politikorange - Ausgang links

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ausgang links m채rz 2011

Unabh채ngiges magazin zur 8. linken medienakademie Herausgegeben von der Jugendpresse DEUTSCHLAND


inhalt

Eine Gute Prise LiMA-Luft…S.04

Was die LiMA so speziell macht und wie links ein Medienkongress sein kann, obwohl Journalismus doch eigentlich neutral sein sollte.

journalistische objektivität nur eine Illusion…S.05 Auf der Suche nach der Wirklichkeit. In ihrer Themenfülle, ihrem Facettenreichtum. Abseits von gängigen Medienklischees, um Vorurteile zu überwinden.

Alles nur eine Frage des Geldes?…S.06

Für Qualität im Journalismus fehlt heutzutage oftmals das Geld. Im Internet werden bereits alternative Modelle ausprobiert. Auch auf der LiMA wird darüber heiSS diskutiert.

Die tägliche portion marxismus…S.07

Beobachtet vom Verfassungsschutz produziert eine kleine Redaktion die marxistische Tageseitung junge Welt in Berlin. Wir haben einen Blick hinter die Kulissen des ehemaligen FDJ-Blattes geworfen.

memory: finde den rechten Linken…S.08-09

die linke szene ist voll bekannter gesichter. verbindet jeweils zwei persönlichkeiten miteinander, die eine gemeinsamkeit auf sich vereinen. jeder deckel findet seinen Topf.

Foto: Julia Kneuse


Die Welt verändern – aber nur ein bisschen…S.10 Ein Theaterstück über die Besetzung einer Fabrik und gewerkschaftliches Engagement.

Mit Pfeifen und Trommeln zum Erfolg…S.11 Arbeiter besetzen ihre Firma und treffen die Entscheidungen. Medien und Regierungen helfen zögernd – warum eigentlich?

Der rote Indianer ohne limits…S.12-13

Christoph Nitz, veranstalter der LiMA, ist ein Mann, der sich nur schwer beschreiben lässt. Er fordert Grenzenlosigkeit und lebt sie jeden Tag. Der Versuch eines Porträts.

Journalisten aller Länder vereint euch…S.15 Eine kritische Presse ist nicht selbstverständlich. Reporter ohne Grenzen will auf Missstände aufmerksam machen.

650 jahre Neukölln in Bildern…S.16

Ein Comic zum Jubiläum des berliner stadtteils. 119 Seiten, auf denen Menschen und ihre Geschichten im Vordergrund stehen.


Editor i a l Auf zur achten Linken Medienakademie...

Medienkongresse sind ideal, um Kontakte zu knüpfen und sich fortzubilden. Gerade für junge Journalisten sind sie deshalb ein Muss, um beruflich weiterzukommen. Auch unsere politikorangeRedakteure wissen das und sind keine Neulinge auf diesem Gebiet. Doch einen linken Kongress hatte bisher noch keiner von uns besucht. Wie links oder gar linksextrem würde es sein? Eine Frage, die wir uns immer wieder voller Skepsis stellten. Trotz aller Zweifel haben wir uns in die Arbeit gestürzt, recherchiert bis die Rechner glühten und dabei viele spannende Ideen gesammelt – schließlich wollten wir euch eine gute Zeitung liefern. Doch wie es immer so ist, auf gute Planung folgt das Chaos. Ein paar Tage vor der LiMA sagten Redakteure ab, dann fiel der Layouter aus und plötzlich war das Team nur halb so groß. Zu guter Letzt konnten mühsam ausgearbeitete Themenideen nicht umgesetzt werden, weil Veranstaltungen plötzlich abgesagt wurden. Nicht schön, aber nicht zu ändern. Etwas mehr Stress als erwartet, aber für das erfahrene politikorange-Team schließlich kein Problem. Trotz allem liefern wir euch nun eine prall gefüllte Zeitung mit spannenden Texten. Auf den folgenden Seiten bekommt ihr Einblicke in die Arbeit linker Medienmacher, Trends und aktuelle Probleme im Journalismus. Wie immer waren wir ordentlich kritisch und haben die Veranstalter, Teilnehmer und Dozenten gehörig ausgequetscht. Selbst nicht sonderlich links eingestellt, verbindet die neun jungen Journalisten nun nicht nur die Freude am Journalismus; sondern auch die ein oder andere Anekdote über bizarre, exzentrische Linksaktivisten mit Lockenschopf und grellen T-Shirts :-) Juliane Jesse

eine gute Prise LiMA-Luft

Was die LiMA so speziell Macht und wie links ein Medienkongress sein kann, obwohl Journalismus doch eigentlich neutral sein sollte. VON ANNE KRATZER Männer und Frauen allen Alters, sie laufen summend durch den Raum, drehen sich zu Salsaklängen im Raum und verbreiten Yogastundenflair. Sie sind offen zueinander, konzentriert und ernst: Sie lernen sich gut zu artikulieren, mit voller Stimme zu lesen und zu sprechen. Es ist ein Moderations- und Sprechworkshop – ein Tagesseminar auf der achten Linken Medienakademie (kurz LiMA) in Berlin. Wenn man das Foyer und die Infostände im Zentrum der LiMA sieht, registriert man nicht unbedingt, dass das ein Medienkongress ist, aber man merkt durchaus, dass hier alles etwas links ist. Kooperationspartner der Akademie sind die Rosa Luxemburg Stiftung und die Helle Panke Stiftung beide stehen der Partei DIE LINKE nah. Sie unterstützen die LiMA finanziell, vom Gesetz ist aber geregelt, dass sie als politische Stiftungen die Inhalte des Kongresses nicht beeinflussen dürfen. Politisch neutral ist die LiMA aber sicherlich nicht. Infostände gibt es vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund, der Rosa Luxemburg Stiftung, DER LINKEN, auch von ver.di. Von SPD oder den Grünen sieht man nichts. „Die wollen noch nicht“, meint Christoph Nitz, der Hauptorganisator. rote Akademie bunte teilnehmer

