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Josef Oberhollenzer: Von Geschichten in der bewegten Geschichte unseres Landes
Vor kurzem hat Josef Oberhollenzer im Brunecker Jugend- und Kulturzentrum UFO seinen neuen Roman vorgestellt, Zuber oder Was werden wir uns zu erzählen haben, erschienen im Folio-Verlag und nach Sülzrather der zweite Roman einer Trilogie. Mit seiner unverkennbaren Art seinen unverkennbaren Schreibstil vorzutragen hat der Pustertaler Autor wie gewohnt begeistert, und entsprechend groß war der Zuspruch des Publikums an dem vom UFO gemeinsam mit dem Buchladen am Rienztor organisiertem Abend.
In seinem neuen Roman geht Josef Ober- die Umstände der Existenz dieses schrift- nieri verantwortlich sein. Die Folterberichte hollenzer über das fiktive Südtiroler Dorf stellernden Zimmermanns und der Südtiro- sind ein weiteres Tabu in dieser dörflichen Aibeln und dessen großen Schriftsteller ler Dorfgemeinschaft über fast ein gesamtes Gemeinschaft, in der das Verschweigen oder Vitus Sültzrather zurück in die Zeit zwischen Jahrhundert hinweg. Dabei verknüpft er das Verstummen oft beredter ist als das Erzähden Kriegen, zurück in die Kindheit Sültzrat- Schicksal der Familie Sültzrather mit dem len. Im Zentrum von Zuber stehen polizeihers und die Zeit vor seiner Geburt. Vitus ist Weltgeschehen. „Zuber“ – das ist der ältere liche Willkürmaßnahmen aus der Zeit des der Protagonist des Romans. Es ist derselbe Bruder des Protagonisten, der im Frühjahr Faschismus, die wie eine Naturkatastrophe Zimmermann, von dem der vor zwei Jahren 1929 tot geboren wurde. Der Fötus wurde über den kleinen Südtiroler Ort Aibeln hererschienene Roman „Sültzrather“ seinen Ti- unter ungeklärten Umständen „entsorgt“, einbrechen. Die Ereignisse wirken traumatel hatte. Vitus Sültzrather stürzte von einem weil er nach religiöser Vorschrift nicht in ge- tisch nach. Man redet nicht über die eigene Baugerüst, ist seitdem querschnittsgelähmt weihter Erde bestattet werden durfte. Dieser Scham, die Ohnmacht, die hilflosen Versuund muss im Rollstuhl sitzen. Er fängt an, Vorfall wird als Familiengeheimnis behan- che, sich zu wehren. Es bleibt ein Stachel im literarische Texte zu schreiben. Doch kaum delt. Ebenfalls im April 1929 werden in einer Gedächtnis des Dorfes. Das Buch handelt ist er damit fertig, vernichtet er alles wieder. Nacht zahlreiche Männer des Dorfs verhaf- aber auch davon, wie das Schweigen gebroIn „Zuber oder Was werden wir uns zu er- tet und gequält; einige von ihnen sollen für chen werden kann – durch Freundschaft. zählen haben“ erkundet Oberhollenzer nun die Ermordung dreier italienischer Carabi- >>
Josef Oberhollenzer bei seiner Lesung im UFO in Bruneck.
PZ-Redakteurin Judith Steinmair hat Josef Oberhollenzer zu einem kurzen Interview gebeten:
PZ: Der Roman ist in einer für unser Land sehr prägenden Zeit, jener des Faschismus angelegt – eine Zeit, die dich immer schon interessiert hat oder warum arbeitest du gerade diese in deinem Roman auf?
Josef Oberhollenzer: Mich interessieren alle Geschichten in der Geschichte meines Landes – und überhaupt alles, was den Menschen in ihrer Geschichte zugestoßen ist. Dass ich über die Zeit des Faschismus und in der Folge über die Zeit der Anschläge und Folterungen in den Sechzigerjahren geschrieben habe, ergibt sich aus der Lebenszeit Vitus Sültzrathers (1931 – 2001) und, denk ich, auch durch die in diese Zeit geschüttete Gewalt. Denn über nichts hab ich vielleicht mehr geschrieben als über Gewalterfahrungen.
Die Personen sind Fiktion, aber die vielen Ereignisse in dieser
Zeit basieren auf einem Fünkchen Wahrheit?
Die geschichtlichen Ereignisse sind alle wahr, sind alle gewesen – bloß teilweise an einem anderen Ort (die beiden Carabinieri und der Lehrer wurden 1929 nicht in Aibeln, sondern in Steinhaus erschossen) oder/und in einer anderen Zeit (z. B. nicht in den Zwanziger-, sondern in den Sechzigerjahren).
Zuber ist der zweite Band einer Trilogie – war das von Anfang an so geplant oder hat sich das beim Schreiben so entwickelt?
Nein. Aber Vitus Sültzrather, einmal in der Welt, wollte das so; und auch andere Romanmenschen wollten dann mehr erzählen, z. B. der Prantner Kaspar, der Knecht auf dem Kalberhof. Und so wird der dritte Band wohl Prantner heißen.
Und der Ideenstrang reißt nicht ab, habe ich gehört, sogar ein vierter Band ist schon angedacht?
Ja, vielleicht. Der Erzähler der Trilogie hat bisher nur von andern und über andere erzählen dürfen; und nun möchte er endlich, so höre ich, auch von sich selbst erzählen. Und vielleicht tue ich ihm den Gefallen, ja.
Nach wie vor bist du hauptberuflich Lehrer, und deine
Romane sind ja sehr aufwändig, nicht zuletzt auch aufgrund der ganzen Fußnoten, wann findest du die Zeit und Muße zum Schreiben?
Ein Tag ist lang und hat eine Menge Zeit; viel mehr, als einer denkt. Aber man merkt es erst, wenn man diese Zeit auch nützt. Und dann sind da ja noch die Ferien; und wenn ich da jeden Tag schreibe, wirklich jeden Tag wie die letzten Sommer… Und dann schreibt es ja noch dauernd in meinem Kopf: immerzu, immerzu – oder „immer-, immer- / zuzu“, wie Paul Celan einmal schreibt. // Interview: Judith Steinmair
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