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Ein Stück Normalität Das One
Durch das Leben auf der Flucht werden die Kinder viel zu früh erwachsen. Hier im One Happy Family Center dürfen sie spielen, toben und wieder ihr Kindsein leben. Ganz ohne Ängste und Verantwortung.
Ein Stück Normalität
Die Schauplätze der Flüchtlingskrise ändern sich laufend. Gerade warten wieder Tausende Flüchtlinge an Belarus’ Grenzen auf eine Einreise in die EU. Doch auch das Lager Kara Tepe in Lesbos existiert weiter, mitsamt seinem Elend. NGOs haben unweit des Camps einen Ort für traumatisierte Kinder geschaffen, wo sie für kurze Zeit alles
vergessen können. text und fotos von heidrun henke
Die Schweizer Organisation „One Happy Family“ (OHF) hat auf einem brachliegenden Gelände ein Zentrum für Geflüchtete erschaffen – mit Therapieräumen, einem kleinen Bazar, auf dem gebrauchte Kleidung getauscht wird, einem Schulungsraum mit alten Computern sowie einer Schule: „School of Peace“. Hier haben sich verschiedene NGOs eingemietet und bieten psychologische Betreuung, Entlastungsgespräche, Therapien sowie praktische Hilfe und Tipps für Geflüchtete an, vor allem für Eltern und Kinder. Über 70 Prozent sind Familien, ein Drittel der Kinder ist zwischen 7 und 12 Jahre alt. Sie brauchen Input zum Lernen, Beschäftigung, Perspektiven, Spielzeit, Gleichgesinnte und vor allem einen Ort, der schön ist. Ganz im Gegensatz zu ihrem Lager Kara Tepe. Das mit Stacheldraht abgrenzte Zeltlager gleicht einem Hochsicherheitstrakt, in dem trotzdem Gewalt, Plünderei und Missbrauch passieren. Die Infrastruktur der Zeltstadt ist nicht vergleichbar mit der einer echten Stadt. Es gibt alles, was man braucht, um nicht zu sterben, aber nicht genug für ein Leben. Überall muss man sich anstellen, für jeden Tropfen Wasser, für jede Mahlzeit, für jedes menschliche Grundbedürfnis bilden sich Schlangen.
Warten & warten Das Warten ist symbolisch für das Leben der Geflüchteten. Warten ... bis man weitergehen darf. In Coronazeiten wurden die Ausgangsregeln drastisch verschärft. Demnach darf das Lager zeitweise nur für drei Stunden pro Woche verlassen werden. Drei Stunden, die manche im OHFAreal verbringen dürfen (je nach Bedarf und Kapazitäten), um kurz ihre triste Welt zu verlassen, sich jemandem anzuvertrauen oder eine Gruppentherapie zu besuchen. In den Gruppen wird ein sicherer Raum eröffnet, in dem die Kinder ihren unterdrückten Gefühlen freien Lauf lassen können und sie benennen lernen – oft gelingt das am ehesten im Spiel. Hier dürfen alle Emotionen raus, die negativen, aber auch die Sehnsüchte und Träume. Auch die Eltern werden mitbetreut und gestärkt. Ihre Schuldgefühle den Kindern gegenüber sind enorm belastend.
Roya aus Afghanistan
Roya musste zuschauen, wie ihr Großvater vor ihren Augen getötet wurde. Sie ist traumatisiert und wird von Albträumen geplagt. Die größte Angst hat sie vor Feuer, das sie im alten Lager Moria miterlebt hat. Oft kommen im Rollenspiel verdrängte Traumata zum Vorschein.
Für besonders schwere Fälle gibt es in der Hauptstadt Mytilini eine Klinik von Ärzte ohne Grenzen. Die häufigsten Symptome der Kinder sind Einnässen, Albträume, nicht mehr Sprechen, aggressives Verhalten und Selbstverletzungen wie Ritzen oder den Kopf gegen die Wand schlagen. Spielen & Gestalten
Sozialarbeiterin und Pädagogin Gabriella aus der Schweiz hilft Kindern beim Verarbeiten ihrer Emotionen und versucht, den Selbstwert der Kinder wieder aufzubauen. Manchmal reicht es auch, einfach nur da zu sein und Aufmerksamkeit zu schenken. Im Gardenhouse gibt es Spiel- und Bastelgruppen, wo Psychologen, Kunsttherapeuten, Lehrer, Streetworker etc. mit den Kindern arbeiten. Manchmal kommen die Betreuer auch direkt aus dem Camp und helfen bei den NGOs mit. Denn sie haben die Probleme am eigenen Leib erlebt.
Die Therapeutin erzählt, wie sie hier täglich mit den Traumatisierungen der Kinder konfrontiert ist und zeigt uns schockierende Kinderzeichnungen, die erlebte Gewalttaten darstellen oder die gefährliche Bootsüberfahrt nach Lesbos.
