POP Kultur und Kritik #7

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K u lt u r &   Kritik

Alkohol Blockchain Varoufakis Remake Essen

Heft 7 Herbst 2015


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»POP. Kultur und Kritik« erscheint in zwei Ausgaben pro Jahr, im März und September. Jahresabonnement inklusive Versand: Deutschland: 30 Euro International: 40 Euro, Einzelausgabe E-Journal: 16,80 Euro Jahresabonnement E-Journal: 30 Euro Bundle (Printausgabe und digitale Ausgabe): 20 Euro Jahresabonnement Bundle (inklusive Versand): Deutschland: 36,00 Euro, international: 45,00 Euro Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn nicht bis zum 1. Februar eines Jahres gekündigt wird. Bestellung und Abonnement: vertrieb @ transcript - verlag.de Telefon: + 49 521 3937970, Fax: + 49 521 39379734 Weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de/pop Die Zeitschrift »POP. Kultur und Kritik« ist auch über jede Buchhandlung erhältlich.


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G r o c e r i e s M e l f i e Š Jackson Eaton

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POP . K u l t u r u n d K r i t i k Heft 7 Herbst 2015

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POP . K u l t u r u n d K r i t i k Heft 7 Herbst 2015

INha lt RUBRI K EN : Z u r Z e i t , E s s a y s u n d F o r s c h u n g s b e i t r ag

Zur Zeit Jochen Venus Da s G a m e - o v e r - G a m e . Ein Rückblick a u f Ya n i s Va r o u f ak i s

S. 10 Georg Simmerl / Joseph Vogl Griechenland und die Vernunft des gegenwärtigen Finanzregimes

S. 16 Thomas Hecken Griechisches Volk, e u r o pä i s c h e V e r stä n d i g u n g S. 23


Wolfgang Ullrich Siegerkunst S. 28

Daniel Hornuff D e s i g n d e r E i g e n t l i c hk e i t

S. 34 Nicolas Pethes A n y g i v e n Sa t u r d a y : Zur Prosa des Sports

S. 41 Sonja Eismann Cyborg in der Wildnis. Posthumane Mode

S. 48 Adam Harper Wie klingt das Internet?

S. 56 Dirk Matejovski R e t r o - Maga z i n e . S e h n s u c h t s o r t V e r ga n g e n h e i t

S. 62 Christina Bartz Bewertungsfernsehen

S. 70 Kai-Uwe Hellmann Wertschöpfung q u a K u n d e u n d d i e H e r r s c ha f t d e r Ma s c h i n e n

S. 75 Oliver Leistert B i t c o i n u n d B l o c k c ha i n

S. 80 Ramón Reichert S e l f i e C u lt u r e . K o l l e k t i v e s B i l d ha n d e l n 2 . 0

S. 86


Moritz Baßler /Heinz Drügh S c h l e i e r m a c h e r Ä K SC H N

S. 97 Thomas Hecken Pop-Geschichtsschreibung

S. 101

ESS A YS Richard Meltzer D i e w u n d e r b a r e W e lt d e s A l ko h o l s

S. 110 Caspar Battegay Da s e i n g e b i l d e t e E s s e n

S. 130

­FO r SC H UN G S BEITRa G Frank Kelleter Da s R e m ak e a l s F e t i s c hk u n s t . G u s Va n Sa n t s » P s y c h o « u n d di e ab son de r lich e n S e r ialitäte n d e s H o l ly w o o d - K i n o s

­FO r SC H UN G S BEITRa G Martin Butler S. 154

Hinweis zu den Autorinnen und Autoren

S. 177 Impressum

S. 179


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W o r k M e l f i e Š Jackson Eaton


Collage, 2015 Š Shahin Zarinbal


SEITE 8 – 107

Zur Zeit Welche Ereignisse der letzten Zeit lohnen einen Rückblick? Was verdient eine kritische Zusammenfassung? Welche Analysen oder Kommentare zählen nicht zum Konsens der aktuellen Berichterstattung? Feste Autorinnen und Autoren geben darauf Antworten, in jedem Heft in den Bereichen Musik, Mode, Politik, Presse, Kunst, Internet, Multimedia, Technologie, Ökonomie, TV, Design, Sport, Marketing, Literatur. Die Artikel dieser Ausgabe wurden von Mai bis Juli 2015 geschrieben.


