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GENUSS MIT MEHRWERT
DIE ZUKUNFT AUF DEM TELLER
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Wer heute in der Lebensmittelindustrie hoch hinauswill, sollte lokale Rohstoffe von Blatt bis Wurzel und Nose to Tail verarbeiten, Energiequellen und Verpackungen neu denken und nachhaltige Convenienceprodukte entwickeln. Was auch nie schaden kann: Toparbeitskräfte aus der Region. GOURMET Kids und Co. zeigen vor, wie das geht.
Text: Susi Mayer • Foto: PX
Chia, Algen, Urban Farming: Henry Jäger hat viele Trends kommen und gehen sehen. An der BOKU in Wien leitet er das Institut für Lebensmitteltechnologie und bekommt hautnah mit, was die Branche umtreibt: „Früher war das Lebensmittel ein Energielieferant. Dann ein Vitaminlieferant. Dann kam der Wellnessaspekt. Heute werden sowohl die Schattenseiten als auch die positiven Eigenschaften einzelner Stoffe viel mehr herausgekehrt. Es wird alles viel mehr schwarz-weiß kommuniziert als früher“, sagt er. Das führe zu Unsicherheit bei Verbrauchern. Sicher ist nur: Potenzial für die Zukunft haben vor allem Strategien für nachhaltigeres Wirtschaften. Etwa durch die Reduktion von Lebensmittelabfällen. Der Schlüssel dafür ist laut Jäger die 360-Grad-Verarbeitung von möglichst regionalen Rohstoffen: „Der Rohstoff an sich ist immer noch der entscheidende Faktor dafür, wie nachhaltig ein Produkt ist. Nur Teile zu verwenden und den Rest wegzuwerfen, weil gerade ein neuer Ernährungstrend aufgetaucht ist, ist nicht der richtige Weg.“ Gleichzeitig beeinflusst der ungebrochene Run auf Convenienceprodukte die Zukunft der Ernährung. Aus dem Einkaufssackerl in die Pfanne, auf den Teller, in den Mund, fertig. Kein Schnippeln, kein stundenlanges Kochen. Selbst Suppengemüse kommt vorgeschnitten. Und Fleisch? Das ist immer noch begehrt und wird nie ganz verschwinden. Aber: Die tatsächlichen Kosten für Umwelt und Gesundheit spiegeln sich in Billigprodukten aus dicht bestückten Tierfabriken nicht wider. Pflanzliche Proteinquellen aus regionalem Anbau sind dagegen in aller Munde. Die Entwicklung von Fleischersatzprodukten, die nicht nur Umwelt und Gewissen entlasten, sondern auch schmecken, gleicht zurzeit der Suche nach dem Heiligen Gral. Unternehmen, die dieses Segment vernünftig bespielen, freuen sich über enormes Wachstum. Experte Jäger zum Ausgangsstoff: „Um tierische Proteine zu ersetzen, braucht es eiweißreiche Rohstoffe wie Erbsen, Soja oder Weizen. Will man den Biss von Fleisch nachahmen, kann man auch mit Pilzen arbeiten.“
DER ROHSTOFF AN SICH ENTSCHEIDET, WIE NACHHALTIG EIN PRODUKT IST.
HENRY JÄGER, BOKU WIEN
Univ. Prof. Henry Jäger leitet das Institut für Lebensmitteltechnologie an der BOKU Wien.
Peter Weidinger
Geschäftsführer der Hochreiter Group: baut ein Ausbildungszentrum. Besteht die Verpackung zudem noch aus abbaubaren Materialien, landen Unternehmen den Nachhaltigkeitshattrick. Leicht ist das beileibe nicht. Günstig ebenso wenig. Aber schon heute gibt es österreichische Player, die kritische Erfolgsfaktoren erkannt haben.
Mit der Kraft der Sonne(nblume): Regionalität in aller Munde
Wie etwa Daniel Pichler. Seine Genuino GmbH stellt vegane Proteinprodukte und Öle her. Unter dem Markennamen Etadoro launcht Pichler im Frühjahr 2022 proteinreiche, vegane Fleischersatzprodukte auf Basis von Sonnenblumenprotein. Mit der weltweit agierenden Gustav Hees Gruppe hat er Experten aus der Ölproduktion als Partner, die Ahnung vom Einkauf und gute Beziehungen zu Landwirten mitbringen. Der Rohstoff für die Produkte wird unter anderem aus Pressrückständen von Sonnenblumenöl gewonnen. Pichler misst der regionalen Herkunft besondere Bedeutung bei: „Nachhaltige Lebensmittel sind per Definition regionale Lebensmittel. Denn: Was habe ich von der Bioerbse, wenn sie einmal um die ganze Welt geschickt werden muss?“ Die Produkte sollen den Gaumen begeistern und praktisch in den Alltag integrierbar sein: „Die Gruppe ‚Hardcore vegan, egal wie’s schmeckt‘ sprechen wir nicht an“, sagt Pichler. Konkret geht es um fixfertige Produkte aus der Convenience-Ecke: vegane Burger, Laibchen, Shakes. „Bolognese muss nicht aus Fleisch bestehen, um köstlich zu sein. Die Textur der Sonnen-
PETER WEIDINGER, HOCHREITER GROUP
NUR REGIONALE LEBENSMITTEL SIND NACHHALTIGE LEBENSMITTEL.