Die Teilnehmer kann man weder mit links noch mit Medienmacher gut in einen Topf werfen. Bunt sind sie. Allen gemein ist, dass sie verschieden sind. Lautes Lachen und Aufgeregtheit scheint es hier nicht zu geben, die Männer und Frauen sind entspannt und ruhig. Sie wirken nicht, als würden sie hopplahopp die Welt umstürzen. Und wenn doch, dann wollen sie vorher lernen, wie man richtig revolutioniert. Nicht alle sind Parteimit-

glieder, vor allem Journalisten und Gewerkschaftler trifft man hier oder einfach an Politik interessierte Menschen. Eine goldbeohrringte Mittvierzigerin im rosa-gelb karierten Hemd packt ihren Laptop aus, den Desktop ziert ein Warnschild. So eines, das Autofahrer vor einer nassen Fahrbahn warnt. Nur dass anstatt eines Autos das Wort Demokratie geschrieben steht. Seit 2004 gibt es die LiMA, sie ist der größte alternative Kongress für linke Medienmacher in Deutschland. Vier Tage lang besuchen die Teilnehmer Workshops wie Onlinejournalismus, Sprechtraining oder Podiumsdiskussionen über Lobbyismus. Partizpativ nennt sich die LiMA, neben Profis der Medienwelt darf jeder, der möchte, einen Workshop anbieten Raum für sozialisten von heute

Zum zweiten Mal ist das Medienevent auf dem Campus der Hochschule für Technik und Wirtschaft angesiedelt: einem denkmalgeschützten, ehemaligen Industriekomplex. Und das passt. Die großen rot-gelben Backsteinhäuser, die Schornsteine und breiten Straßen aus Beton, Müllcontainer und Transformatoren. Es ist groß hier, weiträumig und doch gut zu überblicken – man kann sich nicht verstecken. Das hat etwas Ehrliches. Und doch ist jeder irgendwie für sich alleine. Sie lesen taz und Neues Deutschland oder hämmern akribisch Texte in ihren Laptop. Aufgedrängt und aufgeregt miteinander reden müssen sie nicht, dafür ist am Abend eigens ein Programmpunkt geschaffen wurden: Networking in entspannter Café-Atmosphäre. Und die Leute aus dem Sprechkurs – sprechen die miteinander? Sie streiten vielmehr. In der letzten halben Stunde kommt ein Neuer in den Raum. Die Kursleiterin bittet ihn höflich den Raum zu verlassen um den Kurs nicht zu stören. Eine Diskussion schaukelt sich hoch. Der Wunsch nach Volksentscheid und direkter Demokratie. Wenn es um das Gemeinwohl geht, vergessen die Seminarteilnehmer, dass es hier eigentlich ums Sprechen lernen gehen soll. Sie reden lieber.

Foto: Julia Kneuse

Anne Kratzer, Regensburg, 20 Jahre

rote stühle, rote haare vier tage im zeichen der revolution.

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Studiert Psychologie in Regensburg und engagiert sich bei Amnesty International.


journalistische objektivität – nur eine Illusion

Auf der Suche nach der Wirklichkeit. In ihrer Themenfülle, ihrem Facettenreichtum. Abseits von gängigen Medienklischees, um Vorurteile zu überwinden.

VON Muriel nieberg „Guttenberg schummelt bei Doktorarbeit“, „Gaddafi schießt auf unschuldige Aufständler“. Diese Schlagzeilen dominieren die Titelseiten von heute. Für andere wichtige Themen hingegen findet sich in den gängigen Medien kein Platz. Wie oft kann man dort schon von rechtswidriger Anwendung polizeilicher Gewalt, mangelnder Kontrolle deutscher Rüstungsexporte und Gefahren durch Uran-Munition in Kriegsgebieten lesen? Auf der LiMA 2011 widmeten sich gleich mehrere Vorträge und Workshops dieser Problematik: Warum bestimmte Themen ausgewählt und andere vernachlässigt werden, auf welche Weise sie bearbeitet werden und welche Wirkung diese Aufbereitung hat. Doch wie steht es nun wirklich um eine Gegenöffentlichkeit, die sowohl in der Auswahl, als auch in der Aufbereitung von Themen eine Alternative bietet?

Ergebnis der Produktionsumstände. Durch die Ökonomisierung des Mediensystems sind Recherchereisen finanziell fast undenkbar. Abgesehen davon wird Journalisten in vielen Fällen kein militärischer Schutz gewährt. Woher also Informationen beziehen? Aber auch Werte und Normen der Gesellschaft schränken die Berichterstattung über Afghanistan ein. So existiert in unserer Gesellschaft ein fertiges, wenig offenes Bild von dem Land. Damit zensiert sich der berichtende Journalist durch seinen bestimmten soziokulturellen Hintergrund selbst.

Entwicklungen, die Zwänge mit sich führen, denen sich der Journalismus heute gegenüber sieht? Oder ist es doch der einzelne Journalist, der in einseitigen Konzepten denkt und deswegen teilweise eindimensional berichtet? Fest steht: Gegenöffentlichkeit sollte zwei Dinge miteinander verbinden. Platz für Themen bieten, für die in etablierten Medien kein Raum zu sein scheint. Aber ebenso tiefgründige Recherchen, die den Anspruch haben, verschiedenste Aspekte zu berücksichtigen und damit zur Emanzipation von eigenen Vorurteilen beizutragen.

Löchrige Berichterstattung wo bleibt da bitte die viel beschworene objektivität.

Medien machen, heißt Entscheidungen treffen. Das Problem dabei: Wirtschaftliche Zwänge oder auch die Abhängigkeit – beispielsweise von einer Zielgruppe – bedingen diese Entscheidungen und führen zu einer bewussten Auswahl von Themen. Nicht nur bestimmte Aspekte, auch ganze Themenkomplexe von gesellschaftlicher Relevanz, werden auf diese Weise übergangen. lücken aufspüren

Dieser Problematik widmet sich die Initiative Nachrichtenaufklärung. Die Gruppe sammelt über das Jahr Themenvorschläge und erstellt im Frühjahr eine Rangliste: Die TopTen der vernachlässigten Themen. Im letztveröffentlichten Ranking 2009 nahmen „Notstand im Krankenhaus: Pflegebedürftige allein gelassen“, „Psychatrie: Bundesregierung biegt UN-Konvention zurecht“ und „Kriegsberichterstattung lenkt von zivilen Friedensstategien ab“ die vordersten Plätze der Liste ein. Das Auswahlgremium setzt sich aus Journalisten und Wissenschaftlern zusammen und verfolgt unter anderem das politische Anliegen, wichtige Nachrichten und Themen, die derzeit vernachlässigt werden, in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Kommunikationswissenschaftliche Forschungen stellen einen weiteren Arbeitsschwerpunkt der Initiative dar: Wie kommt es zur Vernachlässigung von gesellschaftlich relevanten Themen? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Wenn in einem Bericht über Afghanistan nur ein Experte der Bundeswehr zu Rate gezogen wird und damit per se nur bestimmte Themenbereiche – ja auch nur aus einer Perspektive – abgedeckt werden können, dann ist das zum großen Teil das

