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Corsage

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CORSAGE KINOSTART 07.07., A/LUX/D/F 2022, REGIE Marie Kreutzer, MIT Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz, Manuel Rubey, FILMLÄNGE 114 Min., © Alamode

Free Sisi

Marie Kreutzer beschäftigt sich in „Corsage“ auf erfrischende Art mit einer urösterreichischen Figur: Kaiserin Elisabeth.

Wie man die Augen rollt, ehe man eine Ohnmacht vortäuscht, hat Kaiserin Elisabeth perfektioniert: Es ist der einfachste Weg, einen Abgang zu machen, wenn man für den Moment genug repräsentiert hat. Bei „Sisi“ ist dies zum Beispiel dann erreicht, wenn sie in ausnahmslos allen Begrüßungen auf ihre Figur angesprochen wird. Die Ohnmacht ermöglicht den Rückzug in die Privatgemächer, wo man ausgelassen abätzen kann. Es ist herrlich erfrischend, wie Marie Kreutzer mit der ikonischen Figur der Kaiserin Elisabeth umgeht, die für ihre „Schönheit“ und „Anmut“ berühmt war, deren lmisches Bild von der Sissi-Trilogie mit Romy Schneider geprägt wurde und die im Musicalformat schwermütig mit dem Tod tanzte. Bei Kreutzer sucht sie vor allem einen Ausweg. Die Regisseurin (Was hat uns bloß so ruiniert?) inszeniert eine Handvoll Monate im Leben der gerade 40 Jahre alt gewordenen Monarchin, es sind die Jahre 1877/78. Sie, die immer auf ihr Äußerliches reduziert wird und die gerne mehr machen würde, als nur zu repräsentieren, beschä igt sich selbst auch akribisch mit ihrem Alter und ihrer Schönheit. Mit 40 Jahren ist sie im späten 19. Jahrhundert eine alte Frau. Erst erstarrt sie ob dieser Tatsache (lässt weiter ihre Taille vermessen, das Lu abschneidende Korsett enger schnüren und sich eine karge Orangendiät servieren), dann übt sie sich im Ausbruch: Auf die (von den eigenen Kindern kritisch beäugte) Ausschweifung folgt ein außerordentlicher Befreiungsakt.

SPIELERISCH VERSCHWINDEN Kreutzer inszeniert punktgenau und kommentiert den Zustand ihrer Figur auf eindrucksvoll vielschichtige Weise. Sie erlaubt sich stilistische Spielereien (beispielsweise in der sympathischen Musikprogrammierung) und scheut auch nicht vor der Übertretung zurück (etwa: eine masturbierende Kaiserin). Dabei wirkt sie jedoch niemals provokativ, sondern hoch empathisch: Sie blickt auf die Menschen hinter der Institution. Dass Elisabeth ab einem gewissen Alter ihr Gesicht nicht mehr gezeigt hat, hat in Marie Kreutzer ihren Plot reifen lassen. „Es ist doch wahnsinnig spannend, dass diese Frau quasi vor aller Augen verschwunden ist!“, so die Regisseurin. Ihrer Kaiserin – Vicky Krieps (Darstellerpreis in Cannes) – könnte man ewig bei der konsequenten Flucht aus dem eng gesteckten Rahmen ihrer Rolle zuschauen. Und wenn am Ende Klänge von Soap & Skin erklingen, kann Sisi endlich wieder atmen. #corsage lm

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