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Eine o ene Tür und ein o enes
Die Mühle aus dem 19. Jahrhundert erstrahlt dank viel Einsatz, unermüdlicher Bemühungen und vieler Spenden heute als modernes Zentrum für betroffene Familien.
Eine offene Tür und ein offenes Ohr
Schwere Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma ändern plötzlich alles. Kerngesunde Menschen sind mit einem Mal schwere Pflegefälle, Angehörige und Partner wissen ob der nötigen intensiven Betreuung nicht mehr weiter. Die Familie Pfeifer wurde mit genau dieser Situation konfrontiert und trat nach vielen schwierigen Monaten und Jahren den Weg nach vorne an – anderen in der gleichen Situation zu helfen. Es entstand das Projekt YLVIE. von markus höller
Ylvie, das ist die Tochter von Sandra und Harald Pfeifer. Ylvie hatte im August 2016 im Alter von 18 Jahren einen schweren Autounfall, die Folgen: schwerste innere Verletzungen, zahlreiche Brüche und obendrein ein offener Schädelbasisbruch mit massiven Hirnverletzungen. Sie ringt wochenlang auf der Intensivstation mit dem Tod, bis sie die Augen öffnet. In diesem Zustand, Apallisches Syndrom oder auch Wachkoma, verbleibt sie weitere bange Wochen. Weitere Monate mit Reha und zahlreichen Operationen folgen, die Fortschritte sind minimal. Die Ärzte geben praktisch auf. Nach einem Jahr Wachkoma bestehe keine Hoffnung mehr auf Verbesserung, es wird zu einem Heim geraten. Eine Zerreißprobe für Eltern und Schwester Kathi, aber sie wagen das Unmögliche: Daheim soll Ylvie mit vereinten Kräften und handverlesenen Therapeuten den Weg zurück ins Leben schaffen.
Geht nicht gibt’s nicht Und tatsächlich schafft die Familie das Unmögliche. Ylvie reagiert wieder, lächelt, kann nach unglaublichen Strapazen und mit großem Einsatz sogar erstmals ihrem Papa wieder einen Kuss auf die Wange drücken! Heute, viele Jahre nach dem verheerenden Schicksalsschlag, ist Ylvie zwar nach wie vor auf einen Rollstuhl angewiesen, kann aber im Rahmen der immer noch sehr eingeschränkten Möglichkeiten ein wenig mit der Umwelt interagieren. Drei Spezialtherapeuten (Ergotherapie, Logopädie und Physio- bzw. Osteopathie) kümmern sich nach wie vor um Ylvie und sind begeistert vom Einsatz der Familie und der Willenskraft von Ylvie. Ein verdienter Lohn für die Hartnäckigkeit und den Fleiß, den alle
Freundlich, hell und modern ausgestattet, bietet das Projekt YLVIE die so wichtige Ruhe und Erholung für Angehörige einerseits und Therapiemöglichkeiten für Patienten andererseits.
Beteiligten und vor allem Ylvie an den Tag gelegt haben. Inspiration und Motivation für alle Betroffenen in ähnlichen Situationen. Doch das war der Familie Pfeifer zu wenig, sie wollten noch mehr tun und mit ihrer Anpackermentalität greifbare Hilfe für andere schaffen. Es entstand das Projekt YLVIE. Vater Harald Pfeifer lässt im Gespräch keine Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen: „Mir war schon in der Frühtherapie von Ylvie nach einigen harten, aber ehrlichen Einschätzungen der Ärzte klar, dass nur permanente gemeinsame Arbeit der Familie und der Therapeuten mit Ylvie irgendwas bewirken kann. Und nach den ersten, kleinen Erfolgen hatte ich den Grundgedanken zu einem Urlaubsort für Betroffene – von Betroffenen.“
Ein Ort der Kraft entsteht Im Sommer 2018, zwei Jahre nach dem Unfall und mit vielen Monaten Therapie und ersten Erfolgen im Rücken, kauft die Familie also eine alte Mühle aus dem 19. Jahrhundert in Breitenweida bei Hollabrunn. Ein glücklicher Zufall, denn die eigentlich in Hollabrunn ansässige Familie wollte schon im Burgenland oder im Waldviertel suchen, erst ein Bekannter auf Haussuche machte sie auf das Objekt aufmerksam. 500 m2 Nutzfläche und weitere 20.000 m2 Grund sollen ein Urlaubsort und Therapie-Treffpunkt für Menschen mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und anderen schweren neurologischen Erkrankungen werden. Platz genug für die Angehörigen gibt es auch, zwei behindertengerechte Apartments werden eingerichtet. Das Ziel: Während die Patienten unter Anleitung von erfahrenen externen Therapeuten weiter an ihrer Reha arbeiten, haben die pflegenden Angehörigen die Möglichkeit, Zeit für sich zu nutzen und für einige kostbare Stunden die immense Verantwortung und aufreibende Pflege abzugeben.
