde Menschen, die kein eige-

* MALTE SCHILLER nes zu Hause haben. Der Homeless World Cup will das ändern. Nicht nur die Öffentlichkeit, die er schafft soll zur Veränderung beitragen – das Projekt rühmt sich, dass über siebzig Prozent der World Cup-Teilnehmer anschließend wichtige Veränderungen in ihrem Leben vornehmen: Sie finden Jobs, kommen von Drogen runter, finden wieder zu ihren Familien zurück. Das Turnier soll Menschen am Rande der Gesellschaft die Möglichkeit geben, sich wieder zu integrieren. Das deutsche Team belegte am Ende mit acht Siegen und fünf Niederlagen den 21. Platz. Der Meistertitel ging dieses Jahr an die Ukraine.

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MEHR ZUM THEMA: www.homelessworldcup.org

Winkeladvokat

* NORA HENGST

TagesSatz

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Staatshilfe – ein bedingsloses Geben? Hilfe zur Selbsthilfe. Was bedeutet das überhaupt? Aus rechtlicher Sicht ist die Hilfe zur Selbsthilfe in § 1 Satz 2 SGB XII als eine Aufgabe der Sozialhilfe gesetzlich festgelegt. Danach soll die Hilfe den Empfänger so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben. Dieser Grundsatz resultiert aus der in § 1 Satz 1 SGB XII dargestellten, auf Art. 1 I GG verweisenden Menschenwürdegarantie. Dem Hilfeempfänger soll eine Lebensführung ermöglicht werden, die der Würde des Menschen entspricht. Berücksichtigt wird außer dieser Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde auch das Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG und das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 I GG. Mit „Hilfe“ sind zum Beispiel Leistungen zur Eingliederung behindeter Menschen (§§ 53 ff. SGB XII) und Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 67 SGB XII) gemeint. Nach den Idealvorstellungen des Gesetzgebers soll diese Hilfe zur Selbsthilfe nur

vorübergehend gewährt werden und darf nicht die Pflicht des Hilfeempfängers zur eigenen Mitwirkung (§ 1 Satz 3 SGB XII) ersetzen. Der Hilfeempfänger hat sich aktiv an der Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit zu beteiligen, andernfalls droht nach § 26 SGB XII eine Kürzung der Sozialhilfe. Die Norm macht demnach deutlich, dass Hilfe zur Selbsthilfe eben nicht nur ein an die Sozialverwaltung gerichtetes Gebot auf Basis der Sorge des Sozialstaates für den Bürger bedeutet, sondern dass es zur Erreichung der Unabhängigkeit des Hilfeempfängers einer Kooperation bedarf. Der Grundsatz des Förderns aus § 1 Satz 1 und 2 SGB XII geht mit dem Grundsatz des Forderns aus § 1 Satz 3 SGB XII einher.

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Jörg „Yogi“ Müller

KASSEL

Zwei Seiten einer Medaille Kürzlich erschienen in der örtlichen Presse einige Artikel, die das Spannungsfeld Obdachlosigkeit und drohende Zwangsumzüge thematisierten.

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a sich ein Betroffener mit Bitte um Unterstützung auch an uns wandte, ging ich der Sache nach. Zur Faktenlage ist, an Hand verschiedener Briefwechsel und anderer Unterlagen, die mir vorlagen, folgendes anzumerken: Bernd H., einer der von Obdachlosigkeit bedrohten Mieter, wurde mit Schreiben vom 02.06.08 in eine Unterkunft in Nähe Stadtmitte eingewiesen. Das Wohnungsamt kann nämlich im Falle einer durch Wohnungsverlust bedingten drohenden Obdachlosigkeit in Anwendung der Paragrafen 9, 11, 64, Absatz 1 und 68, Absatz 1 des Hessischen Gesetzes über öffentliche Sicherheit (HSOG) eine Unterbringung von Amts wegen anordnen. Der § 11 (Allg. Befugnisse) regelt, dass Polizeibehörden oder gesundheitsdienstliche Stellen alle erforderlichen 22

* HARALD WÖRNER Maßnahmen ergreifen können, um im Einzelfall Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Der § 9 betrifft die „sogenannte Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen“. Hiermit sind Menschen gemeint, die für ihr persönliches Verhalten wegen individueller Umstände nicht für Schäden verantwortlich gemacht werden können. § 64, Absatz 1 reguliert den eventuell entstehenden Schadensausgleich, den eine Person beanspruchen kann, wenn sie durch diese Maßnahmen Schaden erleiden würde. § 68, Absatz 1 ordnet die Ausgleichs- und Erstattungspflichten gegenüber Bediensteten (Polizei, Rettungsdienste oder ähnliches), die die Maßnahmen ergriffen haben. Dies zur Gesetzeslage. TagesSatz

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KA S S E L Wie wohl einigen Lesern bekannt, thematisierte die HNA in den Ausgaben vom 03.09.09 „60 droht der Zwangsumzug“ und vom 15.09.09 „Obdachlose ziehen um“ einen Konflikt, der sich zwischen einem Immobilienkaufmann und dem Wohnungsamt der Stadt Kassel abzuzeichnen begann. Da sie aber das Problem von Bernd H. nur streiften, verzichte ich hier darauf, sie inhaltlich zu wiederholen. Bernd H. bekam Mitte September, wie andere Betroffene, die in einer der von dem Makler bereit gestellten Unterkünfte lebten, Post vom Wohnungsamt, in welchem ihm eine neue Wohnung in Stadtrandlage zugewiesen wurde. Da er sich ungerecht behandelt fühlte und ihn auch Bedenken in Bezug auf seine Gesundheit belasteten, trat er an uns heran. In einem Vorgespräch betonte er, dass er Angst habe, auf der Straße zu landen. Die Überweisung in die neue Unterkunft kam dadurch zustande, dass die Vereinbarung zwischen der Stadt und dem Vermieter die Bernd H.’s Wohnung betraf, beendet wurde. Wie sich dann bald herausstellte, war dies nicht der erste Zwangsumzug von Bernd H. Bereits früher hatte er in einem besetzten Haus in Nähe des Messeplatzes gewohnt. Da habe er dann ausziehen müssen. Ihm wurde ein Appartement in der Kasseler Nordstadt zugewiesen. Dort war er lange Jahre untergebracht. Im Jahr 2008 wurde ihm dann die aktuelle Unterkunft zugewiesen, da die erste Unterbringung beendet war. Nachdem er nun dort ein Jahr gelebt hatte, bekam er erneut Post vom Wohnungsamt. Er sollte in ein Appartement in extremer Stadtrandlage ziehen. Das missfiel ihm.

Jeder Journalist sollte sich im Rahmen seiner Berichterstattung bemühen, diese sachlich und umfassend zu gestalten. Daher nahm ich über die Pressestelle der Stadt Kassel Kontakt zum Wohnungsamt auf. Ich bat die Leiterin Ingrid Steinbach um eine Stellungnahme bezüglich des mir von Bernd H. geschilderten Sachverhaltes. Diese folgt im Originalwortlaut. Auf die Frage, wie sich der Sachverhalt des Bernd H. aus Sicht des Wohnungsamtes darstelle, antwortete sie: „Herr H. war, um Obdachlosigkeit abzuwenden, schon längerer Zeit vom Wohnungsamt, in eine Wohnung in der A-Straße eingewiesen worden. Während der Einweisung kam es in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu Beschwer-

chen, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Herr H. hat auf dieses Schreiben nicht reagiert. Mit Schreiben vom 28.8.2009 wurde ihm daher die neue Wohnung in der C-Straße zugewiesen. Zu einem Umzug in die C-Straße kam es jedoch nicht, da Herr H. bei einem Hausbesuch durch einen Mitarbeiter des Wohnungsamtes am 16.9.2009 einen Mietvertrag für den bisherigen Wohnraum in der B-Straße vorlegte. Diesen hatte er nach eigenen Angaben kurz vorher mit dem Hauseigentümer abgeschlossen.“ (Dadurch wurde der Zwangsumzug überflüssig.)

