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Ukraine-Krieg: Die Doppelmoral des Westens
DER UKRAINE-KRIEG UND WAS DAS MIT UNS ZU TUN HAT Die Doppelmoral des Westens
Aber bitte noch schnell ein Geschäft mit Wladimir. Von der Doppelbödigkeit und Blauäugigkeit des Westens.
Bereits 2008 schrieb Thomas Friedmann in seinem Manifest Was zu tun ist. Eine Agenda für das 21. Jahrhundert: „In ölreichen Petrostaaten tendieren Ölpreis und Entwicklung der Freiheit dazu, sich in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen. Das heißt, je höher die durchschnittlichen Rohölpreise steigen, desto stärker erodieren Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, freie und faire Wahlen, Versammlungsfreiheit, die Transparenz staatlichen Handelns, die richterliche Unabhängigkeit, Rechtsstaatlichkeit sowie das Recht auf Bildung unabhängiger politischer Parteien und
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nichtstaatlicher Vereinigungen. All diese negativen Trends werden verstärkt durch die Tatsache, dass die Führung solcher Petrostaaten sich mit steigendem Ölpreis immer weniger darum kümmert, was die Welt über sie denkt oder sagt. Sie verfügen über größere Geldmittel, um die Sicherheitskräfte im Inland zu verstärken, Gegner zu bestechen, Wählerstimmen oder öffentliche Zustimmung zu kaufen und internationale Normen zu missachten.“ (…) Und an anderer Stelle: „Unsere Abhängigkeit vom Öl beschleunigt die globale Erwärmung, stärkt Petrodiktatoren, verschmutzt saubere Luft, macht arme Menschen noch ärmer, schwächt demokratische Staaten und bereichert radikale Terroristen.“ (…) Es mutet an, als wären diese Zeilen hellseherisch als Warnung vor Putin geschrieben worden. Und der Westen hat sie geflissentlich überhört, hat leider geschlafen oder noch schnell ein Geschäft gemacht mit dem Diktator. Anstatt die eigene Unabhängigkeit zu sichern, haben wir in zahlreichen Sektoren die Hardware und gleich auch die Software und sämtliches Know how an die Despoten verkauft, ganze Produktionsketten ausgelagert und verschachert und uns so freiwillig und bei vollem Bewusstsein in die Abhängigkeit begeben, weil uns die kapitalistische Gewinnmaximierungsdoktrin blind gemacht hat für das menschliche Maß und die eigene Unabhängigkeit. Es ist eben viel lohnender, den Kopf in den Sand zu stecken und von der Hand in den Mund zu leben, als mittel- bis längerfristige gesellschaftspolitische Konzepte und Strategien zu entwickeln. Der westliche Politiker denkt zunehmend in den Kategorien der Amtsperioden und setzt natürlich alles daran, möglichst viele seiner Wähler zufrieden zu stellen, um wiedergewählt zu werden. Das geht nur, wenn die großen überregionalen und internationalen Pro© -/Ukrinform/dpa bleme ausgeklammert und auf das politische Tagesgeschäft reduziert werden. Längerfristig ist das im Lichte der heutigen geopolitischen Entwicklung leider verhängnisvolle Blindheit. In regelmäßigen Abständen wurden wir von führenden Wissenschaftlern, Philosophen und Denkern schon seit den frühen siebziger Jahren vor diesem Kniefall in die Abhängigkeit gewarnt. Der Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ von Dennis Meadows (erschienen 1972) und „Tödlicher Fortschritt“ von Eugen Drewermann (erschienen 1981) hätten uns die Augen öffnen können. Die Wahrheit hat uns leider geblendet und zum Wegschauen veranlasst. Und nun stehen wir vor einem Scherbenhaufen, der uns überfordert und die kommenden Generationen vor fast unüberwindbare Herausforderungen stellt.
Josef Duregger
Und so fragen wir uns nun allen Ernstes mit Friedman: Was ist zu tun?
1. Der Rückzug in einen hoffnungslosen Fatalismus und eine beklemmende Lähmung wäre auf alle Fälle die falsche Haltung und käme einer Flucht bzw. einem
Versagen gleich. Die einzige brauchbare Alternative besteht darin, nach vorne zu schauen, aus den Fehlern der Vergangenheit endlich zu lernen, den Problemen, so wie sie sich präsentieren, nicht aus dem Wege zu gehen und konkrete Lösungen anzupacken. Und, was zentral ist, den Wachstumsgedanken ein für alle Mal zu begraben und im Gegenzug danach zu trachten, den derzeitigen Wohlstand zu halten und dauerhaft zu sichern. Das ist
Aufgabe genug für dieses Jahrhundert! 2. Statt neue Märkte für Öl und Gas zu erschließen, wäre es vielleicht an der Zeit, dass wir alle bei uns selbst mit dem Rückbau und der Transformation beginnen, z.B. die Heizung in den Wohnungen auf ein verträgliches Maß drosseln, die individuelle Mobilität eindämmen, die regionalen Nahversorgungskreisläufe fördern und so die Unabhängigkeit Schritt für Schritt zurückfahren. Wieder Bescheidenheit lernen und sparsamer leben. Und das wäre noch kein allzu schmerzlicher Verzicht, wie mir scheint. 3.Vielleicht zwingt uns der Krieg in der Ukraine nun effektiv dazu, über eine Neuorientierung und einen Paradigmenwechsel nicht nur nachzudenken, sondern konkret die Weichen zu stellen für einen radikalen Lebenswandel, der den begrenzten Ressourcen der Welt Rechnung trägt. Der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Ziel der Selbstversorgung ist auf alle Fälle ein Gebot der
Stunde! Während in der Ukraine unschuldige Zivilisten, Alte, Kranke, Kinder, freie Bürger*innen wie du und ich, abgeschlachtet werden, sollten wir uns einig sein, auf ein letztes Geschäft mit dem Diktator zu verzichten und unser Augenmerk auf die zahllosen Flüchtlinge und Kriegsopfer richten. Sie verdienen unsere Solidarität und Hilfe, denn sie leiden auch für unsere Freiheit und Demokratie!