Foto: Julia Kneuse

Das führt zu einer weiteren Problematik: Wie werden Themen in den gängigen Medien aufbereitet? Denn auch hier heißt Medien machen, Entscheidungen zu treffen. Wie das Thema letztlich präsentiert wird, liegt im Ermessen des Verfassers. Das Ergebnis: Bestimmte Aspekte werden hervorgehoben, andere wiederrum vernachlässigt. Problematisch wird das, wenn Medien damit falsche Wirklichkeiten konstruieren. Beispielsweise ist die Berichterstattung über Südamerika, Asien und Afrika sehr eingeschränkt und pauschalisierend – Andersartigkeit konstruierend. Dem liegt keine bewusste politische Strategie zugrunde, sondern vielmehr eurozentristische Konzepte von Journalisten und deren selektive Wahrnehmung. vorurteile überwinden

Wer oder was muss hier denn nun eigentlich kritisiert werden? Sind die Missstände zurückzuführen auf allgemeine gesellschaftliche

Die LiMA 2011 hat es zumindest teilweise vorgemacht. Doch auch hier wurde deutlich, dass die linke Medienlandschaft den selben Zwängen unterworfen ist wie alle anderen. Auch sie lässt sich von Markt und Zielgruppe leiten. Die Suche nach alternativen Repräsentationsformen bleibt also zentrale Herausforderung für jeden einzelnen Journalisten.

Muriel Nieberg, Berlin, 19 Jahre Studiert Sozial- und Kulturanthropologie an der FU Berlin und engagiert sich bei der Jugendpresse.

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Alles nur eine Frage des Geldes?

Für Qualität im Journalismus fehlt heutzutage oftmals das Geld. Im Internet werden bereits alternative Modelle ausprobiert. Auch auf der LiMA wird darüber heiSS diskutiert.

VON roland richtstein hier wird zur Kasse gebeten: Qualitätsjournalismus braucht Geld – das zu finden SCHEINT möglich.

diese Weise mehrere tausend Dollar ein und auch der Hausblog der deutschen taz erhält so monatlich vierstellige Eurobeträge. Doch gerade unbekanntere Blogs müssen hart kämpfen, um auf ein solches Finanzniveuau zu kommen. Auch nicht ganz unkritisch ist, dass vor allem meinungsstarke Artikel gefördert werden und weniger Publikationen mit einer aufwendigen Recherche. Diese zwar recht basisdemokratische Förderung von Inhalten könnte zu einer Boulevardisierung im Netz führen, wenn sich Medienschaffende nur noch auf Themen spezialisieren, die viel Geld bringen. JOUrnalist per mausklick

Foto: Julia Kneuse

Ebenfalls sehr innovativ ist der Ansatz der Non-Profit-Organisation Spot.us. Hier ist die anonyme Masse der Internetnutzer der Kapitalgeber und bucht „ihren“ Journalisten, damit er für sie Recherchen zu einem ganz konkreten Thema anstellt und darüber berichtet. Ob die journalistische Unabhängigkeit bei dieser Idee gewahrt bleibt, ist ungewiss. So fremd ist diese Situation aber auch den sogenannten Leitmedien nicht. Durch Anzeigen finanziert, müssen sie in einem ständigen Prozess ihre eigene Seriosität und Unabhängigkeit beweisen.

Ach, der Qualitätsjournalismus hat es schwer. Neben Gott, dem Kabarett und den Linken wird er wohl am häufigsten für tot erklärt. Warum auch nicht? Die meisten Medien bieten eine Fülle von Möglichkeiten, sich über die banalsten Banalitäten zu informieren. Ist das noch Qualitätsjournalismus? Die Verleger erwähnen es ja oft genug: Die Wirtschaftskrise hat allen Medienschaffenden Schwierigkeiten bereitet. Waren es vor der Krise "nur" Auflagenrückgänge im einstelligen Prozentbereich, ist spätestens seit 2009 immer wieder von Entlassungswellen und Sparmaßnahmen zu lesen. An der wehrlosen Qualität wird dabei immer als Erstes gespart. Gleichzeitig gibt es ein unglaubliches Interesse von Privatpersonen, Medien im Internet zu produzieren. Doch zu Recht wird auch hier die Frage nach der Qualität gestellt. Denn

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so leidenschaftlich der neue Bürgerjournalismus auch sein mag, es kostet Zeit und viele persönliche Ressourcen. Ist Qualitätsjournalismus damit ein Luxus, den nur ökonomisch Abgesicherte betreiben können?

Jammern macht Spaß, aber man sollte vorsichtig sein den Qualitätsjournalismus ständig totzureden und so Chancen ungenutzt verstreichen zu lassen. Ja, die Medienbranche befindet sich im Umbruch. Ja, wir müssen unser Bild vom Qualitätsmedium und "dem" Journalisten ändern. Ja, die bisherigen Modelle sind noch nicht perfekt. Dennoch zeigt die momentane Entwicklung, dass die Zukunft voll innovativer Ansätze sein wird. Eine absolute Lösung gibt es nicht und wahrscheinlich wird es eine Mischung aus mehreren Ansätzen brauchen, um interessierte Leser weiterhin mit qualitativ hochwertigen Informationen zu versorgen. Das ist eine Herausforderung – aber eine, die zu bewaltigen ist.

Tausende dollar für Blogger

Diese Frage wurde auch in einem Workshop der LiMA diskutiert. In diesem Rahmen wurden Lösungsvorschläge zu alternativen Finanzierungsmodellen präsentiert. Die bekanntesten Modelle dazu sind wahrscheinlich Sozial-Bezahl-Systeme wie Flattr und Kachingle. Diese bieten die Möglichkeit, Autoren für ihre Artikel mit einem freiwilligen Kleinstbetrag zu unterstützen. In der Summe kommen so Beträge zusammen, die die finanzielle Situation eines Journalisten merklich verbessern. Bekannte Blogger in den USA nehmen auf

Roland Richtstein Berlin, 20 Jahre

Macht ein freiwilliges soziales Jahr/Kultur bei der Jugendpresse.


die tägliche portion Marxismus

Beobachtet vom Verfassungsschutz produziert eine kleine Redaktion die marxistische Tageseitung junge Welt in Berlin. Wir haben einen Blick hinter die Kulissen des ehemaligen FDJ-Blattes geworfen.