„Herr H. hat auf dieses Schreiben nicht reagiert.“ den von Nachbarn über das Wohnverhalten von Herrn H. Schließlich musste die Einweisung in der A-Straße im Juni 2008 beendet werden. Da Herr H. auch weiterhin nicht über eigenen Wohnraum verfügte, wurde er, in eine neue Wohnung in der B-Straße eingewiesen. Im Juli dieses Jahres konkretisierte sich das Ende der Unterbringung in dieser Wohnung in der B-Straße. Herr H. wurde hiervon mit Schreiben vom 18.8.2009 unterrichtet. Im selben Schreiben wurde ihm Ersatzwohnraum in der C-Straße angeboten (Appartement mit Terrasse und Kellerraum) und die Bitte ausgespro-

Mich interessierte zudem, ob es denn aus Sicht von Frau Steinbach keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten für Herrn H. (zum Beispiel Heilsarmee oder Evangelische Wohnraumhilfe) gegeben hätte. Auch hier die Stellungnahme im Originalwortlaut: „Wir kooperieren mit beiden von Ihnen genannten Trägern sehr gut. Die Heilsarmee ist im Rahmen der Aufgabenteilung für Personen zuständig, die im Gegensatz zu Herrn H., nur eine kurzfristige Unterbringung benötigen und kam deshalb nicht in Frage. Die Evangelische Wohnraumhilfe kümmert sich um Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten (z. B. mit schweren psychischen Störungen oder schwerer Suchterkrankung) und zu dieser Zielgruppe gehörte Herr H. nicht.“

Hintergründe zur lokalen Praxis Die Unterbringung obdachloser Menschen, aktuell 256 Haushalte in Kassel, erfordert viel Sensibilität. Die persönliche Situation, die familiären Verhältnisse, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sind bei jeder Person besonders zu beachten. Obdachlosigkeit entsteht aus vielen verschiedenen Gründen und für jede Person oder Familie ist ein spezieller Weg zu finden. Ziel des Wohnungsamtes ist es, möglichst jeden Haushalt wieder in eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Die Stadt Kassel betreibt seit vielen Jahren keine Obdachlosensiedlungen etc mehr. Die obdachlosen Menschen werden ohne größere Probleme in allen Stadtteilen untergebracht und das Wohnungsamt arbeitet dabei mit Wohnungsgesellschaften wie auch privaten Vermietern zusammen. Der Arbeitsansatz ist präventiv, das heißt, dass man versucht Lösungen zu finden, bevor kritische Situationen entstehen. Die Stadt Kassel muss bei der Unterbringung Obdachloser stets verschiedene Faktoren berücksichtigen und es kommt dabei immer wieder zu Veränderungen bei den jeweiligen Wohnungen. TagesSatz

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KASSEL

Selbstorganisation und Grundsicherung

Warum die freie Organisation selbstbestimmter Menschen und die staatliche Grundsicherung keine Gegensätze sind, sondern das Wesen von Demokratie und Menschenwürde ausmachen.

* CHRISTIAN RODE

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ermutlich entspricht es der Idee einer Demokratie am ehesten, wenn der Aufbau der Gesellschaft sich von unten nach oben nach föderalen, subsidiären Prinzipien gestaltet. Auf diese Weise „haben Menschen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen in den Gang der Dinge einzubringen und ihre Aktivitäten und Arbeitsleistungen selbstbestimmt zu gestalten. Wenn ein Staat alles für seine Bürger regelt, verspricht dies zwar Sicherheit, aber um den Preis der Bevormundung. Außerdem ist keineswegs sichergestellt, dass die Vernunft einer einzigen Lenkzentrale größer ist als der Verbund der selbstbestimmten Menschen und ihrer autonomen Organisationen. Allerdings sieht es in der Praxis mit der Idee der Selbstbestimmung und -organisation häufig nicht so rosig aus, wie es die freiheitliche Vorstellung gerne hätte. Denn nicht jeder Mensch ist in der Lage, aus eigener Kraft ein menschenwürdiges Leben zu führen. Und nicht jede Organisation, die sozial sinnvolle Arbeit leistet, kann sich aus eigenen Mitteln am Leben halten, weil sie wegen ihrer Klientel eben nicht profitorientiert arbeiten kann. Dies gilt vor allem für Vereine und 24

Organisationen, die sich in der Hilfe für Einkommensschwache engagieren. Daher ist es nötig, dass zumindest für die sozial Schwachen, die nicht in der Lage sind, ihr Leben aus eigenen Mitteln zu bestreiten, eine grundlegende soziale Sicherung (Essen und Trinken, Kleidung, Wohnung, Gesundheit, Bildung, Kultur, Mobilität) vorhanden ist. Dies ist eine der elementaren Aufgaben der demokratischen Gesellschaft und ihres Staates. Leider wird dies seit Jahren von staatlicher Seite missachtet. Zum einen ist das Grundeinkommen, das Menschen gegenwärtig erhalten (Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe), so niedrig, dass es dem der Sozialhilfe zugrunde liegenden Grundsatz der Menschenwürde nicht gerecht wird. Zum anderen wird diese eigentlich unantastbare Menschenwürde, die jedem Mensch ohne besondere Leistung zusteht, als verhandelbar angesehen, indem von Arbeitslosen eine „Gegenleistung“ für den Erhalt von Arbeitslosengeld II erbracht werden soll. Ein absurder Konstruktionsfehler des Gesetzes! Wird diese Gegenleistung (zum Beispiel willkürliche Forderung absurder Bewerbungsschreiben, Teilnahme an fragwürdigen, zum Teil sogar entwürdigenden Fortbildungen, wie ich auch

aus eigener Erfahrung weiß und dies auch bereits vor den Hartz-Gesetzen!) nicht erbracht, wird das Geld zum Lebensunterhalt gekürzt oder gestrichen. Natürlich ist es wünschenswert, wenn Menschen, die aus ihren sozialen Bezügen gefallen sind, wieder dahin gebracht werden können, dass sie die Kraft entwickeln, ein selbst bestimmtes Leben aus eigenen Mitteln zu führen. Dies kann aber -gerade vor dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit- nicht erzwungen werden, sondern sollte über Hilfeangebote, wie sie heute schon von verschiedenen sozialen Vereinen und Einrichtungen angeboten werden, geregelt sein. Der Staat sollte seine Aufgabe hier vor allem in der Förderung dieser Organisationen, die sowohl unmittelbare Hilfe als auch Hilfe zur Selbsthilfe anbieten, und des freiwilligen Engagements der Menschen, die ehrenamtlich helfen, sehen. Denn diese freiwilligen Helfer und Einrichtungen wissen durch ihren nicht aufgezwungenen Kontakt am besten, wie es um die Menschen in Not bestellt ist und wie wirklich auf menschenwürdige Weise geholfen werden kann.

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TagesSatz

* 11/09


DIE KOCHNI S C H E

Kochen mit dem TagesSatz Leckere Gerichte für Sie entdeckt

Andre Günther (photocase.com)

* HANS PETER PUNG

Aus dem Ofen Pizza 4 Portionen Preis pro Portion: ca. 3,00 Euro 10g Hefe, 250g Mehl, Salz, Olivenöl, ½ Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, 300g geschälte Tomaten (Dose), Oregano getrocknet, Cayennepfeffer, 3 Kugeln Mozzarella, 2 Tomaten, Pfeffer, 1 Päckchen Rucola Hefe in 1/8 l lauwarmem Wasser auflösen. Mehl, 1 TL Salz und 2 EL Olivenöl zugeben und zu einem glatten Teig verrühren. Mit Frischhaltefolie abdecken und mind. 30 Min. an einem warmen Ort gehen lassen. Zwiebel schälen, fein würfeln. Knoblauch schälen, sehr fein würfeln. Olivenöl in einer Pfanne erhitzen, Zwiebel und Knoblauch darin glasig dünsten. Geschälte Tomaten mit Saft zufügen, ca. 15 – 20 Minuten köcheln lassen. Mit Oregano, Salz und Cayennepfeffer nach Belieben würzen. Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche auf die Größe eines Backbleches ausrollen. Backblech damit auskleiden.

TagesSatz

* 11/09

Tomatensauce darauf verteilen. Mozzarella gut abtropfen lassen, in Scheiben schneiden und auf dem Backblech verteilen. Tomaten waschen, Stielansätze entfernen, in Scheiben schneiden, ebenfalls aufs Blech geben. Mit Salz und Pfeffer würzen. Das Backblech in den vorgeheizten Backofen (250°C) geben, 15 – 20 Minuten backen lassen. In der Zwischenzeit Rucola verlesen, putzen, waschen, trocken schleudern. Pizza aus dem Ofen nehmen, Rucola darüber streuen, mit Olivenöl beträufeln.

Makkaroni-Auflauf 4 Portionen Preis pro Portion: ca. 2,50 Euro 250g Makkaroni, Salz, 75g geräucherter durchwachsener Speck, 1 Zwiebel, 250g Kirschtomaten, 750g Chinakohl, Pfeffer, 250g Schmand, 5 Eier, Muskat, 100g Gouda gerieben, ½ Bund Schnittlauch, Fett für die Auflaufform Makkaroni nach Packungsanweisung in kochendem Salzwasser garen, abschrecken, abtropfen lassen. Speck fein würfeln. Tomaten waschen, Stielansätze entfernen (ein Teil zur Sei-

te legen), halbieren. Chinakohl putzen, in feine Streifen schneiden, waschen, gut abtropfen lassen. Zwiebel schälen, würfeln. Speck in eine heiße Pfanne geben und darin auslassen. Herausnehmen und zur Seite stellen. Zwiebelwürfel in dem Bratfett glasig dünsten. Kohl zufügen, kurz andünsten, Tomaten und Speck zufügen. Mit Salz und Pfeffer würzen. Schmand und Eier verrühren, kräftig mit Salz, Pfeffer und Muskat würzen. Auflaufform einfetten. Form von außen nach innen abwechselnd mit Makkaroni und Kohl auslegen. Mit dem Eier-Schmandguss übergießen. Käse darüber streuen. Im vorgeheizten Backofen (200°C /Umluft: 180°C) etwa 45 Minuten backen. Nach 30 Min. Form abdecken. Schnittlauch waschen, trocknen, in Röllchen schneiden. Nach Beendigung der Backzeit , Auflauf aus dem Ofen nehmen, mit den Schnittlauchröllchen bestreuen und den restlichen Kirschtomaten garnieren. Tipp: Reichen Sie dazu einen grünen Salat. Als vegetarische Variante lassen Sie einfach den Speck weg. Guten Appetit!

