ePaper N°5

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ePaper N° Das Augsburger Hochschulmagazin

07 /2013 | www. presstige.org

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E H C A SPR

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Editorial One, two, Mic Check – könnt ihr uns hören? Dieses ePaper ist ein Soundcheck mit Publikum. Presstige hat einen personellen Umbruch hinter sich, dementsprechend rumpelt es vielleicht hier und da noch ein bisschen. Unser langjähriger Art Director Sebastian ,Bob‘ Baumeister übergibt mit dieser Ausgabe die gestalterische Verantwortung an Natalia Sander und wir übernehmen die Chefredaktion von Martina Schnitzer und Daniela Steffl. Euch dreien noch einmal vielen herzlichen Dank für die großartige Arbeit! Für das Titelthema haben wir uns wie immer ein großes Wort vorgenommen, dem wir uns im Magazin von vielen Seiten nähern. Zu ,Sprache‘ fiel der Redaktion besonders viel ein: ein Essay über Anglizismen, ein Interview mit einer Gehörlosen über Gebärdensprache, eine Reportage über Analphabetismus, eine persönliche Geschichte darüber, wie es sich anfühlt, als Einwanderer Deutsch zu lernen – und einiges mehr. Außerdem haben wir für euch das neue Schwarze Schaf besucht, die Augsburger Erotikszene erkundet und unsere Lieblingslieder zusammengestellt. Sprachlosigkeit beim Lesen wünschen

Christian Endt & Sophia Lindsey chefredaktion@presstige.org

Covermodels: Lisa Maier & Daniel Scholz – Titelfoto: Natalia Sander Mit herzlichem Dank an alle Beteiligten.

nd von u e r F e ! k o Werd o b e uf Fac a e g i t s pres Covermodels: Wolfgang Kratsch, Ina Veneva, Denitsa Kostadinova und Tianli Xia – Titelfoto: Sebastian Baumeister – Mit herzlichem Dank an alle Beteiligten.

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Inhalt

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Deutsch ist such a nette language Gegen die Hygienewächter der deutschen Sprache

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„Ich möchte mir aussuchen, wo ich hingehe“ Ein Gespräch über Gebärdensprache

11 Ich hör dich mit den Händen

Das Lormen – ein Alphabet für Taubblinde

12 A wie abfel, B wie bebi, C wie cepra

Auf den Spuren des Analphabetismus in Deutschland

14 Deutsch, das (Substantiv, Neutrum)

Oder: Wie ich zur Muttersprachlerin wurde

16 Esperanto, die Sprache des Friedens 18 Hast du mal ‘ne Tüte? Warum Deutsch nicht gleich Deutsch ist

vorwärts

21 10 Fragen an … Dr. Darren Paul Foster 22 Und weg sind sie!

Umfrage zum Ende der Studiengebühren

24 System.out.println („Hallo Welt!“);

Kommandieren mit Programmiersprachen

25 Einwürfe: Bukowina-Institut und Sprachenzentrum

heimwärts 27 10 Facts über … den Augschburger Dialekt 28 Aus Alt mach Neu

Das Schwarze Schaf nach dem Umbau

31 Fotostrecke: Abgründe Augsburgs 34 Sex in the City – Augsburgs Erotikszene

weltwärts 37 38 40 42

Besser … faul sein Bis die Masse johlt – Faszination Poetry Slam Pro & Contra Sollte man sich Serien und Filme im Original ansehen?

Von Pogo, Fashionistas und Grabsch-Attacken Das Modular-Festival in der Retrospektive

seitwärts 45 Immer ein offenes Ohr

Über das Phänomen Selbstgespräch

46 Bilderrätsel: Ich packe meinen Koffer ... 48 So war das aber nicht gemeint

Missverständnisse in der Kommunikation

50 Alles korrekt, oder? – Die Tücken der Autokorrektur 52 Eine Woche ohne … Deutsch zu sprechen 54 Glosse: Brothers in Endsprech 56 Happy Hour Guide 58 Tipps aus der Redaktion: Lieblingssongs 4 | presstige


Titel Alles rund um's Thema Karriere und Studium

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a h c u s t s i h e c g s t a u De gu

n a l e nett

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urch zunehmendes Eindringen fremder Wörter ist die deutsche Sprache und damit unsere Kultur bedroht, heißt es immer wieder. Eine Erwiderung. Die Deutsche Bahn spricht jetzt wieder Deutsch. Der Konzern hat eine Liste mit 2.200 Anglizismen erstellt, die künftig durch ein deutsches Wort ersetzt werden sollen. Statt Flyer heißt es dann wahlweise Handzettel oder Broschüre, aus Counter wird Schalter und Service Point wird zu DB Information. Im Verkehrsministerium, das die Deutschoffensive der Bahn angestoßen hat, spricht man in diesem Zusammenhang von „Sprachreinheit“. Die Bahn hat für die Englischkenntnisse ihrer Mitarbeiter („Senk ju vor träwelling“) in der Vergangenheit viel Spott kassiert. Aber kann es die Lösung sein, in Zukunft wieder voll auf Deutsch zu setzen? Bei einem Verkehrsunternehmen, dessen Kunden Reisende sind und somit häufig Nichtdeutsche? Wie wir wissen, war früher alles besser, oder zumindest das meiste. Seit dem Ende von Früher geht es unaufhaltsam bergab. Klar, dass dieser Trend auch vor der deutschen Sprache nicht Halt macht. In diesem speziellen Fall manifestiert sich der Niedergang in der zunehmenden Durchsetzung von Wörtern aus dem Englischen. Dieses Problem hat nicht nur die Bahn erkannt, es gibt sogar einen eigenen Verein zur Reinhaltung der Sprache. Er nennt sich etwas ideenlos Verein Deutsche Sprache e.V. Dort kämpfen 36.000 Mitglieder gegen „überflüssige englische Brocken“. Schuld an der Sprachverhunzung ist für den Verein „die weltweite Ausbreitung des American Way of Life, hinter dem die politische und wirtschaftliche Macht der USA steht“. Bei den Deutschen erkennen die Sprachreiniger eine „gierige Bereitschaft zur Anbiederung ans Englische“. Ottmar Hitzfeld und Hape Kerkeling sind prominente Mitglieder des Vereins. Natürlich, es gibt ziemlich bescheuerte Anglizismen. Das macht sich zum Beispiel immer dann bemerkbar, wenn uns der Einzelhandel in großen roten Buchstaben „SALE“ entgegenbrüllt, weil das Wort Schlussverkauf ir-

gendwie aus der Mode gekommen ist. Oder das Schild, an dem ich letztens in Berlin vorbeigeradelt bin: „rent a bike ab 5“. Berlin ist eine weltoffene Stadt, viele Menschen hier sprechen kein Deutsch, ich habe vollstes Verständnis, wenn Dienstleistungen auf Englisch angepriesen werden. Aber dann muss es heißen „rent a bike starting at 5“. Ähnliches Beispiel: Der „Coffee to go auch zum Mitnehmen“.

The German Energiewende Wer die deutsche Sprache von allem Fremden reinhalten möchte, verteidigt damit die letzte Bastion einer Ideologie, die eigentlich längst überwunden sein sollte. Genau wie Zuwanderungskritiker meist nicht wahrhaben wollen, dass die Zuwanderung in Deutschland in schlechten Jahren unter der Abwanderung liegt und in guten Jahren mit Müh und Not den Bevölkerungsrückgang auffangen kann, genauso wird oft unterschlagen, dass Wortwanderungen in beide Richtungen stattfinden. Die Liste deutscher Wörter in der englischen Sprache ist meterlang, sie geht vom Klassiker Kindergarden über Hinterland bis zu abstrakten Begriffen wie Angst, Zeitgeist und Schadenfreude. Ein ziemlich junger deutschstämmiger Neuzugang im angelsächsischen Sprachschatz ist die Energiewende. Als im Frühjahr der FC Bayern und der BVB Dortmund ihre spanischen Kontrahenten Barca und Real mit 4:0 und 4:1 vom Platz fegten, titelte die Londoner Boulevardzeitung Sun mit dem grandiosen Wortspiel „Foursprung durch Technik“. Mit ein bisschen Fantasie und Kreativität wird aus fremden Eindringlingen eine ungeheure Bereicherung für die eigene Sprache. Wie schwierig es sein kann, das moderne Leben in einem konservierten Deutsch zu beschreiben, musste übrigens auch die Bahn feststellen: Für die Neubennenung ihrer Hotline ist ihr nichts Besseres eingefallen als ServiceNummer. Dabei wäre Hilfestellungsfernsprecheinrichtung doch total sexy, pardon, adrett gewesen. presstige | 7


„Ich möchte mir aussuchen,

wo ich hingehe“ Ein Gespräch über Gebärdensprache und das Recht, die Welt mitzubekommen Text: Sophia Lindsey – Fotos: Maximilian Ruppert

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s ist leicht, Kerstin Mackevicius zuzuhören. Besser: ihr beim Sprechen zuzusehen. Wenn sie gebärdet, scheint es, als würden ihre Hände zu Pinseln und die Welt zur Leinwand. In Sekundenschnelle entstehen Bilder, unsichtbar für denjenigen, der die Sprache nicht versteht. Manchmal muss die Gebärdensprachdolmetscherin sie bremsen. Denn naturgemäß dauert es länger, die dreidimensionalen Gebärden in die lineare Lautsprache zu übersetzen. Gebärdensprache ist eine vollwertige Sprache mit einer vollständigen Grammatik: Das Verb steht etwa am Satzende, große Objekte werden vor kleinen genannt, unbewegte vor bewegten. Für Eigennamen dient ein auffälliges Merkmal des Bezeichneten – etwa Theodor Waigels buschige Augenbrauen. Kerstin hat wilde Locken und ein ansteckendes Lachen. Sie ist von Geburt an taub. Ihre Namensgebärde sind zwei angedeutete Zöpfe, die sie als Kind trug, um so zu sein wie Pippi Langstrumpf: frech und furchtlos. Seit zwanzig Jahren unterrichtet sie in Augsburg Gebärdensprache. Das Kämpferische ist ihr geblieben. presstige: An Gebärdensprache fällt sofort auf: Der ganze Körper scheint zu sprechen. Kommt Ihnen die Mimik und Gestik von Hörenden manchmal ausdruckslos vor?

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Kerstin Mackevicius: Ja, das macht schon den Eindruck, gerade bei Nachrichten. Der Moderator rührt sich kaum, emotionslos sieht das aus. Kennt ihr den Kanal Phoenix? Da gibt es den Moderator und den Gebärdensprachdolmetscher. Das kleine Bild des Dolmetschers ist voll in Bewegung, der Nachrichtensprecher ist völlig steif. Aber das hängt natürlich auch vom Temperament ab. Und auch an Gebärdensprache ist nicht der ganze Körper beteiligt. Wir nutzen die Hände, die Mimik, den Oberkörper und den Gebärdenraum, der ungefähr bis zur Hüfte reicht. Gebärdensprache ist nicht international, sie unterscheidet sich von Land zu Land. Aber gibt es auch Dialekte in der Gebärdensprache? Oh ja. Sogar hier in Augsburg gibt es zwei, drei verschiedene Dialekte. Welchen man benutzt, hängt davon ab, wo man zur Schule gegangen ist. Dass es so viele regionale Unterschiede gibt, liegt daran, dass Gebärdensprache jahrelang unterdrückt wurde. Die Kinder haben nur untereinander Gebärdensprache benutzt und teilweise auch Gebärden erfunden. Amtlich gemacht wurde diese Unterdrückung 1880 mit dem Mailän-

der Kongress, dessen Beschlüsse die „Überlegenheit der Lautsprache gegenüber der Gebärdensprache“ behaupteten. Erst seit 1988 ist die Gebärdensprache in Europa anerkannt, 2002 zog Deutschland mit dem Behindertengleichstellungsgesetz nach. Doch sind Gehörlose wirklich in die Gesellschaft inkludiert? Nein, das nicht. Ich schlage zum Beispiel ein Kinoprogramm auf und es gibt kaum etwas mit Untertiteln. Wenn ich ins Theater möchte, weiß ich nicht, wer die Finanzierung für den Dolmetscher übernehmen soll. In Notfallsituationen will ich der Polizei Bescheid geben können oder der Feuerwehr. Es gibt zwar eine Notfallfaxnummer, aber ich möchte gleich ein Bild vor mir haben und mit jemandem in Gebärdensprache sprechen können. Wenn ihr anruft, bekommt ihr sofort eine Antwort. Ziel wäre es also, dass Gebärdensprache in Deutschland auch Amtssprache wird, wie es etwa in Neuseeland der Fall ist? Ja. In den Behörden müsste zumindest einer Gebärdensprache können. Nicht alle, aber einer, sodass ich auf die Behörde gehen kann und es ist jemand für mich da. Das wäre toll.


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In welchen Bereichen fehlt es noch an Möglichkeiten für Gehörlose?

Gebärden werden zwar als Hilfsmittel eingesetzt, aber das ist keine Gebärdensprache. Mein Neffe ist gehörlos und benutzt Gebärdensprache, aber im Förderzentrum haben sie ihn überhaupt nicht verstanden! In achtzig Prozent der deutschen Förderzentren wird keine Gebärdensprache gesprochen.

Die Teilhabe am öffentlichen Leben steht an oberster Stelle. Ich möchte mir aussuchen können, wo ich hingehe. Am Bahnhof heißt es zum Beispiel oft: Bitte Ansagen beachten. Dann denke ich mir: Na toll, das ist keine Inklusion. Ich bin immer abhängig von Leuten, das gefällt mir nicht. Wir haben auch ein Recht auf lebenslanges Lernen. In der VHS werden interessante Kurse angeboten, doch wenn ich einen besuchen möchte, muss ich schon wieder darum kämpfen, wer die Finanzierung für den Dolmetscher übernimmt. Wir haben ein Informationsdefizit. Jetzt müssen wir auch die Rundfunkgebühr zahlen, früher waren wir befreit. Aber wenn ich etwas bezahle, möchte ich auch hundertprozentige Untertitelung haben.

Hörende sind im Alltag andauernd auf Geräusche angewiesen. Wie können das Gehörlose überhaupt meistern? Geräusche kenne ich ja gar nicht. Ich nehme mit den Augen wahr. Wenn draußen ein Vogel sitzt und jemand sagt: „Oh, du hörst das Zwitschern gar nicht“, dann sage ich: „Na und? Ich kann ihn sehen, kann beobachten, was er macht, wie er fliegt, wie er sitzt, wie die Kehle sich bewegt.“ Und in der Nacht habe ich einen Vorteil: Egal, ob es draußen stürmt oder gewittert, ich schlafe ganz ruhig. Ich vermisse das Hören nicht.

Mit der 2006 beschlossenen UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtete sich Deutschland, ein inklusives Bildungssystem zu ermöglichen. Wie wichtig finden Sie es, dass gehörlose und hörende Kinder gemeinsam unterrichtet werden?

Chochleaimplantate, also eine Art Hörprothese, lehnen die meisten Gehörlosen ab. Warum? AllerHand! heißt die mobile Gebär-

Ich sehe das schon ein bisschen skeptisch. Wenn zum Beispiel hörende Eltern ein gehörloses Kind haben und es hat keinen Kontakt zu Gehörlosen und kommt dann in eine Regelschule, wie soll das funktionieren? Wie soll es eine Identität finden? Es erfährt nichts von der Geschichte und der Kultur Gehörloser. Wenn die Eltern aber gehörlos sind und das Kind ist es auch, dann ist diese Identität vorhanden. Wenn drei oder vier gehörlose Kinder gemeinsam mit hörenden Kindern unterrichtet werden, wäre das eine gute Lösung. Die Alternative sind die Förderzentren … Im Förderzentrum Augsburg werden leider nur wenige Stunden bilingual unterrichtet. Lautsprachbegleitenden-

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densprachschule von Kerstin Mackevicius. Angeboten werden Gebärdensprachkurse in acht verschiedenen Kursstufen im Großraum Augsburg sowie zahlreiche maßgeschneiderte Kurse. Details und Termine gibt es auf www.allerhand-augsburg.de.

