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LEBENS-TECHNIK
INNOVATIVER LEBEN
Leiden mindern, Krankheiten heilen, Leben retten – Lifesciences sind als innovativer Kernbereich der Gesundheitswirtschaft ein wichtiges Zukunftsfeld in Österreich. Mit seinen vielen Unternehmen und Kompetenzen in Medizintechnik, Pharma und Biotechnologie hat sich vor allem der Standort Oberösterreich als guter Boden für wichtige Player entwickelt.
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Text: Rosi Dorudi • Foto: stock.adobe.com / chokniti
Kaum eine andere Branche in Österreich verzeichnet eine so hohe Investition in Forschung und Entwicklung wie die Lifesciences: 982 Unternehmen mit rund 60.000 Mitarbeitern erwirtschafteten im Jahr 2021 einen Umsatz von 25,1 Milliarden Euro. Nicht zuletzt die Coronapandemie, die in den vergangenen zwei Jahren das Gesundheitssystem an seine Grenzen brachte, hat weltweit die Nachfrage nach spezifischen Medizintechnikprodukten steigen lassen. Mit dem unternehmerischen Know-how von über 80 innovativen Firmen und deren rund 11.000 hoch qualifizierten Beschäftigten hat sich allen voran der Standort Oberösterreich zu einer Kompetenzregion in der Medizintechnik etabliert. „Oberösterreich ist ein starkes Industrieland und verfügt über eine Branchenstruktur mit hervorragenden Netzwerken und durchdachten Entwicklungsinstrumenten, die durch eine enorme politische Unterstützung untermauert werden“, sagt Frauke Wurmböck, Managerin des Medizintechnik-Clusters der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria. Seit 2002 fördert der Cluster als zentrale Schnittstelle Know-how-Transfer und das Zusammenspiel der heimischen Akteure. „Die technischen Entwicklungen in der Medizin sind äußerst dynamisch“, so Wurmböck. Nanotechnologien seien ebenso auf dem Vormarsch wie Biotechnologien. „Zudem wachsen Medizintechnik und IT stetig zusammen. Diese Herausforderungen verlangen nach innovativen Lösungen. Wir bieten hier eine enge Zusammenarbeit über Ländergrenzen und Branchen hinweg.“ Dazu zählt auch die Initiative „MED UP – Medical Upper Austria“. Mit 6,4 Millionen Euro fördert sie die Entwicklung neuer Technologien, darunter das Forschungsprojekt Medusa, das im Rahmen des strategischen Wirtschafts- und Forschungsprogramms des Landes Oberösterreich als Leitprojekt ausgewählt wurde.
Die Verschmelzung von Medizin und Robotik
Ein Aneurysma im Gehirn ist gefährlich. Es kann zu einem Schlaganfall oder einer Gehirnblutung und damit auch zum Tod führen. Medusa, das
MEDIZINTECHNIK UND IT WACHSEN ZUSAMMEN. DA BRAUCHT ES INNOVATIONEN.
FRAUKE WURMBÖCK, MEDIZINTECHNIKCLUSTER OÖ
Frauke Wurmböck Managerin MedizintechnikCluster in der Standortagentur Business Upper Austria.
Dr. Michael Giretzlehner Projektleiter RISC Software GmbH: entwickelt Trainingsplattform für Neurochirurgie.
DER WELTMARKT FÜR MEDIZINTECHNIK WÄCHST PRO JAHR UM SECHS PROZENT.
