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Ein Blick zurück: Die Quart-Wette hätte ich glatt verloren

PETER MEIER

Hätte mir 1970 jemand gesagt, Quart werde 50 Jahre alt, ich hätte die Wette glatt verloren. Aber blicken wir zurück: 1920: Hirzbrunnengut, einige einsame Bauernhöfe. 1925: In schneller Abfolge entstehen die ersten Häuser, vor allem im heutigen alten Quartierteil und im Surinam. 1928: Das Claraspital wird eröffnet, immer mehr neue Häuser werden gebaut. 1930–1950: Innert zwanzig Jahren hat die Wohnbevölkerung von wenigen Einwohnern auf beinahe neuntausend Personen zugenommen (fast auf die heutige Zahl, heute unter Beanspruchung von mehr Wohnraum).

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Überall blüht das Vereinswesen (was auch sonst, es gab ja kaum Unterhaltung und auch noch kein Fernsehen). Die Leute aus dem Hirzbrunnen mussten dazu meist in die Stadt (auch die Kinder). Im Hirzbrunnen gab es nur das Schulhaus, wenige Räume in St. Markus, die Bibliothek und ab 1969 den Robi Allmend.

Was es allerdings schon lange gab: den alten Rankhof. Dort fanden jahrelang sogar Länderspiele statt, zum Beispiel Schweiz gegen Deutschland, Holland oder Ungarn!

Quartierzeitungen

Quartierzeitung I: 1934 erschien kurzfristig ein vervielfältigtes Blättli mit wenigen Ausgaben zum Lobe von Moskau, der Revolution und des Kommunismus. Quartierzeitung II: Von 1952 bis 1954 gab es die «Quartierbrille». Nachdem die Bäumlihofstrasse, die ursprünglich an der Allmendstrasse endete, bis nach Riehen verlängert worden war, entstanden zusätzliche Geschäfte. Sie brauchten ein Publikationsorgan, angereichert mit Geschichten aus dem Quartier, geschrieben vor allem von «Pfätz», Willi Klemm, der vorher schon eine wissenschaftlich umstrittene Geschichte des Quartiers geschrieben (und für St. Michael ein Vereinsprovisorium gebaut) hatte. Nach drei Jahren wurde die Sache zu teuer. Quartierzeitung III: Das Quart, seit 1970, über das wir heute schreiben.

Blättern wir weiter zurück

1950: Der Druck nach Wohnungen wird immer grösser. Die Michaelskirche wird gebaut, wenig später ein provisorisches Vereinshaus (in Fronarbeit, für zwanzigtausend Franken). Auch St. Markus baut aus. Erstmals gibt es im Quartier ein grösseres Vereinsleben. 1965: Die Bevölkerung stimmt der Gesamtüberbauung des Bäumlihofareals zu (ja, zu! Man vergisst schnell). Gedacht ist an ein Quartier mit fünfzehntausend Personen, ETH-Expertise! (Basel soll dann dreihunderttausend Einwohner haben.) Auch der Bund verlangt Schaffung von zusätzlichen Siedlungsgebieten. St. Markus erhält an der Ecke Bäumlihofstrasse/Allmendstrasse ein Stück Land geschenkt für ein grosszügiges Quartierzentrum mit Vereinsräumen, Läden, Altersheim usw. Geplant wird weiter eine «Filiale» der Musik-Akademie Basel.

Schon bald beginnt aber ein Umdenken. Immer mehr Leute wollen einen «grünen Bäumlihof». Man erfährt, dass unter dem Bäumlihofareal eine Wasserscheide ist und die Überbauung unser Trinkwasser gefährden könnte. Ein Quartierzentrum wird immer unsicherer.

Visiualisierung von 1972 der geplanten Bäumlihofüberbauung. 1980 endgültig bachab geschickt (Büro Vischer).