Ich kann schwer beschreiben, wie sich das anfühlt. Wenn einem Kind das CI verpflanzt wird, tut mir das einfach weh. Es war vorher ein gesundes Kind. Ja, es hat nicht gehört, aber es hat nichts vermisst, nichts verpasst. Jetzt trägt es etwas Ähnliches wie ein Hörgerät am Ohr. Seine Teilchen leuchten rot und grün wie bei einem kleinen Roboter. Natürlich kann ich Hörende verstehen, die dem Kind eine Chance geben wollen, akustisch etwas wahrzunehmen. Aber warum muss das Kind sich ändern? Die Eltern könnten sich erstmal umstellen und für das Kind Gebärdensprache lernen. Gebärdensprache ist verbunden mit unserer Kultur und unserer Gemeinschaft. Ich wünsche mir, dass das einfach angenommen wird. Ich brauche keine Geräusche. Warum muss man sich immer nur anpassen? •


Ich hör dich mit den

Händen Das Lormen – ein Alphabet für Taubblinde Text: Andrea Sappler – Illustration: Natalia Sander

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ass man mit den Händen reden kann, ist vorstellbar. Denn auch wer hören und sehen kann, gestikuliert, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Was jedoch, wenn ein Mensch weder das eine noch das andere kann? Dann muss er mit den Händen auch ‚zuhören‘ können. Was bleibt, wenn man die zwei Sinne Sehen und Hören verliert? Nichts als Stille und Dunkelheit? Schließlich können Taubblinde ihre fehlende Seh- und Hörfähigkeit nicht durch den jeweils anderen Sinn kompensieren. Doch auch sie nehmen ihre Umwelt vielseitig wahr, besonders durch ihren Tastsinn und die Wahrnehmung von Gerüchen. Für die interpersonale Kommunikation haben Taubblinde mehrere Möglichkeiten. Eine davon ist das Lormen: ein Alphabet, das in die Hand ‚hineingeschrieben‘ wird.

Das Alphabet immer zur Hand Erfunden wurde das Lormen von Hieronymus Lorm. Er hat jedem Buchstaben des deutschen Alphabets eine Stelle auf der Handinnenfläche zugeordnet. Dabei hat er darauf geachtet, dass die häufig gebrauchten Buchstaben besonders gut erreichbar sind. So befinden sich die Vokale auf den Fingerspitzen, während Buchstaben wie X, Y oder C an der Handwurzel verortet werden. Die Vokale werden mit einem einfachen Punkt ‚gezeichnet‘. Andere Buchstaben drückt man mit zwei Punkten, einem gemalten Kreis, einem Strich, einem Kreuz oder dem Umfassen oder Zusammendrücken bestimmter Finger aus. Laut dem Deutschen Taubblindenwerk ist das Lormen für Menschen, die die deutsche Schriftsprache können, einfach zu erlernen. Das Enkodieren ist jedoch kognitiv relativ anspruchsvoll. In der Kommunikation mit kleinen Kindern scheidet das Lormen deshalb aus.

Das Lormen, die Sprache der Taubblinden? Ist das Lormen die Sprache der Taubblinden? Nein, so die Bundesarbeitsgemeinschaft der Taubblinden auf ihrer Webseite. Demnach ist die Hauptsprache der Taubblinden die Gebärdensprache. Denn auch sie kann mit den Händen ‚gelesen‘ werden, indem Form und Bewegung der Gebärden ertastet werden. Das Lormen ist eher als ein Hilfsmittel anzusehen. Durch die Reduzierung auf die geschriebene Sprache ist das Alphabet in der Hand nicht für alle Taubblinden geeignet. Vielen sind die deutsche Sprache und deren Regeln fremd. Von Geburt an Gehörlose müssen die Schriftsprache wie eine Fremdsprache erlernen. Unabhängig davon ist die taktile Gebärdensprache als Kommunikationsform bei Taubblinden beliebter: Sie ist lebendig, sie lebt von Symbolen und beinhaltet die ausgeprägte haptische Interaktion mit dem Gegenüber. Ob ein Taubblinder das Lormen dennoch gerne verwendet, hängt meist von dem Zeitpunkt seiner Ertaubung und seiner Affinität zur Schriftsprache ab. • presstige | 11


A wie abfel, B wie bebi, C wie cepra ... Auf der Spur des Analphabetismus in Deutschland Text: Tine Kath & Alexandra Kiefer – Illustration: Antonia Antonova

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ierzehn Prozent der Erwachsenen in Deutschland können nicht gut genug lesen und schreiben, um in ausreichendem Maß am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Eine Reportage über Betroffene, Dozenten und den Mut, den Stift in die Hand zu nehmen.

7,5 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland können nicht ausreichend lesen und schreiben: eine Zahl, die schockiert – und die uns neugierig gemacht hat. Wir wollen uns ein Bild von diesem verborgenen Phänomen mitten unter uns machen und machen uns auf den Weg.

Definition Analphabetismus im engeren Sinn bedeutet, überhaupt nicht lesen und schreiben zu können. Häufiger ist der funktionale Analphabetismus. Das heißt, dass die schriftsprachlichen Kompetenzen von Erwachsenen niedriger sind als minimal erforderlich wäre, um den gesellschaftlichen Anforderungen

Frauen. Die Teilnehmer lesen gemeinsam Texte, füllen Arbeitsblätter aus oder spielen Sprachspiele am Computer wie zum Beispiel Memory mit Wörtern und Bildern oder Bingo mit Buchstaben. Wir dürfen den Einzelnen bei den Übungen helfen. Fast nebenbei erzählen sie uns ihre Geschichten.

Fehlerfreie Liebesbriefe Wie die von Bashar*. Er ist vor vielen Jahren aus dem Libanon gekommen und spricht fast perfekt Deutsch, nur mit dem Schreiben hapert es noch. Er würde gerne öfter kommen, doch eine chronische Krankheit nimmt ihm viel Zeit weg. Er hofft, dass das Lernen ihm hilft, mehr über seine Krankheit zu erfahren, als die Ärzte ihm mitteilen. Außerdem will er einen Partner finden, der gebildet ist und dem er auch Liebesbriefe schreiben kann, denn: „Das kommt ja ganz blöd, wenn da Fehler drin sind.“

gerecht zu werden.

Zahlen und Fakten In vielen deutschen Städten bieten die Volkshochschulen sogenannte Lernwerkstätten an, kostenlose und anonyme Anlaufstellen für Analphabeten. Wir haben uns in einer umgesehen: Bücherregale füllen eine ganze Zimmerwand, an einer anderen hängen eingerahmte Poster. In der Mitte stehen Tische. Es gibt eine kleine Teeküche. Hier lernen ungefähr zehn Personen aller Nationalitäten und Altersklassen, überwiegend sind es

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14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland sind Analphabeten. Die Mehrheit der Betroffen ist männlich (60 Prozent), berufstätig (57 Prozent) und hat Deutsch als Erstsprache gelernt (58 Prozent). 19 Prozent von ihnen besitzen keinen, etwa die Hälfte einen unteren Bildungsabschluss. 31 Prozent verfügen über mittlere oder höherer Abschlüsse. Etwa 25.000 Menschen nehmen derzeit an Kursen zum Lesen und Schreiben teil.


Wir treffen auf mehrere ausländische Teilnehmer, die schon jahrelang in Deutschland leben und auch sehr gut Deutsch sprechen und verstehen. Für sie ist die Lernwerkstatt eine gute Möglichkeit, das Schreiben und Lesen deutscher Texte zu üben und so ihre Zweitsprache noch besser zu beherrschen. Doch die Mehrheit der Analphabeten hat Deutsch als Erstsprache gelernt. Alfred* erzählt, dass er vom Arbeitsamt geschickt wurde. Er ist sich nicht sicher, was das bringen soll, schließlich sei er 60 Jahre lang so zurechtgekommen. Sein Leben lang hat er als Maurer gearbeitet, unzählige Häuser gebaut, bis er wegen eines Rückenproblems aufhören musste. Nun will ihn das Arbeitsamt gegen seinen Willen zur Bürokraft umschulen. Thomas* kommt ein wenig zu spät. Er ist einer der jüngeren Teilnehmer, etwa Mitte zwanzig. Er leidet an einem Sprachfehler: Fast verschluckt er die Worte beim Sprechen, so schnell kommen sie ihm über die Lippen. Seine Sätze bildet er nach dem englischen Satzbau und oft verwendet er nur die Grundform der Verben. Deshalb fällt ihm das Englische eher leicht. Beruflich hilft das dem Computerspezialisten sehr. Die Lernwerkstatt sieht er als Möglichkeit, an seinen Sprachschwierigkeiten zu arbeiten.

einen Kursbesuch, dass sie nicht allein sind. Brigitte Loibl, Koordinatorin der Alphakurse der VHS Augsburg, meint deshalb sogar, dass mit dem ersten Kursbesuch „der größte Teil des Weges schon getan ist.“ Schließlich müssten die Betroffenen dafür viel Mut beweisen. Nach der Lernwerkstatt findet eine Unterrichtsstunde eines Alphabetisierungskurses statt. Joseph, der Lehrer, unterrichtet mit Humor und ohne Frontalunterricht. Im Kurs geht es sehr familiär zu. Einer der Teilnehmer ist auf der Suche nach einer Wohnung, Joseph hilft ihm dabei. Wir trinken Kaffee und essen Kuchen, weil ein Geburtstag gefeiert wird; nebenbei legt Joseph bunte Karten auf dem Tisch, auf denen jeweils ein Buchstabe steht und die er zu Wörtern zusammenfügt, die gemeinsam vorgelesen werden. Danach üben die Schüler das Präteritum. Joseph schreibt an die Tafel: Ich aß, du aßt, er/sie/es aß, wir aßen. „Aber des sagt ma net, hia sagt ma: Der hat an Schweinsbratn gessn." Die Schüler lachen, die zwei Stunden Kurs sind schnell vorbei. Am Ende bitten uns alle, nächste Woche wiederzukommen. Wir sind erschöpft von den vielen Eindrücken und empfinden tiefen Respekt vor der Arbeit der Dozenten. • *Alle Namen von der Redaktion geändert

Unsichtbares Phänomen

Hilfe und Infos Die meisten Kurse werden von den Volkshochschulen ange-

Das Schwierige am Phänomen Analphabetismus ist, dass es nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Betroffenen oft unsichtbar ist. Viele erkennen erst durch

boten. Bei der Suche nach einem Kurs in der näheren Umgebung hilft das kostenlose Alfa-Telefon 0800-53 33 44 55.

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Deutsch, das

(Substantiv, Neutrum) Oder: Wie ich zur Muttersprachlerin wurde

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on den Höhen und Tiefen des Deutschlernens in einer Übergangsklasse und dem Weg zum Abitur. Erinnerungen unserer Autorin an die Zeit vor zehn Jahren. Ich stand da und verstand kein Wort, während sich meine Mutter mit zwei anderen Erwachsenen auf Deutsch unterhielt. Ob ich diese Sprache jemals würde sprechen können? Langsam verlor ich die Geduld. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam meine Mutter zu mir: „Das ist Frau Meier*, deine Lehrerin für das nächste Jahr. Du kommst in die 5/7 Ü, eine Übergangsklasse für Kinder, die Deutsch lernen müssen, bevor sie auf ‚deutsche‘ Schulen gehen können.“ September 2003. An meinen ersten Schultag an der St. Georg Volksschule in Augsburg erinnere ich mich kaum. Da waren viele Kinder, eine Schule, die auf mich wirkte wie ein Gefängnis, und eine Sprache, die ich nicht verstand und die sich für mich damals unglaublich hart und böse anhörte. Nach nur einer Woche stellte sich heraus, dass alles nur halb so schlimm war. In der Klasse gab es russischsprechende Kinder, die bereits seit einem halben Jahr dabei waren und mir die wichtigsten Dinge übersetzen konnten. Wir hatten neben Deutsch, Mathe, PCB (Physik, Chemie, Biologie) und GSE (Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde) auch noch nicht-sprachliche Fächer wie Kunst, Sport und Werken. Zumindest hier konnte man sich von dem anstrengenden Übersetzen, Hinhören und Grammatik-Pauken erholen. Frau Meier konnte ebenfalls ein paar Brocken Russisch und sang mit uns jeden Tag englische Lieder, wenn wir vor lauter Deutsch nicht mehr konnten. Sie war eine der besten Lehrerinnen, die ich jemals hatte.

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Lernt, lernte, hat gelernt Neben vielen angenehmen Stunden gab es auch viel Arbeit, die vor uns lag. Was in Deutschland aufwachsende Kinder in elf Jahren Schritt für Schritt lernen, mussten wir idealerweise nach einem Jahr beherrschen. Es stand selbstverständlich Grammatik und Rechtschreibung auf dem Plan: Nomen groß geschrieben, Verb an zweiter Stelle, Präsens, Perfekt, Präteritum, Plusquamperfekt, Nominativ, Genitiv, Akkusativ und Dativ. Tag für Tag. Da ohne Wortschatz jegliche Grammatik unnütz gewesen wäre, mussten wir zusehen, dass wir so viele Wörter wie möglich auswendig lernen. Was mit Wortfamilien wie ,Schule‘ und ,Familie‘ begann, musste schon bald auch bei längeren Texten funktionieren. Dass dafür die Zeit in der Schule nicht ausreichen konnte, verstand ich überraschenderweise schon damals. Oft saß ich das ganze Wochenende über dem Auftrag, „eine vierseitige Kurzgeschichte zu lesen und zu verstehen“. Was sich ziemlich einfach anhört, bedeutete für mich: Ungefähr jedes zweite Wort markieren, im Wörterbuch nachschlagen, eine für den Kontext geeignete Übersetzung finden, das Wort in mein Vokabelheft schreiben, auf eine Karteikarte übertragen, zehnmal alle Karteikarten üben, Text noch einmal lesen, Karteikarten so lange üben, bis ich die Geschichte beim Lesen komplett verstand. Immer wieder werde ich gefragt, wie ich das denn damals geschafft habe. Meine ehrliche Antwort lautet: „Ich weiß es nicht.“ Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr vergesse ich, wie hoch der Aufwand damals für mich und auch für


meine Eltern war. Das ganze Jahr war in allen Lebensbereichen vom Deutschlernen erfüllt: Fernsehen, Bücher, Zeitschriften, Kino auf Deutsch. Alles gehörte dazu und ich hatte manchmal das Gefühl, dass mir gleich der Kopf platzt. Einen Tipp habe ich an euch, falls ihr jetzt eine Sprache lernen müsst: Redet, hört, schreibt und denkt in dieser Sprache! Funktioniert wirklich.