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K U LT U RT I P PS

GÖTTINGEN

Deutsches Theater

Die Empfehlung

Szenen aus dem Container “Stadt in Zukunft“ Mobiles Theater des DT Im November zieht das Projekt des Deutschen Theaters (DT) „Stadt in Zukunft“ an den Jonaplatz nach Grone. Nun verwandelt sich ein LKW-Anhänger in Schreibcontainer und Spielstätte, in dem der Berliner Dramatiker Paul Brodowsky vom 5.-18. November leben und arbeiten wird. Während dieser Zeit wird

05.11. - 08.11. 32. Jazzfestival Göttingen Internationale, nationale und lokale Musikerinnen und Musiker werden die Vielseitigkeit des Jazz präsentieren. Das Festival beginnt im Apex und bietet im Deutschen Theater unter anderem den ersten „Trumpet Summit“. Seinen Abschluss findet das Festival in der Musa mit dem Bahama Soul Club. So 01.11. / 13.00 Uhr Juzi, Gö Veganer Brunch (an jedem 1. und 3. Sonntag im Monat) So 01.11. / 20.00 Uhr Martinskirche, Ks Benefizaufführung der Carmina Burana zum Welt-Aids-Tag Um Spenden wird gebeten! Di 03.11. / 20.00 Uhr Bildungswerk ver.di, Gö Make the dices dance: Spieleabend beim Rosa Sprungbrett, Göttingens schwuler Comingout- und Freizeit-

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* Viola Wiegand

er die Groner Bevölkerung und Wohngegend kennenlernen. Seine Gedanken wird er Ende des Monats in kurzen Texten, Szenen und Minidramen zusammen mit Mitgliedern des Ensembles vorstellen. Zudem wird es den ganzen Monat über Veranstaltungen am Jonaplatz geben. Wo sie genau stattfinden, kann dem Web-Blog entnommen werden.

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MEHR ZUR EMPFEHLUNG: www.stadt-in-zukunft.blogspot.com Stadtführung: 7.11. / 14 Uhr (frei, Anmeldung erforderlich) Kinder-Lesung: 8.11. / 11 & 12.30 Uhr (2 Euro) Mini-Bar: 14.11. / 20.00 Uhr (frei) Blind-Date: 26.11. / 20.00 Uhr (5 Euro / 8 Euro) Präsentation: 27.-29.11. / 20.00 Uhr (5 Euro / 8 Euro)

gruppe im Rahmen der LesBiSchwulen Kulturtage Teilnahme ist kostenlos Di 03.11. / 20.00-21.30 Uhr vhs (Wilhelmshöher Allee) Raum 304, Ks Burnout-Prophylaxe – Vortrag von Angela Osius Eintritt: 4 Euro Mi 04.11. / 20.00 Uhr Komödie, Ks Keinohrhasen (Theaterstück nach dem gleichnamigen Film)

So 08.11. / 15.30 Uhr Cinema, Gö Bollywoodkino mit indischer Tanzvorstellung und anschließendem Schnuppertanzkurs (im Max L.) Eintritt: 9 Euro, erm. 8 Euro So 08.11. / 18.00-20.00 Uhr Lutherkirche, Ks Und die Musik spielt dazu – Kabarett in Theresienstadt (Gedenkveranstaltung zu den Judenpogromen im November 1938) Eintritt: 6 Euro Di 10.11./ 18.30-20.00 Uhr vhs (Wilhelmshöher Allee), Ks Zappelphilipp und Co. – Was gibt es Neues zum ADHS-Syndrom? Mo 09.11. / 20.00 Uhr Deutsches Theater, Gö „Ich bin voller Hass – und das liebe ich“ gespielt vom Jungen Schauspiel nach dem dokumentarischen Roman von Joachim Gaertner über das Attentat an der Columbine Highschool 1999 Mi 11.11. / 20.00 Uhr Evangelische Familienbildungsstätte, Gö Vortrag: Unlust, Lernschwierigkeiten oder doch Lernschwäche?- Möglichkeiten des Erkennens (mit Auswegen) am Fach Deutsch Anmeldung unter 0551/4886980 Eintritt: 6 Euro Do 12.11. / 19.30 Uhr Gemeindesaal Johanneskirche, Gö

Do 05.11. / 22.00 Uhr Juzi, Gö

Lese- und Gesprächsabend: „Vertreibungen aus dem Osten – Polen und Deutsche erinnern sich“

Keller-Konzert mit Antigen, Red with Anger, Azrael

Do 12.11. / 20.00 Uhr Komödie, Ks

Sa 07.11. / 20.00 Uhr Junges Theater, Gö

ABBA Hallo!

Premiere: „Jugend ohne Gott“ nach Ödön von Horvath

Di 13.11. / 20.00 Uhr Anthroposophisches Zentrum, Ks Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung Eintritt: 8 Eintritt, erm. 5 Euro

TagesSatz

* 11/09


KULTURT I P P S Sa 14.11. / 20.00 Uhr Auferstehungskirche, Ks

Die Empfehlung

* HARALD WÖRNER

Kassel

So 15.11. / 15.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks

Agentur

Nicole: Kirchentournee

Rita Oskowskoja: Umblättern – Die ukrainische Lehrerin und Fotografin dokumentiert seit 2008 die Veranstaltungen der Kasseler Kinderkultur der Stadt Kassel So 15.11. / 19.05 Uhr Osthalle Universitätsklinikum, Gö Konzert: Im Rahmen des Projektes „Kult(o)ur im Klinikum“ präsentiert das Duo Bubble & Squeek Lieder aus Schottland und Irland für Patienten und Besucher Eintritt frei Do 19.11. / 20.00 Uhr Literaturbüro Nordhessen (Lasallestraße), Ks Schreiben. Hoffen! Erfolg?: Zwischen Anspruch und Unterhaltung – Literaturkritik heute Eintritt frei Do 19.11. / 20.30 Uhr Musa, Gö Konzert: Monsters of Liedermaching VVK: 12 Euro / AK: 15 Euro Sa 21.11. / 15.00 Uhr Deutsches Theater (DT), Gö Eltern-Kind-Workshop: Wie Ida einen Schatz versteckt und Jakob keinen findet Treffpunkt Bühneneingang Anmeldung unter 0551/496948

Bin ständig wütend „Panzerbalett“ Kulturzentrum Schlachthof Was haben die Simpsons, ABBA, Doldinger, Zappa oder Nicole miteinander gemeinsam? Zunächst nichts. Schaut man ohne Scheuklappen hin, sind sie „Artgenossen“ des Münchner Komponisten Jan Zehrfeld. Der hat sie nun mit seinem Quartett „hart

genossen“, so der letzte CD-Titel. Und das ist wörtlich zu nehmen. Zehrfeld´s „Panzerballett“ spielt eine Mischung aus Jazz und Metal. Hier geht’s zwar rau und herzlich zu, deswegen aber noch lange nicht simpel. Dazu gehören ausgeklügelte Rhythmenwechsel und punktgenaue Breaks, gepaart mit einem sicheren Gespür für Steigerungen. Ob Cover oder Eigenkomposition: die wilden Tänzchen des Panzerballetts machen Riesenspaß!

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MEHR ZUR EMPFEHLUNG: Panzerballet: Jazz-Metal 26.11., 20.30 Uhr Kulturzentrum Schlachthof Mombachstraße 10-12, Ks Tel.: 0561/893305 oder www.schlachthof-kassel.de VVK: 8 Euro / AK: 11 Euro

So 22.11. / 11.00-12.15 Uhr Staatstheater (Opernhaus), Ks

Fr 27.11. / 19.00 Uhr Paulinerkirche (Alte SUB), Gö

50 Jahre Musikschule Baunatal

Podiumsgespräch: Thematisierung der Vorgänge der „Arisierung“ sowie die Restitution von Kulturgütern aus jüdischem Besitz

Mo 23.11. / 19.00-20.30 Uhr vhs (Wilhelmshöher Allee), Ks Utopische Architektur – Experiment und Kontroverse (Vortrag von Johannes Hartmann) Eintritt: 4 Eintritt

So 29.11. / 20.00 Uhr Theater im Centrum (TIC), Ks Premiere: Die zertanzten Schuhe (Weihnachtsmärchen)

Mi 25.11. / 20.15-21.45 Uhr Staatstheater (TIF) , Ks Publikumsbeschimpfung (siehe hierzu auch Hinter den Kulissen!) ANZEIGE

a ff e n W ir v e r s c h n z v o ll e I h n e n g la A u ft r it te

TagesSatz

* 11/09

Color-Druck GmbH Lindenallee 19 · 37603 Holzminden Fon (0 5531) 93 20-0 · Fax 93 20-50 e-mail: info@color-druck.net

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TagesSatz

K U LT U R G Ö TTINGEN

Wenn die Leute tanzen, hat der Song sein Recht Albi ist Göttingens ältester DJ. Vor 41 Jahren fing er an aufzulegen, heute steht der Mittfünfziger immer noch am Mischpult. Mit der Partyreihe Rock gegen Rheuma zieht der gebürtige Göttinger Menschen unterschiedlichen Alters auf die Tanzfläche der Musa.

