Wild Site
Fünf Gespräche über Brachflächen in der Stadt mit einer fotografischen Arbeit von Zara Pfeifer Five conversations on urban voids with a photo series by Zara Pfeifer
das BAU Point Nemo Publishing, 2023
ABC Inside front cover DE/ENG
Table of contents Inhaltsverzeichnis 7 Einleitung Introduction 13 Gespräch 1, sub- (unter) Conversation 1, sub- (under) Michael Wagreich 31 Gespräch 2, juxta- (dicht bei, neben) Conversation 2, juxta- (close by, next to) Lilli Lička, Sabine Plenk 49 Gespräch 3, supra- (oberhalb, darüber) Conversation 3, supra- (above, over) Weatherpark 67 Gespräch 4, omni- (alles, jede:r, ganz) Conversation 4, omni- (everything, everyone, whole) Florian Etl 83 Gespräch 5, inter- (zwischen, mitten) Conversation 5, inter- (between, in the middle) Christian Teckert 22—29 Fotoserie von Zara Pfeifer 40—47 Photo series by Zara Pfeifer 58—65 74—81 92 Glossar Glossary 100 Biographien Biographies 102 Impressum Imprint
das BAU sind die Architektinnen Eva Herunter, Katharina Hummer und Julia Obleitner. Als Kollektiv beschäftigen sie sich mit temporär ungenutzten Flächen im urbanen Raum. In Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen untersucht das BAU den Wert von Stadtbrachen und regt den Diskurs über diese Orte an.
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das BAU are the architects Eva Herunter, Katharina Hummer, and Julia Obleitner. As a collective, they deal with temporarily unused spaces in urban areas. In colla boration with other disciplines, das BAU investigates the value of urban waste lands and stimulates discourse about these places.
Einleitung
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Introduction
Wir leben in einer Zeit, in der das fragile Gleichgewicht zwischen Mensch, Naturräumen und gebauter Umwelt gestört ist. Bestehende Ökosysteme werden durch menschliche Aktivitäten auf lokaler und globaler Ebene zunehmend geschädigt und zurückgedrängt. Gleichzeitig dehnt sich der urbane Raum stetig aus. Entgegen der weit verbreiteten Auffassung, städtische Gebiete seien Artenwüsten, bieten diese besondere Lebensräume für eine Vielfalt „mehr-alsmenschlicher” Lebensformen. Während Grünflächen in städtischen Parks sorgfältig von Menschen geplant und gepflegt werden, verbergen sich in unbeaufsichtigten und oft übersehenen Freiräumen wie Stadtbrachen neue Formen des Zusammenlebens von Menschen, Tieren, Bakterien und Pflanzen. Wild Site ist die Entdeckung dieser ungeplanten und flüchtigen Nebenprodukte einer sich ständig verändernden Stadt: Baulücken, Brachflächen, Zwischen- und Resträume, „wilde” Orte. Sie entstehen dort, wo Menschen den Boden in Anspruch genommen, bearbeitet und wieder verlassen haben.
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We are living in a time when the fragile balance between humans, nature, and the built environment is disrupted. Existing ecosystems are increasingly weakened and destroyed by human activities on a local and global scale. At the same time, urban space is steadily expanding. Contrary to the widely held belief that urban areas are poor in species, they actually provide special habitats for a variety of "more-than-human" forms of life. While green spaces in urban parks are carefully planned and maintained by people, unattended and often overlooked open spaces such as urban wastelands can reveal new forms of coexistence between humans, animals, bacteria, and plants. Wild Site is the discovery of these ephemeral by-products of an everchanging city: gaps between buildings, brownfields, intermediate and residual spaces, "wild" sites. They emerge where people have claimed, worked, and abandoned the land. For a certain period of time, derelict areas seem to break through the exploitative economic logic of the city. They are temporarily free of conventional urban
Brachliegende Flächen durchbrechen für einen gewissen Zeitraum die Planungs- und Verwertungslogik der Stadt. Sie sind frei von konventionellen städtebaulichen Vorgaben und ermöglichen die Entstehung neuartiger Raumkonzepte. Fünf editierte Gespräche mit Forscher:innen aus den Bereichen Biologie, Geologie, Klimatologie, Botanik, Landschaftsarchitektur, Urbanismus und Architektur werfen einen neuen Blick auf die oftmals unterschätzten Stadträume hinter den Bauzäunen. Die Gespräche zeigen jeweils unterschiedliche Aspekte auf, die in städtischen Brachen über-, neben- und miteinander existieren. Das Buch verknüpft unterschiedliche Perspektiven und schafft einen Denkr ahmen für Alternativen zum gegenwärtigen System der Raumproduktion und dem damit verbundenen Wachstumsimperativ. Bilder und Erzählungen von und über Brachen werden miteinander verwoben, um ein neues Narrativ der Koexistenz von Flora, Fauna und Menschen in der Stadt zu entwickeln.