Die Zeit auf dem Gymnasium Im Juli 2004 absolvierte ich einen Einstufungstest in Deutsch, Mathematik und Englisch. Und landete auf einem Mädchengymnasium in der sechsten Klasse, obwohl ich ein Jahr älter war als alle anderen. Während ich mich nach einem Jahr in der Übergangsklasse wie ein Deutschprofi fühlte, war ich auf dem Gymnasium plötzlich die Ausländerin, die nichts verstand – trotz eines deutschen Namens und der deutschen Staatsbürgerschaft. Schwerer noch als das Deutschlernen war die kulturelle Anpassung an das Leben hier und an die hämischen Klassenkameradinnen, die damals noch nicht zu den toleranten Erwachsenen herangewachsen waren, die sie heute sind. Fehlende sprachliche Fähigkeiten setzten sie mit Dummheit gleich. Ich bekam in meinem mittlerweile zweiten Jahr in Deutschland keine Zeugnisnoten in Deutsch, trotzdem wurden meine Arbeiten korrigiert: eine Fünf im Jahrgangsstufentest, eine Sechs im Aufsatz, eine Vier für den Leserbrief. Besonders aufbauend war dieses Schuljahr nicht. Aber nach dem Arbeitsaufwand der Ü-Klasse konnte mich auch das Gymnasium nicht mehr abschre-

cken. Ich sah nur ein Ziel vor mir: das Abitur. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätte es diesen Lehrer nicht gegeben, der meinen ersten Aufsatz in der siebten Klasse mit einer Eins benotete. Oder diese Deutschlehrerin, die immer an mich glaubte und mir das Gefühl gab, dass ich alles schaffen würde, wenn ich es nur wollte. Nach sieben Jahren Gymnasium hielt ich endlich mein Abiturzeugnis (Note 1,3) in der Hand und bin inzwischen seit mehreren Semestern Studentin an der Uni Augsburg. Ich hoffe, ihr versteht, dass ich meinen Namen nicht preisgeben möchte. Und ich kann nur hoffen, dass es auch in Zukunft Leute geben wird, die nicht nur Talente fördern, sondern sich auch denjenigen zuwenden, die besondere Hilfe benötigen – egal ob beim Deutschlernen oder anderswo. • *Name von der Redaktion geändert

Was sind Übergangsklassen? Übergangsklassen werden für Kinder mit einer nicht deutschen Muttersprache an Haupt- und Mittelschulen angeboten. Die Schüler sollen so grundlegende Deutschkenntnisse erwerben und bei entsprechendem Fortschritt als Quereinsteiger in eine Regelklasse übertreten. Während die Kinder aktuell zwei Jahre in der Übergangsklasse bleiben, gab es bis zum Jahr 2007 eine einjährige Begabten-Übergangsklasse, bei der man die Chance hatte, auf das Gymnasium oder die Realschule zu wechseln. Mehr unter www.km.bayern.de

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francoj, n u k j o l g „Ne an poloj, sed n u k j o s ne ru omoj!“ h n u k j o hom

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Esperanto,

die Sprache des Friedens Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit Text: Christine Kath – Foto: Natalia Sander

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utmonda nova lingvo. Eine Sprache für jedermann, wertfrei und leicht zu lernen. Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Oder nicht? Du sollst in deinem Leben eine Sprache lernen, ein Instrument spielen und einen Baum pflanzen, das hat meine Oma immer gesagt. Das Fremdsprachenlernen beginnt meistens in der Schule mit dem obligatorischen Englisch, danach kommen vielleicht noch andere Sprachen dazu. Doch warum lernen wir eigentlich Sprachen? Zugrunde liegt das Bedürfnis nach Kommunikation mit Menschen aus anderen Kulturen. Wäre es nicht wunderbar, wenn alle Menschen die gleiche universelle Sprache sprechen würden? Das ist die Idee von Esperanto. Im Jahr 1887 gründete Ludwik Lejzer Zamenhof unter dem Pseudonym Doktoro Esperanto die Sprache aus eben diesem Motiv. Er schuf die heute noch gültigen Grundlagen der neutralen Sprache, in der sich die vielen kulturellen und religiösen Gruppen in seiner Heimat, dem heutigen Polen, austauschen und ihre Konflikte beilegen könnten. Sie sollte leicht zu lernen sein und niemandem den Vorteil geben, in seiner Muttersprache zu sprechen.

Eco und Tolkien liebten Esperanto Leicht ist sie, weil sie nicht die Schwierigkeiten natürlich gewachsener Sprachen wie zum Beispiel unregelmäßige Verben hat. Zamenhof wollte nicht alle Sprachen der Welt durch eine einzige ersetzen, nein, die Muttersprache und damit der Bezug zur regionalen Identität soll bewahrt bleiben. Esperanto sollte als universelle Zweitsprache zur internationalen Verständigung dienen. Zamenhof schrieb: „Ne angloj kun francoj, ne rusoj kun poloj, sed homoj kun homoj!“ Mit ein bisschen Fantasie kann man es verstehen. Die Idee anstatt einer Nationalsprache eine künstliche Sprache einzuführen war damals nicht neu, es gab schon vorher einige Versuche. Von ihnen ist Esperanto die am

weitesten verbreitete und gleichzeitig die einzig voll ausgebildete Plansprache. Umberto Eco und J.R.R. Tolkien waren berühmte Esperanto-Fans. Es gibt Familien, die seit Generationen Esperanto sprechen, daher gibt es auch Kinder, die mit der Muttersprache Esperanto aufwachsen. Viele von ihnen leben in Herzberg am Harz. Das Dorf hat sogar öffentliche Schilder auf Esperanto aufgestellt. Ganz neutral ist Esperanto natürlich nicht, denn die Wörter sind ein Mix aus romanischen, germanischen und slawischen Sprachen.

Sprachen sind ein Machtfaktor Es gibt unzählige Wikipedia-Artikel, eine Menge Bücher und Musik vieler Genres in der Sprache, auch der Google-Übersetzer übersetzt von und nach Esperanto. Die Zahl der Esperantisten wächst Jahr für Jahr, auch wenn es insgesamt eher wenige sind. Man schätzt die Zahl auf etwa 100.000 Personen weltweit. Es bleibt die Frage, warum Esperanto sich bisher nicht durchgesetzt hat. Zweitsprachen werden vorrangig durch Bildungssysteme verbreitet. Obwohl im Vergleich zu den meisten Nationalsprachen nur ein Viertel bis ein Zehntel an Lernaufwand aufgebracht werden muss, um Esperanto zu lernen, fehlt es an Versuchen, die Sprache in die Lehrpläne aufzunehmen. Sprachen werden außerdem historisch von wirtschaftlichen und politischen Machtgruppen durchgesetzt: Die Verbreitung des Englischen ist eine Folge des britischen Imperialismus, in vielen ehemaligen Kolonien ist die Sprache der Eroberer heute offizielle Amts- und Handelssprache. Diese Macht fehlt Esperanto. Klar ist, dass eine Sprache nicht von oben implementiert werden kann, sondern von unten wachsen muss. Esperanto ist immer noch relativ unbekannt. So let´s spread the word! TIPP: In der Bayerischen Staatsbibliothek informiert eine Plansprachen-Ausstellung über 125 Jahre Esperanto. • presstige | 17


l a m u d t s a H

? e t ü T ‘ne t utsch is e D h c i e nicht gl tion: Natalia Sander h c s t u e stra D Warum Endt & Petra Maier – Illu stian

ri Text: Ch

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ie deutsche Sprache ist für viele sehr schwer zu erlernen. Schuld daran ist nicht nur die relativ schwierige Grammatik, sondern auch, dass Begriffe je nach Standort eine andere Bedeutung haben. Welche Sprachbarrieren dadurch entstehen können, hat sich presstige für euch mal genauer überlegt. P: Morgens halb zehn in Deutschland in einem anderen Bundesland: die erste Herausforderung schon so früh am Morgen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass ,Brötchen‘ hier als ,Semmel‘ bezeichnet werden und die Bayern zu ,Brezel‘ einfach nur ,Breze‘ sagen. Dass hier so ziemlich alles einen anderen Namen hat (,Krapfen‘ statt wie gewohnt ,Berliner‘, ,Laugenspitz‘ statt ,Laugenstange‘), macht es für mich nicht leichter. Manchmal behelfe ich mir einfach, indem ich auf das gewünschte Teil deute und „Das da!” sage – das versteht man selbst in Augs(ch) burg. C: Richtig schwierig wird es in Österreich. Ich habe in Wien mal eine Badehose gekauft und an der Kasse gesagt, ich brauche keine Tüte. Die Verkäuferin war total verwirrt, die wusste absolut nicht, was ich von ihr will. Eine Tüte benutzt man da nur zum Rauchen, ,Sackerl‘ wäre das richtige Wort gewesen. Ist ja irgendwie niedlich, aber dass sie dich dann gar nicht verstehen, wenn du was anderes sagst? Schon komisch. P: Ja, vor allem gibt es auch kein Richtig oder Falsch. Jeder verwendet eben die Wörter, die er kennt. Vielleicht ist es auch besser, dass du keine Tüte von ihr wolltest. Ich find’s beim Essen immer am schwierigsten, sich zu

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verständigen. Dass ,Pfannkuchen‘ auch als ,Eierkuchen‘ oder ,Palatschinken‘ bezeichnet werden, weiß ich zwar eigentlich – im Gespräch mit meinen Thüringer Freunden vergesse ich das aber immer mal wieder. Wenn ich also erzähle, dass es ,Pfannkuchen‘ gab, werde ich öfter gefragt, ob ich ,Eierkuchen‘ meine, denn dort sind meine ,Pfannkuchen‘ ja ,Berliner‘ – das macht die Verwirrung komplett. C: Das ist doch verrückt, oder? Da reden immer alle von Globalisierung und dass die Welt zusammenwächst und so. Und dann fährst du in eine andere Ecke deines Landes und verstehst nicht, wovon die Leute reden. P: Teilweise hat ja auch jedes Dorf einen anderen Dialekt – wie soll man sich da noch zurechtfinden? Ich bin zwar ursprünglich aus dem Schwabenländle und weiß, dass ,Gsälz‘ für Marmelade verwendet wird – jedes Wort würde aber selbst ich nicht verstehen.

Fleischpflanzerl vs. Bulette in Neuseeland C: Ich war vor ein paar Jahren in Neuseeland und habe da auch viele Leute aus anderen Ecken Deutschlands getroffen. Als wir dann mal in einer Runde mit mehreren Deutschen zusammensaßen, habe ich erst gemerkt, wie viele Wörter es gibt, die gegenseitig nicht verstanden werden. Das war damals total absurd, schließlich bin ich ans Ende der Welt geflogen, um fremde Kulturen kennen zu lernen. Und musste erst mal sehen, wie ich mich mit den eigenen Landsleuten verständige.


? es ,Frikadelle‘ heißt, meinte Anja aus Berlin, dass sie dazu ,Bulette‘ sagt. Einigen konnten wir uns an diesem Abend jedenfalls nicht. C: Ich habe diese Diskussionen als sehr lustig in Erinnerung. Und auch beim Bäcker habe ich mir bisher keine schwereren Verletzungen zugezogen, als ich mein Frühstück mit den verkehrten Wörtern bestellt habe. Auch wenn die Verkäufer manchmal böse schauen.

Norddeutschland

Mitteldeutschland

Süddeutschland

Österreich

Schweiz

Berliner, Pfannkuchen (nördl. Sachsen-Anhalt/ Brandenburg)

Puffel (westl. rhein.), Fieze (mittelhessisch), Pfannkuchen (ostmitteldeutsch)

Krapfen (bair.), Krebbelcher (moselfränkisch)

Krapfen, Faschingskrapfen

Berliner

Bonbon, Bonschen, Bollchen (nördl. Sachsen-Anhalt)

Kamelle, Knolle, Gutsel, Zuckerstein (hessisch)

Klumbe, Zuckerl(e), Bombo (schwäbisch), Guadl (bairisch)

Zuckerl, Guatsi, Bolla (Vorarlberg)

Bonbon, Tröpsli (Zentralschweiz), Gutzi, Bolla

Bratkartoffeln, Röster (norddeutsch)

Röstkartoffeln, Röster (sächsisch)

Bratkartoffeln, Brägele (badisch), Broodgrumbeere (pfälzisch)

Geröstete Erdäpfel, Greste, Erdäpfelschmarren

Bratherdäpfel

Brötchen, Rundstück, Schrippe (berlinerisch)

Weck (hess., saarl.), Semmel (obersächsisch)

Weckle (schwäbisch), Semmel (bairisch), Breedla (niederbairisch), Stölla (oberfränkisch)

Semmel, Weckerl

Weggli, Semmeli, Brötli (mit Kruste)

Eierkuchen, Pfannkuchen

Pfannkuchen, Plinse (sächsisch)

Palatschinken

Crêpe, Amelette, Eiertädsch

Frikadelle, Bulette, Klops, Fleischklößchen

Hackfläschkichelscha (saarl.), Beefsteak (Sachsen)

Faschiertes Laibchen, Hacklöble (Vorarlberg)

Hackplätzchen, Hackbällchen, Hackbölle

Pfannenkuchen, Pfannekucha (bairisch) Fleischküchle (schwäbisch), Fleischpflanzerl (bairisch), Fleischklößla (Oberfranken)

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Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Regionale_Küchenbegriffe

P: Ja, das war bei mir ganz ähnlich, als ich in Neuseeland war. 18.000 Kilometer von zu Hause entfernt wurde es mir mehr als deutlich vor Augen geführt: Deutsch ist nicht gleich Deutsch. Bei einer Flasche Rotwein unterhielt ich mich mit anderen Deutschen über die deutschen Spracheigenheiten und die unterschiedlichen Begriffe. Das Wort ,Fleischpflanzerl‘ – ich würde wohl ,Fleischküchle‘ sagen – löste die wahrscheinlich größte Debatte aus. Während die ,Front‘ aus Mitteldeutschland darauf beharrte, dass


Vorw채rts

Alles rund ums Thema Karriere und Studium


10 Fragen an Dr. Darren Paul Foster Text: Andrea Sappler – Foto: Natalia Sander

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r sorgt für die gewisse Portion Britishness in unserem Alltag: Dr. Darren Paul Foster (28). Wer an der Uni Augsburg seine Englischkenntnisse aufbessert oder ein Sprachenzeugnis benötigt, hat die Ehre ihn kennenzulernen. Mr. Foster unterrichtet Englisch für Studenten aller Fachrichtungen. Presstige hat dem jungen Dozenten zehn Fragen gestellt.

1. Welcher Smiley beschreibt Ihre momentane Stimmung am besten?

6. Sie gewinnen einen Reisegutschein – wo geht es hin? Und eher Abenteuer oder All-Inclusive?

2. Sie bekommen morgen überraschend frei. Womit verbringen Sie den Tag? 7. Wenn Sie nochmals an die Uni gehen könnten: Für welches Fach würden Sie sich einschreiben?

3. Worüber haben Sie zuletzt herzlich gelacht?

4. Was ist Ihr Lieblingsplatz in Augsburg? (Gern auch zeichnen!)

8. Was kochen Sie für Ihre besten Freunde?

9. ... und wem würden Sie gern mal eine versalzene Suppe servieren?

10. Wofür würden Sie auf die Straße gehen? 5. Wo trifft man Sie am Freitagabend?

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Und weg sind sie! Umfrage zum Ende der Studiengebühren Text: Annika Wagner – Fotos: Natalia Sander

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ndlich! Ab dem nächsten Semester müssen auch wir in Bayern keine Studiengebühren mehr zahlen. Mit einem gut gefüllten Geldbeutel können wir also das kommende Wintersemester in Angriff nehmen. Doch was soll man mit dem Geld bloß anstellen? Presstige hat sich für euch auf dem Campus umgehört!

Tanja, 2. Semester, Jura

Melanie, 4. Semester, Sozialwissenschaften

Es hat sowieso meine Mutter gezahlt, also habe nicht ich 500 Euro mehr am Ende. Sie wird das Geld sparen.

Da ich in München wohne, wird es wahrDann muss ich weniger arbeiten, scheinlich beim Weggehen draufgehen. wenn die wegfallen. Und für Klamotten.

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Sabrina, 2. Semester, BWL


Lars, 6. Semester, Sozialwissenschaften Ich würde gerne ins Ausland zu Festivals fahren, Sónar oder Primavera. Festivals im Ausland, das kann man so schön mit Urlaub verbinden.

Veronika, 10. Semester, Jura

Michael, 5. Semester, BWL

Ich glaube, ich nutze es für Bücher. Für Lehrbücher, die man sich sonst nicht kaufen kann. Und ich würde öfter zu den Eltern nach Hause fahren oder irgendwo anders hin, in eine andere Stadt.

Ich muss ehrlich sagen, dass mir die Studiengebühren jetzt nie so wehgetan haben. Was ich dann mehr habe, gebe ich im Alltag wahrscheinlich mehr aus. Dann habe ich einfach mehr Geld übrig und werde öfter mal einen trinken gehen.