* ANDREA TIEDEMANN

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eine Wohnung ist voller Musikinstrumente, im Schlafzimmer hat er ein kleines Tonstudio eingerichtet. Afrikanische Trommeln hängen neben Gitarren und Geigen, im Badezimmer steht ein großer Baum. Die langen Haare aus seiner Hippie-Zeit hat Albi abgeschnitten und an den Nagel gehängt. An der Flurwand kann man die alten Dreadlocks noch bewundern. „Wenn man als Markenzeichen schon lange Haare hat, wird es Zeit, sich davon zu trennen“, sagt Albi lachend. Die wilde Zeit ist vorbei, Albi wirkt gesetzter. Wenn es um Musik und Tanzen geht, ist Albi aber ganz der Alte. „Bühne ist geil! Deswegen bin ich auch Percussionist geworden und nicht Schlagzeuger, ich wollte immer nach vorne“, erklärt Albi und erzählt davon, wie er mit dem Schellenkranz die Bühne rauf und runter gerannt ist. Wer Albi einmal als DJ erlebt hat, merkt, dass er selber auch gerne tanzt. Als Jugend-

„Als Trommler muss ich immer wissen, wann und wie lang“ licher legte er in der Schuldisko auf, in der Hainbergschänke vor vierzig Jahren bekam er sein erstes Gehalt – zwanzig DM. Der größte Hit damals war „Baby come back“ von den Equals. Viele Tanzbegeisterte von damals scheinen Albi treu geblieben zu sein, denn wenn Albi in der Musa auflegt, sind alle Generationen vertreten. „Ein Herr ist 73, der kommt regel28

mäßig“, sagt Albi stolz. Der schwierige Spagat zwischen dem Musikgeschmack der 30-jährigen und 60-jähirgen ist für Albi eine Herausforderung. Für jeden ist etwas dabei und alle tanzen ganz selbstverständlich nebeneinander. Bei Albi wird getanzt, nicht geglotzt. Und das macht die Atmosphäre sympathisch und die Gelenke geschmeidig. Neben dem Auflegen hat Albi Beats und Texte für eine HipHop-Band produziert und Musik für Gitarre und Gesang geschrieben. Als Auftragsarbeiten sampelt er auch GEMA-freie Musik für Homepages oder arbeitet in Theaterprojekten mit. Doch manchmal hat auch Albi genug von Musik. „Dann ist es so, dass ich überhaupt keine Musik mehr höre, weil ich satt bin.“ Wenn Albi einen freien Tag hat, geht er gerne in der Stadt Kaffee Trinken oder entspannt sich in der Eiswiese. Er ist zufrieden mit seinem Leben, das merkt man ihm an. Dabei war anfangs alles gar nicht einfach. Nach zwei abgebrochenen Lehren wurde er Tischler und dann Hausmeister an der Uni. Als in den 80ern seine Ehe auseinander ging, suchte er beruflich eine neue Perspektive und begann, Aquarelle in einer eigens entwickelten Technik zu malen. Obwohl Albi keine klassische künstlerische Ausbildung hat, hat er sich für unterschiedliche Bereiche interessiert. „Ich bin in allem, was ich mache, Autodidakt.“ Er spielt Gitarre, Klavier, Trommel und Schlagzeug. Das, was Albi sich selber beigebracht hat, gibt er auch weiter. Man kann bei ihm Trommelkurse belegen und Schlagzeugunterricht nehmen. Regelmäßig geht Albi in Göttinger Schulen, um Workshops und Kurse anzubieten. Die Ausstattung der Schulen mit Musikinstrumenten und ein breites musikalisches Angebot findet er wichtig. „Musik war schon immer therapeutisch, jede Art von Musik.“ Ob also mit Rheuma oder ohne – Rocken hält gesund!

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MEHR ZUM THEMA: Rock gegen Rheuma: jeden 2. und 4. Freitag im Monat in der Musa, Hagenweg 2a www.albi-musik.de

TagesSatz

* 11/09


Angela Giorgi

KULTUR KA S S E L

DER FUNKER In einer besonderen Reihe veröffentlichen bekannte Autoren Auszüge aus ihren Texten im TagesSatz. Mit dem vorletzten Text präsentieren wir Ihnen eine Erzählung des österreichischen Literaten Arno Geiger.

* PROSA VON ARNO GEIGER

F

rüher hat sie jeden Tag angerufen. Aber seit einiger Zeit ruft sie nicht mehr an. Und ich warte, lese in der alten Zeitung oder tue mir etwas Gutes. Hier auf der Funkstation hat man seine Ruhe. Während ich dann vor mich hin agiere, fährt es mir durch den Kopf: Heute ist der Tag. Heute kommt der Anruf. Aber dann kommt wieder kein Anruf, und ich muß mich auch wieder wundern, warum kein Anruf kommt. Eigentlich habe ich keine Ahnung, warum kein Anruf kommt, es sei denn, weil sie aus irgendeinem Grund sauer auf mich ist oder weil sie nicht anrufen will oder kann oder weil das letzte

TagesSatz

* 11/09

Funkgespräch so mistig war. Aber es war ja nicht das erste mistige, und früher hat sie sich am nächsten Tag wieder gemeldet. Vielleicht hat irgendein Weltschmerz sie dahingerafft, dann könnte sie mich davon in Kenntnis setzen, damit ich nicht länger warten muß. Täglich wird die Zeitung älter, das bekommt weder der Zeitung noch mir, und auch das Gute, das ich mir tue, leidet daran, daß es nichts Neues ist und eigentlich nichts Gutes mehr. Desto ungeduldiger warte ich. Die Situation ist heikel, denn sowie das Warten zur Gewohnheit wird und in Gleichgültigkeit umschlägt, weiß ich nicht mehr, was ich mit mir anfangen

soll. Die Zeit drängt heftig in diese Richtung. Keine Ahnung, wie lange ich noch aushalten kann. Wie gesagt, auf der Funkstation habe ich meine Ruhe, meine gottverdammte Ruhe. Ich könnte zur Ablenkung andere Funker belauschen, aber es gibt nichts Interessantes den Äther rauf und runter. Ich glaube, daß auch die anderen Funker warten und darunter leiden, daß es nichts mehr zu sagen gibt. Vermutlich haben die anderen Funker früher mich belauscht. So muß es gewesen sein. Jetzt sitzen sie in ihren Kabinen, in denen es ebenso ruhig ist wie hier, haben die Füße auf den Tischen, die überall gleich sind, rauchen, lesen alte Zeitungen, tun sich etwas Gutes, das längst nichts Gutes mehr ist, und hoffen, daß ich ein toller Mann bin und daß mich eine Frau nicht länger als sagen wir zwei Wochen vergessen kann. Aber sie hat mich schon Monate vergessen. Und die anderen Funker verachten mich, und ich leide darunter, und deshalb und aus vielen anderen Gründen, die ich nicht zusammenhalten kann, ist jede Minute kostbar, weil jede Minute der nächsten Minute in der Wahrscheinlichkeit, daß ihr Anruf doch noch kommt, voraus ist. Meine Hoffnungen sinken, ich weiß es. Flausen kann ich mir in dieser Situation nicht erlauben. Alleine die Vorstellung, daß sie mich zu erreichen versucht, die Verbindung wegen einer Spielerei meinerseits aber nicht zustande kommt, versetzt mich in Panik. Deshalb rühre ich keinen Finger. Ich warte, warte, wer weiß, vielleicht kommt ihr Anruf im nächsten Moment. Und dann sagt sie Dinge zu mir, die so unerhört sind, daß die anderen Funker den Atem anhalten, Dinge, die sagen, daß sie mich, ach ja, daß sie mich, daß sie mich ... Wie oft hat sie das gesagt, früher, früher. Meine Güte, wie lange ist das her?