STEFAN GRAFENHORST, GREINER AG
Forschungsprojekt unter Beteiligung von 13 oberösterreichischen Einrichtungen und Unternehmen, soll die komplizierten chirurgischen Eingriffe am Gehirn mithilfe ausgeklügelter Medizintechnik revolutionieren. Konsortialführerin ist die Forschungsabteilung Medizin-Informatik der RISC Software, die sich seit Jahren erfolgreich mit der systematischen Verarbeitung von Daten, Informationen und Wissen in der Medizin und im Gesundheitswesen befasst. Leiter Dr. Michael Giretzlehner über das Projekt: „Medusa, ein Akronym aus dem Projektnamen Medical EDUcation in Surgical Aneurysm Clipping, ist die Entwicklung einer Trainings- und Planungsplattform für Neurochirurgen, um komplexe Eingriffe am Gehirn detailreich und ganzheitlich simulieren zu können.“ Nach rund zwei Jahren Laufzeit wurde nun mit „Stheno v1.0“ der erste Prototyp erfolgreich fertiggestellt. Der Simulator basiert auf einem hybriden Ansatz, der zum einen aus einem künstlich gefertigten Schädel samt künstlichem Gehirngewebe besteht und zum anderen aus virtuell überlagerten Bildern, welche die Simulationsumgebung in Echtzeit erweitern. „Chirurgen können so den künstlich gefertigten Patienten haptisch fühlen und innere, ansonsten nicht sichtbare anatomische Strukturen in Form von virtuell erzeugten Hologrammen sehen“, erläutert Giretzlehner. Mittelfristig soll das Projekt zur Etablierung eines Simulations- und Kooperationszentrums in Oberösterreich führen. Das ambitionierte Projekt unterstreicht die hohe Attraktivität der Region als Medtech-Standort, an dem auch echte Global Player und Weltmarktführer beheimatet sind. Wie etwa Greiner Bio-One, die auf den Medizinbereich spezialisierte Tochter des Kunst- und Schaumstoffriesen Greiner AG.
Sicher unter Verschluss
Täglich landen literweise Speichel für das Coronatesten mittels PCR-Verfahren in den PET-Röhrchen von Greiner Bio-One. Die Tochter des Kunst- und Schaumstoffriesen Greiner AG ist auf Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Kunststoffartikeln für den Laborbedarf spezialisiert. Ihre Vacuette-Virusstabilisierungsröhrchen wurden in kürzester Zeit entwickelt und im März 2020 am Markt eingeführt. „Der enorme Zeitdruck, der Qualitätsanspruch und der Nachweis der Produktperformance stellten dabei die größten Herausforderungen dar“, erzählt Stefan Grafenhorst, Global Head of Sustainability & Corporate Affairs der Greiner AG. Probenentnahmesysteme für Blut, Urin und Speichel zählen zu den vielen innovativen Produkten des Konzerns, der mit über 11.000 Mitarbeitern an 139 Standorten in 34 Ländern längst zum Global Player herangewachsen ist.
MIT MEDUSA KANN MAN KOMPLEXE EINGRIFFE AM GEHIRN SIMULIEREN.
MICHAEL GIRETZLEHNER, PROJEKTLEITER RISC SOFTWARE
Stefan Grafenhorst
Global Head of Sustainability & Corporate Affairs der Greiner AG.
Werner Trenker
Geschäftsführer der MED TRUST Handelsges.m.b.H.: liefert in 80 Länder.
Andreas Grassauer Geschäftsführer Marinomed Biotech AG: schaffte es vom Startup an die Börse.
WIR HABEN IM VORJAHR EINEN SIEBENSTELLIGEN BETRAG IN F&E INVESTIERT.