Blick von oben
Das Lager Kara Tepe 2 wurde strategisch errichtet: am Meeresufer, ohne Bäume und leicht zu kontrollieren, um der Gefahr eines neuerlichen Brandes zu entgehen (wie im Lager Moria, das im Herbst 2020 abbrannte). Unten: Sexuelle Übergriffe sind im Camp keine Seltenheit. Im One Happy Family-Areal gibt es extra einen Bereich, der nur für Frauen reserviert ist.
Kräftige Burschen
Jugendliche, vor allem alleinreisende Single-Männer, werden oft übersehen oder durch Vorurteile stigmatisiert. Im One Happy Family-Camp werden auch sie betreut, es gibt Gruppentherapien, Computerräume und sogar ein Gym zum Trainieren. Besonders wichtig für Burschen ist der „Makers Space“, wo sie in einer Art Werkstätte alte Fahrräder reparieren können. Dadurch können sie wieder in ihre Selbstermächtigung kommen.
Einer von ihnen ist Gulzar (rechts mit Sonnenbrille), 20 Jahre alt, aus Afghanistan, wo er auch studierte. Wegen der Taliban musste er vor über zwei Jahren sein Zuhause verlassen. Gulzar hatte Glück und blickt nun optimistisch in die Zukunft. Mittlerweile hat er es bis nach Berlin geschafft und ist auf der Suche nach Arbeit.
Im One Happy Family-Camp gibt es u.a. eine Bücherei, eine Schule, einen Spielplatz, ein Sprachencafé, eine Hüpfburg, einen Bazar für Kleidung (besonders beliebt sind Sneakers) und eine Abholstelle für Hygieneartikel, die man sich via Handy hierher bestellen kann.
Mit Baby auf der Flucht
Mara ist mit ihren Schwestern aus dem Kongo geflohen und seit zwei Jahren auf der Flucht. Das Baby hat sie im Flüchtlingslager geboren. Die Suche nach Babynahrung wird im Supermarkt zu einer echten Herausforderung, denn sie spricht nur Französisch und Lingala.
Willkommen in einer anderen Welt
Carlotta, Psychologin aus Italien für Medical Volunteers International. Im Sommer leitete sie hier die Kinderabteilung. Der gebastelte Regenbogen symbolisiert den Übertritt in eine andere Welt – ohne Krieg, Gefahr und Gewalt.
One Happy Family
Gemeinschaftszentrum auf Lesbos
Lesbos ist aufgrund der Nähe zur Türkei eine Zwischendestination für Menschen auf der Flucht von Kriegen und Krisen im Mittleren Osten und in Afrika. Diese Menschen bleiben nach ihrer Ankunft viele Monate auf der Insel, da sie aufgrund des EU-Türkei-Abkommens nicht auf das Festland weiterreisen dürfen, jedoch aufgrund der Menschenrechtslage in der Türkei meistens auch nicht zurückgeschickt werden können. Mit dem One Happy Family-Zentrum werden Lücken gefüllt, die durch unzureichende humanitäre Hilfe und fehlende staatliche Interventionen entstanden sind. Ziel ist, den auf Lesbos festsitzenden Menschen ein Stück Würde und Selbstbestimmung zurückzugeben. Das Zentrum wird nicht FÜR geflüchtete Menschen betrieben, sondern MIT ihnen.
ohf-lesvos.org
Medical Volunteers International (MVI) leisten medizinische Hilfe für Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Auf Lesbos hat MVI ein Mental Health Project und bietet im OHFZentrum ein Programm für die psychosoziale Unterstützung von Kindern und Jugendlichen an, in dem vor allem Menschen aus der Geflüchteten-Community mitwirken.
medical-volunteers.org/de
Urpeinlich, Papa!
The Great One
Wayne Gretzky gilt als erfolgreichster und bester Eishockeyspieler der Welt, was ihm obigen Spitznamen eintrug. Ich war aber auch nicht schlecht.
von peter draxl
Radfahren verlernt man nicht, Eislaufen verlernt man nicht, Lesen und Schreiben verlernt man nicht, nichts verlernt man. Wer sich im Jugendkader einer Eishockeyho nung befand, kann Eislaufen. Wie ein Gott. Wie Wayne „the great one“ Gretzky. Unzählige National Hockey League-Rekorde gehen auf das Konto des Kanadiers mit der linken Schusshand und der Nummer 99 auf dem Rücken. Eine Nummer, die für alle Zeiten in der NHL gesperrt ist. Die gehört nur ihm, und das zu Recht. Fast 900 Tore in einer regulären Saison sind bis heute unerreicht.
Im Großwerden eines jeden Mädchens ist Eislaufen naturgemäß irgendwann ein Thema. Zuerst kommt Radfahren, dann kommt Eislaufen, dann kommen Pferde, dann kommen Zigaretten, Alkohol, Jungs, und ich will nicht weiter nachdenken.
