AD Editorial
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ie Art, wie wir arbeiten, hat in diesem Jahr gravierende Wendun gen genommen. Vor Corona hätte kein Unternehmen der Welt sich auf das Experiment eingelassen, alle Mitarbeiter für ein paar Mo nate von zu Hause aus arbeiten zu lassen. Die bekannten Umstän de haben dafür gesorgt und für viele Manager wohl überraschend gezeigt, wie zumindest technisch reibungslos in vielen Bereichen über Nacht auf das Homeoffice umgeschaltet werden konnte. Ein völlig neues Flexibilitätserlebnis, hinter das kaum noch ei ner in Zukunft zurückfallen wollen wird. Zugleich werfen die nun heiß diskutierten Modelle einer remote first gedachten Arbeitswelt enorm viele Fragen auf. Rückenschmerzen am Küchentisch, Kin der und geschlossene Schulen, Einsamkeit und das Bedürfnis nach physischer Begegnung, Führungskultur, Identifikation. Wir sind als Gesellschaft erst am Anfang dieser Diskurse, wie eine befrie digende Balance aussehen könnte zwischen dem Bedürfnis nach sozialer Interaktion und dem Wunsch nach maximaler Flexibilität, die die eigene Arbeit nicht mehr nach den im Büro verbrachten
Stunden bemisst. Das „New Work“Special, das Sie in dieser Aus gabe finden, ist nur der Auftakt – wir werden uns als Experten für Gestaltung erfüllender Lebensräume ab sofort auch sehr intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie eine Kultur aussehen und sich anfühlen könnte, die die quälende Dichotomie von work and life miteinander versöhnt und weniger von dem Drang beherrscht ist, das letzte bisschen Privatheit der Gefräßigkeit der digitalen Allverfügbarkeit zu opfern (S. 60). Ein Blick ins Wörterbuch könnte ein erster leiser Hinweis sein, wo die Reise hingeht: Das „Büro“, verdeutscht aus dem französi schen „bureau“, geht etymologisch zurück auf „bure“, einen gro ben Wollstoff, mit dem einst Schreibtische bezogen waren. Egal also, ob wir im althergebrachten Büro sitzen oder im Homeoffice (das wir vielleicht bald nicht mehr so nennen werden) – ich glau be, dass jeder dieser Räume uns inspirieren muss, dass an die Stel le purer Funktionalität Schönheit und haptische Erlebnisse tre ten werden. Machen wir unsere Arbeitsorte zu Wunderkammern im Sinne der Renaissance, in denen wir aufblühen können. Es müssen ja nicht gleich wie oben die handbemalten Seidentape ten Cristina Celestinos für Misha Milano sein. Mit Stoff bezogene Tische wären nicht der schlechteste Beginn. ‹
O liver Jahn
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Foto: Misha Wallcoverings; Porträt: René Fietzek
„Wir müssen unsere Arbeitsplätze in Zukunft kulturell ganz neu aufladen und sie zu Orten machen, an denen Kreativität blüht.“