TagesSatz 2009/12

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A N Z E I G E CARITAS 2

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EDIT O R I A L Liebe Leserinnen und Leser, jeder von uns Erwachsenen war einmal Kind. Und erinnert sich hoffentlich gern an diese Zeiten zurück. Sicher, auch in meiner Kindheit in den Siebzigern gab es da noch den einen oder anderen Rückfall in vergangene Zeiten, wenn Lehrer mit Hilfe der schwarzen Pädagogik (In-der-Ecke-Stehen, Fingertatzen mit dem Lineal oder auch Kopfnüsse) versuchten, aus uns etwas Anständiges zu machen. In nachhaltiger Erinnerung blieben mir aber vor allem diejenigen, die uns als das wahrnahmen, was wir zu der Zeit auch waren: kleine Menschenwesen, die noch vieles erfahren und lernen können, müssen und auch wollen. Dies aber nicht unter Druck und mit Gewalt. Kinder sind wie zarte Pflänzchen, die es zu hegen und pflegen gilt. Damit meine ich jetzt keinesfalls einen überbehütenden Erziehungsstil, der dem Kind, aus lauter Angst vor vermeintlich drohenden Verletzungen, keinerlei negative Erfahrungen wie etwa Schmerzen zumutet. Und ebenso wenig einen autoritären, der sie bei kleinsten Verfehlungen gleich mit massiven Sanktionen wie etwa Prügeln, demütigenden Strafen oder, am schlimmsten, dem Entzug von Liebe und Fürsorge, bestraft. Am besten lernen Kinder durch Vorbilder, also durch das beispielhafte Vorleben der Eltern und anderer Erwachsener in ihrem Erfahrungskreis. Sind sie schon etwas größer, kann man ihnen auch durchaus die Verantwortung für ein Haustier übertragen, um dann eventuell regulierend einzugreifen falls notwenig. Doch leider waren – auch in meiner Kindheit noch – pädagogische Handreichungen vom Schlage eines Struwwelpeters oder auch Wilhelm Buschs Max und Moritz stark präsent, die vorrangig auf Einschüchterung und Abrichtung der lieben Kleinen zu gehorsamen und willfährigen Nachkommen ihrer Eltern zu setzen versuchten. Was man damit bei Kindern anrichten kann, belegt eindrucksvoll die Arbeit der Psychoanalytikerin Alice Miller („Am Anfang war Erziehung“ oder auch „Das Drama des begabten Kindes“). Eltern sehen sich heute dem Spannungsfeld eigener (leidvoller) Erfahrungen, gesellschaftlicher Normen, ungewisser Zukunftsperspektiven ihrer Sprösslinge und dem berechtigten Wunsch, ihre Kinder mögen es einmal besser haben als sie selbst, ausgesetzt. Hier die richtigen Entscheidung zu treffen, ist sicherlich nicht immer leicht. Meine Mutter sagte einmal zu mir, als ich schon erwachsen war: Weißt Du, hätten ich und dein Vater voraussehen können, wie schwer ihr es mal später haben werdet, dann hätten wir vielleicht darauf verzichtet, Kinder haben zu wollen. Aber das konnten sie unmöglich voraussehen. Vielleicht ist hier eine Haltung angebracht, die ich mit freundlich gesinnter Skepsis bezeichnen würde. Ihr Redaktionsleiter

Harald Wörner (Kassel)

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Der TagesSatz wird von Menschen in sozialen Schwierigkeiten auf der Straße verkauft. Vom Verkaufspreis der Zeitung (2,00 Euro) behalten die VerkäuferInnen 1,00 Euro. Sie können damit ihre finanzielle Situation verbessern und sind nicht mehr auf Almosen angewiesen.

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Die Mitarbeit in Redaktion und Vertrieb des TagesSatz bietet arbeits- und wohnungslosen Menschen eine Aufgabe und die Möglichkeit, neue soziale Kontakte zu knüpfen und ermöglicht langfristig gesehen den Wiedereinstieg ins Berufsleben.

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I N E I G E N E R SACHE

Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler Liebe Leserinnen und Leser, kennen Sie die Geschichte von Icke und Susi? Sie ist fast ein bisschen kitschig, zu gut, um wahr zu sein. Susi, eine gläubige Christin, lernt irgendwann den alkoholabhängigen Obdachlosen Icke kennen. Sie kümmert sich um ihn, die beiden verlieben sich und heiraten schließlich. Die Geschichte von Icke und Susi, die ihren echten Namen nicht gedruckt sehen möchte, berührt. Sie stand in einer Straßenzeitung. Dort lernt man viel über die Schicksale von Obdachlosen. Sie sind so vielfältig wie die Gründe für Obdachlosigkeit: Arbeitslosigkeit, Mietschulden, Beziehungsprobleme, manchmal Drogen oder Alkohol, Krankheiten. In Straßenzeitungen erfahren wir, wie es ist, auf der Straße zu leben, welche Probleme und Sorgen Obdachlose haben, und was wir tun können, um ihnen zu helfen. Straßenzeitungen informieren auch über andere soziale Themen, über Projekte für Menschen in Not, aber auch über das Leben im Kiez, über Angebote für Kinder, Kunstaktionen, Bildungsinitiativen und vieles mehr - und das meist aus einem anderen Blickwinkel als dem, den wir aus den großen Zeitungen kennen. Vor allem aber bieten Straßenzeitungen eine Chance. Eine Chance für diejenigen, die auf der Straße leben. Durch die Zeitung haben sie die Möglichkeit, zu arbeiten, Selbstachtung aufzubauen, sich aufzuraffen, Menschen anzusprechen, sich wieder in ein soziales Gefüge einzufinden. Manch einem Obdachlosen ist über den Verkauf der Straßenzeitungen die Rückkehr zu einem geregelten Leben gelungen. Viele Straßenzeitungen unterstützen oder organisieren darüber hinaus soziale Projekte für Obdachlose: Lebensmittel werden verteilt, Kleidersammlungen durchgeführt oder Notunterkünfte organisiert. All das macht Straßenzeitungen so wichtig. Und deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie diese Zeitung gekauft haben. Dass Sie nicht weggeschaut haben, als der Zeitungsverkäufer Sie angesprochen hat, sondern sich ihm zugewandt haben, ihm mit Respekt begegnet sind. Zuwendung und Respekt sind wir uns schuldig – nicht nur an Weihnachten. Die Menschlichkeit unseres Landes misst sich auch daran, wie wir mit Menschen umgehen, die in Not geraten sind, die am Rande der Gesellschaft stehen. Schauen Sie also weiter hin, hören Sie weiter zu, helfen Sie weiter mit, damit Menschen sich selbst helfen können. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien, den Zeitungsmachern und den Straßenzeitungsverkäuferinnen und –verkäufern ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr.

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IHR KINDERLEIN ... 8 10 12 14

Lobbyist der Kinder von HARALD WÖRNER Die beste Schule für MEIN Kind von NORA MEY Love makes a family von ANDREA TIEDEMANN Schlau sein ist gut, anders sein auch? VON K. KRETSCHMER & J. KRAUSE

Rubriken

Göttingen 18 Mensch sein, nicht nur zu Weihnachten von JULIA KRAUSE

* Auf der Suche nach dem Sozialticket

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von MIKE

Kassel 21 Hexen in der Stadt von KARL FARR 21 Gebrauchslyrik von SABINE PARSUNKA

Kultur 28 Soziale Stadtführung statt Wegschauen! von JULIANE MICHAEL 29 Der Bote von BRIGITTE KRONAUER

EXKLUSIVINTERVIEW 22 Maisbrot und Cranberry-Soße BILL FLANAGAN INTERVIEWT BOB DYLAN

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Editorial In eigener Sache Der Ticker Der Stolperstein Paragraphenreiter Straßengeflüster Winkeladvokat Die Kochnische Kultur-Empfehlungen Hinter den Kulissen Zwischen den Zeilen In der Nahaufnahme Mal ehrlich... Nächstes Mal Impressum Wohin, wenn Das Allerletzte

Bitte ausschneiden und zurücksenden an: TagesSatz e.V., Westring 69, 34127 Kassel

Fördermitglied oder ABO?

Grundsätzlich möchten wir Sie darum bitten, die Zeitung auf der Straße zu kaufen. Für diejenigen, die dazu keine Möglichkeit haben, bieten wir ein Abo für 50 € / Jahr an. Damit wird Ihnen der TagesSatz ein Jahr lang (12 Ausgaben) zugestellt. Selbstverständlich können Sie das Abo auch verschenken. Wer den TagesSatz darüber hinaus unterstützen möchte, der kann Fördermitglied werden. Eine Spendenquittung wird Ihnen am Jahresende automatisch zugesandt.

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Ort, Datum

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EINDRÜCKE

MANUEL ECKERT *Gerade einmal 24 Jahre alt war Manuel, als er für den TagesSatz Einwegkamera-Kunst machte. Auch mit dem Wunsch, Latein zu lernen, war er ein Exot unter den Fotografen.

EINWEGLEBEN *Menschen auf der Straße fotografieren ihr Leben (www.einwegleben.de). Den Bildsonderband können Sie bei den TagesSatz-Verkäufern erwerben!

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Arbeitserfahrung sammeln – im Ausland Göttingen – Wer zwischen 18 und 25 Jahre alt ist und noch einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz sucht, hat seit dem 1. Oktober dieses Jahres auch die Möglichkeit, ein Praktikum im Ausland zu machen. Das Projekt „Integration durch Austausch“ (IdA) vermittelt Praktika in Frankreich, Spanien oder Malta. Die Auslandsaufenthalte werden unter anderem durch einen Sprachkurs vorbereitet und dauern in der Regel sechs Wochen. Die Reise in das Zielland erfolgt in Gruppen und wird von pädagogischen Fachkräften begleitet. Vor Ort arbeiten die TeilnehmerInnen in unterschiedlichen Bereichen, setzen ihren Sprachkurs fort und lernen Land und Leute kennen. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht die Möglichkeit, den Aufenthalt auf bis zu sechs Monate zu verlängern. Das Projekt wird finanziert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, von der Stadt Göttingen und der Beschäftigungsförderung Göttingen.

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Weitere Infos unter: 0551 - 38 44 59 50

Energiemesse in Göttingen Göttingen – Handwerksbetriebe, Hersteller energiesparender Geräte, Architekten und andere Experten trafen sich vom 6. bis zum 8. November zu den Energie-Tagen in der Lokhalle. Nach dem Unternehmertag am Freitag konnten Besucher am Wochenende ausprobieren, wie man spritsparend Auto fährt, sich darüber informieren, wie man Strom im Haushalt spart oder überlegen, ob sich eine

Julia Krause

DER T I C K E R

neue Heizung lohnt. Die nächsten Energie-Tage sollen am ersten Oktoberwochenende 2010 stattfinden.

Mieterbund gegen Überweisung an Vermieter Kassel – Der Mieterbund Nordhessen fordert von den großen Wohnungsgesellschaften in der Region, auf eine Direktüberweisung der Mieten von Hartz-IV-Empfängern aus der Stadtkasse zu verzichten. Die gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Kassel (GWG) hatte diesen Verzicht bereits angekündigt. Der Hintergrund für diese Empfehlung ist folgender: die neue Bundesregierung will offenbar durchsetzen, dass Wohngeld für Hartz-IV-Empfänger wieder direkt an die Vermieter bezahlt werden soll. Die künftig geplante Zahlung der Unterkunftskosten von den Sozialämtern und der Arbeitsförderung nicht mehr an die Mieter selbst, sondern direkt an den jeweiligen Vermieter komme einer Diskriminierung der betroffenen Mieter gleich, so Ingo Groß, Geschäftsführer des Mieterbundes Nord-

hessen. Das wäre so, als würden Arbeitgeber künftig ihren Mitarbeitern, die zur Miete wohnen, die Miete vom Lohn abziehen, um sie dann direkt an den Vermieter abzuführen. Das sei weder vorstellbar, noch politisch durchzusetzen, gibt Groß zu bedenken. Denn die Praxis zeige, dass HartzIV-Bezieher verantwortlich mit ihrer Unterstützung umgingen: „Bis auf einen Anteil von unter einem Prozent zahlen sie ihre Miete pünktlich.“ Ein verschwindend geringer Teil säumiger Zahler finde sich auch in der arbeitenden Bevölkerung und rechtfertige daher nicht die Stigmatisierung der Hartz-IV-Empfänger. „Ob es sich bei den Mietern um Hartz-IV- Bezieher handelt, geht den Vermieter nichts an“, so Groß. Es sei allein von Bedeutung, dass die Miete pünktlich und vollständig bezahlt werde. Dafür seien die Mieter verantwortlich, gleichgültig woher sie ihr Einkommen beziehen. Das negative Menschenbild, das hinter der beabsichtigten Neuregelung stehe, werde vom Mieterbund entschieden abgelehnt. ANZEIGE

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T I T E LT H E MA

Lobbyist der Kinder

Tatjana Pfennig

Trotz der Berichterstattung der Medien, die in letzter Zeit mehrfach über gewalttätige Kinder und Jugendlichen geschrieben haben, sollten wir nicht vergessen, dass viele von ihnen auch zu Opfern werden.

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* HARALD WÖRNER

er Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) setzt sich für die Wahrung der Lebensbelange von Heranwachsenden ein. Hauptziel des Vereins ist, dass Kinder in Familien ohne Gewalt aufwachsen können. „Denn Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten mit Anspruch auf ihre Rechte“, so Sozialarbeiter Georg Holbein. Leider nimmt die Kinderarmut gegenwärtig stetig zu. Streitpunkte in Partnerschaften sind häufig das Geld oder die Kinder. Gewinnt einer oder beide Aspekte dann die Oberhand, wirkt also als Stressfaktor, dann kann es zu Gewaltanwendung gegen Kinder kommen. In Kassel betrifft es besonders Haushalte in Stadtteilen, in denen Menschen mit wenig Geld oder mit Migrationshintergrund (Bettenhausen, Rothenditmold, Oberzwehren, Philippinenhof) leben. Das Thema Gewalt zieht sich aber quer durch alle Gesellschaftsschichten. Bei gebildeten und begüterten Menschen äußert sich Willkür auf subtilere Weise. Vielen Eltern ist gemeinsam, dass sie in einer Übersprungshandlung nach einer Art Ventil für angestaute Spannungen suchen. Das soll ihre Handlungen keineswegs entschuldigen. Oft tut es Gewalt ausübenden Eltern hinterher leid, dass sie zugeschlagen haben. Eltern sollten eigentlich Fürsorge und Schutz bieten, daher kommt es hier nachträglich oft zur Rechtfertigung von Gewalt (Das Kind wollte ja nicht hören). Auf einer subtileren Ebene hingegen bewegt sich der Aspekt Vernachlässigung. Hierunter verstehen Experten den Mangel an Ernährung, Hygiene oder Zuwendung. Ebenso unterschwellig geht die dritte Form von Kindesmisshandlung vonstatten: die seelische Gewalt gegen Kinder. Hier machen Eltern ihr Kind für etwas verantwortlich, das außerhalb seiner Einflussmöglichkeiten liegt. Durch diese Etikettierung schreibt es sich dann selbst die Schuld an der Situation zu und fühlt sich wertlos (Ich bin ja selbst schuld, dass sie mich nicht mögen). Mangelnde elterliche Zuwendung versuchen Kinder oft auch unbewusst durch auffälliges Verhalten zu kompensieren. Sie stören in der Schule und schwänzen, nur um überhaupt Aufmerksamkeit zu bekommen. Damit sich diese Kinder einer wohlwollenden Person öffnen können, die sie zu verstehen versucht, ohne zu werten, bietet der Kinderschutzbund in der Beratungsstelle Gesprächsmöglichkeiten für Kinder und ihre Eltern an. Doch auch im Spiel können sie hier ihre Konflikte bearbeiten.