Timo, 4. Semester, iBWL Ich würde in den Urlaub fahren. Ich spare mein ganzes Geld für einen Urlaub. Ich mache ein Auslandssemester auf Bali und deswegen brauche ich das Geld.

Henriette, 3. Semester, Deutsch Matthias, 6. Semester, als Fremd- und Zweitsprache Lehramt Hauptschule Ich würde in den Semesterferien sehr viel reisen. Nach Australien, wenn es klappen würde, also weit weg. Oder Europa erkunden.

Damit kann ich mir mehr Anschaffungen für das Studium und so weiter leisten, zum Beispiel einen Laptop.

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System.out.println(„Hallo Welt!“); Kommandieren mit Programmiersprachen Text: Sophie Kellner – Illustration: Sven Walther

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ie jeden Montag sitze ich im Kurs „Softwareentwicklung und Programmierung“ oder einfach gesagt: Java. Es dauert nicht lange und ich bin in den Tiefen des Internets verschwunden, anstatt meinem Professor zu lauschen. Wozu auch? Java interessiert mich nicht sonderlich und Programmiererin will ich sowieso nicht werden. Und dennoch: Ohne Programmiersprachen könnten weder ich noch alle anderen Menschen auf der Welt etwas mit technischen Geräten anfangen. Programmiersprachen sind in erster Linie Befehlssprachen: Sie sagen dem Computer oder anderen Geräten, was zu tun ist. Woher soll mein Computer sonst bei einem Klick auf einen bestimmten Button wissen, was passieren soll?

eignete sich speziell zum Schreiben wissenschaftlicher Programme und wurde in den Fünfzigerjahren entwickelt. Danach folgten immer komplexere Sprachen wie COBOL, C, C++ und Java. Seit Mai 2011 läuft Java auf mehr als einer Milliarde Desktop-Computern und auf rund drei Milliarden Mobiltelefonen. Die Java-Technologie sorgt (unter anderem) für die interaktiven Funktionen aller Blu-ray-Geräte und eignet sich großartig für das Erstellen von Datenbanken. Außerdem macht die Java-Philosophie „Write Once, Run Anywhere“ (einmal schreiben, überall ausführen) die Sprache zu einem idealen Werkzeug für das Entwickeln von Code, der über das Internet verbreitet werden soll. Auch deshalb ist Java laut dem TIOBE Programming Community Index die beliebteste Programmiersprache.

Allerdings ist das Befehlen sehr viel leichter gesagt als getan. Zunächst muss gründlich überlegt werden, was der Computer genau ausführen soll. Anschließend muss man die Befehle als knappe, eindeutige Anweisungen in einer speziellen Sprache schreiben, die der Computer versteht. Die so verfassten Anweisungen werden auch als Programm bezeichnet und ihre Gesamtheit als Software oder Code.

Eine Lieblingsprogrammiersprache? Für mich persönlich hört sich das abwegig an. Dennoch werden mir immer mehr die Tragweite und Notwendigkeit von Programmiersprachen bewusst. Das Erstellen von Software ist ein bedeutender Wirtschaftszweig und Großunternehmen verfügen über eigene Teams, die speziell für das Unternehmen Programme schreiben.

Wer schon einmal seinen Computer oder das Handy angeschrien hat, weiß, dass diese nicht auf Befehle in einer natürlichen Sprache reagieren. Hierfür mussten besondere Sprachen entwickelt werden. Der Vorreiter aller Programmiersprachen war FORTRAN. Diese Sprache

Ein Job als Programmiererin wäre also doch gar nicht so verkehrt. Vielleicht sollte ich in der nächsten Vorlesung mal statt meinem Computer mein Gehirn arbeiten lassen. Dem würde eine Befehlssprache bestimmt auch nicht schaden.

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Was macht das Bukowina-Institut? Text: Petra Maier Seit knapp 25 Jahren ist das Bukowina-Institut nun Bestandteil der Universität Augsburg. Gegründet wurde es als „Arbeitsstelle zur Erforschung von Geschichte und Kultur der Bukowina“ – also der Region, die im Norden zur Ukraine und im Süden zu Rumänien gehört. Bukowina bedeutet übersetzt so viel wie Buche, was auf die Wälder der Region zurückzuführen ist. Ziel des Institutes ist es, eine Annäherung zwischen West und Ost zu ermöglichen. Als Zentrum der Integrations- und Nationalitätenforschung bietet das Institut eine auf Ost-, Ostmittel- und Südeuropa spezialisierte Bibliothek, Hausaufgabenbetreuung für Grundschüler aus Zuwandererfamilien und Platz für Tagungen, Vorträge und Ausstellungen. Interessant ist auch die Auswahl an slawischen Sprachkursen. In Zusammenarbeit mit dem Sprachenzentrum der Uni Augsburg kann man Polnisch, Rumänisch, Russisch, Tschechisch, Ungarisch und Ukrainisch lernen. Studenten zahlen dabei mit 40 Euro pro Kurs nur die Hälfte. Weitere Information gibt es auf der Homepage: www.uniaugsburg.de/de/institute/bukowina

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! n e d ý Dobr Was ist das Sprachenzentrum? Text: Corinna Scherer

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Прив ет!

¿No comprende? Kein Problem: Studenten der Universität Augsburg können im Sprachenzentrum ihre Fremdsprachenkenntnisse erweitern, auffrischen oder perfektionieren. Neben Spanisch stehen zehn weitere Sprachen auf dem Programm: Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Portugiesisch, Russisch (in Zusammenarbeit mit dem Bukowina-Institut), Schwedisch und Türkisch. Immatrikulierte ausländische Studenten können zudem studienbegleitend DeutschKurse belegen. Die Teilnahme ist kostenlos, zwei Dinge sind trotzdem erforderlich: die Anmeldung über den Digicampus und bei manchen Sprachen ein Einstufungstest zum Ermitteln des eigenen Sprachniveaus. Neben den Kursen bietet das Sprachenzentrum zudem drei weitere Besonderheiten: In der Mediothek können fremdsprachige CDs und DVDs ausgeliehen werden, im Tonstudio lassen sich eigene Texte aufnehmen und im Sprachlabor kann man sich Beiträge vorlesen lassen oder sich selbst aufnehmen, um die eigene Aussprache zu verbessern. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage: www. sz.uni-augsburg.de

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Heimw채rts Alles, was in und um Augsburg passiert

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über den

10 facts

Augschburger Dialekt Text: Andrea Sappler – Illustration: Natalia Sander

A

ugsburg wird zu Augschburg. Denn das ,sch‘ ist der wichtigste Laut im Augschburger Dialekt.

U

nd harte Konsonanten werden oft weich. So wie Dr Schdoinerne Ma (Übersetzung: Der steinerne Mann), der eine Augsburger Sage verkörpert. Wer diese nicht kennt, kann sie unter www.augsburgwiki.de nachlesen. Eine sehenswerte Parodie auf den Schdoinernen Ma und den Augsburger Dialekt gibt es außerdem hier: www.youtube. com/watch?v=4PurHZceqFw.

G

elegentlich lässt der Augsburger auch ein ,e‘ am Wortende einfach weg. So wird Postbote zu Boschdbod. Aber Obacht (Achtung)! Das geht natürlich nicht immer.

S

B

C

U

chderapfudzger. Wer dieses Wort kennt, kann nur ein echter Augschburger sein. Ein Tipp: Zu Weihnachten und Silvester sorgen sie für strahlende Augen. Die Wunderkerzen!

harakteristisch ist auch die durch das ,sch‘ verkürzte Aussprache: • Weißt du = Woisch • Kannst du = Kannsch • Machst du = Machsch • Willst du = Willsch

H

udeln (richtig ausgesprochen: hudla) heißt: etwas sehr schnell und deshalb fehlerhaft erledigen. Die dazugehörige, etwas derbe Redewendung: „It hudla, it hudla! Vom hudla griegt ma schiache Kind.“ (Übersetzung in etwa: „Wer sich unnötig unter Zeitdruck setzt, bekommt keine schönen Kinder.“)

ulldog, es heißt Bulldog! Es gibt keine Traktoren im Schwabenland!

nd endet ein Wort auf ,en‘, dann endet das Wort in Augschburg vielleicht (!) auch auf ,a‘. Straßenbahn = Schdrossaba, Kuchen = Kuacha.

R

eiberdatschi und Zwetschgadatschi! Während mit Reiberdatschi ein Kartoffelpuffer gemeint ist, ist der Zwetschgadatschi ein mit Zwetschgen belegter Kuchen aus Hefeteig – die Augschburger Spezialität schlechthin. Seinetwegen wird die Stadt auch scherzhaft als Datschiburg bezeichnet.

G

lump. So nennt man unbrauchbare, unnütze Dinge. Die Steigerung von Glump ist: Huraglump. •

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u e N h c a Aus Alt m Das Schwarze Schaf nach dem Umbau Text: Sandra Depner – Fotos: Corinna Scherer

M

itte Mai schloss der Club „Schwarzes Schaf“ für Renovierungsarbeiten. Wer dort dieser Tage nach dem Umbau zum ersten Mal das Tanzbein schwingt, wird das altbekannte Schaf kaum wieder erkennen. Presstige hat für euch das Vorher und Nachher festgehalten.

"Zwei Stunden vor der Eröffnun g waren wir fertig." – Georg Kraus

Am 18. Mai fand die letzte Party statt. Drei Wochen dauerte der Umbau. Das ist nicht lang für eine Renovierung. Für Georg Kraus, Betriebsleiter im Club und fürs Booking der Acts zuständig, war sie aber mehr als nötig. Nicht nur, weil die letzte Renovierung fast fünf Jahre her ist. Auch nicht nur, weil sich langsam die Deckenkonstruktion löste. Für Georg und seine Kollegen ist der neue Anstrich genau das, was sie brauchten – ein neues Ziel. Georg beobachtet die Clublandschaft in Augsburg genau. Der City Club am Königsplatz inspirierte ihn. Der Elan der Betreiber, deren Motivation und Kreativität, spornte Georg und das Team vom Schwarzen Schaf an, sich in diesem Frühjahr neu zu entdecken.

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B

Manchmal braucht es erst ein Trümmerfeld, eine Ruine, damit aus etwas Altem Neues entstehen kann. Und das Neue kann sich sehen lassen. Die knalligen roten Wände sind verschwunden. Dagegen prägen schwarz gestrichene Wände und Säulen das Bild. Wer den Club betritt, läuft heute auf hellem Holzboden. Ein Holzboden, erzählt Georg, der dem Ordnungsamt zu edel erschien: „Vor der Eröffnung haben uns die Männer vom Ordnungsamt besucht. Sie wunderten sich darüber, dass wir einen so schönen Holzboden wirklich für einen Club nehmen. Der Boden sei viel doch zu schade dafür.“ Auch die Garderobe ist mit Holzbalken verkleidet und hat ihren Standort gewechselt.

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B

Wer heute das DJ-Pult an seiner alten Stelle sucht, wird stattdessen Platz zum Tanzen entdecken. Das DJ-Pult ist in die Mitte des Raumes umgezogen, die Empore von früher gehört der Vergangenheit an. Vieles hat sich geändert. Nur die Preise für die Getränke sollen gleich bleiben, sagt Georg. Zwei Stunden vor der Eröffnung am 7. Juni waren sie mit den Umbauarbeiten fertig. Georg ist zufrieden. Er freut sich auf die kommenden Partys. Üblicherweise hat das Schwarze Schaf im August eine Sommerpause. In diesem Jahr aber nicht. Wer im August die heißen Nächte durchtanzen will, kann sich auf die Ventilatoren auf der Tanzfläche freuen. •


Abgr체nde

Augsburgs

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Presstige fotografierte für euch die verborgenen Untergründe der Stadt Text: Natalia Sander – Fotos: Petra Maier, Natalia Sander & Corinna Scherer

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erblichene Fassaden, verlassene Häuser, vermüllte Hinterhöfe: Wo andere lieber weitergehen, blieben wir stehen – und lichteten die vermeintlichen Abgründe Augsburgs ab. Ihnen wohnt oft eine seltsame Schönheit inne.

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Augsburgs Erotikszene Text: Magdalena Klingler, Rebecca Naunheimer & Johanna Zach – Illustration: Antonia Antonova

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ex, Sex, Sex ... Jeder tut es, aber nur wenige sprechen darüber. Immer noch ein Tabuthema? Spätestens seit dem Schmuddelroman „Shades of Grey“ haben sich die Grenzen der Intimität verschoben. Was früher unter der Ladentheke gehandelt wurde, wird heute an der Straßenecke verkauft. Wie zum Beispiel im Orion. Sexshops – eine zu Unrecht verurteilte Branche?

Wir stehen an einer viel befahrenen Straße. Gegenüber von uns ein Laden, auf dem in weißen Lettern auf rotem Hintergrund das Wort Orion prangt. Und die Idee, die im jugendlichen Leichtsinn entstanden ist, kostet plötzlich große Überwindung. Auf dem Weg über die Straße folgen uns gefühlt tausend Blicke. Die ersten Versuche, den Eintritt zu wagen, scheitern. Ein dreimaliges Auf und Ab vor der Ladentür, dann der Vorstoß. Aufs Schlimmste gefasst, treten wir über die Schwelle. Doch sobald sich unsere Augen an das helle Licht im Laden gewöhnt haben, realisieren wir: Entgegen unserer Erwartungen hat der Laden nichts mit der Abstellkammer eines Bordells gemein. Im Orion gibt es keine verdunkelten Fenster, keine ominösen Flecken auf dem Boden. Aus Lautsprechern tönt die Stimme eines Wettermoderators – er kündigt schönes Wetter an. Immer selbstbewusster laufen wir über den roten Teppich Richtung Ladenmitte. Eingerahmt von deckenhohen Regalen voller aufblasbarer Puppen, Dessous, Filmen und weiblichen Geschlechtsorganen im Taschenformat, begrüßt uns eine sympathische Frau mittleren Alters. Ihre dunklen Haare sind zu Zöpfen geflochten. Ihre Kleidung ist schlicht und schwarz.

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„Statt Flaschen sind es jetzt eben Dildos“ „Ob Erotik oder Getränke, da sehe ich keinen Unterschied“, sagt Andrea G.*, Besitzerin des FranchiseUnternehmens Orion am Leonhardsberg in Augsburg. Zwischen ihrer früheren Tätigkeit als Leiterin eines Getränkemarkts und ihrem jetzigen Beruf bestehen ihrer Meinung nach viele Ähnlichkeiten. „Statt Flaschen sind es jetzt eben Dildos. Das Konzept ist das gleiche!“ Auch, wenn ihre Familie anfangs nicht begeistert war von ihrer Umschulung, wird ihre Entscheidung heute respektiert und ihre Verwandten gehen locker damit um. Anders bei Silke H., die seit April dieses Jahres für Andrea G. im Orion arbeitet. Aus Mangel an Alternativen hatte sie sich auf eine Anzeige in der Zeitung hin beworben – eine Entscheidung, von der ihre Mutter überhaupt nicht begeistert war. Doch Silke H. ließ sich nicht beirren: „Es ist mir lieber, wenn mich Leute sehen, wie ich zur Arbeit in den Sexshop gehe, als wenn sie mich dabei sehen, wie ich zum Arbeitsamt muss“, betont sie. Bereits seit 15 Jahren besitzt Andrea G. die Orion-Filiale und ist glücklich damit. Doch obwohl sie nun schon so lange in dieser Szene arbeitet und auch ohne Hemmungen darüber spricht, gibt es bestimmte Grenzen für Andrea G.: „Kein Blut, kein Kot und keine zu jungen Mädchen“, lauten ihre Bestimmun-


gen für das Filmsortiment. Auch sonst geht es in ihrem Geschäft sehr gesittet zu. Oberste Priorität haben die Kundenbetreuung und -beratung. Für Silke H. ist die Arbeit hier lockerer und der Umgang mit den Kunden entspannter als bei ihren vorherigen Jobs. „Unser Beruf ist nichts Außergewöhnliches, man sollte mit dem Thema ganz natürlich umgehen. Es gehört einfach dazu!“

Die Tabus sind lange nicht gebrochen Orion versucht dem verdorbenen Ruf des Sexshops entgegenzuwirken, indem das Geschäft ein freundlicheres Konzept verfolgt und seine Tür für alle volljährigen Kunden offen steht. Und es funktioniert: Die Kundschaft im Orion ist bunt gemischt. Am hinteren Ende des Ladens stöbern zwei junge Frauen in der Dessousabteilung, während ein älterer Herr sich direkt neben uns ganz unverhohlen die Packungsbeilage einer Gummipuppe durchliest. Doch sind die Zeiten der Heimlichtuerei wirklich für jeden vorbei? Nein. Auch wenn durch Schocker-Romane, wie Shades of Grey oder Feuchtgebiete, das Thema Sexualität mehr in den Mittelpunkt rückt, sind die Tabus noch lange nicht gebrochen. Besonders bei den älteren Generationen stoßen Silke H. und Andrea G. oftmals auf Missachtung. Während der Raucherpause sei es ihnen schon mehrmals passiert, dass sie von vorbeifahrenden Rentnern beschimpft wurden.