P o l i t i k / M u lt i m e d i a

Da s G a m e - o v e r - G a m e Ein Rückblick auf Yanis Varoufakis Jochen Venus

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A

m 6. Juli 2015 hat Yanis Varoufakis eine der erstaunlichsten Politkarrieren beendet, die man in der letzten Zeit beobachten konnte. Mit seinem Rücktritt vom Amt des griechischen Finanzministers ging eine Karriere zu Ende, die mit den Begriffen der modernen Politik nicht beschrieben werden kann. Varoufakis, kurze Amtszeit amalgamierte das Politische mit Motiven der Popästhetik, der virtuellen Sozialität und der Welt digitaler Spiele. Von diesen Motiven her muss sie verstanden werden. Kein pathetisches Grundbekenntnis bildete ihre Basis. Kein mühevoller Aufstieg, kein tragischer Fall lässt sich nacherzählen. Schon gar nicht passt Varoufakis in die illustre Reihe politischer Genies und Helden, Schurken und Gigantomanen, an welcher die Massenmedien das politische Personal messen. Eine ganz neuartige Plakativität und On/Off-Schaltung politischer Prominenz war hier zu beobachten, die nicht narrativ und dramaturgisch funktionierte, sondern ludisch und simulativ. Als bewege er einen künstlich hochgelevelten Avatar seiner selbst, betrat Varoufakis die Bühne der mediatisierten Politik. Und als sei nichts gewesen, hat er diese Bühne wieder verlassen. Game over. Restart. Den politischen Institutionen ist Varoufakis, trotz seines Amtes, fremd geblieben, ihre soziale Geltungskraft hat er kaum tangiert. Beurteilt man den Sachverhalt aus institutioneller Perspektive, ist Varoufakis amateurhaft gescheitert. Jenseits dieser Perspektive aber, vom Standpunkt des Publikums aus betrachtet, konnte Varoufakis einen demonstrativen Erfolg verbuchen. Denn die Institutionen moderner Politik sind für das Publikum seit langem schon POP. Kultur und Kritik ◆ Heft 7 Herbst 2015 ◆ S . 10–15 ◆ © transcript