Überforderung begünstigt Gewalt

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TITELT H E M A Uns Erwachsenen ist oft nicht bewusst, wie vielfältig sich unsere Welt auf Kinder auswirkt. Wenn Wohnungen für Kinder ungeeignet sind, wenn in der Nähe kein Spielplatz existiert, dann spricht der DKSB von „Vergessen der Kinder im öffentlichen Raum“. Abhilfe gegen die Gedankenlosigkeit soll hier der Weltkindertag schaffen. Auch die Kinderbeauftragte der Stadt Kassel versucht hierbei zu helfen. Solche Maßnahmen sind deshalb so wichtig, „weil es“, so der Pädagoge, „eine Statistik der Stadt Kassel gibt, die ausweist, dass in über 80 Prozent der Kasseler Haushalte keine Kinder mehr aufwachsen“ (siehe auch: Fachstelle Statistik Stadt Kassel, Jahresbericht 2008). Bei allen Kindern sind Verhaltensauffälligkeiten nur ein Symptom für tiefer liegende Probleme: „Bei Jungen äußert sich das oft in Ausübung stellvertretender Gewalt, indem sie, in Kompensation eigener Verletzungen, Kleinere und Schwächere schlagen.“ Mädchen sind da in sich gekehrter.

der Gesellschaft und daraus resultierender Überforderung der Eltern. Man hört die immer gleichen Rechtfertigungen: „Ein paar Ohrfeigen haben noch nie geschadet. Sehen sie mich an. Aus mir ist auch etwas Anständiges geworden.“ Tiefer liegende Verletzungen und Narben spricht keiner gern an. Doch setzt hier neuerdings ein positiver Trend ein. Auf meine Frage, wie denn eine Zunahme der Beratungen von Migranten zu deuten sei, antwortete der Pädagoge: „Die gestiegene Nachfrage darf man nicht so interpretieren, dass Migranten häufiger als wir schlagen. Sie leben nun schon in zweiter, teilweise dritter Generation hier. Im Gegensatz zu Ihren

gibt Herr Holbein zu bedenken, dass es wohl künftig in der BRD vermehrt zu einer Trennung der Kinder mit „guten“ und „schlechten“ Perspektiven kommen wird. Um jener Entwicklung entgegenwirken zu können, wird es nötig werden, Hilfsangebote, die der DKSB jetzt schon bereithält, noch weiter auszubauen und zu intensivieren. Hier sieht der Pädagoge künftig vermehrt Aufgabengebiete in der Schule als einer Einrichtung, die Bezugspersonen bereitstellt, die die Familie nicht nur wie bisher ergänzen, sondern auch ersetzen, wenn Eltern überfordert sind. Dies könnte beispielsweise in den Feldern Schulausflüge, Hausaufgabenbetreuung, aber auch Mittagstisch oder Schulspeisung stattfinden. So gibt es zum Beispiel in der Gesamtschule am Hegelsberg einen Förderkreis von engagierten Eltern, die sich für ein gesichertes und gesundes Mittagessen in der Ganztagsschule einsetzen. An der Valentin-Traudt-Schule in Rothenditmold unterstützt ein Kreis ehrenamtlicher Mitarbeiter des Kinderschutzbundes Kinder bei den Hausaufgaben.

Aufgabenfelder im Wandel

Bei diesen Kindern und Eltern fehlt es an einem stabilen Vertrauensverhältnis. „Wichtig ist, das gestörte Bindungsverhalten der Kinder zu verändern. Durch Zuwendung und das Aufzeigen von Alternativen ändern sie so langsam ihr Verhalten und können innere Sicherheit und Stärke zurückgewinnen.“ Stand Mitte der Neunziger noch der Aspekt sexueller Gewalt gegen Kinder im Vordergrund, so hat sich das mittlerweile gewandelt. Anwendung körperlicher Gewalt und Vernachlässigung sind heute die Themen. Diese korrespondieren oft mit zunehmender Armut in

Eltern und Großeltern, die aus Scham schwiegen, sprechen sie Probleme jetzt eher offen an. Das sehen wir auch in den Gruppenangeboten.“ Dies war mit ein Grund dafür, in Rothenditmold das Projekt „AKERO“ (Aktiv für Kinder und Eltern in Rothenditmold) ins Leben zu rufen. Der Fokus bei dem Vorhaben liegt in der Vernetzung von Aufgaben und der Bereitstellung von Hilfsangeboten. In Kooperation unter anderem mit dem Jugendamt, Kindertagesstätten und Schulen arbeitet man hier präventiv, indem man über den DKSB und dessen Arbeit informiert. Die Beratungsstelle bietet einen Baby-Treff und eine offene Vater-Mutter-Kind-Gruppe an. Hier kann jeder ganz zwanglos vorbeischauen. Falls Besucher es wünschen, stehen die Mitarbeiter auch für weiter gehende Gespräche zur Verfügung. In der Bewertung der Arbeit des DKSB

Doch der Kinderschutzbund kämpft, wie viele andere soziale Einrichtungen in Kassel, jedes Jahr um das Fortbestehen seiner Angebote. Neben Bußgeldzuwendungen und Zuschüssen der Stadt Kassel ist er auf Spenden wohlgesonnener Mitbürger angewiesen.

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MEHR ZUM THEMA: www.dksb.de Kinderschutzzentrum Berlin Kindswohlgefährdung. Erkennen und Helfen Berlin 2009 ANZEIGE

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T I T E LT H E MA

Die beste Schule für MEIN Kind

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* NORA MEY

Tatjana Pfennig

Unter dem Titel „Mein Kind first – wie Eltern eine gute Schule verhindern“ erschien im Sommer dieses Jahres ein Artikel im Spiegel zum Thema Schulreform. Was bewegt Eltern, wenn es um die richtige Schule für ihr Kind geht? Dazu ein paar Positionen.

n Berlin – unter rot-roter Regierung – läuft gerade eine zarte Reform, bei der es zum einen um die Zusammenlegung von Haupt-, Real- und Gesamtschule zu einer einheitlichen Sekundarschule neben dem Gymnasium geht. Der Zugang zum Gymnasium nach Klasse sechs soll in begehrten Schulen künftig für einen Teil der Plätze per Losverfahren erfolgen und außerdem mit einer Probezeit verbunden sein. In Hamburg – unter Schwarz-Grün – geht es insbesondere um die Verlängerung der Grundschule bis Klasse sechs, das heißt also gegen die frühe Auslese und Chancenzuweisung nach Klasse vier, die bisher als vorherrschendes Modell in Deutschland praktiziert wird.

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In beiden Städten sind Elternbeiräte und Elterninitiativen rührig und umtriebig, um solche Reformen zu verhindern. Manchmal so offen elitär wie in Hamburg, wo Eltern per Unterschriftenaktion ein Bürgerbegehren gegen die Reform organisieren. Die Zeit spricht in diesem Zusammenhang vom „GucciProtest“. Christian Füller, ein bekannter Bildungsforscher und Autor, geht hart mit den Eltern ins Gericht, wenn er schreibt: „So sind sie, die Eltern. Sie wollen Schulreform jetzt und sofort – aber bitte nur die, die ihrem Kind nützt.“ Und an anderer Stelle: „Sie (die Eltern) sind für eine gerechte Gesellschaft. Aber nur, wenn nicht zu viele Migrantenkinder in die Klasse des eigenen Kindes drängen.“ „Das Motto heißt Abgrenzung.“ Neu ist solcher Streit um Schule und Schulformen nun beileibe nicht. In Hessen kennt man sich da aus. Wahlkampf war seit den siebziger Jahren jedes Mal auch Schulkampf. TagesSatz

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TITELT H E M A Seit PISA (Internationale Bildungsvergleichs-Studien ab 2000) können die vergleichsweise schlechten deutschen Schulleistungen insgesamt und die starke soziale Auslese politisch nicht so leicht ignoriert werden. Es machten sich schließlich auch die Wirtschaftsverbände Gedanken: Deutschland als rohstoffarmes Land kann doch eigentlich Wissen und Bildung nicht vernachlässigen, wenn es wirtschaftlich weiterhin in der ersten Liga spielen will. Die Kinder sind unser „Rohstoff“, den man pfleglich behandeln und in wachsendem Maße in erster Güte produzieren müsse. Im Vordergrund stünden jetzt Leistungssteigerung und die Sorge um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Seither wird bescheiden reformiert, viel organisiert und kontrolliert, es werden Standards festgelegt und Tests eingeführt. Das darf aber nach Möglichkeit nichts kosten. Weder die Ausstattung noch die Lehrerversorgung werden im nötigen Umfang verbessert. Im Prinzip geht es recht einseitig um Steigerung der Erwartungen an die Lehrer.

treuen, ihnen vielfältige Formen des selbstständigen Lernens ermöglichen, dabei per häufigem Test abrufbare Qualifikationen vermitteln, ihnen ein friedliches und sozial rücksichtvolles Verhalten antrainieren, die gestörten und verhaltensauffälligen Kinder integrieren, alle Kinder gleichermaßen motivieren, fesseln. Relativieren solche Anforderungen und Bedingungen die eingangs referierte „Elternschelte“, die Reformunwilligkeit eines Teils der Elternschaft? Sicher nicht grundsätzlich bei allen Eltern. Aber dass eine gut ausgestattete und gut arbeitende Schule mit Schülern aus allen Schichten auch von bildungsbürgerlichen Eltern mitgetragen wird, beweisen einige staatliche Schulen. (siehe Literatur-Kasten)

dorf-Schule noch die Freie Schule und die Montessori-Schule, die solchen gezielt reformpädagogischen Bestrebungen nachgehen. Gemeinsam ist diesen reformpädagogischen Ansätzen, das Kind und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt des Lernprozesses zu stellen, auf seine Fähigkeiten und Interessen zu vertrauen, sie dabei als soziale, kreative und selbst bestimmte Wesen zu fördern. Sie gehen dabei nicht besonders konform mit der Leistungsideologie, vertrauen eher auf die immanenten Fähigkeiten des Kindes. Und die Schulen erwarten eine überdurchschnittliche Unterstützung durch die Eltern. Das Schulgeld ist in diesen Schulen moderat, weil der Staat den größten Teil der Finanzierung – zwischen 55 und 80 Prozent – übernimmt. Trotzdem, allein schon die Standorte in den Stadtteilen Harleshausen, Wilhelmshöhe oder Marbachshöhe zeigen, dass hier sozial schwache Bevölkerungsschichten kaum repräsentiert sind.

Unterschiedliche kindliche Voraussetzungen sind nicht das Problem

Wie es heute aussieht, dazu an dieser Stelle eine Grundschullehrerin: „Die Anforderungen an uns steigen ständig. Aber nicht die Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen sind das Problem, sondern das Schulsystem, das uns einfach zu wenig Zeit lässt – beziehungsweise zu wenig Lehrkräfte zur Verfügung stellt –, um diesen vielfältigen Aufgaben zu genügen. Was wir brauchen ist eine Entschleunigung, mehr Muße und Zeit, um allen Kindern gerecht zu werden. Zeit ist eigentlich am wichtigsten, und mit einer Ganztagsschule könnte man das am besten umsetzen.“ Grundschullehrer sollen wöchentlich 29 Unterrichtsstunden mit etwa 2324 Schülern gleichzeitig und in der Regel ohne Hilfe unterrichten. Was das heißt? Kindern einen Stoff in gut strukturierten aufeinander aufbauenden Schritten beibringen, sie dabei individuell einschätzen, fördern und beTagesSatz

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An dieser Stelle noch ein Blick auf Privatschulen, die sich wachsenden Zuspruchs von Seiten der Eltern erfreuen. Auf der einen Seite entstehen sie für Leute, die es sich leisten können, dem Nachwuchs nur das Beste angedeihen zu lassen, damit sie ihren gesellschaftlichen Vorsprung bei den Qualifikationen und späteren guten Jobs halten und erweitern können. Als Beispiel dienen Internate wie das unlängst in den Medien vorgestellte Schloss Torgelow in Mecklenburg, das pro Schüler im Schnitt 2.500 Euro kostet, sich damit brüstet, Elite auszubilden und damit ein Geschäft macht. Eine andere Sorte Privatschulen sind konfessionelle Schulen, die meistens aus besonderer religiöser Überzeugung der Eltern gewählt werden, die zugleich aber auch eine abgrenzende Wirkung haben. Nicht zuletzt sind es aber mehrfach auch Privatschulen, die einen besonderen reformpädagogischen Ansatz verfolgen, sei er anthroposophisch, wie in den WaldorfSchulen, oder an besonderen Vorstellungen von den Entwicklungs- und Entfaltungschancen des Kindes orientiert. In Kassel gibt es neben der Wal-

Positiv wirken sie, weil Leistungsgedanke und soziales Ranking in den Augen der Eltern nicht im Vordergrund stehen, eher Schon- und Entfaltungsräume gesucht werden. So kann man diese Ansätze zwar schätzen, als Vorbild für eine wirklich gute Schule für Kinder aller Schichten taugen sie allein schon wegen der Gebühren und einem geforderten überproportionalen Engagement der Eltern dennoch sehr begrenzt.

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MEHR ZUM THEMA: Christian Füller Die gute Schule Pattloch 2009

Christian Füller Schlaue Kinder, schlechte Schule Droemer 2008

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Tatjana Pfennig

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Love makes a family

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Die Regenbogenflagge gilt als weltweites Symbol selbstbewusst lebender homo- und bisexueller Frauen und Männer. In diesem Jahr hat der Duden in seiner Neuauflage den Begriff Regenbogenfamilie aufgenommen. Homosexuelle Eltern, sind jedoch alles andere als etabliert.

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inder in schwulen oder lesbischen Beziehungen gab es immer und wird es immer geben. Die Schätzungen für Deutschland fallen dabei weit auseinander: Zwischen 6.600 und 20.000 Kinder sollen in Regenbogenfamilien leben. 2.200 davon wachsen bei eingetragenen Lebenspartnern auf, das ist sicher. Seit August 2001 ist die eingetragene Lebenspartnerschaft als eheähnliche Lebensgemeinschaft für Lesben und Schwule in Deutschland möglich. Doch was für die einen ein Fortschritt bedeutet, ist anderen ein Dorn im Auge. Die CDU spricht sich als einzige bürgerliche Partei noch im-

* ANDREA TIEDEMANN

mer offen gegen das Konzept Regenbogenfamilie aus. Immer wieder betonen Politiker der christlichen Union, Kinder bräuchten eine Familie mit Vater und Mutter. Es gibt jedoch keine Studie, die das belegt – meist gründen die Aussagen auf irrationalen homophoben Überzeugungen. Kinder von Homo-Paaren werden nicht häufiger selber homosexuell und haben zudem oft ein flexibleres Rollenverständnis der Geschlechter. Doch die Vorurteile halten sich hartnäckig in der Gesellschaft. Dabei werden die Kinder selber und ihre rechtliche und tatsächliche Lage oft vergessen. Denn nicht in allen Bereichen sind RegenbogenTagesSatz

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TITELT H E M A familien den traditionellen Familien gleichgestellt. Meist sind es Kinder, die aus früheren Mann-Frau-Beziehungen entstanden sind und nach der Trennung mit einem Elternteil und dem neuen Partner zusammen leben. Simone, Anfang vierzig, hat das Modell Regenbogenfamilie gelebt. Aus ihrer früheren Beziehung zu einem Mann brachte sie zwei Jungen mit, ihre Partnerin eine Tochter. Die Familie lebte in einer ländlichen Gegend nördlich von Hannover. Versteckt haben sie sich von Anfang an nicht. „Wir haben uns nach und nach geoutet und uns in das Dorfleben integriert“, berichtet Simone. Dabei habe sie fast ausschließlich positive Reaktionen bekommen. „Wir waren gern gesehene Gäste“, erinnert sie sich. Einer ihrer Söhne war damals neun Jahre alt. Als die Zeitschrift Emma 2001 über das Thema eingetragene Lebenspartnerschaft berichtete, lief er mit dem Heft zu seiner Mutter. „Mama, ihr dürft jetzt heiraten!“ Dass die Beziehung der beiden Frauen letztlich doch zerbrach, lag an der Patchwork-Struktur. Zu unterschiedliche Erziehungsstile der beiden Frauen und Eifersüchteleien führten letztlich dazu, dass sich das Paar wieder trennte. Die Tatsache, dass sie ein lesbisches Paar waren, spielte dabei keine Rolle. „Mehr Austausch mit anderen Patchwork-Familien hätte vielleicht geholfen“, überlegt Simone. Doch trotz der Differenzen hatten ihre Söhne immer ein gutes Verhältnis zu ihrer Partnerin. „Sie haben sie immer als Freundin bezeichnet und auch nach der Trennung noch Kontakt zu ihr gehalten.“ Jetzt sind ihre beiden Söhne in der Pubertät angekommen und beim Thema Lesbischsein ist die Atmosphäre ein wenig angespannter als sonst. Die Jungen versuchen nun, die sexuelle Orientierung ihrer Mutter vor Freunden zu verheimlichen. Doch Simone lässt sich davon nicht beunruhigen. Von Anfang an hat sie mit ihren Söhnen offen über ihre Homosexualität gesprochen – das war für sie selbstverständlich. „Ich sage ihnen immer, dass ich sicher wieder eine

Freundin haben werde und dann werden sie auch damit umgehen.“ Daneben gibt es auch andere Entstehungsgeschichten von Regenbogenfamilien. Prominenter Beispielfall für die Adoption eines fremden Kindes war Patrick Lindner. Er und sein Lebensgefährte Michael Link nahmen 1999 ein acht Monate altes russisches Waisenkind bei sich auf. Über die Erfahrungen mit seiner Familie hat Michael Link das Kinderbuch „Komm, ich zeig Dir meine Eltern“ (Edition Riesenrad, Hamburg) verfasst. Doch das Adoptionsrecht in Deutschland ist für Homo-Paare sehr beengt. Eine gemeinsame Adoption eines fremden Kindes durch ein homosexuelles Paar ist in Deutschland noch nicht erlaubt. Einer der Partner kann das Kind als Einzelperson adoptieren, der andere Partner bekommt lediglich ein kleines Sorgerecht für alltägliche Angelegenheiten. Die Situation in vie-

arbeiten und dadurch keine Entwicklungs- oder Verhaltensstörungen davon tragen. Doch die Ergebnisse der Studie sind nach der Wahl im Sande verlaufen. Auch wenn die FDP bereits 2004 einen Gesetzentwurf zur rechtlichen Absicherung von Regenbogenkindern in den Bundestag einbrachte, schweigt sich der aktuelle Koalitionsvertrag zu einer Regelung aus. Gleichgestellt sind Lesben und Schwule schon bei der Stiefkindadoption. Bringt ein Partner ein leibliches Kind mit in die Beziehung, kann der andere das Kind als Stiefkind annehmen. Insofern gibt es keine Besonderheiten zur Stiefkindadoption von heterosexuellen Paaren. Mit zunehmender Tendenz werden auch in homosexuellen Partnerschaften Kinder geboren. Lesbische Frauen können sich künstlich befruchten lassen, wenn sie einen Arzt finden, der die Behandlung durchführt. Doch obwohl die Befruchtung nicht strafbar ist, sind die meisten Ärzte gehemmt. Die Bundesärztekammer missbilligt das Vorgehen. Aus diesem Grund weichen viele Frauenpaare auf das europäische Ausland aus und lassen dort eine Insemination vornehmen.