VON Fritz HabekuSS

Die Zigaretten sind selbst gedreht, was auch sonst. Mit Blick vom Raucher-Balkon auf die Torstraße im Stadtteil Prenzlauer Berg ziehen die Redakteure an ihren Kippen, in der linken Hand einen Kaffeebecher. Auch in jder Redaktion der marxistischen Tageszeitung unge Welt haben die Mitarbeiter die typischen Journalisten-Laster. Untypisch ist hingegen der Empfang. Eine riesige Leinwand begrüßt den Besucher in der Redaktion, sie zeigt eine Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Dem stellvertretenden Chefredakteur Rüdiger Göbel ist das Bild „ein bisschen zu militaristisch“, obwohl es – natürlich – ein Zeichen gegen Militarismus ist.

18.000 Exemplaren. Tendenz steigend. „Als einzige Tageszeitung“, erzählt Vize-Chef Rüdiger Göbel stolz. Stolz kann er auch sein, allein wegen der unglaublichen Arbeitsleistung, welche die Redakteure Tag für Tag erbringen: Weniger als 20 arbeiten an dem Blatt, das immer mit mindestens mit 16 Seiten erscheint. Das Prinzip Selbstausbeutung, wie es Göbel nennt, bestimmt und ermöglicht das Erscheinen der jungen Welt.

Aktualität hinten an, die jW liefert laut eigener Aussage lieber Hintergrund und Analyse. Außerdem erscheinen regelmäßig Seiten zu typisch linken Themen wie Antifa oder Feminismus. Darin sehen die Chefs das Alleinstellungsmerkmal des Blattes. Mit Verweis auf die Vorgänge in Libyen sagt Schölzel: „Die westlichen Medien versagen total. In solchen Situationen schlägt die Stunde der jW.“

Einflussreiches Blatt der Linken bewegung

Insgesamt sei das Verhältnis der jungen Welt zur Gewalt nicht geklärt. Sagt zumindest der Verfassungsschutz. Darauf angesprochen lacht Chefredakteur Arnold Schölzel nur: „Es hieß vor einigen Jahren, dass wir ‚das einflussreichste Blatt in der linksextremistischen Szene’ wären. Naja. Aber den Superlativ haben sie uns dann gestrichen. Das ist natürlich bedenklich“, sagt der Chefredakteur mit einem Lächeln. Wahrscheinlich hat er diesen Witz schon oft gebracht. In der Gesprächsrunde der LiMA-Teilnehmenden kreist das Gespräch oft um Vertriebsprobleme, Andruckzeiten oder Redaktionssysteme. Interessant wird es dann, wenn die beiden führenden Köpfe der Zeitung über das Selbstverständnis ihrer Arbeit reden. Bei allem Idealismus, den man offenbar braucht um trotz des geringen Gehalt für die junge Welt zu arbeiten, ein harmonisches Kollektiv sei man in der Redaktion keineswegs, sagt Göbel. Bei der kurzen Führung durch die Redaktionsräume ist von schlechter Stimmung nicht viel zu merken. Auffällig bloß die Plakate, mit denen die Zeitung für sich wirbt: „Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen“, ist der prominenteste Slogan mit der die junge Welt Stellung bezieht. Die Zeitung hat eine bewegte Vergangenheit: 1947 gegründet, war sie das FDJ-Zentralorgan und hatte weit mehr als eine Million Abos in der DDR. Nach der Wende sank die Auflage rapide, nicht zuletzt, weil die Zeitung „ausgenommen wurde, wie eine Weihnachtsgans“, wie Chefredakteur Schölzel den Besuchern erklärt. Heute liegt die Auflage bei rund

Auf Demos wirbt die junge Welt um neue Leser. Auf diesem Sonnenschirm steht der Slogan: „Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken wie sie lügen.“ Foto: Julia Kneuse

Bekannter im westen werden

Gelesen wird das Blatt überraschenderweise nicht nur im Osten: Laut Schölzel werden über 40 Prozent der Ausgaben in den alten Bundesländern verkauft, auch beim Alter sei die Leserschaft gemischt. Im Moment versuche man, die Zeitung im Westen bekannter zu machen. Debatten, wie die jüngste Kommunismus-Diskussion um die LINKE, die durch einen jw-Artikel ausgelöst wurde, helfen dabei. Von „spezifisch sozialen Problemen“, berichte die Zeitung. Dabei arbeitet sie nach dem Prinzip Entschleunigung, erzählen die Chefs. Dahinter steckt eher eine Not denn eine Tugend. Die ersten Seiten werden um 18 Uhr gedruckt. Von wichtigen Nachrichten, die später herein kommen, liest der Leser höchstens erst am übernächsten Tag. Auch die personelle Situation lässt kaum anderes zu: Mit der dünnen Stammbesetzung steht

Jetzt, um 13 Uhr, ist es aber erstmal Zeit für die Mittagskonferenz. Die Redakteure kommen aus ihren Büros, kurz fragt der Chef den aktuellen Stand und die Nachrichtenlage ab. Nichts hat sich seit dem Morgen geändert. Fünf Minuten, die Konferenz ist vorbei. Die Tür zum Redaktionsraum schließt sich, es wird wieder ruhig. Nur das Plakat fordert schrill und in krakeliger Schrift auf, zu „lernen, wie wir kämpfen müssen."

Fritz Habekuß Dortmund, 21 Jahre Studiert Wissenschaftsjournalismus und schreibt u.a. für die Märkische Allgemeine und SPIEGEL Online.

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memory: finde den rechten Linken die linke szene ist voll bekannter gesichter. verbindet jeweils zwe Persรถnlichkeiten miteinander, die eine gemeinsamkeit auf sich vereinen. jeder deckel findet seinen Topf. VON angela schuberth und anne kratzer

Che Guevara, Fidel Castro (Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C.); Gesine Lรถtzsch (www.sozialisten.de ); Klaus Ernst (Die LINKE); Gerhard Schrรถder (Deutscher Bundestag, Lichtblick/Achim Melde); Karl Lieb

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bknecht (wikimedia, G.G Bain); Rosa Luxemburg (Rosa-Luxemburg-Stiftung, www.rosalux.de); Jean-Paul Sartre (wikipedia); Simone de Beauvoir (flickr.com, zio fabio)

Che Guevara + Fidel Castro = Die Beiden trieben die Revolution in Kuba an. Karl Liebknecht + Rosa Luxemburg = Gründeten den Spartakusbund und wurden später beide von Freikorpssoldaten ermordet. Gesine Lötzsch + Klaus Ernst = Bilden die aktuelle Doppelspitze der Partei DIE LINKE. Oskar Lafontaine + Gerhard Schröder = Waren an der Regierungsbildung in der SPD beteiligt, wobei Lafontaine 2005 aus der Partei austrat und bis 2009 Fraktionsführer DER LINKEN war. Jean-Paul Sartre + Simone de Beauvoir = Das Philosophenpaar teilte die Idee des Existenzialismus.