unverständlich geworden. Die politische Entscheidungslogik orientiert sich heute kaum mehr an fachlich zu rechtfertigenden Sachzielen, sondern an der Pragmatik begrenzt haltbarer Kompromissformeln, die kaum jemand noch im Ernst für überzeugend hält. In diesem Kommunikationsumfeld einer generalisierten Polit-Skepsis lässt sich politisches Charisma (nach Maßgabe des Publikums) u.a. dadurch erarbeiten, dass man die politischen Institutionen nötigt, einen zum Rücktritt vom Amt zu nötigen. So deutlich wie im Fall Varoufakis, ist diese Figur noch nie zu beobachten gewesen. Vielleicht bleibt seine Karriere eine historische Singularität, den ungewöhnlichen Umständen der europäischen Währungsunion und der griechischen Staatsfinanzkrise geschuldet. Vielleicht ist sie aber auch eine historische Erstmaligkeit, mit deren Form auch weiterhin zu rechnen sein wird. Für Letzteres spricht, dass Yanis Varoufakis eine Intellektualität verkörpert, die durch die neuen Kommunikationsverhältnisse des Online-Daseins hervorgebracht worden ist – und dass es genau diese Intellektualität war, die ihn ins Amt gebracht hat. Seinesgleichen könnte noch öfter zu bestaunen sein. Fünf Monate vor seinem Rücktritt war Yanis Varoufakis, politisch notorisch ungebunden und unerprobt, von Alexis Tsipras, dem frisch gewählten Ministerpräsidenten der hellenischen Republik und Vorsitzenden des linksradikalen Parteienbündnisses Syriza, ins Amt berufen worden. Varoufakis sollte auf internationaler Ebene Syrizas Wahlversprechen verwirklichen, die von der Vorgängerregierung vereinbarte Austeritätspolitik zu stoppen. Die Austeritätspolitik war von der europäischen Kommission, dem internationalen Währungsfond und der europäischen Zentralbank als Bedingung gesetzt worden, unter der man das griechische Bankensystem vor dem Kollaps und also das griechische Gemeinwesen vor der Katastrophe bewahren würde. Aus griechischer Perspektive das ›second-worst-case scenario‹: Zwar wurde so die Zahlungsfähigkeit des griechischen Staates von außen gesichert, zugleich aber das griechische Wirtschaftsleben abgewürgt. Damit war kaum den Griechen, umso mehr aber den Gläubigern Griechenlands geholfen. Eine skandalöse Priorisierung des Gläubigerschutzes zu Lasten der griechischen Bevölkerung und – mittelbar – auch zu Lasten der europäischen Bürger, welche das Risiko für diese Politik zu tragen hatten. Varoufakis schien die ideale Besetzung zu sein, um diese Politik zu desavouieren: Als Professor für ökonomische Theorie verfügte er über die fachliche Reputation und als höchst erfolgreicher Bestseller-Autor und anglophoner Blogger über die medialen ›skills‹ und die Reichweite, die wirtschaftspolitische Unzweckmäßigkeit der Austeritätspolitik verständlich zu begründen und weltöffentlich zu skandalisieren. Massenmedial ist das gelungen – politisch ist es gescheitert. Der massenmediale Erfolg beruhte auf Varoufakis, äußerst engagierter Funktionalisierung aufmerksamkeitsökonomischer Mechanismen. Geradezu

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schamlos bespielte er vor den Kameras der Welt die popästhetisch längst klischierten, aber in dieser Form immer noch aufmerksamkeitsträchtigen Ikonografien kognitiver Zielsicherheit, überlegener Physis und lässiger Coolness. Auf diese Weise generierte er allein in seinen ersten 30 Amtstagen 40 Interviewtermine. Den Adlerblick von untenher ins Auge des Betrachters, auf der Yamaha XJR 1300 ins Ministerium, lässig, sexy, durchtrainiert, ohne Krawatte (!) und mit hochgeschlagenem Sakkokragen (!) in die Ministerrunde: In dieser kontextuell rebellisch und spektakulär wirkenden Pose gewannen die Argumente für eine Ablehnung der Austeritätspolitik ein mediales Airplay, das ohne den ästhetischen Überbau, allein auf der Basis von Sachkenntnis und Eloquenz, wohl kaum zu produzieren gewesen wäre. Die popästhetische Klischeegestalt funktionierte wie ein trojanisches Pferd – die Massenmedien mussten nach ihren Selektionskriterien des Berichtenswerten auf sie anspringen. Selbst wenn sie den diskursiven Gehalt der Positionen Varoufakis, ignorierten und sich ›kritisch‹ auf die ›ungebührliche‹ Form konzentrierten, produzierten sie dadurch ihrerseits ein öffentliches Ereignis, das massenmedial thematisierbar war. Seinen spektakulärsten Ausdruck fand dies in der öffentlichen Ereignisfolge, die unter dem Twitter-Hashtag #Varoufake in die Mediengeschichte des Internets eingehen wird. Das Team der satirischen Late-Night-Show »Neo Magazin Royal« um dessen Moderator Jan Böhmermann hatte im Februar 2015, angesichts des Medienhypes um die Person des neuen griechischen Finanzministers, einen Popmusik-Clip mit dem Titel »V for Varoufakis« produziert, in dem dessen rebellische Superhelden-Ästhetik noch einmal überboten und, mit ihm sympathisierend, gegen das Klischee des deutschen Militarismus und Ord­ nungs­fetischismus gesetzt wurde. Zum Schluss dieses Clips wurde eine kurze Passage aus einer Q&A-Session eingeblendet, die Varoufakis im Jahr 2013 im Anschluss an eine Buchpräsentation auf einem Politfestival in Zagreb abgehalten hatte. Nach spekulativen Betrachtungen über die Möglichkeiten eines griechischen Staatsbankrotts hatte er dort schließlich gesagt: »My proposal was that Greece should simply announce that it is defaulting – just like Argentina did –, within the Euro, in January 2010, and stick the finger to Germany and say: ›Well, you can now solve this problem by yourself.‹« Dabei zeigte er entsprechend den gestreckten Mittelfinger. – Derart auf Varoufakis, vermeintliche Vulgarität und Deutschenfeindlichkeit aufmerksam geworden, konfrontierte die Polittalkshow »Günther Jauch« den Minister in der Sendung vom 15. März mit dem Videomaterial, das seine vermeintlich beleidigende Geste zeigte. Varoufakis stritt, situativ überrumpelt, alles ab und bezeichnete das Material als Fälschung. – Das Team vom »Neo Magazin Royale« fertigte daraufhin eine manipulierte Version des Videomaterials an, das den gestreckten Mittelfinger eben nicht zeigte, und behauptete in seiner folgenden Ausgabe, Varoufakis habe Recht, der von »Günther Jauch« gesendete Ausschnitt sei tatsächlich eine Fälschung. Das gesamte Mediensystem reagierte wie elektrisiert; alle mussten sich zu dem Fall äußern.