Deutschland hinkt im europäischen Vergleich hinterher

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len Nachbarländern ist fortschrittlicher: in elf Mitgliedsländern der Europäischen Union ist eine gemeinsame Adoption möglich. Das bietet vor allem den betroffenen Kindern eine größere rechtliche Sicherheit, da sie gegen beide Elternteile Unterhalts- und Erbschaftsansprüche haben. Deshalb wurde im Juli dieses Jahres auf Initiative des Bundesjustizministeriums ein Forschungsprojekt vorgestellt, in dem das Konzept Regenbogenfamilie unter die Lupe genommen wurde. Ziel war es, die Lebenswirklichkeit von Kindern in Regenbogenfamilien und mögliche Belastung durch Diskriminierungen zu untersuchen, um eventuell das Adoptionsrecht zu novellieren. 693 Eltern, die in eingetragenen Lebenspartnerschaften leben sowie 95 Kinder wurden zu ihrer Situation befragt. Demnach werde der überwiegende Teil der Kinder in Regenbogenfamilien nicht wegen der sexuellen Orientierung ihrer Eltern diskriminiert. Treten Diskriminierungen auf, handele es sich meist um Hänseleien und Beschimpfungen, die die Kinder gut ver-

Vor einigen Jahren erzählte mir eine lesbische Mutter von ihrer Tochter. Die Siebenjährige war auf dem Spielplatz unterwegs und hatte gerade neue Spielgefährten kennen gelernt. Ihre Mutter saß mit ihrer Lebensgefährtin auf einer Bank und beobachtete die Kinder. Plötzlich hörte sie ihre Tochter auf die fragenden Blicke der Kinder ganz selbstverständlich sagen: „Ich habe sogar zwei Mütter und einen Vater. Meine Mutter ist lesbisch, die lebt mit einer Frau zusammen. Ich mag aber lieber Jungs.“ Stolz strahlte sie ihre neuen Freunde an und alles war geklärt. Wenn es doch für alle so einfach wäre.

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MEHR ZUM THEMA: www.family.lsvd.de www.regenbogenfamilien.net

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Jörg „Yogi“ Müller

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Schlau sein ist gut, anders sein auch? Schon ab den frühesten Kinderjahren mehrere Sprachen beherrschen, mathematische Aufgaben lösen oder eigene Melodien komponieren, das können nur wenige. „Wunderkinder“ werden deshalb oft diejenigen genannt, die Höchstleistungen erzielen, von denen andere träumen. Um aus wissenschaftlicher Sicht als „hochbegabt“ zu gelten, muss jedoch vor allem ein Kriterium erfüllt sein: eine überdurchschnittliche Intelligenz. Doch die Diagnose „Hochbegabung“ mündet nur selten im Klischee des genialen Überfliegers.

* KATHARINA KRETSCHMER UND JULIA KRAUSE

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ie meisten Hochbegabten sind keine Wunderkinder“, sagt die Leipziger DiplomPsychologin Susanne Schindler. In ihrer Praxis berät und diagnostiziert sie nach eigenen Angaben jährlich bis zu 250 hochbegabte Kinder. „Zwar kommt es schon mal vor, dass einige Kinder ein Ausnahmetalent zeigen, zum Beispiel besonders gut zeichnen oder Klavier spielen können, aber die meisten Kinder zeigen eine universelle Intelligenz. Das heißt ihr Intelligenzquotient (IQ) liegt bei einem Wert von über 130 Punkten. Dennoch bedeutet das nicht, dass ihre Schulnoten immer überdurchschnittlich gut sein müssen.“ Hinweise auf eine Hochbegabung liefert also auch weniger der Blick auf das Zeugnis als der auf das Zusammenleben mit Altersgenossen. Da viele Hochbegabte ihren gleichaltrigen Spielkameraden in ihrer Entwicklung voraus seien, würden sie sich oft mit älteren Kindern besser verstehen, meint Schindler. Meist würde dadurch eine Hochbegabung, die insgesamt nur auf etwa zwei Prozent der Menschen zutrifft, schon im Kindergarten- oder Grundschulalter entTagesSatz

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TITELT H E M A deckt. Die endgültige Diagnose darüber kann allerdings erst ein Intelligenztest liefern, den die Eltern selbst bezahlen müssen. Für einige kann der Befund „Hochbegabung“ eine Erleichterung sein, für andere bedeutet dies die Zugehörigkeit zu einer unbeliebten Minderheit. „Elite ist etwas, was in Deutschland noch sehr verpönt ist“, so Schindler. Viele Eltern fühlten sich dadurch überfordert und freuten sich daher mehr über das Ergebnis „normal begabt“ als über die Feststellung einer Hochbegabung. Diese kann allerdings auch für die betroffenen Kinder zunächst schwierig sein. „Für viele junge Menschen bedeutet die Feststellung Hochbegabung zunächst einmal, dass sie sich mit ihrem Anderssein auseinandersetzen müssen. Sie sind dann etwas Besonderes, und das ist nicht immer leicht“, weiß Diplom-Psychologin Thorgund RehBergen des Georg-EliasMüller-Instituts für Psychologie der Georg-August-Universität Göttingen. Eltern sollten daher zunächst eher zurückhaltend reagieren und keine zu hohen Erwartungen in ihre Kinder setzen, vor allem aber keinen Leistungsdruck erzeugen. „Das kann zu einer riesigen Enttäuschung führen. Ich würde daher erst zu entsprechenden Tests raten, wenn Schwierigkeiten auftreten, die möglicherweise auf eine höhere Begabung zurückzuführen sind, wie zum Beispiel Langeweile in der Schule. Dies bedeutet aber nicht, dass eine gestörte Aufmerksamkeit ein Anzeichen für eine außergewöhnliche Begabung ist“, stellt sie fest. Die meisten hochbegabten Kinder durchlebten eine normale emotionale

Entwicklung, auch wenn viele besorgte Eltern aus Angst, dem Förderungsbedarf ihrer Kindern nicht gerecht zu werden, auf eine Diagnose drängten. Andererseits sollten Verhaltensauffälligkeiten wie Nägelkauen, Haare ausreißen, häufige Störungen des Unterrichts oder Tagträumereien nicht herunter gespielt werden, meint Susanne Schindler. Sie sieht das Problem eher darin, dass Eltern den Besuch beim Psychologen häufig mit einem Eingeständnis von seelischen Defiziten gleichsetzten. „Leider haben viele Eltern noch Vorbehalte gegenüber einer kinderpsychologischen Untersuchung. Dabei sind solche Auffälligkeiten nicht etwa Symptome einer psychischen Störung, sondern möglicherweise Hinweise für eine Unterforderung ihrer Kinder“, sagt sie. Vorausgesetzt, dass eine Hochbegabung festgestellt würde, sei es ein falscher Ansatz, das

den ‚Überflieger’ oder ‚kleinen Professor’ in der Klasse mokieren“, erzählt sie. Dennoch sieht sie die Einrichtung von Sonderschulen für Hochbegabte kritisch. „Wenn man diese Kinder separiert, lernen sie nur schwer, sich in der Normalität zurechtzufinden, spätestens im Erwachsenenalter kann dies dann massive Probleme aufwerfen“, so Schindler. Anders als in einer Sonderschule können Kinder aber auch durch die Einbindung von individuellen Extraaufgaben in den Spiel- und Lernalltag gefördert werden. In der Kinder-Uni, einem Angebot des pädagogischen Seminars der Georg-August-Universität können sich Neugierige beispielsweise schon ab der dritten Klasse für ein Forschungsthema ihrer Wahl einschreiben. Eine diagnostizierte Hochbegabung ist dafür aber keine Voraussetzung. Denn nicht der IQ, sondern das persönliche Interesse an neuen Aufgaben und Fragestellungen bestimmen, wie ein Kind gefördert werden möchte. Dass grundsätzlich alle Kinder gefördert werden sollten, steht für Reh-Bergen fest. Bedenken müsse man aber, dass Förderung nicht gleich Leistung bedeute und vor allem, dass Leistung nicht das wichtigste sei. Vielmehr gehe es darum, dass Kinder, unabhängig davon, wie hoch ihr IQ ist, ihren Platz in der Familie und Gesellschaft fänden. „Die Frage ist, ob Intelligenztests in jedem Fall Sinn machen. Eltern sollten vor allem dafür sorgen, dass ihre Kinder Spaß am Lernen haben. Lebensfreude ist nicht von dem jeweiligen Staus abhängig, den man erreicht hat.“

„Lebensfreude ist nicht abhängig vom jeweiligen Status“

Adressen für Eltern und Interessierte Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie Therapie- und Beratungszentrum Goßlerstraße 20 37073 Göttingen Tel. 0551-39 220 81 www.psych.uni-goettingen.de TagesSatz

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Kind nicht herauszufordern. „Einige Eltern meinen, sie nehmen ihrem Kind die Kindheit, wenn sie es früher als üblich einschulen. Die meisten Kinder sind aber glücklich, wenn sie endlich in die Schule dürfen. Hochbegabte brauchen ältere Spielgefährten, weil sie mit diesen besser als mit Gleichaltrigen kommunizieren können.“ Aus ihrer Sicht sei die frühe Einschulung oder das Überspringen einer Klasse für die Kinder selbst unproblematisch. „Es sind eher die Eltern der normal Begabten, die mit dieser Situation weniger gut zurechtkommen und dann Unfrieden stiften, indem sie sich über Grips e.V. Göttinger Initiative zur Förderung besonders begabter Kinder www.gripsgoe.de Susanne Schindler Mitteldeutsches Zentrum für Hochbegabtenförderung Heinrichstraße 9 04317 Leipzig Tel. 0341-68 114 13 www.hochbegabung-leipzig.de

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Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V. (DGhK) Schillerstraße 4-5 10625 Berlin Tel. 030-34356829 www.dghk.de Mensa in Deutschland e.V. (MinD) Am Klopferspitz 12 82152 Planegg-Martinsried Tel. 089-86466251 www.mensa.de 15


D E R S T O L PERSTEIN Tatjana Pfennig

den Jeansrock mit den feisten Aufnähern überzog. Doch die Zeiten haben sich geändert. Ein Raubtier hat sich in unsere Wohnung geschlichen und seine Beute erlegt. Ich warne davor, sich von der Blume im Haupthaar, dem mirakelhaften Grinsen und den eher abstrakten Körperformen täuschen zu lassen. Diese, gefürchtetste aller kinderfressenden Großkatzen, kennt keine Gnade. Und auch an diesem Samstag wurden meine hoffnungslosen Bemühungen, meine Tochter vor einem Bildschirm mit billigen Animationsfilmen abzuschütteln von einem jähen Aufschrei unterbunden: „HALLO KITTY!“

Kitty kriegt sie alle

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n den zugestellten Gängen eines bekannten Kinderaustatters hatte sich zwischen Latzhosen, Babymehrteilern und Sockenwühlkisten der unbarmherzige Kampf der Boliden breit gemacht. Quinny gegen Brio, Croozer gegen Chariot, und das Erbstück in dritter Generation gegen alles und jeden. Vorwitzig hervorlugende Kleidungsstücke wurden erbarmungslos herunter gerissen, verhedderten sich in Speichen und ergaben sich letztlich dem Überladegewicht mehrerer Großeinkäufe mit sanft reißendem Unterton. Zurück blieb das Alltagsdesign der jüngsten Generation: Schokoladenreste, Nießrotz und zerkaute Schnuller. Wie immer hatte ich den fatalen Fehler begangen den Kinderausstatter meiner Wahl am Samstag aufzusuchen; ich und eine unüberschaubare Masse genervter Jüngsteltern. Vorweg soll gesagt sein, dass ich ohnehin kein großer

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* GLOSSE VON DIRK MEDERER Freund des Textilhandels bin und eher zur Gattung des „hektischen Impulskäufers“ gehöre. Will sagen: Anprobieren ist für Weicheier, wofür gibt es denn Quittungen; und solange es eine Hose in mehreren Farben gibt, existiert auch kein Grund unterschiedliche Schnitte in Erwägung zu ziehen. Damit bin ich bei Zeiten wohliger Fruchtlosigkeit gut gefahren, aber nun haben sich die Vorzeichen geändert. Das Kind will eingekleidet sein. Als restalternativer Mann ist es quasi meine Aufgabe, im Outfit meiner Tochter eine zutiefst verinnerlichte Rebellion zum Ausdruck zu bringen. St.-Pauli-Shirts und coole Baggies sind quasi Pflicht und farblich sollte es in jedem Fall irgendwo zwischen schwarz und „Pipi-Langstrumpf auf Kuba“ liegen. In den ersten Jahren hat das hervorragend funktioniert. Meine Tochter gluckste fröhlich, als ich ihr das Kiezpiraten-Leibchen oder

Zombieartig stakste unsere Dreijährige mit ausgestreckten Armen auf das heimtückisch lauernde Katzenwesen zu, um es aufgeregt tuschelnd in die Arme zu schließen. Eindeutig Liebe auf den ersten Blick. Auch meine späteren Versuche sie mit Gummibärchen in eine andere Ecke zu locken, oder mit aufgeregten Rufen auf ein Bündel „faszinierender“ Billigzopfbänder hinzuweisen, blieb erfolglos. Letztlich hatte ich nur noch die Wahl zwischen dem günstigsten Artikel mit Katzenemblem oder einem apokalyptischen Tobsuchtanfall. Das Kitty-Portemonnaie lässig in der Rechten schwingend und einen Berg von anderen Neuerwerbungen über dem linken Arm geworfen, enterte ich den Kassenbereich und schloss den Einkauf ab. Natürlich konnte ich mich bei der Farbwahl erst nicht durchsetzen. O-Ton: „Hier, Süße, das ist doch ein tolles Moosgrün.“; „Ich will Rosa!“; „Aber das Braun hier steht dir auch sehr gut.“; „Mensch Papa, ich bin doch eine Prinzessin. Ich will Rosa!“ Am Ende habe ich dann aber doch noch meinen Willen durchgesetzt. Meine Frau hat mich zu Hause erstaunt angesehen und mit einem schnippischen Unterton gefragt: „Alles in Rosa?“ Ich aber habe ihr mit dem selbstsicheren Blick eines Eroberers geantwortet: „Schatz, das ist kein Rosa, das ist Pink. Das ist voll anti.“

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misterQM (photocase.com)

PARAGRAPHENR E I T E R

Zu den Urteilen der Sozialgerichte Beschäftigt man sich mit Hartz-IV und den Klagen, die damit verbunden sind, schüttelt man gelegentlich mit dem Kopf. Behörden sowie auch Betroffene scheinen zeitweise den Überblick zu verlieren. Manche Klage ruft sogar ein leises Lächeln hervor. Leider ist der Hintergrund zu ernst, um in lautes Gelächter auszubrechen. Auch diesmal haben wir wieder tiefer in die Materie geschaut und einige Urteile für Sie herausgesucht.

