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Geliebt, geborgen, getragen
Egal, ob Tücher, Slings oder Babytragen – in Tragehilfen sind Winzlinge ab Geburt „ins Leben eingebunden“. Worauf man achten sollte und warum Tragen immer und auch im Winter eine gute Idee ist, haben wir die zertifizierte Trageberaterin Anna Schöffl gefragt. von isabel müller
An dem Hashtag #tragenistliebe kommen Eltern in sozialen Medien aktuell kaum vorbei, und wenngleich man sein(e) Baby(s) natürlich auch mit viel Liebe im Kinderwagen schieben kann, so erfreut sich Tragen doch wachsender Beliebtheit. Dank modischer Tragesysteme und wunderschöner, teils limitierter Tragehilfen ist Tragen auch für modebewusste Mamas und Papas interessant(er) geworden, viele Modelle sind innerhalb kürzester Zeit vergriffen, und Influencerinnen fungieren als Brand Ambassadeure. Doch auch im gewöhnlichen Alltag (Kochen! Bügeln! Texte tippen!), wenn bereits Geschwisterkinder da sind oder Eltern ihren Hobbys und Berufen zumindest wieder teilweise nachgehen möchten, sind Tragehilfen eine immense Hilfe.
Tipi: Anna, erzähl uns doch bitte, wie du persönlich zum Tragen gekommen bist.
Anna Schöffl: Ich wusste bereits durch Freundinnen und diverse Babyforen, dass Tragen unglaublich viele Vorteile mit sich bringt. Ein Tragetuch stand daher auf meiner Erstausstattungsliste, ich war aber zugegebenermaßen noch skeptisch. Zum „Tragefan“ bin ich dann im Alltag mit meiner erstgeborenen Tochter geworden, als ich bemerkt habe, was für eine enorme Erleichterung das Tuch ist.
Aktuell ist Tragen total „in“. Woher, denkst du, kommt der Trend, dass Babys und Kinder wieder mehr getragen werden?
Ich bin überzeugt, dass es nicht an einem Trend liegt, sondern unsere Gesellschaft in vielen Bereichen wieder „natürlicher“ denkt. Und Tragen ist das Natürlichste auf der Welt, Kinderwägen beispielsweise gibt’s erst seit etwas mehr als hundert Jahren. Auch haben sich Vorstellungen rund um Kindererziehung verändert und entwickelt – heute wird viel mehr Wert auf jedes Individuum in einer Familie und auch auf verschiedene Bedürfnisse gelegt.
In vielen Kulturen ist Tragen ohnehin völlig normal, bei uns hingegen halten sich einige Vorurteile hartnäckig, etwa dass Tragen Babys verwöhnt oder zu Haltungsschäden beim Kind führen kann.
Diese Vorurteile kommen meist von der älteren Generation (schmunzelt) – der Generation wohlgemerkt, die ohne Kindersitze im Auto fuhr, die ganz selbstverständlich im Flugzeug und neben Kindern geraucht hat … Wissen entwickelt sich stetig weiter! Heute gibt es unzählige Studien und Ratgeber, die belegen, dass ergonomisch richtiges Tragen Kinder und ihre Gesundheit fördert, anstatt ihnen zu schaden. Und auch komplett unwissenschaftlich betrachtet: Wenn man sich ein Neugeborenes anschaut … liegt es wie wir Erwachsenen mit ausgestreckten Beinen und geradem Rücken in seinem Bett? Nein! Die Haltung, die ein Baby in der Trage oder im Tuch einnimmt, ist so natürlich, dass es diese von ganz allein im Alltag macht. Zudem möchte ich unbedingt festhalten, dass Nähe und Liebe Grundbedürfnisse sind. Wenn wir unsere Kinder tragen, verwöhnen wir sie also nicht, wir geben ihnen vielmehr genau das, was sie brauchen!
Folgende Frage muss natürlich gestellt werden: Wie kann man sich eine korrekte Sitzhaltung vorstellen?
Wie in einem Hängesessel, genannt wird diese Haltung „Anhock-Spreizhaltung“. Die Beine des Kindes sind angehockt, die Knie auf Nabelhöhe und die Oberschenkel etwa im 90-Grad-Winkel. Wenn man sich das bildlich vorstellt, machen Popo und Knie des Babys ein „M“. Der Po hängt somit etwas tiefer als die Knie. Wichtig: Auch Eltern sollen sich beim Tragen wohlfühlen, sonst wird man auf Dauer nicht glücklich. Tragen sollte für alle Beteiligten angenehm und schmerzfrei sein!
Was hältst du davon, Babys mit Köpfchen nach vorne gerichtet zu tragen?
Kinder haben hierbei leider keinerlei Möglichkeit, sich „zu retten“, wenn sie sich in einer Situation unwohl fühlen oder wegschauen möchten – Stichwort Reizüberflutung. Außerdem ist es nahezu unmöglich, vorwärtsgerichtet eine ergonomisch gute Position für das Kind zu finden, auch für die Eltern ist diese Variante eine ungewöhnliche, unangenehme Belastung. Der Kuschelfaktor geht ebenfalls verloren! Kurz gesagt: Beim Tragen von Bauch zu Bauch oder am Rücken überwiegen die Vorteile immens, warum also eine andere Position wählen?
Was sollte denn in kälteren Monaten beim Tragen beachtet werden?
Gerade für Neugeborene ist Tragen die beste Möglichkeit, sich im Freien aufzuhalten. Babys können ihre Temperatur jedoch noch nicht selbst regulieren und somit schneller auskühlen. An sich kann man die Zwerge in ihrer normalen Kleidung einpacken – Trage oder Tuch ersetzen eine Kleidungsschicht! Wird das Baby jedoch außerhalb der elterlichen Jacke getragen, rate ich zu Anzügen aus Wolle oder Baumwollfleece. Der oder die Tragende kann darüber eine (Trage-)Jacke oder ein Tragecover anziehen, wodurch das Kind mitgewärmt wird, geschützt ist und nicht auskühlen kann. Wichtig: Nicht auf Kopf- und Beinbedeckung vergessen! Und: Immer auf ausreichende Luftzufuhr achten.
Wenn du abschließend etwas sagen könntest, um skeptische Mütter und Väter vom Tragen zu überzeugen, was wäre es?
Wir alle tragen unsere Kinder jeden Tag, oft stundenlang. Also machen wir es uns einfach(er) und lassen uns dabei unterstützen!
© Natalia Deriabina (1), Flora Fellner (1), Vanamo (1)
Anna Schöffl
ist zweifache Mama und legt großen Wert auf individuelle Beratungen. Egal, ob telefonische Hilfestellung, Workshop oder Auswahl der perfekten Trage, die ausgeborgt oder in Kooperation mit dem Kids Concept Store by Proudbaby bei ihr gekauft werden kann – Anna möchte Familien ermutigen, ihren ganz eigenen Weg zum Trageglück zu finden.
www.fuxa.at www.facebook.com/ trageberatungannaschoeffl
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