POP. Kultur und Kritik  ◆  Heft 7 Herbst 2015  ◆ Jochen Venus ◆ Das Game-over-Game. Ein Rückblick auf Yanis Varoufakis

Für einen Moment trat die Medialität der Massenmedien, die Technizität der Produktion von Wirklichkeitsbeschreibungen, die Sensationsgetriebenheit der massenmedialen Informationsselektion und die wechselseitige Korruption antagonistischer Darstellungsinteressen grell in die Öffentlichkeit. Für einen Moment war die Differenz zwischen Politik und Massenmedien in den Massenmedien performativ markiert. Institutionell aber hat sich Varoufakis, massenmedialer Erfolg als politisch nicht anschlussfähig erwiesen, weder im Regierungskontext institutionalisierter Entscheidungsverfahren noch im Parteienkontext der Organisation von Gefolgschaft. Die spektakuläre Verschleifung kommunikativer Wertsphären bot weder der radikalen Linken noch den Vertretern der europäischen Institutionen hinreichend deutliche Leitgesichtspunkte für eine Antwort. Das mediale Mash-up wirtschaftswissenschaftlicher, ästhetischer und politischer Codes, integriert im Bildstempel eines hyperfokussiert den Betrachter anblickenden Kahlschädels, war einfach nur staunenswert und nichts weiter. Sowohl in der politischen Bewegung, der Varoufakis sein Amt verdankte, als auch in den Verhandlungsrunden, an denen er von Amts wegen teilzunehmen hatte, war kein Anschluss unter dieser Nummer. So wurde Varoufakis von griechischer Seite schließlich aus dem Verhand­ lungs­team genommen. Ein Zug, der seinen Rücktritt bei der nächsten passenden Gelegenheit unausweichlich machte. Varoufakis selbst hat dies verständlicherweise nicht als Effekt seiner Inszenierung, sondern als strategisch motivierte Exklusion gedeutet: Unter der konsequenten, unbedingten Führung des deutschen Finanzministers seien in den Verhandlungen Varoufakis, Beiträge bewusst ignoriert worden. Für seine durchdachten wirtschaftspolitischen Ausführungen habe er nur leere Blicke geerntet. »Ich hätte auch die schwedische Nationalhymne singen können.«