G. wichtig ist, Erotik und nicht „Schmuddelei“ zu verkaufen, setzen andere Betreiber auf Sex-Kino und dazugehörige Kabinen. Ein Konzept, das aufgeht. Die Kinos erbringen den höchsten Umsatz und die meiste Kundschaft. Allerdings eine sehr einseitige Kundschaft, wie Andrea G. weiß. Junge Mädchen sähe man dort kaum. Uns überrascht das nicht, denn wir selbst fühlen uns nicht wohl, als wir den Laden verlassen und uns weiter in der Szene umschauen. Was gerade in den Kinos läuft, wird am Tresen über Fernseher übertragen. Männer stehen in der DVD-Abteilung. Frauen? Keine. Die Fenster abgedunkelt, die Türe verschlossen. Doch auch solche „schmuddeligen“ Shops gehören zur Erotikszene Augsburgs. Als Student bekommt man von dieser allerdings reichlich wenig zu sehen. Und das ist nicht verwunderlich, denn das meiste spielt sich im Schatten ab. Im Schatten der Fuggerei, im Schatten des Theaters, im Schatten des Perlachturms. Beleuchtet man das Phänomen Sexshop jedoch etwas genauer, wird schnell klar: Es ist nichts Verwerfliches an dem Geschäft mit der Lust. Und gerade die größeren Ketten setzen auf entspannte Atmosphäre und Modernität. • *Alle Namen von der Redaktion geändert

Doch nicht zu Unrecht haben viele Leute noch ein abschätziges Bild von Sexshops. Tatsächlich existieren viele Läden, die ihre Prioritäten anders setzen als Orion. Während es Andrea

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Weltw채rts Alles, was die Welt bewegt

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Besser … faul

sein

Die Idee des produktiven Faulenzens Text: Alexandra Kiefer – Illustration: Sebastian Baumeister

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as kann man am Faul-Sein denn verbessern? Rückenfreundlicheres Rumliegen? Nein, hier geht es um eine Strategie, mit der man optimale Rahmenbedingungen für ein genüssliches Faul-Sein ohne schlechtes Gewissen schafft. „Den Fortschritt bringen nicht die Frühaufsteher, sondern die Bequemen, die Faulen, die nach Mitteln und Wegen suchen, sich das Leben zu vereinfachen.“ Dieses Zitat von Robert Heinlein war für Peter Taylor die Inspiration zu seinem Buch Erfolgsstrategien für Faulenzer, in welchem er seine Idee des produktiven Faulenzens skizziert und nützliche Strategien beschreibt. Ein paar Ideen davon hat presstige für euch zusammengefasst.

Der Schlüssel zum Erfolg: eine gut strukturierte To-Do-Liste Wie sieht deine Aufgabenplanung aus? Führst du eine chronologisch geordnete Liste, auf der so viele Dinge stehen, dass du den Blick darauf lieber vermeidest? Mit der folgenden Strategie kannst du eine neue, verbesserte Liste erstellen. Um es auf diese Liste zu schaffen, muss jede Aufgabe zuerst ein paar Aufnahmekriterien erfüllen: Willst du diese Aufgabe überhaupt übernehmen? Und ist es auch notwendig, dass du es tust? Je nach Fall (Lieblingsbeschäftigung/Hausarbeit)

ist auch eines der Kriterien ausreichend. Kontrollfrage: Kann die Aufgabe eventuell auch ein anderer übernehmen? Das alles kannst du dich auch immer fragen, bevor du ein zu schnelles ,ja‘ zu neuen Verpflichtungen gibst. Das verhindert das ungehemmte Wachstum der Liste. Wahrscheinlich ist diese auch jetzt schon ein wenig kürzer. Aber immer noch unübersichtlich? Dabei hilft eine nach Priorität geordnete Rangfolge der Aufgaben. Nützlich hierfür ist die These der 80:20-Regel: Deren Prinzip besagt, dass Wirkung und Ursache fast immer in einem Verhältnis von 80 zu 20 stehen. Das heißt für uns, dass 20 Prozent unserer täglichen Aktivitäten 80 Prozent unserer Ergebnisse ausmachen. Der Schlüssel zum Erfolg besteht darin, diese 20 Prozent in unserer Liste auf die Top-Positionen zu setzen. Stell dir dazu bei jeder Aufgabe die Frage nach dem voraussichtlichen Ergebnis: Wie sieht es aus? Wie stark sind seine Auswirkungen?

Weiteres Vorgehen: kleine Schritte mit Zwischendeadlines Jetzt geht es noch darum, das Faulenzer-Prinzip anzuwenden und zu prüfen, wie sich die Aufgabe einfacher und schneller bewältigen lässt. Oft sind nämlich schon mit 20 Prozent des Aufwands 80 Prozent des Ergebnisses erreicht. Überleg dir also vorher genau, wie du eine Aufgabe angehst und wo du dir Zeit ersparen kannst. Dazu ist es zum Beispiel hilfreich, dein Vorgehen in mehrere Teilschritte zu gliedern, für die du jeweils Zwischendeadlines festlegst. Um diese einzuhalten, kann es sinnvoll sein, sich elektronisch (z.B. mit der Astrid-App) des Öfteren daran erinnern zu lassen. Oder du verabredest mit deinen Freunden als Belohnung für die harte Arbeit, einen gemeinsamen Eisbecher zu genießen. Mit diesem und den Faulenzer-Tipps lässt sich der Sommer auch viel schneller genießen.•


Bis die Masse johlt –

Faszination POETRY SLAM Beim Augsburger Lauschangriff wird nicht nur mit Worten um die Gunst des Publikums gebuhlt

Text: Vera Kühnemann – Fotos: Vera Kühnemann & privat

D

ie Schlacht der Dichter findet ihre Arena am 8. Juni zum wiederholten Mal in der Kresslesmühle. 150 Klatschwütige können dort durch möglichst lautes Applaudieren über Sieg und Niederlage der acht Slammer entscheiden. Nichtsahnende, die denken, hierbei ginge es nur um das Wort, dürfen gespannt sein, wie viel mehr es bedarf, um die Menge zum Toben zu bringen.

Lauschsch Lau

angriff

Horst Thieme, Gründer und Veranstalter des Lauschangriffs

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Von der Subkultur in den Fokus der Massen Ende der Achtzigerjahre in Chicago entstanden, erfreut sich das Format des Poetry Slams nun auch in Deutschland seit Jahren wachsender Beliebtheit. Die anfängliche Skepsis derjenigen, die sich dem ernsthaften Umgang mit Literatur verschrieben hatten, scheint abgelöst von Akzeptanz und Wertschätzung. So strahlt selbst der etablierte Sender Arte von Zeit zu Zeit Slam-Übertragungen aus. Diese Gesamtentwicklung spiegelt sich im Leben von Horst Thieme, Veranstalter des Lauschangriffs, wider. Nach kritischer Überlegung geht er 1998 – noch im Blauen Salon – das Projekt Poetry Slam an und landet damit seinen großen Coup. Heute ist er nicht mehr wegzudenken aus der Augsburger Slamszene und stellt den meist jungen Dichtern eine Plattform zur Verfügung, um öffentlich zu machen, was sie umtreibt. Im Konkreten bedeutet das: An einem Abend dürfen acht Kanditaten in zwei Blöcken ihre Redezeit von je zehn Minuten frei nutzen. Drei von ihnen gelten als gesetzt und werden nach

Augsburg eingeladen, die anderen fünf werden ausgelost unter denjenigen, die sich vor Veranstaltungsbeginn in die Teilnehmerliste eingetragen haben. Der Teilnehmer darf sich zwar keiner Requisiten bedienen oder sich rein aufs Singen beschränken, hat aber die Möglichkeit seine Worte durch Tanz oder anderweitigen Körpereinsatz zu unterstreichen. Das Vortragen der Texte – frei oder mit Zettel – fügt sich meist in das Gesamtkunstwerk des Auftritts ein, der nicht zuletzt unterhalten soll. Lustige Texte bringen häufig den meisten Beifall. Die Bühne zur Hetze zu missbrauchen, das kam laut Thieme noch keinem in den Sinn. Für einen Teilnehmer musste er allerdings eine Ausnahme machen und erlaubte ihm sich wegen der großen Aufregung zu setzen. Diese merkt man den heutigen Teilnehmern nicht an. Vier von ihnen haben über ihren Berufsalltag, eklige Maden und Ähnliches gesprochen, wild gezuckt oder ansatzweise gesungen, als es Zeit zur Abstimmung über den Sieger vom ersten Block wird. Das gleiche Prozedere erfolgt wenig später nach dem zweiten Block. Es gilt zu klatschen für die beiden Finalisten.


Zwei Verbalakrobaten stellen sich vor Eine von ihnen ist Meike Harms. Die junge Künstlerin, die zusätzlich zum Job an ihrer Dissertation arbeitet, erlebte ihren ersten Poetry Slam bei einer Firmenfeier. Die Hemmschwelle, vor den Kollegen zu sprechen, war nicht hoch und ihre Leidenschaft zu slammen fortan geweckt. Das überrascht hinsichtlich ihres schauspielerischen Talents und ihrer Liebe zum Wort wenig. „Sprache bedeutet für mich die Möglichkeit, am Leben teilzunehmen“, meint Meike und schließt an, dass sie nichts sprachlos mache, außer Ungerechtigkeit, gegen die man nichts tun könne. Diese existenzielle Beziehung zur Sprache zeigt sich in Zeilen wie dieser: „ Erst wenn das letzte Lyrikskript abgelehnt, der letzte Poet gebrochen und das letzte Zauberwort gesprochen ist, werdet ihr merken, dass man Kochbücher nicht essen kann.“ Sie erreicht das Publikum mit ihrem dreiminütigen Auftritt im Finale und nimmt unter tosendem Beifall einen kleinen Sachpreis als Erstplatzierte entgegen.

Blicke,

die

„Wir brauchen [...] Opium für die Ohren“ Das fordert Meike Harms in ihrem Text, mit dem sie den ersten Preis beim Lauschangriff erzielte

Ein weiterer Wortkünstler ist Christian Weiblen. Der charismatische Student steht bei diesem Lauschangriff zwar nicht auf der Bühne, hat ihn aber bereits mehrfach gewonnen. Seine Begeisterung erwächst aus seinem Hang zum Schauspiel und dem Wort. Das Studium der Ethik der Textkulturen tut sicher sein Übriges, wenn er strahlend davon erzählt, im Slammen eine Metaebene der Kommunikation gefunden zu haben. Doch Unterhaltung allein ist ihm nicht genug. Mit ICHBINUNSICHTBAR. DE: Eine kritische Kampagne mit und für Flüchtlinge, macht Christian deutlich, dass er die Macht von Sprache erkannt hat und für einen guten Zweck nutzen will.

So lautete der Siegertext von Christian Weiblen beim Lauschangriff im Juli 2012

die Welt bedeuten

Kommerzialisierung in allen Ecken? Diesen Anspruch kann sich der Poetry Slam nur bedingt auf die Fahne schreiben. Natürlich kann es amüsieren, wenn ein erwachsener Mann ein Schaf zu imitieren versucht. Es lacht sich auch leicht über geschickt platzierte Scheinversprecher bei gelungen überzeichneter Mimik. Der Aussagegehalt des jeweiligen Textes wird dadurch jedoch stark in den Hintergrund gedrängt. Das mag zum einen an dem Momenthaften des Slams an sich liegen. Man hört den Text, ist begeistert und klatscht – oder eben nicht. Zum anderen aber riecht es nach Freude am Profit: professionelle Slammer, die ihre Choreographie abspielen, auf der einen und sinnentleerte Pseudoslams auf der anderen Seite. Die Bereitschaft, sich auf anspruchsvolle Texte einzulassen, wird nicht zwingend verlangt. Massentauglich soll es sein. Wenn es beispielsweise schlicht darum geht, alte Tagebucheinträge zu beklatschen, tut sich eine neue Form der Subkultur auf und Kunstinteressierte können getrost zu Hause bleiben. •

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Sollte man sich Serien und

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Unverfälschter Filmgenuss

ugegeben: In der Schule habe ich es gehasst. Kaum ein Wort habe ich verstanden und hinterher kamen dämliche Verständnisfragen des Lehrers. Bis ich später bei einer DVD meiner Wahl den Originalton eingestellt habe. Es folgte ein Aha-Erlebnis. Eine Vielzahl neuer Wortwitze taten sich auf, zuvor wirre Szenen ergaben plötzlich Sinn und die Stimmen passten endlich zu den Schauspielern. Überhaupt gehört zur Leistung eines Schauspielers seine Stimme. Sie trägt eine Szene mindestens genauso wie seine Gestik und Mimik. Zwar sind deutsche Synchronisationen oft sehr gut gemacht, dennoch kann jede Übersetzung immer nur ein verfremdender Kompromiss sein. Seien es Wortwitze, die nicht übersetzbar sind, Anspielungen, die einfach übergangen werden, oder charakteristische Dialekte, die eine Rolle maßgeblich prägen. Zu den skurrilen Nebeneffekten der Synchronisationskultur zählt außerdem, dass Bruce Willis klingt wie Kurt Russell wie Gérard Depardieu und nebenbei 20 Prozent auf alles gibt – außer auf Tiernahrung. In Ländern wie Deutschland, wo grundsätzlich fast jeder Film eine Neuvertonung erhält, ist die Akzeptanz für Originalversionen eher niedrig. In den skandinavischen Ländern, in denen traditionell nicht synchronisiert wird, bevorzugen die Zuschauer dagegen die Originale. Die Haltung der Zuschauer ist also ausschließlich eine Frage der Gewohnheit – oder ketzerisch gesagt: der Faulheit. Denn bei den heutzutage nicht nur von Akademikern geforderten Sprachkenntnissen – in der Regel handelt es sich um Englisch – bieten Filme und Serien eine gute Gelegenheit, diese zu trainie-