Oder sich mit anderen Gästen bzw. der Familie Pfeifer auszutauschen. Ylvies Mühle soll ein Ort sein, an dem Patienten in der Ruhe und sanften Landschaft Kraft sammeln, ohne die so wichtigen Therapiesitzungen wegen Urlaubs aussetzen zu müssen. Und für die pflegenden Angehörigen eine Oase zum Durchatmen und Hoffnung Schöpfen.
Mit viel Mühe zur wunderbaren Mühle Mit Spenden und viel tatkräftiger Mühe hat das Projekt YLVIE über die Jahre Form angenommen. Heute steht in Breitenweida ein liebevoll restaurierter, moderner und freundlicher Urlaubshof für Menschen mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma und ihre Angehörigen, den es in der Form noch nicht gab. Vier Therapieräume, ein Seminarraum, zwei Gäste-Apartments, ein Gemeinschaftsraum sowie ein Arztzimmer und ein schöner Außenbereich mit Obst-
„Bootcamp“ nennt Hausherr Harald Pfeifer die Mühle gerne. Zu Recht, hier wird mit SchädelHirn-Trauma-Patienten intensiv gearbeitet!
Auch Ylvie selbst hat – wie der Rest der Familie – mittlerweile in der Mühle in Breitenweda ihren Lebensmittelpunkt.
und Gemüsegärten stehen zur Verfügung. Auch die Familie Pfeifer hat ihren Lebensmittelpunkt in die Mühle verlegt, denn nach den ersten Probestunden mit Therapeuten im noch unfertigen Hof wurde schnell klar, wie gut Ylvie und ihre Familie auf den Ort reflektieren. Harald Pfeifer hat eine ganz klare Vision von der Mühle: „Überspitzt gesagt, haben wir hier eine Art Bootcamp für SHT-Patienten. Wo in der grundsätzlich sehr guten medizinischen Versorgung in Österreichs Gesundheitssystem leider nur wenige Stunden pro Woche für diverse Therapien vorgesehen sind, stellen wir hier mit den bei uns freiberuflich tätigen Therapeuten Pläne mit mehreren Stunden pro Tag zusammen. Das ist zwar sehr intensiv und anstrengend, aber wir haben gesehen, dass der Erfolg von Ylvies Therapie in erster Linie der kontinuierlichen Stimulation des Gehirns geschuldet ist.“ Man merkt schon, aufgeben oder sich von Widerständen bremsen lassen, ist nicht in der DNA der Familie Pfeifer. „Am Anfang wurde ich nur verwundert angesehen, als ich mit meinen Plänen in der Hand von Handwerkern über medizinische Fachleute bis zur Kommunalpolitik herumgeirrt bin, um unser Projekt voranzubringen. Mittlerweile, ein Jahr nach der ersten Vor-Ort-Präsentation und kurz vor der Eröffnung im Herbst 2022, ist das Interesse nicht nur aus der Community der Betroffenen, sondern auch von außerhalb groß.“ Denn das Projekt YLVIE finanziert sich ausschließlich aus Spenden und mithilfe von Freiwilligen, nicht aus der öffentlichen Hand. Sogar Bildungseinrichtungen beteiligen sich mittlerweile an der Mühle, die Meisterklasse der Tischlerinnung Pöchlarn arbeitet zur Stunde an der Einrichtung der Therapieräume.