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Das klingt nach authentischer Empörung über die Arroganz der Macht. Andererseits liegt die Absurdität, in Gremiensitzungen Grundsatzreferate halten zu wollen, auf der Hand. Es scheint, als habe Varoufakis die Form seiner massenmedialen Selbstdarstellung nicht völlig durchschaut und als habe nicht nur er diese Form, sondern umgekehrt diese Form auch ihn bespielt. Dafür spricht, dass er in seinem großen Bilanzartikel »Dr. Schäubles Plan für Europa«, der knapp zwei Wochen nach seinem Rücktritt in der »Zeit« erschien, seine popästhetisch intonierte Kritik lediglich wiederholte, als sei er selber nicht gerade eben gescheitert und als habe es keine vernichtende Niederlage der griechischen Verhandlungsposition gegeben. Situativ angemessen wäre eine Strukturanalyse der Niederlage der radikalen Linken gewesen. Aber wie ein Verschwörungstheoretiker reduziert Varoufakis das europäische Austeritätsregime auf die Absichten Wolfgang Schäubles. »Dr. Schäuble«, wie er ihn stets nennt. Eine Anspielung auf Dr. Strangelove, den an einen Rollstuhl gefesselten, verrückten deutschen Wissenschaftler aus Stanley Kubricks Nuklearkriegssatire »Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb«. Dass Yanis Varoufakis auf diese Weise politisch Karriere gemacht und nicht gemacht hat, dass er in der massenmedialen Beschreibung der politischen Gegenwart instantan aufleuchtete und politisch ebenso instantan ausgeknipst worden ist, dieser Augenblickscharakter seiner Karriere macht massenmediale und politische Implikationen des Online-Daseins kenntlich, mit denen wohl auch künftig zu rechnen sein wird. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich vier Aspekte thesenhaft festhalten: 1. Globale Sinnstiftung wird einerseits zum kalkulierbaren Medien- und Diskurshandwerk, andererseits zum fakultativen Moment, das organisatorisch ausgegliedert, zugekauft und abgestoßen werden kann. Kollektiv bindende Entscheidungen sind in der Politik und generell in den Organisationssystemen formelhafter geworden, vorläufiger und vager. Sie lassen sich nicht mehr aus globalen Sinnkohärenzen rechtfertigen. Globale Sinnkohärenzen werden nur mehr fakultativ zugeschaltet. Dem entspricht ein Intellektuellentypus, der sich bereitwillig zuschalten lässt und auf Zuruf den Sound produzieren kann, der Sinn macht. Die Blogosphäre und der globale Sachbuchbestseller-Markt sind die Dispositive, in denen Personen sich in dieser Funktion ins Spiel bringen können. Organisationen zapfen die Sinnangebote und ihre Personifizierungen selektiv als Servomechanismen für ihre eigenen Selbstbeschreibungen an. Bevor Varoufakis einem Weltpublikum den Sinn der Syriza-Bewegung verständlich machte, hat er schon in ähnlicher Funktion für die Computerspielfirma Valve gearbeitet. Als »economist-in-residence« war es seine Aufgabe, dem Unternehmen Valve nach innen und außen die Aura des Bedeutsamen zu geben. Diese medien- und diskurshandwerkliche Form flexibler Sinn-Anpassung und die fakultative Nutzung globaler Sinnkohärenzen erklärt die On-/Off-Struktur von Varoufakis, Engagement.