* HANS PETER PUNG Angemessene Miete Eine Familie, die Arbeitslosengeld II bezieht, muss vom Grundsicherungsträger erneut über die Unangemessenheit ihrer Unterkunftskosten belehrt werden, wenn sich ihr Wohnbedarf durch die Geburt eines Kindes erhöht. Im vorliegenden Fall hatte der Sozialhilfeträger die allein erziehende Mutter darauf hingewiesen, dass ihre Wohnung für sie und ihren Sohn zu teuer sei. Bei der Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zum ALG II legte der zuständige Grundsicherungsträger den Bedarf für einen Drei-Personen-Haushalt zugrunde, da in der Zwischenzeit das zweite Kind der Leistungsbezieherin geboren war. Eine erneute Belehrung über die veränderten Ansprüche für den Wohnbedarf erfolgte nicht. Nach Ansicht des Grundsicherungsträgers wurde die Mutter bereits vom Sozialhilfeträger ausführlich über die zu hohe Miete belehrt. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz widersprach dieser Auffassung. Nach der Geburt des zweiten

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Kindes hätte die Mutter über die geänderten Ansprüche belehrt werden müssen. Da diese Belehrung ausgeblieben sei, bestehe weiterhin der Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kaltmiete. LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 21.04.2009 – L3 AS 80/07

Richtig Erben Wird in einem Testament zugunsten eines „Hartz-IV-Empfängers“ bestimmt, dass die Erbschaft nur dann ausgezahlt wird, wenn bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen weiterhin bezogen werden können, darf die Grundsicherungsbehörde gleichwohl ihre Leistungen einstellen. Der Kläger, ein Langzeitarbeitsloser, hatte von seiner Mutter eine Erbschaft von 240.000 Euro vermacht bekommen. In dem notariellen Testament hatte die Mutter verfügt, dass ihr Bruder als Testamentsvollstrecker und Nacherbe dafür Sorge zu tragen habe, dass der Nachlass möglichst erhalten bleibe. Ihr Sohn und Vorerbe solle in den

Genuss der Früchte des Nachlasses kommen, ohne dass ihm öffentliche Zuwendungen verloren gingen. Das Jobcenter/die Arge Dortmund stellte daraufhin die Zahlung von Arbeitslosengeld II ein. Das Sozialgericht Dortmund lehnte ab, die Behörde im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Weiterzahlung von ALG II zu verpflichten. Der Hilfebedürftige sei gehalten, das sittenwidrige Testament anzufechten. Die Testamentsfreiheit könne nicht soweit gehen, dass dem Erben sämtliche Annehmlichkeiten (zum Beispiel Hobbys, Urlaub) aus dem Nachlass finanziert würden, während für den Lebensunterhalt der Steuerzahler aufkommen müsse. Anders als in einem sogenannten Behindertentestament benötige der gesunde und erwerbsfähige Antragssteller nicht die Fürsorge seiner Mutter, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sozialgericht Dortmund Beschluss vom 25.09.2009 – S 29 AS 309/09 ER

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Privat

GÖTTINGEN

Mensch sein, nicht nur zu Weihnachten Der Welt-AIDS-Tag am ersten Dezember läutet für die meisten Organisationen den Spendenmarathon ein: Kurz vor Weihnachten ist die Bereitschaft zu geben besonders hoch. Schließlich naht das Fest der Nächstenliebe. Echte Solidarität fängt jedoch nicht im Geldbeutel, sondern in den Köpfen an. Und die sind meist schwierig von hartnäckigen Vorurteilen zu befreien, weiß die AIDS-Hilfe Göttingen.

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IV und Aids werden immer noch tabuisiert. Wer sich infiziert hat, muss mit Schuldzuweisungen rechnen. Häufig wird HIV-positiven Menschen eine vermeintlich schlechtere Lebensweise unterstellt“, sagt Simone Kamin, Pressesprecherin der Göttinger AIDSHilfe. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass HIV-positive Menschen mit dem Vorurteil kämpfen, ihre Infektion durch ihre angeblich abweichende Sexualität selbst verschuldet zu haben. „Dabei wird vergessen, dass auch eine heterosexuelle, monogame Beziehung nicht vor Ansteckung schützt“, erklärt Kamin. Das HI-Virus, das erstmals Anfang der 1980er Jahre entdeckt wurde, wird hauptsächlich durch ungeschützten sexuellen Kontakt übertragen. Ob dieser zwischen gleich- oder andersgeschlechtlichen Partnern stattfindet, ist dabei unerheblich. Der Gedanke „Mich wird es schon nicht treffen“ sei aber gerade unter Heteros immer noch verbreitet. „Unter schwulen Männern ist das Risikobewusstsein dagegen stärker ausgeprägt, Kondome werden ganz selbstverständlich benutzt“, so Kamin. Umso unverständlicher ist, dass Aids, wie der schwere Krankheitsverlauf der Infektion genannt wird, immer noch als Krankheit Homosexueller gilt. Ein Outing als HIV-positiver Mensch ist aber nicht nur wegen des Verdachts einer vermeintlich „anderen“ Sexualität schwierig: „Viele Menschen ver-

heimlichen ihre HIV-Erkrankung aus Angst vor Zurückweisung, Mobbing oder Kündigung. Um sich als HIV-positiver Mensch zu outen, braucht es Vertrauen und Selbstbewusstsein. Es liegt daher in unserer Hand, für ein vorurteilsfreies mitmenschliches Klima einzustehen“, so Kamin. Um diesem Ziel näher zu kommen, erinnert die Göttinger AIDS-Hilfe am ersten Dezember in allen Mensen des Studentenwerks Göttingen mit Roten Schleifen und dem Verkauf von kuscheligen Solidaritätsbären an das Schicksal von 33 Millionen Betroffenen weltweit. Wichtig sei vor allem,

* JULIA KRAUSE

sen Abbott, Bristol-Myers Squibb und Gilead in Berlin überreicht. „Patente verteuern lebenswichtige Medikamente um ein Vielfaches. In Deutschland werden die Kosten von den Krankenkassen übernommen, in den Entwicklungsländern muss jeder selbst für diese Medikamente aufkommen. Die Folge ist, dass dort nur sehr wenige HIV-positive Menschen die Hilfe bekommen, die sie benötigen“, so Stefan Jankoviak, Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen AIDS. Generika, die billigen aber wirkstoffgleichen Kopien von Markenmedikamenten, könnten dies ändern. 25.000 Unterschriften sind dafür bundesweit in den letzten 24 Monaten zusammengekommen. Eine kleine Zahl, wenn man sie im Verhältnis zu 82 Millionen Bundesbürgern sieht. „Wir freuen uns natürlich, dass wir Menschen von der Dringlichkeit dieses Problems überzeugen konnten, aber es ist und bleibt ein schwieriges Thema“, so Jankoviak. Zu den Erfolgsaussichten der Aktion sagt er: „Wir werden nicht locker lassen. Das wissen auch die Pharmabosse.“

Mich wird es schon nicht treffen

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dass die Kooperation mit dem Studentenwerk über den Welt-Aids-Tag hinaus Wirkung zeige: „Wir wünschen uns einen offenen und selbstverständlichen Umgang mit HIV und den Menschen, die mit HIV leben. Die Brücke dahin ist ein echtes und vorbehaltloses Interesse daran, wie es wirklich ist, mit HIV zu leben“, so Kamin. Der diesjährige Welt-AIDS-Tag ist jedoch auch aus anderer Sicht ein bedeutender Schritt in Richtung einer weltweiten Solidarität mit HIV-positiven Menschen: Die innerhalb von zwei Jahren unter anderem auch in Göttingen gesammelten Unterschriften gegen die Patentierung von AIDSMedikamenten (TagesSatz berichtete im Juli 2008) werden den Pharmarie-

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MEHR ZUM THEMA: Aktionsbündnis gegen AIDS www.aids-kampagne.de Göttinger AIDS-Hilfe www.goettingen.aidshilfe.de Spendenkonto: Göttinger AIDS-Hilfe e.V. Konto 84731 Sparkasse Göttingen BLZ 260 500 01 TagesSatz

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GÖTT I N G E N

Auf der Suche nach dem Sozialticket Hallo liebe Leser! Bin wieder zurück von meiner Tour und meinen Recherchen zwecks des Sozialtickets für den Bus. Speziell für Leute mit sehr schwachem Geldbeutel in Göttingen! Wie ich schon in der Oktoberausgabe angekündigt habe, hab ich mich auf den Weg gemacht, um die Spuren des Tickets zu erforschen! Denn es gibt in der BRD viele Städte, die mit solchen verbilligten Tickets ihre sozial schwachen Mitbürger finanziell unterstützen! Deshalb stellte ich mir die Frage: Wieso? Weshalb? Warum?

In dem schicken und wahrscheinlich teuren Bürogebäude schlug ich mich durch, bis zum Pressesprecher. Aber dieser war leider in einer Konferenz, aber ich wurde dann mit Glück zu seiner Sekretärin weitergeleitet! Naja, wenigstens hat einer Zeit für mich! Ich stellte meine Fragen und die Dame sagte mir, dass die GöVB mit dem Verkauf nichts zu hat. Indirekt macht dies der Verkehrsverbund Südniedersachsen! Die Dame gab mir dann noch einen Tipp, mich mal beim Sozialamt schlau zu machen. Ich machte meinen Motor nun wieder fit mit einer Tasse Kaffee und sauste gen neues Rathaus! Nach langem durchforsten ist mir gesagt worden, dass für mein Anliegen Frau Dr. Schlapeit-Beck, die Sozialdezernentin, die Richtige wäre. Ich bewegte mich also in den siebten Stock und suchte nach dem ZimTagesSatz

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mer, aber ich musste erstmal bei der Vorzimmerdame vorstellig werden, die mich sehr freundlich empfing und mit mir dann einen Termin vereinbarte!

Detlef „Rocky“ Bernhard

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eine erste Station war die Verkaufsstelle der GöVB in der Innenstadt! Ich betrat voller Hoffnung diese und stellte mich an den Verkaufsschalter! Ein junges Fräulein fragte nach meinen Wünschen! Ich antwortete: Gibt es denn kein Ticket für sozial schwache Mitbürger hier in Göttingen, so wie in anderen Städten? Sie schaute mich mit großen Augen an! Ich dachte mir, du hast doch nichts Falsches gefragt! Ich freute mich, dass sich das Fräulein erholte und mir jetzt antwortete: Ja, sowas kenne ich nicht! Sie verwies mich an die GöVB. Also trat ich meine Reise dorthin an!

* MIKE

Mein Termin kam. Frau Dr. SchlapeitBeck begrüßte mich sehr freundlich und herzlich, führte mich dann in ihr Büro, wo wir uns über das Problem Sozialticket unterhielten. Frau Dr. sagte: Wir hier im Rathaus haben nach ihrer Anfrage zwecks Ticket ernsthafte Überlegungen gemacht! Ich legte ihr meine Argumente dar! Sie sagte, sie habe sich im Vorfeld mit dem Verkehrsverbund beraten, was es kosten würde, wenn die Billigkarte zum Selbstkostenpreis von 16 Euro an die Bürger ausgegeben wird. Die Summe würde eine Millionen und fünfzigtausend Euro machen! Ich habe selbst Einsicht in die Unterlagen und Berechnungen bei Frau Dr. gehabt! Liebe Leser, das Thema Billigticket ist für mich noch nicht vom Tisch und seitens Frau Dr. auch noch nicht! Die Stadt Göttingen hat mit ihrem Geld und dem der Haushaltssicherung, einem vernünftigen Projekt geholfen! Denn jetzt können unsere Kinder, wenn Interesse besteht, ein Musikinstrument lernen bei der Musikschule „MusiKuss“. Auch werden die privaten Musiklehrer dadurch finanziert. Weiterhin können auch die Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen jetzt gegen einen sehr geringen Betrag Computerund Fremdsprachenkurse besuchen!

Ich finde es gut, dass Frau Dr. SchlapeitBeck dies mit den Geldern, die die Stadt zur Verfügung hat, getan hat damit die Kinder und Jugendlichen sozial schwacher Familien eine Chance bekommen. Wir müssen uns im Klaren sein, dass unsere Kinder später einen Teil unserer Altersversorgung zahlen! Wir brauchen unsere Kinder. Deshalb müssen wir jetzt was für sie tun und ihnen eine gute Bildung ermöglichen! Zum Schluss dieses heutigen Berichtes, möchte ich mich bei der liebenswürdigen Frau Dr. Schlapeit-Beck für die ehrlichen und aussagekräftigen Antworten bedanken und wünsche ihr noch viel Erfolg in ihrem Amt! Liebe Leser, es ist noch nichts vom Tisch zwecks Billigticket. Nach dem Gespräch mit Frau Dr. Schlapeit-Beck habe ich ein gutes Gefühl! Ich möchte sagen, man soll nichts übers Knie brechen. Der Anfang ist ja schon gemacht. Denn wie heißt es so schön: Gut Ding will Weile haben!!! Ich bleibe natürlich weiter am Ball und verspreche, ihr lest wie es weitergeht! Ich wünsche euch ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in das Jahr 2010 und viel Gesundheit und Glück.

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Malte Schiller

GÖTTINGEN

Straßengeflüster Zu dieser Jahreszeit beschäftigt sich neben dem TagesSatz auch ein anderes Straßenmagazin mit Kindern – Hinz&Kunzt aus Hamburg lesen aus ihrem Kinderbuch. In dem Buch „Ein mittelschönes Leben” (der TagesSatz berichtete im März und April 09) erklären Autorin Kirsten Boie und Illustratorin Jutta Bauer auf eine sehr kindgerechte, berührende Weise das Thema Obdachlosigkeit. Die beiden Hinz&KunztVerkäufer Dirk und Torsten können nun von Lehrern in die Grundschule eingeladen werden, um aus dem Buch vorzulesen. Den Auftakt machte eine Lesung bei einem Kinderlesefest Ende Oktober vor mehr als 160 Kindern. Natürlich sind Fragen willkommen – die kleinen Gäste zeigten großes Interesse.

* VIOLA WIEGAND Bei Hempels in Kiel freut man sich derweil schon auf den Januar – am 22. wird nämlich der international bekannte Cellist Thomas Beckmann ein Benefizkonzert für die Straßenzeitung veranstalten. Über den von ihm mitbegründeten Verein „Gemeinsam gegen Kälte“ hat Beckmann mit seinen Benefiztouren in den letzten Jahren schon 1,5 Millionen Euro gesammelt. Das Geld kommt stets einem Projekt der Obdachlosenhilfe zugute. Im Februar macht er übrigens auch in Northeim und Kassel Station.

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MEHR ZUM THEMA: www.hinzundkunzt.de www.hempels-sh.de

Winkeladvokat

* INGA HOMBERT „Eltern haften für ihre Kinder“ Auf vielen Baustellen ist es zu lesen, und dennoch ist dies nicht der Weisheit letzter Schluss. Gemeint ist mit dem floskelhaften Ausspruch, dass Eltern für von ihren minderjährigen Kindern schuldhaft verursachten Schäden aufkommen müssen. Aber stimmt das auch? Grundsätzlich haftet jeder nur für sein eigenes Verschulden. Für das Verschulden Dritter hat man nur dann einzustehen, wenn besondere Umstände hinzutreten, wenn man sich derer etwa zur Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit bedient. Einen generellen Rechtssatz, nach dem Eltern für die Handlungen ihrer minderjährigen Kinder verantwortlich wären, gibt es nicht. Auch Minderjährige haften für ihr eigenes Verschulden. Diese Haftung aber ist gesetzlich in § 828 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) eingeschränkt. § 832 BGB regelt, dass Aufsichtspflichtige für Schäden verantwortlich sind, die ihre Kinder verursachen. Darüber hinaus müssen sie aber nicht haften, wenn sie ihre Aufsichtspflicht erfüllt haben und trotzdem etwas passiert ist. Ha-

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ben sie nicht aufgepasst, der Schaden wäre aber auch „bei gehöriger Aufsicht“ entstanden, sind sie ebenfalls aus dem Schneider. Die Aufsichtspflicht ist dabei unter anderem abhängig vom Alter des Kindes, seinem früheren Verhalten in ähnlichen Situationen, aber auch von den jeweiligen Umständen, das heißt: Die Beurteilung der Situation hängt immer vom Einzelfall ab. Es ist entscheidend, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um Schaden abzuwenden. Haben die Eltern ihrer Aufsichtspflicht Genüge getan und müssen nicht haften, ist manchmal das Kind selbst haftbar. Hier gilt: Kinder bis sieben Jahre haften nie, ein älteres Kind haftet, wenn es seine Verantwortlichkeit erkennen konnte.

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TagesSatz

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KASSEL

Hexen in der Stadt

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ch war in Hamburg unterwegs und fuhr mit dem Bus durch die Stadt. Nach einer Weile blickte ich im Bus um mich und sah eine Frau mit runzligem Gesicht und einer Hakennase. Sie stützte sich auf einen blauen Schirm. Sie saß mir gegenüber, in der Sitzreihe auf der rechten Seite. Ich dachte so bei mir, das ist bestimmt eine Hexe, eine moderne Hexe in der modernen Gesellschaft. Mir ging der Song „The Witch“ von den Rattles durch den Kopf, und in Gedanken summte ich die Melodie vor mich hin. Can’t you see the witch, can’t you see

* PROSA VON KARL FARR

the witch, can’t you see the witch by my side. Nach einiger Zeit musste ich aussteigen. An der Haltestelle bemerkte ich einen großen Mann mit einen ebenfalls blauem Schirm. Blitzartig ging mir durch den Sinn, dass es sich hier um einen Hexenmeister handeln musste. Das konnte doch kein Zufall sein, erst die Frau mit einem blauen Schirm und dann dieser Mann! Nach einer Weile sprach ich ihn an und fragte ihn dieses und jenes, die Stadt betreffend. Dann fragte ich ihn

nach der Reeperbahn und er sagte mir, wie ich dorthin kam. Er nannte mir den betreffenden Bus und als der kam, stieg ich ein, nachdem ich mich von ihm verabschiedet hatte. Als ich saß und der Bus anfuhr, blickte ich aus dem Fenster. Ich sah, wie auch der Mann zu einem Bus eilte, in den er dann einstieg. Die Tür schloss sich und dann entfernte sich auch mein Bus. Darauf achtend, ob ich noch andere Hexen und Hexenmeister mit anders farbigen Schirmen sehen würde, fuhr ich zur Reeperbahn.