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planning laws, and thus enable the emergence of new kinds of spatial concepts. Five edited conversations with researchers from the fields of biology, geology, climatology, botany, landscape architecture, urbanism, and architecture take a fresh look at these often underappreciated urban spaces behind construction fences. The conversations each highlight different aspects that exist on top of, alongside, and with one another in urban brownfields. The book interconnects different perspectives and creates a framework for thinking about alternatives to the current system of spatial production and associated with the imperative of growth. Images and narratives around brownfields are woven together in order to develop a new narrative of the coexistence of flora, fauna, and humans in the city.
Christian Teckert ist Architekt, Autor und Kurator sowie Gründungsmitglied von as-if und dem Büro für kognitiven Urbanismus. Er ist Inhaber der Professur für Raum/Konzept an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel und Lehr beauftragter am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien.
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Christian Teckert is an architect, author, and curator, as well as a founding member of as-if and the Office for Cognitive Urbanism. He holds the professorship for Spatial Strategies at the Muthesius Academy of Fine Arts in Kiel and is a lecturer at the Institute for Art and Architecture at the Academy of Fine Arts Vienna.
Gespräch 5 inter- (zwischen, mitten) Die Spekulation mit dem Wert städtischer Grundstücke führt häufig zum Verfall und Abriss bestehender Gebäude. In den letzten Jahrzehnten hat sich die urbane Praxis der temporären Nutzung von Stadtbrachen etabliert. Zwischennutzungen stellen die urbane Verwertungslogik in Frage und schlagen alternative Formen der Raumproduktion vor. Ein Gespräch mit dem Architekten, Autor und Kurator Christian Teckert über die Bedeutung von Leerstellen und Lücken für eine zukunftsfähige Stadt.
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Conversation 5 inter- (between, in the middle) Real estate speculation in an urban context often leads to the decay and demolition of existing buildings. In recent decades, the practice of interim use of urban wastelands has become established. Interim use questions the logic of exploitation and instead proposes alternative forms of spatial production. A conversation with architect, author, and curator Christian Teckert about the importance of voids and gaps for the future of any city.
das BAU In der Architektur wird der Fokus auf die Entwicklung von Projekten – auf den Akt des Errichtens von Gebäuden – gelegt. Dem Abbruch von Häusern wird dagegen nur wenig Beachtung geschenkt. Oft entstehen langjährige Lücken im Stadtgefüge, da eine Neubebauung aufgrund von Immobilienspekulation, fehlender Mittel oder juristischer Auseinandersetzungen ausbleibt. Wie hat sich der Diskurs um solche „Leerräume” und ihre temporäre Nutzung entwickelt? Christian Teckert Das Konzept temporärer Räume – im Sinne der klassischen Zwischennutzung – war zunächst ein taktischer und strategischer Ansatz, um alternative Formen der Raumnutzung und Interpretation von urbanen Systemen zu ermöglichen. Diese sich eröffnenden Zwischenräume musste man erstmal betreten und sich mit ihnen auseinandersetzen, um ganz andere Arten von Raumproduktion
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das BAU In the field of architecture, the focus traditionally lies on the development of projects. The act of erecting buildings is paramount. In contrast, little attention is paid to the demolition of houses. Where new development fails to occur due to real estate speculation, lack of funds, or legal disputes, the result is often a long-lived gap in the urban fabric. How has the discourse around such “empty spaces” and their temporary use developed? Christian Teckert The concept of temporary spaces – in the sense of conventional interim use – was initially a tactical and strategic approach to enable alternative forms of using space and interpretation of urban systems. These in-between spaces that appeared first had to be entered, used, and addressed in public.This led to the demand for completely different ways of producing space, to building platforms, and to testing out through examples. Today such spaces would be called urban living labs.