Mittlerweile gibt’s größenverstellbare Schalenschuhe, die an die drei Jahre halten sollen. Da sind wir doch live dabei. Und weil Vatern in seiner Jugend ein Eislaufgott war, kauft er sich auch gleich welche – aber die guten. Bauer Supreme, so wie damals. Als ich zwei Winter lang im Jugendkader für Unruhe sorgen durfte, bis ich schlussendlich wegen „übertriebener Härte“ aus der Mannschaft ausgeschlossen wurde. Von einem harmoniesüchtigen Trainer. Weichei. Wenn mir wer mit dem Schläger den Fuß vom Eis zieht und mich zu Fall bringt, muss er damit rechnen, dass ich ihm meinen Sherwood Stick quer durchs Gesicht ziehe. Selber schuld, wenn der Kerl sein Gitter nicht eingehängt hat. Am Helm. Und danach nicht mehr appetitlich aussieht.
„Hohlschli , bitte!“, höre ich mich sagen und grinse wissend in mich hinein. Der Verkäufer fragt sicherheitshalber nach, ich nicke und lass ihn meine neuen Schuhe einschleifen. Halbhohl sind sie standardmäßig für gewöhnliche Sterbliche geschli en, ein Ex-Legionär mit der Kraft eines Norikers im Oberschenkel will die scharfe Kante. In Mathe war ich zwar auch immer irgendwie gut, das lag aber eher daran, dass mich der Herr Professor, gleichzeitig Turnlehrer, sehr mochte. Beim Turnen. Und diese Sympathiepunkte schwappten in sein ernstes Fach über.
Jetzt könnte ich mir ausrechnen, dass ich mittlerweile schon 30 Jahre nicht mehr am Eis gestanden bin. Dass meine Oberschenkelmuskulatur durch ständiges Autofahren eventuell weg sein könnte und mein grundsätzlicher Lebenswandel nicht nach der Lau ahn eines Athleten aussieht. Könnte ich. Eislaufen verlernt man nie.
Tags darauf wagen wir uns auf den Eislaufplatz. Kind ist vollständig overdressed und eingepackt in einen Panzer aus rosa Wärmeoverall. Vater bleibt in seinem Hochmut lässig in Jeans und Lederjacke, mit den Bauer Supreme und kleinen, rosaroten, aber größenverstellbaren Kinderfl itzern unterm Arm. Dicke Socken. Klar. Mein Töchterlein legt sich mit bewundernswerter Ruhe die neuen Schlittler an und latscht einfach los. Kinder gehen einfach am Eis.
© Unsplash
Solange bis sie ins Rutschen kommen, bis sie ins gleitende Laufen kommen. Unerschrocken. Selbstverständlich.
Ich zwänge mich in meine Surpreme, denke an die Zeit zurück, als man sich noch mit PVC-Schaum in den Schuh geschäumt hat, um Maximalgrip zu erlangen, und schnüre so fest zu, wie ich nur kann. Die Anstrengung des Zubindens treibt mir die ersten Schweißperlen auf die Stirn. Meine Füße sind nicht mehr durchblutet, ich spüre nichts, bin noch keinen Meter gefahren, und erste Zweifel kommen auf.
Nichts da, Spitzensportler, schwing dich auf, los geht’s! Die Schuhe fahren los, der träge Körper versucht zu folgen. Was zum Henker passiert hier? Ich kann mich kaum auf den Beinen halten, die Schuhe haben ein Eigenleben, ich stolpere, schlittere, kein Halt, keine Orientierung, die Schweißperlen auf der Stirn werden zu Sturzbächen, meine Oberschenkel brennen, jegliche motorische Fähigkeit scheint vom Eis gefegt. Ich flitze an meinem Kind vorbei, dem kleinen Watteberg, der sicher und konzentriert übers Eis gleitet. Sie schaut mich mit großen Augen an, ich kann weder lenken noch gleiten noch bremsen noch eine Haltung einnehmen, die nach Menschenwürde aussieht. Ich schieße taumelnd, unfähig und unausweichlich auf die hölzerne Bande zu. Um dort mit einem lauten Knall einzuschlagen und zu Boden zu gehen. Fin. Game over.
Ein kleiner, rosa Wattezwerg kommt langsam auf mich zugeschlittert. Sicher. Schritt für Schritt. Ich lieg am Rücken, keuchend, schwitzend, angsterfüllt. Eine kleine Hand im warmen, rosa Fäustling zeigt auf mich. „Ich dachte, du kannst eislaufen?“ Ja. Dachte ich auch. Und bin traurig. Es ist mir nicht peinlich, es ist einfach nur traurig. Was wurde aus ... Wie alt bin ich nochmal? Oh. Verdammt. Im Sommer geh ich radfahren. Das verlernt man nie.
Als nicht ganz alltäglicher Vater erlebt man mit seiner allerliebsten Tochter viele peinliche, lustige und schräge Momente. Weitere Kurzgeschichten von Peter Draxl gibt’s im Buch „Papa Peinlich. Der Rock ’n’ Roll-Daddy und sein Teenager“, erschienen im Milena Verlag um € 21,–.
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