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Ronnie Reimer (photocase.com)

Gebrauchslyrik * GEDICHTE VON SABINE PARSUNKA

Winter in den Bergen Die Skier gleiten den Hang hinunter. Der Skiläufer jauchzt. Das Gras löst sich von guter Erde. Der Regen spült es den Berg hinunter.

Winter in Deutschland

Die Erde rutscht vom starken Stein. Wind weht sie in den Bach hinein.

Schneeflocken fallen dicht Vom Himmel der Glückwunschkarten.

Steine poltern abwärts. Sie stürzen die Bäume den Berg hinunter.

Tief verschneit sind Wald und Dorf, schön gemalt auf Servietten.

Die Skier gleiten den Hang hinunter. Der Skiläufer jauchzt.

Das Eis glitzert zuckersüß auf Gläserrändern.

Die Schneewand jagt ins Tal hinunter und gräbt die Dörfer ein.

Gewärmt durch Schal und Pudelmütze, steht das Stofftier zur Zierde auf dem Flur.

Der Fels zerspringt, schiebt Straßen in den Fluß hinein.

Lachende Kinder mit Schlitten schau’n uns von Seiten alter Bilderbücher an.

Schwerer Schlamm fließt ins Tal hinunter, bedeckt die Menschen und ihr Schrei’n.

Der Eisbär fühlt sich wohl in Kälte Aufgenäht auf Winterjacken.

Die Skier gleiten den Hang hinunter. Der Skiläufer jauchzt.

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Agentur

N A C H G E F RAGT

Maisbrot und Cranberry-Soße Bob Dylan hat schon häufig in seiner Karriere Folk-, Rock-, Country- und Gospelmusik revolutioniert. Um dem weltweiten Hungerproblem Anerkennung zu verschaffen, spendet Bob Dylan seine gesamten Einnahmen aus seinem Weihnachtsalbum dauerhaft an Organisationen in der ganzen Welt, die sich dem Kampf gegen Hunger und Obdachlosigkeit verschrieben haben.

* BILL FLANAGAN IM INTERVIEW MIT BOB DYLAN

W

ie sah das Weihnachtsfest in Ihrer Stadt aus, als Sie aufwuchsen?

Warum glauben Sie, dass es zu Weihnachten bessere Songs gibt als zu anderen Feiertagen?

Nun, eine Menge Schnee, Jingle Bells, Sternsinger, die von Haus zu Haus zogen, Pferdeschlitten in den Straßen, Kirchturmglocken, Krippenspiele. Diese Art von Dingen.

Ich weiß nicht. Das ist eine gute Frage. Vielleicht weil das Fest in der ganzen Welt verbreitet ist und jeder auf seine eigene Art einen Bezug dazu hat.

Wie stellen Sie sich ein gutes Weihnachtsessen vor?

Wenn zeitgenössische Künstler Weihnachtsalben aufnehmen, versuchen sie dabei häufig, einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Sie haben eine eher konservative Position eingenommen und klassische Weihnachtlieder mit traditionellen Arrangements erstellt. Haben Sie von Anfang an gewusst, dass Sie die Songs auf klassische Art und Weise spielen wollten?

Kartoffelpüree mit Bratensoße, gebratener Truthahn und Kohl, Rüben, Gebäck, Maisbrot und Cranberry-Soße.

Oh ja, sicher, anders hätte ich sie gar nicht spielen können. Diese Songs sind ein Teil meines Lebens, genau wie

Ihre Familie war jüdisch – hatten Sie als Kind jemals das Gefühl, von der Weihnachtsstimmung ausgeschlossen zu sein? Nein, überhaupt nicht.

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Folk-Songs. Und auch die muss man auf klassische Art spielen. Versuchen Sie in verschiedenen Aufnahmen, unterschiedliche Emotionen einzubringen? Eigentlich nicht. Die Emotionen waren für die einzelnen Aufnahmen ziemlich gleich. Vielleicht wäre die Modulation anders, wenn wir die Tonart ändern, und manchmal kann sich das auch auf den emotionalen Klang auswirken. MUST BE SANTA ist eine schwungvolle Polka. Ich habe diesen Song noch nie gehört. Woher kennen Sie ihn? Ich habe den Song vor einigen Jahren zum ersten Mal auf einer „Sing Along with Mitch“-Platte gehört. Aber dieTagesSatz

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NACHGE F R A G T se Version stammt von einer Band namens Brave Combo. Jemand hat uns ihre Platte für unsere Radio-Show geschickt. Sie sind eine regionale Band aus Texas, die fertige Songs neu interpretiert und so deine Meinung von diesen Songs ändert. Sie sollten Ihre Version von „Hey Jude“ hören. Was halten Sie von Rap-Musik? Ich liebe das Reimen nur um des Reimens Willen. Ich denke, dass das eine unglaubliche Kunstform ist. Ihre Art, SILVER BELLS zu interpretieren, zeugt von Einsamkeit. Sie waren ein junger Mann, als Sie von Minnesota nach New York City zogen. War Weihnachten in New York anders? Weihnachten war in New York ziemlich gleich, nur noch größer.

Das habe ich noch nie getan. Aber ich sollte mal darüber nachdenken.

Zeit wissen sie immer noch nicht, was sie von mir halten sollen.

Sie haben Enkelkinder. Was denken Sie, was sie von dieser Platte halten? Haben Sie bei der Aufnahme daran gedacht, dass in vielen Jahren Ihre Enkel diese Platte ihren eigenen Kindern vorspielen werden?

Der Erlös des Albums wird für Weihnachtsessen an Menschen gespendet, denen es finanziell schlecht geht. Als ich davon erfuhr, dachte ich an den Woody-Guthrie-Song PRETTY BOY FLOYD – „Here’s a Christmas dinner for the families on relief.“

Ich weiß nicht, was meine Enkel von irgendeiner meiner Platten halten. Ich weiß nicht einmal, ob sie sie überhaupt kennen. Die Älteren vielleicht. Wissen Sie, einige Leute werden denken, dass ein Weihnachtsalbum von Bob Dylan ironisch gemeint oder aufgesetzt sein muss. Für mich klingt das Album wie eines der aufrichtigsten Alben, die Sie jemals gemacht haben. Hat sich irgendjemand in der Plattenfirma oder im Management gegen die Idee gesträubt? Nein, die Plattenfirma hat mich dazu gebracht, es überhaupt zu tun.

Hatten Sie dadurch Heimweh? Eigentlich nicht, ich habe nicht so sehr darüber nachgedacht. Ich habe die Vergangenheit nicht mit nach New York genommen. Nichts aus meiner Vergangenheit spielte für meine Zukunft eine Rolle.

Genau. PRETTY BOY FLOYD. „Pretty Boy grabbed the log chain and the deputy grabbed his gun.“ Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Pretty Boy Floyd genau wie Babe Ruth aussieht? Ja, das ist es. Warum haben Sie als Empfänger der Gewinne des Albums Feeding America, Crisis UK und das Welternährungsprogramm ausgewählt? Weil sie Essen direkt an Menschen verteilen. Keine militärische Organisation, keine Bürokratie, keine Regierungen, mit denen man sich auseinandersetzen muss.

Diese Songs sind ein Teil meines Lebens

Welche Sänger verbinden Sie mit Weihnachten? Johnny Mathis und Nat King Cole. Doris Day. Und Bing Crosby? Klar, White Christmas war schon immer ein großartiger Song. Hatten Filme in ihrer Jugendzeit einen großen Einfluss auf ihr Bild von der Welt? Ich denke schon. Ich habe immer in Kleinstädten gewohnt und Filme waren eine Art Fenster zur Außenwelt. Ihr Song THREE ANGELS erinnert mich immer an Weihnachten. Haben Sie sich jemals hingesetzt,1 um ein Weihnachtslied zu schreiben? TagesSatz

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Haben Sie ein Lieblingsweihnachtsalbum?

Warum jetzt? Nun, es war jetzt einfach an der Zeit. Ich glaube wirklich nicht, dass ich früher schon bereit und erfahren genug dafür gewesen wäre. Einige Kritiker scheinen nicht so recht zu wissen, was sie von diesem Album halten sollen. Bei Bloomberg News hieß es: „Einige der Songs klingen ironisch. Wünscht er uns wirklich allen ein fröhliches und besinnliches Weihnachtsfest?“ Steckt ein gewisser Anteil von Ironie in diesen Songs? Nein, überhaupt nicht. Solche Kritiker betrachten das Album von außen. Ganz sicher sind das keine Fans oder gehören zu den Hörern, für die ich spiele. Sie haben einfach nicht dieses aus dem Bauch heraus kommende Verständnis von mir oder meiner Musik oder von dem, was ich tun kann und nicht tun kann – von der gesamten Bandbreite. Selbst nach all dieser

Vielleicht „The Louvin Brothers“. Ich mag all diese religiösen Weihnachtsalben. Die auf Latein gesungenen. Die Lieder, die ich als Kind gesungen habe. Viele Menschen mögen eher die weltlichen Songs. Religion ist nicht für alle gemacht. Geben Sie irgendwelche Hinweise auf das, was Sie sich von Ihrer Familie wünschen? Nein. Dass es ihnen gut geht – das reicht mir als Geschenk. Ich weiß, die Zeit drängt, aber eines muss ich noch fragen. Was ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das Sie je bekommen haben? Lassen Sie mich überlegen... Oh ja, ich denke es war ein Schlitten.

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Rowan (photocase.com)

D I E K O C H NISCHE

Kochen mit dem TagesSatz Leckere Gerichte für Sie entdeckt

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Das Weihnachtsmenü *

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Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Jahr haben wir uns etwas ganz Besonderes für Sie ausgedacht. Wir präsentieren Ihnen das TagesSatz-Weihnachtsmenü. Unser Gedanke dabei war, aus frischen Produkten ein günstiges Menü für vier Personen zusammenzustellen. Bei einem Preis von ca. 8,50 Euro pro Person ist uns dies auch gelungen. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Nachkochen.

* HANS PETER PUNG UND TEAM

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TagesSatz

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DIE KOCHN I S C H E Vorspeise Räucherlachs an karamellisiertem Chicorée

Zwischengang Gemüse-Apfelsuppe

Hauptgang

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Gebratene Hühnerbrust mit Apfelrotkohl und Kartoffel-Maronen-Plätzchen

Nachspeise Bratapfel-Mousse

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Einkaufsliste

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2 Chicorée, 25g Ingwer, 500g Kartoffeln, 300g Rotkohl, 300g Zwiebeln, 150g Karotten, 150g Lauch, 100g Maronen ohne Schale, 5 mittelgroße Äpfel, 1 Bund Schnittlauch, 1 Limette, 400 ml Sahne, 1 Zimtstange, Apfelessig, Apfelsaft, 1 Fläschchen Rumaroma, Schmalz, Butter, 4 Eier, Toastbrot, 50g Rosinen, 50g Marzipan, 100g Lebkuchen (nach Wahl), Gelatine, 200g Räucherlachs, 600g Hühnerbrust

Weiter wird benötigt Salz, Pfeffer, Muskat, Curry, Lorbeerblatt, Nelken, Zucker, Kardamom, Sternanis, 700 ml Gemüsebrühe, Stärke, Öl

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Vorbereitungen * am Vortag

Vorspeise

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4 Toastbrotscheiben in Würfel schneiden. Butter in einer Pfanne erhitzen, Brotwürfel vorsichtig darin goldbraun braten. Curry darüber streuen, durch schwenken, mit Salz abschmecken, abkühlen lassen. (1)

Hauptspeise Maronen in etwas Butter leicht rösten und abkühlen lassen. 350g Kartoffeln kochen, abschrecken, pellen, durchpressen. Maronen hacken, in die Kartoffelmasse geben. 25g Butter, gehackter Schnittlauch (Menge nach Wunsch), 2 Eigelbe (Eiweiß kalt stelTagesSatz

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len) unterheben. Falls die Masse zu feucht sein sollte, mit Stärke abbinden. Mit Salz, Pfeffer und Muskat würzen. Etwas abkühlen lassen. Masse in einer Folie in Wurstform fest zusammenrollen, kalt stellen. (2)

Dessert 1 Apfel entkernen, in Ringe schneiden, leicht rösten und kühl stellen. 200g Zucker mit Zimtstange, 1 Nelke und dem Abrieb der Limette in 200 ml Wasser aufkochen bis sich der Zucker vollständig aufgelöst hat; abkühlen lassen (Läuterzucker). Nelke und Zimtstange wieder entfernen. Geröstete Apfelringe und Rosinen hacken. 1 Eigelb (Eiweiß kalt stellen) mit etwas Zucker in einer Metallschüssel im heißen Wasserbad solange aufschlagen, bis es cremig wird (zur Rose schlagen), danach auf Eiswasser kalt rühren. Die kaltgestellten Eiweiße mit einer Prise Salz steif schlagen. 300 ml Sahne ebenfalls steif schlagen. Beides kalt stellen. 4 Blätter Gelatine in kaltem Wasser einweichen, 3-4 EL Apfelsaft in einem Topf erhitzen, Gelatine auspressen, in den Topf geben und auflösen. Marzipan zerbröseln, in das aufgeschlagene Eigelb geben, ¾ des Läuterzuckers zufügen und glatt rühren. Gelatine, Rosinen- und Apfelwürfel zufügen. Nacheinander das aufgeschlagene Eiweiß und die Sahne vorsichtig unterheben. Kalt stellen. (3)

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Am Tag des Menüs

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Karotten schälen, in feine Stifte schneiden. Die restlichen Kartoffeln schälen, ebenfalls in Stifte schneiden. Den Lauch putzen, gründlich waschen, ebenfalls in feine Stifte schneiden. 1 Apfel schälen, entkernen, in feine Stifte schneiden, mit etwas Apfelessig beträufeln damit er nicht braun wird. Zwiebeln schälen, würfeln. Rotkohl gröber schneiden, mit etwas Apfelessig begießen, gut vermengen. Zusammen mit 150g Zwiebelwürfel in Schmalz andünsten. 2 Äpfel schälen, halbieren, entkernen, in Stüc-

ke schneiden, hinzufügen. Mit etwas Apfelsaft, Nelke und 1 Lorbeerblatt, Pfeffer und Salz weich schmoren. Hühnerbrust von allen Seiten in etwas Öl anbraten, zur Seite stellen. 50g Zwiebelwürfel in der Pfanne glasig dünsten. Mit 200 ml Brühe ablöschen. 1 EL Stärke in Wasser glatt rühren, die Brühe damit abbinden. 50 ml Sahne und Rumaroma zufügen, nach Wunsch abschmecken. 50g Zucker mit etwas Apfelsaft in einer Pfanne erhitzen und karamellisieren. Einen Stich Butter zugeben, glatt rühren. Ingwer schälen, reiben, zufügen. ½ Apfel reiben, zufügen. Saft einer ½ Limette zufügen. Circa 20 Chicoréeblätter darin 2-3 Minuten durchschwenken. Zusammen mit dem Lachs und den Toastbrotwürfeln (1) auf 4 Tellern dekorativ anrichten. Das Karamelldressing über den Lachs träufeln. 500 ml Gemüse in einem Topf erwärmen. In einem zweiten Topf die restlichen Zwiebelwürfel mit etwas Öl glasig dünsten. Gemüse- und Kartoffelstifte zufügen, anschwitzen. Mit 50 ml Apfelsaft und der Gemüsebrühe ablöschen. 2 Sternanis und etwas gemahlenen Kardamom zugeben, circa 10 Minuten köcheln lassen. Kurz vor Ende der Garzeit Apfelstifte zufügen. Zum Servieren mit Schnittlauch dekorieren. Die angebratene Hühnerbrust im zugedeckten Topf in der Soße ca. 7-8 Minuten fertig garen. Kartoffelmasse (2) in Taler schneiden, in Öl und Butter beidseitig goldgelb anbraten. Zusammen mit dem Rotkohl servieren. Lebkuchen zusammen mit dem Rest Läuterzucker und der restlichen Sahne im Topf erwärmen und pürieren. Die Bratapfel-Mousse (3) aus dem Kühlschrank nehmen, Nocken davon abstechen, diese auf 4 Teller geben. Die Lebkuchensauce um die Nocken verteilen. Den restlichen Apfel in dünne Spalten schneiden und das Dessert damit dekorieren.

Wir wünschen Guten Appetit! 25


K U LT U RT I PPS

GÖTTINGEN

ThOP

Die Empfehlung

Eine schöne Bescherung „Wir sind keine Engel“ im ThOP Das Theater im OP ist 25 Jahre jung. Herzlichen Glückwunsch! Im ehemaligen Lehr-OP schauen wir von den Längseiten auf das Weihnachtsstück, das Klaus-Ingo Pißowotzki inszeniert. Michael Curtiz‘ (Casablanca) Kinokomödie „Wir sind keine Engel“ ist absolut bühnenreif, denn sie basiert auf Albert Hussons Theaterstück „Eine schöne Bescherung“. Ein

* WILLI STRÜBIG

Chaos-Trio entflohener Sträflinge findet vor Heiligabend Unterschlupf bei einem Kaufmann. Die vermeintliche Dachdecker-Truppe hofft auf reiche Beute. Als dessen grimmiger Vetter und Geldgeber auftaucht, um der netten Kaufmannsfamilie die Tage zu vermiesen, greifen die Sträflinge ein – mitsamt ihrer Schlange Adolphe.