DANIEL PICHLER, GENUINO GMBH
Wer tierische Proteine ersetzen will, braucht eiweißreiche Rohstoffe wie Sojabohnen.
blume ermöglicht die Herstellung von vegetarischen Produkten mit richtig gutem Biss.“ Das kommt gut an und schmeckt.
Schulverpflegung mit Impact
GOURMET Kids versorgt jeden Tag 80.000 Kinder in Kindergärten und Schulen. „Wir bieten nachhaltiges, gesundes Essen an und achten auf den ökologischen Fußabdruck“, sagt Claudia Ertl-Huemer, Geschäftsfeldleiterin bei der Vivatis-Tochter GMS GOURMET GmbH, dem Marktführer bei Gemeinschaftsverpflegung. „In der Gemeinschaftsverpflegung haben wir einen riesigen Hebel und können viel bewegen.“ So sind 50 Prozent der Kinderspeisen bio – mehr als viermal so viel wie im Durchschnittshaushalt. Für Ertl-Huemer ist Bewusstseinsbildung essenziell: „Wir möchten Kindern früh zeigen, welchen Einfluss sie über die Ernährung auf das Klima nehmen können. Bio und Regionalität sind wichtige Faktoren. Und Fleischreduktion. Das berücksichtigen wir bei der Speiseplanung.“ Gelingen soll das unter anderem auch über die Klimakochwerkstatt: Köche und Ernährungswissenschaftler kommen
WIR BIETEN NACHHALTIGES, GESUNDES ESSEN MIT KLEINEM ÖKOLOGISCHEM FUSSABDRUCK.
CLAUDIA ERTLHUEMER, GMS GOURMET GMBH an die Schulen und bringen Kindern spielerisch Rezepte und Restlverwertung näher. Auch die Selbstermächtigung bei der Auswahl der angebotenen Gerichte soll den Blick über den Tellerrand ermöglichen. „Die Kinder nehmen sich selbst, was und so viel sie wollen. So probieren sie viel eher etwas Neues und lernen unterschiedliche Geschmäcker kennen“, sagt Ertl-Huemer. Neue Produkte testen die Kleinen selbst, die Bewertung erfolgt mit Smiley-Pickerl. Dem Nachwuchs einfach etwas auf den Teller zu klatschen, sei nicht mehr zeitgemäß, so die Expertin. Und die Buffetform reduziere zudem Lebensmittelabfälle.
Wenn Ausbildung nicht „wurst“ ist
In Bad Leonfelden entstand 2021 um sieben Millionen Euro ein Ausbildungszentrum für Köche, Fleischer und Lebensmitteltechniker. Der Bauherr? Die Hochreiter Group, Produzent von Fleisch-, Wurst- und Convenienceprodukten sowie Hotelinvestor. Warum? „Weil wir gute Leute wollen, die bei uns das Handwerk von der Pike auf gelernt haben“, sagt Geschäftsführer Peter Weidinger. „Das geht in Industriebetrieben nicht so leicht.“ Am Hochreiter-Campus werden jährlich 40 Lehrlinge ausgebildet, mit Jobgarantie nach Abschluss. Wer hier lernt, erwirbt technisches Know-how, ein gutes Netzwerk und kann sich danach zwischen Lebensmittelherstellung, Hotellerie und Produktentwicklung entscheiden. Mit Geschick und Fleiß winken über die Jahre Positionen im Management, sagt Weidinger. Nachhaltige Mitarbeiterentwicklung nennt sich das. Nachhaltig weiterentwickeln will Weidinger aber nicht nur zukünftige Mitarbeiter. Auch am CO2-Fußabdruck schraubt man. Fotovoltaik, Windkraft, Biogas – all das werde bereits umgesetzt oder diskutiert. Das Ziel: möglichst große Autonomie in Sachen Energie. In die Zukunft der Produkte gedacht, sieht Weidinger in hybriden Lebensmitteln, die aus Fleisch und pflanzlichen Rohstoffen bestehen, viel Potenzial. „Es muss nicht immer alles zu hundert Prozent aus Fleisch sein. So könnte man den Fleischkonsum reduzieren und vernünftig und gesund leben. Wichtig ist, dass Fleisch wieder mehr Wert und einen angemessenen Preis bekommt.“ ••
Daniel Pichler
Gründer von Genuino GmbH: will im Frühjahr die VeggieMarke Etadoro launchen.
Mag.a Claudia Ertl-Huemer
Geschäftsfeldleiterin bei GOURMET, Biovorreiter in der Gemeinschaftsverpflegung.