WERNER TRENKER, GESCHÄFTSFÜHRER MED TRUST
Der Gesamtkonzern wächst, besonders dynamisch entwickelt sich Greiner Bio-One. Dem Technologiepartner für Krankenhäuser sowie diagnostische und pharmazeutische Einrichtungen bescherten vor allem die Covid-19-relevanten Produkte 2020 ein Umsatzplus von 36 Prozent. „Natürlich haben sich durch das verstärkte Testvolumen weltweit neue Chancen in der Mikrobiologie ergeben“, sagt Grafenhorst. „Medizintechnik ist eine Zukunftsbranche, und wie die letzten beiden Jahre zeigen, hat sie sich als krisensicher erwiesen.“ Eine Aussicht, die den Trend zum Einstieg in die Medizinbranche bei anderen Unternehmen verstärkt. „Der Weltmarkt wird laut Marktforschung jährlich um gut sechs Prozent wachsen“, konstatiert Grafenhorst. „Dies mag einige Unternehmen dazu bewegen, in die Branche zu investieren. Allerdings sind die Eintrittsbarrieren für den weltweit größten Markt, die USA, aber auch für den europäischen Markt mit seiner neuen Medizinprodukterichtlinie gestiegen.“
Lebensqualität bei Diabetes
Die neue EU-Verordnung für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika zu erfüllen, ist auch für das etablierte Familienunternehmen MED TRUST herausfordernd. Als Hersteller von Diabetesprodukten wie Blutzuckermessgeräten vertreibt MED TRUST die Eigenmarke „Wellion“ seit 25 Jahren über Distributionspartner in 80 Ländern. „Das ist in unserem Business eine kleine Ewigkeit, es gab zahlreiche Änderungen am Markt“, sagt Geschäftsführer Werner Trenker. „Bei Firmengründung gab es noch nicht einmal ein CE-Zeichen für Medizinprodukte.“ Heute müsse ein Start-up in diesem Bereich von Anbeginn ein funktionierendes Qualitätsmanagementsystem unterhalten, was mit erheblichen Kosten verbunden sei. „Wir haben im vergangenen Jahr im Bereich Forschung & Entwicklung einen siebenstelligen Betrag investiert, um die Qualität der Wellion-Produkte sicherzustellen und neue zu entwickeln“, berichtet Trenker. Zum Leistungsportfolio des Unternehmens zählen zudem Logistik und bedarfsorientierte Administration sowie Marketing- und Vertriebskonzepte für Partnerunternehmen. „Durch neue und innovative Produkte und Versorgungswege konnten wir unseren Marktanteil 2021 in Europa signifikant steigern“, berichtet Trenker. „Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Position als Global Player auch weiterhin ausbauen können.“
Biotechnologie im Aufwind
Vom Start-up zum internationalen F&E-Unternehmen schaffte es auch Marinomed. Die Niederösterreicher setzen bei ihren Produkten gegen Atemwegs- und Augenerkrankungen auch auf Rohstoffe aus dem Meer. „Unser erster Wirkstoff stammt aus einer Rotalge, manchmal werden wir als blaue Biotechfirma bezeichnet“, sagt Geschäftsführer Andreas Grassauer. „Heute entwickeln wir auch Wirkstoffe, die nicht aus dem Meer kommen.“ 2006 gegründet, ging Marinomed 2019 erfolgreich an die Börse – ein Meilenstein. „Während große Unternehmen die Entwicklung von Medikamenten aus laufenden Einnahmen finanzieren, benötigen kleinere wie wir Kapital, das zumeist von Investoren kommt“, so Grassauer. Innovative Pharmaunternehmen wie Marinomed böten Investoren erhebliche Chancen. Bereits ein einziges erfolgreich entwickeltes Medikament könne ein Unternehmen hochprofitabel machen. Marinomed konnte im vergangenen Jahr mit dem Virusblocker „Carragelose“ bereits einen großen Erfolg erzielen und verzeichnete ein Umsatzwachstum von 40 Prozent mit diesen Produkten. „2021 konnten wir außerdem erstmals Umsätze aus unserer MarinosolvTechnologie generieren“, schildert Grassauer. „Natürlich hoffen wir, dass wir daran anknüpfen können. Unser Ziel ist es, mit unserem Know-how Medikamente für bisher nicht behandelbare Krankheiten zu entwickeln.“ Die Coronapandemie habe das Bewusstsein für die Biotechnologiebranche in Österreich gesteigert. „Sie ist eine Schlüsseltechnologie dieses Jahrhunderts und wird eine zentrale Rolle bei den großen Themen wie Klima und Nachhaltigkeit spielen“, ist Grassauer überzeugt. ••
ANDREAS GRASSAUER, GESCHÄFTSFÜHRER MARINOMED