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MEHR ZUR EMPFEHLUNG: Wir sind keine Engel 2., 5., 9., 11., 15., 16., 19.12. (jeweils 20.15 Uhr) / 6. und 13.12. (jeweils 16.00 Uhr), 12. und 18.12. (jeweils 18.00 Uhr) Theater im OP Eintritt: 9, erm. 6 Euro VVK: ThOP-Stand (Z-Mensa, Uni Göttingen, 12-14 Uhr) www.thop.uni-goettingen.de

So 06.12. / 19.05 Uhr Osthalle, Uniklinik, Go Konzert mit Swinging Amatörs: Jazz-Klassiker Di 08.12. / 20.15 Uhr Katholische Hochschulgemeinde (khg: Staufenbergring 6), Gö Begegnungen auf dem Jakobsweg – Alfred-Delp-Lecture 2009 Inge Moenikes (73) erzählt von ihren letzten, mehrjährigen Pilgererfahrungen. Di 08.12. / 20.30 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks Fjarill: schwedische und afrikanische Weihnachtslieder Do 10.12. / 19.30 Uhr TIC (Theater Im Centrum), Ks Gastspiel von Tante Lilly: Alle Jahre wieder Fr 11.12. / 20.00 Uhr Universitätskirche St. Nikolai, Gö

Di 01.12. / 18.15 Uhr Großer Konferenzraum, Katholische Hochschulgemeinde (khg: Zentrum), Gö

Do 03.12. / 20.00 Uhr Großer Konferenzraum, Katholische Hochschulgemeinde (khg: Zentrum), Gö

Vortrag: Ora et labora et lege ... Der Benediktinerorden

Vortrag: Leben ohne Gewalt organisieren (LoGo) – Vollzugsmaßnahmen im Jugendknast Hameln

Di 01.12. / 21.00 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks

Adventskonzert des ESG-Gospelchor “Spirit of Glory” Eintritt frei (um Spenden wird gebeten.) Fr 11.12. / 21.00 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks Christina Lux: Singer-/SongwriterRock aus Kassel!

Acoustic Bar: Eintritt frei!

Fr 04.12. / 20.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks

Mi 02.12. / 19.30 Uhr Staatstheater (Schauspielhaus), Ks

Krisen-Fest: Musik-Kabarett zum letzten Stand der Dinge Eintritt: 15 Euro

Wiglaf Droste: Am Nebentisch belauscht Eintritt 15 Euro, erm. 10 Euro

So 06.12. / 10.00 -16.00 Uhr Geowissenschaftliches Zentrum der Uni, Goldschmidtstraße 1-5, Gö

So 13.12. / 12.00-14.00 Uhr Spiegelsaal, Kommunikations- & Aktionszentrum KAZ, Gö

Do 03.12. / 17.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks

Aktionssonntag: “Fossile Vögel”, Sonderschau, Führungen durch Museum oder Geopark, Vogelquiz & Basteln

Interkulturelles Singen: gegenseitiges Beibringen von Liedern Eintritt frei, ohne Anmeldung

Spielraum-Theater: Lola und die Weihnachtsgans Ab drei Jahren Kinder: 5 Euro, Erwachsene: 6 Euro

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So 06.12. / 17.00 Uhr Jonagemeinde, Süd-Grone, Gö Konzert (vocal und instrumental) mit Acanti und dem Chören der Gemeinden Jona und St. Marien, Gö

Sa 12.12. / 18.00 Uhr Kulturhaus Dock 4, Ks Lesung von Brigitte Rohde: Augenblicke

So 13.12. / 18.00 Uhr Staatstheater (Opernhaus), Ks South Pacific: Musical von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II (siehe auch „Hinter den Kulissen“ in dieser Ausgabe!)

TagesSatz

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KULTU RT I P P S

2. Sinfonie-Konzert: Werke von Roussel, Debussy und Franck (zu Gunsten Bürger Pro Asyl)

Die Empfehlung

Mi 16.12. / 16.00-18.00 Uhr Fegefeuer, Katholische Hochschulgemeinde (khg: Zentrum), Gö Wintermärchen – Ein Märchennachmittag mit Margarete Seil, Celle. Nicht nur für Kinder. Märchenfigurenverkleidung erlaubt. Adventliche Leckereien aus verschiedenen Kulturen sind herzlichen willkommen. Mi 16.12. / 20.30 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks Blues-Session Do 17.12. / 18.15 Uhr Paulinerkirche (Alte SUB), Gö Vortrag: Offenbarung und Projektionsraum: Landschaft bei Casper David Friedrich und Carl August Carus (Reihe: Landschaft um 1800 – Aspekte der Wahrnehmung in Kunst, Literatur und Naturwissenschaft) Fr 18.12. / 15.30-17.00 Uhr Deutsches Theater (DT), Gö Eltern-Kind-Workshop: Wie Ida einen Schatz versteckt und Jakob keinen findet (kostenlos für Besucher des Stücks) Anmeldung: 0551/4969-48 Sa 19.12. / 18.30 Uhr Citykirche St. Michael, Gö Lesung: “Es war scho a bsundere Nacht” – Die Weinachtslegende

* HANS PETER PUNG

Kassel

Agentur

Mo 14.12. / 19.15 Uhr Stadthalle, Ks

Festival der besten Artisten Flic-Flac auf dem Friedrichsplatz Vom 17.12.2009 bis 10.01.2010 gastiert der Zirkus Flic-Flac auf dem Kasseler Friedrichsplatz. Im Gepäck hat er diesmal ein ganz besonderes Angebot. Präsentiert wird das „Festival der besten Artisten“. Zum Programm gehören: Artistik, Clowns, Feuerspucker, Biker, Hochseilartisten, Kampfkunst, um nur einige der 14 Attraktionen zu benennen. Das be-

sondere daran ist, dass bereits viele dieser Artisten auf anderen Zirkusfestivals ausgezeichnet wurden. In Kassel werden sie sich erneut einer Jury stellen, der schwierigsten, die es für Artisten gibt: nämlich dem Publikum. Dies ist die zweite Besonderheit bei diesem Festival. Es geht um einen Zuschauerpreis, denn jeder Zuschauer darf mit seiner Stimme mitentscheiden, wer der Beste der Besten sein soll. Sicherlich keine leichte Aufgabe. Es wird spannend werden unterm Chapiteau.

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MEHR ZUR EMPFEHLUNG: Zirkus Flic-Flac Vorstellungen: Mo-Di (20.00 Uhr), Mi-So (16.00 & 20.00 Uhr). 24.12. keine Vorst., 01.01. nur 20.00 Uhr. Eintritt: 18,50 bis 42,50 Euro www.cirkusflicflac.de

“Heilige Nacht” von Ludwig Thoma (1867-1921) Eintritt: Spende für den khg: Notfonds

So 27.12. / 20.15-21.30 Uhr Staatstheater (TIF-Foyer), Ks

So 20.12. / 15.00 Uhr TIC (Theater Im Centrum), Ks

Mo 28.12. / 18.00-19.00 Uhr Studio, Deutsches Theater, Gö

Die zertanzten Schuhe: Weihnachtsmärchen

“Der kleine Prinz” von Antione de Saint-Exupéry ab 10 Jahre und für Erwachsene

Di 22.12. / 20.00 Uhr Kulturzentrum Schlachthof, Ks Groove Juice: Swinging Christmas Fr 25.12. / 15.00-15.50 Uhr Staatstheater (TIF), Ks

Die Wanze (von Paul Shipton)

Do 31.12. / 21.00 Uhr Saal, Musa, Gö DJ Albis`s Rock gegen Rheuma

Der Schweinchenritter (ab drei Jahren) ANZEIGE

a ff e n W ir v e r s c h n z v o ll e I h n e n g la A u ft r it te

TagesSatz

* 12/09

Color-Druck GmbH Lindenallee 19 · 37603 Holzminden Fon (0 5531) 93 20-0 · Fax 93 20-50 e-mail: info@color-druck.net

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K U LT U R G ÖTTINGEN

Soziale Stadtführung statt Wegschauen! Das Straßenmagazin TagesSatz und die Bahnhofsmission Göttingen stellen ab Ende November 2009 soziale Hilfseinrichtungen in einer Stadtführung durch Göttingens Innenstadtbereich und darüber hinaus vor.

André Rittinghaus (TagesSatz-Bildband EINWEGLEBEN)

* JULIANE MICHAEL

S

treetworker der „Blechtrommel“ konnten kürzlich durch harte Arbeit vor Ort die angespannte Lage auf dem Wilhelmsplatz beruhigen. So etwas in der Zeitung zu lesen ist beruhigend. Aber kennen Sie die Blechtrommel? Und wissen Sie, wo die ist? Sie laufen vermutlich jeden Tag an Einrichtungen wie Shelter, der Tafel, dem DROBZ, dem Männerwohnheim und dem Migrationszentrum vorbei, ohne es zu wissen. Ebenso tagtäglich brauchen Menschen Beratung, Hilfe in Not oder einfach eine warme Mahlzeit vom Mittagstisch. Die Zahl der hier angesiedelten sozialen Einrichtungen spricht durchaus für Göttingen als soziale Stadt. Sie gehören zum Stadtbild wie das Alte Rathaus und die restaurierten Fassaden, auch wenn sie meistens optisch abseits davon im Hinterhof oder hinter einem Seiteneingang liegen. Trotzdem treten in der öffentlichen Wahrnehmung sowie in der Berichterstattung gravierende Informationsdefizite bezüglich dieser wichtigen Seite Göttingens auf. Eine konstante und ernsthafte Würdigung und Wahrnehmung fehlt auch weiterhin, ebenso wie dringend notwendige Transparenz. Durch diese Defizite entsteht in der Göttinger Öffentlichkeit allzu häufig der Eindruck einer Diskrepanz zwischen milionenschweren Sanierungen sogenannter Konsummeilen und mühsamer beziehungsweise fehlender Finanzierung sozialer Einrichtungen. Dieses scheinbar fehlende kommu-

nale und kirchliche Engagement entspricht zwar so nicht den Tatsachen, allerdings erschwert die differierende Schwerpunktsetzung in der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt und mangelnde Transparenz oft eine entsprechende öffentliche Wahrnehmung. Die Göttinger Mitarbeiter der Bahnhofsmission und des Vereins TagesSatz haben deshalb in gemeinschaftlicher Arbeit das Projekt einer sozialen Stadtführung für Göttingen erarbeitet. Die Gründe für ein solches Projekt liegen auf der Hand: Es sollen die sozialen Einrichtungen, Institutionen und Vereine in den Mittelpunkt gerückt werden, die tagtäglich Menschen in Not und in Schwierigkeiten helfen. Diese Einrichtungen sind häufig nur intern miteinander vernetzt, ohne die entsprechende Resonanz in der Öffentlichkeit zu finden. Dies wollen wir mit dieser Stadtführung ändern! Das Projekt soll helfen, die Wahrnehmung bezüglich dieser Hilfe im Alltag Göttingens zu stärken; ihre unbedingte Notwendigkeit und ihre harte Arbeit soll wieder verstärkt ins Gespräch der Öffentlichkeit gebracht werden. TagesSatz-Verkäufer und Mitarbeiter der Bahnhofsmission werden Sie zu diesen sozialen „Sehenswürdigkeiten“ führen – sie können Ihnen erklären, warum in der Tafel das Losverfahren entscheidet, wie man in der Heilsarmee an einen Schlafplatz kommt und wo alleinerziehenden Müttern gezielt geholfen wird. Die Ergebnisse stellen wir Ihnen ab dem 28. November 2009 vor. Eine Führung dauert circa zwei Stunden – je nachdem, ob Sie sich für eine Führung in der Innenstadt oder daüber hinaus entscheiden. Erfolgreich wird dieses Projekt aber nur durch Ihr Interesse: Sie unterstützen damit nicht nur unsere Stadtführer, sondern auch diese Einrichtungen selbst. Wir laden Sie herzlich ein, an der Sozialen Stadtführung teilzunehmen!

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INFOS UND ANMELDUNG: stadtführung@tagessatz.de Bahnhofsmission 0551-56190 TagesSatz 0551-5311462

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KULTUR K A S S E L Angela Giorgi

In diesem Moment geschah etwas, von dem Schöffel am ehesten hätte sagen können: Der Berg hat sein Lid hochgeklappt! Man ahnt ja nicht, daß er das Auge bisher geschlossen hielt. Es ist jetzt aufgeschlagen und starrt mich an. Starrt? Glotzt! Die versöhnliche Oberfläche war beiseitegeräumt und darunter die Pupille blanker Materie, nichts als roher und reiner Stoff. Schöffel begann im Freien zu schlottern. Wäre dieses Nein bloß nicht so riesig gewesen, von derart unvorstellbarem Gewicht! Er duckte sich im sehr ungleichen Kampf. „Ich bin weder Freund noch Widersacher!“ brüllte der Berg, „Wicht! Ich werde dein bißchen Seelengeflatter zermalmen, Wurm!“ donnerte er. „Ich bin der wahre Furcht- und Schreckenbringer. Ich bin der aus der Tiefe gestülpte Abgrund des Garnichts!“

Der Bote

Dieser Text stellt den Abschluss unserer kleinen Autoren-Reihe dar.

„Sagt mir an, ihr stillen Geisterfalter Auf der Lichtung: Wieviel Zeitenalter Ihr im Banne laget bei den Toten, Eh ihr wurdet solche Wunderboten?“ (Christian Wagner: Auf der Lichtung)

I

n einer der glücklichen Nächte seiner Hochzeitsreise durch die Schweiz trat Herr Schöffel (richtig, derjenige, der seit der Volksschule die Spitznamen „Naturschöffel“, „Naturstoffel“, „Naturtrottel“ trug, und der, viele Jahre später und lange Zeit schon Witwer, bei einem schweren Unwetter die Kellertreppe außerhalb des Hauses hinuntergestürzt und dort unten in Finsternis und Einsamkeit, ohne es zu wissen, gestorben ist) in seinem direkt gegenüber dem hohen Berg gelegenen und nach ihm benannten Hotel nackt ans Fenster. Schöffels Frau schlief fest. Noch am Nachmittag waren an ihr auf einem Waldweg Eichhörnchen bis zur Hüfte hochgeklettert und Tannenhäher hatten ihr auf der Hand geses-

TagesSatz

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* PROSA VON BRIGITTE KRONAUER sen. Bei seinem nächtlichen Aufstehen aber überlegte er plötzlich, ob sie ihn wohl verachten würde, wenn er ihr gestände, daß er an seinen gepachteten Garten wie an eine Person, wie an seine Eltern oder ein treues Hündchen aus der Kindheit dachte. Erst recht wollte er ihr vorsichtshalber fürs Erste keinesfalls von seiner Fähigkeit erzählen, die vergangenen Landschaften, die alten Wälder und Moose, die Wildnisse und Teiche unter der stählernen Zivilisation zu erkennen wie noch vorhanden, wie noch nicht überwältigt. Und das zu seinem Schmerz, da er parteiisch war. Nun aber sah er im Eislicht des Mondes unmittelbar den Berg vor sich aufragen, auf Armeslänge herangerückt, so daß Herr Schöffel zunächst ein Stück zurückfuhr, dann allerdings auf den Balkon hinaustrat und die Tür hinter sich zuzog, ganz allein auf der Welt mit dem schrundigen Koloß und vielleicht sogar hochheiligen Ungetüm.

„Nicht verwandt“, flüsterte Schöffel. „Nicht verwandt?“ lachte der Berg. „Ich nicht mit dir, schwärmendes Staubkorn, aber du, alberner Schuttkegel, du ab sofort mit mir. Komm her! Her mit dir, damit ich dich fresse!“ „Ich werde es ihr nicht sagen“, schwor sich Schöffel. Er zitterte im Frosthauch und blinzelte, während er zu der in ihrem Vanilleparfum friedlich Träumenden auf Zehenspitzen flüchtete. Er floh rückwärts, behutsam, um niemanden da draußen zu reizen. Blinzelte sehr, damit der Berg abtauchte, dorthin, wo er jeder Beschreibung spottete und auch für ihn, Schöffel, und den Rest seines Lebens das malerisch faltige Lid wieder schlösse.