*

MEHR ZUM AUTOR: Arno Geiger, geb. 1968 in Vorarlberg/Ö, lebt und arbeitet in Wien und Vorarlberg. Werkauswahl: Schöne Fremde, Roman, (2002, Hanser), Es geht uns gut, Roman (2005, Hanser), Anna nicht vergessen, Kurzgeschichten (2007, Hanser)

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Isabel Winarsch

H I N T E R D E N KULISSEN

Unter dem Teppich liegt der Schlamm „Die Tragödie des König Lear“ im Deutschen Theater Göttingen

* ANNA HERMANN

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Dominik Ketz

in trister Raum, versehen mit drei altmodischen Computerterminals und grauem Nutzfaserteppich - der Ort an dem Mark Zurmühle durch Missgunst und Machtgier die Welt des König Lear „in Schutt und Asche“ legen lässt, ist klar begrenzt und äußerst vage zugleich: Das Bühnenbild (Eleonore Bircher), in dem in ständiger Anwesenheit fast aller Akteure durchgängig gespielt wird, könnte ebenso Be-

hördenbüro sein wie Regierungssitz, Schulaula oder geheime Schaltzentrale. Das Spiel des Ensembles zeigt schnell: hier ist ein System beheimatet, mit klaren Machtstrukturen und Konventionen. So erscheint das Unvermögen der jüngsten Königstochter, „ihr Herz auf ihre Lippen zu heben“, als es daran geht, das Land unter den Töchtern aufzuteilen, in seiner Folge als subversive Verweigerung der Spielregeln: Während sich die Schwestern Goneril (Gaby Dey) und Regan (Marie-Isabel Walke) abmühen, mit möglichst großen Worten des Lobs um möglichst große Erbteile zu buhlen, verschanzt sich Sybille Weisers verzagte Cordelia hinter pubertärem Rotz, antwortet: „Nichts“. Trat Johannes Granzer als dienstmüder Lear bis zu jenem Moment jovial auf, wie

einst Harald Schmidt vor seiner Kreativpause, wütet er nun los und trifft die fatale Entscheidung, die das triste Büro in ein blutiges Schlachtfeld verwandeln wird. Die Enge des Raums ist reizvoll, wenn Archaik und Büroszenerie aufeinander prallen, unter den Teppichplatten der Schlamm liegt und Protagonisten angesichts ihrer eigenen Grausamkeit würgend zum Wasserglas greifen. Doch über die Dauer des Spiels verblasst die Wirkung zu reinem Konzeptwillen, der Akteure und Handlung einengt und tragische Szenen angestrengt, eigentlich Berührendes banal wirken lässt.

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TERMINE IM NOVEMBER: 03.11., 14.11., 20.11., 26.11. jeweils um 19.45 Uhr

Den­ken statt Er­bau­ung „Pub­li­kums­be­schimp­fung“ im tif Kas­sel

* NORA MEY

N

ein, so rich­tig be­schimpft fühlt man sich nicht wirk­ lich, wenn man am Ende der Auf­füh­rung die Ti­ra­de der Wör­ ter über sich er­ge­hen lässt. Ob man als Milch­ge­sicht, als Ge­schmeiß, als In­tel­lek­tu­a­list oder als Jam­mer­ge­stalt von den Schau­spie­lern ti­tu­liert wird, es kommt nicht wirk­lich agg­res­siv ­rü­ber - im Ge­gen­teil - nach ei­ner Wei­ le sit­zen die Schau­spie­ler mit am Tisch und hö­ren selbst der Be­schimp­fung vom Band zu. Mit an­de­ren Wor­ten, die Pro­vo­ka­ti­on ist bei wei­tem nicht das Wich­tigs­te bei die­ser Auf­füh­rung. Viel in­te­res­san­ter sind die Aus­las­sun­ gen Pe­ter Hand­kes da­rü­ber, wie das The­a­ter funk­ti­o­niert, nach welchen Re­geln und Ver­hal­tens­wei­sen wir uns

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vor­be­rei­ten, wie wir sit­zend emp­fäng­ lich für the­a­tra­li­sche Drama­tik wer­ den, wie das Büh­nen­ge­sche­hen ab­ läuft – dass es eine Wirk­lich­keit vor­ täuscht, die es ge­ra­de nicht ist, dass es eine Zeit vor­spielt, die nicht die re­a­le Zeit ist, die ge­ra­de ver­rinnt. Bei die­sen Re­fle­xi­o­nen wird man von den fünf Schau­spie­lern (Ma­rie-Clai­re Lud­wig, En­ri­que Keil, Frank Richartz, Da­ni­el Scholz und Uwe Stein­bruch) ganz in­ ten­siv fast an die Hand ge­nom­men, es wird Blickkon­takt her­ge­stellt, es wird eine eher freund­li­che At­mo­sphä­re er­ zeugt, die den Zu­schau­er auf­schließt für die­ses Nach­den­ken über The­a­ter, über die Er­war­tun­gen und die re­a­le Wir­kungs­wei­se. Da­bei er­ge­ben sich in Vol­ker Schmal­öers In­sze­nie­rung Wi­

der­sprü­che zum Text. Die Schau­spie­ ler üben sich nicht nur im Spre­chen, son­dern set­zen viel Mi­mik und Ges­ tik ein, um dem Ge­spro­che­nen theatralische In­ten­si­tät zu ver­lei­hen. Dies er­scheint als not­wen­di­ger Kunst­griff eben­so wie die Auf­lö­sung der klassi­ schen Tei­lung in Büh­ne und Zu­schau­ er­raum. Die Zu­schau­er sit­zen um eine Art gro­ßen Tisch und kön­nen sich ge­ gen­sei­tig wahr­neh­men und be­obach­ ten. Er­neut be­weist sich hier Vol­ker Schmal­öer als ein be­hut­sa­mer Mo­ de­rni­sie­rer, der ei­nen Text zeit­ge­mäß „auf die Büh­ne“ zu brin­gen weiß.

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TERMINE IM NOVEMBER: 25.11 und 26.11. jeweils um 20.15 Uhr

TagesSatz

* 11/09


ZWISCHEN DEN ZE I L E N

Gelesene Selbsthilfe Wikipedia schreibt: „Als ‘Hilfe zur Selbsthilfe’ bezeichnet man das Prinzip, das Maßnahmen zu Grunde liegt, die den Not leidenden Menschen (zum Beispiel den Mittellosen, den Patienten) dazu befähigen, sich selbst zu helfen bzw. sich selbst Hilfe zu organisieren.“ Das kann sich auf medizinische und psychologische Aspekte beziehen, aber auch auf soziale und gesellschaftliche. Wir haben diesen Monat drei Bücher aus dem schier unendlichen Spektrum der Selbsthilfe-Literatur für Sie gelesen.

* DANIELE PALU Selbstheilung

Kinderführerschein

Liebeskompass

Was kann ich bei einer Erkrankung selbst tun, um gesund zu werden? Klaus-Dieter Platsch, Arzt für Innere Medizin, Psychotherapie und Akupunktur, behandelt Menschen schon seit zwanzig Jahren ganzheitlich und ist überzeugt: „Wenn wir tief in uns gehen und durch Meditation oder Gebet mit unserem seelischen Kern in Berührung kommen, aktivieren wir ein heilendes Feld. Dann wird Ihre eigene Heilkompetenz mindestens genauso groß wie die des Arztes.“ Und weiter: „Im Bewusstsein des heilenden Feldes geschieht der Heilungsprozess auf einer inneren Ebene durch das uneingeschränkte Vertrauen auf die eigenen Selbstheilungskräfte – völlig unabhängig von einer eingeschlagenen Therapie oder einer medizinischen Methode.“ In seinem Buch bemüht Platsch unter anderem auch die Quantenphysik, durch die man lernen könne, krankmachende innere Bilder und Überzeugungen weitestgehend durch Bewusstwerden zu entkräften und stattdessen neue, heilsame Informationen zuzulassen. Interessant lesen sich solche Erkenntnisse allemal. Aber wie so oft bei Büchern aus dem esoterischen Segment bleibt die Wirksamkeit solcher Theorien wohl vor allem eines: Glaubenssache.

Einer aktuellen Studie zufolge fühlt sich über die Hälfte aller jungen Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. „Viele Eltern bewerten ihren Einfluss auf die Erziehung zu hoch. Und damit wird konsequenterweise die Angst vor Fehlern, vor Schuld und vor Kritik überdimensional erlebt“, ist der Psychologe und Pädagoge Holger Schlageter überzeugt. Die Folge: Viele Kinder führen sich auf wie kleine Despoten. Schlageter plädiert für eine neue Gelassenheit: „Sie sind gut, wie Sie sind. Erinnern Sie sich, auch Sie sind das Kind unperfekter Eltern und wurden ein ganz trefflicher Mensch. Stehen Sie zu sich und finden Sie Ihr Maß“, schärft er seiner Leserschaft ein. Allerdings stellt der Psychologe und Pädagoge auch die Forderung, dass jeder sein Erziehungsverhalten zu hinterfragen habe und sich die Folgen vor Augen führen sollte. Schlageter gelingt ein frischer Zugang zu einem neuen gesellschaftlichen Problem – und hat einen Ratgeber für verunsicherte Eltern geschrieben, der aber auch Kinderlose zum Nachdenken anregen wird.

