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Geschichte einer Kindheit
Die Geschichte einer Kindheit
Eberhard Forcher
Für viele, die in den 1980ern jung waren, ist er so etwas wie ein guter Bekannter – wenn auch nur in eine Richtung: Sowohl den Hits seiner Band Tom Pettings Hertzattacken als auch seiner zu Radiogeschichte gewordenen Leidenschaft für Musik ist man nicht entkommen. Ebenso der Schreiber dieser Zeilen, der im Interview mehr über Forchers Kindheit erfahren hat. von peter zirbs
Tipi: Deine allererste Erinnerung?
Eberhard Forcher: Eine klare Erinnerung gibt es nicht, aber es sind doch einige Bilder, die auftauchen: Etwa – und das erstaunt mich jetzt selber ein bisserl – das Gitterbett, in das mich meine Eltern an Nachmittagen verbannt haben, um von mir bei ihren Tagesabläufen nicht gestört zu werden. Ich kann mich erinnern, dass ich eher ein kleiner, aufmüpfiger Bengel war und diese Maßnahme deshalb nicht so richtig akzeptiert habe. Und dann ist die Idee seitens meiner Eltern aufgetaucht, mich mittels einer Decke mit Schnüren niederzubinden, damit ich nicht mehr aus dem Gitterbett raus kann. Das war natürlich ein bisserl zach.
In weiterer Folge tauchen Bilder von unserem wunderschönen Garten auf; mit Obstbäumen, in denen ich versucht habe, Baumhäuser zu bauen. Ich muss aber feststellen, dass meine Kindheit prinzipiell sehr schön war; ich habe eine Mutter gehabt, die mich und meine beiden jüngeren Schwestern wirklich geliebt hat. Einiges von meinem weiteren Lebensweg lässt sich allerdings auf – nennen wir’s mal groß Traumata – aus der Kindheit zurückführen.
Wie war das Verhältnis zum Vater?
Mein Vater war ein bisserl ein schwieriger Mensch, von dem ich mir immer Aufmerksamkeit gewünscht habe – ich hab sie allerdings nie bekommen. Aus dieser Mischung heraus ist es wahrscheinlich zu erklären, dass ich immer irgendwo hinwollte, wo ich Anerkennung bekomme.
Ich war zum Beispiel Fußballer und wollte immer, dass er zu meinen Matches kommt. Er selbst war Fußballfan und ist trotzdem nie bei meinen Spielen aufgetaucht. Ich war auch ein sehr guter Skifahrer – mit ganz schlechtem Material, weil wir kaum Geld hatten. Ich bin mit den alten Skiern vom Vater Rennen gefahren. Auch da hätte ich mir gewünscht, dass er mal zu einem Rennen kommt und sieht, was ich kann – und auch das ist nie passiert. Ich glaube, dadurch bin ich heute dort, wo ich bin. Um es aber noch einmal festzuhalten: Das Grundgefühl beim Gedanken an meine Kindheit ist dennoch, dass sie sehr schön war.
Kannst du dich an den Kindergarten erinnern?
Ich bin nicht gerne hingegangen. Der Kindergarten war in einer eigentlich wunderschönen Villa untergebracht und auch nicht sehr weit weg von dort, wo wir gewohnt haben. Die Mama hat mich in der Früh hingebracht, und ich war sehr traurig, dass ich da jetzt zu den mir fremden Kindern und seltsamen Tanten muss. Ich hab mich da nie so richtig wohlgefühlt, war offensichtlich auch etwas unangepasst und habe bestimmte Regeln nicht akzeptiert – deshalb wurde ich gelegentlich unten in den Kartoffelkeller gesperrt. Ich sehe es ganz klar vor mir … Spannend, was da so alles auftaucht! Ich wurde also in diesen dunklen Keller verfrachtet; dort gab es nichts außer einer riesigen Ablage mit Hunderten von Kartoffeln. Dort bin ich dann eben im Dunklen gesessen und hab gewartet, bis sie mich wieder rauslassen.
Wie war deine Volksschulzeit?