einzufordern, Plattformen aufzubauen und Exempel durchzuspielen. Heute würde man sie Reallabore nennen. Ein Problem dieser temporären Räume besteht vor allem darin, dass sie oft nur als Übergangslösung betrachtet werden. Nach einer Phase des „Aufbereitens” und „sich um etwas Kümmerns” wird eine Baulücke schließlich zumeist wieder in das alte System rückgeführt. Sie wird „aufgefüllt”, um volumetrisch maximalen Profit daraus zu ziehen. Im Endeffekt ist man im schlimmsten Fall lediglich der Pausenclown für eine hochextraktive problematische Praxis. Dennoch fungieren Zwi schennutzungen für eine gewisse Zeit als Reallabore für eine alternative Form von urbaner Praxis und sind darin sehr wirkungsmächtig und multiplizierend in ihren Effekten. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, der Diskurs müsste viel mehr von temporalisierten Raumbegriffen handeln, in denen Prozess und Veränderung mitgedacht werden. Reste, Ruinen oder informelles Grün in Baulücken stehen im Kontrast zum programmierten urbanen Raum, der mit
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One of the main problems with so-called temporary spaces is that they are just that: a temporary solution. After a phase of “caretaking” a construction gap ultimately is to be returned to the old economic system: the gap is “filled up” with the maximum amount of built volume in order to maximize profit. In the end, the temporary use is turned into merely a side-show for a highly extractive problematic practice. Nevertheless, interim uses function for a certain time as laboratories for a different form of urban practice and are very power ful and multiplying in their effects. From today’s perspective, I would say that the discourse around such spaces should focus much more on temporalized concepts of space, in which process and change are also considered. Remnants, ruins, or informal greenery in vacant urban lots contrast the programmed urban space, which is clearly defined with designations such as “park” or “parking lot.” Urban wastelands do not function according to the same system of values and norms as the rest of the city – at least
Bezeichnungen wie „Park” oder „Parkplatz” klar definiert ist. Stadtbrachen funktionieren – zumindest vorübergehend – nicht nach dem gleichen Werte- und Normensystem wie der Rest der Stadt. In welchem Spannungsverhältnis stehen unbestimmte Räume wie „Terrains vagues” heute mit der Stadt, die sie umgibt? Ich finde es spannend, über solche Orte mit dem Begriff des „Urbanen Metabolismus” nachzudenken. Die sich ständig verändernde und anpassende Vegetation, die herumschwirrenden Insekten und Vögel, die da ihren Nistplatz finden, bilden ein ausgedehntes System unter schiedlicher Akteure: groß und klein, menschlich und nicht-menschlich. Darin steckt für mich wahnsinnig viel Metabolismus, den die Stadt – die offizielle Stadt, die „Blockrandbebauung-Investoren-SpekulationsStadt” – eigentlich ständig negiert und versucht auszublenden oder nur zwischendurch als kurzes „Aufwertungsfeature” aufblitzen zu lassen. Der Begriff „Baulücke” ist an sich schon zu hinterfragen: Eine Lücke, die gefüllt werden muss – rein aus einer Verwertungslogik heraus gedacht.
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temporarily. What is the relationship between undefined spaces like terrains vagues and the city that surrounds them today? I find it exciting to think about places like this by using the term “urban metabolism.” The constantly changing and adapting vegetation, the insects and birds that buzz around and nest there, form an extended system of different actors: large and small, human and non-human. For me, there is an insane amount of metabolism in this process, which the city – the official city, the “city-of-developers-andinvestors” – actually constantly tries to ignore and negate. In the worst case, they use the image of this very metabolism just to improve their reputation. The term “construction gap” itself should be questioned: A gap that has to be filled – though purely in a monetary sense. Isn’t it precisely within these very gaps that the exploitative logic of the city and the conventional production of space
Wird nicht gerade in diesen Lücken die Verwertungslogik der Stadt und die herkömmliche „von oben” geplante und gesteuerte Raumproduktion zwischenzeitlich durchbrochen? Absolut! Im Sinne von Reallaboren und Lernorten könnten Stadt brachen die von oben geplante und gesteuerte Raumproduktion nicht nur zwischenzeitlich stoppen, sondern tatsächlich für die zukünftige Entwicklung der Stadt in die Planung miteinbezogen werden. Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Die Temperatur der Ozeane und der globale Mittelwert der Lufttemperatur sind heute so hoch wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Robuste und resiliente Grünräume, wie sie ganz von selbst in „Terrains vagues” entstehen, überhaupt aufkommen zu lassen und dann aber auch bestehen zu lassen, ist eine enorme Notwendigkeit – fast schon eine Überlebensnotwendigkeit. Man müsste jede einzelne ungenutzte Fläche in der Stadt auf eine komplexere, größere, relationale Ebene bringen und denken. Als einen Puzzlestein in einem Gesamtsystem, das in der ganzen Stadt eine Vielzahl an Möglichkeitsräumen
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which is planned and controlled “from above” is broken through? Absolutely! As urban living labs and places of learning, urban brownfields should not only stop the conventional production of spaces that are planned and controlled “from above”, but they should actually be included in the planning for the future development of the city. We cannot continue as we have done in the past. Ocean tempera tures and global air temperatures are now higher than at any time in human history. Allowing robust and resilient green spaces such as those that emerge all by themselves in terrains vagues to emerge at all, and then to persist, is a tremendous necessity – almost a survival necessity. One would have to think of every single unused space in the city on a more complex, larger, relational level. As one piece of the puzzle in an overall system that encompasses a multitude of possibilities and spaces throughout the city. And yet, each vacant space can also set an individual example. I see these spaces and strategies as opportunities to break down our existing closed systems.