Sind Sie auf der Suche nach der großen Liebe? Aber wie öffnet man sich, um überhaupt Liebe zu empfangen und wie findet man den passenden Partner? Antworten auf diese und eine Reihe weiterer Fragen sucht Bestsellerautorin Talane Miedaner in ihrem neuen Buch mit einem umfangreichen Fragebogen und einem „Emotionalen-Index-Quiz“. In erster Linie geht es dem „Coach“ darum, dass man sich selbst besser kennen lernt. „Denn nur wer sich seiner emotionalen Werte und Bedürfnisse bewusst ist, findet auch den Partner, der wirklich zu einem passt“, lautet Miedaners Credo. Und: Gleiches zieht Gleiches an. Nur wer bereit ist, Liebe zu geben und zu empfangen, wird auch Liebe finden. Neu ist das nicht. Was nicht heißt, dass der eine oder die andere in diesem Buch tatsächlich doch noch etwas über sich selbst erfährt. Sonst wären Ratgeber wie dieser – und speziell die „Coach-dich-selbst“-Bücherreihe von Talane Miedaner – nicht so erfolgreich.

Klaus-Dieter Platsch: Das heilende Feld. Was Sie selbst für Ihre Heilung tun können. O.W. Barth, 19,95 Euro. Hardcover, 304 Seiten

TagesSatz

* 11/09

Holger Schlageter: Das Geheimnis gelassener Erziehung: Wie Eltern das richtige Maß finden. Krüger, 14,95 Euro. Taschenbuch, 246 Seiten

Talane Miedaner: Coach dich selbst, sonst liebt dich kein e r. M v g , 1 9 , 9 0 Euro. Hardcover, 320 Seiten

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I N D E R N A H AUFNAHME Mit einem Kritikerliebling und einem Kassenschlager sind zwei deutsche Filme in den Kinos, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten – der Tagessatz hat sich beide angesehen. Dazu präsentieren wir ein empfehlenswertes Werk zum Titelthema „Hilfe zur Selbsthilfe“.

DVD-Tipp

outnow.ch

* CLIFFORD SPENCER

Männerherzen

Things We Lost in the Fire

R.: Michael Haneke D/Öst./F/I 2009, FSK: ab 12

R.: Simon Verhoeven D 2009, FSK: ab 6

R.: Susanne Bier UK/USA 2007, FSK: ab 12

In einer protestantischen Gemeinde im Jahr 1913: Nach einem Anschlag auf das Leben des Arztes (Rainer Bock) erschüttert eine Serie von Unfällen und Gewalttaten das Dorf. Aber sie bilden nur die Spitze des Eisbergs. Hinter der gutbürgerlichen Fassade regiert die häusliche Gewalt und unter dem Deckmantel von Respekt und Disziplin steckt qualvolle Demütigung, insbesondere für die Kinder des wortgewandten Pfarrers (brillant: Burghardt Klaussner). Ein junger Schullehrer (Christian Friedel) erfährt allmählich, wer für die mysteriösen Ereignisse verantwortlich ist. „Das weiße Band“ gibt einen Fingerzeig, wie in einem Klima aus Doppelmoral, Neid und sinnloser Disziplin aus normalen Bürgern willige Zahnräder einer späteren Mordmaschinerie werden konnten. Messerscharf beobachtet, erschafft Regisseur Haneke gewaltige Bilder und Dialoge, die wie Steine im Magen liegen. Irgendwo zwischen klinischer Reinheit und malerischen Albträumen besitzt „Das weiße Band“ eine Schwarzweiß-Ästhetik, die man so noch nicht gesehen hat. Hanekes Film gewann zurecht mit „Das weiße Band“ die Goldene Palme in Cannes.

In einem Fitnessstudio treffen die verschiedensten Männer aufeinander: Da gibt es zum Beispiel den netten Loser Philip (Maxim Mehmet), unfreiwilliger Vater in spe. Oder Jerome (Til Schweiger), Frauenheld und Musikproduzent. Er ist kurz davor, seine Künstlerseele an einen durchgeknallten Schlagerstar (Justus von Dohnanyi) zu verkaufen. Jerome wird bewundert vom schüchternen Beamten Günther (Christian Ulmen), der sich in die Frau des gestörten Roland (Wolan Wilke Möhring) verliebt. Sämtliche Charaktere in „Männerherzen“ sind bestenfalls zweidimensional. Immerhin verleihen die gut aufgelegten Darsteller den schablonenhaften Figuren mehr Fülle. Die Geschichten werden aus männlicher Sicht erzählt. Das ist für eine romantische Komödie zwar nicht mehr einzigartig, aber immer noch ziemlich selten. Zudem sind Themen wie ungewollte Schwangerschaft, Traumatisierung und künstlerische Integrität ungewöhnlich für das Genre. Aber jede Situation wird durch einige nette Lacher aufgelöst und jede Story findet ein konstruiertes Happy End. Das macht „Männerherzen“ dann doch wieder so gefällig wie belanglos.

Brian Burke (David Duchovny) wurde Opfer eines sinnlosen Verbrechens. Seine Ehefrau Audrey (Halle Berry) und ihre beiden Kinder versuchen mit dem Schicksalsschlag fertig zu werden. Sie lernen auf der Trauerfeier Brians besten Freund Jerry (Benicio Del Toro) kennen. Jerry wurde heroinabhängig und hat dadurch alles verloren. Audrey lädt ihn ein, für eine Zeit bei ihr zu wohnen. Sie versuchen sich gegenseitig im Alltag zu helfen. Doch während Jerry auf dem Weg der Besserung ist, entgleitet Audrey fast die Kontrolle über ihr Leben. „Things We Lost in the Fire“ ist zu Beginn schwere Kost. Der Film eröffnet mit der Trauer der Familie und einem Einblick in das kaputte Junkie-Leben von Jerry. Zeitlich ungebunden schaltet der Film anfangs ruckartig in die Vergangenheit, um dann allmählich immer mehr in der tragischen und doch hoffnungsvollen Gegenwart zu verharren. Die Dänin Susanne Bier entwickelt so nach und nach eine positive Botschaft: Manchmal genügt ein Stoß in die richtige Richtung, um das Leben wieder in Fahrt zu bringen.

Das weiße Band

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TagesSatz

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DAS LE T Z T E

Mal ehrlich ...

* LUAN SEIDEL

Luan Seidel

... was verstehen Sie unter Hilfe zur Selbsthilfe?

Impressum

Friedrich A. (79), Jesuiten-Pater Ich denke vorrangig an alte Leute, da ich schon sehr oft in Altersheimen geholfen habe. Dort ist es ein Grundsatz: „Das was die Menschen alleine machen können, sollen sie auch alleine machen“. Gäbe es diesen Grundsatz im Altersheim nicht, würden die Hilfsbedürftigen nur noch da liegen. Rauter S. (34), Flötenbauer Es scheint mir ein lokalpolitisch missbrauchter Begriff zu sein, der kaschieren soll, dass den Leuten, die wirklich Hilfe brauchen nicht mehr geholfen wird. Wenn mich eine Person um Hilfe böte und ich ihm im Gegenzug Hilfe zur Selbsthilfe anböte, dann würde ich mich hilfsunbereit fühlen. Maika K. (22), Chemiestudentin Wenn man anderen Menschen Anleitungen und Möglichkeiten gibt, sich in einer schlechten Situation selbst zu helfen. Anonym, ehemalige Psychologin einer Behinderteneinrichtung In einer Einrichtung für Behinderte muss man immer Hilfe zur Selbsthilfe

anbieten. Damit die Behinderten auch so gut wie möglich alleine leben können. Dabei muss man die Dinge unterstützen, die sie können, und wo sie Probleme haben, Hilfe leisten. Ralf R. (55), Leiter des Mittagstisch St. Michael Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet für mich nicht, dass ich etwas für jemanden tue, sondern dass ich ihn dabei unterstütze, das zu tun, was die Person tun möchte, aber selber nicht schafft. Hilfe zur Selbsthilfe ist es daher nicht, wenn ich jemanden etwas abnehme. Andreas (26), Student Ich verstehe darunter, dass man Menschen Mittel an die Hand gibt Probleme kompetent anzugehen. Vielleicht auch Beratungsmöglichkeiten mit bestimmten Leitfäden, mit denen man den Menschen hilft. Jutta O. (48), Biologin Wenn die Hilfe den Hilfsbedürftigen in einen Zustand versetzt, dass er weiter kommt, ohne ständig Hilfe zu benötigen. Zum Beispiel lehre ich ihm etwas herzustellen oder anzubauen.