Die Welt verändern – aber nur ein bisschen

Ein Theaterstück über die Besetzung einer Fabrik und gewerkschaftliches Engagement.

Foto: Julia Kneuse

VON Angela SchubertH

inszenierte ohnmacht was tun, wenn der betrieb plötzlich schlieSSen muss?

Die Kündigung kommt plötzlich, Gründe werden keine genannt, elf Menschen stehen fassungslos im Raum. Die Firma wird den Betrieb ab morgen einstellen: Mehr steht nicht in den Entlassungsschreiben. Neben Fassungslosigkeit und Enttäuschung entsteht auch Zorn. Man müsste eigentlich an den Bodyguards am Werktor vorbei und den Betrieb heimlich weiterführen... Sie schaffen es tatsächlich und führen die Arbeit zunächst fort. Der Protest scheint aussichtslos, denn der Verkauf des Betriebsgeländes steht bevor, ein Polizeiaufgebot soll die Räumung unterstützen. Gerade als sich ein verzweifelter Arbeiter von einem Kran in den Tod stürzen will, lenkt die Betriebsleitung ein. Die Belegschaft erhält ihre Jobs zurück, arbeitet wieder von acht bis fünf – montags bis freitags. Doch die ständige Angst vor Lohnkürzungen und unfairer Behandlung bleibt. Theater mal anders

Das Weber-Herzog Musiktheater ist ein Straßentheater, das auch schon mal auf Demonstrationen ihre Theaterstücke inszeniert. Es besteht aus interessierten Laien, die in dem Theaterstück Und raus bist du noch lange nicht zum ersten Mal Bühnenerfahrung gesammelt haben. Christa Weber, die Autorin des Stücks, wurde durch einen Zeitungsartikel über die Besetzung einer Firma in Italien zu dem Theaterstück inspiriert. Dort war es Arbeitern gelungen, die Schließung des Betriebes zu stop-

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pen. In ihrem Bekanntenkreis fragte sie nach interessierten Mitmachern für die Aufführung, bis schließlich die Proben beginnen konnten. nur phrasendrescherei

Die Arbeiterlyrik, in dem das Stück verfasst ist, wirkt seltsam veraltet und spricht somit nicht Jeden unmittelbar an. Die Arbeiter singen vom „Brot verdienen im Schweiße unseres Angesichts“ und schlussfolgern anschließend: „Wie viel einfacher wäre es doch, würden wir Gras essen.“ Phrasen, die in der heutigen Zeit aufgesetzt und lebensfern wirken. Positiv ist, dass sich das Theater so von einer elitären Hochkultur absetzt. Auch die Musikbegleitung erleichtert den Zugang zum Thema. Die traditionelle Begleitung eines kommentierenden Erzählers und der Chor erinnern stark an das Arbeitertheater im Sinne von Bertoldt Brecht. Allerdings hätte ein Lösen von dieser starren Form eine Identifikation mit den Arbeitern und ihrer Situation erleichtert. Gut dargestellt ist die Entwicklung der Einstellung der Arbeiter. Dass sich nicht von Anfang an die ganze Gruppe für die Besetzung begeistert, ist realistisch, genauso wie die Zweifel der Arbeiter an ihrer eigenen Bedeutung und dem Wert ihrer Arbeit. Das sind Problematiken, die mit den Jahrzehnten nicht an Aktualität verloren haben – ganz im Gegenteil.

pathetische wendung zum happy end

Wie groß ist die Chance bei einer plötzlichen Kündigung doch den Job zu behalten? Wie realistisch ist es, naiv an ein Happy End zu glauben und mit dem Gemeinsam-sind-wirstark-Pathos am Traum der Vollbeschäftigung festzuhalten? Es wirkt nahezu höhnisch für all diejenigen, die gerne (wieder) arbeiten würden und trotz allem Engagements kein Glück haben – denn für den Erfolg der Arbeiter sind weniger konkrete Ideen und Beschlüsse verantwortlich als das bekannte Quäntchen Glück. Aber sicher auch Mut – und den beschwört dieses Theaterstück zu Genüge. Die Frage Resignation oder Kampf wird eindeutig beantwortet. Das Stück ruft zum Aktivwerden auf. Doch fehlt es in der Umsetzung an Revolution. Die Aufführung wirkt am Ende eher bieder. Linkes Theater sollte radikaler sein, denn das Streben nach einer besseren Gesellschaft darf nicht mit seichten Kompromissen enden.

Angela Schuberth Erlangen, 18 Jahre

Macht gerade ihr Abitur und schreibt für die Nürnberger Nachrichten.


Mit Pfeifen und Trommeln zum Erfolg

Arbeiter besetzen ihre Firma und treffen die Entscheidungen. Medien und Regierungen helfen Nur zögernd – warum eigentlich?

VON Yakup özkardes

Mailand im Jahr 2008 – Arbeiter eines Betriebes wehren sich gegen dessen Schließung indem sie ihn besetzen. Aus der Belagerung entsteht der Plan die Firma selbst zu verwalten und alle Entscheidungen unter den Arbeitern abzustimmen – ohne Chefetage versteht sich. Wie oft gab es schon so etwas? Öfter als man denkt. Das Beispiel in Mailand machte Schlagzeilen und löste in Italien eine Welle von Betriebsbesetzungen aus. Wer vertritt heute noch die Interessen der Arbeiterschicht? Wieso musste es soweit kommen? Warum wurden die Interessen der Mitarbeiter nicht ausreichend vertreten? Die Medien haben einen erheblichen Anteil daran, so Christa Weber. Ähnlich wie im Stück beschrieben, versuchte in Mailand der Betriebsleiter seine Macht wieder herzustellen. Die Streikenden wurden weder von der Gewerkschaft noch von der Regierung unterstützt. Im Gegenteil: Mit massivem Einsatz versuchte die Polizei die Arbeiter vom Betriebsgelände zu entfernen.