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Ein Plädoyer für die Originalversion Text: Moritz Köppendörfer – Illustration: Sandra Deyerler

ren und den Wortschatz zu erweitern. Nicht umsonst ist die Bevölkerung in Ländern ohne Synchronisation in der Regel fitter in Fremdsprachen. Einen guten Einstieg bieten Serien, die man schon auf Deutsch kennt. Die Handlung ist noch halbwegs präsent und das Sprachniveau nicht zu schwer, Langeweile kommt dank des ungewohnten Klangs trotzdem nicht auf. Zur Not gibt es immer noch hilfreiche Untertitel. Nicht nur auf Deutsch, sondern auch in der Originalsprache. Die werden erfahrungsgemäß schnell zur Gewohnheit und mit der Zeit überflüssig. Leider gibt es hierzulande selbst in Großstädten nur wenige Kinos, die Filme auch im Original zeigen. In Augsburg besteht die Möglichkeit in der Regel genau einmal pro Woche in einem Kino am Vogeltor. Mehr Auswahl bietet ein Ausflug nach München, wo zwei Kinos stets mehrere aktuelle Filme als Originalversion im Programm haben. Daneben bleiben Blu-ray, DVD und Internet. Natürlich steht bei Filmen und Serien die Unterhaltung im Vordergrund, dennoch wird die zusätzliche Denkarbeit belohnt. Wer also die Gelegenheit hat, Filme und Serien unverfälscht im Original anzuschauen, sollte sie wahrnehmen. Die Fähigkeit dazu kommt dann ganz von allein. •


Filme im Original ansehen? Zed ist tot, na und? Ein Plädoyer für synchronisierte Fassungen Text: Sophia Lindsey – Illustration: Sandra Deyerler

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ed’s dead, baby“, raunt Bruce Willis in Pulp Fiction, bevor er auf dem knatternden Motorrad – pardon, Chopper – davonfährt. Er trägt Lederjacke und Jeans, fährt vorbei an der tristen Fassade des River Glen Motels zu einer Musik, die irgendwo zwischen Trostlosigkeit und Hoffnung schwankt. In der deutschen Fassung raunt Willis: „Zed ist tot, Baby.“ Der Reim mag futsch sein, doch sonst fehlt es an nichts. Denn Pulp Fiction, wie die meisten guten Filme, lebt nicht zuletzt von seinen Bildern: grelle, überladene Ausschnitte eines verlorenen Amerikas. Und überhaupt: Bruce Willis ist in allen Sprachen ziemlich heiß. Das bewegte Bild ist so viel mehr als nur eine Tonspur. Zudem reiht sich meist nicht – auch wenn manche Gegner der Synchronisation den Anschein erwecken – ständig Wortwitz an Wortwitz. Und selbst wenn: Bei einer guten Übertragung ins Deutsche bekommt der Zuschauer überhaupt nicht mit, welch einzigartiger, mutmaßlich unübersetzbarer Geniestreich oder welch wunderweiche Originalstimme ihm da durch die Lappen geht. Interessant ist übrigens auch, dass bei Filmen und Büchern mit zweierlei Maß gemessen zu werden scheint. Harry Potter auf Deutsch lesen: kein Problem. Harry Potter auf Deutsch ansehen: ein Verbrechen an Daniel Radcliffe und seinem niedlichen britischen Akzent.

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Synchronisationen, so scheint es, werden oft nur verschmäht, um besonders intellektuell und weltgewandt zu wirken. In die gleiche Kategorie fallen übrigens: mit Wein gurgeln, Pfeife rauchen und zerknitterte Flaubert-Ausgaben gut sichtbar mit sich herumtragen. Herablassendbeiläufig heißt es dann: „Das ist aber nur im Original witzig.“ Oder entsetzt: „Schaut ihr das nicht auf Englisch?“ Dabei sind Synchronisationen vor allem hier in Deutschland eine aufwändige und liebevolle Sache: Während kleine Fehler (etwa der unglücklich übersetzte wingman, der in der Serie How I Met Your Mother zum Co-Piloten wird) schadenfroh ausgeschlachtet werden, lobt kaum jemand gute Übertragungen ins Deutsche. Vor allem Kinderfilme sind Paradebeispiele für gelungene Übersetzungen: Wenn Mogli und Balu es mit Gemütlichkeit probieren, wird es deutschsprachigen Kindern ziemlich egal sein, ob das doppeldeutige Wortspiel im Original („Look for the bare necessities“) verloren geht. Und das „Farbenspiel des Winds“ trägt die deutsche Pocahontas ebenso gefühlig vor wie ihr amerikanisches Pendant die zahlreichen „colors of the wind“. Die Übersetzer von Findet Nemo sind richtig kreativ geworden: Wenn Marlin das höfliche Seepferd als „Pferdefresse“ beschimpft, ist das sogar lustiger als das „pony boy“ des Originals. Und auch, dass einer der Aquarienfische aus dem Quellekatalog stammt, ist ein findiger Einfall. Ohnehin ist eigentlich nur ein Argument nötig, um die Wichtigkeit von synchronisierten Fassungen zu verdeutlichen: Hat sich jemand mal Adam Sandlers Originalstimme angehört? •

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Von Pogo, Fashionistas und Grabsch-Attacken Das Modular-Festival in der Retrospektive Text: Rebecca Naunheimer & Magdalena Klinger – Fotos: Petra Maier & Natalia Sander

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orbereiten auf den Extremfall: 50-Cent-Einweg-Regenponcho überstreifen, die Beine mit Frischhaltefolie einwickeln, das Ganze mit Gaffa-Tape fixieren und mit einem Spritzer Imprägnierspray versiegeln. Ein Erfahrungsbericht vom Modular-Festival 2013. Schon Tage vorher hatte der Wetterbericht eine hundertprozentige Regenwahrscheinlichkeit angekündigt. Das Modular drohte ins Wasser zu fallen. Davon ließ sich jedoch kaum ein Festivalbesucher abschrecken. Sicherheitshalber fand das Jugend- und Popkulturfestival in diesem Jahr aber nicht wie gewohnt teilweise im Wittelsbacher Park statt, sondern nur im angrenzenden Kongresszentrum. Ein Faktum, dass nicht allen bekannt war…

Heut ist alles drin!

Kristina B., 28, Studentin aus Augsburg: „Mein Mantel lässt Wasser durch!“

Gerüstet für den Aufenthalt in einem Schützengraben, eiern wir durch den Regen zum Ort des Geschehens. Es scheint als wäre die Menge am Kochen. Ekstatisch rutschen wir auf heißen Gummisohlen durch die Kongresshalle zum Ausgang Richtung Parkbühne. Ein Türsteher stellt sich in unseren Weg: „Heut ist alles drin!“ Verdammt. So stehen wir da, wie zwei Pylonen in Ganzkörper-RegenKondomen. Und als wir uns umsehen, finden wir uns plötzlich zwischen der Fashion-Elite Augsburgs wieder. Menschen, denen das Wort Regenponcho ein Graus ist und denen man

die mehrstündige Prozedur vor dem Kleiderschrank deutlich ansieht. Und wer sein perfektes Festival-Outfit noch nicht gefunden hatte, der konnte diesen Zustand auch noch vor Ort beheben: Beim Kreativmarkt konnten die Festivalbesucher ihre zweite Haut tauschen, bei der Making Augsburg Sackerl Session gleich eine ganz neue nähen. Nebst emsigen Näherinnen gab es unter anderem viele Workshops zum Thema Musik. Damit bot das Modular Festival auch in diesem Jahr wieder ein vielseitiges Programm. Aber Moment, haben wir da nicht etwas Wichtiges vergessen?

André B., 25, aus München: „Schade, dass dieses Jahr nichts draußen ist“ und Jasmin Jk., 30, aus Augsburg: „Ich bin eigentlich weniger wegen der Bands als wegen der Atmosphäre da.“

Ein bisschen Musik gab es auch Ein bisschen Musik gab es auf dem Modular Festival sogar auch. Neben den Headlinern wie Frittenbude, Thees Uhlmann und The Notwist überzeugten einige Lokalmatadoren. Gerade die wilde Aichacher Blaskapelle TSSHO, besser bekannt als The Sensational Skydrunk Heartbeat Orchestra, sorgte mit Akkordeon und Trompete für unerwartet gute Stimmung. Und weniger lokal, dafür umso mehr Matador, lockten die Jungs vom Beginner Soundsystem auch den letzten Gangster-Rapper hinter den Unterhosen mit Bügelfalte hervor.


Barbara H., 25, Studentin aus Augsburg: „Die Location ist sehr toll.“

Stefan A., 23, aus Jestetten bei Konstanz: „Eine Freundin aus Augsburg hat mich auf das ModularFestival aufmerksam gemacht.“

And the winner is… Nun kennt ihr die musikalischen Favoriten der Redaktion, aber auch offiziell gab es ein paar Gewinner. Darunter: eRRdeKa. Der 22-jährige Rapper überzeugte mit Hits, wie „Ja ich bin Hipster“ und „Edoppelr“ und gewann den Pop-Preis Roy in der Kategorie ,Bester Nachwuchskünstler‘. Schon zum zweiten Mal wurde der mit 1000 Euro dotierte Preis am ersten Tag des Modular Festivals verliehen. Weiterhin gewannen der Augsburger Singer/Songwriter Benni Benson als Künstler des Jahres, das Schwarze Schaf als Club des Jahres und die Macher von In Your Face – Art Exhibition + Disco als Programm-Macher des Jahres. Bei einer so hohen Promi-Dichte war es dann auch nicht verwunderlich, dass die Stimmung kochte. Im Gedränge während der Konzerte kochte sie bei manch einem sogar über.

It’s getting hot in here Im Pogo wurde nicht nur die Luft extrem heiß. Wie Autorin Magdalena am eigenen Leib erfuhr, baute sich zwischen keuchendem Atem, falschen Tönen, individualisierten Textinterpre-

Christian B., 25, Student aus Augsburg und Matthias K., 27, aus Dachau: „Wir haben gewettet, dass wir einen Becher Moscow Mule (starker Longdrink) exen können – tja, hat nicht geklappt!“

tationen und Weltrekorden im Standhochspringen eine knisternde Atmosphäre auf. Angefeuert von FrittenbudeFrontmann Johannes Rögner, der zur Umarmung aufgerufen hatte, nahm sich ein junger Mann eine gute Handvoll Magdalena. Und ist sie deswegen sauer geworden? Nein. Es lag Liebe in der Luft – irgendwo zwischen verdunstetem Schweiß und Bier. Ob das mit Magdalena und dem Grabscher etwas geworden ist? Leider nicht, aber das Modular Festival bekommt von uns dennoch einen hohen Flirt-Faktor attestiert. How I met your mother: „Ich habe sie im Pogo begrabscht und deshalb sind wir ins Gespräch gekommen.“ Spaß und Liebe für 20 Euro – das gibt’s nicht mal im Puff. Wer also einmal einen Kosten-Nutzen-Vergleich bemüht, der wird schnell merken: Es muss nicht immer das ganz große Festival sein, um das ganz große Erlebnis zu haben. Denn Augsburg hatte sie an diesem Wochenende alle: Die Mode, die Musik, die Kunst, die Liebe und das Ganze im Trockenen! •

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Seitwärts Alles, was Spaß macht


Immer ein

offenes Ohr Über das Phänomen Selbstgespräch Text & Illustration: Sophie Kellner

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elbstgespräche? Jeder kennt den Begriff, aber was steckt eigentlich dahinter? Weshalb führen Menschen Monologe? Geschieht das immer bewusst und hat das überhaupt einen Nutzen? Was ich hier gerade mache, ist das auch schon ein Selbstgespräch? Führe ich etwa auch Selbstgespräche? Nein, eher weniger – höchstens, wenn ich mich mal konzentrieren muss und etwas Schritt für Schritt durchgehe. Aber nun will ich es genauer wissen … Self-Talk ist die Kommunikation mit uns selbst und über uns selbst. Wie wir über uns sprechen oder denken beeinflusst unsere Psyche. Was wir zu uns sagen, bestimmt, ob wir zufrieden oder unzufrieden, glücklich oder unglücklich, entspannt oder angespannt sind. Doch Menschen, die laut mit sich selbst sprechen, werden von anderen meist belächelt, wenn nicht sogar für verrückt gehalten. Dabei ist das laute Selbstgespräch gar nicht so schlecht: Es hilft in vielen Situationen, sich verbal anzuspornen oder die eigene Aufmerksamkeit zu lenken, wie der Psychiater und Psychotherapeut Dirk Wedekind von der Universität Göttingen betont. Allerdings kommt es dabei darauf an, ob es sich um nicht-lauten Self-Talk im richtigen Maß oder extensive, unkontrollierte Selbstgespräche handelt, die häufig

mit psychischen Krankheiten in Verbindung stehen, da Betroffene nicht mehr zwischen Stimmen von ‚außen‘ und ‚innen‘ unterscheiden können.

Immer schön positiv bleiben Positiver, ermutigender Self-Talk motiviert. Negativer Self-Talk dagegen führt zu Unsicherheit, Selbstzweifel und dem Verlust der Motivation. Also sind Selbstgespräche doch gar nicht verkehrt, im Gegenteil: Sie helfen uns, positiv an Situationen heranzugehen und sie zu meistern. Auf der anderen Seite kann uns Self-Talk auch entmutigen. Oft sind wir uns dessen aber nicht bewusst. Stehen wir beispielsweise vor einer schwierigen Aufgabe, denken wir uns automatisch: „Oh Gott, wie soll ich das nur schaffen?“ Diese einfache Frage kann unser Denken und Handeln im Unterbewusstsein so sehr bestimmen, dass wir die Aufgabe nicht optimal lösen oder sogar überhaupt nicht lösen können. Deshalb: Immer schön positiv denken! Außerdem sind Selbstgespräche auch eine Art Situationsbewältigung. Wenn man sich im Verkehr über einen anderen Autofahrer ärgert, kommt es schon mal vor, dass man sich laut über denjenigen aufregt und

danach ist der Ärger nicht mehr ganz so groß. Auch bei Stress, Trauer, Konzentration und Euphorie kommt es oft zum Self-Talk. Natürlich können extensive Selbstgespräche durchaus gelegentlich Symptome psychischer Störungen sein, aber wer hin und wieder mit sich selbst spricht, hat nichts zu befürchten.

Wichtig für einen selbst, amüsant für andere Da Selbstgespräche häufig unbewusst auftreten, merkt man manchmal auch erst nach einer Weile, dass man laut vor sich hin gesprochen und überlegt hat – was für andere Anwesende einen interessanten Einblick in die Gedankenwelt des anderen geben kann. Ohne den passenden Zusammenhang kann das auch mal ganz amüsant klingen. Dennoch sollte man sich nicht schämen, die eigenen Gedanken laut auszusprechen. Manchmal ist das sogar nützlich. Es kann also nicht schaden, in Zukunft auch mal das Wort an sich selbst richten, ganz nach dem Motto: „Sei mutig, sprich dich an!“ Denn manchmal ist man selbst doch sowieso der angenehmste Gesprächspartner. seitwärts | 45


Ich packe meinen Koffer und nehme mit … Presstige ist im Reisefieber und hat Rätselspaß im Gepäck Text & Fotos: Corinna Scherer & Petra Maier – Illustration: Natalia Sander

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as Kofferpacken ist die Plage des Reisens. Vor der Abreise muss alles (mehr oder weniger) Notwendige in die Tasche gestopft werden. Die Reise wird ständig vom Gefühl begleitet, etwas daheim vergessen zu haben. Schließlich steht der Rückweg an und damit das nächste Problem: Denn wie sollen die ganzen Souvenirs in den Koffer passen?

Finde den Fehlerteufel In dem Bild links haben sich elf Fehler eingeschlichen – kannst du sie finden?