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MEHR ZUR AUTORIN: Brigitte Kronauer, geb. 1940 in Essen, lebt in Hamburg. Sie gilt als eine der der bedeutendsten Gegenwarts-Schriftstellerinnen. 2007 erschien „Errötende Mörder“, über den die „ZEIT“ schrieb: „Mehr denn je bewundern wir in diesem abgründigen Epos die Schwebetricks der dichtenden Diva.“ Vorliegender Auszug ist aus dem kürzlich erschienenen Roman „Zwei schwarze Jäger“ 29


Clemens Eulig

H I N T E R D EN KULISSEN

Heiliger Bimbam „Josef und Maria“ im Jungen Theater Göttingen

E

Dominik Ketz

twas merkwürdig war es schon, Ende Oktober in ein Weihnachtsmärchen zu gehen. Aber irgendwann muss man damit anfangen und schließlich war alles da: der Weihnachtsmann riss die Karten ab, die Bühne war geschmückt mit Plastiktanne, Blinklichtern und Qualitätsbranntwein. Es hätte so schön sein können. Doch leider spielt das von Peter Turrini originellerweise Josef und Maria betitelte Stück in einem heruntergekommenen Aufenthaltsraum eines Warenhauses an Heiligabend. Dort treffen sich zwei Außenseiter: Die Putzfrau Maria und der Nachtwächter Josef haben beide keine andere Bleibe in dieser Nacht. Sie erzählen sich ihre Leidensgeschichten und stellen fest, dass beide ver-

* ANDREA TIEDEMANN grabene Träume in sich bergen, die sie von Stunde zu Stunde mehr aufdecken. Maria schwärmt von ihren früheren Auftritten als Tänzerin in Algerien, Josef von seiner sozialistischen Rebellenzeit. Die Möglichkeiten des Textes, der eine Mehrschichtigkeit und Tiefe der Figuren durchblicken lässtt, nutzt Regisseur Eberhard Köhler jedoch leider nicht. Gegen die boulevardeske Regieführung kommen Agnes Giese und Jan Reinartz nicht an. Kurze berührende Momente der beiden Schauspieler, sind im nächsten Moment durch einen vorhersehbaren Gag (wie Schneefall aus Styroporkugeln) weggelacht. Intimitäten ersticken unter der klischeebeladenen Ausgestaltung der Figuren und der bunten Ausstattung (Bühne: Mar-

tin Käser, Kostüm: Anna Stübner, Viola Werling). Geradezu paradox, dass die Inszenierung auf eine oberflächliche Unterhaltung abzielt, die der Text selber zu kritisieren versucht. Überraschungen bietet das Stück nicht. Wer den passenden Humor besitzt, dem garantiert der Abend allerdings blau geklatschte Schenkel. Ein großer Teil des Premierenpublikums amüsierte sich prächtig und belohnte die Beteiligten mit kräftigem Applaus. Der Abend könnte sich als Verkaufsschlager und ideales Weihnachtsgeschenk erweisen.

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TERMINE IM DEZEMBER: 04.12. (20 Uhr), 10.12. (20 Uhr), 13.12. (19 Uhr), 19.12. (16 und 20 Uhr), 20.12., 23.12., 26.12. (jeweils 19 Uhr)

Palmen, Liebe und Rassismus „South Pacific“ im Staatstheater Kas­sel

S

chon als die Ouvertüre einsetzt, kann man den Lockruf der Südsee hören. Eine auf den Vorhang projizierte Karte zeigt an, wo man sich befindet: auf einer Insel mitten im South Pacific. Die klangvolle Einführung der musikalischen Themen des Abends führt geradewegs zurück in die Zeit des 2. Weltkrieges und auf die Veranda des Franzosen Emile de Becque (André Bauer). Dieser verliebt sich in die amerikanische Krankenschwester Nellie Forbush (Kristin Hölck) und macht ihr einen Heiratsantrag. Trotz ihrer Gefühle für Emile lehnt Nellie wegen ihrer Vorurteile gegen seine halb polynesischen Kinder ab. Parallel schlägt Lieutenant Joseph Cable (Matthias Stockinger) aus ähnlichen Gründen das Angebot der 30

* BIANCA KUCHENBROD Einheimischen „Bloody“ Mary (Lona Culmer-Schellbach) aus, ihre Tochter Liat (Meriam Lounifi) zu heiraten. Schließlich bricht auch über der Inselidylle die Realität des Krieges herein… „South Pacific“ entpuppt sich als Augen- und Ohrenschmaus. Das Bühnenbild wie auch die Kostüme sind sehr aufwendig gemacht, und die bewegliche Bühne garantiert schnelle Szenenwechsel. Zudem schafft die Projektion des malerischen Hintergrundes die richtige Atmosphäre. Gesanglich sowie schauspielerisch ist das Stück erstklassig und ermöglicht auch jüngeren Zuschauern einen amüsanten Abend. Einzig die deutschen Untertitel der Songtexte sind zeitweise etwas ungenau.

1950 gewann das erfolgreiche Musical von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein neun Tony Awards. In Deutschland lief „South Pacific“ trotz weltbekannter Titel wie „Some Enchanted Evening“ und „Younger Than Springtime“ bisher nur 1999 in Hildesheim. Das mag wohl daran liegen, dass „South Pacific“ nicht dem gewohnten Mainstream entspricht. An Aktualität mangelt es dem Musical jedoch nicht, denn ethnische Vorurteile lauern auch heute noch überall.

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TERMINE IM DEZEMBER: 13.12. (18.00 Uhr), 18.12., 23.12. (jeweils um 19.30 Uhr), 31.12. (15 Uhr und 19.30 Uhr)

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ZWISCHEN DEN Z E I L E N

Kindheit ohne Chance Armut, Krieg, Prostitution – Kindheit gilt allgemein als etwas Schützenswertes. Wie es aussehen kann, wenn dieser Umstand nicht gegeben ist, erzählen die drei folgenden Neuerscheinungen.

* DANIELE PALU Auf dem Strich

Arm dran

Gefallene Engel

Hartwig und Andreas sind Jungs ”aus gutem Hause“, die etwas erleben wollen. Und sie sind schwul. Als sie wegen Studium und Ausbildung nach Hamburg ziehen, erwacht das Interesse, anschaffen zu gehen. Zu ihren Kunden zählen schwule wie bisexuelle Männer, die im bürgerlichen Leben Topmanager, ganz normale Familienväter und auch mal Pfarrer sind. Lakonisch und mit entwaffnender Ehrlichkeit erzählt Hartwig Schröder in „Mein Prinz, der Callboy“ von einem Doppelleben aus Sexarbeit und häuslicher Idylle: das Vertrauen einer glücklichen Beziehung, aber auch von Eifersucht, AIDS-Gefahr, Lügen, Trennungen und dem Kater am Ende des Rauschs. Autor Hartwig Schröder, der selbst viele Jahre als Callboy arbeitete, gibt authentische Einblicke in das Leben so genannter Sexworker. Das ist oft banal und nicht selten deftig, zwar nicht voyeuristisch, aber auch nichts für prüde Leser.

2,5 Millionen Kinder leben in Deutschland unter der Armutsgrenze. In sozialen Brennpunkten vieler deutscher Großstädte leben Menschen bereits in der dritten Generation von Sozialhilfe. Eindrücklich schildert die Journalistin Maria von Welser, wie in Deutschland mit der Zukunft von Kindern, mit der des Generationenvertrages und mit der des Sozialstaates gespielt wird. Sie begleitet ein Jahr lang drei Kinder, die von Hartz-IV leben müssen – stellvertretend für rund drei Millionen Kinder in Deutschland, denen es ähnlich schlecht geht. Sie erzählt aus deren Leben anrührende, sehr ehrliche und realistische Geschichten und Erlebnisse, die zugleich traurig und wütend machen. Was läuft falsch in einem der reichsten Länder der Welt? Was müsste die Politik tun – und was jeder Einzelne? Neben vielen Informationen, Daten und Fakten enthält dieses Buch konkrete Lösungsvorschläge für Politik und Gesellschaft, damit sich die Situation der Kinder in Deutschland verbessert. Begleitet werden diese Geschichten von Interviews zum Thema mit der Landesbischöfin Margot Käßmann, der Familienministerin Ursula von der Leyen und dem Soziologen und Familienforscher Hans Bertram.

Eine 25-jährige Norwegerin setzt sich 1994 in den Kopf, direkt aus Tschetschenien zu berichten. Damals tobte der so genannte Erste Tschetschenische Krieg. Boris Jelzin hatte den Sturmangriff auf Grosny angeordnet. Åsne Seierstad bereist Russland und Tschetschenien zwischen 1994 und 2007 mehrfach – häufig illegal. Sie lebt getarnt zwischen den trauernden Müttern und traumatisierten Kindern, die Vertrauen gewinnen in die Reporterin und schließlich ihr Schweigen brechen. Sie erzählen von Albträumen, von Folter, von Angst, Brutalität und einer jahrhundertealten Geschichte der Erniedrigung. Sie trifft den Kriegswaisen Abdul, der seine Schwester tötete – der Ehre wegen. Sie beschreibt das Leben von Timur. Er hat seinen Vater im Krieg verloren. Seine Mutter verschwand von einem zum anderen Tag. Sie erzählt auch von dem jungen russischen Soldaten Nikolaj aus Uljanowsk. Eine Minenexplosion zerfetzte ihm die linke Hand und ließ ihn fast erblinden. In ihrem Buch „Der Engel von Grosny. Tschetschenien und seine Kinder“ zeigt die Åsne Seierstad, in welchem Maße sie eine ganze Gesellschaft brutalisiert und zerrüttet haben. Dabei fehlt es weder an Distanz, noch am notwendigen Einfühlungsvermögen. Es sind ungeschminkte Innenansichten eines besetzten Landes.

Hartwig Schröder: Mein Prinz, der Callboy. Eichborn, 14,95 Euro. Taschenbuch, 256 Seiten

Maria von Welser: Leben im Teufelskreis. Gütersloher Verlagshaus, 17,95 Euro. Gebunden, 190 Seiten

TagesSatz

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Asne Seierstad: Der Engel von Grosny. Fischer, 21,95 Euro. Hardcover, 410 Seiten

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I N D E R N A HAUFNAHME Weihnachten im Zeichen der Finanzkrise: Eine Verfilmung von Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte über den geizigen Scrooge und eine Doku über geldgierige Unternehmen. Als DVD-Tipp gibt es diesmal einen der schönsten Kinderfilme aller Zeiten.

DVD-Tipp

outnow.ch

* CLIFFORD SPENCER

Eine Weihnachtsgeschichte R: Robert Zemeckis USA 2009, FSK 12 Scrooge (Jim Carrey) ist ein gemeiner, geldgieriger alter Sack. Für alle ist Weihnachtszeit im viktorianischen England, außer für ihn. Er zählt lieber Geld in seinem ungeheizten Büro und wünscht bedürftigen Menschen ganz eiskalt den Tod. Eines Abends erscheint ihm sein toter Kollege Marley (Gary Oldman). Er warnt ihn, dass er sein Leben jetzt noch ändern kann und kündigt drei weitere Spukgestalten an: Die Geister der vergangenen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Weihnacht (alle ebenfalls Carrey) werden ihn schon bald heimsuchen. Disney’s „Eine Weihnachtsgeschichte“ ist in modernster 3D-Techonologie gedreht. Jede einzelne Einstellung nutzt diese Technik voll aus. Das sieht spektakulär aus, führt aber zu gelegentlicher Effekthascherei. Manche Szenen scheinen überflüssig und werden in spätestens 10 Jahren nur noch veraltet wirken. Halb so wild, denn jetzt ist die Technik noch frisch und zumindest im Kino ein Erlebnis. Ansonsten hält sich der Film angenehm an die klassische Vorlage von Charles Dickens, sogar die Dialoge klingen ähnlich wie im Buch. „Eine Weihnachtsgeschichte“ ist der richtige Film, um die Familie in Feiertagsstimmung zu bringen. 32

Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte R: Michael Moore USA 2009, FSK 6 Die weltweite Finanzkrise liefert für Doku-Filmer Michael Moore („Bowling for Columbine“) eine steile Vorlage. Ob er vor der Wall Street mit einem Megafon in der Hand sein Geld zurück verlangt oder die New Yorker Börse wie einen Tatort sichert: Seine gezielten Provokationen sind immer wieder für ein paar Lacher gut. Seine Ansätze die Krise zu erklären, münden zwar eher in Populismus und Vereinfachungen, aber Moore würde auch kaum von sich behaupten, die Zusammenhänge vollends zu verstehen. Gerade das ist seine Antriebsfeder. So ist zum Beispiel sein Versuch, von Managern eine Erklärung zu Derivaten abzuringen, so amüsant wie erschreckend. Immerhin gleitet sein neuer Film nicht ständig in Verschwörungstheorien ab, wie seinerzeit „Fahrenheit 9/11“. „Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte“ ist eher eine wütende Anklage, ein Ausdruck der Enttäuschung über die Verdrehung des „American Dream“. Sicher sind Moores Auftritte gefällige Selbstinszenierungen und es darf bezweifelt werden, inwiefern es sich wirklich um eine Dokumentation im eigentlichen Sinne handelt. Aber für Gesprächsstoff sorgt er allemal.

Stand by Me R: Rob Reiner USA 1986, FSK 6 „Ich hatte später nie wieder solche Freunde wie damals als ich zwölf war. Aber mein Gott, wer hat die schon?“ wird Gordie Lachance (Whil Wheaton) später einmal schreiben. Im Sommer des Jahres 1959 erfahren er und seine drei besten Freunde von einer Leiche, die nahe eines Gleises ungefähr 30 Meilen von ihrem beschaulichen Dorf liegen soll. Die vier Jungs machen sich auf den Weg, getrieben von kindlicher Neugier und Abenteuerlust. „Stand by Me“ zeigt Jungs wie sie wirklich sind. Sie raufen, schimpfen wie die Rohrspatzen und zünden sich gelegentlich eine geklaute Zigarette an, nur weil sie es für cool halten. Es werden anspruchsvolle Themen angegangen: Gordie muss mit dem Tod seines geliebten Bruders fertig werden, sein Freund Chris (River Phoenix) wird von der Außenwelt wie seine kriminelle Familie behandelt und der kleine Teddy (Corey Feldman) ist traumatisiert durch seinen gewalttätigen Vater. „Stand by Me“ ist ein ruhiger, poetischer Film mit unglaublich talentierten Kinderdarstellern. Ein kleines Juwel zum immer wieder angucken. TagesSatz

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DAS L E T Z T E

Mal ehrlich ...

* VIOLA WIEGAND

Luan Seidel

... warum lohnt es sich, Kinder zu kriegen?

Impressum

Frau Haase (77), Rentnerin Sollte man in eine Zeit Kinder hinein gebären, in der so viel Zerstörung stattfindet? Es werden so viele Gifte auf die Erde gegeben und es gibt so viele Allergien, so viel Schädigung. So gerne ich Kinder habe; aber ich möchte, dass Kinder gesund aufwachsen und da habe ich etwas Sorge. Ich weiß nicht, ob ich heute ja dazu sagen würde, eigene Kinder zu kriegen. Familie Kemmling Für uns lohnt es sich, Kinder zu kriegen, weil wir uns lieben. Kinder sind eine Bereicherung für das Leben. Hermann Peter (62), Rentner Den Gedanken habe ich mir auch schon mal gemacht. Aber meine sind jetzt groß. Es muss ja irgendwer für uns sorgen. Wenn sie klein sind, ist es ja schön, aber wenn sie älter und frecher werden, ist das nicht so toll. Aber Gott sei Dank haben wir mit unseren Glück gehabt. Professor Majer (67) Die Frage ist, ob es sich lohnt. Wir haben vier und die Frage, warum es sich lohnt ist eigentlich sinnlos. Wir

wollten Kinder und ob es sich dann gelohnt hat; God knows. Freud und Leid dabei hält sich ungefähr die Waage; man hat viel Freude, aber auch viel Ärger, Aufregung, Arbeit. Wenn Sie eine Antwort wollen: Es ist ein Teil des Lebens. Claire McGrath (22), Studentin Das weiß ich momentan nicht… Um den Namen weiterzugeben, um jemanden zu haben, den man immer lieben kann, um etwas von sich selbst zu hinterlassen? Aber ich habe keine Kinder, mal schauen. Sergei Bojew (26), Student Ich glaube, die Erfahrung macht man erst später, das weiß ich jetzt nicht. Es kommt ganz darauf an, was „lohnen“ ist. Marga Bürchsel (48), Chorleiterin Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, es lohnt sich, Kinder zu kriegen, obwohl es eine schwierige Welt ist. Ich glaube, dass es gar nicht so in unserer Hand liegt, das zu entscheiden. Es muss alles immer irgendwie weitergehen und dazu sind auch Kinder wichtig.