Situation sehr wohl verändern kann. Wenn genug Leute aufwachen, die Lage erkennen und für ihr Recht protestieren, dann kippt das Ganze, so Weber weiter. Die Medien in Mailand berichteten über die Besetzung mehrere Tage lang, eine Solidarisierung mit den Arbeitern in der Bevölkerung war die Folge. Der mediale Druck wuchs und die Regierung hatte keine andere Wahl als sich zurückzuziehen und die Gewerkschaft begann sich mit der Problematik auseinander zu setzen. Der generalstreik als umfassende unterbrechung des alltags

Im Gegensatz zu den Deutschen besitzen Länder wie Frankreich und Großbritanien ein starkes Druckmittel, um Forderungen gegen die Politik durchzusetzen – den Generalstreik. Im Jahr 2010 streikten die Franzosen gegen die Rentenreform der Regierung. Der Streik und damit der

carmen zachert, 22, spielt eine Arbeiterin im Stück von christa weber, 55, die als erzähleriin durch die geschichte führt.

verhinderte im Jahr 1920 den Kapp-Putsch. In der Verfassung der Bundesrepublik ist ein Generalstreik bis zum heutigen Tag nicht vorgesehen. Carmen Zachert, 22 Jahre, Studentin und Schauspielerin im Theaterstück Raus bist du noch lange nicht kennt sich „mit diesem Thema noch nicht so gut aus." Per Zufall in das Stück geraten, erzählt sie von den Eindrücken, die sie im Theater gemacht hat. Mit Menschen die Probleme haben, die sie als Studentin allerdings nicht kennt, nahm sie soziale Probleme besser wahr. Während der Proben lernte sie die anderen Gruppenteilnehmer besser kennen und erfuhr von Themen wie Arbeitslosigkeit. Allerdings glaubt auch sie, dass die Medien sehr einseitig und viel zu kurz über die Probleme der Arbeiter berichten. Größere Zusammenhänge werden nicht hergestellt und es wird nur punktuell berichtet, sodass man den roten Faden nicht erkennt. mut machen und sich für die eigenen ziele einsetzen

Foto: Julia Kneuse

Eines war Christa Weber bei ihrem Theaterstück wichtig: In erster Linie wollte sie mit dem Stück Mut machen und die Menschen dazu bewegen, sich einzusetzen. Nervig findet sie die Inszenierungen in den Staatstheatern, in denen der Mensch und seine Situation oft als unveränderlich gelten. Am Ende des Stückes geben die Arbeiter die Selbstverwaltung wieder auf und führen die früheren Arbeitsverhältnisse einfach wieder ein das könnte man als Rückentwicklung interpretieren. Der Glaube allerdings, die eigene Situation zu verändern, ist das gute Recht eines jeden Menschens. Wer nicht an etwas glaubt, auch wenn die Sache nach Meinung Dritter aussichtslos ist, muss sich nicht wundern, wenn in seinem Leben keine Veränderung eintritt.

negative Berichterstattung über die arbeiterproteste

Hier in Deutschland ist die Berichterstattung über Streiks, Demonstrationen oder Forderungen der Arbeiter größtenteils negativ, findet Christa Weber (55). „Oftmals zeigen Medien die Probleme der Arbeiterschaft gar nicht.“ Wo wenig, negative oder gar keine Berichterstattung stattfindet, kann auch keine Veränderung passieren. Das Beispiel in Mailand allerdings zeigt, dass sich die

Zusammenbruch der öffentlichen Verkehrswege führte zu großem Druck auf die Regierung und verzögerte die Verabschiedung des Gesetzes zum Renteneintrittsalter. Der Generalstreik ist deshalb so wirksam, weil er eine umfassende Unterbrechung des Alltags ist. Alle Medien berichten zwangsweise darüber, alle sind auf der Straße und keiner kann sich dem Thema entziehen. Die Menschen müssen sich damit befassen. Der erfolgreichste Generalstreik Deutschlands, der gleichzeitig auch ein politischer war,

Yakup Özkardes, Trier, 22 Jahre Studiert Sinologie und Geschichte- Er schreibt für die „Jugendnachrichten“ und für die „Stimme der Aleviten“.

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„links ist ein solidarisches lebensgefühl.“ Der rote Indianer ohne limits

Christoph Nitz, veranstalter der LiMA, ist ein Mann, der sich nur schwer beschreiben lässt. Er fordert Grenzenlosigkeit und lebt sie jeden Tag. Der Versuch eines Porträts.

VON natascha verbücheln Mit 30 nach London, mit 40 nach New York – so der Plan des 17-jährigen Christoph Nitz, als er vor vielen Jahren nach Berlin kam. Er wollte Grenzen überwinden, die Welt entdecken. Das will der 46-jährige Netzwerker auch heute noch, aber inzwischen ist die Linke Medienakademie seine Welt, in der er mit Herzblut und bisweilen lautem Geschrei agiert. ein nein-sager ohne konventionen

Nitz stammt aus einer konservativen Mittelstands-Familie aus Tübingen. Nach einem abgebrochenen Wirtschaftsstudium folgt die Germanistik, parallel engagiert er sich als DJ und Journalist. Der Bruch mit seiner Familie folgt schnell; der Eintritt bei DEN GRÜNEN ist nur ein Grund. „Mein Vater fand Nein-Sager schrecklich. Und ich mag keine Konventionen.“ Über eine Stelle beim Neuen Deutschland kommt Nitz in die Hauptstadt, die Rhetorik von Gregor Gysi lockt ihn zur PDS. Als Schwabe hat er Fleiß ins planlose Berlin der Linken gebracht. Inzwischen schätzt er Chaos als „positive Lebendigkeit“. Ein Zeichen setzen, reale und ideelle Grenzen nicht zu akzeptieren – das treibt ihn an. „Ich setze mich über die Grenzen hinweg, die andere Menschen schaffen. Die schlimmste Grenze ist die Angst.“ Ehrgeiz und Leidenschaft motivieren ihn bei allem, was er anfängt. Und das ist eine ganze Menge: Er ist Journalist, Graphiker, Dozent, Politiker und auch Student. Am besten fühlt sich Nitz noch

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als Netzwerker beschrieben. „Ich mag es, in Zusammenhängen zu denken und gemeinsam Skizzen zu entwickeln.“ Die Reinzeichnung überlasse er lieber anderen. Trotz aller Grenzenlosigkeit, eine Grenze ist Nitz sehr wichtig: die Trennung von politischer Einstellung und journalistischer Arbeit. „Man kann viele Rollen in der Gesellschaft einnehmen, wenn einem bewusst ist, in welcher man gerade steckt; und es dann nicht zu Grenzüberschreitungen kommt.“ Er selbst hält sich für unabhängig, Politik-Themen vermeide er dennoch. netzwerker im designer-anzug