Spaß hat es mir nicht gemacht; ich war ein wahnsinnig schüchternes Kind und hab mich mit so vielen anderen Kindern nicht wohlgefühlt. Ich habe aber sehr viel Fantasie gehabt in Bezug auf Geschichten erfinden und erzählen. Jedenfalls hatten wir Zeichenunterricht, und Malen war für mich immer schrecklich, weil ich farbenblind bin. Ich hab mich nie ausgekannt, wo welche Farben sind, das war furchtbar. Ich wusste damals aber noch nicht, dass ich farbenblind bin und wurde hin und wieder ausgelacht.
Nun wollte ich in einer dieser Zeichenstunden eine meiner erfundenen Geschichten als Comic zeichnen und habe das als eine super Idee empfunden. Schließlich habe ich Comics schon damals geliebt. Ich war allerdings total entsetzt, wie ich dann das Endergebnis meiner Anstrengungen vor mir liegen hatte – ich bin nämlich nicht nur im Malen, sondern auch im Zeichnen furchtbar schlecht. Ich habe meine Geschichte nicht mal annähernd zeichnerisch zu Papier bringen können.
Dein Kontakt mit dem katholischen Tirol?
Wer mir einfällt: der Religionslehrer, der immer wieder Kinder rausgefischt hat, uns die Hände ausstrecken ließ und uns mit dem Stab ordentlich eins drübergezogen hat. Das war für uns ganz normal.
Und dann war da noch der Priester, der von einer Kirche aus Lienz zu uns in den Religionsunterricht kam, um so viele Burschen
Trotz einer gewissen Strenge, die im Tirol der 1950er herrschte, erinnert sich der „Eberbua“ an eine glückliche Kindheit. Von seinem Vater hätte er sich allerdings mehr Aufmerksamkeit gewünscht.
Interview
wie möglich für die Priesterschule im Konvikt anzuwerben. Der hat uns das natürlich in den schillerndsten Farben geschildert. Dass es da eine Fußballmannschaft gäbe und im Winter viel Ski gefahren würde. Also richtig super! Ich muss erwähnen: Ich komme aus einem streng katholischen Elternhaus. Ein paar andere Burschen und ich waren jedenfalls richtig angefixt von dem, was uns der Priester erzählt hat – ich bin also voller Vorfreude heimgegangen, und dachte natürlich, dass meine strenggläubige Mutter mein Vorhaben begeistert unterstützen wird.
Erstaunlicherweise hat sie aber ganz anders reagiert und wollte das auch mit meinem Papa besprechen. Der hat dann sofort gesagt: Das kommt gar nicht infrage! Ich hatte mich schon so gefreut, obwohl ich tief drinnen eh wusste, dass ich nicht Pfarrer werden will.
Dein weiteres Leben hätte also auch ganz anders aussehen können.
Ja, und da gab es auch noch einen zweiten Moment wie diesen: Eines schönen Tages waren die Wiener Sängerknaben wieder in Tirol. Die hatten in Hinterbichl ihr jährliches Sommerlager. Nun war es aber so, dass mit der Unterbringung irgendetwas nicht geklappt hat, und deshalb wurden Familien gesucht, die für ein paar Tage einen Sänger-
Ganz links: „Justin Eber“ und seine jüngeren Schwestern vor dem Weihnachtsbaum. Wünsche an das Christkind wurden aufgrund von Geldknappheit meist schon im Vorfeld storniert; eine besondere Zeit war es dennoch.
knaben einquartieren konnten. Ich hab das super gefunden, und wir haben tatsächlich einen Burschen aufgenommen. Für mich 10-Jährigen ist plötzlich die große Welt in unserer kleinen Stube gewesen. Das war ein ganz ein nobler, fescher Bub. Es war für mich faszinierend, wie höfl ich er war und wie er geredet hat. Wir sind gemeinsam spielen gegangen, und die Mama war sogar mit uns in einem Ka eehaus Torte essen. Der Bub hat erzählt, wo sie schon überall auf Tournee waren und vom Zusammenhalt untereinander – das hat mich fasziniert. Ich hab ihn dann gefragt, ob ich mich nicht auch anmelden kann für die Sängerknaben, weil ich ja eh halbwegs singen könne. Wir haben dann auch wirklich hingeschrieben. Jeden Abend habe ich gebetet, dass ich genommen werde. Und jeden Tag bin ich von der Schule gekommen und habe meine Mutter gefragt, ob Post gekommen ist. Nix. Und dann, eines Tages, kam tatsächlich ein Brief. Meine Mama hat mit dem Aufmachen extra auf mich gewartet. Ich sehe es noch genau vor mir: Wir sind am Küchentisch gesessen, machen den Brief auf und drinnen steht: Danke für die Bewerbung ... aber leider muss man sich schon in einem früheren Alter bei uns bewerben. Für mich ist da natürlich eine Welt zusammengebrochen. Im Nachhinein bin ich aber irgendwie froh – ich glaube, das hätte ich nicht gepackt.