umfasst. Und dennoch kann jede freie Fläche auch ein individuelles Exempel statuieren. Ich sehe diese Räume und Strategien als Chancen, unsere bestehenden geschlossenen Systeme aufzubrechen. Welche Potenziale liegen aus planerischer Perspektive in diesen temporär „dysfunktionalen” und „undefinierten” Zonen verborgen? Wir müssten uns erstmal von dieser totalen Verwertungslogik befreien und uns kritischer mit der Wiener Gründerzeitbebauung auseinandersetzen. Die Blockrandbebauung diente damals vor allem der Maximierung des Profits. Aus heutiger Sicht wird das allerdings nostalgisch verbrämt. Bis heute wird unendlich viel in die Erhaltung dieses Stadtbildes investiert. Das Stadtbild, das man da wahrt, stammt aus einer Zeit hochgradiger Immobilienspekulation. Das Tragische ist, die derzeitigen Bauvorschriften halten an genau diesem System fest. Dabei wäre jede Baulücke eine Chance, anders mit einem Stück Stadt umzugehen anstatt immer wieder eine
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From a planning perspective, what potential lies hidden in these temporarily “dysfunctional” and “undefined” zones? We would first have to free ourselves from this total logic of exploita tion and take a more critical look at the Viennese Gründerzeit buildings. At that time, perimeter block development served primarily to maximize profit. From today’s perspective, however, this era is nostalgically embellished. To this day, an infinite amount is invested in the preservation of this cityscape. Although the kind of cityscape that is being preserved dates from a time of great real estate speculation. The tragic thing is that current building regulations adhere to precisely this old system. Every empty gap is a great opportunity to deal differently with a space in the city. A structure that completely fills up a block and closes it off is not the only way to go. We have to arrive at a different concept of city, at a different idea of city. You have to think about systems of “cohabitation” and consider how nature, wildlife, ecosystems, and humans can live together in a different way. And that’s exactly what something like
blockrandfüllende Struktur zu fordern. Man muss zu einem anderen Stadtbegriff, zu einer anderen Idee von Stadt gelangen. Man muss über Systeme der „Cohabitation” nachdenken und überlegen, wie Natur, Tierwelt, Ökosysteme und Menschen anders zueinander kommen können. Genau dafür kann so etwas wie eine Stadtbrache ein grandioses Experimentierfeld sein. In Tokio hat das Architektur büro Atelier Bow-Wow den alten Metabolismusbegriff der 1960er, der mit den urbanen Megastrukturen verbunden war, gekapert und in Bezug auf den Alltagsmetabolismus der Stadt neu interpretiert. Die Stadt als urbane Landschaft, die in einer unglaublichen Kleinteiligkeit eine Heterogenität und Komplexität der Architektur sowie Zwischen räume, Garten- oder Naturräume ermöglicht und diese permanent produziert. Es herrscht ein ständiger Austausch, ein andauerndes Wachsen, Zerteilen und Neu Formieren. Das läuft komplett außerhalb der Logik unserer geschlossenen Systeme, die immer wieder aufs Neue geschlossen werden, weil die Regulierungsmechanismen eines Flächenwidmungsplans und eines Bebauungsplans darüber liegen. Ein Prozess, der ausschließlich das Auffüllen und Schließen
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an urban wasteland can be a terrific field of experimentation for. In Tokyo, the architecture firm Atelier Bow-Wow has hijacked the old concept of metabolism from the 1960s, which was associated with urban megastructures. They have reinterpreted it in relation to the everyday metabolism of the city. They understand the city as an urban landscape that allows and permanently produces a heterogeneity and complexity of architecture, as well as interstitial, garden, or natural spaces. There is a constant exchange, a permanent growth, fragmentation, and re-formation. This runs completely outside the logic of our closed systems, which are closed again and again because the regulatory mechanisms of a zoning and a development plan are preventing any real change. A process that exclusively serves the filling and closing of any gap that opens up. We have to fully break away from that and rethink it on a planning level. It’s about seeing the potential of these spaces as places of learning, places of imagination, and urban living labs. Voids and gaps are extremely important for imagining a different way of living together and dealing with the city.