Sein Lebensmotto (eine Songzeile von John Lennon) ist anspruchsvoll: „there's no problem, only solutions“. Es fordert sehr viel, aber es passt zu dem aufgeschlossenen Mann, der während der LiMA 17 Stunden am Tag Lösungen zu finden versucht. Oftmals – wenn es mal wieder nicht so rund läuft – macht er sich mit heftigen Wutausbrüchen Luft. „Als Netzwerker muss man überzeugen können. Und dann überzeuge ich der Einfachheit halber direkt laut“, meint Nitz provokant. Eine Rechtfertigung klingt anders; er ist absolut überzeugt von sich, selbstbewusst, und auch ein wenig eitel, wenn er minutenlang über seinen Hugo-Boss-Anzug erzählt. Was bedeutet links für den Schwaben, der mit allen per Du ist? „Es ist ein solidarisches Lebensgefühl: Ich stehe eher auf der Seite der Indianer, als ein Cowboy zu sein. Das

wünsche ich mir auch von der Gesellschaft.“ Er sei weder extremer Marxist noch halbtagsLinker. „Ich bin zunächst einmal Mensch – immer links, aber kein Hardliner. Ich mag gerne auch gut leben.“ shoppen am samstag

Gut leben, das macht Nitz an DesignerKleidung und Musik fest. Auch hier setzt er sich über Klischees hinweg, wenn er offen zugibt, sehr gerne und sehr lange shoppen zu gehen – etwas, das zu seinem perfekten Samstag einfach dazugehört: „Ich würde spät aufstehen, baden, brunchen, den Nachmittag verquatschen und abends in einen Club gehen.“ Klingt eher nach einem gemütlichen Genießer als dem cholerischen Veranstalter der LiMA. Ein Widerspruch ist es aber nicht. Denn den gibt es in der Grenzenlosigkeit nicht. Und vielleicht sitzt er nächstes Jahr ja doch in London oder New York.

Natascha Verbücheln Krefeld, 21 Jahre Arbeitet als Journalistin für die Rheinische Post und studiert Biologie und Deutsch auf Lehramt.


einmal mehr: lima-veranstalter christoph nitz l채sst sich nur schwer auf eine eigenschaft festlegen. Foto: Julia Kneuse

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im pres s um

f ris ch , f r u ch tig, s e l b s tgepr e s s t

Diese Ausgabe von politikorange entstand auf der 8. Linken Medienakademie, die vom 09. bis 13. März 2011 in Berlin stattfand. Herausgeber und Redaktion: politikorange –

Als Veranstaltungszeitung, Magazin, Onlinedienst und Radioprogramm erreicht das Mediennetzwerk politikorange seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fortschritt, Kongresse, Parteiund Jugendmedientage – politikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Autoren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchtigen, anderen Perspektive. Das Multimedium

Foto: Julia Kneuse

politikorange wurde 2002 als Veranstaltungsmagazin ins Leben gerufen. Seit den Politiktagen gehören Kongresse, Festivals und Jugendmedienevents zum Printund Online-Programm. 2004 erschienen die ersten Themenmagazine: staeffi* und ortschritt*. Während der Jugendmedientage 2005 wurden erstmals Infos rund um die Veranstaltung live im Radio ausgestrahlt und eine 60-minütige Sendung produziert.

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Wie komm’ ich da ran?

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen, über die Landesverbände der Jugendpresse Deutschland und als Beilagen in Tageszeitungen verteilt. Radiosendungen strahlen wir mit wechselnden Sendepartnern aus. Auf www.politikorange.de berichten wir live von Kongressen und Großveranstaltungen. Dort stehen bereits über 50 politikorange-Ausgaben und unsere Radiosendungen im Archiv zum Download bereit. Warum politikorange?

In einer Gesellschaft, in der oft über das fehlende Engagement von Jugendlichen diskutiert wird, begeistern wir für eigenständiges Denken und Handeln. politikorange informiert über das Engagement anderer und motiviert zur Eigeninitiative. Und politikorange selbst ist Engagement – denn politikorange ist frisch, fruchtig und selbstgepresst.

Netzwerk Demokratie­offensive,

Wer macht politikorange?

c/o Jugendpresse Deutschland e.V.,

Junge Journalisten – sie recherchieren, berichten und kommentieren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, dem stehen hier alle Türen offen. Genauso willkommen sind begeisterte Knipser und kreative Köpfe fürs Layout. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Ständig wechselnde Redaktionsteams sorgen dafür, dass politikorange immer frisch und fruchtig bleibt. Viele erfahrene Jungjournalisten der Jugendpresse stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin, www.politikorange.de Projektleitung: Florian Hirsch (f.hirsch@jugendpresse.de) Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Natascha Verbücheln (n.verbuecheln@web.de), Juliane Jesse (juliane.jesse@googlemail.com) Redaktionsleitung: Yakup Özkardes (yakup.oezkardes@web.de) Redaktion: Fritz Habekuß, Laura Ilg, Anne

Kratzer,

Roland

Richtstein,

Angela Schuberth

Wer heiß auf‘s Schreiben, Fotografieren oder Mitschneiden ist, findet Informationen zum Mitmachen im Internet unter www.politi korange.de oder schreibt an mitmachen@politikorange.de. Die frischesten Mitmachmöglichkeiten landen dann direkt in Deinem Postfach.

Fotos und Bildredaktion: Julia Kneuse (julia@kneuse.de) Layout: Juliane Jesse, Florian Hirsch Projektleitung: Florian Hirsch (f.hirsch@jugendpresse.de) Druck: MediaService GmbH Auflage: 2.000 Exemplare


Journalisten aller Länder vereint euch

Eine kritische Presse ist nicht selbstverständlich. Reporter ohne Grenzen will auf Missstände aufmerksam machen.