1 Schrift auf der Filmklappe 2 „10“ Länder auf dem „Urlaubsreif“-Buch 3 Farbe des Taschenmessers 4 Zusätzlicher Vogel auf dem Papyrus 5 Vogel auf dem „I was here“-Buch 6 Fehlendes Kofferschloss 7 Henkel der Teekanne 8 Grünes Armband 9 Verschluss des Rums 10 „N“ auf dem T-Shirt 11 Blauer Mund auf den Instantnudeln

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Erinnerungsstücke erraten Dieser Koffer war schon in elf Ländern. Kannst du diese anhand der Souvenirs erraten? Hier findest du einige Tipps, falls du nicht weiterweißt. 1 Madrid ist die Hauptstadt von 2 Hier werden Stars geboren: 3 Die Pyramiden von Gizeh befinden sich in 4 In isst man mit Stäbchen. 5 Aus sollte man nicht nur eine Matrjoschka mitbringen, sondern auch Süßigkeiten. 6 Instantnudeln gibt es wie kleine Handarbeitsprodukte zuhauf in 7 Neben den traditionellen dreieckigen Hüten gibt es in an fast jeder Ecke Frühlingsrollen aus Reispapier zu sehen. 8 Schokolade, Ricola und Taschenmesser assoziiert man häufig mit der 9 Aus kommt nicht nur der Stroh Rum, sondern auch die Mozartkugel. 10 Glückskekse werden häufig in Restaurants dieses Landes gereicht: 11 Grün ist die Nationalfarbe von

1 Spanien 2 Amerika3 Ägypten (geschrieben: Aegypten) 4 Japan 5 Russland 6 Thailand 7 Vietnam 8 Schweiz 9 Österreich (geschrieben: Oesterreich) 10 China 11 Irland seitwärts | 47


So war das aber

nicht gemeint

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in Wort falsch gedeutet, die Mimik des Gesprächspartners falsch interpretiert oder auch nur einen Smiley in der SMS vergessen und schon ist es da, das Missverständnis. Missverständnisse treten überall auf und gehören wie selbstverständlich zur Kommunikation – nur bemerken wir es meist nicht. Vor allem in alltäglichen Situationen kommt es oft zu Missverständnissen, die zu mehr oder minder großen Tragödien führen können. Es ist Samstagabend, als Anna im Auto auf der Rückfahrt vom Kinobesuch mit Markus einfällt, welcher besondere Tag heute ist: „Markus, ist dir klar, dass wir mit dem heutigen Abend seit sechs Monaten zusammen sind?“ Stille. Anna kommt die Stille sehr laut vor und sie überlegt: „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Markus sagt: „Stimmt, sechs Monate.“ Und Anna denkt: „Warum sagt er das jetzt so? Ob ihn das nervt, dass ich das jetzt gesagt habe? Möglicherweise will er mehr Freiraum?“ Aber Markus denkt: „Hm, mal überlegen … dann war es Juni, als wir angefangen haben uns zu treffen. Das war gleich nachdem ich mein Auto beim Service hatte. Also die können sagen, was sie wollen, aber die Schaltung geht immer noch total schwer!“ Während sich Anna im Laufe der Autofahrt höchstwahrscheinlich immer mehr in die Situation hineinsteigern wird, sodass sie letztendlich vielleicht sogar die Be-

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ziehung in Frage stellt, wird sich Markus weiter über die Inkompetenz der Mechaniker aufregen und sich darüber ärgern, für die Reparatur 650 Euro geblecht zu haben. Missverständnisse wie diese passieren täglich und das vor allem in der Kommunikation zwischen Männern und Frauen. Psychologen gehen davon aus, dass Männer und Frauen verschiedene Vorstellungen von den Inhalten ihrer Kommunikation und den daran geknüpften Erwartungen haben. Darüber hinaus soll vor allem der geschlechtsspezifische Gebrauch von (Körper-)Sprache und Intonation ausschlaggebend sein.

Missverständnisse auf dem Campus Ein Missverständnis entsteht dann, wenn der Empfänger der Botschaft etwas anderes versteht als das, was der Sender eigentlich gemeint hat. Oft sind akustische Verständnisprobleme oder eine inkorrekte Ausdrucksweise der Grund dafür. So erging es zum Beispiel Jin, 26 Jahre, Philosophiestudent an der Uni Augsburg, als er zur Bank ging, um Geld auf ein Konto in Korea zu überweisen. „Als ich am Schalter meine Überweisung machen wollte, sagte mir der Mann, dass er die Daten des ‚Fingers‘ benötigt. Ich wunderte mich, ging aber nach Hause und machte einen Fingerabdruck auf ein Blatt Papier. Als ich


Missverständnisse in der Kommunikation Text: Zamira Tahiri & Chantal Helwig – Fotos: Natalia Sander

damit dann zur Bank ging, stellte sich heraus, dass ich den Beamten falsch verstanden hatte und er von mir natürlich die Daten des ‚Empfängers‘ wissen wollte.” Verständnisunterschiede entstehen auch oft dann, wenn sich der Gesprächspartner kompliziert oder mehrdeutig äußert. Aber auch, wenn Gestik und Mimik mit dem Gesagten nicht übereinstimmen, oder sich die Nachricht an einen falschen Adressaten wendet, kommt es zu Missverständnissen – wie bei Valerie, 20 Jahre, Jurastudentin. „Ich saß auf den Bänken vor der Wiki-Fakultät, als ich eine Freundin die Treppen herauflaufen sah. Aus Spaß zwinkerte ich ihr zu und schickte einen Luftkuss in ihre Richtung. Genau in diesem Moment lief knapp vor mir ein anderer Student vorbei, der mich leicht überrascht ansah und irritiert weiterging. Er hat natürlich gedacht, dass das Augenzwinkern und der Kuss ihm gegolten haben. Total peinlich!“ Oft beruhen Missverständnisse aber nicht alleine auf Verhörern oder der Missinterpretation einer Geste, sondern haben komplexe Ursachen, wie bei Alex, 26 Jahre, BWL-Student in Augsburg. „Es waren gerade Semesterferien und ich war auf Bali, als ich einen Bescheid der Studentenkanzlei erhielt, dass ich infolge meiner bestandenen Diplomprüfung exmatrikuliert worden sei. Ich bekam einen Riesenschock, denn ich befand mich noch lange nicht am Ende meines Studiums und hatte natürlich auch keine Abschlussprüfung abgelegt. Bis

dieses Missverständnis aufgeklärt werden konnte und meine Exmatrikulation rückgängig gemacht wurde, musste ich viele teure Telefonate aus dem Ausland führen und sogar mit rechtlichen Schritten drohen. Meine Kommilitonen fanden das Ganze urkomisch, für mich allerdings war es keine so lustige Erfahrung.” Etwas misszuverstehen bedeutet nicht immer etwas falsch zu verstehen, sondern vor allem etwas anders zu interpretieren. Die Gefahr, Leidtragender eines Missverständnisses zu werden, besteht immer dann, wenn Menschen miteinander kommunizieren, sei es in einem Gespräch, nonverbal oder medienvermittelt. Gerade bei schriftlicher Kommunikation ist das Risiko etwas misszuverstehen sehr groß, da Aspekte visueller Information fehlen, um Botschaften richtig zu interpretieren. Die Hauptursache von Missverständnissen liegt im unterschiedlichen Wissen der Akteure. Jeder Mensch nimmt seine Umwelt sehr differenziert wahr. Persönliche Erfahrungen und individuelle Kenntnisse spielen daher eine große Rolle, wenn es darum geht, bestimmte Situationen zu deuten und zu interpretieren. Darüber hinaus hängt das Verstehen oder Missverstehen einer Kommunikation in einem nicht zu unterschätzenden Maße vom Zufall ab. Es ist gerade das Geheimnisvolle, das Missverständnisse so interessant macht – nicht nur die großen Missverständnisse in der Politik oder der Welt der Prominenten, sondern auch die alltäglichen, die uns selbst ständig umgeben. • seitwärts | 49


Alles korrekt, oder? Die Tücken der Autokorrektur – eine Typologie des geliebten Feinds Text: Petra Maier – Illustration: Sven Walther

Your mom and I are going to divorce next month. what??? why! call me please! I wrote Disney and this phone changed it. We are going to Disney.

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*fummeln = gammeln *USB = USH für Unterschleißheim

einem Freund erzähle ich, dass ich gerne noch etwas im Bett fummeln* möchte, meine Mitbewohnerin wohnt auf einmal in USB* und ,ach so‘ wird zu ,Audi‘ – klar, dass da Missverständnisse vorprogrammiert sind. Schuld daran ist die Autokorrektur. Wenn man ,Autokorrektur‘ bei Google eingibt, findet man zahlreiche Anfragen, die nur auf eines abzielen – sie wieder loszuwerden. Andere Nutzer wiederum schwören darauf und könnten sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Der große Vorteil der Schreibhilfefunktion besteht darin, dass einem durch die Ergänzung von Wörtern viel Zeit erspart wird. Allerdings werden häufig auch Wörter vorgeschlagen oder ergänzt, die überhaupt nicht in den Kontext passen – die Tücken der Autokorrektur eben.

dürfte sich der Empfänger der Nachricht aber etwas vernachlässigt fühlen. Ein kurzer Blick vor dem Versenden bietet Abhilfe – so viel Zeit sollte sein.

Lustige Vertipper und Sinnänderungen Dass Handys auch über eine Art Ego verfügen, wurde einer unserer Grafikerinnen bewusst, nachdem ,Männerwelt‘ jedes Mal zu ,Unterwelt‘ umgewandelt wurde. Selbst bei der Autokorrektur ist man also vor übertrie-

dachte dein internet geht nicht? Bin in der Uni

Grammatik und Geringfügiges Keine gravierenden Irrtümer sind bei Korrekturen zu vermuten, welche die grammatikalische Struktur eines Satzes ins Wanken bringen. Wenn mal ein ,ihr‘ statt ein ,ich‘ im Text steht, dürfte das zu verschmerzen sein. Auch Buchstabendreher und Fehler bei der Groß- und Kleinschreibung (z.B. ,Treffen‘ statt ,treffen‘) liegen noch im Akzeptanzbereich. Bei häufigen Verschreibern dieser Art

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und was machst du dann zu hause? versuche mich beim Nachbarn einzulochen Einzuloggen!! ^^


Hey Suppe, alles gut bei dir? Ja Eintopf, hier ist alles gut! ;-) Mist.. ich meinte Süsse, nicht Suppe...! benem Feminismus nicht sicher. Teilweise schleichen sich auch Namen in die Kurznachrichten ein, sodass ,ganz okay‘ schon mal zu ,Hans okay‘ wird und ,Karl‘ statt ,klar‘ zu lesen ist – Verwirrungen sind hierbei nicht ausgeschlossen. Auch der Discounter-Riese ,Aldi‘ taucht für das Wörtchen ,also‘ manchmal auf – ob das eine neue Marketingstrategie ist, bleibt offen.

Unmoralische Angebote mit möglichen Konsequenzen Heikler wird es hingegen, wenn einen die Änderungen in eine prekäre Lage versetzten. Unmoralische Angebote sind dank Autokorrektur nicht ausgeschlossen: So soll in unserer Redaktion statt ,sry‘ für ,sorry‘ schon einmal ,Sex‘ auf dem Bildschirm erschienen sein. Nicht gerade das richtige Wort, wenn man sich für eine Nachhilfestunde mit einem 13-Jährigen verabreden möchte. Dass „Wo kann ich euch finden?“ auch mal zu „Wo kann ich euch fingern?“ wird, dürfte ebenfalls für reichlich Gesprächsstoff sorgen. Wenn man seinen Ruf also nicht mit schmutzigen Offerten dreckig machen will, sollte man beim Eintippen von Kurznachrichten nicht vorschnell auf ,Senden‘ klicken, ohne sich das Geschriebene noch einmal vor Augen zu führen.

Tipps zum Schluss Am besten wäre es natürlich, wenn man sich für Whatsapp-Nachrichten, Facebook-Posts und SMS einfach mehr Zeit nehmen würde. Da Zeit aber bekanntlich Geld ist, hält sich daran wohl kaum jemand. Sollten Vertipper irgendeiner Art auftauchen, hilft nur eines: Ruhe bewahren und falls nötig, Missverständnisse aufklären. Eine Portion Selbstironie schadet vermutlich auch nicht. •

Loved seeing you! Lets not wait 6 months between hangout sessions anymore

I know! I missed you. You looked so much fatter than you did last time I saw you!

Wow Fiona. Harsh. I put on a few pounds but that kinda hurt my feelings.

I tried to write that you looked *HAPPIER* I am so sorry

holy shit, I feel so bad.

Wer noch nicht genug von Autokorrektur-Pannen hat, kann sich auf folgenden Seiten noch etwas berieseln lassen.

www.autocompletefail.de www. geliebte-autokorrektur.de

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In English, please Eine Woche ohne Deutsch zu sprechen Text: Daniel Guggeis – Illustration: Sandra Deyerler

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Erste kleine Probleme ohne Deutsch

Meine Woche beginnt Montagvormittag in der Tram auf dem Weg zur Soziologie-Vorlesung. Am Rathausplatz steigt ein Kommilitone von mir zu, den ich prompt auf Englisch begrüße. Nach kurzer Aufklärung, wieso ich kein Deutsch spreche, beginnen wir auch schon, in englischer Sprache über aktuelle politische Geschehnisse zu diskutieren. Er findet die Idee des Experiments gut und ist generell der Meinung, dass man öfters einfach mal Englisch oder eine andere Fremdsprache sprechen sollte. Als ich später auf mehrere Leute vor dem Vorlesungsaal treffe, ist die Verwirrung bei einigen jedoch groß: „Wieso zum Teufel redet der nicht Deutsch mit mir?“ Einige gehen auf mich ein und versuchen Englisch mit mir zu sprechen, andere wiederum nicht. Meine letzte sprachliche Interaktion tätige ich dann bei Aldi an der Kasse. Auch dort ernte ich nur verwirrte Blicke und Kopfschütteln. Schon nach dem ersten Tag merke ich schließlich: Es ist ziemlich anstrengend, durchgehend auf Deutsch zu verzichten. Vor allem dann, wenn es sonst keiner tut.

Der zweite Tag meines Experiments ist etwas ereignisreicher. Zunächst geht es zum Politikwissenschafts-Seminar. Am Vortag habe ich mich noch zurückgehalten mit Wortmeldungen. Da der zu behandelnde Text diesmal aber auf Englisch ist, passt die Sprache immerhin. Es folgen weitere interessante Diskussionen auf Englisch. Später im Spanischkurs wechsele ich dann zu Spanisch. Nach der Uni geht es für mich zur Redaktionssitzung von Kanal C. Dort sind die Meinungen zu meinem Experiment gespalten. Manche finden die Idee dahinter gut, andere stempeln es als Schwachsinn ab. Und die Redaktionssitzung ist nicht nur eine Härteprobe für die Idee hinter dem Experiment, sondern auch für mein Durchhaltevermögen. An diesem Abend erreiche ich die erste kritische Phase, da ich immer wieder fast ins Deutsche rutsche. Es ist nicht leicht, den normalen Prozess einer Redaktionssitzung bei Kanal C auf Englisch zu vollziehen, da einem viele Fachbegriffe einfach fehlen. Überstanden habe ich die Sitzung dennoch ganz gut. Inzwischen bemerke ich immer mehr, dass ich jetzt auch auf Englisch denke und eben nicht mehr so oft auf Deutsch. Aber eins ist klar: Auch wenn wir alle einigermaßen

ies ist ein Selbstversuch. Eine Woche lang habe ich darauf verzichtet, Deutsch zu sprechen. Warum das durchaus nervenaufreibend sein kann, aber auch Spaß macht – mein Versuchsbericht.

Parlo italiano

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Hablo español

Je parle français

Ben Türkçe


Jeg snakker norsk

gut Englisch können, egal ob in der Uni, bei privaten Gesprächen oder im Supermarkt, die Kommunikation leidet schon. Denn so weit Englisch auch verbreitet sein mag, in der Muttersprache funktioniert die Kommunikation natürlich immer noch am besten.