Urlaub mit Herz Auf den Vergleich mit dem grundsätzlich vertrauten Konzept der Ronald-McDonald-Häuser reagiert Harald Pfeifer bescheiden und vorsichtig: „Auch wenn das Prinzip der Nähe und Auszeit für die Angehörigen ähnlich ist, muss ich nochmals darauf hinweisen, dass wir hier keinen medizinischen Betrieb oder vergleichbare Einrichtungen aufbauen wollen und können. Dazu fehlen uns die nötigen Mittel und Möglichkeiten, von den rechtlichen und behördlichen Auflagen ganz zu schweigen. Wir verstehen uns wie ,Urlaub am Bauernhof mit Familie Pfeifer‘, nur eben ohne Kühe. Dafür bieten wir aber die Räumlichkeiten für privat organisierte Therapiestunden sowie die Möglichkeit für Familien, in der Ruhe des Weinviertels ein wenig dem Alltag zu entfliehen und sich mit anderen Menschen in der gleichen Situation – letztlich auch mit uns – auszutauschen und Kraft zu schöpfen.“ Schon jetzt sind nach Vereinbarung jederzeit Besichtigungen oder auch in Abstimmung mit freien Therapeuten ambulante Therapiestunden möglich, ab Herbst geht dann sozusagen der Vollbetrieb los.
© Projekt Ylvie
Spenden für das Projekt YLVIE
Für den Ausbau und den Betrieb der Mühle in Breitenweida sind Spenden wichtig. Direkt spenden kann man an: Sandra Pfeifer | Projekt Ylvie Raiffeisen Landesbank NOE-Wien IBAN: AT57 3232 2000 0004 1582 BIC: RLNWATW1322
Die steuerliche Absetzbarkeit ist über die Plattform „Hilfe im eigenen Land“ möglich. Hier einfach bei der Frage „Soll Ihre Spende einem bestimmten Notfall zugeordnet werden?“ das Projekt YLVIE angeben und die steuerliche Absetzbarkeit markieren. www.hilfeimeigenenland.at Abgesehen von Geld- und Sachspenden sucht Familie Pfeifer auch laufend selbstständige Therapeuten, die nach Breitenweida kommen und dort arbeiten können.
Alle weiteren Informationen zum Projekt Ylvie gibt es auf www.ylvie.at.
Wie sag ich’s meinem Kind: Homeoffi ce
Interview
© Privat, Bronwynn Wessels
Schwierige Themen – kinderleicht gemacht. Oder so leicht wie möglich. Diesmal in der Tipi-Serie: Die Eltern sind im Homeoffi ce. Wie man damit am besten umgeht, weiß Psychologin Jasmin Mandler.
von markus höller
In welchem Ausmaß wird dieser Umbruch in der Arbeit die Kinder hinsichtlich ihrer späteren Berufswahl prägen?
Jasmin Mandler: Die Flexibilisierung von Arbeitsmodellen hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsplatz und Ausübungsort der Tätigkeiten wird voraussichtlich weiter zunehmen. Der Umstieg auf das Arbeiten von zu Hause aus aufgrund der CovidPandemie kann in diesem Zusammenhang wohl als ein erster Vorgeschmack auf eine weiter dahingehend fortschreitende Entwicklung gesehen werden. Dadurch, dass Kinder in der aktuellen Pandemiesituation erleben konnten, dass ihre Eltern von zu Hause aus arbeiten beziehungsweise sie selbst von zu Hause aus an der Schule teilnehmen, sind erste Berührungspunkte mit dieser Form der Arbeitsverrichtung gemacht worden. Abhängig davon, ob diese Erfahrungen positiv oder negativ erlebt und bewertet wurden, kann dies eine Auswirkung darauf haben, ob Kinder das fl exible Arbeiten später einmal in ihre Berufswahl als Entscheidungsfaktor mit einfl ießen lassen oder nicht.
Ab wann und in welchem Ausmaß können Kinder begreifen, dass Mama oder Papa arbeiten, auch wenn sie daheim und nicht auswärts sind?