POP. Kultur und Kritik  ◆  Heft 7 Herbst 2015  ◆ Jochen Venus ◆ Das Game-over-Game. Ein Rückblick auf Yanis Varoufakis

2. Das ästhetische Strukturprinzip der Popkultur wird zum generalisierten Signalement der massenmedialen Selbstbeschreibung der Gesellschaft. Die Pop­ ästhetik lehrt die Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten, wie die reichweitestärksten Agenturen der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung aktiviert werden können, nämlich durch ästhetische Formen, deren Informationswert möglichst geringfügig konditioniert ist, die also möglichst ohne Vorwissen, ohne Funktionskontext in der Wahrnehmung überraschen und höchst Bekanntes in unbekannter Gestalt präsentieren. Es geht mithin um innovative Varianten massenmedial generalisierter Formen der Objektwelt, des subjektiven Erlebens und sozialer Standardsituationen. Wenn in diesem popkulturellen Umfeld Kommunikations­ motive darauf abzielen, Schwieriges und Voraussetzungsreiches zu thematisieren, müssen sie sich in Gestalten des überraschend Selbstverständlichen verpuppen. Diese Maßgabe scheint heute allgemein akzeptiert zu sein. 3. Das Deutungsschema ›Handlungs(ohn)macht‹ radikalisiert sich zu einem Game over/Restart-Mythos. Politik, kollektiv verbindliches Entscheiden, muss sich in der Moderne diskursiv legitimieren. Dafür müssen massenmediale Darstellungen genutzt werden, die wiederum zwingend im Deutungsschema von Handlungsmacht bzw. Handlungsohnmacht operieren. Das Entscheiden muss als Handlungsvollzug eines Akteurs modelliert werden, der damit ein allgemein zuträgliches Ziel erreicht. Bzw. müssen vermeintliche Fehlentscheidungen als Vollzüge unzurechnungsfähiger Funktionäre skandalisiert werden. Traditionell wird Handlungs(ohn)macht im Kontext einer Erzählung modelliert, im Kontext von staatlichen Gründungsmythen, Parteigeschichten und persönlichen Berufungen, von bedeutenden Ereignissen, entscheidenden Kämpfen und fortlaufenden Traditionen. In jüngster Zeit mehren sich Modellvorstellungen, die sich eher dem Regelwerk eines begrenzten Spiels verdanken, das abgebrochen und neu aufgesetzt werden kann bzw. muss: vom globalen Klimaschutz über die Organisation politischer Ordnung bis hin zur Einrichtung von Kleinunternehmen. 4. Die popkulturelle Mash-up-Kommunikation stellt auch die Mittel ihrer kritischen Dekonstruktion bereit. Yanis Varoufakis ist in der kollektiven Fantasie der popästhetisch interessierten Online-Kommunikation unmittelbar als popästhetisches Artefakt projiziert und remediatisiert worden, als der Lord Voldemort und Mr. Spock der Politik. Diese Dynamik, die im erwähnten Clip der Late-Night-Show »Neo Magazin Royale« ihren prägnantesten Ausdruck fand, indizierte schon früh die politische Dysfunktionalität der massenmedialen Form. Ohne solche spontan-kollektiven Remediatisierungspraktiken überzubewerten: Sie bilden ein kommunikatives Widerlager, an dem massenmediale Politstrategien ihre Funktionalität und Dysfunktionalität beobachten können.

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B ü r o b o t e , D u b l i n 1 9 7 4 © Gerhard Vormwald

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A u t o r i­ n n e n

◆  Christina Bartz ist Professorin für Fernsehen und digitale Medien an der Universität Paderborn. ◆  Moritz BaSSler ist Professor für Germanistik an der Universität Münster. ◆  CASPAR BATTEGAY ist Postdok­ torand an der Faculté des lettres der Université de Lausanne. ◆  Heinz Drügh ist Professor für Germanistik an der Goethe-Universität Frankfurt. ◆  Sonja Eismann ist Co-Chefredakteurin des »Missy Magazine«, freie Autorin und Kulturwissenschaftlerin (Berlin). ◆  Adam Harper ist Promovend an der Universität Oxford. ◆  Thomas Hecken ist Professor für Germanistik an der Universität Siegen. ◆  Kai-Uwe Hellmann ist Privat­ dozent am Institut für Soziologie der TU Berlin. ◆  Daniel Hornuff ist akademischer Mitarbeiter an der HfG Karlsruhe. ◆  Frank Kelleter ist Professor für Nordamerikanische Kultur und