Jörg „Yogi“ Müller

Nächstes Mal JANUAR-Ausgabe 2010

Im Januar erwartet Sie wieder eine Verkäuferausgabe: Darin berichtet Olaf über seine Ausbildungszeit in Stuttgart, und Mike gibt ein paar leckere Rezepte aus seiner Sammlung preis. Außerdem war Werner für uns im Theater und berichtet über „Die Vermessung der Welt“. Nicht zuletzt schreibt Angelika über Gebühren, die die Stadt Kassel künftig von Stadtmusikanten einstreichen will. Sie dürfen gespannt sein! TagesSatz

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TagesSatz, das Straßenmagazin Herausgeber: TagesSatz e.V. 1. Vorsitzender: Hans Peter Pung Adresse der Redaktion Kassel: Westring 69, 34127 Kassel Telefon: 0561 - 861 58 43 Fax: 0561 - 861 58 61 E-Mail: kassel@tagessatz.de Mo, Di, Do: 10-12 Uhr Mi & Fr: 17-19 Uhr Adresse der Redaktion Göttingen: Obere Karspüle 18, 37073 Gö. Telefon: 0551 - 531 14 62 E-Mail: goettingen@tagessatz.de Mo, Di, Do, Fr: 10-13 Uhr Mi: 14-16 Uhr Homepage: www.tagessatz.de Bankverbindung: Kasseler Sparkasse Kto.: 11 833 79 Blz.: 520 503 53 Sparkasse Göttingen Kto.: 505 815 11 Blz.: 260 500 01 Redaktionsleitung: Jascha Grewe, Jörg Sanders, Malte Schiller (GÖ), Harald Wörner (KS) Pressesprecher: Jascha Grewe Vertriebsleitung: Kassel: Christian Piontek Tel.: 0561 - 861 58 18 Göttingen: Juliane Michael Tel./Fax: 0551 - 531 14 62 Anzeigenleitung: Büro Kassel Tel.: 0561 - 861 58 43 Jörg Sanders (GÖ) Tel.: 0163 - 685 99 98 Redaktion Kassel: Stefan Giebel, Trudi Kindl, Fritz Krogmann, Bianca Kuchenbrod, Nora Mey, Hans Peter Pung, Frank Stelljes Kultur KS: Fritz Krogmann Redaktion Göttingen: Nora Hengst, Inga Hombert, Julia Krause, Katharina Kretschmer, Dirk Mederer, Juliane Michael, Mike, Daniele Palu, Clifford Spencer, Willi Strübig, Andrea Tiedemann, Viola Wiegand News GÖ: Nora Wetzel Lokales GÖ: Jascha Grewe Kultur GÖ: Kathleen Loock Illustration GÖ: Pilar Garcia Fotografie: Clemens Eulig, Julia Krause, Jörg „Yogi“ Müller, Tatjana Pfennig, Malte Schiller, photocase.com Coverfoto: Dirk Mederer Layout: Dirk Mederer [plazebo.net] 0551-4899074, info@plazebo.net Druck: COLOR-Druck GmbH ViSdP: Harald Wörner TagesSatz erscheint zwölfmal pro Jahr im Straßenverkauf in Kassel und Göttingen Auflage dieser Ausgabe: 3.250

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe in gekürzter Version zu veröffentlichen. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verkaufspreis: 2,00 EUR, davon geht 1,00 EUR direkt an den Verkäufer.

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W O H I N , W ENN Allgemeine Hilfen

EssenSAUSGABEN

Göttingen

Göttingen

Caritasverband Göttingen Allgemeine Lebens- und Sozialberatungsstelle Godehardstr. 18 37081 Göttingen 0551/999590

Die Göttinger Tafel Jakobikirchhof 1 37073 Göttingen Tel. 0551–51030

Opferhilfebüro Göttingen für Opfer von Straftaten Maschmühlenweg 11(Landger.) 37073 Göttingen 0551/5213883 Weißer Ring e.V. Hilfen für Opfer von Straftaten Ansprechpartner: Herr Bayer 0551/6338876 Sozialdienst für Migranten, RABaZ-Beratungs- & Vermittlungsstelle für ausländische Jugendliche Karspüle 16 37073 Göttingen 0551/57739 BONUS Freiwilligenzentrum Godehardstr. 18 37081 Göttingen 0551/9995917 Neue Arbeit Brockensammlung Levinstr.1 37079 Göttingen 0551/5067320 Pro Familia Rote Str.19 37073 Göttingen 0551/58627 Selbsthilfe Körperbehinderte Prinzenstr. 19 37073 Göttingen 0551/54733-0 Selbsthilfegruppe für Mobbing-geschädigte – Rainer Beutler 05602/1860 BürgerInnenberatung Stadt Göttingen Hiroshimaplatz 2 37083 Göttingen Kassel Kasseler Hilfe Opfer- und Zeugenhilfe e.V. Wilhelmshöher Allee 101 34121 Kassel 0561/282070 Weißer Ring e.V. Hilfen für Opfer von Straftaten Ansprechpartner: Hr. Holler 0561/6029458 Pro Familia Kassel Frankfurter Straße 133 a 34121 Kassel 0561/27413 Außenstelle Witzenhausen (Rathaus/EG/Raum 10) Am Mart 1/ Witzenhausen Arbeitslosenhilfe Göttingen Arbeiterwohlfahrt Hospitalstr. 10 37073 Göttingen 0551/50091-0 Mensch & Arbeit - Beratungsstelle für Arbeitnehmer und Arbeitslose Kurze Str. 13a 37073 Göttingen 0551/43373 Verein zur Erschließung neuer Beschäftigungsformen e.V. Lange Geismarstr. 2 37073 Göttingen 0551/485622 Kassel Beratungsstelle für Arbeitslose des DGB Kreis Kassel Spohrstraße 6-8 34117 Kassel 0561/7209536

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Mittagstisch St. Michael Turmstr. 5 37073 Göttingen 0551/5479540 Straßensozialarbeit Rosdorfer Weg 17 37073 Göttingen 0551/517980 Kassel Kasseler Tafel Holländische Straße 141 34127 Kassel 0561/23003 Suppentopf der Heilsarmee jeden Montag von 14-15 Uhr Martinsplatz Gesegnete Mahlzeit Diakonisches Werk Kassel Hermannstraße 6 34117 Kassel weitere Ausgabestellen: Neue Brüderkirche, Johanneskirche, Auferstehungskirche Frauen in Not Göttingen KORE e.V. - Sozialberat. f. Frauen Papendieck 24-26 (Hinterhof, EG) 37073 Göttingen 0551/57453 Frauen-Notruf e.V. Postfach 18 25 37008 Göttingen 0551/44684 Frauenhaus e.V. Göttingen Postfach1911 37009 Göttingen 0551/5211800 Kassel Übergangseinrichtung für wohnungslose Frauen Am Donarbrunnen 32 34132 Kassel 0561/43113 Karla 3 Aufenthalt und Beratung für wohnungslose Frauen Karlsplatz 3 34117 Kassel 0561/15532 Autonomes Frauenhaus 0561/898889 Frauen in Not 0561/9892929 Notruf für vergewaltigte Frauen Frauen gegen Vergewaltigung e.V. 0561/772244 Frauen informieren Frauen e.V. Beratung bei häuslicher Gewalt Westring 67 34127 Kassel 0561/ 89 31 36 Gesundheit Göttingen Gesundheitsamt Sozialpsychiatrischer Dienst Am Reinsgraben 1 37085 Göttingen 0551/4004802 Frauengesundheitszentrum Göttingen e.V. Groner Straße 32/33 37073 Göttingen 0551/484530 Gesundheitszentrum Albanikirchhof 4-5 37073 Göttingen 0551/486766

Kassel Fahrende Ärzte Dr. Giesler/Dr. Moog Mo. von 14.00-15.30 Uhr auf dem Martinsplatz Do. von 20-24 Uhr in der Gießbergstraße

Deutsches Rotes Kreuz Zollstock 17 37081 Göttingen 0551/5096322 Ausgabe: Mo & Do 8.30-11h jeden 3. Mi im Monat 16-18h Kassel

Kabera e.V. Beratung bei Essstörungen Kurt - Schumacher Straße 2 34117 Kassel 0561/780505

Diakonisches Werk Kassel Sprungbrett & Sprungbrett spezial Steinweg 5 34117 Kassel 0561/572090

Gesundheitsamt Region Kassel Wilhelmshöher Allee 19-21 34117 Kassel 0561/10031920

Deutsches Rotes Kreuz Königstor 24 34117 Kassel 0561/7290441

Haftentlassene

Lebenskrisen

Göttingen

Telefonseelsorge für Jugendliche 0800/1110333

KIK – Kontakt in Krisen Königsallee 254 37079 Göttingen 0551/632977 Kassel Beratungsstelle für Haftentlassene Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/787-5061oder 0561/70738-00

Göttingen Telefonseelsorge 0800/1110111 0800/1110222

Kassel Drogenhilfe Nordhessen e.V. Schillerstraße 2 34117 Kassel 0561/103641 Kontaktladen „Nautilus“ Erzberger Straße 45 34117 Kassel 0561/12115 SAM – Substitutionsfachambulanz Wilhelmshöher Allee 124 34119 Kassel 0561/711813 SAM 2 – Substitutionsfachambulanz Schillerstraße 2 34117 Kassel 0561/103878 WohnungslosenHilfe

Kassel

Göttingen

Telefonseelsorge 0800/1110111

Ambulante Hilfe für alleinstehende Wohnungslose Wiesenstr. 7 37073 Göttingen 0551/42300

Hilfe & Selbsthilfe bei AIDS

PSKB Stadt & Landkreis Kassel 0561/1003-0 0561/787-5361

Göttingen

Notschlafstellen

Göttinger AIDS-Hilfe Obere Karspüle 14 37073 Göttingen 0551/43735 werktags: 10-13 Uhr Beratung: 0551/19411

Beratungsstelle für Suchtkranke – Diakonieverband Schillerstr 21 37083 Göttingen 0551/72051

Göttingen Heilsarmee Untere Maschstr. 13b 37073 Göttingen 0551/42484

Diakonische Heime in Kästorf e.V. – Außenstelle Göttingen Wienstraße 4f 37079 Göttingen 0551/5053302 Straßensozialarbeit (Kleiderkammer) Rosdorfer Weg 17 37073 Göttingen 0551/517980

AIDS-Beratungsstelle Gesundheitsamt für die Stadt und den Landkreis Göttingen Theaterplatz 4 37073 Göttingen 0551/4004831

Kassel Soziale Hilfe e.V. / Panama (für alleinstehende Wohnungslose) Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/70738-00

Bahnhofsmission Bahnhof, Gleis 4-5 37073 Göttingen 0551/56190

Kassel

Café Nautilus (f. Drogenabhängige) Erzberger Straße 45 34117 Kassel 0561/12115

Ambulante Hilfe für alleinstehende Wohnungslose Lange Str. 35 34346 Hann. Münden 05541/71034 / Fax: 05541/903210

Aids-Hilfe Kassel Motzstraße 1 34117 Kassel 0561/97975910

Rechtsberatung & Hilfe Stadt Kassel – Gesundheitsamt AIDS-Beratungsstelle Obere Königsstraße 3 34117 Kassel 0561/787–5380 Kinder & Jugendliche in Not Göttingen Omnibus - Beratungsstelle für Jugendliche & junge Erwachsene Goßlarstr. 23 37073 Göttingen 0551/392690 Kassel Deutscher Kinderschutzbund Siemensstraße 1 34127 Kassel 0561/899852

Kassel Schuldnerberatung Gottschalkstraße 51 34127 Kassel 0561/893099 Verbraucherzentrale Hessen e.V. Bahnhofsplatz 1 34117 Kassel 0561/772934 Göttingen Verbraucherzentrale Nds. Papendiek 24 37073 Göttingen 0551/57094 Suchtberatung: Alkohol Kassel

Verein zur Förderung der Erziehungshilfen in Nordhessen e.V. Wilhelmshöher Allee 32 a 0561/78449-0 Stadt Kassel Sozialer Dienst des Jugendamtes Friedrich-Ebert-Straße 1 34117 Kassel 0561/787–5301 Kleiderkammern Göttingen Ev.-ref. Gemeinde – Kleiderkammer Untere Karspüle 12 37073 Göttingen 0551/5473717

Anonyme Alkoholiker 0561/19295 Blaues Kreuz Kassel Landgraf-Karl-Straße 22 34131 Kassel 0561/93545-0 Suchtberatung Diakonisches Werk Goethestraße 96 34119 Kassel 0561/938950 Suchtberatung: Drogen Göttingen DROBZ (Drogenberatungszentrum) Mauerstr.2 37073 Göttingen 0551/45033

Hann. Münden

Kassel Die Heilsarmee / Sozial Center Ks Eisenacher Straße 18 34123 Kassel 0561/570359-0 Beratungsstelle für Nichtsesshafte Sozialamt der Stadt Kassel Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/787-5061 Beratungsstelle für alleinstehende Wohnungslose – Soziale Hilfe e.V. Kölnische Straße 35 34117 Kassel 0561/70738–00 Betreutes Wohnen Diakonisches Werk Kassel Hermannstr. 6 34117 Kassel 0561/7128829 Wohnungsprobleme Kassel Zentrale Fachstelle Wohnen Wohnungsamt (Rathaus) Obere Königsstraße 8 34112 Kassel 0561/787-6252 oder -6255 Deutscher Mieterbund Mieterverein Kassel u. U. e.V. Königsplatz 59 34117 Kassel 0561/103861 Wenn Ihre Einrichtung hier nicht enthalten, oder wir eine Korrektur durchführen sollen, schicken Sie bitte eine E-Mail mit den Daten an goettingen@ tagessatz.de!

TagesSatz

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Malte Schiller

DAS ALLERLETZTE

In der Suppenküche Die gelernte Buchhändlerin Monika Adolph schreibt skurrile Geschichten sowie Erzählungen und Gedichte. Dabei schreibt sie Geschichten sowohl aus eigenem Erlebten sowie aus Phantasie Geborenem. Den TagesSatz-Lesern stellt die Duderstädterin eine ihrer Kurzgeschichten vor.

* PROSA VON MONIKA ADOLPH

D

ie Suppenküche befand sich in einer Seitenstraße. Sie musste etwas suchen, bis sie das Gässchen, das von der großen Einkaufsstraße abführte, gefunden hatte. Sicher war mit Absicht die Anlaufstelle für alle möglichen bedürftigen Menschen abseits von dem stark frequentierten Boulevard eingerichtet worden. Eine Ansammlung von abgerissenen, teils heruntergekommenen Gestalten würde schlecht in das schicke Straßenbild gepasst haben, und einige Bürger hätten wahrscheinlich Anstoß daran genommen. Am Eingang zur Suppenküche zählte sie ihr Geld. Ja, sie konnte sich noch ein Essen und sogar ein Getränk leisten. Es roch nach einer deftigen Suppe, und ein Schild am Eingang verkündete, dass es heute Erbsensuppe mit Speck sowie Rote Grütze zum Nachtisch gab. Sie stellte sich an der Reihe zu dem großen Suppentopf an, wo sich jeder einen Teller Suppe abholen konnte. An einem der Tische war ein Platz frei, und sie steuerte auf ihn zu. Als sie, während sie ihre Suppe schlürfte, aufsah, blickte sie in die kleinen mausgrauen, von buschigen Brauen umwölbten Augen ihres Gegenübers. Die Rote Grütze, die der ältere Mann zu sich nahm, hinterließ Spuren in seinem verwitterten grauen Bart. Er trug ein kariertes Sacko, bei dem an mehreren Stellen die Nähte aufgeplatzt waren. Sein Äußeres zeugte davon, dass er in tiefster Armut lebte. „Na, schmeckt´s, junge

TagesSatz

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Frau?“, sprach er sie mit rauer Stimme an. Sein schmales Lächeln rief in ihr Erinnerungen wach. Zunächst versuchte sie vergeblich, sich zu erinnern, wo ihr dieses Gesicht schon einmal begegnet war. Nach längerem Grübeln fiel ihr ein, dass es sie an ein Portrait erinnerte, dass sie oft betrachtet hatte. In den letzten Semesterferien hatte sie auf eine Annonce aus der Zeitung geantwortet, mit der eine Haushaltshilfe und Kinderbetreuerin gesucht wurde. Sie nahm diesen Job bei der Familie des Chefarztes der Klinik an, dessen Villa sich am Rande der Stadt befand. Nachdem sie ein paar Tage ihren Job in dieser Familie ausgeführt hatte, entwickelte sich ein enges Vertrauensverhältnis zwischen ihrer Arbeitgeberin und ihr. Die Chefarztfrau erzählte ihr von ihrer sowie ihres Mannes Familie und zeigte ihr Fotoalben. Auf mehreren Fotos war ein Mann abgebildet, der eine fesche Uniform trug und dessen Brust mit Orden verziert war. Ein großes Bild dieses Mannes in fortgeschrittenem Alter hing über dem Kamin im Salon der Villa. Sein Gesicht war gerahmt von einem gepflegten Voll- sowie Backenbart. Überlegen blickten die kleinen mausgrauen Augen den Betrachter an. Der Doppelkinnansatz und die gesunde Gesichtsfarbe zeugten von üppiger Lebensart. Oft hatte sie das Porträt abgestaubt und dabei das Foto betrachtet.

Manchmal kam es ihr vor, als zwinkerte ihr der alte Herr verschmitzt zu. Nun, nach den Semesterferien, saß sie in der Suppenküche einem Mann gegenüber, der die gleichen Gesichtszüge hatte wie der Orden behangene alte Herr auf dem Porträt in der Arztvilla. Welten trennten die Männer voneinander. Zwei Lebenswege, die in konträrer Richtung verlaufen waren. Oder hatte der abgerissene alte Mann in der Suppenküche auch einmal in Reichtum gelebt und das Schicksal war nicht gut zu ihm gewesen? Wer bestimmt, ob wir auf der Sonnenseite oder auf der Schattenseite des Lebens unsere Tage verbringen? „Das hat mir heute gut geschmeckt“, riss der alte Mann sie aus ihren Grübeleien. „Ich muss jetzt gehen und mich dann auch um ein Nachtlager kümmern. Hoffentlich ist im Obdachlosenheim noch ein Bett frei. Ich wünsch´ ihnen einen schönen Tag, junge Frau“, schloss er und schlurfte davon. ANZEIGE

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TagesSatz

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