In welchem Umfeld bist du aufgewachsen?
Aufgewachsen und geboren bin ich in Lienz in Tirol. Meine Mutter war ein Kriegsfl üchtling aus Rumänien und hat in Lienz meinen Vater kennengelernt. Die beiden haben ein winzig kleines Häuschen von seinen Eltern bekommen – anfangs wohnten sie noch mit ihnen zusammen darin. Für meine Eltern, meine beiden jüngeren Schwestern und mich war es eigentlich fast zu klein; auch, weil über den Sommer ein Zimmer aufgrund von familiärer Geldknappheit vermietet wurde. Dadurch mussten wir Kinder das Zimmer räumen und zu dritt in Stockbetten im Schlafzimmer der Eltern nächtigen. Das war nicht so toll. Wenn keine Gäste da waren, hatten wir allerdings ein sehr schönes, sonniges Zimmer zu dritt. Das Haus war zwar klein, hatte aber einen wunderschönen Garten mit vielen Obstbäumen; Marillen, Birnen, Zwetschken – sogar einen Pfi rsichbaum hatten wir. Wir haben am Rand der Stadt gewohnt; man ist quasi nur über die Straße gegangen und war schon auf der Skipiste. Oder im Wald und beim Schloss Bruck. Ich habe im Sommer viele, viele Stunden täglich im Wald verbracht: Indianer spielen mit Freunden oder Schwammerl suchen. Da war ich aber die absolute Niete darin – aufgrund meiner Farbenblindheit. Ich bin immer mitgegangen, habe aber nie etwas gefunden. Bei den Heidelbeeren war das schon einfacher, da wusste ich nämlich, wo sie sind.
Du warst ein leidenschaftlicher Skifahrer.
Im Winter bin ich praktisch jeden Tag Ski gefahren. Da wir kaum Geld hatten, gab’s keine Liftkarten für mich; ich bin also immer raufgebrettelt oder mit den Skiern am Buckel hinaufgegangen, hab mir selbst Slalomstangen geschnitten, Slaloms gesteckt und habe trainiert, bis ich wirklich richtig gut war. Ich bin in den Wintersaisonen so lange gefahren, bis nur mehr wenige Streifen Schnee, in denen ich mir einen Slalom stecken konnte, übrig waren. Bis ins Frühjahr hinein. Eines Tages sehe ich jemanden unten auf der Straße stehen, der mir zuschaut und mich dann zu sich winkt. Er sei der Herr Sowieso vom Skiklub Lienz und hätte mich jetzt zufällig gesehen und wie wahnsinnig talentiert ich doch sei. Und ob ich nicht beim Skiklub wäre. Ich antwortete, dass wir uns das nicht leisten könnten. Er wollte, dass ich zum Skiklub komme; er würde organisieren, dass ich aufgenommen werden würde. Ich bin auch tatsächlich einmal hingegangen – und war dort der totale Außenseiter. Das waren alles Burschen aus mehr oder weniger besseren Familien. Und es hat sich um mich auch niemand geschert, also bin ich am Rand gestanden und hab mir gedacht: Na, pfeif drauf. Ich hab dann alleine noch weitertrainiert und war auch bei den Osttiroler Meisterschaften trotz des Materialhandicaps immer sehr gut platziert gewesen – bis ich mir den Fuß gebrochen habe. Da war die berühmt-berüchtigte Helm-Abfahrt mit der Schlüsselstelle „Die Todeskurve“: Mir ist schon nächtelang davor der Reis gegangen, aber ich hab das Rennen durchgezogen und bin mit den alten Skiern ohne Sicherheitsbindung irgendwie als Zehnter ins Ziel gekommen; total happy, dass nichts passiert ist. Zwei Tage später war ich am Faschingsdienstag beim Skilift – man durfte an diesem Tag gratis fahren, wenn man verkleidet war. Ich war ein Seemann. Und ich bin den ganzen Tag gefahren wie ein Irrer. Am Nachmittag war ich schon müde, und bei der letzten Fahrt hab ich dann beim Warten auf einen Freund hinten in einen Schneehaufen eingefädelt, hab das Gleichgewicht verloren, bin über ein kleines Mäuerchen gekippt – und hab mir das Schienbein gebrochen. Das war ziemlich zach.