und

A ut o r en

Kulturgeschichte an der FU Berlin. ◆  Oliver Leistert ist Postdoktorand am Graduiertenkolleg »Automatismen« der Universität Paderborn. ◆  Dirk Matejovski ist Professor am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Universität Düsseldorf. ◆  Richard Meltzer ist freier Autor. ◆  Nicolas Pethes ist Professor für Germanistik an der Universität Köln. ◆  Ramón Reichert ist Gastprofessor für Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien. ◆  Georg Simmerl promoviert an der Humboldt-Universität Berlin. ◆  Wolfgang Ullrich ist freier Autor (Leipzig). ◆  Jochen Venus ist wissenschaft-­ licher Mitarbeiter am Medienwissenschaftlichen Seminar der Universität Siegen. ◆  Joseph Vogl ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft/ Medien an der HumboldtUniversität Berlin.

Weitere Angaben zu den Autorinnen und Autoren finden Sie auf der Internetseite pop-zeitschrift.de in der Rubrik »Magazin/Archiv«.

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Eg o U p d at e , 2 0 1 5 Š LaTurbo Avedon

www.turboavedon.com


I m p r es s u m H erau sgeber g r em ium

Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Nadja Geer, Thomas Hecken, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch Beirat

Ralf von Appen, Andy Bennett, Natalie Binczek, Karin Bruns, Diedrich Diederichsen, Jan Engelmann, Brigitte Frizzoni, Elke Gaugele, Hans Ulrich Gumbrecht, Richard Hebdige, Achim Hölter, Tom Holert, Anton Kaes, Douglas Kellner, Gabriele Klein, Ruth Mayer, Angela McRobbie, Stephan Moebius, Bodo Mrozek, Klaus Neumann-Braun, Sylvia Paletschek, Heike Paul, Bernhard Pörksen, Susanne Regener, Eckhard Schumacher, Detlef Siegfried, Urs Stäheli, Tanja Thomas, Niels Werber, Hartmut Winkler, Rainer Winter R e d ak t i o n

Thomas Hecken (V.i.S.d.P.), Sinaida Michalskaja (Redaktionsassistenz Fotografie), Marcel Wrzesinski (Redaktionsassistenz Text) Redaktionsanschrift: »Pop. Kultur und Kritik«, c/o Thomas Hecken, Vormholzerstraße 48, 58456 Witten, thomashecken@gmx.de G e s t a l t u n g  u n d  Sa t z

Charlotte Cassel, Sinaida Michalskaja, Shahin Zarinbal Lektorat: Melanie Horn, Annemarie Opp Druck: Die Produktion, Agentur für Druckrealisation GmbH Wir danken allen, die uns Bilder zur Verfügung gestellt haben. Falls trotz intensiver Nachforschungen Rechteinhaber nicht berücksichtigt worden sind, bittet die Redaktion um eine Nachricht. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft

© 2015 transcript Verlag Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Print-ISBN 978-3-8376-3147-0, PDF-ISBN 978-3-8394-3147-4, ISSN 2194 - 6981, eISSN 2198-0322

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Adam Harper: Internet-Musik Sonja Eismann: Posthumane Mode Wolfgang Ullrich: Siegerkunst

Georg Simmerl/Joseph Vogl: Finanzregime Dirk Matejovski: Retro-Magazine Richard Meltzer: Alkohol Caspar Battegay: Foodies Frank Kelleter: Remake und neun weitere Aufsätze

POP. Kultur und Kritik ( D ) 16,80 EUR Heft 7 Herbst 2015 (A ) 17,30 EUR Print-ISBN 978-3-8376-3147-0 ( CH ) 21,70 CHF PDF-ISBN 978-3-8394-3147-4 ISSN 2194 - 6981, eISSN 2198-0322

Christina Bartz: Bewertungsfernsehen


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