der Lücken bedient. Davon muss man sich vollends lösen und es auch auf einer planerischen Ebene neu denken. Es geht darum, das Potenzial dieser Orte als Lernorte, Imaginationsorte und Reallabore zu sehen. Sie sind ungeheuer wichtig für die Vorstellung einer anderen Form des Zusammenlebens und Umgangs mit der Stadt. Dabei ist eine Baulücke eigentlich nur eine Art Nebenprodukt des Planungs- und Bauprozesses. Sie ist ein ungewolltes Nebenprodukt. Trotzdem muss eine andere Forderung dahinterstehen. Sonst passiert das, was in Berlin passiert ist: Es gibt eine Zeit lang eine coole, romantisierte, „wilde” Stadtnatur, kulturelle Zwischenräume, Gemeinschaftsräume, Gärten und so weiter – das hat zu diesem großartigen Image der Stadt beigetragen. Seit zehn Jahren sitzen nun die Investoren dort und cashen ab – sie cashen den ganzen symbolischen Mehrwert und Benefit ab. Von den ursprünglichen Räumen bleibt nichts übrig. Es braucht daher ein anderes Bewusstsein, vor allem auf politischer Ebene. Es muss sich
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Yet any construction gap is really just a kind of by-product of the planning and construction process. It is an unintentional by-product. Nevertheless, there must be another demand behind it. Otherwise, what happened in Berlin will happen again: For a while, there was a cool, romanticized, “wild” urban nature, cultural in-between spaces, community spaces, gardens, and so on. These spaces contributed to the particular image of the city. For ten years now, investors have been turning this image into money. They are cashing out all the symbolic value and benefit. Nothing remains of the original spaces. Therefore, a different awareness for the value of such interim spaces is needed, especially at the political level. Something has to change structurally in the way land is dealt with, how property is dealt with, how economic logic is dealt with, and how regulations and building codes are dealt with – it’s all connected. The moment of realization that things can be done differently is important. If you take the systems out of their own logic and shut
strukturell etwas verändern in der Art und Weise, wie mit Boden, Eigentum, ökonomischer Logik, Regulierungen und Baurichtlinien umgegangen wird – das hängt alles zusammen. Der Moment der Erkenntnis, dass es auch anders geht, ist dabei wichtig. Wenn man die Systeme aus ihrer Eigenlogik herausnimmt und stilllegt, wird Vieles sichtbar. Nämlich der Metabolismus, der ohne unser Zutun bereits existiert. Es muss ein sukzessives Umlernen auf vielen Ebenen passieren. Es braucht andere Umgangsformen mit dem Metabolismus, der in den Lücken oftmals gar nicht gewollt ist.
Glossar: S.96 Reallabor, S.98 Terrain Vague S.94 Metabolismus, S.93 Cohabitation
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them down, many things become visible. Namely, the metabolism that already exists without our intervention. A relearning must happen on many levels. We need new ways of dealing with the metabolism that is often so unwanted within the gaps.
Glossary: p.98 Urban living lab, p.97 Terrain Vague p.94 Metabolism, p.92 Cohabitation
Biographien
Katharina Hummer studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien, der Universität für angewandte Kunst Wien und der TU Wien und arbeitet seit 2018 bei DW Architekten in Wien.
Herausgeberinnen das BAU sind die Architektinnen Eva Herunter, Katharina Hummer und Julia Obleitner. Als Kollektiv beschäftigen sie sich mit temporär ungenutzten Flächen im urbanen Raum. In Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen untersucht das BAU den Wert von Stadtbrachen und regt den Diskurs über diese Orte an.