Clemens Eulig

Nächstes Mal

DEZEMber-Ausgabe 2009 In der nächsten Ausgabe widmet sich der TagesSatz ganz dem „Kind“. Unter anderem beschäftigen wir uns dann mit den Aufgaben und Zielen des Kinderschutzbundes. Darüber hinaus werfen wir einen Blick auf das Konzept der Regenbogenfamilien sowie die Hochbegabtenförderung für Kinder. Der Göttinger Verkäufer Mike macht sich außerdem auf den Weg zum Sozialamt, um herauszufinden, warum es keine günstigen GöVB-Tickets für Hartz-IV-Empfänger gibt. In Kassel werden außerdem Privatschulen unter die Lupe genommen. Sie dürfen gespannt sein! TagesSatz

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*

TagesSatz, das Straßenmagazin Herausgeber: TagesSatz e.V. 1. Vorsitzender: Hans Peter Pung Adresse der Redaktion Kassel: Westring 69, 34127 Kassel Telefon: 0561 - 861 58 43 Fax: 0561 - 861 58 61 E-Mail: kassel@tagessatz.de Mo-Fr: 10-12 Uhr Adresse der Redaktion Göttingen: Obere Karspüle 18, 37073 Gö. Telefon: 0551 - 531 14 62 E-Mail: goettingen@tagessatz.de Mo, Mi, Do, Fr: 10-13 Uhr Di: 14-16 Uhr Homepage: www.tagessatz.de Bankverbindung: Kasseler Sparkasse Kto.: 11 833 79 Blz.: 520 503 53 Sparkasse Göttingen Kto.: 505 815 11 Blz.: 260 500 01 Redaktionsleitung: Jascha Grewe, Malte Schiller (GÖ), Harald Wörner (KS) Pressesprecher: Jascha Grewe Vertriebsleitung: Kassel: Christian Piontek Tel.: 0561 - 861 58 18 Göttingen: Juliane Michael Tel./Fax: 0551 - 531 14 62 Anzeigenleitung: Werner Schneider (KS) Kassel: Tel.: 0561 - 861 58 43 Torben Guretzki (Gö) Göttingen: Tel.: 0551 - 531 14 62 Redaktion Kassel: Stefan Giebel, Trudi Kindl, Fritz Krogmann, Bianca Kuchenbrod, Nora Mey, Hans Peter Pung, Frank Stelljes Kultur KS: Fritz Krogmann Redaktion Göttingen: Torben Guretzki, Anna Herrmann, Nora Hengst, Anna Knoke, Mike, Daniele Palu, Andreas Pramann, Jörg Sanders, Luan Seidel, Clifford Spencer, Melanie Swiatloch, Andrea Tiedemann, Viola Wiegand News GÖ: Nora Wetzel Lokales GÖ: Jascha Grewe Kultur GÖ: Kathleen Loock Illustration GÖ: Pilar Garcia Fotografie: Clemens Eulig, Jörg „Yogi“ Müller, Malte Schiller u.a. Coverfoto: Jörg „Yogi“ Müller Layout: Dirk Mederer [plazebo.net] 0551-4899074, info@plazebo.net Druck: COLOR-Druck GmbH ViSdP: Jascha Grewe, Malte Schiller TagesSatz erscheint zwölfmal pro Jahr (zweimal als Verkäuferausgabe) im Straßenverkauf in Kassel und Göttingen Auflage dieser Ausgabe: 2.750 Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe in gekürzter Version zu veröffentlichen. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verkaufspreis: 2,00 EUR, davon geht 1,00 EUR direkt an den Verkäufer.

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W O H I N , W E NN Allgemeine Hilfen

EssenSAUSGABEN

Göttingen

Göttingen

Caritasverband Göttingen Allgemeine Lebens- und Sozialberatungsstelle Godehardstr. 18 37081 Göttingen 0551/999590

Die Göttinger Tafel Jakobikirchhof 1 37073 Göttingen Tel. 0551–51030

Opferhilfebüro Göttingen für Opfer von Straftaten Maschmühlenweg 11(Landger.) 37073 Göttingen 0551/5213883 Weißer Ring e.V. Hilfen für Opfer von Straftaten Ansprechpartner: Herr Bayer 0551/6338876 Sozialdienst für Migranten, RABaZ-Beratungs- & Vermittlungsstelle für ausländische Jugendliche Karspüle 16 37073 Göttingen 0551/57739 BONUS Freiwilligenzentrum Godehardstr. 18 37081 Göttingen 0551/9995917 Neue Arbeit Brockensammlung Levinstr.1 37079 Göttingen 0551/5067320 Pro Familia Rote Str.19 37073 Göttingen 0551/58627 Selbsthilfe Körperbehinderte Prinzenstr. 19 37073 Göttingen 0551/54733-0 Selbsthilfegruppe für Mobbing-geschädigte – Rainer Beutler 05602/1860 BürgerInnenberatung Stadt Göttingen Hiroshimaplatz 2 37083 Göttingen Kassel Kasseler Hilfe Opfer- und Zeugenhilfe e.V. Wilhelmshöher Allee 101 34121 Kassel 0561/282070 Weißer Ring e.V. Hilfen für Opfer von Straftaten Ansprechpartner: Hr. Holler 0561/6029458 Pro Familia Kassel Frankfurter Straße 133 a 34121 Kassel 0561/27413 Außenstelle Witzenhausen (Rathaus/EG/Raum 10) Am Mart 1/ Witzenhausen Arbeitslosenhilfe Göttingen Arbeiterwohlfahrt Hospitalstr. 10 37073 Göttingen 0551/50091-0 Mensch & Arbeit - Beratungsstelle für Arbeitnehmer und Arbeitslose Kurze Str. 13a 37073 Göttingen 0551/43373 Verein zur Erschließung neuer Beschäftigungsformen e.V. Lange Geismarstr. 2 37073 Göttingen 0551/485622 Kassel Beratungsstelle für Arbeitslose des DGB Kreis Kassel Spohrstraße 6-8 34117 Kassel 0561/7209536

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Mittagstisch St. Michael Turmstr. 5 37073 Göttingen 0551/5479540 Straßensozialarbeit Rosdorfer Weg 17 37073 Göttingen 0551/517980 Kassel Kasseler Tafel Holländische Straße 141 34127 Kassel 0561/23003 Suppentopf der Heilsarmee jeden Montag von 14-15 Uhr Martinsplatz Gesegnete Mahlzeit Diakonisches Werk Kassel Hermannstraße 6 34117 Kassel weitere Ausgabestellen: Neue Brüderkirche, Johanneskirche, Auferstehungskirche Frauen in Not Göttingen KORE e.V. - Sozialberat. f. Frauen Papendieck 24-26 (Hinterhof, EG) 37073 Göttingen 0551/57453 Frauen-Notruf e.V. Postfach 18 25 37008 Göttingen 0551/44684 Frauenhaus e.V. Göttingen Postfach1911 37009 Göttingen 0551/5211800 Kassel Übergangseinrichtung für wohnungslose Frauen Am Donarbrunnen 32 34132 Kassel 0561/43113 Karla 3 Aufenthalt und Beratung für wohnungslose Frauen Karlsplatz 3 34117 Kassel 0561/15532 Autonomes Frauenhaus 0561/898889 Frauen in Not 0561/9892929 Notruf für vergewaltigte Frauen Frauen gegen Vergewaltigung e.V. 0561/772244 Frauen informieren Frauen e.V. Beratung bei häuslicher Gewalt Westring 67 34127 Kassel 0561/ 89 31 36 Gesundheit Göttingen Gesundheitsamt Sozialpsychiatrischer Dienst Am Reinsgraben 1 37085 Göttingen 0551/4004802 Frauengesundheitszentrum Göttingen e.V. Groner Straße 32/33 37073 Göttingen 0551/484530 Gesundheitszentrum Albanikirchhof 4-5 37073 Göttingen 0551/486766

Kassel Fahrende Ärzte Dr. Giesler/Dr. Moog Mo. von 14.00-15.30 Uhr auf dem Martinsplatz Do. von 20-24 Uhr in der Gießbergstraße

Deutsches Rotes Kreuz Zollstock 17 37081 Göttingen 0551/5096322 Ausgabe: Mo & Do 8.30-11h jeden 3. Mi im Monat 16-18h Kassel

Kabera e.V. Beratung bei Essstörungen Kurt - Schumacher Straße 2 34117 Kassel 0561/780505

Diakonisches Werk Kassel Sprungbrett & Sprungbrett spezial Steinweg 5 34117 Kassel 0561/572090

Gesundheitsamt Region Kassel Wilhelmshöher Allee 19-21 34117 Kassel 0561/10031920

Deutsches Rotes Kreuz Königstor 24 34117 Kassel 0561/7290441

Haftentlassene

Lebenskrisen

Göttingen

Telefonseelsorge für Jugendliche 0800/1110333

KIK – Kontakt in Krisen Königsallee 254 37079 Göttingen 0551/632977 Kassel Beratungsstelle für Haftentlassene Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/787-5061oder 0561/70738-00

Göttingen Telefonseelsorge 0800/1110111 0800/1110222

Kassel Drogenhilfe Nordhessen e.V. Schillerstraße 2 34117 Kassel 0561/103641 Kontaktladen „Nautilus“ Erzberger Straße 45 34117 Kassel 0561/12115 SAM – Substitutionsfachambulanz Wilhelmshöher Allee 124 34119 Kassel 0561/711813 SAM 2 – Substitutionsfachambulanz Schillerstraße 2 34117 Kassel 0561/103878 WohnungslosenHilfe

