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MEHR ALS SCHALL UND RAUCH – TEIL 2 Eine praktische Anleitung für eine wirksame Markenführung

MEHR ALS SCHALL UND RAUCH – TEIL 2

Eine praktische Anleitung für eine wirksame Markenführung

Im ersten Artikel dieser Serie (PRESTIGE BUSINESS 02/2022) zum Umgang von Unternehmungen mit ihrer Marke haben wir die konzeptionellen Grundlagen der Markenführung thematisiert und Anweisungen zur Etablierung einer Markenidentität formuliert, die auch für KMU ohne übergrosses Werbebudget gelten. Ins Zentrum unserer Ausführungen legten wir das Ziel einer wirksamen Markenführung, nämlich ein relevantes Kundenversprechen konsistent im gesamten Kundenerlebnis umzusetzen und am Markt einzulösen. Während im ersten Artikel der Schwerpunkt auf dem Kundenversprechen lag, verschieben wir ihn in diesem Artikel auf das Kundenerlebnis.

Autoren: Tobias Ammann und Andrea L. Sablone

Weshalb ist Konsistenz so wichtig? Unter den «Perspektiven der Markenentwicklung» haben wir im ersten Teil neben der Relevanz auch die Glaubwürdigkeit eingeführt. Kann ein Versprechen nicht eingelöst werden, schadet dies der Glaubwürdigkeit. Gleich verhält es sich mit einem inkonsistenten Kundenerlebnis. Stellen sie sich vor, sie müssen bei der Premium-Airline Swiss die Inflight-Verpflegung zusätzlich bezahlen. Dies wäre ein klassischer Fall, bei dem eine Premium-Markenidentität inkonsistent umgesetzt wird. Die wertvollsten Marken der Welt wie Apple, Microsoft oder Coca-Cola beherrschen die konsistente Umsetzung des Markenversprechens über alle Bereiche ihrer Tätigkeit. Apple setzt seine Identität des «Disruptors mit intuitivem Design» von den Produkten bis zu den Apple Stores über das gesamte Kundenerlebnis um. Coca-Cola verkauft seit 1887 Happiness aus der Flasche mit praktisch identischem Rezept, in weltweit gleicher Qualität und in fast unveränderter Flasche. Und Microsoft ist seit jeher bestrebt, Personen und Unternehmen produktiv zu machen.

EINE ERWEITERTE SICHTWEISE DES KUNDENERLEBNISSES

Wir definieren das Kundenerlebnis als die Summe aller Eindrücke, welche der Kunde an der Gesamtheit der Berührungspunkte mit der Unternehmung sammelt. Dies geschieht lange bevor eine Person effektiv Kunde wird und lange nachdem sie es geworden ist. Will die Unternehmung den grösstmöglichen Einfluss auf das Kundenerlebnis erzielen, so empfiehlt sich die Erfassung aller Berührungspunkte mit der potenziellen und aktuellen Kundschaft. Unternehmungen sind meist erstaunt, wie viele davon existieren. Wenn man sich einen Dienstleister wie etwa ein Spital vorstellt, gibt es vom ersten Telefonat zur Terminfindung über die schriftliche Bestätigung, die Vorkontrolle, die Behandlung durch die Ärztin, einen allfälligen Spitalaufenthalt, die Entlassung bis hin zur Nachkontrolle Hunderte Berührungspunkte.

Die Verbindung zwischen Berührungspunkten und dem Verhältnis des Kunden mit der Unternehmung lässt sich gut mit dem Erlebnisrad mit den Phasen Bekanntheit, Erwägung, Konsum und Treue aufzeigen.

Die Berührungspunkte auf der rechten Radseite dienen vor allem der Kommunikation des Versprechens und der Kundengewinnung, diejenigen auf der linken Radseite vor allem dem Einlösen des Versprechens und der Kundenbindung. Das Streben nach Konsistenz ist kein Selbstzweck, sondern hilft dabei, den Markenwert nachhaltig zu steigern. Nehmen wir erneut das einleitende Beispiel der Swiss zur Hand: Muss man die Inflight-Verpflegung zusätzlich bezahlen, verwässert sich das Premium-Image der Marke. Kunden sind künftig weniger bereit, den Premiumpreis zu bezahlen, was zusätzlich zu einem Preis- und Margendruck führt.