Ab dem späten Kindergartenalter, frühen Grundschulalter verstehen Kinder zunehmend, dass ihre Eltern arbeiten gehen, (unter anderem) um Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Die meisten Eltern vermitteln ihren Kindern, dass, während sie im Kindergarten sind, sie selbst an der Arbeitsstätte sind. Da kann es zunächst schon irritierend und verwirrend sein, wenn sich diese klaren (örtlichen) Grenzen durch das Ausüben von Homeo ce auflösen. Klare, kindgerechte Kommunikation darüber, wie sich die Abläufe zu Hause verändern werden, wenn Eltern von zu Hause aus arbeiten, geben Kindern hierbei Orientierung und Sicherheit.
Wie geht man als Elternteil damit um, wenn das Kind trotz hoch konzentrierter Arbeit nach Aufmerksamkeit verlangt?
Man kann den (neu eingerichteten) Arbeitsplatz zeigen und die Rahmenbedingungen während der Homeo ce-Zeiten besprechen. Leichter fällt es – vor allem jüngeren – Kindern sicherlich, wenn der Arbeitsplatz auch räumlich von der restlichen Wohnung abgetrennt ist und nicht am Küchen- oder Wohnzimmertisch gearbeitet wird, da sich dabei die „Funktionen“ dieser Wohnbereiche vermischen. Auch kann es wichtig sein, dem Kind Angebote zu machen, womit es sich für eine gewisse Zeit selbstständig beschäftigen kann. Wenn es dem Elternteil nicht möglich ist, Pausen in seinem Homeo ce einzulegen, die dann für die Beschäftigung mit dem Kind genutzt werden, sollte versucht werden, auf andere Betreuungspersonen wie einen zweiten Elternteil, Großeltern etc. zurückzugreifen. Nicht ratsam ist es, Kinder über mehrere Stunden hinweg mit Medienkonsum „ruhigzustellen“. Sucht das Kind immer wieder die Aufmerksamkeit der Eltern sollte ihm klar vermittelt werden, wann man wieder Zeit für es haben wird (dabei ist eine möglichst konkrete Zeitangabe, wie z.B. „wenn deine Hörspielfolge vorbei ist“, „wenn der Zeiger bei 2 ist“ oder Ähnliches ratsam) und was es zwischenzeitlich tun kann.
Mag.a Jasmin Mandler
ist klinische und Gesundheitspsychologin für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern. PÄPSY, Gumpendorfer Str. 139/Top 1.04, 1060 Wien, www.paepsy.at
Inwieweit ist es sinnvoll, Kinder in das Homeo ce mit einzubeziehen und ihnen einfache Aufgaben zu übertragen?
Sollte das Kind Interesse an der Arbeit des Elternteils haben, spricht klarerweise nichts dagegen, ihm kleine Aufgaben, wie beispielsweise etwas zu kopieren oder auszudrucken, zu übertragen. Es sollte allerdings klar vermittelt werden, dass es dies lediglich tut, weil es selbst Interesse daran hat und es keinen Zwang dazu gibt. Vermieden werden sollte, dem Kind zu vermitteln, dass man als Elternteil schneller wieder Zeit für das Kind hat, wenn es einem bei der Verrichtung von Arbeiten hilft, da dabei dem Kind eine Verantwortung übertragen wird, die klar beim Erwachsenen liegt.
Wie „entwöhnt“ man Kinder wieder vom Homeo ce, wenn der Arbeitgeber wieder Anwesenheit an der Dienststelle verlangt?
Idealerweise, indem man es mit etwas „Vorlaufzeit“ darauf vorbereitet, dass sich die Rahmenbedingungen nun wieder verändern werden und man wieder zum Arbeiten an seine Arbeitsstätte geht. Hat das Kind bereits den Kindergarten oder die Schule besucht, wird es dies nun in der Regel auch wieder – wie gewohnt – vor Ort tun. Für besonders junge Kinder, die bis dahin ausschließlich häuslich betreut wurden, kann es mitunter ein paar Tage brauchen, bis sie sich an die erneut veränderte Situation gewöhnt haben. (Leichte) Trennungsreaktionen vom Elternteil, Reizbarkeit, vermehrtes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Körperkontakt sind dabei altersadäquate Reaktionen.