VON Angela schuberth und yakup özkardes

Auf dieser Liste möchte niemand stehen: Jährlich veröffentlicht die Organisation Reporter ohne Grenzen eine Aufzählung von Feinden der Pressefreiheit; aktuell 40 an der Zahl. Terroristische Organisationen wie die ETA, Diktatoren wie Kim Jong-Il oder organisierte Kriminalität in Italien haben eines gemeinsam: Sie beschränken die freie Berichterstattung in ihrem Land und unterdrücken Medienschaffende. Nicht immer beruhen diese Angriffe auf körperlicher Gewalt. Der übermäßige Einfluss vom Staat auf die Medien zählt ebenfalls dazu, wie wirtschaftliche Abhängigkeiten und Monopole. Die Forderung nach Pressefreiheit bleibt in Ländern wie Iran oder in Russland bisher unerfüllt. "öffentlichkeit ist besser als keine öffentlichkeit"

Reporter ohne Grenzen (kurz ROG) hat sich zum Ziel gesetzt, die Presse- und Meinungsfreiheit weltweit zu etablieren und zu stärken. Ähnlich wie viele NGOs arbeitet die Organisation mit weltweit verstreuten Korrespondenten, die Informationen über ihre Regionen sammeln. In erster Linie wollen sie die Bevölkerung und politische Entscheidungsträger über die im Land herrschenden Missstände informieren. Doch dabei haben sie oft mit

Hindernissen zu kämpfen. Kriege, irreführende Informationen oder Korruption im Land behindern die Arbeit der Reporter. Christian Rickerts, Geschäftsführer von ROG, fasst die Philosophie seiner Arbeit so zusammen: „Öffentlichkeit ist besser als keine Öffentlichkeit“. Jeder noch so kleine Erfolg wird als Weg zum Durchbruch gewertet. Deutlich wird beim Blick auf die Statistiken, vor allem auch wie notwendig es ist, eine Öffentlichkeit herzustellen. Allein in diesem Jahr wurden weltweit sieben Journalisten getötet und 153 inhaftiert. Neben den Veröffentlichungen – dazu gehört auch das bekannte Ranking der Pressefreiheit – hat ROG einen weiteren Aufgabenbereich: die unmittelbare Hilfe für bedrohte Journalisten. Mitarbeiter organisieren Rechtsanwälte und helfen betroffenen Journalisten – im Notfall auch bei der Flucht aus dem Land. Inzwischen sind viele Möglichkeiten durch das Internet entstanden, um als Blogger auch in einem autoritären Regime eine kritische Meinung zu veröffentlichen. Natürlich versuchen Regierungen dagegen vorzugehen. im kampf gegen die internetzensur

Kritische Blogger mundtot machen, Seiten sperren. Seit drei Jahren mahnt der Tag

der Internetzensur, am 12. März, die Missstände im Medium Internet an. Da das Internet eine immer wichtigere Rolle für die Meinungsvielfalt der Menschen spielt, versuchen immer mehr autoritär regierte Länder ihren Einfluss darauf zu vergrößern. Sie machen kritische Blogger mundtot, indem ihre Seiten gesperrt oder Suchanfragen gefiltert werden. ROG beobachtet diese Entwicklung kritisch. Allein die Tatsache, dass ein Drittel aller Internetnutzer weltweit manipulierte Seiten besucht, so Christian Rickerts, deutet auf den hohen Handlungsbedarf in dieser Thematik hin. Mit der Liste "Feinde des Internets" versucht die Organisation zu zeigen, in welchen Ländern konkreter Handlungsbedarf besteht. Dem Zensurwahn sind keine Grenzen gesetzt, wie das Beispiel China zeigt. Hier ist es üblich, das Design kritischer Blogs auf eine gespiegelte Seite zu übernehmen, die Inhalte aber regierungstreu zu ändern. Der Verfasser selbst merkt davon nichts, die User lesen nur die manipulierte Seite. Auch wenn – oder gerade weil die Presse hierzulande relativ frei berichten kann, sollte man sich für die Arbeit von ROG einsetzen, fordert Rickerts: „Es ist wichtig sich solidarisch zu zeigen und sich für ein wichtiges Gut wie die Pressefreiheit einzusetzen.“

FruchtflEisch WAS HAT EUCH AUF DER LiMA 2011 UNTER DEM MOTTO "GRENZENLOS" AM MEISTEN VERWUNDERT? VON Angela schuberth und Laura Ilg „keine transparenz“

„Infos statt meinung"

„solidarität fehlt“

robert mayer, chemnitz, 22 Jahre

Sophie Krentel, Bonn, 20 Jahre

student und freier journalist

macht ein freiwilliges soziales Jahr

ingo höhmann berlin, 57 Jahre aquisiteur der Jungen welt

„teilnehmer wurden nur unzu-

„Ich finde gut, dass es den

„jemand bezeichnete die junge Welt

reichend über ausfallende

Dozenten um Inhalte und Informa-

als hetzblaTt das ist nicht sehr

veranstaltungen informiert.“

tionen über Medien geht.“

links und keinesfalls solidarisch.“

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650 jahre Neukoelln in Bildern VON yakup özkardes

Gähnende Langeweile in Berlin Neukölln. Hier kämpfen die Bären im Wald, während draußen Kriege geführt werden, große Hochkulturen entstehen und wieder untergehen. Erst vor 650 Jahren ließen sich die ersten Germanenstämme nieder; heute leben dort über 165 Nationalitäten auf dicht besiedeltem Raum. Die Geschichte des bewegten Stadtteils greift nun ein Comic-Buch auf, das auch auf der LiMA vorgestellt wurde. „Zum 650-jährigen Jubiläum des Stadtteils Neukölln muss etwas besonderes entstehen“, dachte sich die Leiterin des Kulturamtes, Dorothea Kolland. Eine Festschrift, wie es bei Jubiläen übrig ist, interessierte sie nicht. Zusammen mit der Filmemacherin und Zeichnerin Anna Faroqhi kam sie auf die Idee, in einem Comic die Geschichte des Stadtteils zu skizzieren.

Im humorvollen Schnelldurchlauf erfährt der Leser einiges Kurioses, Interessantes und Brisantes. Denn ruhig blieb es in Neukölln, das bis 1912 Rixdorf hieß, nicht lange. Nach den Germanen entbrannte ein Konfessionsstreit: Im 30-jährigen Krieg sorgten Katholiken und Protestanten für ordentliches Durcheinander im Kiez, aber auch für jede Menge Elend. Weiter geht es mit einem deutschen Kaiser, dem der Ruf des angeblich frivolen Stadtteils missfiel, Nationalsozialisten und den ersten arbeitslosen Kiez-Bewohnern. Menschen und ihre Geschichten stehen hier im Vordergrund, keine Jahreszahlen. Auch die Zeichnerin hat sich in dem 119-seitigen Buch selbst verewigt. Gegähnt wird anderswo. Wir meinen: So macht Geschichte Spaß!


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