Eine Erfassung aller Berührungspunkte bedeutet nicht, dass allen die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Man darf annehmen, dass auch in diesem Zusammenhang die 80/20-Regel zum Tragen kommt, sodass die grösste Wirkung mit einem Fokus auf wenige, besonders wichtige Punkte

Abb.2: Illustratives Kundenerlebnis. Es gibt Unternehmen mit Hunderten von Berührungspunkten.

erreicht werden kann. Zuerst sollen diejenigen Berührungspunkte angegangen werden, welche für die Kundschaft am wichtigsten sind.

Die Relevanz unterschiedlicher Berührungspunkte ist dabei nicht immer intuitiv. Während bei Coca-Cola sicherlich das Produkt im Fokus steht, ist es bei einem Dienstleister wie der Swiss eine grössere Herausforderung, den wichtigsten Berührungspunkt zu ermitteln. Ist es der Ticketkauf, das Check-in, die Flugbegleitung oder etwa das Essen während des Flugs? Es ist gut möglich, dass dabei die Kernleistung – der Transport von A nach B – von anderen Berührungspunkten überschattet wird. Zudem können häufig nicht alle Berührungspunkte direkt gesteuert werden. Coca-Cola ist zum Beispiel bei der Gestaltung des POS der Marktmacht des Handels ausgesetzt. Bei der Swiss ist ein Grossteil des Erlebnisses von Kooperationspartnern beeinflusst. In den allerwichtigsten Berührungspunkten sollte die Markenidentität möglichst gut erlebbar werden. Wie schon bei der Entwicklung der Markenidentität kann man sich auch hier der Marktforschung bedienen. Je nach Budget und Zeit kann man die relevantesten Berührungspunkte mit einfachen explorativen Workshops oder Kundeninterviews identifizieren oder aber zu komplexen statistischen Analysen greifen, welche den Einfluss der Berührungspunkte in einem Regressionsmodell auf eine abhängige Variable wie der Kundenzufriedenheit messen.

MARKENIDENTITÄT UND MARKENENTWICKLUNG

Nach dem erfolgreichen Aufbau der Marke und der Umsetzung an den priorisierten Berührungspunkten tritt die Markenpflege und die Weiterentwicklung der Marke in den Fokus. Die Markenidentität umfasst einen über die Zeit stabilen Kern sowie Anteile, die mit der Zeit eine Wandlung erleben (müssen), um die Relevanz des Angebots aufrechtzuerhalten. Der Spagat zwischen «stabilem Kern» und dem «Relevantbleiben bei Kunden» ist sicherlich die grösste Herausforderung für Geschäftsleitende. Diesen Trade-off kann man im Food-Bereich besonders gut erkennen. Aufgrund der Megatrends Gesundheit und Nachhaltigkeit (Zukunftsinstitut, 2022) haben viele Angebote an Relevanz eingebüsst. Dafür haben alternative Anbieter eine Berechtigung erhalten beziehungsweise an Relevanz gewonnen. Dies zeigt etwa der Erfolg des VeggieRestaurants Hiltl in Zürich und die zunehmende Verbreitung von Fleischersatznahrungsmitteln einerseits und der wachsende Druck auf Fastfoodketten wie Burger King oder Subway andererseits. Um relevant zu bleiben, sind Letztere gezwungen, ihr Angebot und das Kundenerlebnis grundsätzlich zu überdenken.

KUNDENERLEBNIS UND MARKENENTWICKLUNG IN DER PRAXIS

Ein Unternehmen, welches die Wichtigkeit der konsistenten Umsetzung und steten Weiterentwicklung seiner Markenidentität erkannt hat, ist die urschweizerische Rivella AG. So spiegelt das gesamte Kundenerlebnis den Kern der Marke wider (vgl. Teil 1 und Abb. 3); die Markenelemente «einzigartiger Geschmack», «Durstlöscher für Aktive» und «Schweizer Lebensgefühl» sind an allen Berührungspunkten konsequent erlebbar.