Julia Obleitner studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien. Seit 2020 lehrt sie am Institut für Experimentelle Architektur der Universität Innsbruck. Point Nemo Publishing Point Nemo Publishing wurde im März 2020 von der Architektin Anna Valentiny gegründet. Kern des Verlags ist die Buchreihe ADATO. Point Nemo konzi piert, produziert und publiziert Kunstund Architektur Publikationen.
Eva Herunter studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien und an der EPFL Lausanne. Nach Praxisund Lehrerfahrungen in Berlin und Hong Kong forscht und lehrt sie seit September 2021 am Institut für Raum und Gestalt der TU Graz.
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Biographies Editors das BAU are the architects Eva Herunter, Katharina Hummer, and Julia Obleitner. As a collective, they deal with temporarily unused spaces in urban areas. In collabo ration with other disciplines, das BAU investigates the value of urban waste lands and stimulates discourse about these places. Eva Herunter studied architecture at the Academy of Fine Arts Vienna and at EPFL Lausanne. She gained experience in practice as well as research and teaching in Berlin and Hong Kong respectively. Since 2021 she has been researching and teaching at the Institute of Spatial Design at the Graz University of Technology.
Katharina Hummer studied architecture at the Academy of Fine Arts Vienna, the University of Applied Arts Vienna, and the Vienna University of Technology and has been working at DW Architekten in Vienna since 2018. Julia Obleitner studied architecture at the Academy of Fine Arts Vienna. Since 2020 she has been teaching at the Institute for Experimental Architecture at the University of Innsbruck. Point Nemo Publishing Point Nemo Publishing was founded in March 2020 by the architect Anna Valentiny. Its core product is the book series ADATO. Point Nemo conceives, produces, and publishes art and architecture publications.
Fotografie
Grafische Gestaltung
Zara Pfeifer ist eine in Wien und Berlin lebende Künstlerin, die sich in ihren Arbeiten mit den sozialen Phänomenen großer Infrastrukturen beschäftigt. Ihre Dokumentation des modernistischen Wohn projekts Alterlaa (“Du, meine konkrete Utopie”, 2013-17) und ihre Serie über Lkw-Fahrer (“Good Street!”, 2018-2022) beinhalten ein längeres Eintauchen in den Alltag ihrer Subjekte. Sie hat mit Institutio nen, wie dem MAK Center in Los Angeles und dem Österreichischen Kulturforum in Berlin zusammengearbeitet, zuletzt erhielt sie ein Atelierstipendium der österreichi schen Bundesregierung am ISCP New York. Publikationen u. a. in Monocle, ZEITmagazin und Monopol. Ihr Buch ICC Berlin ist 2022 im Jovis Verlag erschienen.
Jan van der Kleijn studierte Grafik design an der Königlichen Kunstakademie in Den Haag, der Iceland University of the Arts in Reykjavik und der Gerrit Rietveld Academy in Amsterdam. Von 2017 bis 2021 arbeitete er im Büro Irma Boom und ist seitdem freiberuflich in Den Haag tätig.
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Photography
Graphic design
Zara Pfeifer is an artist based in Vienna and Berlin whose work is concerned with the social phenomena of large-scale infrastructure. Her documentation of the modernist housing project Alterlaa („Du, meine konkrete Utopie“, 2013–17) and her series on truck drivers („Good Street!“, 2018–2022) involves extended periods of immersion in the day-to-day life of her subjects. She has worked with institutions, including the MAK Center in Los Angeles and the Austrian Cultural Forum in Berlin. Her publications include Monocle, ZEITmagazin, and Monopol, and she has received a studio grant at ISCP New York from the Austrian Federal Government. Her book ICC Berlin was published in 2022 by Jovis Verlag.
Jan van der Kleijn studied graphic design at the Royal Academy of Art in The Hague, the Iceland University of the Arts in Reykjavik and the Gerrit Rietveld Academy in Amsterdam. From 2017 until 2021 he worked at Irma Boom Office and has continued his freelance practice in The Hague since then.
Impressum Imprint Authors: Eva Herunter, Katharina Hummer, Julia Obleitner Photography: Zara Pfeifer Copy editor: Linda Lackner Proofreader: Brian Dorsey Graphic design: Jan van der Kleijn Print: REKA Print, Luxembourg © 2023 das BAU, Point Nemo Publishing © for the texts: the authors Point Nemo Publishing 19, Wisswee L-5441 Remerschen www.point-nemo.lu All rights reserved, including the right of reproduction in whole or in part in any form. ISBN 978-2-9199670-5-6
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