Rennsteig Radweg – by Stefan Jacobs

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Rennsteig

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Deutschlands berühmtester Wanderweg beginnt im Hinterhof einer Pension, direkt an der Werra. Umgeben von hohen Bergen und überbaut von einer himmelhohen Autobahnbrücke fließt die an der Grenze von Thüringen nach Hessen im Dörfchen Hörschel entlang. Wer den Rennsteig erwandert, der

nimmt nach einem alten Brauch am westlichen Beginn einen Kiesel aus der Werra mit, um ihn nach vollbrachter Tour im Osten ins kleine Flüsschen Selbitz zu werfen. Weil offenbar die Zahl der Wanderer die der Werrakiesel übertrifft, steht ein Korb voller Steinchen zum Mitnehmen am Ufer. Der Rennsteig muss also

wirklich ein Renner sein. Für Wandersleute ist er längst ein Klassiker – aber für Radler ein Exot. Höchste Zeit also, ihn auf zwei Rädern zu erkunden. Der Kiesel liegt warm in der Trikottasche, das große „R“ auf Schildern und an Bäumen weist uns den Weg, der zunächst asphaltiert durch Rapsfelder führt. RADtouren 6 | 11

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R R •• • Rennsteig als Waldpfad. Typisch thüringisch: Fachwerk in Eisenach und

Am Vortag haben wir uns im benachbarten Eisenach umgeschaut. Erst im Automobilmuseum, das beim Bahnhof gleich um die Ecke ist und zeigt, dass die DDR zumindest in ihren frühen Jahren durchaus schicke Autos bauen konnte: Ein Wartburg-Kombi mit Campingdach, ein Cabriolet mit elegantem Hüftschwung. Als wir vom „Wartburg-Museum“ sprachen, hat uns der Mann an der Kasse ermahnt, doch bitteschön nicht die großartigen BMWs zu vergessen, die kurz nach dem Krieg hier vom Band liefen. Und den Opel, der zeigt, dass in der Eisenacher Industrie auch mit der Wende nicht die Lichter ausgegangen sind. Vom Museum inmitten der Werksruinen waren es nur fünf leichte Radelminuten ins Eisenacher Zentrum zu den Wohnhäusern von Martin Luther und Johann Sebastian Bach. Beide Fachwerkbauten sind als Museen gut erhalten, aber unter der Last ihrer rund 500 Daseinsjahre im Inneren derart gebeugt, als wäre der rechte Winkel erst später erfunden worden. Auch merkte man, dass die Menschen früher kleiner waren – und ließ den Helm am besten auf. Dann ging es an die erste Herausforderung, hinauf zur Wartburg. Ein erstaunliches EnsemRADtouren 6 | 11

ble aus romanischer Kirche, mittelalterlicher Wehrburg und Fachwerk. Luthers Arbeitsplatz, Weltkulturerbe. Pflichtprogramm. Eine steile Straße schlängelte sich direkt aus der Stadt den Berg hinauf, auf dem die berühmte kantige Silhouette thront. Die Tour hinauf war die angemessene Einstimmung auf unsere nächsten Tage: Wir wollen herausfinden, was Deutschlands traditionsreichsten Wanderweg ausmacht. In der DDR war der Rennsteig für passionierte Wanderer buchstäblich das höchste der Gefühle. Seine Anfänge reichen ins 14. Jahrhundert; alte Schriften und Steine erzählen von Handelsreisen, Kleinstaatsgrenzen und der besonderen Art der Fortbewegung über dem bewaldeten Kamm: Sehen, ohne gesehen zu werden. „Rennsteig“ - der Name klingt nach besonderem Tempo, aber ist von „Rain“, also Grenze, abgeleitet. Etwa ab 1830 kamen die Freizeitwanderer. 70 Jahre später, im Juni 2000, kam der Radweg hinzu. Meist läuft er parallel, aber weil er auch ein paar Bonus-Bögen macht, ist er nicht nur 169, sondern 195 Kilometer lang. Das für die Wanderroute schon seit mehr als 100 Jahren etablierte große R wurde um ein

Fahrradsymbol ergänzt. Gute Voraussetzungen also, um im weitläufigen Thüringer Wald nicht verloren zu gehen.

Rumpeliger Fahrweg Das R schickt uns nach rechts auf einen rumpeligen Fahrweg. Rein in den Schatten hoher Buchen. Rabiat aufwärts. Runterschalten! „Flüchtiger Hirsch“ heißt der erste Rastplatz, „Wilde Sau“ das nächste Etappenziel. Zwischendurch das „Grenztor“, das von 1972 bis 1989 den Beginn des Sperrgebietes markierte: So dicht an der Grenze zu Hessen durften die Arbeiter und Bauern nur mit Passierschein wandern. Inzwischen sind viele von ihnen Rentner und in kleinen fröhlichen Gruppen unterwegs. Wir sehen sie meist nur von weitem, weil unsere Radroute auf einem parallelen Forstweg verläuft. Der ist inzwischen auf gut 700 Meter Höhe angestiegen und hat mehrere Blicke auf die Wartburg und die Weite der Wälder freigegeben. Zwischendurch gelangen wir über eine Wiese voller Löwenzahn in den Weiler Clausberg, der mit seinen Pferdekoppeln und der exponierten Lage des Gestüts auf dem Bergkamm aussieht wie ein Foto aus der Apothekenzeitung.