Die Konsistenz der Umsetzung lässt sich an verschiedenen, recht unterschiedlichen Berührungspunkten von Rivella erkennen. Nur um einige davon zu nennen: w Sponsoring – Fokus auf Aktivitäten im Breitensport w Werbung – Fokus auf Erfrischung und Geschmack w Website – Fokus auf einzigartigen Geschmack und

Engagement für eine aktive Schweiz

Herausforderungen gab und gibt es aber auch für Rivella. Die grössten darunter kommen einerseits vom Megatrend Gesundheit, andererseits aus der Bestrebung zu nachhaltigem Wachstum. Um diese zu meistern, hat Rivella verschiedene Stossrichtungen

www.rivella.ch ©

Abb.3: Übersicht Kundenversprechen und Umsetzung Rivella

eingeschlagen. Mit dem Ziel, die Relevanz ihrer Produkte und gleichzeitig die Treue zum Markenkern aufrechtzuerhalten, wurde die Originalmarke revitalisiert. Diese «Markenauffrischung» wurde durch Sortimentserweiterungen mit neuen Geschmacksrichtungen sowie mit saisonalen Produktvariationen angestrebt. Einige Innovationen wie Rivella Gelb wurden zwar vom Markt genommen, doch auch diese gaben der Marke neue Impulse. Mit Rivella Refresh (weniger Zucker) und Rivella Grün (Gesundheit) gelang es ihr, die genannten Megatrends erfolgreich zu adressieren.

Da der unternehmerische Handlungsspielraum durch die Markenkompetenz von Rivella eingeschränkt ist, hat die Rivella AG Wachstum schon früh auch ausserhalb der Hauptmarke angestrebt. Beispielsweise wurden die Fruchtsaftlinie Michel und der Softdrink Passaia stets als eigenständige Marken geführt. Die Exotik der Passionsfrucht wäre wohl mit der Swissness kollidiert und schwierig mit der Milchserum-Story vereinbar gewesen. Die jüngste Sortimentserweiterung Focuswater kam ebenfalls dem Megatrend der Zuckerreduktion und Gesundheit nach. Mit dem Slogan «Goodbye calories, hello vitamins» wurde sie ebenfalls ohne explizite Verbindung zu Rivella auf den Markt gebracht. Wir gehen davon aus, dass man damit eine Belastung des neuen Produkts mit der Zucker-Assoziation von Softdrinks vermeiden wollte.

SCHLUSSBEMERKUNGEN

Einleitend zu dieser Artikelserie stellten wir die Frage, ob sich Investitionen in den langfristigen Markenaufbau auch für KMU mit geringem Werbebudget lohnen. Die Antwort lautet eindeutig: Ja!

Jede Unternehmung kann eine spürbare und nachhaltige Wirkung auf das Kundenerlebnis erzeugen, wenn sie eine relevante Markenidentität definiert und diese konsequent an den wesentlichen Berührungspunkten zur Kundschaft umsetzt. w Je relevanter das Angebot und je überzeugender das Kundenversprechen ist, desto wahrscheinlicher werden die Kunden erwägen, das Produkt zu kaufen und weiterzuempfehlen. w Je konsistenter das relevante Kundenerlebnis umgesetzt ist, desto eher wird ein Kunde den Wiederkauf in Betracht ziehen und wird zu einem loyalen Kunden. Höchste Markenrelevanz bedeutet, dass Kunden nicht ohne die Marke leben wollen. w Die konsistente Umsetzung erhöht zudem die Wiedererkennung der Marke, der Produkte und Leistungen und steigert damit die Bekanntheit.

Ein relevantes Versprechen, konsistent eingelöst, führt langfristig zu Wachstum auf Top- und Bottom-Line der Erfolgsrechnung und schlägt sich damit positiv im Unternehmenserfolg nieder, auch ohne grosses Werbebudget. Umgekehrt wird ein unrelevantes Versprechen, das mit grossem Werbebudget perfekt umgesetzt wird, langfristig Markenwert zerstören und sich in tieferer Kundenloyalität und abnehmendem Unternehmenserfolg spiegeln.

ANMERKUNG

Quellen w Website von Rivella: rivella.ch w Zukunftsinstitut (2022): www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends

Tobias Ammann, M.A. HSG, ist ein Serial Entrepreneur sowie Gründer und Geschäftsleiter der Brandoos AG, einer Unternehmensberatung mit Fokus auf Strategieentwicklung und Positionierung.

Andrea L. Sablone, Dr. oec. HSG, ist Professor für Strategie und Innovationsmanagement in KMU an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) und leitet das Forschungsfeld «Innovation&Strategy» am Institut für Management&Innovation (IMI) der FFHS.

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