1970: St. Michael will ein relativ kleines Vereinshaus bauen, zuerst noch ohne Saal. Angesichts der Entwicklung wird es erweitert, vor allem um einen Saal, jedoch fehlt es an Geld. (Die katholische Kirche ist damals rechtlich ein Verein, alle Mittel gibt es nur aus freiwilligen Spenden.) Darum gibt es zuerst keinen Lift und anderes (aus heutiger Sicht: leider). Aus dem «Pfarreiheim» wird nach langen Diskussionen ein «Offenes Haus», das Allmendhaus, bezahlt von relativ wenigen, offen für alle. Das Haus braucht ein Konzept. Im Konzept, das ich im Auftrag einer Dreierarbeitsgruppe schrieb, steht: «Wir brauchen auch eine Quartierzeitung. Was nützen Ideen und Räume, wenn niemand weiss, was läuft?» Dieses Konzept war die Geburtsstunde des Quart!

Nochmals kurz zum Bäumlihofareal: 1972 geht der Regierungsrat über die Bücher und will die Nutzung um zwanzig Prozent beschränken. Ein Quartierzentrum wie geplant macht nun kaum mehr Sinn. 1975 wird die Initiative für einen grünen Bäumlihof eingereicht, Regierung und Grosser Rat prüfen. 1980: Zweite Volksabstimmung, der Bäumlihof bleibt grün. Den Kanton kostet das rund achtzig Millionen Franken, wie wir heute wissen eine gute Investition.

Quart nimmt Einfluss

Quart war immer neutral, aber die Kirchen als Geldgeber verlangten, dass sie als Herausgeber genannt würden – nicht zu unserer Freude, und schon ab der dritten Ausgabe nicht mehr. Quart war auch parteilos, aber trotzdem politisch. Im Quartier gab es rund zehn Grossrätinnen und Grossräte, die regelmässig über ihre Arbeit berichteten. Quart organisierte selbst viele Informationsund Diskussionsabende, oft mit über zweihundert Besucherinnen und Besuchern. Praktisch jeder Regierungsrat erschien auf der Bühne des Allmendhauses, aber auch Künstler und Professoren, Leute wie der Theaterdirektor oder der unvergessliche Affenspezialist Dr. h. c. Carl Stemmler.

Beispiele aus den ersten zehn Jahren:

Wir setzen uns für die Hirzbrunnenpromenade ein. Wir erkämpfen eine Trambarriere zwischen Hirzbrunnen und Eglisee (vorher war der Übergang zwischen Hirzbrunnen und Eglisee unmöglich). 1973: Das Claraspital öffnet sein Hallenbad samt Cafeteria für alle. – Das Gymnasium Bäumlihof Blick vom Wenkenhof Richtung Basel, kein Hirzbrunnen in Sicht (Stich von Emanuel Büchel 1752).

wird eröffnet. (Das Hirzbrunnenschulhaus gibt es schon seit 1957.) 1974: Der Regierungsrat plant eine Tramlinie durch die Bäumlihofstrasse. Die Linie 6 würde nur noch bis zum Eglisee fahren. Widerstand von allen Seiten.

Quart organisiert in jedem Jahr zusammen mit den Primarschulen ein grosses Weihnachtssingen im Allmendhaus. 1975: Quart organisiert den Widerstand gegen zwei Selbstbedienungspoststellen. 1976: Quart organisiert den einzigen Diskussionsabend vor den Regierungsratswahlen, an dem alle Kandidaten dabei sind (überfülltes Allmendhaus, rund fünfhundert Besucherinnen und Besucher). – Arthur Schmid lanciert ein Hirzbrunnenlied (ohne Langzeitwirkung). 1978: Petition mit über fünftausend Unterschriften für ein geheiztes Eglisee. – Quart wünscht zusammen mit allen (!) Grossrätinnen und Grossräten aus dem Quartier Tempo 30 statt ursprünglich Tempo 60 für die Nebenstrassen. 1979: Das Eglisee soll geschlossen werden, zumindest die Kunsti. Quart organisiert zusammen mit anderen erfolgreich den Widerstand.

Zum Schluss

Auf die Idee, das Eglisee zu schliessen, kommt heute niemand mehr. Auch will niemand mehr das Bäumlihofareal überbauen, und eine Tramlinie durch die Bäumlihofstrasse ist auch nicht mehr geplant. Das Quart braucht es trotzdem weiter – schön wären nochmals 50 Jahre! Q

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