Kassel

Göttingen

Telefonseelsorge 0800/1110111

Ambulante Hilfe für alleinstehende Wohnungslose Wiesenstr. 7 37073 Göttingen 0551/42300

Hilfe & Selbsthilfe bei AIDS

PSKB Stadt & Landkreis Kassel 0561/1003-0 0561/787-5361

Göttingen

Notschlafstellen

Göttinger AIDS-Hilfe Obere Karspüle 14 37073 Göttingen 0551/43735 werktags: 10-13 Uhr Beratung: 0551/19411

Beratungsstelle für Suchtkranke – Diakonieverband Schillerstr 21 37083 Göttingen 0551/72051

Göttingen Heilsarmee Untere Maschstr. 13b 37073 Göttingen 0551/42484

Diakonische Heime in Kästorf e.V. – Außenstelle Göttingen Wienstraße 4f 37079 Göttingen 0551/5053302 Straßensozialarbeit (Kleiderkammer) Rosdorfer Weg 17 37073 Göttingen 0551/517980

AIDS-Beratungsstelle Gesundheitsamt für die Stadt und den Landkreis Göttingen Theaterplatz 4 37073 Göttingen 0551/4004831

Kassel Soziale Hilfe e.V. / Panama (für alleinstehende Wohnungslose) Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/70738-00

Bahnhofsmission Bahnhof, Gleis 4-5 37073 Göttingen 0551/56190

Kassel

Café Nautilus (f. Drogenabhängige) Erzberger Straße 45 34117 Kassel 0561/12115

Ambulante Hilfe für alleinstehende Wohnungslose Lange Str. 35 34346 Hann. Münden 05541/71034 / Fax: 05541/903210

Aids-Hilfe Kassel Motzstraße 1 34117 Kassel 0561/97975910

Rechtsberatung & Hilfe Stadt Kassel – Gesundheitsamt AIDS-Beratungsstelle Obere Königsstraße 3 34117 Kassel 0561/787–5380 Kinder & Jugendliche in Not Göttingen Omnibus - Beratungsstelle für Jugendliche & junge Erwachsene Goßlarstr. 23 37073 Göttingen 0551/392690 Kassel Deutscher Kinderschutzbund Siemensstraße 1 34127 Kassel 0561/899852

Kassel Schuldnerberatung Gottschalkstraße 51 34127 Kassel 0561/893099 Verbraucherzentrale Hessen e.V. Bahnhofsplatz 1 34117 Kassel 0561/772934 Göttingen Verbraucherzentrale Nds. Papendiek 24 37073 Göttingen 0551/57094 Suchtberatung: Alkohol Kassel

Verein zur Förderung der Erziehungshilfen in Nordhessen e.V. Wilhelmshöher Allee 32 a 0561/78449-0 Stadt Kassel Sozialer Dienst des Jugendamtes Friedrich-Ebert-Straße 1 34117 Kassel 0561/787–5301 Kleiderkammern Göttingen Ev.-ref. Gemeinde – Kleiderkammer Untere Karspüle 12 37073 Göttingen 0551/5473717

Anonyme Alkoholiker 0561/19295 Blaues Kreuz Kassel Landgraf-Karl-Straße 22 34131 Kassel 0561/93545-0 Suchtberatung Diakonisches Werk Goethestraße 96 34119 Kassel 0561/938950 Suchtberatung: Drogen Göttingen DROBZ (Drogenberatungszentrum) Mauerstr.2 37073 Göttingen 0551/45033

Hann. Münden

Kassel Die Heilsarmee / Sozial Center Ks Eisenacher Straße 18 34123 Kassel 0561/570359-0 Beratungsstelle für Nichtsesshafte Sozialamt der Stadt Kassel Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/787-5061 Beratungsstelle für alleinstehende Wohnungslose – Soziale Hilfe e.V. Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/70738–00 Betreutes Wohnen Diakonisches Werk Kassel Hermannstr. 6 34117 Kassel 0561/7128829 Wohnungsprobleme Kassel Zentrale Fachstelle Wohnen Wohnungsamt (Rathaus) Obere Königsstraße 8 34112 Kassel 0561/787-6252 oder -6255 Deutscher Mieterbund Mieterverein Kassel u. U. e.V. Königsplatz 59 34117 Kassel 0561/103861 Wenn Ihre Einrichtung hier nicht enthalten, oder wir eine Korrektur durchführen sollen, schicken Sie bitte eine E-Mail mit den Daten an goettingen@ tagessatz.de!

TagesSatz

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Jörg „Yogi“ Müller

DAS ALLERLETZTE

In die Fal­le ge­gan­gen * NORA MEY

„O Gott, On­kel Herr­mann, und du bist auch noch sicht­lich stolz auf dein Ver­hal­ten !“ „Klar, die sol­len se­hen, dass wir nicht mehr mit­spie­len, wenn sie uns doch nur be­trü­gen mit all den Beschlüs­sen zu Hartz-IV, Ein-Euro-Jobs und so. Nur Nied­riglöh­ne, Zeit­ar­beit, Bil­ligJobs sind da­bei herausge­kom­men.“

N

eu­lich, ei­nen Tag nach der Bun­d es­t ags­w ahl, traf ich mei­nen On­kel Her­mann. Er trug ein zu­frie­de­ne­nes Lä­cheln. „Du hast gute Lau­ne?“ Das kam ziem­lich sel­ten vor. „Und das bei dem Wahl­er­ geb­nis?», frag­te ich leicht alar­miert.

„Und du meinst al­len Erns­tes, die är­ gern sich jetzt da­rü­ber, dass so vie­le nicht ge­wählt ha­ben? „Mein Lieber On­kel“, – ich be­gann mich auf­zu­hei­ zen – „war­um denkst du nicht mal ein biss­chen ge­nau­er nach?“

„Du hast tat­s äch­l ich wie­d er SPD ge­wählt?“

„Ja klar, die mer­ken doch jetzt, dass sich die Bür­ger von der De­mo­kra­tie ver­ab­schie­den, wir spie­len ihr Spiel nicht mehr mit, und dann kön­nen sie se­hen, wo sie blei­ben!“ Mein On­kel blick­te jetzt bär­bei­ßig.

„I wo, nein, die Sau­b an­d e doch nicht!“ On­kel Her­mann ver­zog das Ge­sicht. Ich habe gar nicht ge­wählt. De­nen ha­ben wir’s ge­zeigt! Knapp dreißig Pro­zent sind wir Nicht­wäh­ler stark ge­wor­den.“

„Und du glaubst wirk­lich, dass die Ge­win­ner in un­se­rem Wirt­schaftsund Po­lit­po­ker sich nicht klammheim­ lich die­bisch freu­en, wenn die Ver­lie­ rer nicht ein­mal mehr ihre Stim­me ab­ge­ben? Wenn sie in al­ler See­len­ru­

„Ja, mei­ne Lie­be», tri­um­phier­te er, „wir sind die zweit­stärks­te Frak­ti­on ge­wor­den!“

he jetzt von Vol­kes­wil­le re­den wer­ den, der kei­ne Min­dest­löh­ne will, der die Rei­chen steuerlich ent­las­tet, den Kün­di­gungss­chutz wei­ter ab­baut, die 400-Euro-Jobs aus­wei­tet zu­guns­ten re­gu­lä­rer Stel­len und so wei­ter und so wei­ter? Hof­fent­lich hast du we­ nigs­tens ka­piert, dass das Bür­ger­geld, von dem die FDP re­det, in Wahr­heit nichts an­de­res als wei­te­rer So­zi­al­ab­ bau ist, um ei­ni­ges kras­ser als HartzIV. Perfide, es mit ei­nem schö­nen Be­ griff zu ver­hül­len und da­mit be­wusst ir­re­zu­lei­ten.“ „Aber das schlimms­te ist doch, wenn das Volk über­haupt nicht mehr mit­ macht bei der De­mo­kra­tie!“ schmoll­ te mein On­kel. „Das sa­gen doch alle.“ „Wer denn, mein Lie­ber? Wer sagt das? Die Me­di­en! Die klu­gen Wis­sen­ schaft­ler! De­mo­kra­tie­for­scher! Das ist in Wahr­heit über­haupt nicht schlimm. – Die, die et­was zu ver­lie­ren ha­ben, sind doch froh, wenn die an­de­ren zu Hau­se blei­ben. Lie­ber On­kel Herr­ man, du bist ein­fach nur –“ oh, ich muss­te mich brem­sen, „du bist ein­fach nur schlecht in­for­miert – ja, du bist ih­ nen in die Fal­le ge­gan­gen.“ Mein On­kel Her­mann wird jetzt wei­ ter­hin das tun, was er be­son­ders gut kann: auf die da oben schimp­fen!

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