Einfluss auf Mitmenschen Meine Woche ohne Deutsch ist noch lange nicht vorbei, schließlich ist erst Mittwoch. Inzwischen geht mir das Englisch immer lockerer über die Lippen und ich habe mich schon daran gewöhnt, einfach kein Deutsch zu sprechen. Die Leute reagieren auch nicht mehr so verwirrt wie noch zu anfangs. Trotzdem antworten mir die meisten auf Deutsch. Bei anderen zeigt mein Experiment Wirkung: Ohne es zu wollen, beginnt der eine oder andere – trotz anfänglicher Ablehnung oder Faulheit – Englisch zu sprechen. Aufgrund des Feiertags ist am Donnerstag nicht so viel los. Da auch das Wetter ziemlich bescheiden ist, verbringe ich die Zeit in meiner Wohnung. Die einzige Kon-

'm s ven ska

versation auf Englisch findet also via Facebook statt. Das soll sich am Freitag schleunigst ändern, denn es ist Festival-Zeit. Nach meinem Spanischkurs geht es direkt aufs Modular-Festival. Das Problem hier stellt sich schnell heraus: Auf Festivals ist es sowieso schon recht laut, somit werde ich, wenn ich jemanden dann auch noch auf Englisch anspreche, erst recht nicht verstanden. Zudem ist die Woche schon ziemlich weit fortgeschritten und mir fällt es inzwischen wieder schwerer auf Deutsch zu verzichten. Den letzten Rest geben mir das wilde Pogen während der Konzerte und natürlich auch der Alkohol. Ich bin dann auch recht froh, als die Woche endlich vorbei ist und ich wieder Deutsch sprechen kann. Dennoch möchte ich diese interessante Erfahrung keineswegs missen. Selbst Tage nach dem Experiment denke ich, dass ich Englisch sprechen müsse. Wir könnten alle noch etwas internationaler werden. Schließlich sind Fremdsprachen – allen voran Englisch – in unserem Alltag allgegenwärtig. Das ist wirklich schön und sollte auch weiterhin so bleiben. Aber natürlich darf man seine Muttersprache nicht vergessen, denn auch die hat ihr Gutes. Man sollte nur zwischen Englisch und Deutsch gut wechseln können. Schließlich muss man sich noch untereinander verstehen können. Das ist das Wichtigste. •

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Brothers in Endsprech Michael Sentef und Christopher Große sind ausnahmsweise sprachlos Text: Michael Sentef & Michael Große – Illustration: Natalia Sander

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Anfang sprach ER:

Oh Glossisten, ich spüre das Ende nahen. Das Ende aller Sprache. Ach was, das Ende von allem! So schreibet mir darüber! – Wir: Aber Herr, was sprecht Ihr da? Ende aller Sprache? Wir sind sprachgewaltiger denn je! Wir sind erst am Anfang unserer Sprache. Und die Welt wird doch nicht untergehen wegen so ein bisschen Krise. – ER: Bah! Dramatik, Dramatik. Ich liebe Weltuntergänge. Lasst sie untergehen, aber dalli! (Grelle Fanfaren, dramatische Streicher, Windmaschine, apokalyptische Reiter auf, dann alle dramatisch ab.) Voilà – die sprachloseste Glosse ever, die dennoch zu lang gerät. Neulich, lang vor dem Sankt-NimmerleinsTag, waren wir beide voller Enthusiasmus. Wir waren ausgezogen, nicht bloß neue Sphären zu erkunden, sondern auch neue Sprachräume zu erobern. Der eine von uns (MS) zog, wie dem treuen Leser nicht entgangen sein dürfte, von Süddeutschland ans andere Ende der Welt nach Kalifornien. Der andere von uns (CG) zog, wie der treue Leser ebenfalls längst weiß, aus Berlin ans andere Ende der Welt nach Bayern. Wir sind beide nicht in Babylon (mit seiner Sprachverwirrung) gelandet. Aber fast. Der eine von uns (MS) nennt Gott sei Dank ein stattliches Sprach-Repertoire sein Eigen. Zwar geboren im Schwabenland, spricht er dennoch fließend (und verständlich) Hochdeutsch, imitiert jedoch auch gern (zum Leidwesen seiner wundervollen Frau) sämtliche deutschen Dialekte, die sich nicht wehren können. Meistens recht, manchmal schlecht. Dies kommt ihm nun im fernen Kalifornien zugute. Denn dort ist schlichtweg niemand Muttersprachler. Sollte es sie geben, so haben sie sich längst in die (StateTax-freie) Wüste Nevadas verkrochen. Hier fällt auf, wer nicht mit stattlichem Akzent schwadroniert. Der Witz mit dem Inder – How old are you? My wife is dirty, and I am dirty, too! – ist hier Wirklichkeit. In fact lieben uns die Amis, weil wir Mitteleuropäer ein solch fantastisch klares Englisch sprechen. Wi sänk ju for träweling wiss Deutsche Bahn! Der andere von uns (CG) ist Gott sei Dank in Preußen geboren und sozialisiert. In der Regel qua Geburt gibt’s dort

dazu (aus Daffke): Antrag auf Hartz IV, Berliner Schnauze (leider geil). Letztere brachte ihm unterm Strich von Kindertagen an mehr Freud als Leid ein, da sich, setzte man sie mit einigem Geschick (Chuzpe) ein, dank ihr nicht nur ein Bullentaxi organisieren, sondern auch die ein oder andere handfeste Auseinandersetzung umgehen ließ. Seit der dritten Klasse ist der gekonnte Einsatz (Chuzpe) derselben offiziell verbrieft: „Er ist dazu übergegangen, das Unterrichtsgeschehen ungefragt zu kommentieren, was als äußerst störend empfunden wird.“ (Zeugniskopfnote) Mochte so sein. Machte aber einen Heidenspaß. Und sollte sich in den folgenden Jahren (einige) auch nicht mehr signifikant ändern. Auf ebenjene Berliner Schnauze ist der andere von uns nur ein einziges Mal gefallen. Es war sein erster Arbeitstag im rheinländischen Bonner Ausland. Das Telefon der PR-Agentur klingelte. Am Telefon: Die Olle vom Chef. Der andere vernehmlich durchs Büro (damit es der Chef auch mitbekommt): Gunnar, deine Olle ist dran! Restliche Bürobesetzung: Entsetzen, Fassungslosigkeit. Chef: Sprachlosigkeit, Tatenlosigkeit. Der andere von uns erstaunt ob der (Nicht-)Reaktion und noch eine Prise vernehmlicher: Was ist denn? Gunnar, deine Olle ist dran! Gunnars Olle am anderen Ende der Leitung (wie man sich später zuraunte): Erstaunen, Wut. Der andere von uns hat bis heute nicht so recht begriffen, worin das offenbar sprachlich verursachte Problem bestand, hat dann aber doch aufgrund einer latenten Integrationsproblematik seinerseits und einer fortgesetzten, leider weit weniger latenten Borniertheit rheinländerInnenseits wenige Monate später wieder gekündigt, um dorthin zurückzukehren, wo man ihn verstand. Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss, hat der olle Preuße Herder gesagt.

[SCHLUSS]ER

(einigermaßen aufgebracht): „Das ist ja eine Geistes- und Gefühlszumutung, ihr heimatlosen Sprachverätzer! Ich werde euch …“ – Wir (zügig): „So haltet ein! Wir machen ooch keene Fisimatenten. Wir halten es lieber mit dem großen Goethe: Der Worte sind genug wechselt. Lalalalala – Bolle reiste jüngst zu Pfingsten …“ (Unter lautem Singen ab.) • seitwärts | 55


16.00 – 17.00

56 | seitwärts 18.00 – 19.00

Alle Angaben ohne Gewähr

Cohiba (Fr. - Sa.)

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S-Bar

Sausalitos

Samok (Di, Mi)

Café Viktor

Samok (Do - Sa)

Seven Five

Platsch

Murphy’s Law

Ratskeller

22.00 – 23.00

Ratskeller

Mr. Onions

20.00 – 21.00 Movie Bar

Sausalitos

Samok (Do - Sa)

Nudelbar

Purist

Platsch (Fr. + Sa.)

Mr. Onions

Joe Pena’s (hora azul)

Enchilada

24.00 – 01.00

Purist

Nudelbar

Joe Pena’s

Flaircity

19.00 – 20.00

Flannigan’s Post

Enchilada

Commerzienrat (Mo. - Fr.)

17.00 – 18.00 Cohiba (So. - Do.)

Caipi

Barium 56 (Mo. - Sa.)

Altstadtcafé

23.00 – 24.00

König v. Flandern

Täglich

Happy Hour Guide

01.00 – Ende

21.00 – 22.00


Samstag

Freitag

Donnerstag

Mittwoch

Dienstag

Montag

Joe Pena’s

Sausalitos

Henrys Coffee

Altstadtcafè

Peaches

Peaches

Weißes Lamm

Weißes Lamm

Weißes Lamm Circus

Rockfabrik

Mo Club

Mo Club

Mahagoni Bar

Barfly

Mo Club

Mahagoni Bar

Barfly

Yum Club

Mo Club

Mahagoni Bar

Mo Club

Mahagoni Bar

ediuG ruoH yppaH 01.00 – Ende

24.00 – 01.00

23.00 – 24.00

22.00 – 23.00

21.00 – 22.00

20.00 – 21.00

19.00 – 20.00

18.00 – 19.00

17.00 – 18.00

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So

klingt die presstige

Die Lieblingssongs der Redaktion Text: Rebecca Naunheimer – Illustration: Natalia Sander

D

as Lied der ersten großen Liebe. Das Lied der ersten großen Trennung. Das Lied der ersten wilden Party. Ob System of a Down oder Dido – wir verbinden Lebensgefühle häufig mit Musik. Und auch, wenn die Erinnerung an ein Gefühl längst verblasst ist, das Lied bleibt. Es entsteht unsere persönliche Playlist. Die Redaktion hat für euch ihr Innerstes nach außen gekehrt und die Playlist der presstige zusammengestellt.

Magdalena Klingler:

Olli Schulz – Rangel Song Der Rangel Song ist mein Lied für alle Lebenslagen. Ob als Hintergrundmusik für eine Kneipenschlägerei oder kurz vor dem Einschlafen. Seit Kurzem lautet mein Lebensmotto, ganz wie die sanfte Stimme des Olli Schulz verkündet: „Geh rangeln mit deinen Freunden.“ Und das mach ich dann auch.

Petra Maier:

Rebecca Naunheimer:

Paolo Nutini – New Shoes

Keaton Henson – Small Hands

Seit dem Southside Festival 2009 zählt New Shoes von Paolo Nutini zu einem meiner absoluten Lieblingslieder. Das liegt zum einen daran, dass an dem Song natürlich Erinnerungen an das Festival hängen. Zum anderen lief das Lied aber auch rauf und runter, als ich mit sieben Freunden in Neuseeland mit einem kleinen Bus das Land unsicher machte. Gute Laune ist aber auch bei anderen Liedern von Paolo Nutini garantiert. Reinhören lohnt sich also!

„I'll write my loneliness in poems / If I can just think how to start.” Das sind schwere Worte, die der englische Folk-Musiker Keaton Henson in seinem Lied Small Hands über die Lippen bringt. Doch gerade, wenn man sich nicht schlechter fühlen, wenn es schlimmer nicht laufen könnte, dann sind solche Worte genau das Richtige. Und auch das Video zum Titel besticht durch grausame Traurigkeit, die schöner nicht sein könnte.

Annika Wagner:

Natalia Sander:

Maximo Park – Books from Boxes

The Notwist – Gloomy planets

Books from Boxes ist zwar nicht mehr ganz aktuell, aber immer noch ein absoluter Dauerbrenner auf meiner Playlist. Bei mir sorgt er immer wieder für gute Laune, egal ob Sommer oder Winter, ob Regen oder Sonne. Wenn ich diesen Song höre, kann ich einfach nicht ruhig sitzen bleiben. Dann wird laut mitgesungen und getanzt. Aber Vorsicht: Dauerschleifengefahr!

Immer, wenn man vor lauter Kleinigkeiten des Alltags den Überblick verliert, schafft Gloomy Planets es, einen in die Luft zu heben. Stell dir eine lange Autofahrt vor. Du fährst einem unbekannten und geheimnisvollen Ziel entgegen, der Wind zerzaust deine Haare, die Luft riecht frisch, du atmest mit voller Lunge ein und fühlst dich total frei. Diesen Song mag man nie wieder ausschalten!

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CR

RL

R

P

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B

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Impressum ePaper N°5 – Juli 2013 – www.presstige.org

CR – Chefredaktion

Christian Endt | chefredaktion@presstige.org | Chefredaktion ∞, Sophia Lindsey | chefredaktion@presstige.org | Chefredaktion ∞

RL – Ressortleitung

Corinna Scherer | Ressortleitung Vorwärts, Layout, Fotografie ∞ Sandra Depner | Ressortleitung Heimwärts∞, Petra Maier | Ressortleitung Weltwärts, Fotografie ∞, Rebecca Naunheimer | Ressortleitung Seitwärts ∞

R – Redaktion

Daniel Guggeis | Redaktion ∞, Christine Kath | Redaktion ∞, Sophie Kellner | Redaktion ∞, Alexandra Kiefer | Redaktion, Layout ∞, Magdalena Klingler | Redaktion ∞, Moritz Köppendörfer | Redaktion ∞, Vera Kühnemann | Redaktion ∞, Andrea Sappler | Redaktion ∞, Zamira Tahiri | Redaktion ∞, Annika Wagner | Redaktion ∞, Johanna Zach | Redaktion ∞

P – Personal

Chantal Helwig | Personal, Redaktion ∞

G – Gestaltung

Natalia Sander | artdirection@presstige.org | Art Direction, Illustration, Fotografie, Redaktion ∞, Antonia Antonova | Layout, Illustration ∞, Sandra Deyerler | Layout, Illustration ∞, Simone Mayer | Layout ∞, Maximilian Ruppert | Fotografie ∞, Sven Walther | Layout, Illustration ∞

B – Begleitstudiumskoordination Chrissy Dorn | Begleitstudiumskoordination ∞

V – Verlag

Martina Egger | anzeigen@presstige.org | Verlagsleitung, Marketing- und Vertriebsleitung, Beisitzerin presstige e.V. ∞ Wir verwenden der Leserlichkeit halber durchweg die männlichen Bezeichnungen. Damit sind selbstverständlich alle Menschen jeglicher sexueller Identität gemeint.

H – Herausgeber

presstige – Verein zur Förderung des journalistischen Nachwuchses e.V. | c/o Medienlabor | Institut für Medien und Bildungstechnologie | Universität Augsburg | Universitätsstraße 2 | 86135 Augsburg | Tel.: 0821 1270800 | Fax: 01577 99 3324690 | Kto.-Nr.: 2 50 40 90 18 | BLZ: 720 500 00 | Stadtsparkasse Augsburg | Vereinsregisternummer VR200819 | Amtsgericht Augsburg | www.presstige.org Dr. Christopher G. Große | Vorstandsvorsitzender (V.i.S.d.P.) ∞ Dr. Michael Sentef | Stellvertretender Vorstandsvorsitzender ∞ Sebastian Baumeister | Schatzmeister, kommissarischer Geschäftsführer, Layout, Illustration ∞ Jörn Retterath | Schriftführer ∞ Wiebke Henke | Beisitzerin ∞ Birgit Zurmühlen | Beisitzerin ∞

Beirat

Prof. Dr. Thomas Schwartz (Vorsitzender), Thomas Benseler, Ernst Holme, Alois Knoller, Sebastian B. Priller, Bernd Pitz

Druck

presstige | verlag@presstige.org | Druck | Joh. Walch GmbH & Co. KG, Augsburg ∞ | Auflage & Erscheinen | 10.010 Exemplare | 2 x jährlich (im Jahr 2013) | Die nächste Ausgabe erscheint im Oktober 2013 presstige – Bayerns größtes studentisches Magazin (gegründet 2004) wird seit 2010 herausgegeben vom unabhängigen gemeinnützigen presstige – Verein zur Förderung des journalistischen Nachwuchses e.V. Jetzt unter www.presstige.org/mitglied im presstige-Förderverein Mitglied werden und ein einzigartiges ehrenamtliches Projekt unterstützen! Journalistische Unabhängigkeit fördern – Wissen und Medienvielfalt schaffen! Jeder Euro hilft uns bei der Herausgabe von presstige und bei der Ausbildung junger Journalistinnen und Journalisten! (Alle Spenden und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar.)

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