Rennsteig

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Dank mehrerer querender Passstraßen ist zumindest im westlichen Teil des Rennsteigs für stetigen Nachschub an Original Thüringer Rostbratwurst und kalten Getränken gesorgt. Die schwitzen wir raus, als wir uns auf den Großen Inselsberg kämpfen – mit 916 Metern der höchste der Gegend. Die Zufahrt ist derart steil, dass wir jeden einzelnen der Kleinpflastersteine spüren, die über die Jahre verrutscht sind und nun mit den Kanten nach oben zeigen. Der Lohn der Mühe ist ein weiter Blick auf grünen Wald unter blauem Himmel. Dann rauschen wir talwärts – zehnmal so schnell wie auf dem Hinweg. Bei diesem Tempo holpert nichts mehr; es ist eher wie Tiefflug.

Das Dickicht wird dunkler Östlich des Inselsberges sind weniger Menschen unterwegs. Stundenlang sind wir mit dem Rauschen des Waldes und den R's an den Bäumen allein. Der Schotter unter unseren Reifen wird grober, das Dickicht dunkler. Auf die langen, kraftraubenden Anstiege des Vormittags folgen nun ein paar kurze, die derart steil sind, dass man doch glatt etwas Ballast abwerfen und den Werra-Kiesel … – nein, Glücksbringer wirft

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man nicht weg. Am Abend sinken wir mit bleischweren Beinen in die Betten. Mit frischen Kräften kurbeln wir uns am nächsten Tag nach Oberhof, das seinen Ruhm als Ort des Wintersports mit Skihallen im Stil von Warenlagern erkauft. Im Rennsteiggarten können wir die typische Fauna des Höhenzuges bestaunen und in Anbetracht der noch fast kahlen Beete unsere Vermutung bestätigt sehen, dass der Frühling hier erst spät beginnt. Dann folgt der Radelrennsteig einer ruhigen Landstraße, die uns gnädig ist. So erreichen wir relativ mühelos Thüringens höchsten Punkt. Um die 1000-Meter-Marke zu knacken, haben findige Marketingleute auf den 978 Meter hohen Schneekopf einen 23 Meter hohen Aussichtsturm gestellt. Der hat heute leider den Kopf in den Wolken. Von unten, wo „Turmwart Bodo“ - so die Aufschrift seines Basecaps – an der Kasse sitzt, überblickt man immerhin die Wälder. „Morgen soll's schneien“, sagt Bodo. Wir machen, dass wir weiter kommen. Einmal mehr staunen wir, wie lange man in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern unterwegs sein kann, ohne einen Menschen zu treffen.

•• • Alter Funkturm auf dem Großen Inselsberg.

Ein Bahnhof ohne Ort ist die nächste Sehenswürdigkeit. Die Station „Rennsteig“ verdankt ihre Existenz der Besonderheit von Dampfloks, immer mit der Nase bergauf fahren zu müssen. Hier oben am Pass wurde also umgekoppelt. Jetzt gibt es zwar keinen regelmäßigen Zugverkehr mehr, aber heiße Suppe im reizend restaurierten Bahnhofsgebäude. Nur einen Kilometer weiter offenbart der Thüringer Wald ein weiteres Geheimnis. Das Bunkermuseum Frauenwald war eine seit den 1970er-Jahren für Kriegszeiten bereit gehaltene Kommandozentrale der Stasi, von der nicht einmal die Einheimischen etwas ahnten. Am Zaun stand „VEB Wasserwirtschaft“, und wer's nicht glauben wollte, musste spätestens angesichts der regelmäßigen Lieferungen von Rohrdichtungskleber überzeugt sein. Dass es sich bei den angeblichen Klebstoffdosen um sorgsam umdeklarierte Lebensmittelkonserven für die bis zu 130 Bewohner handelte, erfährt man auf einer kundigen Führung durch diese Parallelwelt unter dem Waldboden. Die dauert eine knappe Stunde. Man kann auch für eine Nacht hier einziehen – und sich von „Vorgesetzten“ auf Honorarbasis anschreien lassen, wenn beispielsweiRADtouren 6 | 11

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se das Bett nicht ordentlich gemacht ist. Dieses 16-stündige „Reality-Erlebnis“ sei der Renner bei Gruppen, berichtet der Guide. Wir sind schon von der einstündigen Kurzversion beeindruckt – und froh, dass dieser Ort nach der Wende nicht den Vandalen zum Opfer gefallen ist wie so viele andere Spuren der verblichenen DDR.