Wie bist du zur Musik gekommen?
In unserem kleinen Häuschen stand im Wohnzimmer ein wunderschöner Plattenschrank mit Plattenspieler und eingebauten Boxen. Da gab’s auch einige Langspielplatten. Eine davon war Mireille Mathieu – das hab ich aber überhaupt nicht gepackt. Esther
& Abi Ofarim gab’s auch, da waren schon ein paar nette Songs drauf. Und The Brothers Four, das war eine Gospelpartie. Aber so richtig reingewachsen in das bin ich nicht. Es gab aber eine Nachbarin, die Trixi. Und da bei denen ein bissl mehr Geld vorhanden war, hat sie von ihren Eltern alles bekommen – und hat sich Platten gekauft, bekommen – und hat sich Platten gekauft, z.B. das Weiße Album von den Beatles – das habe ich mir von ihr ausgeborgt … und dann einfach nicht mehr zurückgegeben. Ich habe es Tag und Nacht gehört. Und es gab – und gibt ihn immer noch! – den guten Freund Hans; der hatte das Glück, dass sein Bruder in der Schweiz gearbeitet und von dort immer die neuesten Singles mitgebracht hat. Kinks, Small Faces, Stones! In einer Gemeindewohnung im winzig kleinen Kabinett von Hans sind wir von nachmittags bis abends gesessen und haben eine Single nach der anderen angehört. Da habe ich schon bemerkt, dass das etwas ist, was mich erfüllt: gemeinsam Musik zu genießen und Musik zu genießen und darüber zu reden. Ich darüber zu reden. Ich habe dann bald versucht, habe dann bald versucht, mit meinen wenigen mit meinen wenigen fi nanziellen Möglichkeifi nanziellen Möglichkeiten selber an Platten zu ten selber an Platten zu kommen. Ich bin immer kommen. Ich bin immer schauen gegangen, ob ich schauen gegangen, ob ich im Abverkauf etwas fi nde. im Abverkauf etwas fi nde. Die so erstandenen Platten Die so erstandenen Platten habe ich dann versucht, habe ich dann versucht, gegen bessere einzutaugegen bessere einzutauschen – die im Abverkauf waren ja meist schen – die im Abverkauf waren ja meist nicht besonders gut. Ich kann mich erinnern: Da war ein Typ mit mehr Kohle, der immer die neuesten Platten hatte, z.B. Deep Purple In Rock. Jeder wollte die haben! Aber er wollte sie gegen eine meiner Abverkaufsplatten tauschen. Ich hab mir gedacht: Ma, Oida, super Deal! Wir haben sogar kurz bei ihm in die erste Seite hineingehört – alles okay. Zu Hause habe ich dann aber bemerkt, dass über die gesamte zweite Seite der Platte ein Mordstrum-Kratzer ist. Unspielbar! Jedes Mal, wenn er mich dann gesehen hat, ist er davongelaufen, weil er wusste, dass ich ihn irgendwie zur Rechenschaft ziehen würde.
EBERHARD FORCHER
(* 16. August 1954 in Lienz) ist ein österreichischer Musiker, Lehrer, Moderator und DJ. Er wuchs sowohl als musikalisches als auch sportliches Kind auf. 1972 maturierte er im Gymnasium Lienz, worauf er eine Pädagogische Akademie in Innsbruck besuchte. Ab 1974 war er Lehrer an einer Sonderschule. 1980 wandte er sich der Musik, speziell dem Punkrock und New Wave, zu und gründete die Band Tom Pettings Hertzattacken. Nebenbei wurde er beim Hörfunksender Ö3 Moderator der Musicbox und in weiterer Folge auch von Tre punkt Ö3, Nachtexpress und der Comedysendung Radio Gaga.
Seit seinem Abschied bei Ö3 präsentiert er am Samstagabend auf Radio Steiermark und Radio Salzburg die Sendung Forchers Zeitmaschine – und auf Radio Superfl y den Yachthafen (Freitag 17 h) und Forchers Saturdaynightjam (Samstag 20 h).