Allzunah fern der Zivilisation Kein Zweifel, dass die Stasi diese Einsamkeit mit Bedacht gewählt hat. Der nächste Ort mit dem wunderbaren Namen Allzunah ist zwei Kilometer entfernt und mit seiner Handvoll Häuser auf einer Waldwiese scheinbar fern der Zivilisation. Wir rollen weiter komfortabel auf der Landstraße mit wenig Autoverkehr – eine Wohltat für die vom Gerumpel des Vortages geschundenen Knochen. In Masserberg lassen wir den Tag im Badehaus samt Saunalandschaft ausklingen, während draußen die Wolken auf den Bergwiesen schleifen. Am nächsten Morgen trifft die Prophezeiung von Turmwart Bodo ein: Die Eisheiligen treiben Schneeschauer übers Land. Im Wald ist es immerhin windstill, und außerdem fährt außer uns heute niemand hier Rad. Am Wegesrand auf knapp 800 Meter Höhe entspringt die Werra. Wir könnten ihr den Kiesel zurückgeben, aber … – nein. Bis zum Mittag treffen wir zwar keinen Menschen, aber vier stattliche Hirsche sowie Max, RADtouren 6 | 11

•• ar t in • em St Nac h d l g e h t e s he Hör s c rg auf. nur b e lang e

den Maulwurf von den Bauschildern der Bahn. Hier, wo wir ihn gewiss nicht erwartet hätten, erzählt er auf einem Schild von dem Tunnel, der 300 Meter unter unserem Waldweg den Berg durchbohrt. Er gehört zur Neubaustrecke Erfurt – Nürnberg, deren gigantischer TunnelBrücken-Tunnel-Weg der Bahn den Spitznamen „Wahn AG“ eingebracht hat. Ein merkwürdiges Gefühl: Wir hier oben bei den Hirschen, und da unten ein ICE, irgendwann. Passend zum Wetter gönnen wir uns einen Abstecher nach Lauscha, denn in dem Glasmacherstädtchen wurde die Weihnachtsbaumkugel erfunden. In den mit anthrazitfarbenen Schindeln gedeckten Häusern halten sich bis heute viele Familienbetriebe. Und die Frau im Glaskunstmuseum spricht mit leuchtenden Augen vom alljährlichen Ansturm im Advent. Später am Tag sind wir überrascht, dass uns Thüringens berühmtester Weg nach Bayern bringt: Seit 1990 führt der Rennsteig auf etwa 15 Kilometer Länge wieder durch den Frankenwald. Bevor es zurück nach Thüringen geht, wechseln wir vom Radel- auf den WanderRennsteig. Denn der ist hier von Grenzsteinen aus fünf Jahrhunderten gesäumt. Einer trennte die Bistümer Bamberg und Altenburg-Sachsen, auf einem anderen von 1935 hält der Thüringer Wappenlöwe ein Hakenkreuz. Weiteres lässt sich per Handy über eine Info-Nummer abfragen. So

R fügen sich kleine Geschichten in die große ein. Eine schon übermannshoch zugewachsene Schneise im Wald lässt die alte innerdeutsche Grenze ahnen. Von den Befestigungen ist einzig der Fahrweg der Grenzer geblieben. Aus den gelochten Betonplatten heraus blüht der Löwenzahn. Frieden liegt über den Spuren des Kalten Krieges. Im Geäst singen die Vögel dazu. Ein steter Wechsel aus sanft geschwungenen Feldern, Wiesen und Wäldchen geleitet uns ans Ziel. Jetzt werden wir für die Anstrengung der vergangenen Tage belohnt, indem wir hinabgleiten nach Blankenstein. Plopp!, macht der Kiesel, als er in die kleine Selbitz platscht. Wenn sie es schafft, nimmt sie ihn mit in die Saale. Wenn er hier bleibt, hat er's auch nicht schlecht getroffen. Wir treten unseren letzten Kilometer dieser Reise an: noch einmal über die einstige Grenze nach Franken, wo ein fröhlicher Wirt in einem entlegenen Waldgasthaus sensationelle Schinkennudeln und Ente serviert und Schnurren von gescheiterten Agenten und gescheiten Flüchtlingen erzählt. Zwei Ausflügler vom Nachbartisch und ein sächsischer Bauarbeiter, der hier auf Montage ist, setzen sich dazu. Offenbar stimmt das Klischee, dass man sich in Franken im Gasthaus keinen freien Tisch sucht, sondern einen, wo schon jemand sitzt. Der Abend wird lang und lustig. Draußen liegt schwarz der Wald mit all seinen Geheimnissen.


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